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Prolog



Ich wusste nicht, was ich war. Ich wusste nicht, was für ein Blut durch meine Adern floss und mich am leben hielt. Ich war fast immer alleine gewesen und das würde sich auch nicht großartig ändern. Die einzige, die mir immer zur Seite stand, war meine Zwillingsschwester. Die wusste, was es hieß glücklich zu leben und einfach alles zu genießen. Ich nicht...
Es hätte so schön sein können, weiterhin alleine zu sein. Aber das änderte sich schlagartig. Und gerade das hatte ich nie glauben wollen. Schön fand ich es nicht. Ganz im Gegenteil. Diese Person, die offensichtlich tot gewesen war, teilte sich mit mir meinen Körper. Seine Seele war in mir gefangen und stritt sich von Tag zu Tag mit meiner. Es herrschte ein ununterbrochener Kampf in mir. Aber schon bald würde sich das Blatt wenden. Es war nur eine Frage der Zeit...


I.



Es war ein gewöhnlicher Tag wie jeder andere auch. Ich wachte mit einem unkontrollierten Stechen in der Brust auf. Anschließend fraß sich der brennende Schmerz durch meinen Körper, bis ich ihn überall mindestens einmal gespürt hatte. Das war nichts Neues. Das Gleiche spielte sich auch jeden Abend ab. Ich schaltete das Radio an. Das würde mich vielleicht ein bisschen ablenken. Es war Montag. Ich musste wieder mal in die Klinik.
Als ich angezogen im Badezimmer stand, sah ich mich im Spiegel an. Ich strich über meine fahlen, weißen Wangen. Ich hatte lila-blaue Verfärbungen unter den Augen. Ich hatte schon seit Jahren Augenringe, weil ich kaum schlief aufgrund der qualvollen Schmerzen, die ich jeden Abend erlitt, wenn ich im Bett lag und versuchte zur Ruhe zu kommen.
Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich diesem Fluch ein Ende setzen zu können. Wahrhaftig. Es war ein Fluch.
Nachdem ich meine warme Jacke angezogen und mir meine Tasche umgehangen hatte, schloss ich die Wohnungstür zu und setzte mich ins Auto. Ich konnte noch nicht los fahren. Ich hatte irgendetwas vergessen. Das wusste ich. Aber was? Was nur? Was hatte ich vergessen. Mein Herz? Nein... Ich hatte schon lange das Gefühl, ewig keins mehr zu haben.
Ich fuhr einfach los. Es war mir in diesem Moment auch egal gewesen, was ich nun vergessen hatte. Später wurde mir bewusst, dass ich etwas Lebenswichtiges vergessen hatte. Meine Tabletten.
Ich saß in diesem kleinen, dunklen Raum. Meine Augen leuchteten in einem mondlichtfarbenen Weiß. Ich hatte bereits sieben Spritzen bekommen, die mir halfen, mich unter Kontrolle halten zu können. Ich war unter anderem auch schwer krank. Manchmal versagten meine Muskeln und Knochen. Mein ganzer Körper machte von der einen auf die andere Sekunde lahm. Daraufhin brach ich zusammen, lag starr und reglos da, und konnte mich nicht mehr bewegen. Diese Ausbrüche waren unkontrollierbar und ich konnte sie nicht bändigen. Die Krankheit besiegte mich jedes Mal aufs Neue.
Mir wurden die Augen verbunden. Das war ungewohnt für mich. Das machten sie sonst nie.
"Warum tun Sie das?", fragte ich.
Ich bekam keine Antwort. Hilfesuchend bewegte ich meinen Kopf hin und her, und suchte nach Licht. Plötzlich spürte ich einen durchdringenden Stich in meinem Rücken. Ich krallte mich am Stuhl fest, als ginge es um mein Leben. Der Schmerz nahm mir den Atem. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Starr vor Angst begann mein Körper zu zittern. Ich war leicht abgemagert, weil ich mich zu krank zum Essen fühlte.
"Was soll das?", brachte ich mit gebrechlicher Stimme heraus.
Auch diesmal antwortete man mir nicht. Man hatte mir eine lange Nadel ins Rückenmark gejagt. Ich spürte wie sich die kalte Flüssigkeit in meinem Rücken verteilte. Stumm rollten mir Tränen über mein blasses Gesicht. Ich bereute, was ich vor einiger Zeit getan hatte. Ich hatte den Ärzten, die mich behandelten, gesagt, dass eine fremde Seele in mir hauste. Sie glaubten wahrscheinlich, dass dies der Grund für meinen schlechten Gesundheitszustand war. Ich konnte es selbst nicht ganz einschätzen, aber zum Teil war ihre Vermutung nicht unbegründet. In dem Moment, in dem man mir das Sehen genommen hatte, wusste ich was vor sich ging. Ohne meine Einwilligung versuchten sie, mir die Seele des Toten auszutreiben. Sie exorzierten mich auf grausamste Weise. Meine Schreie drangen bis zum Flur durch. Nach einiger Zeit versagte meine Stimme.
"Nein!! Bitte nicht!! Ich halt das nicht mehr aus!!", krächzte ich.
"Das bringt doch nichts, verdammt! Sehen Sie nicht, dass das keinen Effekt hat?", hörte ich eine Männerstimme brüllen.
"Und was sollen wir jetzt mir ihr machen?!", erwiderte eine Frau.
"Verlegt sie auf die Intensivstation. Nach 2 Tagen könnt ihr sie nach Hause schicken. Mehr können wir nicht für sie tun."
Die Schritte des Oberarztes verstummten. Eine Tür wurde zu gedonnert. Das war alles zu viel für mich gewesen. Ich hielt das Leid nicht mehr aus. Meine offenen Wunden, die ich mir beim Exorzieren aufgekratzt hatte, brannten unerträglich. Mein Bewusstsein ließ nach. Ich sank auf dem Stuhl zusammen.
Man verlegte mich in ein Einzelzimmer auf die Intensivstation. Ich war für eine lange Zeit bewusstlos.

