Prolog
Und doch verfolgte man mich. Man wollte meine Untaten bestrafen. Man wollte MICH bestrafen. Das würde ihnen nicht gelingen.
Ich war schneller als ein Blitz, stärker als ein Gott, ich war ein Phönix. So stand es auf den Kopfgeldblättern, die jeden Tag aufs Neue verteilt wurden. Die Belohnung, die auf mich ausgesetzt war, erhöhte sich von Tag zu Tag.
Man sah mich stets mit meiner Maske und meinem Gewand durch die Städte jagen. Doch nur dann, wenn die glühend rote Sonne den Hang der Berge erreicht hatte und niedersank. Die Nacht gehörte mir. Ich kontrollierte die Dunkelheit, die meine Identität schützte. Alles war wie in einem Märchen, doch die Realität holte schneller ein als man glaubte. Es war eine wahre Erzählung, die Geschichte eines Phönixes...
I.
"Bitte... Verschone mich!"
"Niemand wird verschont!" Meine Klinge, die scharf wie Adlers Krallen war, durchtrennte die Kehle meines Gegners, der sich mir in den Weg gestellt hatte, gnadenlos.
Es war sonst keine Menschenseele in der Nähe. Dieser Mord würde erst dann jemandem auffallen, wenn ich bereits verschwunden war.
Ich ließ mein verziertes Schwert zurück in die Scheide gleiten. Meine vogelähnlichen Geräusche lockten einen Steinadler an.
"Onyx!"
Der braungefiederte Adler verwandelte sich in einen trainierten jungen Mann mit tiefschwarzem Haar. Seine dunklen Augen musterten mich. Er wusste, was ich von ihm verlangte. Er nickte schweigend.
"Beeil dich. Sie sind auf dem Weg, um uns zu töten..."
"Die Zeit wird vergehen, doch das Blut wird weiterhin über Eure Klinge fließen. Egal, wie oft Ihr versucht, das Blut abzuwischen. Es wird immer ein Teil übrig bleiben."
"Wer hat dir erlaubt zu sprechen? Du sollst deine Arbeit machen. So war es abgemacht. Ich nahm dich auf, habe dir den Schwertkampf beigebracht, damit du überleben konntest..."
Onyx stand kurze Zeit nur da, starrte auf die kopflose Leiche. An den Anblick hatte er sich gewöhnt.
"Hörst du mich?"
"Ja, sicherlich, verehrter Phönix."
Im Schein des Mondes schaffte er die Leiche hinfort, in eine Gasse. Ich beobachtete ihn nicht. Ich ging davon aus, dass er seine Arbeit gewissenhaft machte. Das Bild eines respektvollen, treuen Schattens, der mir half zu morden, was ermordet werden musste, täuschte. Er konnte manchmal ziemlich gehässig sein. Aber nur, wenn man seinen Gerechtigkeitssinn in Frage stellte.
"Ich kann den Geruch frischen Blutes absolut nicht ausstehen! Warum muss ich diese Drecksarbeit machen?"
"Frag nicht schon wieder! Wir haben keine Zeit. Lass uns gehen..."
Ich stapfte vor ihm davon.
"Tzz..."
Die bunten Federn meines Gewandes und der Maske, die ich trug, wehten ihm Wind. Das helle Licht des Mondes ließ meinen silbernen Schmuck glänzen.
Der Weg war weit, doch nicht zu weit für einen Phönix. Die Sonne begleitete uns. Wenn wir es brauchten, sank sie, ließ die Nacht hereinbrechen. Wenn wir ihre Wärme brauchten, um stärker zu werden.
Die Götter dieser Welt sahen mit einem Lächeln auf uns herab, schenkten uns Sieg um Sieg. Auch sie hatten eingesehen, dass Rächer besonderer Art und reinen Herzens die göttliche Aufgabe meistern könnten. Eine Botschaft, die vor über hundert Jahren ans Licht der Welt trat. Einen wertvollen Gegenstand zu finden und ihn den Göttern zurück zu geben, so hieß es. Die Geschichte eines mächtigen Bundes zwischen Himmel und Erde...
Der Rauch und die Funken des Lagerfeuers stiegen zum düsteren Himmel empor. Die Nacht war klar, Sterne glitzerten.
Ich ruhte in einer Decke eingewickelt. Ich trug die Maske auch während meines Schlafes. Nur Onyx kannte mein wahres Ich.
Ich atmete ruhig und langsam.
Er döste sitzend an einen Baum gelehnt neben dem knisternden Feuer.
