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Prolog

Der Bus schaukelt langsam die Landstraße entlang. Er bringt die Schulkinder aus den Dörfern in die Stadt und wieder zurück. Seine Tour ist fast beendet. Nur noch ein Dorf steht auf dem Fahrplan und nur noch 5 Kinder und ein altes Ehepaar sitzen schwitzend in den Sitzen. Es ist Hochsommer und heute ist der letzte Schultag. Die Sonne strahlt schon seit früh unbarmherzig vom Himmel und jeder ist über eine kühle Brise froh.
Ein junges Mädchen sitzt als einzige alleine ganz vorne. Sie hat lange, schwarze Haare, die ihr in seidigen Wellen über den Rücken fließen. Ihre Augen sind leuchtend grün und ihre gesamte Figur ist zierlich und feingliedrig. Ihre Haut ist sehr hell und sehr rein. Das Gesicht könnte das eines Engels sein. Sie könnte das Sinnbild einer Elfe sein, wenn ihre Ohren spitz wären. Doch sie sind normal.
Endlich kommt das kleine Dorf vor dem großen Wald in Sicht. Nur noch ein paar weitere Minuten und sie haben die einzige Haltestelle des kleinen Ortes erreicht. Nun leert sich der Bus vollkommen. Auch die kleine Elfe springt leichtfüßig nach draußen in die flirrende Hitze. Ihr leichtes Sommerkleid umtanzt ihre Figur dabei regelrecht.
Lächelnd blickt der alte Busfahrer ihr nach. Sie ist so ein nettes Mädchen. Immer grüßt sie ihn freundlich und verabschiedet sich auch wieder von ihm. Die anderen Kinder ignorieren ihn eigentlich immer.


1.Kapitel

Fröhlich tanze ich durch die fast leeren Gassen meines Heimatdorfes. Im Gegensatz zum Schulbus zuvor ist es hier um einiges kühler. Auch wenn die Sonne immer noch unablässig vom wolkenlosen Himmel brennt, bringt der Wind eine angenehme Kühle. Endlich sind Sommerferien und von nun an kann ich meine Freizeit in vollen Zügen genießen. Mein Zeugnis wird dabei bestimmt auch kein Hindernis sein. Es stehen nur Einser und Zweier darauf. Das Lernen ist mir noch nie schwer gefallen.
Nun biege ich in die letzte Straße vor dem großen Wald. Sie heißt Dunkelstraße, weil sie abends durch die Schatten der großen Bäume immer in Dunkelheit getaucht ist. Hier steht das Haus meiner Familie. Es ist das letzte in der Reihe und fällt vor allem durch den schönen Garten auf.

„Scarlett“


Der Wind wispert meinen Namen, als er mir wie zur Begrüßung in die Haare fährt.
„Hallo mein Freund.“, flüstere ich leise.

„Deine Mutter ist heute morgen als erstes Einkaufen gegangen. Dann hat sie das Haus geputzt. Ständig musste ich den aufgewirbelten Staub durch die Fenster nach draußen befördern. Danach ist sie für eine kurze Weile nach draußen in den Garten. Da hat sie das Beet unter dem Küchenfenster für ihre neuen Pflanzen vorbereitet. Gerade eben ist sie dann rein gegangen und hat eine Pizza in den Ofen geschoben.“


Das ist unser Ritual. Jeden Tag erzählt er mir, was Zuhause passiert ist.
Leise öffne ich unser weißes Gartentor und trete durch das Spalier aus roten Rosen. Durch das dichte Blätterwerk der Büsche und Bäume sind die zart gelben Wände unseres Hauses fast nicht zusehen.Dafür strahlen die roten Fensterrahmen und die rote Haustür um so mehr. Trotz des Efeus, der nach oben wächst und scheinbar das Haus verschlingen will, kann man immer noch gut alle Farben erkennen.
Manchmal scherzen die Dorfbewohner und sagen, dass unser Haus mehr zum Wald gehören würde, als zum Dorf, wegen des übervollen Gartens. Doch das ist nicht ernst gemeint. Die meisten bewundern meine Mutter eher dafür, dass sie das ganze Jahr hindurch so einen tollen Garten hat. Er ist auch der ganze Stolz von ihr. Jede freie Minute verbringt sie dort, rupft Unkraut, oder pflanzt neue Blumen oder Sträucher.
Durch diesen Garten laufe ich nun auf unser Haus zu. Schnell ist die Tür geöffnet. Wie immer ist sie nicht abgeschlossen.
„Ich bin daheim Mama.“ Laut rufe ich ins Haus während meine Schultasche in die nächstbeste Ecke fliegt um dort bis zum nächsten Schuljahr Staub anzusetzen.
„Hallo mein Schätzchen. Das Essen ist gleich fertig. Wasch dir schon mal die Hände und komm dann Tischdecken helfen. Papa dürfte auch jeden Moment kommen.“ Die Antwort kommt aus der Küche, von wo auch ein leckerer Pizzageruch in meine Nase steigt.
Blitzschnell verschwinde ich im Bad, nur um kurz darauf im Vorbeigehen mein Zeugnis zu schnappen und dann in die Küche zu flitzen.
„Hier bin ich. Was muss noch gemacht werden?“
„Nicht so hastig. Erst einmal will ich dein Zeugnis sehen. Ich muss doch wissen, ob du die Pizza verdient hast.“ Mit einem Augenzwinkern stoppt mich meine Mutter. Sofort reiche ich ihr mein Zeugnis mit einem etwas unwilligen Gesichtsausdruck. Dieses Spielchen spielen wir jedes Mal wieder. Ich tue so, als ob ich es ihr nicht zeigen will und so schaut dann darüber und tut so, als ob ihr nicht gefällt, was darauf ist. Doch lange hält sie es nie durch und drückt mich dann immer fest an sich. Genau so läuft es auch diesmal ab.
„Das ist wieder ein super Zeugnis mein Schatz. Diesmal sind es sogar noch mehr Einser geworden, oder? Auf jeden Fall in Englisch hast du dich verbessert.“
Ich nicke nur. Mehr gibt es eigentlich auch nicht zu sagen zu meinen Noten.
Gemeinsam decken wir dann den Tisch. Drei Pizzateller stehen schon bereit. Dazu hole ich noch das Besteck und für jeden ein Glas. Aus dem Keller muss ich neuen Apfelsaft holen. Im Kühlschrank ist keiner mehr. Derweilen stellt meine Mutter die Wasserflaschen hin.
Als ich wieder nach oben komme, kann ich das Auto von meinem Vater in der Einfahrt hören. Nun wird auch er jeden Moment hereinkommen und wir können endlich essen. Ich habe einen Mordshunger.
„Ich bin zuhause. Wo sind meine zwei Frauen?“ Seine laute, tiefe Stimme hallt durch das ganze Haus.
„Wir sind in der Küche. Essen ist gleich fertig.“ Meine Mutter antwortet ihm sofort.
Nicht lange und er kommt auch zu uns.
„Wenn ich mich nicht irre, dann ist doch heute ein besonderer Tag. Hast du nicht was zu zeigen Scarlett?“
Sofort reiche ich ihm mein Zeugnis und das gleiche Spiel wie mit meiner Mutter beginnt. Ich tue unwillig und mein Vater spielt unzufrieden. Natürlich ist er es nicht. Deshalb zieht er mich auch ziemlich bald in seine Umarmung. Meine Mutter wird auch mit eingeschlossen. Zu dritt stehen wir in der Küche, ich eingeschlossen von meinen Eltern.
Dieser Moment wird plötzlich von der Küchenuhr unterbrochen. Laut piepsend macht sie auf unsere Pizzen aufmerksam.
Sofort eilt meine Mutter hin und holt sie heraus. Die drei Pizzen sehen einfach super aus. Für meinen Vater gibt es eine Pizza Diabolo, meine Mutter hat sich eine Speziale gemacht und für mich gibt es eine Pizza Hawai mit dicken Boden und extra Käse. Das ist meine Lieblingspizza. Mein Vater und ich setzen uns schon und füllen schon mal die Gläser, während wir auf meine Mutter warten.
Endlich stehen die dampfenden Pizzen vor uns und wir können anfangen. Im ersten Moment wird es ganz still und man hört nur das Besteck über die Teller schaben und uns kauen.
Mein Vater bricht diese Stille.
„Scarlett mein Schatz. Ich habe leider eine schlechte Nachricht für dich. Unser diesjähriger Urlaub in Bayern wird leider nichts. In der Gegend des Freizeitparks sind leider keine Hotels mehr frei. Deshalb mussten wir umdisponieren. Wir haben jetzt zwei Wochen in Berlin geplant. Ich hoffe, du bist damit einverstanden?“ Erwartungsvoll schauen meine beiden Eltern zu mir.
