Cover



II.




1. The new Mission



"Keine Sorge. Wir werden bald wieder kommen. Aber bitte, pass solange gut auf Estelle auf. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um Addie, Élèna und Jake zurückzubringen", versprach Alan seiner Cousine Malika.
Die nickte und erwiderte:"Vielen Dank, Alan. Ich werde dafür sorgen, dass es Estelle bald wieder besser geht."
"Ich werde bei ihr bleiben", fügte Akira hinzu.
Sie drückte ihren Bruder fest an sich und flüsterte:"Pass bitte auf dich auf, Kyo... Ich will dich nicht noch einmal verlieren."
Jeder verabschiedete sich von Jedem.
"Nun gut. Lasst uns gehen. Wir haben einen weiten Weg vor uns", verkündete Alan und reichte Malika und Akira, die auf der Erde blieben, um sich um die schwer verletzte Estelle zu kümmern, dankend die Hand.
"Viel Glück!"

Nach langem, erfolglosem Suchen in der Umgebung nach verschiedenen Portalen war die Abenddämmerung hereingebrochen und sie hatten sich in einer kleinen Höhle auf einem Felsvorsprung in einem Gebirge nahe der Stadt, in der Alan wohnte, ihr Lager zum Nächtigen aufgebaut.
Noir, Dan und Kyo waren sofort eingeschlafen, nachdem sie sich in ihre weichen, warmen Decken eingewickelt hatten.
Alan und sein Cousin Rémi saßen auf dem eiskalten Steinboden am Eingang der Höhle und blickten in die Ferne.
"Ich habe meine Mutter getroffen... Damals in der Höhle, in der wir beide gefangen gehalten wurden. Aber ich weiß nicht, wie ich in diese Dimension gelangt bin. Ich war einfach da..."
Rémi überlegte kurz angestrengt nach und erwiderte dann:"Soweit ich weiß, gibt es in der Nähe noch ein Portal, das wir noch nicht ausprobiert haben. Vielleicht führt uns das ja in die Dimension, in der du warst."
Nachdenklich sah Alan zu Boden.
"Vorerst können wir sowieso nichts machen. Wir müssen bis morgen früh warten", warf Rémi ein und rückte näher zu der Felswand, um sich an ihr anzulehnen. Sonderlich bequem fand er es nicht, verschränkte deshalb auch die Arme, und schloss die Augen.
Alan hatte nicht einmal annähernd die Ruhe, sich gemütlich irgendwo hinzusetzen und zu warten, bis die Sonne aufging. Zu viel ging ihm durch den Kopf, in dem es momentan extrem chaotisch zuging. In kürzester Zeit war einfach eine Menge passiert, dass er alles noch nicht ganz verdaut hatte.
Nach einiger Zeit öffnete Rémi seine braunen Augen und warf seinem Cousin einen kritischen Blick zu.
"Sag mal, Alan, wie ist eigentlich das Verhältnis zu deiner Schwester? Ich habe gehört, dass ihr euch zehn Jahre lang nicht gesehen habt. Wie ist das möglich? Was ist damals passiert?"
Alan schwieg für einige Sekunden. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter, dieser Schauer, diese schwarzen, düsteren Wolken, die in seiner Vergangenheit aufgezogen waren und nicht wieder verschwanden. Die Erinnerung daran ließ ihn nervös werden. Nachdem er tief geschluckt hatte, begann er:"Damals in Lille haben wir gemeinsam bei unseren Eltern gewohnt. Sie wurden von Höllenengeln ermordet. Ein halbes Jahr vor ihrem Tod wurde meine Schwester, die damals 6 Jahre alt war, zur Adoption freigegeben. Sie wurde auch gleich an ein Pärchen aus Amerika vermittelt. Ich blieb bei meinen Eltern in Frankreich. Eine Woche vor dem Tod meines Vaters erfuhr ich zufällig, dass er ein Söldner der Hölle war. Er hatte es meiner Mutter gebeichtet. Man ließ ihn umbringen. Wenige Tage später war auch meine Mutter tot. Ich war erst 10 Jahre alt gewesen. Ich war ausweglos in meinem eigenen Leben als Todesengel gefangen..."
Man merkte, dass es ihm sichtlich schwer fiel, darüber zu sprechen. Er sah zu Boden und prüfte aus den Augenwinkeln Rémis neugierigen Gesichtsausdruck.
'Erinnere dich, Alan… Warum ist alles schwarz, wenn du versuchst, dich weiter zu erinnern…'
Er presste die Hände gegen seine Schläfen und kniff seine außergewöhnlichen, blauen Augen zusammen.
"Alles in Ordnung, Alan?"
Noch immer zu Boden blickend fuhr sich durch sein zerzaustes, dunkles Haar, sah auf und setzte dann ein gespieltes Lächeln auf. Während er abwinkte, erklärte er:"Ich habe wohl einfach nur ein wenig Kopfschmerzen von dem ganzen Stress. Ist nicht weiter schlimm. Zurück zum Thema. Ich habe Lille einige Zeit später verlassen und bin nach Amerika gereist, um meine Schwester zu suchen. Stattdessen ist mir Addie eines Tages in die Arme gelaufen. Ich war so glücklich. Ich hatte meine Schwester völlig vergessen... Und wie du sicher weißt, bin ich an ein paar unangenehme Personen geraten, die mich in die Hölle und zum Fürsten gebracht haben. Man hatte mir mit dem Leben meiner Frau gedroht. Darum versprach ich alles zu tun, was man von mir verlangte. Und so entschieden sie mein Schicksal ohne Rücksicht auf Verluste. Ab dem Zeitpunkt war ich nicht länger unschuldig. Nein, ich machte mich vor Gott und der Welt zum Sünder und mordete fröhlich weiter bis nichts mehr ging…"
"Du hast es dir nicht ausgesucht! Niemand von uns hat das! Wir werden mit diesem Schicksal geboren. Allein der Tod erlöst uns von dieser Verdammnis. Aber wäre es nicht feige, sein Leben einfach so wegzuwerfen?"
Alan sah verbittert in die Ferne.
"Du willst nicht darüber sprechen, ich weiß, Alan. Deine Vergangenheit beeinflusst dich doch absolut nicht. Deshalb kannst du dich voll und ganz auf unsere Rettungsaktion konzentrieren."
"Natürlich, verehrter Cousin", entgegnete Alan mit seinem wieder aufgesetzten Lächeln und dachte:'Wenn du wüsstest…'
Die Zeit verstrich und schon bald dämmert es. Rémi, der halb geschlafen hatte, streckte sich, nachdem Alan ihn und auch die anderen wach gemacht hatte.
Die Zeit verstrich und schon bald dämmert es. Rémi, der halb geschlafen hatte, streckte sich, nachdem Alan ihn und auch die anderen wach gemacht hatte.
Sie machten sich auf den Weg zu dem Portal, das Rémi seinem Cousin letzte Nacht vorgeschlagen hatte. Am Rande der Stadt entdeckten sie dieses Tor, das die Gruppe in eine Geisterwelt führen könnte. Ob es nun aber das

war, mit dem sie in die Welt von Élèna und Jake gelangen konnten, war vorerst noch unklar. Dafür mussten sie sich erst in der neuen Dimension umsehen. Alan hatte schließlich nur einen Teil des Totenreiches gesehen.
Sie standen unerwartet in tiefem Nebel. In der dieser Welt war es gerade Nacht. Dunkelheit zog sich vor ihnen empor. Man konnte nicht einmal den Himmel erkennen.
"Ich glaube, wir sind hier ziemlich falsch", teilte Alan den anderen mit.
Sie stiegen durch das offene Portal zurück in die Menschenwelt.
Alan schüttelte den Kopf und ließ eine Weile Stille eintreten. Unerwartete hechtete er los. Immer tiefer und tiefer in den Wald hinein, in den seine Freunde ihm folgten. Nach ein paar Minuten blieb er an einer bestimmten Stelle stehen. Hier hatte alles begonnen. An genau diesem Platz hatte er damals Ebony und ihren unbekannten Begleiter umgebracht. Der Gedanke daran schnürte ihm die Kehle zu. Es lief ihm eiskalt den Rücken herunter.
Nachdem er die Erinnerung daran beiseite schaffen konnte, untersuchte er jeden einzelnen Baum.
Seine Freunde sahen ihm unverständlich zu, wagten sich aber nicht nachzufragen, denn alles, was Alan tat, hatte einen genauen Grund, den er ohne weiteres erklären konnte.
"Hier muss irgendwo an einem Stamm ein Ritualszeichen sein. Damit kann ich jedes beliebige Dimensionsportal öffnen", erklärte Alan.
Kurze Zeit später fand er das gesuchte, schwarze Zeichen auf einem Baumstamm, das er nun mit seiner Hand verdeckte. Seine Augen verfärbten sich in das dunkle Blutrot. Sobald sich das Portal geöffnet hatte, durchquerten alle es und
Alle durchquerten es. Sobald der letzte hindurch gegangen war, schloss es sich. Es sei dort im Wald, als wäre nie etwas passiert.
"Ach, hier ist ja auch Nacht. Hätte ich mir doch gut eine Taschenlampe mitgenommen", warf Kyo ein, als sie sich umschauten, um ihre Lage zu checken.
"Das wäre ja wohl echt peinlich. Wozu haben wir unsere Fähigkeiten? Aktivier deine Augen und du rennst auch nicht gegen einen Baum, es sein denn, das macht dir Freude", lachte Rémi.
"Dich kann man einfach nicht ernst nehmen."
"Oh doch! Und das solltest du auch. Ich werde dir deinen Hintern nicht retten. Kann mein verehrter Cousin machen, heh."
"Uns fehlt wirklich die Zeit, um darüber zu streiten", ertönte es aus einer anderen Richtung.
Rémi aktivierte seine Augen, die sich rot färbten, und sah in die Richtung, aus der die Mahnung kam. Er blickte genau in Alans glühende Augen, die ihn drohend verfolgten.
"Wer seid ihr und was wollt ihr?!" Ein Portalwächter hatte sie entdeckt.
Plötzlich war Alan vor den Augen der anderen verschwunden.
"Wo ist der Kerl hin?!", schrie der Wächter total überrascht.
"Hinter dir...", hörte er hinter seinem Rücken.
Alan drückte ihm die Kehle zu. Der Wächter zog sein Schwert und schlug nach hinten, um sich gegen seinen Angreifer zu wehren. Doch der Engel umfasste sein Handgelenk und drückte so fest zu, bis ihm die Klinge aus der Hand entglitt. Er drosselte ihn bis zur Bewusstlosigkeit. Er wollte niemanden unnötig umbringen.
"Auf geht's!"
Keiner rührte sich vom Fleck. Alan drehte sich um.
"Ich sagte Auf geht's!"
"Und wo wollen wir hin? Vielleicht sollten wir uns ja zur Abwechslung mal Verbündete suchen, anstatt uns immer Feinde zu machen."
"Guter Vorschlag, Rémi." Alan klopfte seinem Cousin auf die Schulter. "Dann lauf mal vor und such uns ein paar, ja?" Er schubste ihn.
"Das ist doch scheiße hier, verdammt! Ich werde nicht alleine gehen!"
"Hast du Angst oder was ist? Sonst spielst du dich immer auf, aber dann wenn es ernst wird, verdrückst du dich. Idiot. Lasst uns gemeinsam weitergehen, da der Herr ja nicht alleine ziehen möchte."
Er schnappte sich seine Schwester und die anderen zwei und schliff sie hinter sich her.
Sie durchliefen eine in der Nacht kahl erscheinde Landschaft. Im Dunkeln konnten sie wenig von der Schönheit der Natur genießen. Ob es hier oben, im Reich der Himmelsengel, auch Dimension für tote Engel genannt, wirklich so schön war, würde sich spätestens am nächsten Morgen herausstellen.
Sie suchten sich ein Versteck, in dem sie ungestört nächtigen konnten. Sie wollten nicht weiter auffallen. Denn sonst würde man sie höchst wahrscheinlich zurück in die Erdendimension verweisen.

Nächster Morgen, kurz vor Sonnenaufgang:
Alan war der erste, der wach war. Er trainierte. Das tat er jeden Morgen. Er wollte nicht an Stärke verlieren. Er übte mit seinem neuen Schwert, das er vor dem großen Kampf gegen die Höllen-Todesengel von Dan bekommen hatte. Es war zu seiner Lieblingswaffe geworden. Er hatte viele Schwerter, aber das Katana von Dan war mit Abstand sein liebstes. Nicht nur, weil er perfekt damit schlagen und schwingen konnte, nein, er hatte auch das Gefühl, dass sich hinter dieser Klinge mehr verbarg. Das war allerdings nur ein Gefühl.
"Du bist ja schon wach!" Noir stand an einen Baum gelehnt.
Ihr Bruder schaute auf. "Ja..."
"Ist was?"
"Nein, nein."
"Sicher? Du weißt, ich kenne dich und du kannst mir nichts vormachen."
Alan schwieg kurz. "Ich habe Angst zu versagen."
"Bruder, das wirst du nicht. Und falls doch, hast du noch uns, die dich aus der Scheiße ziehen." Noir lachte ausgiebig.
"Wie aufbauend." Er steckte sein Schwert in die Scheide.
Rémi, Kyo und Dan gesellten sich zu ihnen.
"Guten morgen, Allerseits", Kyo streckte sich.
"Na ihr. Wir machen uns gleich auf den Weg. Da unten am Fluss könnt ihr euch noch schnell waschen und eure Flaschen auffüllen."
Die drei Männer nickten und verschwanden.
Einige Minuten später hörten man alle drei lachen. Alan und Noir konnten sich ein Kichern nicht verkneifen.
"Da haben wir uns ja eine Gruppe zusammen gestellt", lachte Alans Schwester.
"Du hast recht. Manchmal sind sie unausstehlich, aber doch so treu. Vorallem Kyo. Sein Herz ist rein, wie ein klarer Bach. Er hat noch nie jemandem etwas angetan. Er ist stets besorgt um die anderen, die er liebt, anstatt um sich selbst. Er ist so ein liebenswertes Wesen. Ich könnte mir keinen besseren Freund vorstellen. Er ist einfach etwas ganz besonderes."
"Ja so besonders, dass er mich schon des Öfteren in den Wahnsinn getrieben hat, genau wie Rémi. Dan ist hier mit uns beiden der Anständigste."
Sie wurden von den drei Chaoten unterbrochen, die lachend auf sie zu rannten.
"Schön, dass ihr euch amüsiert. Jetzt macht euch fertig oder ich mach euch Feuer unter dem Hintern!"
"Sehr wohl, Miss."
Hastig zogen sie sich um und standen dann bereit vor Alan und Noir.
"Alles klar, weiter geht's!"

