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Aufgeregt schlich sich Laura aus dem Haus. Es war früher Abend und draußen schien der Vollmond vom sternenklaren Himmel. Sie musste leise sein, denn ihre Eltern würden ihr den Ausflug verbieten. Aber nur in dieser einen Nacht konnte sie Luno wiedersehen. Viele Jahre waren seit ihrem letzten Treffen vergangen, denn nur wenn es einen zweiten Vollmond im Monat gab, konnte er auf die Erde kommen. Und das kam nur etwa alle drei Jahre vor. Doch die Eltern glaubten nicht an ihn. Wie sollten sie auch? Nur wenige kannten das Geheimnis um das Mondenkind.
Vorsichtig zog Laura die Tür hinter sich ins Schloss. Geschafft! So schnell sie konnte lief sie die Wiese hinunter zum Ententeich. Jetzt fehlte nur noch eins.
Mit leiser Stimme begann Laura zu singen.

Ein Himmel aus Seide,
Ein Geigen wie Wind;
Ein Planet aus Kreide,
Dort lebt das Mondenkind.

Jede Nacht sitzt er dort,
Ist immer für uns da.
Er scheint ja so weit fort,
Er ist uns aber nah.

Am zweiten Mond im Monat
Schau zu ihm hinauf;
Wenn die Nacht herannaht,
Nimmt alles seinen Lauf.

Ruf einfach voller Glück:
„Oh komm, oh Mondenkind.“
Strahlt hell der Mond zurück,
Dann kommt er ganz geschwind.



Gespannt hielt Laura den Atem an. Würde es wieder wirken? Hatte sie sich die Nacht mit Luno wirklich nicht nur erträumt, wie ihre Eltern glaubten?
„Laura!“, rief eine Stimme hinter ihr.
Jubelnd wirbelte Laura herum und fiel Luno in die Arme.
„Luno, oh Luno!“, rief sie ganz atemlos und strahlte ihn an.
„Hallo, Laura“, lachte Luno schelmisch und zeigte seine strahlendweißen Zähne. Wie Laura war er ganz schön gewachsen und wirkte nun wie ein Achtjähriger. Doch er trug immer noch seine grauweiß gemusterten, flatternden Kleider.
„Wie geht’s dir?“, fragte Laura und musste sich sehr zusammenreißen, um nicht vor Freude auf und ab zu hüpfen.
„Gut natürlich“, sagte Luno. „Ich freu mich, dass du an mich gedacht hast.“
„Aber Luno!“, sagte Laura tadelnd. „Warum hätte ich denn nicht an dich denken sollen?“
Luno lächelte nur leise, mit einer Spur Traurigkeit im Gesicht.
„Wie geht’s dir denn in der Schule?“, fragte er und die Fröhlichkeit kehrte zurück in seine Augen.
Laura verzog das Gesicht. „Ich will nicht über Schule reden, lass uns lieber spielen.“
„Läuft nicht so gut, oder?“, meinte Luno.
„Mhmm“, brummte Laura und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich kann einfach nicht gut lesen und schreiben.“
„Hast du keinen Spaß an Büchern und Geschichten?“, fragte Luno traurig.
Laura zuckte die Schultern. „Es ist langweilig nur von Abenteuern zu lesen, wo ich doch mit dir selbst in einem gesteckt habe.“
„Ah, das ist dein Problem“. Luno lächelte verschmitzt. „Ich glaub, da kann ich dir helfen.“
„Ja?“, fragte Laura und horchte auf.
„Komm mit“, sagte Luno und zog Laura hinter sich her. Neben dem Sandkasten am Spielplatz blieb er stehen.
Laura lächelte versonnen, als sie sich an ihre Abenteuer vor drei Jahren hier erinnerte.
Luno kniete sich an die hölzerne Eingrenzung des Sandkastens und blies kräftig darüber. Sofort sausten und kullerten die Sandkörner übereinander hinweg. Nur wenig später hatte sich eine spiegelglatte Oberfläche gebildet. Luno beugte sich vor und schrieb mit den Fingern ein großes A in den Sand.
„Hilf mir“, forderte Luno sie auf.
„Ich will lieber spielen“, maulte Laura.
Luno lächelte. „Das wird ein Spiel“, versprach er.
„Na schön“, seufzte Laura und kniete sich neben Luno. Sie malte ein großes B in den Sand.
So ging es in einem fort, bis das ganze ABC sowohl in Groß- als auch in Kleinbuchstaben in den Sand geschrieben war. Immer wenn Laura stockte, oder sich unsicher war, half Luno ihr.
„Und jetzt?“, fragte Laura schließlich und rieb sich den Sand von den Fingern.
„Jetzt erwecken wir sie zum Leben. Weißt du noch, wie es geht?“, fragte Luno.
Laura nickte eifrig. Nur zu gut konnte sie sich erinnern! „Dreimal in die Hände klatschen, richtig?“
„Genau“, sagte Luno. „Und los!“
Gemeinsam klatschten sie dreimal in die Hände.