„Klar, hab ich nichts dagegen. Es ist ja auch mal interessant, was anderes zu sehen und zu erleben.“ Ich lasse meine Stimme neutral klingen, auch wenn ich ein bisschen enttäuscht bin. Jedes Jahr wieder habe ich mich auf den Freizeitpark mit seinen Achterbahnen gefreut. Ich mag Achterbahnen wirklich sehr. Nur die Menschenmassen behagen mir nicht so sehr. Ich bin lieber für mich alleine oder mit nur sehr wenig anderen Leuten um mich herum. Aber für Achterbahnen lasse ich das gerne mal über mich ergehen. Diesmal werde ich halt mal eine Ausnahme für meine Eltern machen und Berlin über mich ergehen lassen. Vielleicht wird es auch gar nicht so schlimm, wie ich jetzt befürchte.
Ich bin fertig mit Essen und räume meinen Platz leer. Dann schnappe ich mir mein Zeugnis und bringe mein Zeug in mein Zimmer. Lange halte ich mich hier aber nicht auf. Ich ziehe mich nur schnell um und laufe dann schon wieder nach unten.
„Ich bin draußen. Zum Abendbrot bin ich wieder da.“, rufe ich in die Küche.
„Ist in Ordnung mein Schatz. Viel Spaß.“, kommt die Antwort von meiner Mutter.
Nur einen Moment später bin ich schon wieder zur Haustür hinaus. Geschwind läuft sie um das Haus in den hinteren Garten. Hier ist auch alles sehr gepflegt, bis auf den Heckenbereich ganz hinten. Für den Bereich findet meine Mutter nie Zeit, um ihn wieder in Ordnung zu bringen.
Hier habe ich vor Jahren, hinter dem Gestrüpp verborgen, eine alte Gartenpforte gefunden. Ich bin ziemlich sicher, dass ich die einzige bin, die diesen Ausgang kennt.
Wenn ich ungesehen das Grundstück verlassen oder betreten will, benutze ich immer diesen Weg. Selbst von der anderen Seite ist die Pforte nicht zu entdecken, weil der Wald wirklich bis zum Zaun wächst. Das ist noch ein Grund mehr, dass man unser Grundstück scherzhaft die Verlängerung des Waldes nennt.
Fast völlig geräuschlos öffne ich das Türchen. Ich habe mich darum gekümmert, dass die Scharniere nicht quietschen können. Genauso geräuschlos schließe ich es wieder und verschwinde dann ungesehen im dichten Unterholz des Waldes.
Direkt bei der Gartenpforte beginnt ein kleiner Trampelpfad zwischen hohen Sträuchern. Ich habe ihn selbst angelegt, so dass man ihn nur entdeckt, wenn man weis, wo er ist. Von hier aus beginne ich alle meine Streifzüge. Ich kann zu jedem beliebigen Ort in der Gegend gelangen, ohne gesehen zu werden. Dafür benutze ich die Tierpfade, oder selbst angelegte Trampelpfade. Sehr selten nur wandere ich die befestigten Waldwege entlang.
Bei meinen Ausflügen entdecke ich jedes Mal etwas neues. Meist sind es sehr scheue Tiere, wie Hasen oder auch mal einen Fuchs oder Dachs. Hirsche, Rehe und ihre Kitze sehe ich auch oft. Sie lassen sich von mir schon gar nicht mehr stören. Manchmal entdecke ich auch Leute aus dem Dorf, die ein Picknick auf einer der Lichtungen machen, oder einfach nur so einen Spaziergang zwischen den Bäumen genießen. Meistens sehe ich sie dann in einer kleinen Gruppe. Nur sehr selten sind Menschen hier im Wald alleine anzutreffen. Das könnte an mir liegen. Seit 3 Jahren gilt dieser Wald als verflucht und daran bin ich nicht ganz unschuldig.
Ich bin nämlich kein durchschnittliches Mädchen, auch wenn ich für andere so aussehe. Nein, ich bin eine Nachfahrin der Windfeen, die früher überall zuhause waren. Irgendwann wurden sie leider so weit zurückgedrängt, dass sie nur noch in dieser Gegend anzutreffen waren. Mit der Zeit gab es immer weniger reine Windfeen und immer mehr Mischlinge. Diese hatten weniger Macht, als die Reinen und mit den Generationen hat ein Nachkomme nach dem anderen sein Erbe vergessen. Durch Zufall fließt in meinen Adern das Blut der Windfeen fast rein. Meine Eltern haben beide einen hohen Anteil an Feenblut, aber im Gegensatz zu mir wissen sie nichts davon. Bei mir war die Macht einfach so stark, dass ich von selbst mein Erbe entdeckt habe. Und das auch schon sehr früh. Kurz nach meinem 5. Geburtstag habe ich entdeckt, dass der Wind verschiedene Stimmen hat und ich ihn sogar nach meinem Willen kontrollieren kann. Damals habe ich es natürlich meinen Eltern erzählt. Mit 5 Jahren denkt man noch nicht darüber nach, ob man etwas besser für sich behält. Sie hielten das alles für ein Ergebnis meiner blühenden Fantasie. Den Wind konnten sie nicht verstehen, so wie ich es tat. Und als ich ihnen beweisen wollte, dass ich tatsächlich den Wind kontrollieren kann, hat es nicht immer geklappt und meine Erfolge hielten sie für Zufall. Damals habe ich noch einiges an Übung gebraucht. Inzwischen bin ich schon sehr gut. Üben tue ich trotzdem noch immer.Ich vertrete die Meinung, dass man sich immer verbessern kann.Deshalb lerne ich auch für die Schule regelmäßig, auch wenn ich ohne Lernen fast genauso gute Noten schreiben würde.
Mit 6 ungefähr habe ich aufgehört, meine Eltern überzeugen zu wollen. Seit dem ist meine Macht mein größtes Geheimnis.
Aber nun wieder zu dem Grund, warum der Wald als verflucht gilt.
Vor 3 Jahren plante die Gemeinde den größten Teil des Waldes abzuholzen. Einige waren dagegen und wollten es verhindern, aber der Gemeinderat hat sich nicht umstimmen lassen. Mir hat dieses Vorhaben auch nicht gefallen, aber mit 12 Jahren hatte ich nicht wirklich die Möglichkeit etwas dagegen zu unternehmen. Zumindest nicht auf dem normalen Weg. Also habe ich mich im Wald versteckt, als die Forstarbeiter angerückt sind und habe mit gezielten Windstößen ihre Maschinen zerstört oder sie gehindert in die großen Waldfahrzeuge zu steigen. Nach einer Woche hatte ich sie dann so weit, dass sie sich geweigert haben zu arbeiten. Der Gemeinderat hat dann versucht andere Arbeiter zu finden, aber die haben sich sehr schnell geweigert, als sie von den rätselhaften Geschehnisse erfahren haben. Schließlich war die Gemeinde gezwungen ihr Vorhaben aufzugeben. Die Alten des Dorfes haben sich an die alten Legenden der Windgeister, wie die Windfeen auch genannt werden, erinnert und diesen die Vorkommnisse zugeschrieben. Die Kinder haben es übernommen und Ruck Zuck entstand das Gerücht, dass jeder verflucht würde, der versuchen würde, dem Wald zu schaden.
Zielsicher laufe ich durch den Wald und finde mich fast blind im unübersichtlichen Netz der versteckten Wege zurecht. Geschützt werde ich durch die Laubbäume und Nadelbäume und die hohen Sträucher. Kein unbefugter Blick wird mich so schnell zwischen den Blättern entdecken.
Mein Ziel ist ein große Lichtung im Herzen des Waldes. Um diesen Teil machen die befestigten Wege einen Bogen. Die Macht der Windfeen ist hier am stärksten und unbewusst spüren die Menschen diese und meiden sie. Doch ich nicht. Ich fühle mich auf der Windlichtung am wohlsten von allen Orten. Sogar noch wohler als daheim.
Hier übe ich meine Fähigkeiten ohne gestört zu werden. Ich trainiere täglich, auch wenn ich nicht zu meiner Lichtung kann.
Kaum betrete ich die Waldwiese, ertönt ein Brausen, wie als wenn der Wind mich begrüßen will. Genau das tut er auch. Hier hat er immer sein eigenes Bewusstsein. Andere Winde haben schon lange ihr eigenes Bewusstsein verloren, nachdem sie den Kontakt zu uns Windfeen verloren haben. Aber ich kann es ihnen zurückgeben. Je nach Windtyp unterschiedlich lange. Manche entziehen sich meiner Macht schneller, andere kann ich sogar für mehrere Jahrhunderte am Bewusstsein halten ohne, dass ich es am Abnehmen meiner Macht spüre. Hier in der Umgebung des Dorfes ist es sehr einfach. Die Winde sind noch nicht lange aus der Kontrolle der Windfeen. Je weiter ich mich von hier entferne, desto länger sind sie aus der Kontrolle und für mich ist es schwieriger.