Der Wind trug den Geruch unserer Verfolger zu mir.
"Onyx!"
"Mh...?" Verschlafen blickte er auf, in meine glänzende, verzierte Maske.
Ich war dabei unsere Vorräte und Decken zusammen zupacken. Man wollte dem Phönix und seinem Gehilfen, dem Adler, bei lebendigem Leibe die Federn ausrupfen. Wo war sie, die Gerechtigkeit.
"Auf!"
Noch im selben Moment waren wir verschwunden.
Sie ließen uns keine Ruh'. Man setzte wirklich alles daran, um uns aus dem Weg zu räumen. Sie selbst wollten die Macht an sich reißen. Abschaum; das war alles, was von ihnen übrig geblieben war. Ihre Habgier ließ sie auf dieses Ziel fixiert hinter uns her jagen. Sie glaubten, Götter zu jagen. Wir waren keine Götter im Blute, aber doch im Geiste.
Unsere Flügel trugen uns weit über die Berge. Die beiden Täler, die von einem reinen, blauen Fluss getrennt wurden, zogen uns an.
Wir flogen tiefer. Unsere samtenen Federn, die wir von jenem Blut fernzuhalten versuchten, streiften die Wasseroberfläche. Einige Tropfen perlten von meinem Flügel hinunter, glitzerten im morgendlichen Sonnenlicht. Das Gefühl von Freiheit holte uns ein. Wir wurden schneller, unwillkürlich.
Der Sand rieselte ungehindert durch die Uhr. Die Zeit würde nicht auf uns warten.
Viele Jahrhunderte später würde man über einen Phönix und einen Adler berichten, die einen heiligen Bund mit den Göttern eingingen, die die Welt vor dem Verderben erretteten.
Das war jedoch nicht in unserem Sinne. Wir wollten bloß die Macht mit den Göttern teilen, ihnen zeigen, dass die Menschen grausam und von Vernichtung getrieben waren.
Die Hälfte der Strecke zum Heiligen Tempel war bereits geschafft. Unsere Feinde hatten wir hinter uns gelassen. Die Götter waren stolz auf uns, für's erste.
Doch unsere Flügelschläge nahmen an Schwäche zu. Auch wir waren verletzlich, keine perfekten Gottesbilder, so wie man sie sich vorstellte.
Die goldene Lilie. Ein Gegenstand voller Schönheit und Stärke. Sie würde uns den Sieg bringen. Doch bis zu diesem Zeitpunkt würde es ein schwerer Weg sein, dessen Pfad mit Blut bespritzt sein würde.
Wir mussten erneut eine Pause einlegen. Doch diesmal hatten wir keine Angst um unsere Herzen. Unser Blut würde diese Nacht nicht fließen.
In dieser Nacht hatte ich einen Traum, eine Vision. Meine geliebte Göttin der Liebe, Venus, sprach zu mir:"Wie ein Phönix standest du wieder auf,
aus der Asche wie neu geboren,
das Leben nimmt wieder seinen Lauf,
ihm hast du dich verschworen.
Aus der Asche stiegst du empor,
einer Asche, in der du dich selbst verloren hattest.
Aus der Asche des heiligen Feuers,
der Asche, der du dich vor so langer Zeit verschworen hast.
Wir warten auf die rettende Erlösung,
niemand wird sie uns bringen,
nur der Phönix wird aus der Asche empor steigen.
Auf das ihr aus der Asche empor steigt."
Nach einer erholsamen Nacht, die wir beide dringend nötig hatten, trugen uns unsere kräftigen Flügel schneller denn je zu unserem Ziel. Wir kamen immer näher. Wir spürten den goldenen Staub durch unser Gefieder gleiten.
Meine Gedanken waren bei Hochwürden, der Göttin Venus. Sie wartete auf eine Antwort. Das war mir vollkommen bewusst. Ich schämte mich, ihr erst jetzt eine geben zu können.
'Zu Staub verbrannt,
aus Asche zu neuem Leben emporgestiegen.
Auf das wir,
aus der entstandenen Asche auferstehen.
Von neuem neu geboren werden.
Wie der Phönix aus der Asche.
So steigen wir,
nach jeder bitteren Erfahrung,
aus der Asche empor.'
Mehr konnte ich nicht erwidern. Der ewige Kreis der Unsterblichkeit hatte mich verlassen. Meine Verzweiflung verwandelte sich in Reue. Ich wollte es besser machen. Komme was wolle.