Kaum war der letzte Ton verklungen, als sich die Vertiefungen im Sand plötzlich mit bunten Farben füllten und sich in sekundenschnelle aushärteten. Gleich darauf sprangen die Buchstaben auf winzigen Füßchen heraus, reckten die dürren Ärmchen in die Luft und gähnten mit kleinen Mündern. Lustig spazierten sie durcheinander, einer bunter als der andere. Da war das grün-gelb-gestreifte V, das gegen das mit lila Punkten übersäte O torkelte, als es über das blaukarierte J stolperte. Das kleine c rannte dem kleinen k hinterher, doch immer wieder verlor es den Halt und kippte nach links. Lustig schaukelte es dann auf seinem runden Körper, währen die dürren Füßchen hilflos in der Luft zappelten.
Laura lachte glücklich. Sie hatte Lunos Zaubereien sehr vermisst.
Das große A räusperte sich vernehmlich, als das kleine n sich an ihre Querstrebe hing und kichernd vor sich hinbaumelte. Kleine Grüppchen bildeten sich und die Buchstaben fingen an, leise miteinander zu reden.
„Ruhe! Ein bisschen mehr Disziplin, wenn ich bitten darf!“, rief Luno die Buchstaben zur Ordnung.
Sofort verstumme das leise Tuscheln und Wispern der Buchstaben. Das k zog das c hoch und das n rutschte vom A herunter. 52 Paar Augen richteten sich gespannt auf ihn.
„Habt ihr Lust zu spielen?“, fragte Luno die Versammlung.
Ein lautstarkes, zustimmendes Gebrüll brach aus.
Luno hob die Hände und es wurde wieder leise. „Habt ihr Lust auf das Buchstabenlabyrinth?“, fragte er.
Die Buchstaben hüpften vor Freude durcheinander und klatschten begeistert.
„Buchstabenlabyrinth! Wir spielen Buchstabenlabyrinth“, riefen sie aufgeregt durcheinander.
Laura zupfte Luno am Hemd. „Was ist das Buchstabenlabyrinth?“, fragte sie.
„Ein riesengroßes Spiel“, sagte Luno und zog unter seinem Hemd ein Buch heraus. Und was das für ein Buch war! Der Umschlag glänzte golden und die Seiten silbern. Mit blauen Saphiren, grünen Smaragden und roten Rubinen waren mehrere Buchstaben auf der Vorderseite gelegt worden.
„Zaubergeschichten“, entzifferte Laura mühsam.
Luno nickte. „Das sind magische Geschichten. Wenn man sie liest, werden sie für die Dauer der Worte lebendig“, erklärte er.
Lauras Augen begannen zu funkeln. „Toll!“, hauchte sie.
„Ich schenke es dir“, sagte Luno. „Unter einer Bedienung.“
„Ich mach alles, was du willst“, sagte Laura eifrig.
„Du musst dir das Buch verdienen“, sagte Luno und auf einmal lag das Buch in einer gläsernen Kiste.
„Wie?“, fragte Laura.
„Ich verstecke es in der Mitte des Buchstabenlabyrinths. Es wird gut bewacht von Rittern und Drachen, Sphinxen und anderen Geschöpfen.“
„Wie komme ich an ihnen vorbei?“, fragte Laura zaghaft.
„Jeder von ihnen wird dir ein Rätsel stellen, oder du wirst bei einer Probe bestehen müssen. Wenn du verlierst, musst du einen anderen Weg gehen, mit noch mehr schweren Rätseln. Wenn du aber richtig liegst, dann geben sie den Weg frei und sagen dir, wie du am schnellsten in die Mitte kommst. Und jeder von ihnen gibt dir einen Buchstaben mit. Diese Buchstaben geben am Ende das Lösungswort, dass die Zaubergeschichten aus dem gläsernen Käfig befreit.“
„Das klingt aber ganz schön schwer“, sagte Laura leise.
Luno lächelte sie an. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde dich begleiten und die Buchstaben auch, nicht wahr?“
Die Buchstaben stimmten lauthals zu. Das große L sprang auf Lauras Schuh und kletterte flink ihre Hose hinauf, bis es schließlich auf ihrer Schulter stand.
„Wir helfen dir, wo wir können“, sagte das L und seine winzigen Fingerchen klammerten sich an ihr Ohr.
„Na, worauf warten wir dann noch?“, fragte Laura auffordernd.
„Auf los, geht’s los“, sagte Luno und wandte sich der großen Wiese zu. „Du musst mir helfen, Laura.“
„Wie denn?“, fragte Laura.
„Mach die Augen zu und stell dir eine große Hecke vor.“
Laura schloss die Lider und dachte an die Hecke, die den Vorgarten von ihrem Haus eingrenzte. Lebhaft stellte sie sich vor, wie die Hecke immer höher wuchs.
„Halt, das reicht schon“, sagte Luno lachend.