„Scarlett“

, säuselt er.

„Willkommen daheim kleine Windfee. Im Moment ist es für das Training sehr ungestört. Andere Jugendliche oder auch Kinder sind noch nicht im Wald. Am nächsten Waldweg ist gerade eine Gruppe Rentner, die spazieren gehen. Der Rest sind nur noch ein paar Tiere, und die stören sich nicht an deinem Training.“


„Das ist gut, dann können wir ja ohne Probleme anfangen.“ Es passiert nicht jeden Tag, dass ich so wenig auf andere aufpassen muss.
Ruhig trete ich in die Mitte der Lichtung. Diese wird markiert durch einen großen, relativ flachen Stein. Auf diesen stelle ich mich und schließe meine Augen. Kurz sammle ich mich und einen Moment später öffne ich meine Augen wieder. Meine Macht sammelt sich um mich.Erst wird es im ganzen Wald total windstill und alles scheint den Atem anzuhalten, in der Erwartung, dass im nächsten Moment etwas passiert. Lange müssen sie nicht warten. Gleich darauf erhebt sich ein so heftiger Wind, dass die Blätter an den Bäumen nur so gepeitscht werden und auch jede Menge sich von ihren Ästen lösen. Dieser heftige Wind hat nur ein Ziel. Mich.Kaum erreicht er mich, fühlt es sich so an, als ob sich die Luft um mich herum verdichtet. Mit meinen geistigen Händen greife ich nach dieser verdichteten Luft und beginne sie zu formen. Vor meinen Augen kann ich schon genau sehen, was es werden soll, aber ich habe es bis jetzt noch nicht geschafft dauerhaft zu formen. Immer bricht es im letzten Moment zusammen. Heute konzentriere ich mich besonders gut, ich will es endlich schaffen, ein Luftskateboard zu formen. Einen Moment sieht es so aus, als ob es doch wieder zusammenbricht, aber im letzten Moment schaffe ich es doch noch wieder zu stabilisieren. Und dann ist es fertig. Ich habe es tatsächlich geschafft, ein Skateboard aus fester Luft zu formen. Vorsichtig, fast andächtig setze ich den ersten Fuß darauf. Als ich sicher bin, dass es hält, steige ich komplett darauf. Vorsichtig balanciere ich mein Gewicht aus und sobald ich stabil in der Luft schwebe gehe ich zum nächsten Schritt über. Mit meiner Macht schiebe ich die Luftscheibe vorsichtig an, während ich mein Gewicht leicht nach vorne verlagere. Und tatsächlich bewege ich mich langsam nach vorne. Nun mutiger geworden, gebe ich dem ganzen mehr Schwung. Durch Gewichtsverlagerung steuere ich im Kreis um die Lichtung. Nach ein paar Runden, in dem ich die Sensibilität für die Steuerung mit Gewichtsverlagerung bei immer höheren Geschwindigkeiten teste, gehe ich zum nächsten Schritt über. Nun traue ich mich zwischen die Bäume. Auch hier fange ich langsam an und steigere mich immer mehr. Während ich so zwischen den Stämmen hindurch fliege, achte ich doch darauf, dass ich den Waldwegen nicht zu nahe komme. Schließlich will ich nicht entdeckt werden. Würde ja auch komisch aussehen, wenn plötzlich ein schwebendes Mädchen zwischen den Bäumen auftauchen würde. Jeder der das sieht, denkt erst einmal, den Verstand verloren zu haben. Der zweite Gedanke wird sein, es irgendwie beweisen zu wollen. Und dann bin ich in Gefahr.
Nachdem ich mich ausgetobt habe, lande ich wieder auf der Lichtung. Hier löse ich das Skateboard wieder auf. Inzwischen sind auch ein paar von meinen Freunden im Wald und spielen. Doch bevor ich zu ihnen gehe, will ich noch 2 Übungen absolvieren. Die erste ist eine, die ich schon sehr gut kann. Um mich herum lasse ich einen schützenden Luftring entstehen, in dem ich schwebend meditieren kann. Eigentlich ist es eine Vorübung zum letzten Trainingsteil. Ich versinke dabei in höchster Konzentration und sammle meine komplette Macht hochkonzentriert in mir. Für den letzten Teil brauche ich alle meine Kraft und deshalb sammle ich mich davor immer. Als ich merke, dass meine Kraft nicht weiter ansteigt, öffne ich meine Augen wieder. Ich habe sie beim Meditieren geschlossen gehabt. Langsam sinke ich wieder zum Boden und trete wieder auf den Stein in der Mitte der Wiese.
Hier stelle ich mir genau die Umgebung des Dorfes vor und wie groß der heutige Radius sein soll. Dann schicke ich mein Kraft aus. Ich will einen Kreis um mein Dorf ziehen und es damit vor Stürmen schützen. Schon seit Jahren mache ich das sehr erfolgreich, weshalb es im stürmischen Herbst nur sehr wenige Sturmschäden bei uns gibt. Aber ich will den Umkreis erweitern, den ich schützen kann. Leider funktioniert das noch nicht so gut, ohne mir eine Menge meiner Kraft zu rauben.
Ich spüre mein Kraft zu mir zurückkehren, in dem Moment, in dem sich der Windkreis schließt. Es ist ein bisschen wie das schließen eines Stromkreises. Innerhalb des Radius legt sich jeder Wind und noch nicht mal das kleinste Blatt bewegt sich mehr. Doch gleichzeitig spürt sie den Wind von außerhalb auf ihre Barriere treffen. Es ist nur schwach, aber es entzieht dem Schild trotzdem Kraft. Bei einem Sturm geht das noch schneller. Als ich merke, dass meine Kräfte nachlassen, ziehe ich meinen Schutzwall wieder zurück. Heute hat es länger gedauert, als sonst. Vielleicht bedeutet das ja, dass ich inzwischen weniger Kraft aufwenden muss um das Dorf effektiv schützen zu können. Das wäre dann ein weiterer Fortschritt für heute.
Zufrieden mit mir, beschließe ich mein Training für heute zu beenden. Stattdessen frage ich den Wind, wo sich Amelie, meine beste Freundin gerade aufhält.

