Schlafen. Einfach nur schlafen, gibt es etwas Schöneres? Wunderbar entspannend und… Flötenklänge? Wo kommen die denn auf einmal her? Irgendetwas saugt sich an meine Schläfen und mit einem pflopp wird etwas gemacht, das mir gar nicht gefallen will. Meine Augenlider springen auf, ohne dass ich es will. Aber ich fühle mit topfit und vollständig ausgeruht. Komisch, ich könnte schwören, mich erst vor einer halben Stunde hingelegt zu haben. Doch was meine Sehnerven wahrnehmen, vertreibt jegliche Überlegungen über das seltsame Zeitgeschehen. Statt meiner weißen Schlafzimmerdecke sehe ich einen Metallarm mit zwei Fingern, an deren Ende je ein Saugnapf angebracht ist. Und ich könnte schwören, dass diese Saugnäpfe vor wenigen Sekunden noch an meinen Schläfen gepappt haben.
Wo, zum Teufel, bin ich? In einem Versuchslabor? Doch auch dieser Gedanke ist mir nicht gestattet, auszuführen. Etwas schiebt sich unter mich und hebt mich hoch. Der Schrei bleibt mir in der Kehle stecken. Das… Ding, was auch immer es ist, manövriert mich in den angrenzenden Raum. Ein Bad. Sieht aber auch nicht nach meinem aus. Ich werde auf die Kloschüssel gesetzt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich splitterfasernackt bin. Wunderbar, wo ist mein Schlafanzug hin? Im Moment wohl mein geringstes Problem. Ein weiterer Metallarm mit einer Schaumstoffhand beginnt sanft meinen Unterleib, genauer gesagt, meine Blase, zu massieren. Soll das etwa den Harndrang anregen? Ich will nicht wissen, was diese Maschine tun würde, wenn sie mich zum Kotieren anregen wollen wü-
Auuuuuuuu! Verdammt nochmal, jetzt weiß ich’s… Ein langer, dünner Stab bohrt sich in meinen Allerwertesten, um den Drück-Reiz auszulösen. Scheiße! Im wahrsten Sinne des Wortes. Trotz allem verfehlt es seinen Sinn und Zweck nicht. Ich schau mich schon nach Klopapier um, bis mir klar wird, dass es das nicht nötig hat. Ja, ich habe eine Maschine, die mir den Hintern abwischt. Wo bin ich nur gelandet.
Ich werde von der Kloschüssel gehoben und in ein flaches Becken gestellt, wo ich erst mal gründlich gereinigt werde. Lange, dünne Finger massieren mir die Haare mit Shampoo ein, während Schwämme meinen Körper porentief reinigen. Danach sehe ich aus wie ein Krebs im Kochtopf. Knallrot. Allerliebst. Mein Versuch, mich vor dem Handtuch zu ducken, scheitert kläglich. Wenn meine Haut davor noch nicht gut durchblutet war, danach ist sie es auf alle Fälle.
Wieder packt mich die Maschine und bringt mich in einen riesigen Schrank voller Kleider. Ich freue mich schon und will mir was Schönes aussuchen, aber… nein. Rigoros werde ich in die Sachen gesteckt, die die Maschine für klug erachtet. Nun ja, Geschmack hat sie. Die Unterwäsche passt zu der Überbekleidung und auch die Socken sind farblich abgestimmt. Aber… ach, egal.
Ich werde in einen weiteren Raum gebracht und auf einen Sessel vor einem mahagonifarbenen Tisch gesetzt. Das Frühstück steht schon bereit. Ein exakt gekochtes Ei, ein Tost, bestrichen mit Butter und Marmelade und eine Tasse Kaffee. Ich strecke hungrig die Hände nach dem Ei aus… und werde unterbrochen. Wieder ist die Maschine schneller wie ich. Sie knackt das Ei und löffelt mir den Inhalt in den Mund. Lecker. Unterdessen liest mir die Maschine die Tageszeitung vor, aber ich höre nur mit halbem Ohr hin. Wen interessieren die neusten Nachrichten da draußen in der Welt, wenn gerade sowas komisches hier bei mir abläuft? Träume ich? Aber ich war vorhin doch eindeutig aufgestanden… ähm, aufgestanden worden.