Laura öffnete die Augen und staunte nicht schlecht. Vor ihr lag der Eingang zu einem Heckenlabyrinth. Und diese Hecken mussten gut drei Meter hoch sein. Als Laura genauer hinsah, erkannte sie, dass die Blätter der Hecke nicht einfache Blätter waren, sondern winzige, grüne Buchstaben. Es mussten Millionen sein!
„Den ersten Buchstaben bekommst du von mir, weil du mir geholfen hast, die Buchstaben und das Labyrinth zu erschaffen“, sagte Luno und reichte ihr ein kleines a. Es sah genauso aus, wie die Buchstaben der Hecken, grün und mit ganz kurzen Härchen bedeckt. Nur größer war es.
Laura bedankte sich und steckte den Buchstaben in ihre Hosentasche.
Luno reichte ihr die Hand. „Bereit?“
„Bereit!“, sagte Laura und betrat das Labyrinth.
Ein seltsames Zwielicht herrschte zwischen den Hecken. Der Vollmond spendete schon einiges an Licht, doch gegenüber der Sonne war es doch eher spärlich. Gruselige Schatten huschten über die Wände des Labyrinths. Laura schauderte. Doch da griff Luno nach ihrer Hand und sichere Wärme durchströmte sie. Die Buchstaben wuselten um sie herum. Wie Farbspritzer in einem Wirbelwind sprangen sie um ihre Füße herum. Nur das L war auf Lauras Schulter geblieben und kuschelte sich in ihre blonden Locken.
Es dauerte nicht lange, bis sie die erste Gabelung erreichten. Auf dem Boden saß im Schneidersitz ein Mann. Er trug eine braun-besche Hose mit passendem Oberteil. Schöne, blaue und weiße Stickereien verzierten es. Auf dem Kopf trug er einen Kopfschmuck aus Federn und im Gesicht hatte er auf den Wangen je drei rote Striche.
„Ein Indianer“, sagte Laura erstaunt.
„Ich grüße dich, Laura“, sagte der Indianer freundlich und stand auf. Er hob die rechte Hand über die Schulter und führte sie dann auf sein Herz, während er den Kopf leicht senkte.
Laura und Luno machten es ihm nach und selbst die Buchstaben versuchten es mit ihren kurzen Ärmchen. Nicht wenige von ihnen verloren dabei den halt und kullerten über den Boden.
„Bist du bereit für mein Rätsel?“, fragte der Indianer.
Laura nickte.
„Ich verlange zwei Dinge von dir. Suche mir vier Wörter mit „Fe“ an ihrem Anfang, und vier Wörter mit „au“ in ihrer Mitte.“ Der Indianer trat vor und reichte ihr eine kleine Dose, die bis zum Rand mit einer seltsamen, blau leuchtenden Farbe gefüllt war.
Laura sah den Indianer verwirrt an, doch Luno tunkte kurzerhand seinen Finger in die Farbe und hob die Hand in die Luft. Dann begann er einfach zu schreiben. Mitten in die Luft. Seine Finger hinterließen blaue Striche vor seinem Gesicht. Wie große Glühwürmchen in Buchstabenformat schwebte die Farbe vor Luno. Fe stand dort.
Begeistert tunkte Laura ebenfalls ihren Zeigefinger in die Farbe und schrieb selbst in die Luft. Bald hatten sie viermal Fe untereinander geschrieben. Dann schrieb Laura die Wörter weiter. Als erstes fielen ihr die Ferien ein. Und dann Fell. Und als Luno ein leises Grunzen ausstieß, schrieb sie schnell noch Ferkl auf.
„Mit e“, flüsterte Luno leise.
Schnell wischte Laura mit dem Handrücken über das letzte Wort und wie von Zauberhand verschwand es. Laura lachte vergnügt und setzte ein „Ferkel“ unter die anderen Wörter.
Aber ein viertes Wort wollte ihr partout nicht einfallen.
Während Laura nachdenklich auf ihrem – sauberen - Fingernagel herumkaute, machte der Indianer ein kleines Feuer. Flink drehte er einen dünnen Ast im Loch von einem dickeren. Schon bald begann es zu rauchen und der Indianer legte Laub hin und blies sanft, bis kleine Flämmchen aus dem Ast schlugen.
Und in dem Moment schlug sich Laura mit der flachen Hand auf die Stirn und hinterließ einen blauen Fleck darauf. „Ich Dummerchen!“, rief sie und schrieb Feuer in die Luft.
Die ersten Wörter mit au in der Mitte waren auch schnell gefunden. Maus und Laus. Und Strauß (mit scharfem s, wie Luno sie korrigierte). Und natürlich Haus.
„Bitteschön“, sagte Laura und deutete stolz auf die acht Wörter.
Der Indianer lächelte. „Gut gemacht“, sagte er und reichte Laura einen Buchstaben. Er war komplett aus Holz geschnitzt und wunderschön. Es war ein s. Und dann reichte er ihr noch einen Gegenstand. Es war ein Reifen aus Weide in dessen kreisrunden Inneren sich Schnüre spannten, ein regelrechtes Geflecht. Glasperlen waren darauf gefädelt und von dem Ring hingen mehrere Federn herab. Laura wusste was das war.