Eine kurze Schmerzwelle erschütterte meinen zierlichen Körper. Ich versuchte aufzuwachen, aber ich konnte nicht. Ich spürte meine Beine und Arme nicht mehr. Wieder durchströmte mich ein gnadenloser Schmerz. Dann war er blitzartig verschwunden.
"Ko...", drang zu mir durch.
Ich bekam nichts heraus.
"Hörst du mich, Ko?"
Die sanfte aber tiefe Männerstimme beruhigte mich, denn innerlich war ich total aufgekratzt. Leider konnte ich nicht feststellen, wo sie her kam. Es hörte sich an, als würde der junge Mann in meinem Kopf mit mir kommunizieren. Ich musste meine Lippen nicht bewegen, um ihm zu antworten.
"Ja... Ich bin Ko... Kotsuki ist mein richtiger Name. Was willst du von mir?"
"Es tut mir so leid, wirklich. Ich wünschte, ich hätte dir das nicht antun müssen."
Ich spürte ein kurzes Stechen in meiner Brust. Dann war es wieder verschwunden.
"Wofür? Wofür entschuldigst du dich?"
"Dass...", seine Stimme zitterte. "Dass ich..."



Plötzlich wurde ich wach gerüttelt. Eine Krankenschwester schlug mir leicht auf die Wangen.
"Hallo! Aufwachen!"
"Was?! Was?!"
Schweißgebadet schreckte ich auf.
"Wie geht es Ihnen?"
Ich sah mich nervös um.
"Weiß nicht..."
Die Schwester verließ das Zimmer und schloss leise die Tür. Ich starrte auf meine bleichen Hände. Mir wurde kurz schwarz vor Augen, als ich versuchte aufzustehen, bis ich bemerkte, dass ich an ein Gerät angeschlossen war. Ich riss die Kanülen inklusive Schläuche aus meinen blassen Unterarmen heraus und schluckte den brennenden Schmerz einfach herunter.
Als ich auf beiden Beinen stand, mich aber am Bettgerüst abstützen musste, spürte ich, dass sie kurz vor dem Versagen waren. Ich ließ mich sofort auf die Matraze zurückfallen.
"Warum ich..."
Heulend packte ich mir an den Kopf. Ich wollte endlich nach Hause. Egal was die Ärzte sagen würden. Sie hatten mit mir ja sowieso etwas getan, bei dem ich nicht zugestimmt hatte. Mit Müh und Not kramte ich meine Sachen zusammen und zog mich um. Vorsichtig und noch immer mit leichten Kreislaufstörungen durchquerte ich den leeren Flur bis zur Tür, an der ich mich kurz festhalten musste, weil ich sonst zusammen geklappt wäre. Ich schleppte mich mit letzter Kraft nach Hause.
Wenig später lag ich auch schon völlig erschöpft auf dem Sofa. Ich konnte keinen Finger mehr krümmen, so fertig war ich. Eine große Schmerzwelle holte mich ein. Ich rollte mich auf der Couch hin und her.
"Es tut so weh!!"
Vorbei. Ich atmete aus und schloss meine Augen. Ich musste mich dringend erholen. Kurze Zeit später schlief ich ausnahmsweise mal ein.

Ich ging durch einen verschneiten Park. Ich fühlte mich wohl und gesund. Ich bemerkte einen jungen Mann alleine auf einer Bank sitzen. Ich traute mich aber nicht, mich neben ihn zu setzen und blieb stattdessen einige Meter von ihm entfernt stehen und beobachtete ihn. Er wirkte geknickt. In seinen hellbraunen, wuscheligen Haaren war Schnee und seine Brille war beschlagen. Er nahm sie ab und trocknete die Gläser mit seinem braunen Schal. Ich konnte erkennen, dass seine Augen hellgrün waren. Ich liebte Männer mit grünen Augen. Vorsichtig wagte ich mich, ihm zu nähern. Ich wollte ihn nicht erschrecken. Der Schnee knirschte unter meinen Stiefeln. Er hob den Kopf und sah in meine Richtung. Als er mich entdeckte, lächelte er mich nett an und zeigte auf den freien Platz neben sich. Dankend ließ ich mich auf der Bank nieder. Eine Weile starrte ich nur in den dunklen Himmel, aus dem die glitzernden Schneeflöckchen fielen. Der Mond war bereits aufgegangen und strahlte hell, so wie meine Augen es immer taten. Ich hatte schon oft zu hören bekommen, dass meine Augen so wunderschön aussehen würden, wie der Mond selbst. Das bekam ich nun auch von dem Mann, der neben mir saß, zu hören, was er allerdings nur ziemlich leise und verschüchtert heraus brachte. Verkrampft rieb ich mir meine Hände, die in weiße, flauschige Handschuhe eingepackt waren.
"Entschuldigung... Bin ich Ihnen damit zu nahe getreten?"
Ich schüttelte zaghaft aber aussagekräftig den Kopf. Dabei zog ich die lila Mütze über meine Ohren und band meine langen, schwarzen Haare zu einem Zopf zusammen , den ich über meine Schulter fallen ließ.
"Oh, ich dachte, weil Sie nichts gesagt haben..."
"Was sollte ich denn dazu sagen?"
"Ich weiß nicht...", antwortete er gehemmt.
Ich sah wieder zum Himmel empor, schweigend. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass er betreten zur Seite schaute und nervös mit seinem Schal spielte. Ein komischer Kerl. Doch auf eine seltsame Art und Weise fand ich ihn interessant. Diese Erkenntnis löste Aufregung in mir aus. Von Panik ergriffen, stand ich auf und sah mich hektisch um.
"Was ist denn?", fragte er kleinlaut.
Ich drehte mich zu ihm um.
"Was? Ist doch nichts."
Ich fuchtelte nervenschwach mit meinen Armen herum.
"Tut mir leid. Ich muss gehen."
Ich lief davon und ließ den verwirrten, jungen Mann, der mir ratlos hinterher sah, einfach dort sitzen. Ich rannte und rannte immer weiter durch den Park, schließlich durch einen Wald. Es wurde immer dunkler. Nur das Mondlicht zeigte mir den Weg. Plötzlich merkte ich, wie mein Körper steif wurde. Ich konnte keinen Muskel mehr bewegen.