„Das Mädchen befindet sich derzeit im Wald, in der Nähe noch des Dorfes zusammen mit ein paar anderen Jugendlichen. Ich werde dir den Weg weisen.“


Diese Wisperstimme ist immer wieder etwas erschreckend. Sie würde wunderbar in einen Horrorfilm passen. Schnell und vor allem lautlos, folge ich den gewisperten

„Hier entlang, Scarlett.“

des Windes. Durch einen anderen schwer zu findenden Pfad verlasse ich die Lichtung wieder in Richtung Waldrand.
Nach einiger Zeit kann ich durch die Blätter ein weißes T-Shirt blitzen sehen und höre schon ein paar Stimmen der Anderen.
Amelie kauert hinter einem Gebüsch und beobachtet etwas auf der anderen Seite des Gestrüpps. Es scheint so, als ob sie Verstecken spielen. Vorsichtig knie ich mich hinter sie und lege meine Hand auf ihre Schulter. Sie zuckt zusammen und dreht sich zu mir um.
„Man Scarlett! Musst du mich immer so erschrecken?“, zischt sie mich an.
„Ja, deine Reaktion ist immer so lustig.“, feixe ich zurück.
„Spielt ihr Verstecken?“
„Ja, wir haben Pickel-Fritz zum Suchen verdonnert. Dafür haben wir aber gewettet, dass er uns nicht alle innerhalb von einer Stunde finden kann. Leider spielen wir schon 10 min und er hat 2 Leute bereits gefunden. Wenn er gewinnt, müssen wir uns eine Woche lang seine Vorträge über Gentechnik anhören und dürfen ihn nur mit Fragen zur Thematik unterbrechen. Verliert er aber, muss er eine Woche lang die Klappe halten. Im Moment sieht es leider so aus, als ob wir verlieren würden. Mit dir hätten wir eine 100 prozentige Gewinnchance. Würdest du uns denn helfen?“ Hoffnungsvoll schaut sie mich an.
„Klar helfe ich euch. Keiner kann eine Woche lang seine Vorträge ertragen. Jetzt brauchen wir nur noch etwas um Pickel-Fritz darauf hinzuweisen, dass ich mitspiele. Hast du vielleicht Zettel und Stift hier?“
Es ist eigentlich unmöglich, dass Amelie keinen Zettel und Stift dabei hat. Sie zeichnet immer und überall. Und tatsächlich kramt sie aus ihren Taschen ein Stück Papier und einen Bleistift hervor und reicht ihn mir.
Schnell kritzle ich ein paar Worte darauf und wende mich dann wieder an Amelie.
„Jetzt werde ich dafür sorgen, dass unser fleißiger Sucher diese Nachricht auch liest. Du wartest solange hier. Danach werde ich dich zu einem Versteck führen, dass niemand finden wird.“
Genauso leise wie ich gekommen bin, ziehe ich mich auch wieder zurück und bewege mich dann, immer geschützt vom dichten Unterholz, hinter den siegessicheren Sucher.
Geschützt von einer kleinen Tanne sammle ich noch einmal ein bisschen meiner Kraft. Währenddessen falte ich das Papier zu einem Papierflieger. Dann beschwöre ich eine sanfte Brise und lasse den Flieger direkt vor Fritz Nase fliegen. Er muss sich also nur noch bücken und ihn aufheben. Gespannt beobachte ich, wie er ihn auseinander faltet und die Nachricht darauf liest. Seine Reaktion darauf ist wirklich ein Bild für die Götter. Man kann seine wachsende Verzweiflung wirklich gut mitverfolgen. Erst wird er nur leichenblass, so dass man seine Pickel wahrscheinlich noch aus 10 Meter Entfernung ohne Probleme zählen kann. Dann sinkt er auf den Boden und bleibt da erst einmal sitzen. Nun ist er nicht mehr so siegessicher wie noch einen Moment zuvor.
Feixend schleiche ich mich wieder zu Amelie zurück. Doch anstatt noch einmal anzuhalten, gebe ich ihr einfach ein Zeichen, mir zu folgen. Bemüht, genau so leise zu sein wie ich, folgt sie mir über verzweigte Tierpfade immer tiefer in den Wald. Ich bin mir sicher, ohne mich würde sie sich hoffnungslos verirren.
Nach einer Viertelstunde haben wir endlich mein Ziel erreicht. Es hat etwas länger gedauert, weil Amelie ständig mit ihren braunen, schulterlangen Haaren in den Büschen hängen geblieben ist. Ich habe schon Übung darin den Ästen auszuweichen und bleibe trotz meiner langen Haare nicht hängen.
„Wow, ist das schön hier. Ich wusste gar nicht, dass es so einen tollen Ort hier gibt.“ Staunend läuft sie immer weiter in die Mitte der Lichtung und dreht sich immer wieder um ihre eigene Achse. Lächelnd beobachte ich sie. Dann betrete auch ich die Wiese ganz und der Wind begrüßt mich auch dieses Mal wie sonst und wirbelt dabei einzelne Blätter vom Boden auf.
„Hier ist es aber auch ganz schön windig. So einen heftigen Wind erlebt man selten im Wald.“ Mit einer ungeduldigen Bewegung streicht sich Amelie eine ihrer Haarsträhnen aus dem Gesicht, die der Wind nach vorne geblasen hat.
„Ist das das Versteck, zu dem du mich bringen wolltest?“ Neugierig schaut sie zu mir.
„Ja, das ist es. Willkommen auf der Lichtung des Windes.“ Breit lächelnd breite ich meine Arme aus und deute auf die ganze Lichtung.
„Du meinst doch nicht ernsthaft diese Lichtung der Windgeister aus den Sagen?“ Richtig ungläubig schaut sie mich an.
„Doch genau die meine ich.“ Langsam laufe auch ich in die Mitte der Lichtung und setzte mich auf den flachen Stein. Amelie kommt auch dazu und setzt sich neben mich. Groß genug ist der Stein ja.
„Bist du die einzige, die die Lichtung kennt?“ Man hört ihr die Neugierde genau an.
„Nein. Ich weis noch von zwei Alten, die sie kennen, aber wir kommen nie zu den selben Zeiten her.“
„Woher weist du dann von ihnen?“
„Ich habe etwas gefunden, was sie verloren haben.“
„Ach so.“ Einen Moment lang ist sie still. Anscheinend muss sie erst einmal ihre Gedanken ordnen.
„Wie hast du die Lichtung gefunden?“ Nun ist die Neugierde wieder da.
Etwas ausweichend antworte ich ihr.
„Das war mehr Zufall. Ich bin praktisch bei einem meiner Ausflüge über sie gestolpert.“
Diesmal nickt Amelie wissend. Sie nimmt nicht einmal an, dass ich gezielt nach diesem Ort gesucht haben könnte.
„Wieso bist du so sicher, dass es wirklich die Lichtung aus den Sagen ist?“ Nun merkt man ihre Skepsis den alten Geschichten gegenüber. Sie ist sehr realistisch veranlagt. Alles, was zu den Mythen gehört, ist für sie erst einmal nicht existent.
„Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen, weil in der Mitte der flache Stein ist, den die Windgeister in den Legenden für manche ihrer Zauber genutzt haben sollen. Zum anderen, weil der Wind hier scheinbar einen eigenen Willen hat und sich ohne Ankündigung plötzlich verstärken kann. Es ist einfach nur eine logische Schlussfolgerung.“
Eigentlich gibt es noch einen dritten Grund. Der Wind hat es mir gesagt, dass es die Windlichtung ist. Er war es auch, der mich hier her geführt hat beim ersten Mal. Aber das kann ich ihr nicht erzählen, ohne mein Geheimnis preiszugeben. Leider muss ich dafür lügen. Ok, es ist kein richtiges Lügen, sondern nur Verschweigen von einem Teil der Wahrheit, aber das mag ich auch nicht wirklich.
„Hier versteckst du dich also, wenn dich niemand finden kann. Was machst du dann eigentlich hier?“ Ihre Neugierde hat wieder über ihre Skepsis Mythen gegenüber gesiegt.
Jetzt stecke ich echt in der Klemme. Darauf kann ich ihr auf keinen Fall wahrheitsgemäß antworten.
„Och, nichts bestimmtes. Zu zweit es des auf jeden Fall langweilig. Meist sitz ich nur hier rum und lasse meine Gedanken etwas schweifen. Ich finde es so schön entspannend und ruhig hier.“ Ich kann ihr dabei nicht wirklich in die Augen schauen, aber zum Glück fällt es Amelie nicht auf. Sie ist damit beschäftigt die Lichtung noch einmal eingehend zu betrachten.
„Lass uns lieber über Jungs reden. Was ist jetzt eigentlich aus deiner Wochenendbekanntschaft geworden, von der du mir so vorgeschwärmt hast?“ Hoffentlich kann ich sie mit diesem Thema ablenken. Amelie liebt es von Jungs zu reden.
Und anscheinend habe ich mal wieder ins Schwarze getroffen mit meinem Versuch das Thema zu wechseln. Sie strahlt mich regelrecht an und beginnt sofort zu berichten.
„Also, dass war so ….“
Entspannt lehne ich mich etwas zurück und lasse meine Gedanken etwas schweifen. Ich weis, dass sie jetzt reden wird ohne eine wirkliche Antwort von mir zu erwarten. Es reicht, wenn ich ab und zu einen zustimmenden Laut von mir gebe.
Ich weis nicht mehr, wie lange wir nun genau hier gesessen haben und ich Amelie nur mit halben Ohr zugehört habe. Doch ich werde plötzlich aus meiner Gedankenwelt geholt. Im ersten Moment realisiere ich nur, dass Amelie nicht mehr redet. Dann bemerke ich, dass Amelie mich angestoßen hat. Angestrengt lausche ich, ob es ein ungewöhnliches Geräusch gegeben hat, dass meine Freundin so plötzlich ruhig ist.
Dann höre ich den Grund für ihr Verstummen.
„Amelie, Scarlett! Ihr könnt rauskommen aus eurem Versteck. Ihr habt gewonnen!“
Das ist eindeutig die Stimme von Pickel-Fritz. Sofort springt Amelie auf und will loslaufen. Doch bevor sie den falschen Weg einschlagen kann, halte ich sie auf.
„Hier geht es lang Amelie. Über den anderen Weg würde es länger dauern.“
Etwas verwirrt folgt sie mir, da ich einen anderen Pfad genommen habe, als den, den wir gekommen sind. Ich sehe genau ihren skeptischen Blick, den sie mir zuwirft, als sie auf mich zu kommt. Aber ich habe sie nicht auf direktem Weg zu meiner Lichtung geführt. Damit uns niemand sieht auf unserem Weg habe ich ein paar Umwege genommen. Nur Amelie kann das nicht wissen. Also sage ich zu ihrer Skepsis nichts und bringe sie lieber zu den feiernden Jungen und Mädchen, die einen ziemlich niedergeschlagenen Fritz umringen. Der Weg hat nur 5 Minuten gedauert.
Kaum werden wir von den anderen bemerkt, dauert es nur Sekunden und wir stehen im Mittelpunkt der ausgelassenen Jugendlichen. Jeder will uns gleichzeitig gratulieren, auf die Schulter klopfen, oder umarmen. Ich komme mir etwas erdrückt vor und Amelie geht es bestimmt nicht besser.
Anschließend bleiben wir noch eine Zeit im Wald und spielen zusammen. Nur Pickel-Fritz hat sich vorzeitig verabschiedet und höchstwahrscheinlich in sein Zimmer zurückgezogen um zu schmollen und seine Wunden zu lecken. Er hat ja jetzt eine Woche Zeit um im Selbstmitleid zu versinken.
Als wir schließlich Abends alle heimgehen, hat sich die Nachricht von der Wette und ihrem Ausgang schon herumgesprochen. Die anderen Kinder zeigen ihre Freude über das Schweigegebot von Fritz genau so heftig wie wir anderen noch vor kurzen. Selbst die Erwachsenen, an denen wir vorbeikommen, nickten uns anerkennend zu. Sie zeigen ihre Erleichterung nicht ganz so offen, aber wir wissen, wie sehr er auch sie genervt hat. Vor allem die Bauern wollte er immer wieder zu einer Umstellung zu genverändertem Saatgut überreden. Bei der alten Generation hat er sich von vornherein die Zähne ausgebissen. Sie sind dem Neuen gegenüber viel zu skeptisch. Doch das will er einfach nicht einsehen. Doch auch die jüngere Generation der Bauern wollte nie etwas von seinen Vorträgen wissen. Aber auch das hat Pickel-Fritz geflissentlich übersehen und sie immer wieder mit dem gleichen Schrott genervt. Jetzt muss er eine Woche eine Zwangspause bei seinen Bekehrungsversuchen, wie er es selbst nennt, einlegen. Darüber ist eindeutig keiner traurig.
Sogar meine Eltern daheim gratulieren mir zu unserem Erfolg.


