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Es war einmal ein mächtiger Sultan. Er herrschte gütig und weise über sein Land. Doch sein einziges Kind war ein Mädchen, Prinzessin Aline. Es war undenkbar, dass sie, eine Frau, das Volk eines Tages alleine führen sollte.
So machte er sich große Sorgen, dass sein Thron an den machthungrigen Sohn seines Bruders fallen könnte, daher beschloss er, sein Kind mit einem reichen Prinzen zu vermählen. Diese Entscheidung fiel ihm schwer, denn er wollte, dass sein Kind glücklich wurde und die Liebe erfahren möge, wie er sie selbst mit seiner früh verstorbenen Frau erlebt hatte. Doch er wusste auch, dass man das eigene Glück nicht über das Glück eines ganzen Volkes stellen durfte. So war dies beschlossene Sache.
Als Prinzessin Aline von dem Vorhaben ihres Vaters in Kenntnis gesetzt wurde, wurde ihr schwer ums Herz. Sie hatte noch keinem Manne ihr Herz geschenkt, doch wusste sie nicht, wie sie mit dem fremden Prinzen auskommen würde. So zog sie sich in ihre Kammer zurück und klagte der Zofe ihr Leid. Sie merkte nicht, dass sie nicht alleine waren, denn ins Vorzimmer war die alte Weberin getreten, um der Prinzessin den gewünschten Teppich zu bringen.
„Ach Nesrin“, klagte die Prinzessin. „Was ist, wenn ich ihn nicht mag?“
Die Zofe tätschelte die Hand der Prinzessin. „Ihr werdet ihn mögen. Wenn nicht sofort, dann in ein paar Monaten, wenn Ihr ihn besser kennt.“
„Und wenn er ein schwarzes Herz besitzt?“, fragte die Prinzessin bang.
„Dann möge uns und dem Volk Allah beistehen“, sagte die Zofe leise.
Die Weberin hatte genug gehört und schlich sich leise davon. Das Herz wurde ihr schwer, wenn sie daran dachte, dass die gute und freundliche Prinzessin womöglich dem falschen Manne hingegeben werden sollte. Sie beschloss ihr zu helfen, so wie die Prinzessin einst ihr geholfen hatte, als sie mittellos und gebrochen durch die Straßen der Stadt geirrt war. Vorurteilsfrei hatte sie die alte Weberin in ihrem Palast aufgenommen und ihr Arbeit gegeben. Jetzt konnte sie sich endlich dafür erkenntlich zeigen.

In den folgenden Tagen liefen die Vorbereitungen für die anstehende Vermählung auf Hochtouren. Als größtes Ereignis plante der Sultan einen Teppich, der vom Thron bis hinaus vor das Tor des Palastes gehen sollte. Dafür wurden alle Weberinnen der Stadt und der umliegenden Dörfer herbeigerufen, auf dass sie Tag und Nacht daran knüpften. Auch die alte Weberin war daran beteiligt, bekam sogar die Aufsicht über das Werk. Und so konnte sie ihren geheimen Zauber in den Teppich knüpfen, der die Prinzessin beschützen sollte.