Die heiligen Berge, die von den Göttern selbst geformt wurden, erstreckten sich vor uns.
Plötzlich flogen Pfeile mit scharfen Spitzen an uns vorbei und strichen mein Kinn. Die Gottesfeinde hatten uns eingeholt. Sie versuchten uns erneut zu töten, ungeachtet der Konsequenzen, den Zorn der Götter herauf zu beschwören.
"Onyx!"
"Aaarrghh!!"
Ihn trafen mehrere. Seine Flügel schlugen nicht mehr.
"Onyx!!"
Er sank tiefer in der Lüfte. Ich versuchte vergebens, ihn zu retten.
"Du musst zum Tempel...ohne mich. Es tut mir leid, Lilium, verehrter Phönix..."
"Nein!!"
Ich konnte ihm nicht helfen. Ich gewann wieder an Höhe, er hingegen an Tiefe. Sein lebloser Körper stieß auf dem Boden auf. Seine Mörder erfreuten sich an dem glorreichen Sieg.
Unsere Reise war nicht gesegnet worden. Nun war ich auf mich alleine gestellt. Der Phönix musste allein weiterfliegen, zum Heiligen Tempel der Erlösung.
Angekommen am heiligen Ort kniete ich vor den goldenen Staturen nieder. Trotz Onyxs Tod musste der göttliche Gegenstand gefunden werden. Hier musste ich suchen, still und leise.
Ich durchwühlte die Gänge der riesigen Höhle.
Mein Gewand wurde staubig. Meine Augen glühten. Ich durfte die Maske noch nicht abnehmen.
"Lilium, Phönix..."
"Ja, meine Göttin... Ich bin es..."
"Wo ist er, der Haliaetos, Onyx?"
"Ich bitte um Verzeihung. Ich habe ihn sterben lassen, um meine Reise zum Heiligen Tempel fortsetzen zu können..."
"Weißt du denn nicht, wer er war, der Haliaetos?"
Ich schüttelte den Kopf. Meine Augen wurden matt und trüb. Ihr Leuchten war vergangen.
"Er war dein Bruder, Lilium."
Doch wieder glühten sie auf. Sie brannten. Auch die blauen Federn meiner Maske loderten.
"Nein! Das ist nicht-"
"Er war dein Bruder. Nun such' nach der Quelle der Macht, mit der du ihn rächen kannst, mit der du der Welt deinen Zorn beweisen kannst."
Wie meine Göttin, die Göttin der Jagd, Diana, mir befohlen hatte, jagte ich durch Fels und Geröll, getrieben von Verzweiflung und Hass.
Wieder draußen vor goldenen Denkmälern entdeckte ich in der Hand einer göttlichen Statur eine aus Gold gegossene Lilie, das Zeichen der Erlösung. Sie war der Gegenstand, der den Göttern verloren gegangen war. Sie musste den Göttern zurückgegeben werden. Ich entnahm der edlen Gottesstatur die wertvolle Blume, hob sie in die Höhe, hoffte auf ein Zeichen der Götter. Noch geschah nichts.
Ein Gewitter zog auf. Es donnerte und blitzte. Waren die Götter zornig?
Der Regen goss im Sturm auf mich herab. Die Wassertropfen perlten an meinem Gewand herunter. Der Hang begann zu bröckeln.
"Ich habe meine Aufgabe erledigt!! Habe so viel Leid und Schmerz über mich ergehen lassen!! Habe meinen geliebten Gottesbruder Onyx, den Haliaetos, sterben lassen!! Ich will ein Zeichen!!"
Ich sah ein helles Licht vor mir, dachte es sei ein Gott, doch dann traf ein Blitz meine Brust.
II.
Der brennende Schmerz fraß sich in meinen Oberkörper.
"So helfet mir doch!!", schrie meine Seele verzweifelt.
Keiner schien mich zu erhören.
Ich roch das Blut meines Bruders. Seine Mörder waren auf dem Weg zu mir. Die Götter mussten endlich die goldene Lilie zu sich nehmen. Sie durfte nicht in falsche Hände gelangen. Das würde den Untergang der Welt bedeuten.
"Zur Hölle, verdammt nochmal!! Wollt ihr, dass die Welt stirbt?!"
Noch einmal leuchtete ein Licht vor mir auf. Der Göttervater Juppiter sah auf mich herab.
"Bitte, Vater, nehmt Eure verlorene Hoffnung zurück an Euch."