Auf ihren Marsch wurden sie beobachtet:
"Na sieh mal einer an. Wenn haben wir denn da, mh? Todesengel! Die glauben wohl, die könnten sich hier auch noch ansiedeln. Das können die vergessen. Das hier ist unser Land, das Land der Schamane. Und dann wagen sich diese Engel vor Tausenden von Jahren in unsere Dimension und bauen sich hier 'nen lebenden Friedhof!"
"Faraŷ, wir sollten erst dann zuschlagen, wenn die Nacht herein bricht."
"Du hast recht. Wir sind die Herrscher der Nacht und Dunkelheit. Lass uns gehen, Pläne schmieden und sie weiter im Auge behalten."
Die beiden unbekannten Frauen, die sich auf Bäumen versteckt hatten, verschwanden.

Team Alan hatte tagsüber nicht wirklich viel herausgefunden. Somit war dieser Tag für sie beendet. Sie kehrten zurück zu ihrem Versteck und machten ein Lagerfeuer an.
"So, wo sind unsere Verbündeten? Mh? Rémi?"
"Halt die Klappe. War halt niemand da, den man hätte fragen können. Kann ich ja wohl nichts für. Außerdem-"
"Jetzt hört endlich auf!", unterbrach Noir.
Rémi schaute sich schweigend um, bis er aufstand.
"Wo willst du hin?"
"Weg."
"Ach komm schon, du hast Wind bekommen und haust ab."
"Nein, verehrter Cousin, ich werde Élèna suchen." Er verschwand.
Die anderen sahen im nur unverständlich und kopfschüttelnd nach.
Eine Weile trat Stille ein. Nur das Knistern des Feuers, das sich in das Holz hinein fraß, war zu hören. Sonst nichts.
Plötzlich ein Rascheln.
Alan blickte in die Gesichter der anderen und legte sich den Zeigefinger auf die Lippen.
Dann befahl er ihnen mit einer Handbewegung vorsichtig nach ihren Schwertern zu greifen und sich kampfbereit zu machen. In dem Moment, indem Alan sein Katana an sich nahm, sprangen viele dunkle Schatten aus den Bäumen. Es wirbelte dabei ein unkontrollierbarer Sturm auf, der dem Feuer die Luft zum Atmen nahm. Es wurde stockdüster. Das Holz glimmte nicht einmal mehr. Ihre Umgebung hatte sich komplett schwarz verfärbt.
"Was zum Teufel geht hier vor sich?!?!", gab Noir mit der Klinge um sich schlagend von sich.
Ein Lachen ertönte.
"Ihr werdet schon noch sehen, was hier vor sich geht, Todesengel. Hehe."


2. Élèna and Rémi



Aufgekratzt und ahnungslos stolperte Rémi durch den Wald, an dem Baum an Baum reihte. Von den Blättern tropfte das Regenwasser. Er wollte sie sehen und zurück in das Leben der Sterblichkeit, der Lebendigkeit holen.
Er lief schneller. Er konnte es kaum erwarten, sie zu sehen, ihre Stimme zu hören. Plötzlich nahm er sie wahr, er nahm ihren Geruch wahr. Sie war ganz in seiner Nähe. Doch wo?
Mittlerweile hetzte er an den Stämmen der Bäume vorbei, rannte auf das Ende des Waldes zu. Er stand nun vor einem See, an dessen Rand eine junge Frau in weißes Gewand gehüllt saß. Sie rührte sich nicht, sondern starrte direkt in das dunkle Orange der untergehenden Sonne.
Er ging vorsichtig auf sie zu. Er wollte sie nicht erschrecken, doch Élèna hatte ihn bereits bemerkt.
Ohne sich umzudrehen, sprach sie:"Mein geliebter Rémi... Ich habe vergebens auf dich gewartet, auf dich und Alan. Und nun seid ihr tatsächlich hier. Das ist doch unmöglich. Sag mir, dass ich träume. Ich bin tot und du lebst, wie also kann das wahr sein. Wie seid ihr bloß hier her gekommen?"
"Wir-"
"Man hat mir von der Ankunft zweier Höllen-Todesengel, zweier Todesengel und eines weißen Engels erzählt. Ich wusste sofort, dass von euch die Rede war. Doch ich wollte es im ersten Moment nicht glauben, konnte dieser Nachricht nicht trauen. Ich wusste, dass ihr kommen würdet. Jedoch hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so bald sein würde. Aber dennoch freue ich mich, das sollt ihr wissen. Auch sollt ihr wissen, dass ich euch auf eurem Weg begleiten werde, wenn ihr es wünscht. Ich werde auf ewig hinter euch stehen."
Rémi hatte sich währenddessen neben ihr niedergelassen und hörte ihren Worten aufmerksam zu.
"Ich danke dir, Élèna. Deine Güte ist so unendlich groß."
"Nein, ich muss DIR und den anderen danken, mein Liebster."
Er hatte dem nichts hinzu zufügen. Er wollte jetzt einfach die Zeit mit ihr genießen. Er legte behutsam einen Arm um sie, drückte sie dabei vorsichtig an seinen erwärmten Oberkörper.
"Ich habe dich so sehr vermisst, Rémi..."
"Glaubst du, das habe ich nicht?"
"Ich...weiß nicht...", verunsichert schaute sie zur Seite und zu Boden.
"Bitte, sieh mich an." Er nahm sachte ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu sich. "Ich HABE dich vermisst. Wie könnte ich das auch nicht. Das wäre eine Schande und ich würde mich dafür hassen. Ich würde mich verdammen, wenn ich wüsste, dass ich dir in irgendeiner Art und Weise wehtun würde."
"Du könntest mir nicht wehtun. Dafür bist du viel zu gut zu mir. Das warst du schon immer. Aller Schmerz der Welt würde mich mehr verletzen, als du es jemals könntest", sie kniff ihre Augen zusammen.
"Bitte nicht weinen. Ich bin hier und ich werde dich mit nach Hause nehmen." Er wischte ihr die Tränen von den schneeweißen Wangen.
Sie schmiegte sich sanft an ihn, an seine starke, schützende Schulter.
Eine Weile lang sahen sie nur der Sonne nach, die schon bis zur Hälfte hinter einem Gipfel verschwunden war.
"Élèna... Es tut mir so leid..."
"Ich...weiß nicht, was du meinst."
"Mir tut es so leid, dass du hier sein musst." Er schluchzte.
Sie nahm seine Hände tröstend in ihre. "Bitte mach dir keine Sorgen um mich. Ich komme schon zurecht."
Er sah verbittert weg. "Ich hätte dich retten müssen. Ich hätte auf dich aufpassen müssen, verdammt! Aber das habe ich nicht..."
"Hör auf dir Vorwürfe zu machen. Es ist nun mal passiert. Keiner konnte mir dieses Schicksal nehmen. Ich habe mein Blut gerne für jemand anderen, der mir viel bedeutet, fließen lassen. Sei's drum. Es ist nur ein weiteres, unwichtiges Leben ausgelöscht worden."
Er biss sich auf die Unterlippe. "Ich kann nicht... Ich kann verdammt nochmal nicht ohne dich leben. Ich vermisse dich jede Sekunde. Ich kann einfach nicht ohne dich sein." Weinend ließ er sich in ihre Arme fallen.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Er wischte sich mit seinem Pulloverärmel übers Gesicht. Sie strich ihm sanft über sein Haupt. Er beruhigte sich langsam.
"Jetzt bin ich hier... Für diese Nacht. Danach muss ich dich wieder alleine lassen. Aber ich schwöre dir, ich werde zurückkommen und dich mitnehmen. Bitte lass uns die Zeit jetzt genießen."
Sie nickte lächelnd.
Er beugte sich zu ihr und flüsterte:"Deine Lippen sehen so sinnlich aus. Ob sie es auch wirklich sind?"
Sie errötete.
Ohne eine Vorwarnung küsste er sie, zärtlich und gefühlvoll. Er presste sie an sich, strich ihr leidenschaftlich durch ihr seidiges Haar. Er wurde im Küssen ein wenig wilder. Sie hielt ihn zurück.
Verwundert sah er sie an:"Was ist denn?"
"Mit welcher Absicht tust du das hier?"
"Was?"
"Mich...küssen..."
"Weil ich es will. Ich will dich spüren, Élèna."
Perplex starrte sie ihn an.
Er hauchte ihr gelassen ins Ohr:"Ich will dich bei mir haben..."
Sie wusste nichts, mit dieser Situation anzufangen. Sie wusste nicht, was sie über ihn denken sollte. Noch wenige Minuten zuvor war sie sich ziemlich sicher gewesen, aber im Moment hatte sie das Gefühl zu träumen.
"Habe ich dir die Sprache verschlagen? War ich zu voreilig?" Mit einem besorgten Blick lockerte er seine Arme.
"N-nein... Ich bin einfach nur gerade...überfordert... Ich versteh das nicht. Was geht hier ab?"
Er kicherte kurz. "Ich schätze mal, ich versuche dich rumzukriegen."
"Zu was?"
Er verstummte für ein paar Sekunden. Er wollte sie richtigen Worte verwenden, damit er sie nicht noch mehr durcheinander brachte.
"Ich empfinde mehr für dich als gewöhnlich. Ich hatte schon immer ein Auge auf dich."
"Okay, so langsam verstehe ich, was hier läuft. Rémi, das geht nicht. Ich meine, wir sind Cousin und-"
"Ich weiß, aber du fühlst es auch, nicht wahr? Diese Anziehungskraft, trotz dass wir verwand sind. Wir fühlen uns zueinander hingezogen. So ist es doch, oder etwa nicht?"
Sie schwieg.
"Bitte gib mir eine Antwort. Ich möchte mich nicht in Vermutungen verlieren."
"Ich...ich habe dich schon immer bewundert, bis ich irgendwann bemerkt habe, dass ich mehr für dich empfinde, dass ich dich liebe. Aber ich habe es immer versucht zu unterdrücken, was ich für dich fühle. Es sollte niemand wissen, aber du weißt es und Alan auch. Jetzt ist es doch auch egal, oder?"
Er nickte grinsend.
"Was hast du mit mir vor, Rémi?", sie klang skeptisch, aber auch neugierig.
"Das werde ich dir gleich verraten, meine wunderschöne Braut."
Er nahm sie zärtlich in den Arm und küsste sie einige Male. "Ich liebe dich, Élèna", flüsterte er ihr leise ins Ohr.
Sie bekam unglaubliches Herzklopfen und Bauchkribbeln. Sie erwiderte all seine Berührungen und Küsse. Auch sie wollte ihn jetzt ganz nah bei sich haben, egal was irgendjemand darüber denken würde, wenn es rauskommen würde.
Sie waren sich in diesem Moment so nah, wie noch nie zuvor. Nur Menschen, die sich über alles liebten, gaben sich diese Nähe. Die beiden genossen die Zärtlichkeit und versprachen sich einander.
Nach ihrem gefühlvollen Liebesakt musste er sie verlassen. Er musste zurück zu seiner Gruppe.