2.Kapitel

Eine Woche nach diesem Ereignis bin ich dabei meine Koffer für Berlin zu packen. So richtig freue ich mich ja nicht auf die Großstadt, aber ein bisschen neugierig bin ich doch. Es kann ja nicht schaden, mal etwas neues zu sehen, oder? Auf diese Weise versuche ich mich selbst davon zu überzeugen, dass dieser Urlaub echt klasse werden würde. Zwar mit mäßigem Erfolg, aber besser als nichts.
Tags darauf verschwinde ich nach dem Frühstück noch einmal im Wald auf meiner Lichtung. Das wird wohl für eine kleine Weile das letzte Mal sein, dass ich trainieren kann und das gedenke ich auszunutzen. Unterdessen treffen meine Eltern die letzten Reisevorbereitungen.
Ich habe mir diesmal kein all zu langes Trainingsprogramm gesetzt. Ich werde nur noch einmal die Schutzmauer üben. Das Skateboard habe ich in der letzten Woche ziemlich gut gemeistert. Ich bin bestimmt eine Stunde auf der Windlichtung. Danach mache ich mich wieder auf den Rückweg. Bevor ich aber wieder nach Hause laufe, nehme ich noch einen Umweg um mich von Amelie zu verabschieden. Sie ist gerade mit dem Frühstück fertig geworden und hilft nun ihrer Mutter etwas auf dem großen Bauernhof ihrer Familie. Da ist immer viel zu tun. Ich bin auch oft hier und helfe mit den Tieren und dem Hof. Manchmal bekommen wir dann etwas Taschengeld von ihren Eltern oder ich bekomme etwas von dem leckeren selbstgemachten Kirschkuchen ihrer Mutter.
„Hey Amelie! Wir wollen gleich nach Berlin fahren. Ich wollte mich eben verabschieden.“
Etwas erschrocken schaut meine Freundin hoch. Sie hat nicht bemerkt, wie ich gekommen bin.
„Ist es echt schon so weit?“ Sie kommt zu mir und umarmt mich.
„Was soll ich denn jetzt zwei Wochen ohne dich machen? Des wird doch total langweilig. Du musst mir auf jeden Fall schreiben.“
„Klar schreib ich dir. Du musst doch aufm Laufenden bleiben über die Geschehnisse in Berlin. Und langweilen wirst du dich bestimmt nicht. Wie ich deine Mutter kenne, findet sie schon etwas um dich zu beschäftigen.“
Das hat ihre Mutter gehört und man kann sie leise lachen hören. Amelie dagegen verzieht ihr Gesicht zu einem Schmollmund.
„Gemein! Sag bloß, dass du mich nicht vermissen wirst?“
Lachend wiegle ich ab.
„Natürlich werde ich dich vermissen. Mit dir zusammen wäre der Berlinurlaub bestimmt viel spaßiger geworden. Jetzt muss es halt so gehen. Leider muss ich jetzt auch los. Meine Eltern sind bestimmt schon fast fertig mit Autopacken.“
Noch einmal umarmen wir uns und dann kehre ich zu meinen Eltern zurück. Diese sind tatsächlich fast fertig. Mein Vater verstaut gerade die letzte Tasche, als ich ankomme. Meine Mutter sitzt schon im Wagen und ich beeile mich auch einzusteigen. Aus meiner Tasche krame ich meinen MP3-Player und mein Vater setzt sich hinters Steuer. Mit meinen Lieblingsliedern auf den Ohren fahre ich unserer Hauptstadt entgegen.
Nach ein paar Stunden Fahrt kommen wir endlich bei Berlin an. Der Großstadtverkehr ist wirklich heftig. Überall Autos und Menschen. Hier ist ja noch mehr los als im Freizeitpark. Das kann ja was werden.
Wir kommen nur langsam voran. Dadurch habe ich aber die Gelegenheit mir schon mal alles in Ruhe anzusehen. Endlich kommen wir dann bei unserem Hotel an. Wir parken im hauseigenen Parkhaus und sofort kommt uns ein Page mit einem Gepäckwagen entgegen. Während wir zur Rezeption laufen, folgt uns dieser. Ich komme aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Von außen ist es ja schon ein echt beeindruckendes Hochhaus. Und im Inneren geht es weiter. Alles glänzt und wohin man sieht Marmor, Gold und Silber. In der Mitte der großen Eingangshalle ist ein Fischteich, der von kleinen Tischgruppen mit gemütlichen Sesseln umgeben ist. Rechts ist die große Rezeption. Dorthin geht mein Vater und holt unseren Zimmerschlüssel ab. Als er zurück kommt, übernimmt der Page die Führung. Wir folgen ihm zu den Aufzügen und fahren in den 10. Stock.
Auch hier geht es mit dem Glanz weiter. Der Boden des Ganges, dem wir folgen, ist mit einem roten Teppich ausgelegt. Schließlich bleiben wir vor einer der Türen stehen. Das ist unser Apartment. Es besteht aus 4 Zimmern.
Als erstes betritt man eine Art Wohnzimmer mit Fernseher und Sofa. Von hier gehen alle anderen Türen ab. Auf der linken Seite sind 2 Türen. Hier geht es zu einem großen Bad und einem kleinen Einzelzimmer, in dem ich schlafen werde. Rechts befindet sich die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern.
Schnell schnappe ich mir meinen Koffer und trage ihn schon in mein Zimmer. Mein Vater gibt dem Pagen sein Trinkgeld und dann verschwinden meine Eltern auch erst einmal in ihrem Zimmer um auszupacken.
Mein Zimmer für die nächsten zwei Wochen ist wirklich hell. Wenn man zur Tür rein kommt, hat es an der linken Wand ein wirklich großes Fenster, durch das man einen wunderbaren Blick auf Berlin hat. Der helle Beigeton der Wand strahlt das Licht noch einmal zurück und verstärkt das Licht noch einmal. Gegenüber der Tür befindet sich das kleine Himmelbett. Es hat ein Gestell aus dunklem Holz und einen goldenen Himmel. Bezogen ist es mit goldfarbener Bettwäsche. Die kleinen Nachttische, der Schminktisch mit dem großen Spiegel und der Kleiderschrank sind ebenfalls aus dem gleichen dunklen Holz wie das Bett. In den Kleiderschrank sortiere ich nun mit geübten Handgriffen und mit der Hilfe des Windes den kompletten Inhalt meines Koffers.
Bevor ich zu meinen Eltern zurück gehen, ziehe ich mich noch eben um. Schnell bin ich aus meiner Jeans und dem roten Top geschlüpft und ziehe mein weißes Sommerkleid wieder aus dem Schrank. Es hat einen wirklich tollen Schnitt. Am Oberkörper ist es sehr Figur betont und die Ärmel sind etwas verspielt. Sie bestehen nur aus mehreren Stofflagen, die übereinander fallen. Nur meine Schultern werden von ihnen bedeckt. Der Rockteil fällt ab meinen Hüften locker in kleinen Falten bis zum Knie nach unten. Dazu trage ich meine weißen Riemchensandalen.
Dann setzte ich mich noch einmal an den Schminktisch. Meine Haare gehören nach der Fahrt auf jeden Fall noch einmal gekämmt. Meine weiß-goldene Spange habe ich mit meiner Bürste zusammen geholt. Ich nehme zwei Strähnen von rechts und links , drehe sie etwas und fasse sie an meinem Hinterkopf mit der Spange zusammen. Den Rest meiner Haare lasse ich locker über meinen Rücken fallen.
Jetzt bin ich fertig zum Ausgehen. Meine Eltern sind auch fast fertig.
„Was ist denn für heute noch geplant?“ Ich bin neugierig, was ich heute wohl alles sehen werde.
„Ich dachte mir, wir machen erst einmal einen Ausflug zum Checkpoint Charlie und holen uns eine Wochenkarte für die U-Bahn beim Bahnhof Zoo. Danach kommen wir wieder hier her und probieren das Restaurant des Hotels aus.“ Mein Vater hat das ja wirklich gut geplant. Und der Checkpoint Charlie hört sich wirklich interessant an.
Gemeinsam verlassen wir das Zimmer und laufen wieder zu den Aufzügen um das Hotel zu verlassen. Auf dem Gang kommen uns drei Personen entgegen. Zwei Männer im Anzug und ein Junge, vielleicht nur etwas älter als ich. Er hat blonde, etwas längere Haare, die aber nicht zu lang sind, sondern gerade so, dass man sie auch verstrubbeln kann. Seine blauen Augen strahlen verschmitzt aus seinem Gesicht heraus. Auf seinen Lippen liegt ein freches Lächeln. Er hat ein enges, weißes T-Shirt an, dass seine Muskeln wirklich gut zur Geltung bringt. Dazu trägt er eine lässige Jeans und Chucks. Irgendwie kommt er mir bekannt vor, aber ich weis nicht mehr woher.
Er muss wohl meinen Blick gespürt haben, denn plötzlich sieht er direkt zu mir. Seine Augen sehen richtig neugierig aus, während er mich auch mustert. Ich kann seinen Blick sogar noch auf mir spüren, als wir schon aneinander vorbei sind.
Warum nur sieht er mich so lange an? Zuhause beachtet mich kein Junge länger als fünf Sekunden und dieser beobachtet mich richtig lange. So auffällig bin ich doch auch wieder nicht. Oder ist irgendwas an meinem Kleid nicht in Ordnung. Unauffällig sehe ich an mir runter. Nein, es ist alles in Ordnung.
Ahnt er vielleicht, dass ich kein normaler Mensch bin? Nein, auch das kann nicht sein. Ich schüttle meinen Kopf etwas um diese Gedanken zu vertreiben.
Inzwischen haben wir den Aufzug erreicht und ich richte meine Gedanken auf unser Ziel, den Checkpoint Charlie. Neugierig beginne ich meinen Vater über ihn auszufragen.
„Was weist du denn alles über den Checkpoint Charlie?“
„Er ist in der Friedrichstraße und hat zur Zeiten der DDR Ost – und Westberlin miteinander verbunden. Genutzt wurde er von Botschaftern und Vertretern beider Länder. Es gab nicht viele solcher Übergänge und der Checkpoint Charlie ist der berühmteste von diesen. Weltweit bekannt geworden ist er durch die spektakulären Fluchten und durch die Frau vom Checkpoint Charlie. Wenn ich mich richtig erinnere, hieß sie Jutta Fleck. Sie hat für die Überführung ihrer beiden Töchter in die Bundesrepublik demonstriert. Bei jeder Wetterlage und notfalls auch allein. Der Checkpoint steht auch noch heute als Gedenkstätte und in einem Nebengebäude hat man ein Museum zu ihm eingerichtet. In dem Museum kann man so viel ich weis, auch sehr viel über die verschiedenen gelungenen und nicht gelungenen Fluchtversuche erfahren. Es soll also sehr interessant dort sein.“
Das klingt alles wirklich sehr interessant und ich werde immer hibbeliger. Leider müssen wir erst beim Bahnhof Zoo vorbei. Doch endlich haben wir auch diesen Punkt abgehackt und machen uns über die U-Bahn auf den Weg zur Station Kochstraße. Die erreichen wir über die Linie 6. Dann ist es nur noch ein kurzer Fußweg und dann stehen wir vor dem Checkpoint.
Schnell werden die Eintrittskarten für das Museum gekauft und dann zieht jeder von uns selbst los und schaut sich die verschiedenen Tafeln an den Wänden selbst an. Man findet nicht nur die Geschichten der Fluchten direkt beim Checkpoint, sondern auch an der gesamten Grenze. Es werden sogar die Fluchtmittel gezeigt. Unter anderem findet man einen Heißluftballon und einen umgebauten Trabi. Den finde ich am interessantesten. Da ist der Beifahrersitz so umgebaut, dass ein Erwachsener sich in ihm verstecken kann und es aussieht, als ob er immer noch normal gefüllt ist. Und so ist wirklich jemand geflüchtet. Ich kann mir gar nicht richtig vorstellen, wie unbequem es gewesen sein muss, darin verharren zu müssen, bis die Grenze passiert ist.
Nach 3 Stunden beschließen wir dann doch, dass es für heute erst einmal genug ist. Wir kehren wieder in unser Hotel zurück und nachdem wir uns noch einmal auf unserem Zimmer frisch gemacht haben, begeben wir uns gleich ins Restaurant. Wir haben allen großen Hunger und freuen uns schon auf unser Essen.
Von weitem sehe ich den Jungen wieder, der mir zuvor im Flur aufgefallen war. Doch diesmal bemerkt er mich nicht. Doch sobald das Essen auf dem Tisch steht, ist er auch schon wieder vergessen.
Die folgende Woche sehe ich ihn nur noch einmal. Er geht gerade in dem Moment zum Frühstück, als wir auf dem Weg zurück zu unserem Zimmer sind, um anschließend wieder Berlin zu erkunden. Das machen wir schon jeden Tag. Am ersten ganzen Tag haben wir erst einmal eine Stadtrundfahrt gemacht und anschließend sind wir an der Spree entlang spaziert. Zufällig haben wir eine Spree-Rundfahrt entdeckt und uns kurzfristig entschlossen, mit dem kleinen Schiff mitzufahren. Es ist sehr lustig geworden und auf dem Wasser ist es auch angenehm kühl, was bei der Hitze an dem Tag wirklich nicht verkehrt gewesen ist. Die folgenden Tage haben wir dann genutzt um die Museumsinsel etwas zu erkunden. Das Pergamonmuseum hat es mir von allen am meisten angetan. Das Ischtar-Tor und die antiken Tempel haben es mir besonders angetan. Und die Führung mit Audioguide ist auch wirklich praktisch. So kann man individuell das ganze Museum erkunden, ohne etwas sehen zu müssen, was einen nicht interessiert, oder etwas auszulassen, was einen interessiert. Auf diese Weise hatten ich und meine Eltern einen sehr spaßigen Tag dort. Wir mussten sogar einen zweiten anhängen, weil die Zeit ansonsten nicht gereicht hätte, um alle Museen zu besuchen. Auf diese Weise haben wir die erste Woche verbracht. Ab und an sind wir Abends noch einmal in eine Vorstellung der Verschiedenen Theater gegangen. Einmal haben wir zum Beispiel die Blue Man Group angesehen. Das war sehr unterhaltsam. Ein Pärchen kam zu spät zur Vorstellung und die wurden dann gleich mal aufs Korn genommen. In den ersten Reihen musste man Plastiküberwürfe tragen, um die Kleidung vor der Farbe zu schützen. Mitten in der Vorstellung wurden wir dann von riesigen Papierrollen begraben.
Nach diesem vollen Programm sind wir alle drei jedes Mal nur noch erschöpft in unsere Betten gefallen und haben bis zum Morgen durchgeschlafen. Trotzdem hat es uns sehr gut gefallen.
Doch am Anfang der zweiten Woche kommt der Schock. Überraschend gibt der Wetterdienst eine Orkanwarnung für das ganze Land heraus. Besonders im Norden Deutschlands soll es besonders schlimm werden. Am Mittwoch wird der Sturm seinen Höhepunkt haben und mit seiner ganzen Kraft über Deutschland herfallen.
Meine Eltern überlegen daraufhin, ob wir nicht früher abreisen wollen. Doch dann telefoniert meine Mutter mit unserer Nachbarin, und die erklärt sich bereit unser Haus gegen den Orkan abzusichern. So bleiben wir doch noch die Woche und hoffen, dass es nicht so schlimm wird, wie in den Nachrichten gesagt wird. Doch ich habe noch andere Sorgen. Kann ich mein Heimatdorf auf diese Entfernung schützen und auch zusätzlich Berlin? Schließlich will ich auch nicht, dass mir und meinen Eltern etwas passiert. Ich brauche einen Plan um beide Orte schützen zu können ohne zu viel Energie zu verbrauchen. Nach einigem Überlegen entscheide ich mich dazu, einen Schutzwall um beide Orte in Form einer Viertelkugel in Windrichtung zu legen. Das ist die beste Möglichkeit um Energie zu sparen. Jetzt muss ich nur hoffen, dass ich auch noch aus dieser Entfernung das Dorf mit schützen kann. Bis jetzt habe ich es noch nie probiert. Und ich muss meine Energie aufladen und sehr sparsam damit umgehen. Schließlich werde ich so gut wie meine gesamte Magie für diese Leistung brauchen. Wenigstens können wir an dem Tag das Hotel nicht verlassen. Dadurch habe ich die Möglichkeit mich besser zu konzentrieren.
Am Morgen des Mittwoch schließlich begebe ich mich nach dem Frühstück noch einmal nach draußen, etwas spazieren gehen. Meine Eltern versuchen gar nicht erst mich daran zu hindern. Dafür der Türsteher des Hotels. Doch ich lasse mich nicht aufhalten.
„Ich mag starken Wind. Bevor er zu stark wird, bin ich wieder zurück. Also bis gleich. Meine Eltern haben auch nichts dagegen, dass ich jetzt rausgehe. Die kennen das schon von mir.“
Und damit bin ich auch schon zur Tür raus. Der Wind hat schon etwas zu genommen und heult schon um die Hausecken. Nur noch wenige Leute sind unterwegs und auch Autos sieht man kaum mehr auf den Straßen.
Doch irgendwann spricht mich der Wind wieder an.