Nach vielen Tagen und Wochen der Vorbereitung war es schließlich soweit. Prinz Farid, der zukünftige Sultan, kam aus seinem fernen Lande Agyron angereist, um die Hand von Aline zu beanspruchen. Das ganze Volk hatte sich versammelt und unter die Musiker, Jongleure und Tänzerinnen gemischt, die dem Prinzen einen gebührenden Empfang bereiten sollten.
„Ah, ist er nicht schön?“, riefen die Frauen, als sie den Prinzen erblickten, und wahrlich sah er vorteilhaft aus. Sein Haar war gepflegt, seine Haut ebenmäßig und rein und die Kleidung mit Gold und Edelsteinen besetzt. Den Kopf trug er erhoben und die braunen Augen blitzten klug. Sein Reichtum war legendär und das Glück schien ihm stets hold zu sein. Und doch sah ihm Aline mit bangem Blick entgegen. Sie spürte, dass etwas an diesem Mann nicht stimmte, doch konnte sie dieses Gefühl nicht begründen.
Vor dem Teppich, der am Fuße der Treppe zum Palast hinauf begann, blieb der Prinz kurz stehen und winkte dem Volk zu, das ihm euphorisch zujubelte. Aline sah auf den Prinz hinunter und wünschte, sie könnte sich in eine Maus verwandeln und einfach davonlaufen. Doch sie schuldete ihrem Volk, stark zu sein, so blieb sie, wo sie war und lächelte, wie es sich für eine Prinzessin geziemte.
Dann setzte der Prinz einen Fuß auf die unterste Stufe und den darauf befindlichen Teppich. Die alte Weberin, gut verborgen zwischen dem jubelnden Volk, lächelte zufrieden. Schon bald würde sich zeigen, was für ein Mensch der Prinz wirklich war.
Der angehende Sultan kam noch drei weitere Stufen hinauf, ehe die Magie der alten Weberin zu wirken begann. Zuerst kam Wind auf, ein leises Rauschen, der den umliegenden Sand in einem kleinen Sandsturm vor dem Prinzen aufbaute. Dann schien sich das feine Gewirbel zu einer Form zusammen zu setzen.
Das Volk verstummte, denn nun sahen sie sich auf einmal zwei völlig identischen Prinzen gegenüber.
Der echte Prinz sah sein Gegenüber verblüfft an. Die Illusion begann sich zu bewegen. Sie griff nach einem Dolch, verborgen in ihrem Gewand und wandte sich um. Die Wachen stürzten sich auf ihn, doch ihre Messer drangen unversehens durch die Illusion hindurch, ohne sie auch nur zu verletzen. Unbeirrt wandte sich der falsche Prinz einem zweiten Sandsturm zu, der sich hinter ihm gebildet hatte und aus dem sich nun ein Mann heraus kristallisierte. Er kniete zu Füßen der beiden Prinzen und hob abwehrend die Hände.
„Der Sultan von Agyron!“, rief eine Stimme aus dem Volk. „Er gilt seit Monaten als verschollen!“
„Nicht, Sohn!“, schrie der Mann, doch schon stach die Illusion dem Mann den Dolch ins Herz. Der Mann zerstob in tausende Sandkörner, die sich wieder wirbelnd in Bewegung setzten. Erneut bildete sich daraus eine Gestalt.
„Ihr werdet doch Eures Vaters Großwesir nichts antun, Prinz Farid“, stammelte die Gestalt.
„Was ist das für schwarze Magie?“, schrie der echte Prinz und wandte sich vom Gesicht des Großwesirs ab.
Der Sultan und Prinzessin Aline sahen nur stumm und überrascht zu.
„Keine schwarze Magie“, sagte die alte Weberin und trat zwischen den Menschen hervor. Ihre Stimme halte über das entsetzte Volk, dass starr und still das Schauspiel beobachtete. „Nur ein Zauber, der vergangene Untaten sichtbar macht.“
„Bitte, Farid, tut es nicht! Ich verrate auch niemandem, dass Ihr Euren Vater ermordet habt!“, flehte der Großwesir.
„Das ist Lug und Betrug!“, heulte der Prinz. Er zog seinen eigenen Dolch aus dem Gewand hervor und stürzte sich auf die beiden Illusionen. Wie wild stach er auf den Wesir ein, ohne auf Widerstand zu treffen. Der Wesir zerstob und ein junges Mädchen kauerte sich vor den Prinzen. Sie weinte.
„Bitte, ich wollte den Apfel nicht klauen, ich habe nur solchen Hunger!“, klagte das Kind.
Der falsche Prinz hob seinen Dolch und köpfte das Kind mit einem Schlag.
Aline schrie entsetzt auf und bedeckte ihre Augen mit den Händen.
„Das war ich nicht! Das habe ich nie gemacht! Verleumdung!“, kreischte der Prinz und stürzte sich auf die alte Weberin. „Du! Du bist Schuld an dieser Hexerei!“ Und er holte mit dem Dolch aus.
„Nein!“, schrie Prinzessin Aline panisch.
Die Wachen stürzten sich auf den echten Prinzen, doch es war zu spät. Sein Dolch steckte bereits in der Schulter der Weberin. Und sie lachte. Lachte und lachte.
„Du“, sagte sie mit letzter Kraft, „wirst Prinzessin Aline nicht in den Untergang führen. Niemand wird das. Nur ein Mann mit reinem Herzen soll sie bekommen.“ Dann starb sie.
Schluchzend kniete sich Aline neben die alte Weberin.

Wenige Tage später war Prinz Farid eingekerkert und wurde für seine Untaten bestraft. Der Sultan jedoch vergab seine Tochter nicht mehr so leichtfertig an einen Prinzen, ganz egal, wie reich, schön oder mächtig er war. Sie alle mussten erst über den Teppich laufen und es vergingen viele Tage und Wochen, bis endlich der richtige Mann gefunden war. Doch als Prinz Nael nun vor Aline trat, da wussten beide sofort, dass sie füreinander bestimmt waren. Schon bald wurde die Hochzeit entrichtet und ihr Land war fortan eins der sichersten und gerechtesten, denn der Teppich log nicht und war fortan fester Bestandteil einer jeden Anklage.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

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Tag der Veröffentlichung: 05.01.2011

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