Mit einem Schrei schreckte ich auf. Ich atmete schwer. Ich drückte meine Hand auf meine Brust und hustete. Ich bekam kaum noch Luft. Jetzt verfolgte mich meine Krankheit sogar schon bis in meine Träume. Seltsam genug, dass ich überhaupt wieder träumte. Ich hatte, seit eine zweite Seele ungewollt in mir wohnte, nicht mehr geträumt.
"Das ist doch unmöglich..."
Ich setzte mich auf und schob die Wolldecke beiseite. Hatte der Albtraum endlich ein Ende und die Seele des Toten war aus meinem Körper verschwunden? Dieser Gedanke kitzelte ein Lächeln aus mir heraus. Ich stand auf und begann absichtslos zu zittern. Ein furchtbar schmerzhafter Stich, der durch meinen ganzen Leib fuhr, ließ mich auf die Couch zurück fallen.
"Das kann doch nicht sein, verdammt!"
Ich wälzte mich vor Schmerz.
"Ich dachte, du wärst endlich verschwunden!", jammerte ich verzweifelt und mit Tränen des Elends in den Augen.
Wieder spürte ich Pein durch meinen Körper fließen.
"Verschwinde endlich!"
Einige Sekunden später lag ich erstarrt auf dem Boden. Meine hellen Augen weit aufgerissen. Ich lag dort wie tot. Und so fühlte ich mich auch.
"Ich kann nicht mehr...", wimmerte ich.
Mein Wehgeschrei hatte niemand gehört. Ich konnte mein Handy nicht aus meiner Hosentasche holen, um meine Schwester anzurufen, die mich gebeten hatte, sie immer zu benachrichtigen, sobald es mir schlecht ging, was ich aber meistens nie getan hatte, weil sie auch ihr eigenes Leben hatte und ich nicht wollte, dass sie ihre ganze Zeit damit verbrachte, sich um mich zu kümmern. Ich musste somit warten, bis ich mich wieder bewegen konnte. Und dann würde ich endlich eine Lösung finden, um diese lästige Seele, die mein Leben kaputt machte, los zu werden.
Nicht viel später konnte ich dann auch endlich wieder laufen und machte mich sofort auf den Weg zu meiner Schwester, dessen Freund sich mit Übernatürlichem auskannte und mir vielleicht zu helfen wusste.
Er überreichte mir auch gleich einen ganzen Stapel Bücher, die ich mir zu Hause angekommen sofort nacheinander vornahm. Bis jetzt hatte ich noch nichts Interessantes gefunden. Nach 8 dicken Büchern von 21. Ich schnaufte und sah auf die Uhr. Es war 1:43 Uhr. Ich brauchte eine Pause und machte mich somit im Bad fertig zum Schlafen gehen.
Wie jeden Abend schminkte ich mich ab. Als ich in den Spiegel sah, schreckte ich schreiend zurück und fiel in ein Regal, das hinter mir stand.
"Nein, nie und nimmer."
Hatte ich wirklich den Mann aus meinem letzten Traum im Spiegel gesehen oder war ich einfach nur müde?
Ich stand vorsichtig auf und sammelte alles, was aus dem Regal heraus gefallen war, wieder ein und stellte es ordnungsgemäß an seinen Platz. Ein kurzer Blick in den Spiegel versicherte mir, dass ich

darin zu sehen war.
Kurze Zeit später lag ich in eine weiche, warme Decke eingewickelt in meinem Bett. Ich konnte nicht schlafen. Nicht weil ich Schmerzen hatte, sondern weil ich an diesen Mann denken musste. Ich hatte mich in seiner Gegenwart irgendwie so unbeschwert gefühlt. Frei von all dem Schmerz. Und das obwohl ich nur geträumt hatte. Trotzdem fühlte ich mich gut, wenn ich an ihn dachte.
Ich sah an die Zimmerdecke und stand nach kurzem Überlegen auf. Ich schaute aus dem Fenster. Wie in meinem Traum schien der Mond hell und klar. Die Wolken zogen still vorbei und streiften ihn. Ich fühlte mich dem unbekannten Mann aus meinem Traum beim Anblick des Mondes ganz nah. Mir wurde warm. Aber nur ein bisschen. Der Gedanke an ihn zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen.
Ich zog die Gardinen zu und legte mich mit einem befreiten Gesichtsausdruck ins Bett. Kurz darauf schlief ich ein.