3. The Shamans are the Natives



"Hahaha!"
"Seht sie euch an!"
"Wie sie vor Angst ihre Schwerter zu umklammern versuchen!"
Ein Baum begann nieder zu brennen. Als der Stamm in hellem Rot aufging, sah sich Alan blitzschnell um. Das war vielleicht seine einzige Chance etwas zu erkennen. Er sah plötzlich in das Gesicht einer gepiercten Frau mit dunklem Haar, spitzen, langen Zähnen und Bemalungen im Gesicht. Sie lachte ihn belustigt an.
Es wurde wieder dunkel.
"Wer bist du?!", brüllte Alan "Ich habe dein Gesicht gesehen!"
"Und? Was bringt dir das, mh?", ertönte es hinter ihm.
"Nghhh!"
Einige Frauenstimmen lachten höhnisch.
Ein lauter Knall, direkt vor Alans Team explodierte die Feuerstelle. Das Holz brannte wieder. Vor ihnen, auf der anderen Seite des Lagerfeuers, stand eine Gruppe bemalter, gepiercter Frauen. Einige hatte sogar ein oder zwei Ohrtunnel.
"Wen haben wir denn da? Todesengel, mh? Ihr wagt es euch tatsächlich in unser Land. Tzz, erbärmlich", entgegnete die Stammesführerin Alan. "Sonaa atahre ka? Mhuiin mingha kaimoo dare", sprach sie dann zu ihrer kleinen Truppe, die mit ihr eingeschlossen aus 16 Mitgliedern bestand.
"Was hat sie gesagt?", flüsterte Dan Noir zu, die sich neben ihn gestellt hatte.
"Was weiß ich. Seh ich so aus als könnte ich so eine Sprache sprechen? Was sind das überhaupt für Wesen?", entgegnete sie leise zurück.
"Das sind Schamane, wenn ich mich nicht irre", antwortete Alan statt Dan.
"Heißt, du kannst ihre Sprache verstehen?", wollte seine Schwester wissen.
Alan schüttelte mit dem Kopf. "Aber sie scheinen unsere Sprache ganz gut beherrschen zu können."
Er ging auf sie zu. Die Schamaninnen zogen ihre Dolche. Der Todesengel hob seine Arme.
"Wir haben nicht vor gegen euch zu kämpfen oder sonstiges, bei dem ein Massaker entstehen könnte."
"Das ist eine gute Entscheidung. Oritheray atii zinceray!" Wieder lachten die schamanischen Frauen.
"Das geht mir ziemlich auf die Nerven, dass die nicht mal normal reden können", Noir schnaufte.
"Sie werden ihre Gründe haben", versuchte Dan sie zu besänftigen.
"Gründe! Ich hab auch meine Gründe. Und jetzt lass mich!" Sie stapfte auf das kleine Grüppchen zu. "Wenn ihr meint hier einfach auftauchen zu können und so, dann redet gefälligst normal mit uns und nicht in eurer seltsamen Sprache, die hier kein Mensch versteht!"
"Ah, sie ist sehr temperamentvoll. Das gefällt mir." Die Anführerin legte überlegend und prüfend eine Hand an Noirs Kinn.
"Was soll das?!" Noir umfasste ihr Handgelenk. Die dunkelgeschminkten Augen der Schamanin verengten sich.
"Wie sie sich aufregt", lachte sie, noch immer nicht den Blick von Alans Schwester abgewand. Die Schamanen lachten mit.
"Luasay!"
Das Lachen verstummte.
"Nun, was habt ihr hier zu suchen? Stellt euch vor!"
Dan räusperte sich. "Mein Name ist Dan. Ich bin ein-"
"Wir riechen was ihr seid. Das müsst ihr nicht erwähnen."
"Okay... Ich wollte ja nur-"
"Der Nächste!"
Dan trat verwirrt zurück.
Kyo näherte sich schüchtern der Stammesführerin. "Ich bin Kyo..."
"Kannst du auch ein bisschen lauter reden?"
"Wozu habt ihr denn eure großen Ohren?"
"Was?! Der Nächste!". Jetzt klang sie schlecht gelaunt.
Kyo gesellte sich zu Dan.
"Super, Kyo, jetzt hast du sie verstimmt. Da können wir unsere Reise ja gleich in den Sand setzen."
Noir stellte sich kurz und knapp vor und stellte sich Arme verschränkt an einen Baum.
Nun war Alan an der Reihe. "Alan De Mercier."
Sie stutzte als sie seinen Namen hörte. "Alan... Alan De Mercier? Der Söldner der Hölle?"
"Wie ich sehe, hat sich herum gesprochen, was ich in meiner Freizeit so treibe."
"Wenn es ja nur DAS wäre. Da gibt es noch viele andere schöne Geschichten über dich."
"Tu dir keinen Zwang an, sie zu erzählen."
Sie lächelte. "Wäre das unhöflich von mir?"
"Das liegt im Auge des Betrachters."
"Und der wäre ja wohl ganz offensichtlich DU... Aber, mh, nein. So bin ich nicht."
Alle, die Schamane sowie die Engelswesen, setzten sich um das knisternde Feuer herum.
"Wie ist eigentlich dein Name?", Dan blickte in die Runde und sah dann der dunklen, tätowierten Frau in die Augen.
"Mein Name ist Faraŷ Kuro, Anführerin des Schamanenvolkes."
"Hi Faraŷ!", Kyo winkte.
"Man spricht eine Anführerin nur mit dem Nachnamen an! Also nenn' mich Kuro!"
Kyo nickte heftig mit aufgerissenen Augen.
"Wisst ihr eigentlich, wo ihr hier seid? Ja, ihr seid im Reich der Himmelsengel. Aber das hier ist UNSER Land. Sie haben es uns damals weggenommen. Sie wollten ein Reich für die Toten schaffen, wo sie weiterleben können. Aber an uns hat niemand gedacht. Dass wir alle obdachlos werden, war denen doch scheißegal. Hauptsache sie kriegen ihren Willen durchgesetzt. Die sollen es sich wagen mir noch einmal über den Weg zu laufen. Ich kann nicht dafür garantieren, dass ich nicht einem von ihnen die Fresse polieren werde!"
Das Team guckte sich gegenseitig verdutzt an.
"Ähm...okay..."
"Das ist nun mal das Schicksal, was soll man machen", zischte Kuro.
"Entschuldige mich, dass ich so darüber rede, aber jeder kann sein Schicksal selbst entscheiden. Egal, was ihr jetzt über mich denken mögt. Das Schicksal bestimmt mal selbst. Auch du kannst selbst bestimmen, was aus deinem Volk wird, Kuro", Alans Worte klangen erfahren und weise. Und das war er auch.
"Glaub mir, als Ureinwohner hat man es hier nicht leicht. Dieses Land nennt sich Jivin'. Das bedeutet in eurer Sprache 'Hoffnung'. Nun ist aber die Frage, wo sie geblieben ist, die Hoffnung?"
"Vielleicht habt ihr noch nicht gründlich gesucht", Kyo lächelte.
"Du verstimmst mich", entgegnete die Stammesfürstin.
"Siehst du, sag ich doch!", kam aus Dans Mund.
Kuro erhob sich. Alle Augen waren sofort auf sie gerichtet.
"Nun denn, wir wollen euch gerne unseren traditionelles Jivin' Tanz der Schamane zeigen. Unter anderem haben wir noch ein Angebot für euch. Aber dazu später", Kuro hob ihre Hand, sprach dann zu ihren Artgenossen:"Neroba werutay temhicyu Jivin'!"
Die Schamaninnen holten ein paar Instrumente heraus und begannen ein Lied anzustimmen. Der Rest der Frauen tanzte im Takt zu der schnellen Melodie.
Alan, Dan und Kyo sahen beeindruckt zu, während Noir sich zu Tode langweilte.
"Ja, tanzen kann ich auch...", grummelte sie.
Kyo sprang plötzlich:"Ich will mittanzen!"
Noir schlug sich die flache Hand gegen die Stirn.
"Nicht im Ernst!", lachte Dan.
Der Blonde stellte sich zu den Schamaninnen, die ihn als erstes nur seltsam ansahen, weil sie sein Verhalten als äußerst originell empfanden. Kuro nahm Kyo an die Hand und tanzte mit ihm um das lodernde Feuer herum.
"Die Musik an sich ist gar nicht mal so schlecht, naja, aber das tanzen sieht seltsam aus...", stellte Dan fest.
"Was hast du denn erwartet? Sie legen eben Wert auf Tradition", Alans Augen verfolgten die Anführerin der Schamanen.
Die Musiker hörten mit einem Schlag der Trommel auf zu spielen. Der einzige, der noch weiter tanzte, war Kyo. Obwohl man das nicht wirklich tanzen nennen konnte. Er wedelte mit Armen und Beinen in der Gegend herum.
Alan war vor Scham wegen seinem Freund rot angelaufen. Dan lag halb hinter ihm und lachte. Er kriegte sich nicht mehr ein. Noir lachte sich ebenfalls eins ins Fäustchen.
"Wieso hampelt der denn immer noch da rum?", fragte eine Schamanin.
"Was weiß ich. Hey! Du! Ja genau du! Was tanzt du denn noch?", Kuro sah ihn streng und mit beiden Händen in die Hüften gestemmt an.
Kyo blieb schlagartig stehen. "Mh? Tanzen macht Spaß!"
"Schön, schön! Jetzt aber kommen wir zu dem Angebot."
Kyo schluckte tief und ließ sich genau dort nieder, wo er gerade stand.
Kuro setzte sich Alan gegenüber und grinste. "Um auf mein Angebot zurück zu kommen. Wir haben euch beobachtet-"
"Was?! Die haben uns bespannt?!", kreischte Kyo.
Ein scharfer Blick von der Schamanin und er verstummte.
"Also, ihr seid auf der Suche nach einer menschlichen Seele. Nun ist es aber so, dass hier oben nur die Engelsseelen weiterleben können. Die Menschenseelen kommen zu der Schlangengöttin Komara

. Die Höhle dieses Biestes ist außerhalb des Palastes von Jivin'. Was wir euch nun vorschlagen ist, dass wir euch begleiten, denn auch wir wollen dieses Miststück aus dem Weg schaffen. Wenn du die Seele deiner Frau zurück haben willst, musst du diese Schlange umbringen. Egal, wie du das anstellst. Hauptsache sie kann nicht mehr atmen und liegt unter der Erde. Wir werden euch zu der Höhle des Monsters führen. Was haltet ihr von diesem Deal?"
Alan spielte nervös mit seinen Fingern. Er wusste absolut nicht, ob er ihnen vertrauen konnte oder nicht.
"Hört sich doch gar nicht schlecht an! Ich wollte schon immer mal gegen eine Göttin kämpfen. Wird bestimmt spannend", Dan streckte sich und schnappte sich sein Schwert. Der mahnende Blick seines Anführers machte ihn stuztig. Dann wand er sich wieder Kuro zu.
"Nun ich denke, man könnte über so ein Angebot nachdenken."
"Dir wird keine andere Wahl bleiben als es anzunehmen, Todesengel."
Alan stand auf und sah sich um. "Scheint, als bliebe mir nichts anderes übrig... Wir nehmen euer Angebot mit Freuden an!" Höflichkeitshalber hielt er ihr die Hand hin, die sie aber ablehnte.
"Wir verstehen uns auch ohne, dass wir nett zueinander sein müssen. Jetzt will ich aber von jedem etwas sehen. Ich möchte sehen, dass es sich lohnt, jeden von euch mitzunehmen."
Noir meldete sich als erste. Sie wollte es schnell hinter sich bringen. Die Schamanin mit den dunkelbraunen Augen war ihr unheimlich und in ihrer Gegenwart fühlte sie sich nicht wirklich wohl. Im Nu war das orange-rote Feuer zu einer schwarzen Flamme geworden, die Noir nun nach Belieben kontrollieren konnte. Die schwarzen Flammen zogen sich als Mal über ihr Gesicht. "Schwarze Magie, wenn du verstehst, was ich meine."
Kuro nickte nur. Sie hatte genug gesehen und war sichtlich hin und weg von ihren Kräften.
"Jetzt bin ich dran!", Kyo stellte sich lächelnd und hibbelnd vor sie.
"Was kannst du denn, mh?"
"Tanzen!" Kyo begann wieder herum zu hampeln. Unprofessionell war es alle mal.
"Was zum Teufel-?!?!"
Wieder senkte Alan beschämt den Kopf zu Boden.
"Ich glaube-", Kuros Augenbraue zuckte.
Kyo tanzte weiter.
"ICH GLAUBE, DAS REICHT!!"
Kyo sah die verärgerte Kuro mit großen Augen an. "Hab ich bestanden?"
"Ja! Der Trottel hat bestanden! Und jetzt geh aus dem Weg!" Kuro winkte Dan zu sich. "Was hast du drauf?"
"Ich bin ein Schwertschmieder."
"So, und wozu bräuchten wir einen? Mh?"
Dan sah sich verwirrt um. "Damit wir nicht mit Stöcken kämpfen müssen?"
Sie knirschte mit den Zähnen.
"Du solltest aufhören, dich von dummen Leuten in den Wahnsinn treiben zu lassen. Das kann nicht gut für dich sein." Dan schob seine Hände in die Hosentaschen seiner braunen Jeans und nahm eine lässige Haltung ein.
"Alan De Mercier! Du bist dran!"
Grummelnd stand er auf und rempelte Dan an, während er auf dem Weg zu der jetzt mürrischen Lady war. Als er vor ihr stand, verbeugte er sich.
"Ja, ja, schleimen kannst du später auch noch!"
Er erhob sich gekränkt. "Da du meinst, mich so gut zu kennen, müsstest du ja wissen, was für Fähigkeiten ich besitze."
"Ich möchte es aus deinem Mund persönlich hören."
Alan räusperte sich. "Als Höllen-Todesengel des Prototyps I ist es selbstverständlich, dass ich mit Feuer machen kann, was ich will. Es kann sich mir nicht verweigern."
"Ist schon blöd, wenn man so einiges weglässt, nicht wahr?"
Alan legte seinen Kopf schief, seine Augen verengten sich und seine Mundwinkel zogen sich dermaßen nach unten, dass man denken könnte, er würde jeden Moment seine Klinge herausnehmen und sie abstechen.
"Deinesgleichen soll sich als Mensch tarnen und unbemerkt die ganze menschliche Bevölkerung auslöschen. Du bist mit einem anderen der letzte von deiner Art, stimmts? Ansonsten gibt es nur noch Höllen-Todesengel Prototyp II und III."
Alan nickte leicht. "Aber ich habe mich diesem Teufelskreis der Hölle und des Mörder seins verschworen. Nie wieder soll Blut über meine Klinge fließen, das von einem unschuldigen Menschen stammt."
"Klingt glaubwürdig, würde ich sagen. Alleine die Tatsache, dass du ein solcher Todesengel bist, lässt es zu, uns zu begleiten."
Alan ersparte sich ein höfliches Lächeln und eine Verbeugung. Er verschwand zu seiner Schwester.
"Leute, Leute, es tut mir echt leid, dass es solange ge-" Rémi blieb inmitten der schamanischen Frauengruppe stehen und sah sich verwirrt um. "Was läuft denn hier?"
Die Schamane lachten.
"Wer ist denn das? Gehört der etwa zu euch? Mann, ist der durch den Wind!", Kuro verkniff sich ein Grinsen, bei dem man immerzu ihre langen, weißen Eckzähne betrachten konnte.
"Das ist mein verehrter Cousin", Alan sah ihn scharf an. Er wollte ihn damit darauf hinweisen sich vorzustellen.
"Sokaa derhay", Rémi wand sich Kuro zu, bei der er sofort erkannt hatte, dass sie die Anführerin war, und entschuldigte sich für sein schlechtes Benehmen.
"Oh, ein Gebildeter! Er kann die Schamanensprache", Kuro war begeistert von ihm.
"Niohma koo soyngha 'Rémi Itot Portadonnez' hte. Noihme de kaa syoa?" Er stellte sich mit seinem Name vor und fragte im Gegenzug nach ihrem.
"Nenn' mich Kuro. ... Nun, da du zu dieser Gruppe da gehörst, will ich auch von DIR etwas sehen."
"Was willst du denn sehen? Meinen durchtrainierten Body?", er grinste.
"Ich dachte eher an dein Können. Was hast du für Fähigkeiten? Was kannst du mir bieten?"
Rémi überlegte kurz und ließ sich dann an der Feuerstelle nieder. "Ich finde, meine Anwesenheit reicht völlig aus." Er legte sich zurück und verschränkte mit einem Lächeln die Arme hinter seinem Kopf.
Kuro hockte sich neben ihn. Er sah sie gelangweilt an.
"Wenn du uns begleiten willst, musst du mir einen Grund geben."
"Hab ich doch."
Sie sah ihre Stammesmitglieder unverständlich an. Die schüttelten nur mit dem Kopf.
"Nagut, ich werde dich jetzt testen."
"Testen? Da gibt's nichts zu testen."
Kuros Augen verengten sich, ein herausforderndes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. "Mal gucken, wer von uns beiden intelligenter ist. Nimmst du meine Herausforderung nicht an, kannst du verschwinden."
"Ich kann mich auch selbst piercen." Er stand auf und baute sich vor ihr auf. "Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich mich hier als dumm darstellen lasse."
"So, so. Dann zeig doch, was du kannst."
Kuro und Rémi schmissen sich gegenseitig die intelligentesten Formulieren und Wörter an den Kopf. Da konnten selbst die anderen nicht mehr mithalten.
Irgendwann gab Kuro widerwillig auf. "Du hast dich bewiesen. Du kannst mit uns kommen."
"Ach tatsächlich?"
Sie nickte.
"Hah! Ich wusste es. Ich bin einfach gut. ... Aber, ähm, sag mal. Du lässt Kyo mitkommen? Glaub mir, der wird nur für Unordnung sorgen."
Sie hob ihre Hand. "Sei's drum. Der wird sich bestimmt irgendwo noch als nützlich erweisen."
Rémi lachte, sie ebenfalls.
Alle, Team Alan sowohl auch die Schamane, versammelten sich am Feuer. Jeder suchte sich einen Schlafplatz. Irgendwann war jeder nichtsahnend eingeschlafen.
Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass sie beobachtet wurden. Leise schlängelte das übergroße Monster an den Baumstämmen vorbei. "Rarrggh... So dumme Engelswesen. Glauben, ich würde ihr kochendes Blut nicht riechen. Sollen sie ruhig zu mir kommen, diese elenden Narren von Schamanen und Engeln. Ich werde sie zerfetzen. Hehe..." Die dämonische Bestie verschwand.