„Scarlett. Du solltest so langsam wieder zurück gehen. Der Sturm ist nur noch eine halbe Stunde entfernt. Vorher solltest du auf jeden Fall den Schutz aufgebaut haben.“


Damit hat er sicher Recht. Niemand kennt den Wind besser, als der Wind selbst. Gut, dass ich nicht weit weg vom Hotel bin.
Gleich beim Reinkommen warne ich den Türsteher.
„In einer halben Stunde ungefähr drückt dir der Wind die Tür ein. Der Sturm ist nahe.“
Bei dem dummen Gesicht, was er daraufhin macht, muss ich leise kichern.
Meine Eltern haben sich einen Tisch in der Lobby gesucht und spielen eine Runde UNO. Ich geselle mich zu ihnen und spiele in der nächsten Runde mit. So lange, wie ich auf das Ende der angebrochen Runde warte, baue ich den Schutz für die beiden Orte auf. Nicht bald darauf fängt der Orkan dann wirklich richtig an. Aber dank meiner Schilde merkt man davon rein gar nichts. Jeder wundert sich, warum es so ruhig draußen bleibt, obwohl in den Nachrichten von den schlimmsten Verwüstungen im ganzen Land berichtet. Wir können das alles gut mitverfolgen. Die Hotelleitung hat eine große Leinwand in der Lobby befestigt, auf denen ständig die neusten Nachrichten gezeigt werden. Mich und meine Familie interessiert das erst einmal nicht. Wir spielen UNO und SKIP-BO. Teilweise haben wir sogar noch andere Mitspieler, weil die nicht wissen, was sie sonst tun sollen.
Als wir schließlich zum Mittagessen gehen, kommt das erste Mal eine Meldung über Berlin. Die Nachrichtensprecherin berichtet, dass die Meteorologen über ein Phänomen rätseln, dass in Berlin aufgetreten ist. Es ist der einzige bekannte Ort im Bereich des Orkans, an dem man nichts von ihm bemerkt. Und man kann sich nicht erklären, wieso. Als ich höre, dass es der einzige Ort ist, rutscht mir erst einmal das Herz in die Hose. Kann ich mein Dorf etwa nicht erreichen aus dieser Entfernung?
Doch nur kurz darauf meldet sich die Nachrichtensprecherin wieder. Es sei ein zweiter Ort mit dem gleichen Phänomen aufgetaucht. Ein kleines abgelegenes Dorf in Norddeutschland. Auch hier ist nicht ersichtlich, wieso man den Sturm nicht spüren kann. Jetzt weis ich, dass meine Kräfte auch über diese Entfernung funktionieren.
Endlich habe ich auch richtig Hunger. Ich esse sowieso recht viel, auch wenn man mir das nicht ansieht, aber heute ist es wirklich extrem. Aber ich muss schließlich die Energie wieder auffüllen, die meine Magie verbraucht hat. Auch wenn Essen eigentlich nicht der richtige Weg ist. Dafür bräuchte ich Wind, aber jetzt wird mich niemand nach draußen lassen, aus Angst, dass der Sturm doch noch über Berlin hereinbricht. Außerdem gibt es durch meinen Schutz nicht genügend Wind in den Straßen. Also werde ich wohl oder übel durchhalten müssen.
Nach dem Mittagessen spielen wir wieder weiter. Diesmal haben wir noch ein älteres Ehepaar als Mitspieler. Sie sind beide sehr nett und meine Eltern unterhalten sich gut mit ihnen. Ich halte mich etwas zurück. So langsam kann ich die ersten Erschöpfungsanzeichen spüren. Beim Training hätte ich nun bald aufgehört. Doch diesmal ist es der Ernstfall und kein Training.
Nach dem Abendbrot verabschiede ich mich schon einmal unter dem Vorwand müde zu sein. Das bin ich auch wirklich, aber es hat einen anderen Grund, als ein normaler Mensch vermuten würde. Meine Magie neigt sich ihrem Ende zu und er Sturm erreicht so langsam seinen Höhepunkt. In den Nachrichten rätselt man noch immer über Berlin und unser Dorf.
Erschöpft irre ich vom Aufzug in Richtung unseres Zimmers. Leider achte ich nicht so ganz auf den Weg und plötzlich weis ich nicht mehr, wo ich bin. Da laufe ich auf einmal in jemanden hinein und falle natürlich sofort auf den Boden. Leise murmele ich eine Entschuldigung ohne wirklich aufzuschauen. Mehrmals versuche ich wieder aufzustehen, aber ich habe einfach keine Kraft mehr. In dem Moment wird mir unwiderruflich klar, das ich heute sterben werde. Der Schutz der beiden Orte wird meine Kraft bis zum Schluss aufbrauchen und mich tot zurücklassen. Doch ich kann jetzt auch nicht plötzlich den Schutz fallen lassen. Der plötzliche Wind würde noch größere Schäden anrichten, als der Sturm ohnehin angerichtet hätte.
Auf einmal zieht mich jemand an meinem Arm nach oben und ich hebe erschöpft meinen Kopf. Dabei trifft mein Blick den besorgten, aber auch verwunderten Blick aus zwei strahlend blauen Augen.Diese gehören zu dem Jungen aus dem Zimmer gegenüber, der mir schon am Anfang des Urlaubs aufgefallen war.
„Hey, was ist los? Du wirkst ja völlig erschöpft. Geht es dir nicht gut? Und was ist deinen Haaren los? Die sehen so aus, als ob du mitten im Sturm stehen würdest. So etwas habe ich noch nie gesehen.“
Seine Stimme kommt mir auch so bekannt vor, aber ich kann mich nicht darauf konzentrieren. Und was hat er da über meine Haare gesagt? Habe ich unbewusst die Magie über sie gelöst? Ich muss wohl schon erschöpfter sein, als ich angenommen habe.
Ich übergehe seine Fragen einfach und sage nur:
„Ich muss weiter. Brauche meine Ruhe.“
Dabei will ich mich losreißen, aber statt das er mich loslässt, hält er mich nur noch fester. Im nächsten Moment werde ich von ihm mitgezogen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als ihm hinterher zu stolpern. Irgendwo am Rande realisiere ich, dass wir zum nicht genutzten Gemeinschaftsraum dieses Stockwerks gehen.
Währenddessen sucht mein Unterbewusstsein eine Möglichkeit mein Leben zu verlängern. Dabei taste ich auch den Geist des Blonden ab. Und ich werde fündig. Auch er hat einen Magievorrat, den er aber nicht nutzt. Es ist nicht viel, aber es würde ausreichen mein Leben zu verlängern, bis der Sturm genug abgeflaut ist um keinen Schaden mehr anzurichten. Er müsste auch nicht sterben, sondern nur ich. Jetzt muss ich es nur schaffen, dass er bei mir bleibt.


3.Kapitel

In dem Gemeinschaftsraum befindet sich niemand. Der Junge will mich zu einem der kleinen Sofas bringen, die überall im Raum verteilt stehen. Doch für das, was ich vorhabe, ist der Boden besser geeignet. Schnell scanne ich den Raum auf der Suche nach einem geeigneten Platz. In der Mitte ist genügend Platz. Bevor er mich zum Hinsetzen bringt, schüttele ich den Kopf und deute auf den Boden. Ob er wohl mitmachen wird?
Und wirklich. Er zuckt nur mit den Schultern und lässt mich dann auf der Stelle zu Boden gleiten, auf die ich gedeutet habe. Ich winke ihn von unten zu mir.
„Setz dich mir gegenüber.“, murmle ich.
Einen Moment sieht es so aus, als ob er es nicht machen würde, doch dann setzt er sich wirklich im Schneidersitz mir gegenüber.
„Was ist mit dir los? Du siehst so erschöpft aus.“
Er wiederholt seine Fragen von bevor. Doch auch diesmal übergehe ich sie.
„Gib mir deine Hände und schließe deine Augen. Entspanne dich.“, fordere ich ihn auf. Und wirklich reicht er mir beide Hände und schließt seine Augen. Auch ich schließe meine Augen und strecke meine geistigen Fühler nach seinem Geist aus. Vorsichtig taste ich mich vor um zu verhindern, dass er sich dagegen wehrt. Endlich stoße ich auf die Quelle seiner Magie. Sein Unterbewusstsein reagiert einen Moment lang darauf, dass ich eben diese anzapfe, aber es beruhigt sich schnell wieder. In einem stetigen Strom wandert seine Magie über unsere Hände in meinen Körper. Sofort fühle ich mich nicht mehr so geschwächt. Mit dieser Unterstützung kann ich diesen Sturm tatsächlich schadlos machen für beide Orte.
In dieser Haltung bleiben wir bestimmt beinahe zwei Stunden sitzen und rühren uns nicht. Seine zwei Begleiter, die ihm überall hin zu folgen scheinen, sind natürlich auch hier anwesend. Sie wollten ihm auch mit mir helfen, aber er hat abgelehnt. Jetzt stehen und sitzen sie im Raum herum und wissen bestimmt nicht, was sie von dem Ganzen halten sollen. Zu gerne würde ich jetzt in ihre Köpfe hinein sehen, aber leider kann ich nicht Gedankenlesen.
Nach diesen zwei Stunden Regungslosigkeit merke ich am Rande meines Bewusstseins, dass der Sturm schwächer geworden ist. Nun brauche ich weniger Kraft und beginne vorsichtig die Verbindung zu dem Fremden zu kappen. Eine weitere halbe Stunde später ist der Orkan schon ungefährlich. Ich trenne unsere Verbindung restlos um zu verhindern, dass mein erschöpfter Geist auf seine Magie zugreift und ihn tötet um mich zu retten. Danach löse ich auch die beiden Schutzwälle auf. Nur einen Moment später kann ich meinen Geist schon in Dunkelheit versinken spüren. Meine Sicht verschwimmt und wird immer dunkler. Mein Körper wird ganz schwer und ich bekomme gerade noch mit, dass ich anfange um zu kippen.
„Das ist also mein Ende.“, ist der letzte klare Gedanke, den ich noch fassen kann.