Ich fand mich am Waldrand wieder. Dort wo mein letzter Traum geendet hatte. Ich rappelte mich auf. War er schon weg? War er aufgestanden und gegangen?
Ich rannte in den Park, in seine Richtung. Ich spürte ihn. Er war noch nicht weg. Zum Glück.
Abgehetzt kam ich nach wenigen Minuten bei der Bank an, auf der er noch immer saß. Er sah mich durch seine schon wieder beschlagenen Brillengläser an.
"Wo kommen Sie denn wieder her?"
"Ich bin... Ich wollte...", ich strich mir durch mein seidiges, glattes Haar.
Er hatte mich in Verlegenheit gebracht. Peinlich berührt setzte ich mich wieder neben ihn.
"Ich habe vergessen, nach Ihrem Namen zu fragen..."
Verwundert blickte er mich an, nachdem er seine Brille abgenommen, angehaucht und getrocknet hatte.
"Nach meinem Namen...?"
Ich nickte leicht. Freudestrahlend lächelte er mich an.
"Ich heiße Ciel. Und wie heißen Sie?"
"Mein Name ist Kotsuki. Sie können mich aber gerne Ko nennen..."
"Kotsuki... Das ist japanisch und bedeutet 'kleiner Mond'..."
Ich schaute verlegen zur Seite. Vorsichtig tastete ich nach seiner kalten Hand. Als ich sie gefunden hatte, nahm ich sie. Sie wurde warm. Ich hatte ein wenig Kribbeln im Bauch. Nach ein paar Sekunden nahm er auch meine Hand in seine. Ich fühlte mich so unglaublich gut. Ich wollte am liebsten nie wieder aufwachen.
Wir saßen eine ganze Weile einfach nur da und schauten zum Himmel, zum Mond. Ich genoss es sehr.
"Ko... Du wirst bald aufwachen..."
Ich sah ihn bestürzt an.
"Dir ist bewusst, dass du schläfst. Das hier ist bloß ein Traum. Du wanderst als Seele hier herum. Ich muss dich jetzt gehen lassen."
Ich schüttelte heftig mit dem Kopf.
"Nein! Nein! Ich will nicht wieder zurück, bitte! Ich halte diese Schmerzen, die ich jeden Tag ertragen muss, nicht mehr aus!"
Als ich in seine Augen sah, bemerkte ich, dass er kurz vor dem Weinen war.
Plötzlich wurde es weiß vor meinen Augen. Ich spürte seine Hand dennoch.
"Ich werde wiederkommen, Ciel...", flüsterte ich leise.
Dann merkte ich, dass ich aufwachte.




II.



Ich wachte aufgeregt auf und sprang sofort aus dem Bett. Ich war so glücklich, wie schon lange nicht mehr. Ich bemerkte sogar noch nicht einmal, dass mich ein kurzes Stechen in der Brust begrüßte. Ich hatte nur ihn

im Kopf.
Ich machte mir, wie sonst an keinem Morgen, eine Schüssel Müsli fertig und bedeckte die Cornflakes mit Milch. Ich as so schnell es ging. Ich konnte es kaum erwarten, mich am späten Abend in mein Bett zu legen, einfach zu träumen und Ciel wieder zu sehen. Was mich allerdings irritierte, war sein ständiger, trauriger Gesichtsausdruck. Oft sah er aus, als würde er am liebsten einfach nur noch weinen. Zudem hatte ich auch noch das Gefühl, dass er nachempfinden konnte, wie ich mich mit meinem Fluch und meiner Krankheit fühlte, und er