Nach dem Ei bekomme ich einen Schluck Kaffee eingeflößt. Dann wird mir der Tost in den Mund geschoben, nachdem er natürlich vorher in mundgerechte Stücke geschnitten wurde. Als die Nachrichten alle gelesen sind und die Kaffeetasse leer ist, wird mir der Mund noch ordentlich abgewischt und ich werde vor die Tür gesetzt. Ein kleiner Roboter trägt mir eine Tasche hinterher, oder besser voraus, denn er scheint genau zu wissen, wohin es geht. Tatsächlich komme ich nur zwei Schritt weit, ehe ich von der nächsten Maschine aufgehalten werde. Das Wort Auto ist dafür wohl nicht mehr ganz passend. Ich setze mich also hinein (Gegenwehr zu leisten kam mir in dem Moment gar nicht in den Sinn. Hätte ich denn eine Chance gegen eine Maschine gehabt?) und das… Dings fährt los.
Staunend betrachte ich die seltsame… man muss es wohl Stadt nennen, durch die mich das Autodings fährt. Oder schwebt… was auch immer. Kilometerhoch strecken sich die Gebäude aus Stahl und Glas in den Himmel. Ich kann ihre Enden überhaupt nicht erkennen. Genau genommen kann ich dort oben überhaupt nichts mehr erkennen. Es verschwindet im schwarzen Nichts. Himmel? Gibt es dich noch? Gruselig. Langsam werde ich doch richtig nervös. Was passierte mit mir? Was passierte hier? Traum oder Wirklichkeit? Ich zwicke mich in den Arm, doch außer Schmerz kommt dabei nichts heraus.
Also starre ich weiter hinaus, in diese unheimliche Stadt. Die Straßen sind schnurgerade und tausende von diesen Autodingern zischen darüber hinweg. Den Boden berühren sie dabei nie. Und Unfälle gibt es auch keine. Zumindest sehe ich keine. Ich will auch gar nicht wissen, wie man aussieht, wenn man bei diesen wahnwitzigen Geschwindigkeiten aufeinander prallt…
Schließlich kommen wir an unserem Ziel an. Ein weiteres Gebäude, das sich nicht im Entferntesten von den anderen unterscheidet. Der Roboter mit der Tasche läuft in das Gebäude hinein. Ich setze schon an, ihm hinterher zu gehen und halte inne. Vor mir, nur wenige Millimeter über dem Boden, schwebt eine ca. 40 mal 40cm große Platte. Aha, ich soll mich also auf dieses Dings stellen und es bringt mich überall hin. Eigentlich habe ich zwar Angst davor, aber ich tue es trotzdem. Und es fühlt sich gar nicht schlecht an. Sanft und ruckelfrei schwebt die Platte mit mir in das Gebäude. Der Empfangsbereich sieht irgendwie auch nicht toll aus. Alles nur Chrom und Marmor. Sicherlich teuer, aber… nein, nicht mein Geschmack. Und hier soll ich… ja, was soll ich eigentlich hier?
Vor einer Röhre, die früher wohl als Aufzugschacht gedient hätte, bleibt die Plattform kurz stehen. Eine runde Kugel schwebt vor meinen Augen und scheint mich zu scannen. Es piepst einmal laut und durchdringlich und spricht dann zu mir.
„Guten Morgen, Marlene Springs.“
OK, das ist eindeutig mein Name. Woher kennt das Ding mich? Soll mir das eventuell sagen, dass ich hier arbeite?
„Zutritt gewährt“, sagt die Kugel und fliegt zur Seite.
Danke. Die Plattform setzt sich wieder in Bewegung und schwebt mit mir immer höher, und höher… und höher… und… irgendwann kommen wir schließlich oben an. Es geht in ein riesengroßes Büro mit herrlichem Ausblick… auf das Gebäude direkt gegenüber. Ich vermisse mein altes Büro. Sehr viel kleiner, um nicht zu sagen Schuhkartonformat, dafür mit herrlichem Ausblick auf eine grüne Oase. Apropos Grün. Von Pflanzen hab ich hier noch nicht viel gesehen. Wenn ich nachdenke, eigentlich gar nichts. Was mache ich hier eigentlich?
Ich steige von der Plattform hinunter, was diese mit einem lauten Brummton quittiert, der irgendwie böse klingt. Wenige Sekunden später weiß ich warum. Ein Alarm schlägt los und eine Mannschaft auf drei fliegenden Plattformen schwebt hinein. Ein Arzt und zwei Sicherheitsmenschen. Aha. Die Plattform darf also nur verlassen werden, wenn man todkrank runterfällt oder ein verrückter Terrorist einem runter schubst. Wunderbar.