„Ein Traumfänger“, sagte sie erfreut.
„Es soll von jetzt an deinen Schlaf behüten“, sagte der Indianer und streifte ihr den Traumfänger, der an einem Lederband hing, über den Kopf.
„Danke“, sagte Laura.
Der Indianer nickte ihr freundlich zu. „Jetzt musst du nach links gehen“, sagte er und deutete auf den Weg.
Laura, Luno und die Buchstaben gingen weiter. Der Weg machte immer wieder einen Knick, bevor er sich schließlich erneut gabelte. Vor den drei Abzweigungen schwebte ein kleines Wesen, das bei jeder Bewegung leise klingelte. Als Laura näher kam, erkannte sie es. Es war ein puppengroßes Mädchen mit roten Locken und sehr dünnhäutigen Flügeln auf dem Rücken. Eine Elfe! Ihr lavendelfarbenes Kleid war über und über mit kleinen Glöckchen bestickt, die fröhlich bei jeder Bewegung klingelten.
„Hallo“, sagte Laura.
„Hallo, kleine Laura“, sagte die Elfe. Sie hatte eine schöne Singsangstimme, der Laura stundenlang hätte zuhören können.
„Stimmt es, dass du gerne singst?“, fragte die Elfe.
„Ja“, sagte Laura.
„Das trifft sich gut. Denn um den richtigen Weg gewiesen zu bekommen, musst du mir erst ein Lied singen.“
„Irgendeins?“
„Irgendeins, ja. Aber such dir eines mit einer einfachen Melodie heraus. Denn du sollst anstatt dem Text, mir das Alphabet vorsingen.“
„Ohje“, sagte Laura unglücklich. Denn sie konnte das Alphabet gar nicht richtig aufsagen. Es fiel ihr schon schwer, sich überhaupt an alle Buchstaben zu erinnern, doch die dann auch noch richtig anordnen, das würde nicht einfach werden.
„Hast du eine Melodie?“, fragte die Elfe.
Laura überlegte. Alle meine Entchen hatte eine einfache Melodie. Sie nickte zaghaft.
Die Elfe lächelte sie an. „Hab keine Angst. Ich weiß, dass du es kannst“, sagte sie aufmunternd.
Laura senkte den Blick. Und da sah sie, dass die Buchstaben nicht untätig gewesen waren. Flink hatten sie sich in einer Reihe aufgestellt. Ganz links stand das A, daneben das B, dann das C und so weiter. So konnte sie gar nichts falsch machen!
Beschwingt begann Laura zu singen.
„Ahh beh ceh deh eeee eff
Geh ha iii jot kaaah
El em en ohh peeh“
Verzückt dirigierte die Elfe Lauras Noten. Dabei klingelten die Glöckchen im Takt.
„Quu er es te uhhh vau
We ix üpsilon zet“
Es ging genau auf.
Die Elfe applaudierte. „Oh wie wundervoll, wie wundervoll“, trällerte sie und kam zu Laura geflogen. Sie hielt ihr einen Buchstaben hin, der fast größer war, wie sie selbst. Er war silbern und leuchtete leicht. Ein ß. Dann schwebte sie zu Boden und winkte Laura zu sich.
„Hier, das ist auch für dich“, sagte sie und deutete auf eine kleine, runde Holzschatulle, die sie um einen Fingerbreit überragte.
Laura hob sie auf und öffnete sie.
„Oh, wie schön!“, rief Laura. Es war eine alte Spieluhr. Auf der runden Innenfläche stand eine kleine Puppe, die eindeutig als Elfe erkennbar war. Sobald der Deckel offen stand, begann sie sich sanft zu drehen und eine leise Melodie erklang.
„Vielen Dank, liebe Elfe“, sagte Laura.
„Das hast du dir verdient“, sagte die Elfe und flog zu dem mittleren Weg. „Und hier musst du weitergehen.“
Laura winkte der Elfe zum Abschied und ging weiter. Es war still zwischen den Heckenwänden, denn die Buchstaben und Luno machten fast keine Geräusche beim Gehen. Doch das sie alle bei Laura waren, nahm ihr die Angst. Aber beim Anblick der dritten Abzweigwächterin bekam sie doch einen gehörigen Schreck. Beklommen klammerte sie sich an Lunos Arm und starrte die große Sphinx an, die vor ihr die zwei Abzweigungen bewachte. Ihr Löwenkörper schimmerte sanft im Mondenlicht und die grünen Augen ihres menschlichen Kopfes sahen sie klug an.
„Guten Abend, Laura“, sagte sie Sphinx freundlich.
„Ha… hallo“, stotterte Laura zitternd.
Luno legte einen Arm um sie. „Keine Angst, sie tut dir nichts“, versprach er.
„Hör mir jetzt genau zu“, sagte die Sphinx. „Ich werde dir einen Satz oder den ersten Teil eines Satzes sagen und du wirst ihn fortführen. Dabei muss dein letztes Wort jedoch einen Reim mit meinem letzten Wort ergeben. Hast du verstanden?“
Laura nickte.