sich dafür verantwortlich machte. Für mich machte das keinen Sinn. Es steckte keine Logik dahinter. Ich hatte diesen Mann noch nie zuvor in meinem Leben getroffen. Und das würde ich auch nie, weil er nur in meinen Träumen existierte. Er schien ein Mensch zu sein, den ich in meinen Träumen erschaffen hatte.
Dann musste ich auch noch diesen lästigen Mitbewohner aus mir heraus bekommen, was sich auch nicht als besonders einfach erwies.
Ich war den ganzen restlichen Tag damit beschäftigt, mich durch den Stapel Bücher zu arbeiten. Am späten Nachmittag hatte ich sogar Glück. In einem Buch stand etwas über Seelenaustreibung:
Um die zweite Seele in mir loszuwerden, musste ich den qualvollen Schmerz erleiden, mir in die Brust zu stechen.
Angeblich hätte ich damit die fremde Seele getötet. Wirklich glauben konnte ich das allerdings nicht. Es hörte sich an, als sei dieser Bericht im Mittelalter geschrieben worden.
Ich wollte es dennoch versuchen. Koste es, was es wolle. Ich wollte nicht weiterhin so leben müssen.
Ich schlenderte in Gedanken versunken in die Küche. Ich schnappte mir ein Küchenmesser und starrte es eine ganze Weile an, bis ich es mir vor die Brust hielt. Meine Hände zitterten. Ein Klirren ertönte. Das scharfe Messer war mir aus meinen feuchten Händen entglitten. Ich konnte nicht. Ich hatte große Angst vor dem Schmerz, der mich zerstören würde. Und das Schlimmste war, dass ich ganz allein durch diese Höllenqualen gehen musste. Niemand war da, der mich unterstützte. Ich wünschte mir Ciel herbei. Dann würde es mir leichter fallen und diese Todesangst würde mich loslassen. Er würde ganz nah bei mir sein, meine Hand halten und... Das war alles nur eine schöne Vorstellung, die vermutlich nie in Erfüllung gehen würde.
Den Rest des Tages beschäftigte ich mich damit, meine Gefühle in ein leeres Buch zu schreiben. Ich hatte es schon ewig und noch kein einziges Mal benutzt. Damals hatte ich es mir als Tagebuch angeschafft. Nun schrieb ich zum ersten Mal meine Gefühle hinein.
'Ich vermisse ihn unheimlich. Obwohl ich ihn gar nicht richtig kenne. Aber in seiner Gegenwart fühle ich mich einfach wohl. Er hört mir zu. Er ist für mich da. Er ist einfach etwas ganz Besonderes. Und er ist auch etwas ganz Besonderes in meinem Leben. Ich empfinde mehr als Freundschaft für ihn. Er sieht nicht nur gut aus, auch sein Charakter ist goldwert. Ich freue mich so sehr darauf, Ciel wieder zu sehen...'
Total verträumt schrieb ich die Seite des Buches voll und malte unwillkürlich ein kleines Herzchen hinter seinen Namen. Ich war so unendlich glücklich.
Am Abend, kurz nach Dämmerung, konnte ich nicht anders, als mich ins Bett zu legen und zu versuchen einzuschlafen, was mir leider nicht gelang. Ich wälzte und verfluchte mich, weil ich nicht schlafen konnte. Ich vermisste ihn so sehr und konnte es nicht länger ohne ihn aushalten.
Ich suchte auf meinem Nachttischschrank nach einer Pillendose. Musste ich nun tatsächlich Schlaftabletten nehmen, um endlich bei ihm sein zu können?
Ich schluckte gleich drei auf einmal. Wenige Minuten später merkte ich auch schon, wie ich langsam müde wurde. Ich lag ganz ruhig und starr unter meiner Decke und wartete auf das endgültige Wegtreten. Meine Augen fielen zu.

Ich sah mich um in dieser verschneiten Landschaft. Wo war ich? Aber doch nicht da, wo ich ihn zum ersten Mal getroffen hatte. Ich ging ein paar Meter den weißen Pfad entlang. Plötzlich hörte ich einen Atem. Er stand direkt hinter mir. Ich konnte mich keinen Zentimeter vom Fleck bewegen. Er hatte mich vollkommen überrascht.
"Du bist tatsächlich wiedergekommen... Warum, Ko? Es ist nicht gut für dich. Anders gesagt: Ich

tue dir nicht gut. Einfach aus dem Grund, dass ich-"
Ich legte meinen Zeigefinger auf seine weichen Lippen.
"Bitte... Sag jetzt nichts...", flüsterte ich.
Er nickte leicht.
"Tut mir leid...", kam leise und sanft von ihm zurück.
"Ich freue mich, dich zu sehen, Ciel... Ich habe die ganze Zeit an dich denken müssen, weil du mir sehr ans Herz gewachsen bist..."
Er schüttelte den Kopf.
"Ko, wir kennen uns kaum. Und ich kann dich nicht länger treffen. Außerdem hast du so unglaublich wichtige Dinge zu erledigen. Du musst doch die Seele von diesem toten Mann aus deinem Körper verbannen. Ich denke, das ist genug Arbeit."
Ich klammerte mich verzweifelt an ihn.
"Ich... Ich kann das nicht alleine! Ich habe so furchtbare Angst!"
Er legte vorsichtig seine starken, schützenden Arme um mich. Ich fühlte mich bei ihm sicher und geborgen. Er streichelte mir mit seiner Hand über mein seidiges Haar.
"Ich bin immer bei dir... Auch wenn wir uns gerade nicht sehen können... Vergiss das bitte nie, ja?", seine raue Stimme zitterte.
Ich sah zu Boden. Ich wusste nicht, was ich von seiner Bitte halten sollte. Aber ich wollte nicht zu sehr darüber nachdenken. Ich wollte einfach die Zeit mit ihm genießen. Und am liebsten wollte ich ihm endlich sagen, was ich für ihn empfand. Aber das war gar nicht so einfach, wie es mir vorkam. Ich wollte mich, so wie er es gesagt hatte, erst um mein Wohlbefinden kümmern. Obwohl ich das als ziemlich egoistisch empfand.
"Aber ich will trotzdem noch nicht gehen, Ciel. Ich will noch ein bisschen bei dir bleiben."
Ich schmiegte mich an ihn, doch er drückte mich vorsichtig weg.
"Nein, bitte... Du musst es so schnell wie möglich hinter dich bringen. Ich will nicht, dass du weiter so leiden musst..."
"Na gut... Aber ich werde wiederkommen."
Er zwang sich ein Lächeln heraus, das weder Freude noch Glück ausstrahlte. Es war von Trauer geprägt. Er strich mir über meine blasse Wange.
"Wir werden uns nicht mehr wieder sehen, Ko... Nie wieder..."
Schockiert blickte ich ihn an.
"Was?! Aber... Ich werde wiederkommen. Ich werde

wiederkommen! Versprochen!", meine Stimme zitterte und ich hatte Tränen in den Augen.
Auch seine Augen wurden glasig.
"Es tut mir so leid. Ich wünschte, wir hätten zusammen sein können...", er küsste mich.
Ich schloss meine Augen. Die Tränen, die ich versucht hatte zurück zu halten, liefen über meine Wangen, die er sanft wegwischte.