Die drei Menschen halten mir eine gehörige Standpauke und ich bekomme einen Eintrag. Worin, weiß ich auch nicht so genau. Dann verschwinden sie wieder so schnell, wie sie gekommen sind. Doch für mich ist klar: hier kann ich nicht bleiben. Ich befehle meiner Plattform, mich nach unten zu bringen. Obwohl ich keine Ahnung habe, auf was die Plattform nun reagiert, auf meine Stimme, oder vielleicht liest sie ja meine Gedanken, sie tut auf alle Fälle, was ich verlange.
Kaum aus dem Gebäude, steige ich wieder von der Plattform hinunter, diesmal ohne Großalarm. Gott sei Dank. Gibt es in dieser Welt überhaupt noch so etwas wie Gott?
Ich mache mich zu Fuß, ja, zu Fuß, auf den Weg. Ein wunderbares Gefühl, mal wieder etwas eigenständig zu unternehmen. Mir begegnen einige Menschen. Alle ausnahmslos auf schwebenden Plattformen. Sie stieren mich mit großen Augen an und schütteln entsetzt den Kopf. Laufen ist für sie wohl etwas wie eine Todsünde. Was für eine Welt…
An einer Kreuzung bleibe ich stehen.
Ein Mann schwebt langsam an mir vorbei. Er hat zwei kleine Elektroden an der Schläfe kleben und scheint konzentriert nachzudenken. Ein Gerät, das neben ihm schwebt, scheint in reger Betriebsamkeit zu sein. Neugierig spähe ich auf den Bildschirm. Vor meinen erstaunten Augen erscheint dort in gedankenschnelle ein Text. Immer wieder verschwindet ein Satzanfang und wird durch einen neuen ersetzt. Zeichnet dieses Gerät etwa die Gedanken dieses Mannes auf? Ich bin erschüttert.
Ich schaue mich weiter um. Nicht weit von mir stehen mehrere Jugendliche (natürlich auf schwebenden Plattformen) vor einem Automaten. Kichernd tippen sie etwas ein. Schließlich öffnet sich in etwa Brusthöhe eine Klappe und auf einer weiteren schwebenden Plattform schiebt sich ein… Ich traue meinen Augen kaum, aber ja, es ist ein Baby! Aber es ist nicht irgendein Baby. Es hat blaue Haut und grünes, dünnes Haar.
Kichernd und gigggelnd nehmen die Jugendliche das Kind und stecken es in eine Klappe neben dem Automaten. Ich lese das Schild darüber. Rückgabe, steht dort. Mir wird schlecht.
Ich warte, bis die Kids verschwunden sind und gehe dann zu dem Automaten.
„Guten Tag beim Babymat. Hier können Sie ihr Wunschkind zusammenstellen“, sagt eine freundliche Frauenstimme. Ich glaube, mich verhört zu haben. Zusammenstellen? Ein Kind?
Ich drücke auf das Display und sofort taucht eine Reihe von Auswahlen auf. Alter, Größe, Gewicht, alles einstellbar. Darunter kann ich Hautfarbe, Haarfarbe und Augenfarbe auswählen. Ich tippe auf Talente. Eine ellenlange Reihe erscheint auf dem Display. Singen, tanzen, Konversation betreiben, mehrsprachig, es gibt nichts, was nicht auswählbar ist. Hier kann sich wirklich jeder sein Traumkind erstellen. Egal ob Baby oder schon halb erwachsen. Oder sogar seine eigene Großmutter.
Mehr und mehr erscheint mir das alles hier wie ein Albtraum.
Ich schaue mich weiter um und sehe neben einer riesigen Digitaluhranzeige ein Datum stehen. 15.8.2608
Ich bin in der Zukunft gelandet, 600 Jahre nach meiner Zeit! Auf einmal fühle ich mich beobachtet, als wären tausende Kameras auf mich gerichtet. Das kann doch alles nicht sein.
Warum bin ich hier? Hat man die Zeitmaschine etwa erfunden und mich hierher in die Zukunft… nun ja, jetzt eben Gegenwart, transferiert? Bin ich nur ein Experiment, um zu untersuchen, wie die Menschen damals waren? Um ihr Verhalten zu erforschen, wie die Menschen damals es mit Tieren gemacht haben? Eine Kugel fliegt zu mir und bleibt in Augenhöhe schweben. Eine Klappe wie ein Augenlid öffnet sich und ich sehe mich selbst dastehen, nur aus der Sicht der Kugel dargestellt. Ich schließe die Augen… und höre Flötenmusik…
Texte: Copyright Text & Cover liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 19.10.2008
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