Sicht Unbekannter

Erschrocken öffne ich meine Augen. Das Mädchen vor mir hat meine Hände los gelassen. Zu meinem Schreck muss ich feststellen, dass sie gerade umgekippt ist. Anscheinend hat sie das Bewusstsein verloren. Schnell beuge ich mich über sie. Ihre Atmung geht nur noch flach und auch ihr Puls wird schwächer. Aus den Augenwinkeln sehe ich meine Leibwächter auf uns zukommen.
„Hey, was ist mit dir? Wach doch wieder auf.“ Es ist ein verzweifelter Versuch von mir, sie aus ihrer Bewusstlosigkeit zu holen. Plötzlich steigt wieder das gleiche Gefühl hoch, dass ich auch hatte, als sie meine Hände gehalten hat. Meine Handflächen fangen an zu prickeln und aus einem Instinkt heraus, lege ich meine Hände auf ihre Stirn und diese Wärme fließt aus meinen Fingern heraus in sie herein. Und es scheint irgendeine Wirkung zu haben. Ihre Augenlider fangen an zu flattern und einen Moment später öffnet sie wieder ihre wunderschönen grünen Augen. Einen Augenblick lang schaut sie mich verwundert an, dann begreift sie irgendetwas.
„Du hast mir das Leben gerettet.“ Ganz leise nur sagt sie diesen einen Satz bevor sie wieder das Bewusstsein verliert. Aber diesmal bleiben ihre Atmung und ihr Puls gleich und werden nicht schwächer. Aber was sie gemeint haben könnte mit dem Leben retten, dass verstehe ich nicht. Ich habe doch gar nichts gemacht.
„Vielleicht sollte man einen Arzt rufen und sie auf ihr Zimmer bringen.“
Will, mein einer Leibwächter, macht diesen Vorschlag.
„Eine gute Idee. Ruf gleich Doktor Winterby an. Ich bringe sie zu ihrem Zimmer.“ Ich achte nicht weiter auf ihn. Ich bin mir auch so sicher, dass er gerade sein Handy aus der Tasche zieht und meine Leibarzt anruft. Gut, dass dieser in der Stadt ist. Da wird er schnell hier sein.
Vorsichtig greife ich unter die Bewusstlose und hebe sie hoch. Fast hätte ich sie vor Schreck fallen gelassen. Sie ist wirklich leicht, dabei wirkt sie gar nicht so. Es ist, als ob ich eine zerbrechlich Puppe auf dem Arm hätte, so zart wirkt sie gerade in meinen Armen. Auf jeden Fall nicht wie ein normales fünfzehnjähriges Mädchen. An mich gedrückt trage ich sie durch die leeren Flure zu ihrem Zimmer. Gut, dass ich weis, dass sie im Zimmer mir gegenüber wohnt. Schließlich habe ich sie so oft es ging durch den Türspion beobachtet. Sie ist mir gleich am ersten Tag aufgefallen. So ein schönes Mädchen habe ich noch nie gesehen. Ich war sogar etwas enttäuscht, als sie sich nicht wie ihre anderen Altersgenossinnen aufgeführt hat und total aufgeregt zu mir gekommen ist. Im Gegenteil schien sie mich noch nicht einmal erkannt zu haben. Das passiert mir nicht mehr oft. Zumindest nicht bei jungen Leuten.
Als ich um eine Ecke des Flures biege, sehe ich ihre Eltern, die gerade ihre Zimmertür öffnen wollen.
„Warten Sie einen Moment. Ihrer Tochter geht es nicht gut.“ Ohne groß zu überlegen, habe ich die beiden schon angerufen. Beide sehen sofort zu mir.
„Oh Gott, Scarlett!“ Ihre Mutter kommt mir sofort aufgeregt entgegen. Jetzt weis ich auch ihren Namen. Er passt zu ihr.
Ihr Vater reagiert etwas ruhiger. Geistesgegenwärtig schießt er sofort die Tür auf und zeigt mir dann den Weg zu ihrem Bett. Darauf lege ich sie dann vorsichtig ab. Erst nachdem sie auch gut zugedeckt ist, fängt ihr Vater an Fragen zu stellen.
„Was ist denn passiert? Wir dachten sie ist schon fast 3 Stunden im Zimmer. Sie wollte früher schlafen gehen.“
Gemeinsam gehen wir in den Wohnzimmerbereich des Apartments und setzen uns auf die Sofas.
„Wir sind auf dem Flur zusammengestoßen und da war sie schon sehr schwach und kam ohne Hilfe nicht wieder auf die Beine. Aber statt Hilfe wollte sie Ruhe, also habe ich sie in den Gemeinschaftsraum gebracht. Dort wollte sie auf dem Boden sitzen und ich sollte mich ihr gegenüber setzten und ihre Hände nehmen. Dann haben wir beide die Augen geschlossen und in dieser Position über 2 Stunden verbracht. Nach dieser Zeit hat sie plötzlich meine Hände losgelassen und ist direkt danach zusammengebrochen. Ich weis nicht wieso, aber kurz danach hat sie noch einmal kurz ihr Bewusstsein erlangt und behauptet, ich hätte ihr das Leben gerettet. Dann haben wir einen Arzt gerufen, der auch bald da sein dürfte, und sind mit ihr hier her. Den Rest kennen sie.“
Damit schließe ich meinen Bericht über die Ereignisse der letzten Stunden ab. Die komischen Gefühle, die ich in der Zeit hatte, lasse ich lieber unerwähnt.
„Welchen Arzt habt ihr denn gerufen? Sicher ist nicht jeder bereit, bei diesem Wind auf die Straße zu gehen.“ Ihr Vater denkt gut mit.
„Ich habe Doktor Winterby rufen lassen. Der geht bei einem Ruf von mir bei jedem Wetter auf die Straße.“
Als ich den Namen meines Leibarztes nenne, hebt Scarletts Mutter sofort erstaunt den Kopf. Bis jetzt saß sie eher stumm neben ihrem Mann und hat auf ihre Hände geschaut.
„Ist das nicht dieser Arzt für die Reichen und Prominenten? Der ist doch sündhaft teuer. Warum sollte der bei jedem Wetter auf die Straße gehen, nur weil du hin rufst?“ In ihrer Stimme schwingt sehr viel Unglaube mit.
„Ganz einfach! Weil ich einer dieser Prominenten bin und er mein persönlicher Leibarzt ist. Ich bin der Jungschauspieler Rick Müller. Und da Winterby mein Leibarzt ist, werde ich auch die Kosten seiner Behandlung übernehmen.“
Auf diese Eröffnung hin, schauen ihn beide Eltern voller Erstaunen an. Scarletts Vater steht sogar der Mund leicht offen. Ihre Mutter fängt sich als Erste wieder.
„Ich glaube, wir haben uns auch noch nicht vorgestellt. Ich bin Marion Sturm und das ist mein Mann Simon Sturm. Unsere Tochter Scarlett hat zusammen mit einer Freundin von ihr, ein paar deiner Filme besucht, glaube ich. Aber sie ist immer wegen Amelie mit. Sie schaut nicht so gerne Filme. Lieber ist sie in der Natur unterwegs. Aber Amelie konnte nie aufhören von den Filmen zu schwärmen. Ich glaube, eine Zeit lang ist sie dem ganzen Dorf damit auf die Nerven gegangen.“
In dem Moment beginnt Scarlett im Nebenraum zu stöhnen. Sofort ist alles auf den Beinen und stellt sich an ihr Bett, in der Hoffnung, dass sie wieder aufwacht. Doch sie stöhnt nur ein einziges Wort:
„Luft“
Es ist zwar nur leise, dafür aber gut verständlich. Ehe noch die anderen reagieren können, bin ich schon am Fenster und habe es geöffnet. Als habe er nur darauf gewartet, fährt ein heftiger Windstoß ins Zimmer.
„Mach das Fenster wieder zu. Nicht, dass noch etwas kaputt geht.“ Ihre Mutter ist sofort wieder besorgt. Doch ihr Vater stößt seine Frau an und deutet auf Scarlett. Diese lächelt doch tatsächlich. Und mit diesem Lächeln gerät jeder Entschluss, das Fenster zu schließen, gleich wieder in Vergessenheit.
Genau in dem Moment klopft es an der Apartmenttür. Herr Sturm verlässt den Raum und ist gleich darauf mit einem etwas älteren Mann mit Arzttasche zurück.
„Guten Tag Dr. Winterby, schön, dass sie so schnell gekommen sind.“ Fröhlich begrüße ich meinen alten Freund.
„Hallo Rick. Wo ist denn die Patientin und was ist genau passiert. Will war ja nicht sehr genau als er mich angerufen hat.“
Ich zeige auf das bewusstlose Mädchen.
„Das ist Scarlett Sturm. Sie ist vor kurzen direkt vor mir zusammengebrochen. Warum wissen wir nicht genau. Nur, dass sie wohl schon den ganzen Abend sehr erschöpft war und früh schlafen gehen wollte. Auf dem Weg ist sie dann mir begegnet und da schon fast zusammengebrochen. Es hat aber dann noch fast 3 Stunden gebraucht, bis sie wirklich das Bewusstsein verloren hat. Da haben wir dann gleich sie angerufen und sie hier ins Bett verfrachtet. Vor 5 Minuten ist sie dann etwas unruhig geworden und hat nach Luft verlangt. Deshalb ist das Fenster jetzt offen. Seit dem ist sie auch wieder ruhig geworden. Außerdem waren Atmung und Puls teilweise sehr schwach, haben sich aber schon wieder etwas stabilisiert.“
Dr. Winterby hört mir aufmerksam zu, während ich ihn über das nötigste ins Bild setze. Dann macht er sich ohne sich noch länger aufhalten zu lassen an die ersten Untersuchungen. Wie auch ich prüft er Puls und Atmung. Danach holt er eine kleine Lampe und hebt ihre Augenlider um in ihre Augen zu leuchten. Währenddessen stellt er verschiedene Fragen, wie, ob sie etwas gegessen hat den Tag über, oder wie sie die letzten Tage über geschlafen hat. Doch er kann die Ursache für ihre Erschöpfung einfach nicht feststellen.
„Körperlich ist sie eigentlich völlig gesund. Normalerweise sollte sie nicht an diesen Erschöpfungssymptomen leiden. Aber da sie es nun mal trotzdem tut, würde ich sagen, dass Ruhe und viel Schlaf jetzt erst einmal das Beste für sie sind. Ihr Körper hat das durch die Ohnmacht schon eingeleitet. Also sollte sie sich, wenn sie aufwacht, noch etwas schonen und liegenbleiben. Energiereiches Essen ist auch nicht verkehrt und Schlaf, wie ich schon sagte. Ihr scheint es auch schon etwas besser zu gehen. Ihr Puls ist schon wieder kräftig und gleichmäßig. Es könnte also gut sein, dass sie bald aufwacht. Ich komme dann morgen wieder vorbei, um nach ihr zu sehen.“
Dann verabschiedet er sich noch von allen und macht sich wieder auf den Rückweg.
Kaum ist er weg, schauen alle wie auf Kommando zu Scarlett. Und wirklich. Sie ist nicht mehr so blass wie zuvor, sondern hat wieder etwas Farbe im Gesicht. Nun sieht sie aus, als ob sie nur schlafen würde.
Auch ich verabschiede mich für heute.
„Darf ich morgen wiederkommen und nach Scarlett sehen?“
„Klar. Du hast sie ja hergebracht und übernimmst sogar die Arztkosten. Da wäre es etwas komisch, wenn wir dir verbieten würden Scarlett zu sehen.“, antwortet mir ihr Vater noch als ich schon fast zur Tür heraus bin. Dann schließt sich die Tür zum Apartment, das meinem gegenüber liegt, und ich schließe mein eigenes auf um endlich schlafen zu gehen. Auch ich fühle mich sehr müde.