Als ich vorsichtig meine Augen öffnete, war er verschwunden und ich sah an meine Schlafzimmerdecke. Ich hielt mir mit zitternden Händen den Mund zu. Ich war kurz vor einem Heulausbruch. Ich setzte mich dabei auf, in der Hoffnung mich beruhigt zu haben. Langsam ließ ich meine eiskalten Hände in meinen Schoß fallen. Der Gedanke an das, was er zuletzt gesagt hatte, versetzte mir den letzen Schlag. Ich begann bitterlich zu weinen. Diese Sehnsucht zerstörte mich. Mein Kopf war kurz vor dem Platzen. Mein Herz fühlte sich an, als wäre es zersprungen. Die Schreie der Verzweiflung befreiten sich aus meiner gebrochenen Seele.
Ich lag eine ganze Weile nur da und weinte still und leise vor mich hin, bis mich Entschlossenheit packte. Ich wurde diese Seele des Toten, der mir mein Leben zur Hölle gemacht hatte, jetzt und auf der Stelle los. Mit einem verbitterten Gesichtsausdruck rannte ich in die Küche, um mich selbst zu verletzen. Das war nun mal die einzige Möglichkeit. Ich würde die Schmerzen irgendwie ertragen können. Schlimmer als das, was ich jeden Tag erlebte, konnte es nun wirklich nicht sein.
Ich spielte mit einem kleinen Küchenmesser herum. Doch ich befürchtete, dass diese Klinge nicht ausreichen würde, um mein Ziel umzusetzen. Es musste etwas Schärferes und Durchdringlicheres sein. Etwas das mich auf einen Schlag von diesem Fluch befreite.
Ich durfte keinen Gedanken an die Zukunft verschwenden. Ich wusste, wie sie aussehen würde.
Ich weinte bitterlich, als ich mir ein Messer mit einer größeren Klinge holte. Seine Worte ließen mich noch immer nicht los. Ich hatte mich unsterblich in ihn verliebt. Ja, in einen Mann, der nur in meinen Träumen zu existieren schien und für mich somit unerreichbar war.
Ich schrie auf, als ich mir das Messer in die Brust rammte. Mein Pullover verfärbte sich in ein dunkles Rot. Mir wurde kurz schwarz vor Augen. Ich rang nach Luft und packte mir dabei an den Hals. Ich wollte mir das Telefon schnappen, aber so weit kam ich nicht. Mir wurde schwindelig. Noch einen einzigen Schritt nach vorne konnte ich machen, doch dann ließen meine Beine nach und ich knallte mit voller Wucht auf den kalten Küchenboden.
Meine Kraft hatte mich verlassen. Ich lag nur blutend und regungslos da, bis meine Augen zufielen und ich mich nicht mehr rührte.
Es war vorbei. Mein Leben war zu Ende. Was mit mir passiert war, war meine eigene Schuld. Aber das Schlimmste war, dass ich ihm nicht 'Auf Wiedersehen' gesagt hatte.


III.



"Ciel! ... Ciel!", schrie ich niedergeschlagen.
War es wirklich so, wie er gesagt hatte? Dass wir uns nie wieder sehen würden? Ich konnte und wollte es nicht akzeptieren.
Ich lief an kahlen Bäumen vorbei, sah mich verzweifelt um.
Ich erblickte die leere Parkbank, auf der wir uns kennen gelernt hatten, und war sofort den Tränen nahe. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, in seinen Armen zu liegen. Ich hatte mich jedes Mal gefreut, ihn zu sehen. Er machte mich glücklich. Er ließ mich endlich nach langer Zeit wieder leben.
Ich näherte mich traurig der Bank und ließ mich bedrückt auf ihr nieder.
Ich starrte eine Weile nur schweigend vor mich hin, bis ich unerwartet eine Stimme in der Ferne hörte. Ich hob den Kopf und lauschte.
"Ko...", rief jemand.
Ich konnte nicht ganz einordnen, ob es sich um die Stimme eines Mannes oder einer Frau handelte. Dafür war sie zu leise.
Plötzlich packte mich der Schmerz und ein unerträgliches Stechen lähmte meinen Körper. Es fraß mich nahezu auf. Meine Augen begannen zu tränen.
Auf die düstere Umgebung, die nur vom Vollmondlicht erhellt wurde, legte sich Nebel.
Der Schmerz verschwand. Das ununterbrochene Stechen ließ nach.