4. Kuro's Game



Am nächsten Morgen wurden alle durch einen lauten Knall geweckt. Die Schamane waren verschwunden.
"Sag mal, wollen die uns verarschen?!", polterte Noir. "Man sollte nie irgendso daher gelaufenen Ureinwohnern vertrauen. Die gucken nur nach ihren eigenen Vorteilen."
"Seid mal still! ... Hört ihr das?", unterbrach Kyo die rasende Noir.
Ein Trampeln war zu hören. Es wurde immer lauter.
"Was zur Hölle ist das?!"
"Wir sollten hingehen und nachschauen!", schlug Alan vor, ohne auf eine Antwort zu warten. Er stand auf und nahm seine Sachen. Dann drehte er sich um, weil sich keiner von der Stelle rührte. "Was ist?"
Nun erhob sich auch Rémi. "Oh ja, das klingt logisch, direkt auf die Gefahr zu zulaufen. Ich wollte schon immer, wegen so einer Dummheit sterben. Worauf wartet ihr, Leute! Das wird richtig amüsant."
Nach Alans Gesichtsausdruck zu urteilen, nervte ihn der Sarkasmus seines Cousins gewaltig an.
Alle schnappten sich ihre Taschen und folgten den Geräuschen, die sich anhörten, als würde eine Karawane von Elefanten durch den Wald stürmen.
Plötzlich hörten sie Kuros Stimme. Sie war wieder am lachen. Sie kamen an einer Lichtung an. Dort waren die Schamaninnen. Einige saßen auf dem Boden, andere auf riesigen, seltsamen Tieren, die aussahen wie Drachen ohne Flügel. Kuro entdeckte sie. "Guten Morgen! Habt ihr gut geschlafen?"
"Echt nett, dass ihr einfach mal so abhaut!"
"Reg dich ab, Kleines! Hey Alan! Du solltest deiner Schwester mal ein bisschen Respekt beibringen."
Alan nickte nur widerwillig und warf Noir einen mahnenden Blick zu.
"Da ihr also jetzt ausgeschlafen habt, können wir ja ein kleines Spiel zum Wachwerden machen. Na, was haltet ihr davon?"
"Werden wir eventuell dabei sterben?", hakte Rémi nach.
Kuro lachte. "Aber natürlich, sonst wär' es ja kein Spiel. Wir lassen jetzt unsere Jayvans auf euch los. Mal gucken, wie ihr euch mit ihnen versteht." Sie sprach mit ihren Mitgliedern etwas ab.
"Die will uns doch wohl nicht im Ernst diese Viecher auf den Hals hetzen?!"
Alan sah seinen Cousin lächelt an. "Jetzt heißt es 'Leben oder sterben'."
"Ich werde dir nicht den Hintern retten, mein Freund."
"Das brauchst du auch nicht", Alan hielt sich das Katana vor die Brust.
"Es geht los!! Wuhhaaaaahaa!!"
Die Riesenechsen stürzten sich auf sie. Es waren genau fünf. Für jeden einen. Sie sollten sie zähmen, damit sie später auf ihnen zu Komaras Höhle reiten konnten.
Alle rannten weg, nur Alan blieb regungslos da stehen. Er rührte sich nicht vom Fleck. Noir drehte sich um und schrie:"Alan!! ALAN!! KOMM SCHON!! WIR MÜSSEN HIER WEG!! ALAAAAAN!!"
Da griff Rémi ihre Hand und zog sie mit. "Der kommt schon klar! Er weiß, was er tut!"
Vier von den flügellosen Drachen zogen an Alan vorbei. Nur einer blieb einige Meter entfernt vor ihm stehen und fauchte ihn an.
"Na los!! Komm her!!", brüllte er, sein Katana fest in seinen Händen.
Es schlug mit seinem blaugeschuppten Schwanz nach ihm. Er wich gekonnt aus, indem er einen Salto hinlegte. Alan sah ihm tief in die grünen Augen. Beide rannten auf einander zu, die Echse brüllend, er schreiend. Bevor seine Klinge sich in den Leid des Tieres bohren konnte, ließ es sich auf den Boden sinken und knurrte.
"Du willst gar nicht kämpfen, stimmts?"
Das Tier schnaubte.
Vorsichtig strich er ihm über die kalte Schnauze. "Ist gut, dir wird nichts passieren." Er sah in die Richtung, in die seine Freunde vorhin verschwunden waren. "Ich hoffe, dass DAS alles hier gut geht."
Kuro sah belustigt zu. "Gut gemacht, Alan!"
"Wollen wir hoffen, dass die anderen das auch gut machen."
"Waaaaaahhh!! Scheiße!!" Rémi wurde von Dan, Noir und Kyo getrennt und stand nun einer grünen Bestie gegenüber. Er ging einige Schritte zurück.
Die Echse mit den messerscharfen, langen Zähnen fauchte ihn an.
"N-nein, böse!!"
Es schlug mit seinem Schwanz umher und schleuderte ihn gegen einen Baum. Er stand hustend auf. "Na warte, du kleines Mistvieh!!" Er rannte auf das knurrende Tier zu, schwang sich auf seinen Rücken und schnappte sich die Zügel. Er beugte sich nach vorne zu den Ohren des Tieres, die einem Luchs ähnelten. "Wir gehen jetzt zurück, verstanden?", sagte er scharf.
Gehorsam trottete es zurück zu den Schamanen und Alan.
Nicht weit entfernt war auch Noir mit einem solchen Tier beschäftigt. "Whhaa... Wie widerlich. Es sabbert", sie hielt sich angeekelt die Hand an den Kopf. "Du brauchst gar nicht so zu glotzen. Das hier mit uns wird nicht lange dauern und du wirst tun, was ich dir sage. Ach, was rede ich überhaupt mit dir. Du verstehst sowieso kein Wort von dem, was ich sage." Sie formte ein paar Handzeichen und ihre Haut begann sich schwarz zu färben. Auch ihre Augen hatten sich verdunkelt, ihre Iris wurde rot.
Der Jayvan schüttelte den Kopf mit zusammen gekniffenen Augen und schlug den Schwanz durch die Gegend. Seine Pupille erweiterte sich. Er sank zu Boden.
Die schwarzen Male auf Noirs Haut verschwanden. Sie ritt auf ihm, wie Rémi, zurück durch den Wald.
Währenddessen bei Dan und Kyo:
"Mach doch mal was, Kyo!! Ich experimentiere die ganze Zeit hier rum!! Ich will noch nicht sterben!!"
Kyo nahm sich einen Stein und warf es auf die eine Riesenechse.
"Oh super, so ca. vier Meter daneben bringt uns der Stein sehr viel. Waaahhh!!" Dan wich aus. Das braune drachenartige Tier versuchte Dan mit seiner Zunge zu fangen. "Hilf mir!!"
"Eh... ähm... näähh!! Äääähmm!!"
"Mach irgendwas!! Scheiß egal was!!"
Kyo sah sich um. Dann fing er an zu tanzen. Die Echsen ließen von Dan ab und schauten stattdessen Kyo zu.
'So ein Spinner', dachte sich Dan mit einem Grinsen. "Hör nicht damit auf!!" Er schnappte sich die beiden Zügel und hielt Kyo eine davon hin. Dann kletterte er auf den Sattel.
Kyos Tier schnaubte und legte ihn ab. "Whhäää!!"
"Hahahaha!! Der hat dich lieb, Kyo! Komm, auf geht's!"
Auch sie ritten zurück zu den anderen.
"Wow! Ihr habt es alle geschafft! In einer solch kurzen Zeit. Und vorallem ohne, dass einer kopflos wiederkommt."
"Kriegen wir jetzt was Süßes?"
"Hättest du wohl gerne, Rémi!", lachte Kuro. "Aber da ihr ja alle diesen Test bestanden habt, können wir jetzt endlich zur Höhle der Komara."
Alan schüttelte den Kopf. "Nein, wir sollten erstmal im Schloss bei den Himmelsengeln vorbei schneien. Vielleicht helfen die uns ja."
"Die helfen nur den Toten", erwiderte sie mürrisch.
Rémi hob sein Schwert. "Wer will als erstes sterben?"
"Deinen Sarkasmus kannst du dir für später aufheben."
"Wir werden euch zur Hauptstadt bringen, aber zum Schloss müsst ihr alleine. Die Schamane werden diesen Ort nie wieder betreten. Deshalb auch heute nicht. Wir werden vor der Stadt auf euch warten."
Alle stiegen auf ihre Jayvans. Kuro und Alan standen vor ihren Gruppen.
"Karharay!!"
Die Tiere liefen los.