Mitten in der Nacht werde ich wieder wach. Ich bin nicht mehr im Gemeinschaftsraum, sondern in meinem Zimmer, so weit ich das im Dunkeln erkennen kann. Das Fenster ist weit offen, so dass der Wind ungehindert herein kann. Leise, um niemanden zu wecken, stehe ich auf und stelle mich direkt in den Luftzug. So kann ich noch besser seine belebende Wirkung spüren. Von Minute zu Minute fühle ich mich besser und gesünder. Es ist gut, dass ich doch nicht gestorben bin. Ansonsten wären meine Eltern und meine Freunde bestimmt untröstlich gewesen. Vor allem Amelie hätte sich die Augen ausgeweint. Aber dank dieses Jungen ist ja noch einmal alles gut gegangen. Auch wenn ich nicht damit gerechnet hatte. Nur hatte ich auch nicht geplant im Gemeinschaftsraum zu sterben, sondern in meinem Bett, so dass meine Eltern es erst am nächsten Tag gemerkt hätten, wenn alles gut gegangen wäre. Das alles ist ja jetzt hinfällig. Ich lebe und – ich horche in mich hinein – habe schon wieder etwa die Hälfe meiner Magie zurück. Bis zur vollständigen Aufladung wird wohl noch etwas Zeit vergehen, aber die lässt sich bestimmt einfach überbrücken. Etwas müde bin ich immer noch, deshalb kuschel ich mich wieder unter meine warme Decke und bin auch bald wieder eingeschlafen.
Am nächsten Morgen werde ich von meiner Mutter geweckt, die mir Frühstück ans Bett bringt. Die beiden waren schon unten Essen, wie ich von ihr erfahre.
„Wie ist der Sturm noch verlaufen?“, will ich von ihr wissen.
„In Berlin und in unserem Dorf gibt es fast gar keine Schäden. Da ist es nur, als ob ein etwas stärkerer Wind ein paar lose Äste herunter geweht hat. Überall sonst gab es größere Schäden. Da sind ganze Bäume entwurzelt worden. An vielen Stellen ist die Bahn blockiert und auch viele Straßen sind zur Zeit nicht befahrbar. In ein paar Gegenden ist es sogar zu Erdrutschen gekommen. Es gibt viele Verletzte, aber keine Toten.
Weist du übrigens, wer dich gestern zu uns gebracht hat?“
Während sie mir das alles erzählt, habe ich mir schon das Frühstück vorgenommen und fast verdrückt. Deshalb habe ich auch gerade einen vollen Mund und kann ihr nicht antworten. Stattdessen schüttle ich einfach meinen Kopf.
„Rick Müller, der Lieblingsschauspieler von Amelie, hat dich hierher getragen wie eine Prinzessin. Und Doktor Winterby, sein Leibarzt hat dich untersucht. Die Kosten will Rick übernehmen. Nachher wollen beide wiederkommen um nach dir zu sehen.“
Ich kann meiner Mutter die Aufregung zwei solche Berühmtheiten getroffen zu haben regelrecht ansehen. Aber das ist auch nicht verwunderlich. Schließlich liebt sie es, den Klatsch über solche Promis zu lesen und im Fernsehen anzuschauen.
Rick Müller also, der Grund, warum Amelie mich immer wieder ins Kino gezehrt hat. Wenigstens weis ich jetzt, warum er mir so bekannt vorkam.
Als ich mein Frühstück beendet habe, nimmt meine Mutter das Tablett wieder mit. Doch als ich aus dem Bett klettern will, hindert sie mich daran.
„Du bleibst schön liegen. Der Doktor hat gesagt, du sollst dich ausruhen und viel schlafen.“
Bevor ich aber widersprechen kann, klopf es an der Tür und mein Vater lässt Rick in mein Zimmer.
„Guten Morgen. Wie ich sehe, geht es dir schon wieder besser. Du bist auf jeden Fall wach.“ Fröhlich lächelnd setzt er sich an mein Bett. Meine Eltern verlassen dagegen beide das Zimmer.
„Ja, ich bin wach. Und schon wieder total fit, trotzdem soll ich im Bett bleiben. Das ist echt nervig. Aber wenigstens weis ich jetzt, warum du mir so bekannt vorgekommen bist. Wegen dir bin ich von meiner besten Freundin immer wieder ins Kino geschleppt worden, obwohl ich da nicht gerne rein gehe. Und noch Wochen danach durfte ich mir anhören, wie toll du doch aussiehst und wie gut du schauspielern kannst und was weis ich noch alles. Das ging aber nicht nur mir auf die Nerven.“
Bei dieser Ansage schaut Rick recht amüsiert aus.
„Dann gehörst du zu der seltenen Art, die Filmtechnisch fast nichts weis, sich aber auch nicht dafür interessiert, und einen Prominenten nur erkennt, wenn jemand anderes dich darauf aufmerksam macht. Finde ich interessant. Damit hätte ich am Anfang nicht gerechnet. Aber jetzt mal was anderes. Was ist gestern passiert? Und wieso soll ich dir das Leben gerettet haben, wo ich dich doch nur hierhin gebracht habe.“
Ich sehe schon, dass wird etwas dauern.
„Ganz einfach. Das alles hat etwas mit dem Orkan gestern zu tun. Du hast bestimmt auch die Nachrichten gesehen, in denen man sich über dieses Phänomen gewundert hat. Man hat einfach keine Erklärung gefunden, warum Berlin und ein weiteres Dorf vom Sturm gänzlich verschont worden sind.“
Ich warte einen Moment, bis er nickt.
„Dieses Phänomen habe ich erzeugt. Das Dorf ist mein Heimatdorf, wo ich eigentlich wohne. Das habe ich schon immer geübt zu schützen. Hätte ich nur den einen Ort beschützen müssen, wäre das kein Problem gewesen. Aber wir waren nun einmal hier, also musste ich diesen Ort auch schützen. Dabei habe ich dann festgestellt, dass es viel mehr Kraft kostet, als ich gedachtet habe, um den Schutz von weit entfernt aufrecht zu erhalten. Und ich hatte auch keine Möglichkeit meine Kraft wieder aufzuladen. Deshalb bin ich immer erschöpfter geworden. Als ich kurz vor dem Ende meiner Kraft war, bin ich auf dich getroffen. Und bei dir habe ich dann auch einen Vorrat dieser Kraft entdeckt, aber nicht so groß wie bei mir. Als wir uns dann gegenüber gesessen haben, habe ich die Hälfte deiner Kraft angezapft um bis zum Ende des Orkans auszuhalten. Dann habe ich die Verbindung gekappt und meine letzten Reserven verbraucht. Zu dem Zeitpunkt wusste ich schon, dass ich sterben würde. Aber du hast dann die einzige Möglichkeit gefunden, um uns beide zu retten. Hätte ich noch die Verbindung zu dir gehabt, als ich meine eigene Kraft aufgebraucht hatte, wäre mein Überlebensinstinkt in Aktion getreten und hätte deine Kraft abgesaugt um mich zu retten. Das Ergebnis wäre gewesen, dass du statt mir gestorben wärst. Ich habe mich für meinen eigenen Tod entschieden und meinem Überlebensinstinkt so die Handlungsmöglichkeit genommen. Die einzige Möglichkeit zu meiner Rettung bestand darin, dass du mir von selbst etwas von deiner Kraft gibst. Und obwohl du nicht darin geübt bist, hast du es geschafft.Dadurch bin ich nur extrem erschöpft gewesen. Deshalb hast du mich und sogar diese zwei Orte vor einem schlimmen Schicksal bewahrt. Beantwortet das deine Fragen?“
Während meinem Bericht werden Ricks Augen immer größer. Er kann es wohl nicht so recht fassen, was ich ihm da erzählt habe.
Und dann kommen auch schon die nächsten Fragen.
„Was ist das für eine Kraft? Wieso haben wir die beide? Woher kommt die? Wie hast du das mit dem Schutz genau gemacht? Gibt es noch andere, die das können? Was war mit deinen Haaren gestern?“
Rick holt Luft und ich habe die Möglichkeit ihn zu unterbrechen.
„Eine Frage nach der anderen. Diese Kraft ist Windmagie. Wir haben sie beide, weil wir von den Windfeen abstammen. Ich habe nur nicht so vermischtes Blut wie du, deshalb ist meine Kraft größer. Beim Schutz habe ich Wind mit Wind bekämpft. Dazu habe ich um beide Orte in Windrichtung eine Art Halbkugel gelegt. Daran ist der Orkan nicht vorbei gekommen. Es gibt einige mit Windfeenblut, aber meist ist es zu verdünnt. Meine Haare sind so ein Spezialfall. Normalerweise unterdrücke ich dieses Phänomen bei mir mit Hilfe meiner Magie, aber gestern habe ich alles in den Schutz gesteckt und so keine Magie mehr für meine Haare übrig. Deshalb haben sie das gemacht, was bei Windfeen üblich ist. Sie haben sich mit dem Wind bewegt.“
Zum Beweis meiner Worte nehme ich die Magie noch einmal von meinen Haaren und sofort scheint eine sanfte Brise sie zu bewegen. Rick sagt erst einmal nichts mehr.
Erst nach einer Weile, die er wohl gebraucht hat um seine Gedanken wieder zu ordnen, fängt er an zu sprechen.
„Könnte ich das auch lernen. Dieses Zaubern mit dem Wind?“
Diese Frage überrascht mich doch sehr. Damit habe ich nicht gerichtet.
„Theoretisch könntest du es, aber es wird sehr schwierig für dich, weil du nicht wie ich den Wind so einfach verstehen wirst. Und du könntest nicht so viel zaubern. Du müsstest viel mehr auf deinen Magievorrat achten, weil du stirbst, wenn er aufgebraucht ist. Bei mir dauert es lange bis es so weit ist, außer ich nehme mir zu viel vor, so wie gestern. Wir können dann zwei Tode sterben. Einen durch zu wenig Magie und dann den normalen der Menschen.“
„Aber du hattest doch gestern zu wenig Magie. Müsstest du dann nicht an der Schwelle des Todes sein?“
„Gestern war ich das auch, aber durch das offene Fenster kam Wind herein. Wenn ich in den direkten Wind gehe, dann lädt sich meine Magie von selbst wieder auf. Inzwischen ist sie schon fast wieder voll. Das liegt aber auch an dem starken Wind. Bei einer sanften Brise dauert es länger.“
Inzwischen habe ich ihm glaube ich alles erzählt, was ich ihm sagen kann, ohne dass er eine Magieausbildung anfängt.
In dem Moment werden wir von einem Klopfen unterbrochen. Rick hat damit keine Möglichkeit weitere Fragen zu stellen. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnet sich da die Tür und ein älterer Mann kommt herein. Er trägt einen feinen Anzug und hält in der rechten Hand einen Arztkoffer.
„Guten Morgen Doktor Winterby.“ Rick begrüßt den Mann fröhlich.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 30.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle im Internat, die mich immer wieder beim überarbeiten des ersten Textes beobachtet haben.

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