Ich öffnete vorsichtig meine Augen und sah direkt in das Gesicht meiner Schwester.
"Was..."
"Nicht reden, ja?", beruhigte mich Hana.
Sie beugte sich über mich und legte prüfend die Hand auf meine Stirn. Dann sah sie ihren Mann an, der sich auf einem Stuhl nieder gelassen hatte.
"Wo... Wo bin ich?", brachte ich mit Müh und Not heraus.
Sanft strich meine Zwillingsschwester über meine Wange.
"Val und ich haben dich bewusstlos und blutüberströmt in deiner Küche gefunden. Er hat natürlich sofort den Krankenwagen angerufen, während ich versucht habe, dich wach zu bekommen", ihre Stimme zitterte, während sie mich bestürzt und mit glasigen Augen ansah.
"Ich dachte, ich wäre tot... So hat es sich jedenfalls angefühlt..."
"Es ist alles gut. Du bist jetzt im Krankenhaus. Die Ärzte haben sich sofort um dich gekümmert, als du eingeliefert wurdest."
Ich setzte mich mit aufgerissenen Augen auf und sah mich um. Mich packte die Panik, als ich bemerkte, dass ich in dem Krankenhaus war, in dem man mich exorziert hatte.
"Nein... Nein! Nein!!", ich schlug wild um mich.
"Ko! Hör auf! Willst du dich umbringen?!", schrie Hana verzweifelt.
Noch stand niemand am Zimmerfenster, kein Arzt, keine Krankenschwester.
Ich riss mir die Kanülen aus den Armen.
"Ko!!"
Hana's Ehemann Val hatte sich bereits vor die Tür gestellt, um mir den Weg zu versperren.
Ich versetzte meiner Schwester einen Stoß, um sie von mir fern zu halten, als sie versuchte, mich festzuhalten.
"Lass mich, Hana!! Lass mich, verdammt!!"
Noch war ich nicht vom Bett hochgekommen. Ich überprüfte erneut, ob ein Arzt oder eine Krankenschwester am Fenster stand oder gar versuchte, herein zu kommen. Es stand jemand am Fenster…
Ich hielt mir panisch die Hand vor den Mund, um nicht los zu heulen. Mein ganzer Körper zitterte. Mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
Ciel sah mich durch seine leicht beschlagene Brille an, die er anschließend mit seinem Schal trocknete. Dann winkte er mir mit einem Lächeln zu.
Ich rannte taumelnd durch das Zimmer und prallte gegen die Fensterscheibe.
Er trat einen Schritt zurück und sah mich geschockt an.
Plötzlich hing Hana an meinem Arm.
"Hör auf, bitte!", flehte sie.
Ich sah sie nur vollkommen fertig mit den Nerven an. Dabei schlug ich mit geballter Faust gegen das Fensterglas. Dann starrte ich wieder in den Flur. Ohne, dass ich meinen Kopf drehte, sah ich nach links und rechts.
Der Gang war komplett leer.
"Das kann nicht sein...", flüsterte ich.
Meine Schwester ließ mich vorsichtig los.
"Was ist los mit dir? Die fremde Seele ist aus deinem Körper verschwunden, als du dich beinahe umgebracht hättest! Ko, hättest du dir nicht einen anderen Weg aussuchen können? Verdammt, ich hätte dich fast verloren!", weinend ließ sie sich in die Arme ihres Mannes fallen.
Ich senkte nur stumm mein Haupt zu Boden.

Mein Gesundheitszustand war überraschend gut, sodass ich noch am selben Tag entlassen wurde.
Für mich war der 'Fall' abgeschlossen. Ich hatte meinen Körper zurück und musste ihn mir mit keiner fremden Seele, die mir das Leben zur Hölle machte, mehr teilen.
Leider kam ich von ihm

nicht los. Jeden Abend, wenn Vollmond war, stand ich am Fenster und erinnerte mich an die Träume, in denen ich im Mondlicht mit ihm auf der Parkbank gesessen hatte. Jede Nacht lag ich wach. Ich wollte nicht einschlafen, weil ich wusste, dass er nicht da sein würde.
Ich lebte mein Leben ganz normal weiter wie bisher, natürlich ohne innerliche Schmerzen. Ich ging meiner Arbeit nach. Ich arbeitete als Lektorin und war deshalb oft in einem Verlag oder zu Hause.
Als ich eines Morgens auf dem Weg zu dem Verlag war, bei dem ich zurzeit arbeitete, sah ich ihn

, Ciel.
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Warum? Warum sah ich ihn überall? Ja, weil ich ihn liebte und immer noch an ihm hing, aber warum hatte ich ständig das Gefühl, ihn in meiner Nähe zu haben.
Er saß mit einem Kaffeebecher auf einer Bank. Vorsichtig ging auf ihn zu, blieb dann aber einige Meter entfernt stehen und beobachtete ihn.
War er wieder nur eine Illusion, eine schöne Vorstellung oder war er wirklich real?
Nach ein paar Minuten fasste ich meinen ganzen Mut zusammen, setzte mich zu ihm auf die Bank und starrte gedankenverloren in die Ferne.
Er war voll und ganz auf den Sonnenaufgang konzentriert, bis er mich dann bemerkte und aus den Augenwinkeln beobachtete.
Nach einer Weile stand er auf und ging. Ich versuchte irgendetwas heraus zu bekommen, aber es ging nicht. Ich brachte kein Wort heraus.
Ich rannte ihm aus Verzweiflung hinterher und hielt ihn von hinten fest, indem ich meine Arme um ihn schlang.
Als erstes war ich geschockt, denn als ich sein Herz klopfen spürte, wusste ich, dass er wirklich existierte. Doch dann war ich glücklich, dass er da war. Ich drückte mich fester an ihn.
Er ließ seinen fast leeren Kaffeebecher fallen und begann zu zittern.
"Ciel... Du bist es doch, oder?", wimmerte ich.
Er reagierte nicht.
Ich ließ ihn los und stupste ihn von hinten an.
"Ciel... Ciel!"
Er rannte davon, ich ihm hinterher. Ich würde ihn nicht entkommen lassen, denn er musste

es sein. Es konnte niemand anderes sein.
Er sprintete zum nahe gelegenen Meer.
"Was tust du da?!", schrie ich hilflos.
Er ging solange weiter, bis ihm das Wasser bis zur Brust reichte. Dann drehte er sich zu mir um und sah scheinbar ungerührt an mir vorbei.
Ich näherte mich ihm vorsichtig, denn ich wusste nicht, was er vorhatte.
Er streckte mir abweisend die flache Hand entgegen.
"Bleib weg von mir!"
Verwirrt musterte ich ihn.
"Du bist es doch, Ciel! Warum... Warum bist du so kalt zu mir?!"
"Ich hab dein Leben zerstört! Meine