5. The Empire of Heaven-Angels



Sie ritten durch die Wüste, die sie zu Nesay, dem Sitz der Himmelsfürstin, brachte. Vor den Toren Nesays stiegen sie von den Riesenechsen ab. Die Schamanen jedoch blieben auf ihnen sitzen.
Die Todesengel und Kyo betraten die Stadt und Alan ging als Anführer seines Teams voran. Eine große Menge von Himmelsengeln hatte sich vor einem riesigen Gebäude versammelt, auf das Alan und seine Gefährten zu steuerten. Das Volk spaltete sich als sie den gefürchtenden Söldner der Hölle entdeckten. Sie begannen zu flüstern und versuchten vergebens den Blick von den Todesengeln abzuwenden. Kyo fiel nicht weiter auf. Er ähnelte nicht nur von seinem Aussehen, sondern auch von seiner Aura den Himmelsengeln. Deshalb war er für sie nicht weiter interessant.
Die Gruppe blieb vor einem goldenen Tor stehen. Nun befanden sie sich vor dem Palast der Himmelsfürstin. Doch Alan wollte nichts überstürzen und zuerst mit ihren Untertanen sprechen. Er trat stets besonnen als solche Dinge heran.
Darum sprach er nun zu dem sich versammelten Volk:"Wir sind die Todesengel der De Mercier Familie und wir erbitten uns das Recht, mit eurer Anführerin zu sprechen!"
Die Masse schwieg.
"Wir sind hier, weil wir dieses Land vor Komara beschützen wollen. Aber dafür müssen wir mit eurer verehrten Königin reden. Doch wie es scheint, seid ihr zu sehr von unserem Anblick verängstigt. Entschuldigt, ich greife nur ungern zu solchen Mitteln. Der Sand rieselt ungehindert durch die Sanduhr. Wenn mir die Gabe in die Wiege gelegt worden wäre, Herrscher über die Zeit zu sein, würde ich jetzt und hier für jeden einzelnen von euch beten. Doch nun genug des Schönredens grausamer Tatsachen... Rémi, wenn ich bitten dürfte."
Alans Cousin schob die mächtigen Türen auf. Die Engel schlüpften hinein und standen in einem langen Gang, von dem man aus die silbernen Eingangstüren des Thronsaals sehen konnte.
Mit Alan an der Spitze eilten sie durch den mit Fackeln beleuchteten Flur. Kein Soldat und keine Wache befanden sich in der Umgebung. Das Volk sowie die Himmelsfürstin selbst gingen ganz offensichtlich davon aus, dass niemand anderes außer ihnen und den Schamanen diese Dimension betreten könne. Das erklärte auch das geschockte Schweigen der Himmelsengel bei der Ankunft der Todesengel. Solch befremdliche Wesen hatten sie scheinbar noch nie zuvor gesehen.
Vor den eisernen Türen des Saales fühlte sich Alan verantwortlich für seine Gefährten dazu veranlasst, die weiteren Vorkehrungen zu treffen.
"Hört mir zu. Falls es tatsächlich dazu kommen sollte, dass die verehrte Königin uns abführen lassen will, wehrt euch nicht. Das macht ein wesentlich anderes Bild aus uns. Himmelsengel bewerten häufig mit Vorurteilen und über uns denken sie nicht, dass wir einen Heiligenschein besitzen. Todesengel sind die blutrünstigen Monster, in deren Adern das Böse fließt. Also ihr wisst, was zu tun ist, falls es zu einem Angriff der königlichen Garde kommt."
Alle nickten und marschierten in den großen Raum.
Alan und die anderen Engel ließen sich auf ihre Knie fallen und verneigten sich vor dem Thron, auf dem die fast weißhaarige Himmelsherrscherin saß.
"Verzeiht, dass wir ohne Vorwarnung in Ihren heiligen Palast gestürmt kommen", entschuldigte sich Alan, als Anführer auch für die anderen.
Die Fürstin, die in ein seidiges, weiß glitzerndes Gewand gehüllt war, erhob sich und stieg die goldenen Treppen hinab. Sie blieb einige Meter vor dem knienden Alan stehen.
"Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr allesamt Todesengel seid?"
Mit gesenktem Kopf erwiderte Alan:"Nein, nicht alle. Einer unserer Krieger, der mit dem blonden Haar, ist ein entfernter Artverwandter von Euch."
"Ist das so?"
Nachdenklich musterte sie Kyo.
"Erhebe dich."
"Natürlich...", murmelte er, während er tat, was sie ihm befohlen hatte.
Prüfend betrachtete sie seine hellblauen Augen.
"Tatsächlich. Du bist ein naher Verwandter der Himmelsengel, ein weißer Engel."
Alan hob seinen Kopf und blickte mit seinen dunkelroten Augen der Königin ins Gesicht. Die junge Frau wich erschrocken zurück.
"Das kann nicht sein... Ihr seid Todesengel der De Mercier Familie. Was in aller Welt habt ihr hier verloren?"
"Aus diesem Grund sind wir hier."
Der Todesengel richtete sich auf, ebenso der Rest seiner Gruppe.
"Wir erbitten Ihre Einwilligung die Bestie, die in Jivin', der Hauptstadt der Schamanen, haust, zu erlegen."
"Und deswegen kommt ihr zu mir? Ihr habt die selbstverständliche Erlaubnis alle möglichen Monster, die in meinem Königreich herumstreunen, zur Strecke zu bringen. Dennoch ist es mir ein Dorn im Auge, euch hier zu wissen. Im Übrigen hat man mir von der Ankunft einiger Todesengel berichtet. Ich wollte es zuerst nicht glauben, aber die beiden behaupteten, euch zu kennen. Ein Mann und eine Frau, die neu zu uns gefunden haben. Élèna und Jake. In welcher Verbindung steht ihr zu ihnen?"
Alan räusperte sich.
"Nun, Élèna Lopez ist meine Cousine und Jake De Ravel ist mein verehrter Schwager."
"Ich bin sicher, ihr möchtet sie sehen, nicht wahr?"
"Ich bitte darum", bat Alan flehend.
Die zierliche, kleine Frau verschwand durch eine silbern verzierte Tür und kam kurze Zeit später wieder, gefolgt von Élèna und Jake, die herzlich von ihrer Familie und Freunden begrüßt wurden.
Rémi war der Erste, der Élèna liebevoll in den Arm nahm.
"Ihr seid endlich da", brachte Jake erleichtert heraus, als Alan ihn sehnsüchtig umarmte.
Der ließ ihn los und sah ihn lächelnd an.
"Du kannst dich auf uns verlassen. Wir sind immer für einander da. Egal wen es betrifft. Jake und Élèna, sobald wir die Bestie in der ehemaligen, schamanischen Hauptstadt zur Strecke gebracht haben und Addies Seele in unserem Besitz ist, werden wir euch mit nach Hause nehmen."
"Glaubt ihr, ihr könntet Tote einfach wieder lebendig machen, indem ihr sie mit in eure Dimension nehmt? Es gibt eine Möglichkeit. Aber wie genau das funktioniert, können euch nur die Schamanen sagen. Sie sind die Meister der spirituellen Macht. Ihr Wissen über Seele und Geist ist so tief wie stille Meere. Meine Fähigkeit beschränkt sich auf den Verstand und die Erinnerung, auch über verlorene Erinnerungen. Im Gegenzug dafür, dass ihr das Monster auslöscht, biete ich euch meine Hilfe an. Jederzeit", warf die Himmelsfürstin ein, die sich auf ihrem Thron niedergelassen hatte und sich ein Glas Rotwein gönnte.
Alan wandte sich ihr zu.
"Eure Majestät, wie lautet Ihr göttlicher Name?"
Sie stutzte.
Der Todesengel schwieg wartend auf eine Antwort.
"Mein Name ist Freya."
Noir stellte sich neben ihren Bruder, der sich vor der Königin nieder gekniet hatte, und entgegnete dem Oberhaupt der Himmelsengel:"Dass heißt also, Sie können uns mit unserer Vergangenheit konfrontieren?"
"Sehr gut geschlussfolgert. So ist es. Es hört sich fast danach an, als wolltest du das…"
Die schwarzhaarige Kriegerin blickte erneut auf ihren knienden Bruder hinab.
"Ich dachte eher an meinen Bruder Alan."
Perplex stand er auf, sah Noir nervös ins Gesicht und flüsterte:"Nein. Ich will absolut nichts wissen. Gar nichts, hast du verstanden?"
"Aber, Alan. Wie oft hast du schon zu mir gesagt, dass du endlich wissen willst, was damals passiert ist, dass du eine Erinnerungslücke hast und es dir wichtig ist zu wissen, wie du zu dem geworden bist, was du einmal warst."
"Du meinst wohl, was ich immer noch bin. Ich wünschte, ich könnte die Begegnung mit meinem blutrünstigen Ich umgehen, aber wie es scheint, bleibt mir keine andere Wahl, denn
ich tue es dir zuliebe. Ich weiß, dass du dir dann um meine Vergangenheit keine Sorgen mehr machen wirst."
Widerwillig ließ sich Alan auf Freyas Angebot und Noirs Bitte ein.
Nachdem sich alle von Élèna und Jake verabschiedet hatten, führte die Himmelsfürstin die Gruppe durch ihren Palast in einen Raum, der großzügig mit teuren Möbeln, einem selbstgestickten, großen Teppich mit Goldfäden und zwei Betten ausgestatten war. Die Zimmerdecke war mit einem edlen Muster verziert und sollte das Volk der Königin darstellen.
"Bitte, schließt die Tür hinter euch. Es muss Stille einkehren und die Ruhe muss die Zeit, in der die beiden schlafen, bestimmen. Setzt euch."
Das Geschwisterpaar legte sich auf die weichen Matratzen der Betten und die anderen machten es sich in den gemütlichen Sesseln bequem.
Freya strich Alan und Noir über die Stirn.
"Ihr braucht euch vor nichts zu fürchten. Trinkt das Glas aus, das neben euch auf dem Schränkchen steht. Legt euch dann zurück und schließt die Augen. Ihr werdet merken, dass ihr langsam müde werdet und dann beginnt der Traum eurer Erinnerung. All das was ihr träumt, ist damals wirklich geschehen. Ihr könnt euch nach diesem Schlaf also nicht mehr belügen. Ihr werdet alles wissen, was ihr vielleicht einmal vergessen habt oder verdrängen wolltet. Und bitte lasst euch nicht davon beirren, wenn ihr plötzlich aufwacht. Die Wirkung der speziellen Medizin, die in eurem Wasser ist, wird irgendwann nachlassen. Schlaft gut irh beiden. Ich hoffe, ich kann Klarheit in eure Vergangenheit und somit in eurer Leben bringen", flüsterte sie ihnen beruhigend zu und setzte sich ebenfalls auf ein Sofa.
Nachdem beide ihre Gläser ausgetrunken hatten, sah Alan ihre Schwester an.
"Noir, du bist meine geliebte Schwester. Und du bist alles für mich, neben Addie natürlich. Ich dachte damals, ich hätte dich für immer verloren. Deswegen habe ich heute umso mehr Angst um dich. Nicht nur, dass dir etwas zustößt, sondern auch, dass ich dich für immer verliere. Was ich dir schon immer sagen wollte… Es tut mir leid, dass ich nicht für dich da war, als du mich vielleicht gebraucht hast. Das ist die Aufgabe eines großen Bruders für seine kleine, unerfahrene Schwester da zu sein. Und ich konnte das nicht erfüllen. Und darunter hast du sicherlich sehr gelitten. Und das möchte ich unbedingt wieder gut machen. Ich will für dich da sein, als dein großer Bruder, der endlich in der Lage dazu ist, Verantwortung für seine Schwester zu übernehmen und sie bei allem zu unterstützen, was sie noch in ihrem Leben vorhat. Egal was du vielleicht über mich erfahren wirst, bitte lass es nichts an unserer Beziehung zu einander ändern."
Dankbar lächelnd nahm sie die Hand ihres Bruders und streichelte sie zärtlich.
"Mach dir keine Vorwürfe, Bruderherz. Es wird sich nie etwas an meiner Liebe zu dir ändern. Du bist doch der Einzige, den ich noch habe. Und deswegen gilt dieses Versprechen auch für dich."


6. Alan's and Noir's Past



"Wo ist Noir?"
Der kleine, zehnjährige Junge mit dem pechschwarzen Schopf und den tiefblauen Augen sah seine Mutter besorgt fragend an. Die blickte hilfesuchend in das Gesicht ihres Mannes, der wenige Sekunden später den Raum verließ.
"Deine Schwester ist momentan...in einer anderen Familie in Amerika...", flüsterte sie ihrem Sohn zu und strich sich dabei durch ihr dunkelbraunes, seidiges Haar.
"Aber warum, Mama? Warum? Hat sie etwas angestellt? ... Bitte, sag doch was!"
"Alan... Deine Schwester ist sehr verletzlich und sensibel und die häufigen Streitsituationen zwischen deinem hochmütigen Vater und mir haben sie sehr belastet. Dich auch, mein kleines Alan, ich weiß. Irgendwann wird alles wieder gut, wir werden alle wieder zusammen friedlich leben können und dann werden wir unsere Noir zurückholen."
Aufmunternd lächelnd legte sie eine Hand auf Alans Haupt.

"Es tut mir wirklich leid. Ich wollte euch nicht in so eine Lage bringen."
"Warum... Warum du?", schluchzte Alans Mutter.
"Du weißt doch, wie das ist. Man wird als solches geboren. Als Söldner könnte ich jegliche Art von Schutz für unsere Familie meiner Auftragsgeber in Anspruch nehmen. Ich wünschte, Élain, ich hätte unseren Kindern das ersparen können. Aber...es ist nun mal ein Fluch in die De Mercier-Familie geboren zu werden. Es bedeutet, dass jedem von uns, ein Schicksal zugeteilt wird. Leben oder Sterben. Und trotzdem sind wir ganz besonders. Wir sind Todesengel, viel mächtiger als die gewöhnlichen Engel. Wir werden ewig existieren, solange wir für einander da sind."
Er gab seiner Frau einen sinnlichen Kuss.
"Ich liebe dich, Élain. Und bitte, versprich mir, dass du auf Alan aufpasst und Noir zurück nach Hause bringst."
Sie nickte betreten.
Eine Woche später saß sie weinend in der Küche.
"Mama?"
Sie schreckte auf.
"Alan... Schatz, mach dir keine Sorgen. Es ist alles gut."
Sie zwang sich ein Lächeln heraus.
"Was ist passiert?! Ich spüre es, Mama. Du kannst mich nicht belügen! Irgendetwas stimmt nicht!"
Élains Blick füllte sich mit Trauer und Leid.
"Papa ist tot..."
Alan riss seine Augen auf und begann zu zittern.
"Nein... Das kann nicht sein...", flüsterte er weinend.
Seine Mutter nahm in fest in den Arm und drückte ihn an sich.
"Es tut mir so weh, zu sehen, wie du all das ertragen musst, Alan. Ich wünschte, ich hätte dir eine schönere Kindheit bieten können. Auch wenn ich versucht habe, mein Bestes zu geben und euch eine gute Mutter zu sein, aber offensichtlich habe ich grundlos versagt..."
"Nein, Mama... Das stimmt nicht... Aber weißt du, ich habe mich so oft gefragt... Warum wir? Warum muss mein Vater ein Söldner sein?", jammerte er verzweifelt.
Élain sah ihren Sohn bestürzt an.
"Du weißt es? Aber woher?"
Einige Sekunden Stille.
"Du hast es gehört, nicht wahr? Es tut mir so leid, Alan. Du glaubst gar nicht, wie sehr es mich schmerzt, zu sehen, wie du und deine Schwester an diesem unmenschlichen Leben zerbrecht. Ich hoffe, du kannst mir eines Tages vergeben..."
Alan ließ sich wimmernd in die Arme seiner Mutter fallen, aus deren hellblauen Augen still und leise Tränen der Wehmut über ihre Wangen liefen.