„Nun gut, dann lass uns anfangen.“ Die Sphinx legte sich auf den Boden, so dass Laura nicht mehr den Kopf in den Nacken legen musste, um sie anzusehen.
„Der Vollmond scheint in dieser Nacht.“
Laura nagte auf ihrer Unterlippe, während sie überlegte. „Dein Fell erstrahlt in ganzer Pracht“, reimte sie schließlich weiter.
Die Sphinx lächelte geschmeichelt. „Bücher soll‘n gelesen werden.“
„Weil die Geschichten sonst aussterben.“
Luno drückte ihre Hand und lächelte.
„Der Schlüssel ist die Fantasie.“
„Ohne sie gäb’ es dich nie“.
„Gut, sehr gut“, brummte die Sphinx. „Einen letzten Vers noch, dann hast du es geschafft. Pass auf: Bleib immer auf dem rechten Weg.“
Laura dachte angestrengt nach. Weg? Was reimte sich auf Weg? Steg? Leg? Ihre Miene erhellte sich. „Dich zu sehen war ein Privileg“, sagte sie.
Die Sphinx schenkte Laura ein Lächeln. „Du machst dich ganz gut. Es wundert mich, dass du Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben hast. Dein Problem ist dein Geist.“
„Mein Geist?“, fragte Laura verwundert.
Die Sphinx nickte. „Du glaubst vom Lesen nichts Großartiges erwarten zu können. Hier, nimm diesen Buchstaben. Und ich gebe dir noch einen Rat mit auf den Weg: Die Fantasie ist der Schlüssel. Nicht die Geschichte bestimmt, wie langweilig sie ist, sondern deine Fantasie bestimmt, was aus der Geschichte wird. Ich schenke dir dieses leere Buch und hoffe, dass du es eines Tages mit eigenen Geschichten füllst.“
Sie deutete auf ein wunderschönes, blau marmoriertes Buch zwischen ihren Tatzen, auf dem ein gelbglänzendes p lag.
Laura hob beides auf und bedankte sich. Dann zog sie mit ihren Freunden weiter.
Es dauerte nicht lange, bis sie auf die nächste Schreckgestalt trafen. Es war ein grün schillernder Drache mit großen Flügeln. Er hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und den Kopf auf seinen Schwanz gelegt.
Als Laura, Luno und die Buchstaben ums Eck bogen, gähnte er heftig.
„Der Drache!“, rief Laura erschrocken und wollte wegrennen. Doch sie stolperte über die Buchstaben und schlug der Länge nach hin.
Die Buchstaben ächzten und stöhnten unter Lauras Gewicht.
Lachend zog Luno Laura wieder hoch. „Hier in diesem Labyrinth ist niemand gefährlich“, sagte er.
„Hallo Laura“, sagte der Drache mit tiefer, rauer Stimme. „Mein Name ist Buh. Und ich gehöre zu den guten Drachen. Keine Angst, ich fress dich schon nicht.“
Laura lächelte verlegen. „Hallo Buh“, sagte sie leise.
Der Drache lachte freundlich. „Nun, wie ich meine hast du hier drei Gänge zur Auswahl und nur ich kenne den richtigen Weg.“
Laura nickte.
„Weißt du, was ich besonders gerne mag?“, fragte der Drache.
Laura schüttelte den Kopf.
„Zungenbrecher“, sagte der Drache versonnen. „Kennst du den? Wenn Fliegen hinter Fliegen fliegen, fliegen Fliegen Fliegen hinterher.“
Laura lachte.
„Oder den: Wenn Drachen in Rachen lachen, lachen Drachen in Rachen. Ich lache auch gerne. Nur war ich noch nie in Rachen“, plauderte der Drache. „Ich möchte, dass du mir zwei Zungenbrecher aufsagst“, fuhr er fort. „Deine einzige Hilfe werden die Buchstaben sein, die dir den Zungenbrecher auf die Erde schreiben.“
Sofort wuselten die Buchstaben los. Und was das für ein Durcheinander war! Denn für die Zungenbrecher wurden manche Buchstaben doppelt und dreifach benötigt. Da machte es Plopp, ein bunter Regen aus Farbe explodierte und das e teilte sich und war auf einmal zweimal da. Und dann machte es Plopp Plopp, und vier e standen herum. So ging es immer weiter, bis genügend Buchstaben vorhanden waren. Und dann begann das Gewusel von vorne, bis alle Buchstaben ihren Platz gefunden hatten. Es wurde gedrängelt und geschubst, geknufft und gemeckert. Doch endlich stand der Spruch, wie er gehörte. Griesbrei bleibt Griesbrei und Kriegsbeil bleibt Kriegsbeil.
„Na dann mal los“, sagte der Drache.
Laura räusperte sich und las den Zungenbrecher erst einmal still. Das war gar nicht so einfach, denn er hatte lange und komplizierte Wörter. Laura musste immer wieder am Anfang des Wortes ansetzen, bis sie ihn endlich einmal gelesen hatte.
