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Vor vielen, vielen Jahren lebte einst ein kleiner Junge namens Likard in einer fernen Welt. Diese Welt ähnelt der unseren sehr stark. Sie hat nur einen Unterschied: die Menschen dort tragen ihr Herz an einer Kette um den Hals, dass jeder es sehen möge. Und verborgen in diesem Herz tragen sie ihre wertvollsten Sachen.
Doch Likard war sehr traurig. Denn er wurde ständig von den anderen Kindern gehänselt, weil sein Herz so klein und mickrig war.
„Schaut euch dieses Winzelding nur an. Das soll ein Herz sein?“, sagte Delato zum Beispiel und zeigte dann sein prächtiges, großes Herz.
Schließlich wurde es Likard zu viel. Er beschloss fort zu gehen. Seine Mutter weinte bittere Tränen, als er ihr seinen Beschluss mitteilte. Zum Abschied riss sie sich ein Haar aus ihrem Schopf und reichte es Likard.
„Dieses Haar nimm in deinem Herzen mit“, sagte sie. „Jeder der es sieht, soll daran sofort erkennen, wie stolz ich auf dich bin und was für ein guter Sohn du mir gewesen bist.“
Likard nahm das Haar. Er öffnete sein Herz, das bisher leer gewesen war und legte das Haar hinein.
„Ich werde es in Ehren halten“, versprach er und zog davon.
Er war noch keine zwei Tage unterwegs, als er eine Amsel sah, die sich in einem alten Fischernetz verfangen hatte und drohte zu verenden. Sofort kniete sich Likard hin und befreite den Vogel.
„Vielen Dank“, sagte der Vogel und zupfte sich eine kleine Feder aus. „Diese Feder will ich dir schenken. Und jeder der sie sieht, soll daran sofort erkennen, wie hilfsbereit du bist.“
Likard nahm die kleine Feder und steckte sie zu dem Haar seiner Mutter in sein Herz.
Dann zog er weiter, bis er in einer Stadt ankam und dort auf einen Bäcker traf.
„Junge, ich brauche dringend ein weiteres Paar Hände, dass mir bei der Arbeit hilft. Willst du ein Jahr als Lehrling bei mir dienen? Du wirst gut dafür bezahlt und bekommst eine Unterkunft und Kost gestellt.“
Likard stimmte zu und arbeitete ein Jahr lang bei dem Bäcker. Er lernte Brote zu kneten, Brezen zu knoten und Kuchen zu backen. Doch schließlich war auch dieses Jahr herum. Da nahm der Bäcker ein Maiskorn und gab es Likard.
„Dieses Maiskorn ist mein Abschiedsgeschenk. Jeder der es sieht, soll daran sofort erkennen, wie fleißig du bist.“
Likard nahm das Maiskorn und steckte es in sein Herz. Dann nahm er zur Wegzehrung einige Laibe Brot und zog fort.
Schon wenige Städte weiter sah er ein altes Häuschen. Und durch ein kaputtes Fenster sah er eine Mutter mit ihren sieben Kindern sitzen. Sie weinte bitterlich und beklagte ihren großen Hunger. Da schob Likard seinen Sack mit den vielen Broten durch das Fenster.
„Für euch. Lasst es euch schmecken“, sagte Likard.
„Hab Dank, guter Mann“, sagte die Mutter gerührt und reichte Likard einen alten Fingerhut.
„Ich kann dir nichts Großartiges als Gegenzug geben. Doch jeder, der diesen Fingerhut sieht, soll daran sofort erkennen, wie großzügig du bist.“
Likard bedankte sich und steckte den Fingerhut in sein kleines Herz, das sich langsam füllte.
Dann zog er weiter, bis er an einen Strand kam. Dort kniete ein junger Lehrling und weinte große Tränen.
„Was hast du?“, fragte Likard.
„Ich habe die Geldbörse meines Meisters verloren“, klagte der Mann. „Und wenn ich sie nicht bis morgen Abend zu ihm bringe, werde ich hart dafür bestraft.“
„Ich werde dir suchen helfen“, sagte Likard und begann sofort den Sand vorsichtig umzugraben. Die ganze Nacht hindurch suchte Likard, bis er die Geldbörse schließlich fand.
„Hier hast du sie. Sei nicht mehr traurig“, sagte Likard und gab sie dem Lehrling.
„Vielen Dank“, sagte der Lehrling gerührt und reichte Likard einen Knopf.
„Ich kann dich nicht bezahlen, doch jeder, der diesen Knopf sieht, soll sofort erkennen, wie freundlich du bist.“