'Warum... Warum muss das uns passieren? ... Sind wir nicht eine ganz normale, französische Familie, die in Lille wohnt?'
Zitternd wickelte sich Alan in seine warme, weiche Wolldecke ein.
'Warum fühle ich mich verlassen?
Mit all dem Pein und all dem Elend...
Warum nur, Vater, hast du mich zurückgelassen?
Doch wenn der schwarze Engel erscheint,
völlig blass und verweint...
Dann bin ich mir sicher, ich bin nicht allein,
denn der dunkle Engel wird bei mir sein...
Versprich mir, dass wir uns wieder sehen, Schwesterherz...'
Am frühen Morgen wurde er durch einen lauten Knall aus dem Schlaf gerissen. Verstört kauerte er sich zusammen und starrte mit aufgerissenen Augen seine Zimmertür an.
'Was ist das?!'
Ein schmerzerfüllter Schrei seiner Mutter ertönte.
'Was passiert hier?!'
Er sprang aus dem Bett und stolperte zu der Holztür seines Kinderzimmers. Er zitterte am ganzen Leib. Vorsichtig legte er schweißgebadet seine feuchte Hand auf die Türklinke und drückte sie langsam herunter.
"Mama?"
Verängstigt schob er die Tür auf und blickte in den leeren, dunklen Flur, der in die restlichen Räume der Wohnung führte.
Mit blecken Füßen tapste er zum Elternschlafzimmer, das direkt neben seinem Zimmer war, und sah sich um.
"Mama? Bist du hier?"
Keine Antwort.
Niemand war dort.
Er schlich weiter ins Nebenzimmer, der Küche.
"Mama! Bitte... Wo bist du?", wisperte er.
Seine Stimme zitterte. Sein ganzer zierlicher Leib bebte. Es lief ihm eiskalt den Rücke herunter. Der Gedanke daran, dass nun auch seiner geliebten Mutter etwas passiert war, erdrückte seine Seele. Er spürte, wie sich große Angst in ihm ausbreitete und ihm Magenschmerzen bereitete.
Er betrat die Küche. Auch dort war keiner.
Seine Furcht wurde mit jedem Schritt größer. Er wollte nicht weitergehen. Er wollte stark sein, so wie sein Vater es gewesen war, aber er konnte mit seiner Seelen nicht ins Reine kommen.
Als er wieder im Flur stand, vernahm er ein klagendes Jammern. Er stürzte schwer atmend zum Wohnzimmer und blieb im Türrahmen stehen.
"Mama? Bist du es?"
"Alan... Bitte... Du musst fliehen..."
"Mama!", schrie er weinend.
Ein Wurfmesser streifte seine Wange und verursachte eine oberflächliche Schnittwunde.
Er fasste sich an seinen Kiefer und sah sich verängstigt im Zimmer um, doch er konnte nichts erkennen. Dafür war es zu düster.
"Alan... Lauf!"
"Mama! Was ist hier los?!"
Ein dunkler Schatten legte sich auf Alan, als die Wolken vorbeigezogen waren und der Mond ins Wohnzimmer schien. Seine Mutter lag blutüberströmt auf dem Boden. Mehrere Klingen waren in ihren zierlichen Leid gestoßen worden. Ihre Handabdrücke aus Blut klebten am Fensterglas. Sie hatte versucht zu entkommen, bevor er sie niedergestochen hatte. Ihre Augen waren starr aufgerissen und auf ihren Sohn gerichtete, der seinen gesunden Hautton bereits verloren hatte.
"Alan... Bitte...", brachte sie unter Schmerzen heraus.
"Nein!"
Seine Augen verfärbten sich blutrot. Seine Pupille verformte sich zu einer schlitzförmigen.
"Nein...", flüsterte sie fassungslos und hielt den Atem an.
"Er ist es tatsächlich. Der Nachfolger seines Vaters und Erbe der Gene eines Höllen-Todesengeln. Und das obwohl sein Vater ein ganz gewöhnlicher Todesengel war. Der erste Höllen-Todesengel der De Mercier-Familie. Doch wenn ich das richtig empfinde, ist der kleine jetzt schon um einiges stärker als der ehemalige Söldner dieser Zeit. Und er wird noch viel mächtiger werden, als er sowieso schon ist", stellte der Herr des Schattens fest.
"Noch ein Hieb und sie wird tot sein. Willst du mich denn nicht aufhalten, Todesengel?"
"VERSCHWINDE, MISTKERL!"
"Das war die falsche Antwort..."
Der Auftragskiller durchbohrte gnadenlos mit seinem Schwert Élains Herz. Die spuckte Blut und blieb regungslos mit offenen Augen liegen.
Erst nachdem der Mörder seiner Mutter und auch seines Vaters verschwunden war, holte Alan die Realität ein. Er fiel auf seine Knie und presste die Hände gegen seinen Kopf.
"Das kann nicht sein..."
Er begann zu zittern.
"Das ist nicht wahr!", schrie er weinend.
"Alan..."
"Mama!"
Schnell krabbelte er zu seiner halbtoten Mutter.
"Es tut mir leid... Mein kleiner Schatz..."
Sie versuchte zu lächeln.
"Ich bin so stolz auf dich... Ich weiß, dass du es alleine schaffen kannst... Versprich mir, dass du überleben und deine Schwester finden wirst... Hab deinen Vater und mich so in Erinnerung wie du uns kennst... Ich liebe dich, mein kleiner Engel..."
Alan hielt die Hand seiner Mutter behutsam und weinte:"Ich verspreche es dir, Mama. Ich verspreche es."
Sie nickte mit einem sanften Lächeln.
"Wir sehen uns...im Paradies der Ewigkeit, Alan...", flüsterte sie, bevor ihr Kopf zur Seite fiel und der letzte Funke ihrer Lebenskraft erlosch.

"Hast du etwas von meiner Familie gehört? Sie haben sich schon so lange nicht mehr gemeldet."
Die junge Amerikanerin strich durch ihr schwarzes, glattes Haare.
"Mach dir keine Sorgen, Noir. Sie werden sich sicher bald bei uns melden. Sie haben dich nicht vergessen."
"Esra, kommst du mal bitte?", ertönte aus der Küche.
"Du bleibst bitte kurz hier, ja, Noir?"
Das kleine Mädchen nickte und ließ sich in den Sessel fallen.
"Schatz... Wir wurden gerade benachrichtigt, dass Noirs Familie tot ist...", berichtete Esras Ehemann mit traurigem Blick.
Seine Frau wurde kreideweiß und schüttelte geschockt den Kopf.
"Das kann doch nicht sein...", flüsterte sie und sah kurz ins Wohnzimmer, in dem ihre sechsjährige Pflegetochter saß.
Vorsichtig nahm er sie in den Arm.
"Was sollen wir denn der kleinen sagen? Oh, unsere arme Noir. Hat sie denn auch ihren Bruder verloren?"
Er nickte.
Esra begann bitterlich zu weinen.

'Was soll ich tun? Ich muss hier weg... Aber wohin?'
Zitternd saß er in der Ecke des Wohnzimmers, in dem ein Massaker wieder zu erkennen war. Alan traute sich nicht aus der Wohnung, jemanden anzurufen, geschweige denn zu atmen. Doch nach einer Weile stand er auf, rannte zur Haustür und riss sie auf. Es war stockduster, obwohl es früh am Morgen war.
Er blickte gen Himmel, der mit dunklen Wolken, durch die sich der Mond seinen Weg bahnte und für kurze Zeit alles erhellte, bedeckt war.
'Wohin mit mir?'
Er ging die unbefahrene Straße entlang.
'Mein Herz fühlt sich so unglaublich schwer an... Dieser Druck auf meiner Seele... Warum kann ich keine Tränen vergießen? Plötzlich ist alles so leer in mir... Wo gehöre ich hin?'
Er blieb stehen. Er spürte die Anwesenheit eines fremden, unmenschlichen Wesens.
'Meine Bestimmung ist die gnadenlose Rache...'
Alan drehte sich um. Ein Mann mit schwarzer Rüstung und ausgebreiteten, blutbespritzten Flügeln stand einige Meter entfernt vor ihm.
Seine Augen leuchteten in einem Dunkelrot, ebenso Alans.
Beide besaßen verlängerte Eckzähne und angespannten Muskeln.
Die unmittelbare Umgebung der beiden begann zu beben. Risse zogen sich durch den Straßenbelag und öffneten den Boden.
"Ich befehle dir, nun mit mir zu kommen, Alan De Mercier."
"Und ich werde euch allesamt umbringen, ihr elendigen Monster..."

7. Meet Hell again



'Wo bin ich?'
Er blickte in tiefe Dunkelheit.
'Was ist passiert? Ich kann mich nur an den Mörder meiner Eltern erinnern... Dass ich ihn umbringen wollte, doch mein Rücken riss auf und ich ging in Flammen auf... Ich hatte keine Kontrolle über mich... Ich wurde verschleppt...'
Er schloss seine matten, ausdruckslosen Augen.
'Ich habe kein Zeitgefühl, spüre meine Seele und die Hülle, die sie schützt, meinen Leib, nicht mehr... Wie lange ist es bloß her?'
Alan vernahm Schritte aus seiner düsteren Umgebung. Die Flamme, die ein Soldat in seiner Handfläche erzeugte, erhellte die kleine Höhle.
Alan kniff seine tiefgründig blauen Augen zusammen, als das Licht sein Gesicht traf.
"Na endlich bist du wach!", lachte der Höllen-Wächter.
"Was soll das? Wo bin ich? Lasst mich auf der Stelle frei!", polterte der gefangene Engel.
"Ruhig Blut, junger Todesengel. Wir haben Jahre auf dein Erwachen gewartet. Nun bist du endlich vollendet. Die perfekte Killermaschine, die darauf getrimmt wurde, Menschen zu ermorden. Du bist der Söldner der Hölle dieser Zeit, der Zeit, der in der Hölle Hausenden.
"Das ist unmöglich! Das kann nicht sein! Wie lange ist es her, seit ich mitgenommen wurde?!"
Der Krieger grinste.
"Ganze sieben Jahre schmorst du nun schon in der Hölle."
Alan zog an den Ketten, an denen er lag.
"Aus diesen Fesseln kann sich niemand befreien!"
Unbeeindruckt von Alans wütendem Gebrüll, verschwand der Soldat bösartig lachend.
"Das kann doch nicht sein... Sieben Jahre der Bewusstlosigkeit... Kein Wissen über Realität und Traum... Was ist in dieser Zeit mit meinem Körper und meiner Seele geschehen? Was ist mit mir

geschehen? Da ist nichts, absolut gar nichts in mir... Keine Liebe, Warmherzigkeit, keine Trauer oder Sehnsucht, einfach nur grenzenlose, eiskalte Unendlichkeit... Empfindungslose Leere... Wie abgestorben... Selbst meinen Glauben an Gott und die Welt habe ich verloren... Ich besitze nicht einmal mehr das Wissen an das Gute im Menschen... Ich gestehe mir selbst ein, dass ich zu einem abgrundtiefen Monster geworden bin... Ich bekenne vor dem Herrn, dass sich meine Gedanken nur um das Blutvergießen unschuldiger Menschen drehen..."
Der Engel senkte sein Haupt voller Selbsthass zu Boden und schloss seine trüben Augen.
"Ich spüre es... Eine ungeheure, gefährliche Macht, die in mir schlummert und die niemand zu bezwingen vermag... Nach sieben, langen Jahren erwacht zu einem elendigen Ungeheuer...", flüsterte er ehrfürchtig.
Seine unmittelbare Umgebung begann zu beben. Seine Muskeln wurden sichtbar, denn er versuchte mit aller Kraft, sich von den Ketten zu befreien.
"Komm schon!"
Mit dem Öffnen seiner Augen, die sich blutrot verfärbt hatten, riss er die Fesseln mit einem Stück Stein aus der Felswand, die zu bröckeln begann.
Sein Puls raste und er atmete schwer. Zitternd fasste er sich an die Brust, in der er einen stechenden Schmerz verspürte. Seine Haut brannte unerträglich und er begriff, dass er unwillkürlich seine monströse Kraft entfesselte. Der Todesengel krümmte sich und ließ dem Schmerz seiner Seele und seines Körpers freien Lauf. Seine mit Leid erfüllten Schreie befreiten ihn von dieser Höllenqual. An seinem gesamten Leib entstanden Risse, aus denen Blut lief.
Und plötzlich schossen riesige, kräftige Flügel mit dichten, tiefschwarzen Federn aus seinem muskulösen Rücken und er wusste, das Monster in ihm war erwacht.