Ich streckte ihm die glitzernde Blume entgegen, er nahm sie zu sich. Er überreichte mir eine von Gotteshand geschmiedete Klinge.
"Mit dieser wirst du, der Phönix, deinen Bruder rächen. Zeige der Welt deinen Zorn. Seine Mörder werden nicht ungestraft davon kommen. Nun meistere diese letzte Aufgabe und du wirst ins Gottesreich der Unsterblichkeit zurückkehren."
Mein Vater verschwand im Licht der wieder erschienenen Sonne.
"Mein Bruder wird mit dem Tod derer, die ihn ermordeten, zurück zu unserem Gottesvater kommen. So wie ich, wenn ich ihn gerächt habe. So sei es!"
Meine Feinde rückten näher, ich spürte ihre Mordgier. Ich ließ sie meinen Rachedurst spüren, der gestillt werden sollte.
Ihr Blut sollte über meine göttliche Klinge fließen, sollte in ihren Leibe eindringen, Schmerzen und Qualen verursachen.
Von jetzt auf gleich verdunkelte sich der Himmel, Blitz und Donner erschienen, trieben mich in den Wahnsinn.
Ich bewegte mich in Richtung Gesindel. Sie hoben ihre Schwerter gen Himmel, glaubten an einen erneuten Sieg, den ich ihnen nicht gönnen würde.
Das Blut des Phönix würde nicht fließen, so wahr mein Name Lilium war.
Ein letzter Blick zum Himmel, ich sah einen Adler am Himmel kreisen. Er sah mich mit seinen dunklen Augen an. Sein braungefiedertes Kleid glänzte.
Einer von ihnen warf ein Schwert nach mir.
Unaufmerksam, in Gedanken bei meinem geliebten Gottesbruder, traf es mich mitten durch mein Herz.
Die hoffnungsvolle und erlösende Klinge meines Vaters entglitt mir aus meiner Hand. Es klirrte, als sie auf dem Boden auftraf.
Ich schaute auf das gegnerische Schwert, über das nun MEIN Blut lief. Blickte dann auf.
Der Hang bröckelte. Ich machte ein paar Schritte zurück. Ich stand am Hang des Berges, vor dem Abgrund der Tiefe.
Ich war vom Strahl der Sterblichkeit, der aus dem Himmel drang, getroffen worden.
Wieder glühten meine Augen.
Auf meinem Gesicht machte sich ein letztes Lächeln breit.
Sie hatten über die Götter gesiegt, aber wer die wahre Macht besaß, würde sich noch herausstellen.
Die Menschenwesen waren sich nicht sicher, ob ich nun kurz vor dem Sterben war. Sie spannten ihren Bogen und schossen einen Pfeil auf mich. Der traf mich am Kopf und war der vernichtende Schlag.
Während meines Falles vom Berg, löste sich die Maske von meinem Gesicht. Sie zerbrach.
Ich hatte meine Augen vor Schmerz zusammen gekniffen.
Mein dunkles, langes Haar wehte im Wind. Es glitzerte wie pures Gold.
Die Federn meines Gewandes rissen ab und wirbelten um mich herum.
Ich fiel in gähnende Leere. Man hörte mich nicht auf dem Boden aufprallen.
Man hörte nur einen Phönixruf...
-War nun der Lebensfunke des göttlichen Phönix erloschen?
Seine Geschichte erzählte man noch nach Hunderten von Jahren.
Der Sand rieselte weiter und weiter durch die göttliche Uhr der Zeit. Er würde niemals damit aufhören.
Die Zeit würde einen neuen Krieger der Götter erschaffen.
Der Phönix würde erneut aus der Asche des Todes emporsteigen, in den Kreislauf der Sterblichkeit eintreten.
Die Suche nach der goldenen Lilie würde von neuem beginnen.
Der Phönix, Lilium, würde die Reise erneut antreten.
Es würde wieder ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt werden. Es würde wieder Blut fließen, das der Gottesfeinde sowie des Phönixes selbst.
Wieder würde ihr Gottesbruder sie begleiten, von dem sie erst nicht wusste, dass er ihr Blutsverwandter war.
Der Mond würde aufgehen.
Ihre starke Klinge würde das Licht reflektieren.
Ihre Flügel würde sie bis zum Heiligen Tempel über Täler tragen.
Ihr wertvoller Schmuck würde glänzen.
Ihre Augen würden glühen.
Und die bunten Federn ihrer Maske und ihres Gewandes würden ewig exisieren...-
Tag der Veröffentlichung: 16.11.2010
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