Schließlich sagte Laura den Spruch auf. „Griesbrei bleibt Gies… nein… Griesbrei kleibt… nein!“ Nervös strich sich Laura eine vorwitzige Strähne aus der Stirn.
„Keine Angst“, sagte der Drache gutmütig. „Lies es noch einmal genau. Und dann sprich ihn ruhig nach.“
Laura holte tief Luft. Dann begann sie von vorne. „Griesbrei bleibt Griesbrei und Kriegsblei... “
Laura ließ den Kopf hängen.
Da trat Luno neben sie und flüsterte ihr ins Ohr: „Hab keine Angst. Stell dir den Griesbrei und das Kriegsbeil doch einfach einmal bildlich vor.“ Er legte seine Hand auf Lauras Augen, dass sie sie schließen musste. Dann flüsterte Luno: „Griesbrei bleibt Griesbrei und Kriegsbeil bleibt Kriegsbeil.“
Laura ließ die Augen zu und stellte sich den Griesbrei und da Kriegsbeil vor. Und während sie fest daran dachte, sagte sie: „Griesbrei bleibt Griesbrei und Kriegsbeil bleibt Kriegsbeil.“
Luno nahm die Hand von Lauras Augen und strahlte sie an.
Der Drache nickte mit seinem großen Kopf. „Siehst du, das war doch schon richtig gut. Nun der zweite Vers und du darfst weiter.“
Wieder wuselten die Buchstaben durcheinander und ploppten auseinander, bis alles stimmte.
Laura las sich den Zungenbrecher durch. Er war leicht, sich vorzustellen. Als sie ihn diesmal vortrug, klappte es auf Anhieb: „In einem Schokoladenladen laden Ladenmädchen Schokolade aus. Ladenmädchen laden Schokolade in einem Schokoladenladen aus.“
Luno und die Buchstaben applaudierten. Der Drache reichte Laura ein grünschuppiges e. Dann zupfte er sich eine Schuppe von seinem Bauch und bog sie zwischen seinem kräftigen Kiefer.
„Hier. Diese Schuppe wird dich vor bösen Einflüssen schützen.“ Er legte die Schuppe auf Lauras Hand.
„Danke“, sagte Laura und streifte sie über ihr Handgelenk. Jetzt hatte sie ein wunderschönes und nützliches Armband.
„Wenn du weißt, was ich weiß, und ich weiß, was du wissen willst, und du weißt, was ich wissen wollte, dann wirst du wissen, was ich weiß. Nämlich das du nach links musst.“
„Danke, lieber Buh“, sagte Laura und ging weiter.
„Du machst dich richtig gut“, sagte Luno.
Laura zuckte die Schultern. „Solche Spiele machen Spaß. Auch wenn sie schwierig sind.“
„Lesen und Schreiben sind auch nur Spiele“, meinte Luno.
„Ja, aber –“, setzte Laura an, doch da erreichten sie auch schon die nächste Abzweigung. Laura hatte das sanfte Schimmern nicht bemerkt, das man schon von weitem hatte sehen können, doch der Anblick des Einhorns, das dort stand, verschlug ihr im ersten Moment die Sprache. Wie schön es war! Es hatte strahlend weißes Fell und ein silbernes, ganz schmales Horn.
„Ich grüße dich, Laura“, sagte das Einhorn mit sanfter Stimme.
„Hallo“, sagte Laura schüchtern.
„Ich habe ein kleines Rätsel für dich vorbereitet“, sagte das Einhorn und deutete neben sich. Dort lag Sand und in den Sand war etwas geschrieben worden. Oben stand DENN, dann war Platz und ganz unten stand WALD.
„In vier Schritten musst du das erste Wort in das letzte Verwandeln. Pro Schritt darfst du nur einen Buchstaben ändern und es muss sich immer ein sinnvolles Wort ergeben“, erklärte das Einhorn.
„Das hört sich schwer an“, sagte Laura zaghaft.
Das Einhorn lächelte sie aufmunternd an. „Du schaffst das schon.“
Laura kniete sich an den Rand der Sandtafel und starrte das erste Wort an. DENN. Es gab zwei Möglichkeiten. WENN und DANN. Welches war das richtige? Sie überlegte eine Weile hin und her, bis sie schließlich bemerkte, dass es keinen Unterschied machte. Denn das nächste Wort war WANN und das ließ sich aus beiden Varianten gewinnen. Also schrieb sie WENN und darunter WANN. Dann war es einfach. Darunter nur noch eine WAND, dann noch das N durch ein L ersetzt und fertig war das Rätsel.
Das Einhorn nickte anerkennend. „Jetzt das zweite Rätsel“, sagte sie und blies über den Sand. Staub stieg auf und als er sich verzog, waren die Worte verschwunden und andere standen an ihrer Stelle. Oben PILZE und unten WOLKE.
Laura starrte das erste Wort an. Wie sollte man denn daraus ein sinniges Wort bilden, wenn man nur einen Buchstaben ersetzen durfte?