Die trostlosen Gestalten, die in der kahlen Landschaft der Hölle umher wanderten, schreckten zurück, als der blutüberströmte Todesengel mit ausgebreiteten Flügeln, starrem Blick und einer Eisenkugel, die an seinem Fußgelenk befestigt war, hinter sich her ziehend, an ihnen vorbei trottete und eine Blutspur hinterließ. Die schockierten Blicke, die ihn trafen, nahm er nicht wahr. Er besaß keinerlei Empfindung mehr. Er befand sich in einem Blutrausch und allein der Gedanke daran, nun genüsslich jemandem das frische Blut auszusaugen, beruhigte ihn.
Der Engel war auf dem Weg zu dem Höllenfürst, der ihn entführen lassen hatte. Seine noch nicht zu einem Monster erwachte Seele kontrollierte seinen Körper und befahl ihm dorthin zu gehen. Aber nicht um zu morden, sondern, um seine noch reine Seele zu retten. Er wollte um Gnade flehen.

Unterdessen hatten sich viele Höllen-Todesengel im Thronsaal des Höllenfürsten versammelt.
"Hört mir zu, meine lieben Engel. Ihr seid Geschöpfe, die nur aus einem Grund geboren wurden. Ihr seid für die Vernichtung der Menschen zuständig. Diese niederen Wesen, die nichts Besonderes in ihrem Blut tragen, sind für uns nutzlos und es nicht wert zu leben und unsere Anwesenheit zu genießen. Ihr elendiges Dasein soll ausgelöscht werden. Jedes einzelne."
Die schwere Eisentür des Saales öffnete sich und Alan betrat mit eiskaltem Blick den Raum. Noch immer die Eisenkugel hinter sich her ziehend, schlenderte er auf den dunklen Fürst, der ihn mit einem stolzen Grinsen begrüßte, zu.
"Wenn ich vorstellen darf. Er wird die Invasion auf die Menschenwelt anführen. Er ist der neue Herr der höllischen Legion. Der stärkste Söldner, den wir je besaßen. Der Söldner der Hölle der Zeit, der in der Hölle Hausenden. Alan De Mercier."
Ein Raunen ging durch den großen Saal. Der Todesengel sah sich misstrauisch um.
"Nichts, von dem was erzählt wird, ist wahr", stellte er selbstsicher klar.
Ein skeptischer Blick des Fürstens traf ihn.
"Natürlich ist es wahr. Wir haben dich doch erschaffen", lachte er.
"Nein! Ihr habt mich nicht erschaffen. Meine noch reine Seele gesteht mir, dass man aus mir ein Monster gemacht hat, indem man meinen Geist manipulierte. Meine Seele ist unantastbar, sowie es die Würde jedes einzelnen Menschen ist. Darum werde ich, egal wie sehr mein Geist und mein Verlangen sich danach sehnen, kein Blut eines unschuldigen, menschlichen Wesens vergießen. Ich kenne diese ewige Suche nach Vergebung, denn durch meine Existenz ist meiner Mutter ihr schönes Leben vergönnt worden. Die Sucht nach Frieden. Diese Besessenheit nach der Zufriedenheit mit sich selbst. All das, all diese Gedanken lassen mich nicht los. Und noch viel schlimmer ist die Vorahnung, die ich hatte, als ich erfuhr, wer mein Vater wirklich war. Die Befürchtung selbst zu dem zu werden, ist wahr geworden. All meine Vermutungen haben sich mit der Zeit bestätigt. Die Einbildung nicht zu einem Monster zu werden, vernebelt den eigenen, klaren Geist, der einem hilft, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Doch das gelingt mir kaum noch. Meine innere Stimme, meine Seele sagt mir, ich solle mich von diesem Gedanken des Mordens losreißen, aber das ist mir nicht mehr möglich. Zu sehr wurde ich darauf getrimmt. Zu oft habe ich den Geruch von frischem Blut gerochen. Mein dämonisches Gespür befiehlt mir, ich solle nun einen lebendigen Leib in Stücke reißen..."
"Er hat es endlich verstanden! Perfekt. Nun denn. Wie wäre es mit einer ersten Mission, in der ich deine Fähigkeiten testen kann?", erwiderte der Höllenfürst genügsam.
Beherrscht und mit starr aufgerissenen Augen stampfte er mit dem Fuß auf, an dem die Kugel aus Eisen hing, die ein knallendes Geräusch verursachte, als sie auf dem Steinboden auftraf.
"Warum so ungeduldig, junger Söldner? Wir haben doch gerade erst angefangen. Nehmt ihn mit und bringt ihn in den Käfig!"
Unsanft wurde Alan auf eine abgebrannte Wiese geworfen, die mit einem ausbruchssicheren Gitter umzäunt war. Er rappelte sich auf, als er ein Knurren vernahm. Mit rotverfärbten Augen sah er sich um. Sein Blick erstarrte, als er drei Engel seiner Art entdeckte. Die hatten bereits eine unmenschliche Gestalt angenommen und fletschten ihre Zähne.
'Sie haben nicht nur ihre menschliche Seele, sondern auch ihren Körper an das Ungeheuer, das in ihnen haust, verloren... Sie haben sich ganz dieser Gier nach Macht hingegeben, doch sie wissen nicht, dass sie dafür ihre Menschlichkeit hergegeben haben... Warum weiß ich mehr als sie? Mehr als diese Monster, die so seit Hunderten von Jahren sind... Sieben, verdammte Jahre habe ich all das erlernt, ohne irgendetwas dafür tun zu müssen... Es war schon in mir verankert, bevor ich geboren wurde... Es war Schicksal... Doch ich habe nicht das Verlangen, zu einem Ungetüm zu werden... Trotzdem besitze ich eine monströse Aura und gebe mein Untier sein preis... Ich will nicht sterben... Nein, ich werde nicht durch solch elendige Bestien mein Ende finden... Und deswegen...'
Der Himmel verdunkelte sich. Gähnend schwarze Leere erstreckte sich vor ihm und seinen zu Monstren mutierte Artgenossen.
"...werdet ihr durch meine alles verschlingende Macht in eurem eigenen Blut aufgehen...", flüsterte er mit beherrschter, tiefer Stimme.
Der Mond, der in einem feuerroten Schein brannte, ging auf und blieb als einzige Lichtquelle.
"Das Monster erwacht..."
Die kahlen Bäume warfen große, bedrohliche Schatten, die sich verformten.
"Blut fließt den Hang hinab ins düstere Tal..."
Schreie Seinesgleichen in dämonischer Gestalt ertönten. Die Schatten zerrissen alle in Stücke.
"Hölle ist der Ort des Verbrechens..."
Er senkte sein Haupt zu Boden.
Die Dämmerstunde begann. Der blutrote Mond ging unter und die glühende Sonne erhellte das Massaker, das in fast völliger Finsternis vonstattengegangen war.
"Nun, ich bin beeindruckt. Er musste keinen Finger krümmen, um sie allesamt umzubringen. Das zeichnet einen wahren Höllen-Todesengel mit Genen des ersten Prototypens aus. Hervorragend. Ich gedenke, ihn auf seinen ersten Mordauftrag vorzubereiten. Er hat verstanden, dass er sich meinem Willen beugen muss. Nun, Dan Caleb Graven, was hälst du von ihm?"
Um den Höllenfürst bei Laune zu halten, nickte der Todesengel, der neben des Fürstens Throne stand, und erwiderte:"Aber sicher. Er ist perfekt. Dennoch sollten Sie ihn nicht unterschätzen. Er ist stark. Vielleicht zu stark. Möglicherweise ist er so mächtig, dass er Euch hintergehen könnte, ohne dass Ihr es merkt. Seid als auf der Hut."
"Besitzt er denn annähernd eine solche Stärke wie du, Dan?"
"Selbstverständlich. Sein Körper ist robuster und belastbarer geworden. Wir haben ihn gestählt. Dennoch ist es imponierend, wie gut er sich beherrschen kann. Er hat eine unglaubliche Selbstkontrolle. Seine Seele ist unantastbar, fast genauso sehr wie sein halb erwachter Geist. Wir konnten seine Seele nicht zum Entfachen bringen. Dafür ist er zu distanziert von anderen Wesen und somit sein Inneres, also seine Seele, für uns unzugänglich."
Nachdenklich umfasste der dunkle Fürst sein Kinn.
"So ist das. Er selbst ist dafür verantwortlich, dass wir seine Seele nicht erreichen können. Was könnten wir dagegen tun, mein lieber Dan?"
"Vertrauen ist der Schlüssel zu einer verschlossenen, schweigsamen Seele. Wir, die Höllen-Todesengel des Prototypen I, besitzen kein Grundvertrauen in andere Wesen. Wir müssen es uns hart erarbeiten, wenn wir auf jemand anderen bauen wollen. Die meisten von uns haben entweder kein Interesse daran oder sterben an der Verzweiflung, wenn sie merken, dass sie keinen Glauben in sich tragen. Entschuldigt mich, ich werde mich um Alan De Mercier bemühen. Er soll sich auf mich einlassen, damit ich sein Vertrauen erhalte und ihn somit hintergehen kann, falls er etwas im Schilde führt."
Dan verbarg sein Gesicht mit einem Umhang und betrat den Käfig, in dem Alan randalierte und lautstark fluchte.
"Alan De Mercier... Der Söldner der Hölle der Zeit, der in der Hölle Hausenden... Wie ist momentan dein wertes Befinden?"
Der polternde Todesengel mit den glühenden, dunkelroten Augen knirschte mit den Zähnen. Dabei konnte man das Muskelspiel seines Unterkiefers betrachten.
"Du möchtest mir nicht antworten, habe ich recht? Verzeih, dass ich so unhöflich bin."
Er nahm die Kapuze seines schwarzen, langen Mantels ab.
"Ich bin Dan Caleb Graven, ein Höllen-Todesengel des Prototypen I, genau wie du."
Alan rüttelte weiter an dem Gitter des Käfigs.
"Mit Verlaub, ich werde mich nun deiner annehmen. Das heißt, ich werde mich um dich bemühen und dafür sorgen, dass du deine Freiheiten erhälst, die du zum Leben benötigst."
Alan fiel auf seine Knie und atmete schwer.
"Was ist los mit dir?", flüsterte Dan gemächlich.
Der Todesengel krallte seine Finger in die trockene Erde und gab gezügelt zurück:"Es ist alles in Ordnung..."
"Erhebe dich und folge mir. Aber ich sage dir, versuche nicht mich zu stürzen. Ich bin unerschütterlich. So arrogant es auch klingen mag, aber ich vermag eher zu einem mächtigen Monster zu erwachen als du. Denn deine Seele ist von jeder Schuld getilgt. Nicht wie meine... Es ist also empfehlenswert, wenn du dich meine Anweisungen fügst. Ich verspreche vor Gott, ich werde gut zu dir sein."

An die Zimmerdecke starrend lag Alan in einem warmen Bett. Seine Verletzungen waren mit Verbänden geschützt und auf seiner glühend heißen Stirn lag ein kühlender, nasser Lappen.
"Meine Hände sind mit fremdem Blut beschmiert... Ich bin nicht länger ein unschuldiges Wesen... Ich habe mich vor Gott und der Welt zu einem elendigen Sünder gemacht... Ich habe diesen Trieb nicht unter Kontrolle... Ich will keine mit grausamen Schandtaten belastete Seele besitzen! Dieser Gedanke erdrückt mich... Ich weiß, dass ich noch weitere Missetaten begehen werde... Aber ich kann nicht entkommen... Ich kann nicht fliehen! Ich bin in mir selbst gefangen und kann nichts tun, um mich vor mir selbst zu retten... Sterben ist die einzige Möglichkeit der Vergeltung und der Beweis dafür, dass ich bereue..."
Er schloss seine trüben Augen. Sein Herz schlug langsamer. Sein Puls beruhigte sich. Sein Atem wurde schwächer. Sein größter Wunsch war es nun, einfach einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen. Zu sehr hasste er sich, um sich selbst verzeihen zu können. Er selbst wusste, dass ihn nun niemand außer Gott retten könnte. Er wollte sich auf das Schicksal verlassen und sich ihm einfach hingeben. Die Zeit würde die richtige Entscheidung bringen. Leben oder Tod. Er selbst hatte sich für das Sterben entschieden.
"Also wirklich, Alan. Ich bin zutiefst enttäuscht."
Dan betrat das kleine Räumchen, in dem der verletzte Todesengel auf den erlösenden Tod wartend verharrte. Alan setzte sich auf und sah ihn mit müdem Blick an.
"Nun, um dich aufzuklären... Du bist dazu verdammt, noch mehr von ihnen umzubringen. Von diesen Menschen... Ich weiß, dass du den Gedanken daran kaum ertragen kannst. Die Tatsache jedoch ist, dass weder dir noch mir eine andere Wahl bleibt."
Alan verschränkte die Arme.
"Ich habe einen neuen Auftrag für dich. Aber um ganz ehrlich zu sein, wollte ich ihn dir erst vorenthalten, weil ich der Meinung war, dass du noch nicht so weit bist. Immer noch nicht, nach 3 Jahren, die du nun schon für den Höllenfürst mordest. Der Ansicht war ich auch schon als ich dich aufnahm. Doch der Höllenfürst wollte nicht länger warten. Schließlich hatte er sich sieben Jahre geduldet und nun wollte er dich ohne zu zögern einsetzen. Ich entschuldige mich zutiefst für die Last, die dir auferlegt wurde. Verzeih mir, aber ich kann dich nicht länger hier verweilen lassen..."
Der unerfahrene Söldner sah seinen Lehrmeister unverständlich an.
"Was willst du mir damit sagen? Dass ich auf einmal nichts mehr wert für euch bin und ihr mich gnadenlos ausgenutzt habt?!"
"Nein, aber ich werde nicht weiter zu sehen, wie sie versuchen, dich derart zu manipulieren, sodass du selbst nicht mehr weißt, was du tust oder wer du eigentlich bist."
Dan kniete sich vor das Bett, in dem Alan aufrecht saß.
"Ich bitte dich, flieh solange du noch kannst und einen menschlichen Verstand besitzt. Sie werden dich nicht in Frieden lassen, solange du nicht zu einem vollständigen Monster mit erwachter Seele geworden bist. Ich werde nicht zulassen, dass du den Rest deines Lebens damit verbringst, deine gütige Seele immer mehr zu zerstören. Du mit deinen 20 Jahren hast Besseres als das hier verdient."
Mit flehendem Blick umfasste er die Hand des jungen Todesengels, der kein Wort heraus bekam.
"Ich stehe direkt unter dem Höllenfürst und allein aus dem Grund, dass ich es mit dir aufnehmen könnte, hat er dich mir anvertraut. Aber ich muss nun mein Versprechen brechen. Ich will, dass du in der Menschenwelt versuchst, ein normales Leben zu führen."
"Aber wie soll ich das machen?!"
Die Augen beider Engel verfärbten sich und glühten in einem grellen Rot.
"Unterdrück die Sucht nach dem Morden. Ich weiß, dass du es schaffen kannst. Sobald sich unsere Wege trennen, wird die Erinnerung an mich in deiner Seele und deinem Verstand zerstört und du wirst nichts mehr von dem wissen, was zwischen uns passiert ist."
"Aber ich habe doch überhaupt keine Ahnung von der Lebensweise der Menschen! Bitte, du musst mir helfen!", gab Alan verzweifelt von sich.
Die Wände begannen zu bröckeln und die Umgebung zu beben.
"Nur du kannst dir selbst helfen. Du musst überleben, Alan..."