Likard steckte den Knopf zu seinen anderen Schätzen und zog weiter.
Auf einem Marktplatz traf er eine Frau mit wunderschönen, langen Haaren.
„Flechte mir meine Haare“, verlangte die Frau.
Likard stieß sich nicht an ihrer unhöflichen Art und flocht ihr Haar zu einem dicken Zopf. Doch kaum hatte er geendet, da stampfte sie mit dem Fuß auf und rief: „Nein, das gefällt mir nicht, mach es anders!“
Likard löste den Zopf wieder auf und flocht ihr zwei Zöpfe, doch auch das vermochte ihr nicht zu gefallen. Den ganzen Tag flocht er der Frau viele verschiedene Frisuren, bis sie schließlich zufrieden war. Dann reichte sie ihm ein kurzes Stück Seidenband.
„An diesem Band soll jeder sofort erkennen, wie geduldig du bist“, sagte sie.
Likard nahm das Band und steckte es in sein kleines Herz, das nun fast voll war. Dann zog er weiter, bis er zu einer großen Burg kam.
Auf einem großen Schild wurde verkündet, dass an diesem Tage ein Prinz für die Prinzessin des Landes gesucht wurde. Jederman solle kommen und sein Herz der Prinzessin zeigen. Derjenige mit den schönsten Sachen, würde sie zur Frau gewinnen.
Likard wurde neugierig und betrat den Hof. Nur noch wenige Menschen waren da. Zwei edle Männer wurden gerade fortgeschickt, so dass vor der Prinzessin und ihrem Vater, dem König, nur noch ein junger Mann stand. Likard erkannte ihn. Es war Delato. Jetzt trat er vor die hübsche Prinzessin und imponierte ihr mit seinem großen Herz.
Likard wollte schon weitergehen, doch da sah die Prinzessin ihn.
„Warte“, rief sie. „Komm einmal her.“
Likard trat neben Delato.
„Sieh einer an“, sagte Delato hämisch. „Erwachsen und trotzdem noch so ein kleines Herz. Was bist du nur für ein Verlierer.“
Likard ließ den Kopf hängen und wurde ganz traurig.
"Mit was wollt ihr mich erobern?", fragte da die Prinzessin.
Sofort streckte Delato sein großes Herz vor. „Schau nur mein Herz. Es ist so groß wie sonst keines, so rot wie die schönste Tomate und schau nur, was ich in meinem Herzen für Schätze mit mir herumtrage."
Delato öffnete sein Herz. In seinem Inneren funkelten Goldstücke, Edelsteine und Diamanten um die Wette.
Die Prinzessin lächelte angetan.
„So etwas kann ich dir nicht bieten“, sagte Likard traurig und wandte sich ab.
Doch die Prinzessin hielt ihn am Arm zurück. „Warte. Was klappert da so in deinem Herz?“
„Meine schönsten Erinnerungen“, sagte Likard.
„Darf ich sie mir ansehen?“, fragte die Prinzessin.
Likard nickte und öffnete sein Herz.
Die Prinzessin schaute in sein Herz und sah die bunte Sammlung von kleinen, scheinbar wertlosen Gegenständen.
Delato lachte hämisch. „Was trägst du nur für Schrott mit dir herum“, sagte er.
Doch die Prinzessin sah sofort wie freundlich und geduldig er war. Wie hilfsbereit und fleißig.
Gerührt schloss sie sein Herz. Sie trat einen Schritt zurück und streifte ihren königlichen Ring von ihrem Finger.
„Ich habe meine Wahl getroffen. Derjenige, der diesen Ring bekommt, wird mein Prinz werden“, sagte sie.
Delato lächelte selbstbewusst und trat einen Schritt vor.
Doch die Prinzessin ging zu Likard und öffnete sein Herz.
„Dieser Ring hat noch Platz“, sagte sie und legte den Ring in den verbliebenen Freiraum. „An ihm soll jeder sofort sehen, wie sehr du geliebt wirst.“
Da lachte Likard, denn jetzt war sein Herz erfüllt von schönen Erinnerungen und von Liebe.
Schon wenige Tage später fand die Hochzeit statt und das ganze Land jubelte und feierte. Nur einer war verbittert und wütend. Delato. Von jenem Tag an versteckte er sein großes Herz.
Doch Likard und die Prinzessin lebten fortan glücklich miteinander.

Impressum

Texte: Cover von mir
Tag der Veröffentlichung: 21.06.2009

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