Verzweifelt überlegte sie hin und her, kam jedoch zu keinem Ergebnis.
„Nun?“, fragte das Einhorn.
„Ähhh“, sagte Laura und das Herz schlug ihr heftig in der Brust.
Aufgeregt zupfte das L, das immer noch auf Lauras Schulter saß, an ihrem Ohr. „Ich bin die Lösung“, flüsterte es eindringlich.
„Und wo?“, fragte Laura leise zurück.
„Anstelle dem Z!“
„Oh, natürlich!“, rief Laura und schrieb rasch PILLE in den Sand. Von da an war es wieder einfach. Erst folgte WILLE und dann WOLLE. Und schon war die WOLKE erreicht.
„Sehr gut“, sagte das Einhorn und führte sie zum Rand der Hecke. Dort lag ein strahlend weißer Buchstabe. Ein weiteres s. Als Laura den Buchstaben aufhob, rieb das Einhorn seinen Kopf an der Hecke. Und mit einem leisen Klingen fiel ihr das Horn ab.
„Oh nein!“, rief Laura aufgeregt und hob das Horn auf.
„Ich schenke es dir“, sagte das Einhorn lächelnd.
„Aber… aber“, stotterte Laura.
„Kein aber“, erwiderte das Einhorn. „Ich muss es immer wieder abstreifen, damit ein noch schöneres nachwachsen kann. Du kannst es als Stift benutzten, man kann sehr gut damit schreiben.“
„Vielen Dank“, sagte Laura überwältigt von all den vielen Gaben, die sie von den Fabelwesen geschenkt bekam.
„Nun geh durch den linken Gang. Schon bald wirst du dein Ziel erreichen.“
Laura winkte und zog mit Luno und den Buchstaben weiter. Es ging nach links und dann nach rechts und wieder nach links und urplötzlich standen sie vor der nächsten Gabelung. Und dort sah sie einen alten Bekannten wieder.
„Der Ritter! Hallo Herr Ritter!“, rief Laura begeistert und staunte nicht schlecht. Denn es war der Ritter, den sie vor drei Jahren aus Sand erschaffen hatte, als Luno sie das erste Mal besucht hatte. Aber jetzt stand er in voller Menschengröße vor ihr. Er musste fast zwei Meter groß sein!
„Hallo, Laura“, sagte der Ritter fröhlich und schüttelte ihre Hand. „Hast du Lust auf eine Runde Scrabble-Memory?“
„Skräbl-Memory?“, wiederholte Laura verwirrt.
Der Ritter nickte und deutete auf ein Spielbrett neben sich. Es war einfach nur eine große Holzplatte und darauf lagen viele, kleine Kärtchen, ganz so wie bei Memory.
„Auf jedem dieser Kärtchen steht ein Buchstabe“, erklärte der Ritter und setzte sich neben das Spielbrett. „Mit diesem Würfel wird ermittelt, wie viele Kärtchen du aufdecken darfst. Und aus diesen aufgedeckten Buchstaben musst du dann ein Wort legen. Dabei ist egal, ob du nur drei Buchstaben verwendest, oder alle. Jeden Buchstaben, den du verwendet hast, darfst du behalten. Der Rest wird wieder verdeckt hingelegt. Wer am Ende die meisten Buchstaben hat, hat gewonnen. Bist du bereit?“
Laura nickte. „Lass uns anfange.“
„Na dann los“, sagte der Ritter und reichte Laura den Würfel. Er sah ganz normal aus, hatte sechs Flächen mit jeweils einer Zahl. Doch die Zahlen gingen nicht von eins bis sechs, sondern von fünf bis Zehn. Laura würfelte eine neun. Sie deckte neun Kärtchen auf.
„Das schwierige ist, dass du dir die Kärtchen nicht nehmen darfst, um daraus was zu legen“, sagte der Ritter.
Doch dieses Problem hatte Laura nicht. Denn sofort wuselten die jeweils passenden Buchstaben herbei, so dass Laura sie umstellen konnte. Und auch Luno half ihr immer, dass sie möglichst lange Wörter bilden konnte.
Es war ein tolles Spiel, Laura hatte viel Spaß mit dem Ritter, der immer noch ziemlich tollpatschig war. Einmal rollte er den Würfel unter die Hecke und musste mit dem Schwert vorgehen, um wieder daran zu kommen, ein anderes Mal stieß er fast das Spielfeld um, als er ungeschickt nach einer Karte griff.
Doch auch die schönste Zeit hatte einmal ein Ende und schließlich gewann Laura das Spiel.
Der Ritter klatsche Beifall und gab ihr ein sandiges e. Und dann steckte er ihr noch etwas zu. Es war eine Kopie von ihm selbst, jedoch wieder in der Miniaturgröße.
„Damit die Prinzessin nicht einsam wird“, sagte er augenzwinkernd und schob sie auf den rechten Weg.
„Danke“, sagte Laura noch schnell, ehe sie weiterging.