Seele war in deinem Körper gefangen. Und ich habe dich so leiden lassen. Aber das habe ich erst gewusst, als wir uns zum ersten Mal in einem deiner Träume getroffen haben. Da habe ich es erst verstanden. Ich habe versucht, mit dir zu kommunizieren. Aber bei dir ist es bloß als innerlicher Schmerz angekommen. Jedes Mal, wenn ich dir 'Guten Morgen' gesagt habe, hast du nur ein unerträgliches Stechen gespürt. Und das wollte ich nicht! Ich wollte dich keine Schmerzen ertragen lassen!", seine Stimme zitterte.
Er fing bitterlich an zu weinen.
"Verdammt, es tut mir so leid. Ich wünschte, ich könnte das alles rückgängig machen. Du glaubst gar nicht, wie sehr mich das belastet. Ich kann dir nicht mal in die Augen sehen. Ich fühl mich einfach verantwortlich für das, was dein Leben eine Zeit lang war; die Hölle."
Verstört ging ich ein paar Schritte zurück.
"Ich hoffe so sehr, dass du mir irgendwann verzeihen kannst..."
Ich hielt mir den Mund zu, um nicht einfach los zu heulen. Leider konnte ich mich nicht beherrschen und brach weinend zusammen.
Er war als erstes überfordert mit der Situation, kam aber dann zu mir und nahm mich tröstend in den Arm.
"Es tut mir so unendlich leid, Ko... Bitte vergib mir...", flüsterte er.
Ich traute mich erst nicht, legte dann aber doch meine Arme um ihn.
"Ciel... Ich würde dir alles

verzeihen, solange ich dich wieder sehen darf."
Er sah mich verwundert an.
"Das heißt... Du vezeihst mir?"
Ich nickte mit einem glücklichen Lächeln. Auch er musste lächeln und biss sich, die Tränen zurückhaltend, auf die Unterlippe.
"Ciel... Ich muss dir etwas sagen..."
Er nickte.
"Ich hab mich in dich verliebt... Ciel..."
Er stutzte bestürzt.
"Was...? Aber wie kannst du-... Ich habe doch-..."
Ich legte meinen Zeigefinger auf seine Lippen.
"Sag jetzt nichts, bitte..."
Er nickte unmerklich, schmunzelte mich dann an und hob mich hoch.
"Hey!", lachte ich.
"Ich werde für immer bei dir bleiben, Ko. Natürlich nur, wenn du das willst..."
"Das wäre das schönste Geschenk, das du mir machen könntest", meine Augen wurden erneut glasig.
Er drückte mich an sich und flüsterte mir sanft ins Ohr:"Ich habe dich geliebt, seit ich dich das erste Mal sah. Und ich bin so unendlich froh, dass du mir verzeihen kannst. Ich möchte mein Leben mit dir verbringen und dir bis in alle Ewigkeit treu sein."
Er wischte die Träne, die mir meine Wange herunter lief, vorsichtig weg und strich mir liebevoll über den Kopf.
"Bitte, küss mich, Ciel...", ich schloss meine Augen.
Meine Bitte zauberte ein Lächeln auf seine Lippen und ließen auch seine Augen feucht werden.
"Mit großem Vergnügen..."
Ich spürte seine weichen Lippen auf meinen und erwiderte die leidenschaftliche Gefühle, die er mir schenkte. Und auch ich ließ meiner Liebe, die ich die ganze Zeit über für ihn in meinem Herzen, das er wieder zum Leben erweckt hatte, sicher behütet hatte, freien Lauf...


Epilog



Mit diesem Kuss schworen wir uns ewige Liebe und Treue. Er hatte mich wieder leben lassen und schenkte mir Wärme, die ich nie bekommen hatte.
Schon bald entschlossen wir uns dazu, zu heiraten, denn wir wussten, dass wir zusammen gehörten und dass das Schicksal es so entschieden hatte.
Unser nächster Plan war, eine kleine Familie mit ein oder zwei Kindern zu gründen.
Unser erster Sohn hieß Nate. Und als Nate knapp ein Jahr alt war, wurde ich wieder schwanger und wir freuten uns alle drei, dass bald das Familienglück vollständig werden würde.

Ich ging durch die Hölle, ohne zu wissen, dass ich später im Paradies leben würde... Und er

, der mein Leben zu einer einzigen Qual gemacht hatte, hatte es zu dem gemacht, was es heute ist...

Ich liebe dich und danke dir von ganzem Herzen, Ciel...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
All jenen, die in irgendeiner Weise krank sind: Überlasst nicht der Krankheit euer Leben, sondern überwindet sie und lebt nach euren Regeln.

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