„Jetzt kommen wir in das Herz des Labyrinths“, sagte Luno und im selben Moment erreichten sie einen Kugelrunden Raum. In der Mitte stand ein Podest, auf dem der gläserne Kasten mit dem Goldenen Buch stand. Und an dem Kasten lehnte ein weiterer Buchstabe. Ein gläsernes L.
„Und jetzt?“, fragte Laura.
„Jetzt musst du aus den Buchstaben ein Wort bilden“, erklärte Luno und legte alle Buchstaben, die er für Laura getragen hatte, auf den Boden. „Und wenn du das Wort laut sagst, dann verschwindet der Glaskasten.“
Laura knobelte eine Weile und kam auf Pass und Espe. Auch dann auf Esel. Aber auf kein Wort, dass alle Buchstaben enthielt.
„Das L ist groß, alle anderen Buchstaben klein“, bemerkte Luno.
„Stimmt“, sagte Laura. „Dann muss das L am Anfang stehen!“
Sie legte es ganz nach links. Jetzt lag dort noch ese, der Rest vom esel, und ßaps. Und da erkannte sie das erste Wort. Lese! Und der Rest war auch nicht mehr schwer.
„Lesespaß!“, rief sie und der Glaskasten verpuffte mit viel Getöse zu Rauch.
„Ich hab‘s geschafft!“, jubelte Laura und drückte das kostbare Buch an sich.
Luno umarmte sie und gratulierte ihr. Dann spitzt er die Lippen und pfiff einmal laut. Sofort zerfiel das Labyrinth um sie herum zu Luft. Sie standen nur wenige Meter neben dem Ententeich, der ruhig im Mondlicht lag.
Luno reichte Laura eine Tasche, in der all ihre magischen Geschenke steckten. „Schöne Erinnerungen sind Gold wert“, sagte er lächelnd und legte die Zaubergeschichten dazu.
Und da wurde Laura klar, dass ihr nächtliches Abenteuer vorbei war. Sie umarmte Luno. „Danke für den schönen Abend“, sagte sie leise und eine Träne rollte ihr über die Wange, obwohl sie krampfhaft versuchte, tapfer zu sein.
Luno wischte die Träne weg. „Und denk dran, ich schau dir von da oben zu. Ich bin näher, als du denkst“, sagte er und blies ihr, wie schon das letzte Mal, Sternenstaub in die Augen, der ihr den Schlaf zurückbrachte, den sie in dieser Nacht verloren hatte.
Laura blinzelte und als sie wieder klar sehen konnte, war Luno verschwunden. Geräuschvoll zog sie die Nase hoch und winkte hinauf zum Vollmond. Dann schlich sie zurück in ihr Zimmer und legte ihre Schätze auf das Nachtschränkchen. Sie versuchte noch in dem Buch zu lesen, doch es sah aus, wie jedes andere. Ganz normale Seiten, gefüllt mit ganz normalen Buchstaben. Noch ehe sie die ersten Wörter gelesen hatte, war sie jedoch eingeschlafen.
Am nächsten Morgen wachte sie putzmunter auf und ging zur Schule. Sie war aufgeregt, denn heute sollte ein Lesewettbewerb stattfinden. Und ausgerechnet sie musste als erste vorlesen!
Mit zitternden Händen trat sie an das Pult und schlug das Lesebuch auf. Die Lehrerin zeigte ihr die Geschichte, die sie lesen sollte. Mit trockenem Mund schaute Laura auf. 25 Paar Augen waren auf sie gerichtet. Ihr Herz klopfte wie wild.
In dem Moment zupfte etwas an ihrem Ohr. Laura griff hin und hatte im nächsten Moment das L auf ihrer Hand sitzen. Fröhlich grinste es sie an.
„Du packst das schon!“, sagte das L.
Laura begann zu lächeln und erinnerte sich auf einmal wieder daran, was die Sphinx gesagt hatte. Die Fantasie ist der Schlüssel. Nicht die Geschichte bestimmt, wie langweilig sie ist, sondern deine Fantasie bestimmt, was aus der Geschichte wird.
Laura beschloss, ihr bestes zu geben. Sie strich sich die Haare aus der Stirn und begann zu lesen. Und sie merkte, dass es ganz einfach war. Sie tauchte direkt in die Geschichte ein. Mal las sie langsamer, dann wieder schnell. Mal leise, oder plötzlich laut. Jeder Figur gab sie eine andere Stimme. Und je mehr sie sich bemühte, desto mehr war es so, als würde sie die Geschichte am eigenen Leib erfahren. Und immer, wenn sie eine kurze Spannungspause einlegte und hoch schaute, sah sie ihre Mitschüler, die mit weit aufgerissenen Augen und offenen Mündern ihr lauschten.
Als sie schließlich endete, klatschte die ganze Klasse begeistert in die Hände. Und Laura wusste, dass sie sich von jetzt an nie wieder langweilen würde, solange sie nur ein Buch in der Nähe hatte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 30.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle Kinder, die nicht so gerne lesen und damit Probleme haben

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