Alan fand sich in einem Park wieder. Benommen stand er auf und sah sich mit leicht zusammen gekniffenen Augen um. An dieses intensive Licht der Sonne war er nicht mehr gewöhnt. Humpelnd steuerte er auf eine Bank zu, auf der eine Frau mit längerem, dunkelblondem Haar verweilte. Er ließ sich erschöpft neben sie fallen und stieß sie dabei unsanft mit seinem Ellebogen.
"Verzeihen Sie, Miss..."
Als er aufsah, blickte er in ein trauriges Gesicht. Ihre Schminke war verlaufen und hatte dunkle Streifen auf ihren Wangen hinterlassen.
"Ist alles in Ordnung bei Ihnen?"
Die junge Dame schwieg, stand unerwartet auf und rannte weinend davon.
In Gedanken vertieft sah er ihr nach.
'Was geht in diesem verletzten Wesen vor? Ihre Seele scheint gebrochen zu sein, so wie meine... Um was drehen sich ihre Gedanken...'
Konzentriert verengte er seine Augen und riss sie plötzlich auf.
'Gedanken an den Tod?!'
Wie ein Gejagter hetzte er ihr stolpernd hinterher. Lautstark schreiend saß sie mit einem Küchenmesser vor einem Bach. Blut tropfte von der scharfen Klinge ins Wasser. Er stürzte hinter ihr auf die Knie und hielt ihren zierlichen Oberkörper fest.
"Bitte... Tun Sie es nicht... Ich kenne das Gefühl, einfach nur sterben zu wollen..."
Die junge Frau versuchte verzweifelt, sich aus Alans starken Armen zu befreien.
"Lassen Sie mich los! Lassen Sie mich einfach nur in Ruhe! Es ist meine Entscheidung, was ich mit meinem Leben mache!"
"Tut mir leid, aber das muss ich korrigieren. Gott hat keinen Menschen erschaffen, damit er sich Solches antut."
"Sind Sie ein Priester oder Heiliger, oder was?!"
Alan schwieg für einige Sekunden.
"Nein, aber ich versichere Ihnen, dass ihre Mutter bei dem gnädigen Herrn sicher aufgehoben ist. Er wird sie von ihrem Leid befreien."
Sie begann zu zittern. Der Engel hatte ihre Angst befürchtet. Immerhin hatte er mitten in ihre Seele geblickt und somit erfahren, warum sie sich das Leben nehmen wollte. Vorsichtig nahm Alan ihr das Messer aus der Hand, warf es in das klare Wasser des Bachs und löste sich langsam von ihr.
"Woher...", flüsterte sie ehrfürchtig.
Stille.
"Woher wissen Sie, dass meine Mutter..."
Der Todesengel ließ sich neben ihr nieder.
"Ihre Reaktion hat mich an meine damalige Situation erinnert. Ich habe selbst meine Mutter in jungen Jahren verloren. Und ich konnte nichts tun, um ihren Tod zu verhindern. Ich wollte mir ebenfalls das Leben nehmen. Aber jemand hielt mich davon ab..."
Ihre hellbraunen Augen weiteten sich.
"Wer... Wer hielt Sie davon ab?"
"Es war Gott..."
Sie stutzte.
"Ja, ich denke, es war Gott, der mich vor dem Tod errettete. Mein letzter Gedanke war, dass ich überleben muss. Und ich bin mir sicher, dass Gott mir diesen Gedanken in den Verstand gebracht hat."
Sie senkte ihren Kopf zu Boden und zog die Beine an ihren Körper.
"Ich habe das Gefühl, dass Sie mich besser verstehen als alle anderen auf dieser Welt..."
"Es ist alleine die Erfahrung, die uns verbindet. Die beinahe Begegnung mit dem Tod vereint uns insgeheim. Wenn ich mich vorstellen darf... Ich bin Alan."
Sie sah ihn mit einem leichten Lächeln an.
"Mein Name ist Admina..."


8. Raid on Jivin'



Das französische Geschwisterpaar öffnete die Augen und setzte sich auf.
"Und? Konntet ihr eure Vergangenheit realisieren?"
Noir lächelte Freya an.
"Ja, bis auf den Mord an meinen Eltern und dem scheinbaren Tod meines geliebten Alans war meine Kindheit schön. Das habe ich meinen Pflegeeltern zu verdanken. Was wäre ich ohne sie gewesen..."
Dann sah sie in das ernste Gesicht ihres Bruders.
"Alan, was ist bei dir geschehen?"
"Nichts Besonderes...", gab er emotionslos von sich, während er sein Haupt zu Boden senkte, sich erhob und vor der Königin nieder kniete.
"Ich danke Ihnen für alles, Freya. Dafür, dass Sie mir meine geliebte Cousine und meinen verehrten Schwager zurückgegeben haben. Sie haben mir mit der Begegnung meiner eigenen Vergangenheit meine Augen geöffnet und meine zerstörte Erinnerung zurückgeholt. Mir ist nun bewusst, dass ich eine bestimmte Person besser kenne als ich zuvor glaubte. Jede Intrige kommt irgendwann ans Licht. Ein solches Hintergehen wird nicht belohnt, zumindest nicht von mir. Es war mir von Anfang an wichtig zu wissen, was mich dazu getrieben hat, solch grausame Untaten zu begehen. Der Nebel hat sich durch Eure Güte gelegt und einen Teil meiner verlorenen Seele ist zurückgekehrt. Ich stehe ewig in Eurer Schuld", flüsterte der Todesengel und küsste die Hand der Königin, die sanft lächelnd nickte.
Alan ging zum Ausgang des mystischen Ortes und würdigte Dan keines Blickes als er an ihm vorbei marschierte.
Die Himmelsfürstin begleitete die Gruppe bis zur Stadtmauer, bei der die Schamanen ungeduldig auf ihre Verbündeten warteten. Auf die wollte Freya jedoch ungern treffen und verabschiedete sich von den Engeln frühzeitig.
"Ich baue auf euch. Dass ihr die Bestie besiegt und wohlbehütet zurückkommt. Auch um Élèna und Jake abzuholen. Die beiden können es kaum erwarten, mit euch von dannen zu ziehen."
"Wir werden wiederkommen. Danke für alles, Freya", erwiderte Alan und verließ gemeinsam mit seiner Gruppe und den Ureinwohnern dieses Landes die Stadt Nesay und machte sich mit ihnen auf den Weg durch eine weitere Wüste zur ehemaligen Hauptstadt.

"Da ist sie... Unser heiliges Jivin'...", verkündete Kuro, als sie auf einem sandigen Felsvorsprung auf ihren Riesenechsen Halt machten.
Sie waren in einer Art Wüste angekommen und sahen hinunter in ein Tal, in dem die heilige, schamanische Stadt ruhte. Geheimnisse wurden dort bewahrt und die lange Geschichte der Schamane lag dort unter dem Sand Jivin's verborgen. Tief unter der Stadt in einer Höhle, in der Feuer wie in der Hölle loderte, wartete die Bestie, die zur Strecke gebracht werden musste, um Addies Seele zu befreien. Doch um auf das Monster zu treffen, mussten sie die schamanischen Krieger, die diesen heiligen Ort bewachten, besiegen.
Die Nacht war hereingebrochen. Der Mond war aufgegangen und schien hell und klar in dieser Dunkelheit.
Sie stiegen von ihren Tieren ab und versammelten sich, um zu besprechen, wie sie weiter vorgehen würden.
"Wir können dort jetzt nicht einfach hereinmarschieren", stellte die Anführerin der Schamanen klar.
Alle nickten.
"Wir werden diese Stadt überfallen und ein heimliches Attentat auf die Wachen sowie Priester ausführen."
"Was?! Aber Kuro, das ist eine heilige Stadt! Das ist eure heilige Stadt!", brachte Dan unter Entsetzen heraus.
Unruhe breitete sich bei den Engeln aus.
"Jetzt hört mir einmal zu, Todesengel! Diese Krieger und Priester haben gegen die schamanischen Gesetzte verstoßen, indem sie dieses Monster in unsere Stadt gelassen haben. Und dafür werden sie bezahlen! Sie haben unser Volk derart hintergangen. Die Priester unserer Stadt dachten einst, Komara würde diesen Ort vor Feinden beschützen. Am Anfang besaßen sie auch noch die Kontrolle über sie, doch dann ist plötzlich Panik ausgebrochen, als bekannt gemacht wurde, wer da unter uns in der der Tiefe hauste. Darum haben alle bis auf die Priester und deren Soldaten diesen Ort verlassen. Wir damals auch. Und nun kontrolliert sie die restlichen Lebenslichter, die noch in dieser Stadt verweilen..."
Sie hob ihre Hand, die sie zur Faust geballt hatte, gen Himmel.
"Wir werden uns unser Jivin' zurück erkämpfen!"

Die sechzehn Schamaninnen und Alans Team schlichen sich unbemerkt zu den hohen Mauern Jivin's. Kuro drückte Alan einige Stricke in die Hand und nickte. Gemeinsam mit ihr kletterte er die Mauer hinauf und befestigte die Stricke an den überstehenden Steinen, damit der Rest der zusammengeschlossen Gruppe ebenfalls hinauf klettern konnte. Als allesamt oben angekommen waren, duckten sie sich, um nicht entdeckt zu werden.
"Ich habe noch nie jemanden überfallen. Ich war immer lieb. Und jetzt werde ich zum Schwerverbrecher", jammerte Kyo, der sich dabei an Dans Arm klammerte.
"Wir werden doch eh alle sterben", gab er lächelnd zurück.
"Was für eine nette Ansprache, Dan. Richtig rührend", warf Rémi ein.
"Hört mir gut zu, Todesengel. Ihr müsst diesen Turm dort hinunter gehen. Dann werdet ihr sofort auf die schamanische Wache treffen. Wir werden uns auf der Mauer und den Türmen versteckt halten. Sobald der Kampf zwischen euch und den Soldaten beginnt, starten wir einen Überraschungsangriff aus der Luft."
Kuro verschwand mit ihren Kameradinnen.
Wortlos winkte Alan sein Team hinter sich her. Während sie mit ernster Miene die Turmtreppe hinunter liefen und schnellen Schrittes auf ihre Gegner zu marschierten, aktivierten sie ihren Augen und ließen riesige, tiefdunkle Flügel aus ihren Rücken schießen.
Die Soldaten hatten sie bereits bemerkt und stürmten auf sie los. Der erste Aufprall des Schwertes einer Wache mit Alans Katana war das Zeichen für Kuro und ihre Verbündeten.
Die Schamaninnen, die von den Mauern und Türmen sprangen, erschienen plötzlich über ihnen und stürzten sich auf Ihresgleichen.
Ein unerbittlicher Kampf zwischen Engeln und Schamanen spielte sich dort auf dem Platz vor der heiligen Kirche Jivin's ab.
Während dem kleinen aber tobenden Krieg tauchte Dan unerwartet hinter Alan auf und bat ihn inständig, ihm sein Katana zu leihen. Zögernd warf er ihm die scharfe Klinge zu. Kaum hatte Dan sein ehemals selbst geschmiedetes Schwert in der Hand, war er wie vom Erdboden verschluckt. Trotzdem floss Blut und einige Soldaten fielen vor Schmerzen schreiend um, ohne dass man sah, wer sie zu Boden geschlagen hatte. Ein langer Schatten legte sich plötzlich auf die blutüberströmten Körper. Alle sahen sich um. Im Mondlicht auf einer Turmspitze stand Dan, von dessen ehemaligem Schwert Blut tropfte.
Seine Augen leuchteten in einem dunklen Rot. Er breitete seine Arme aus und sprang mit einem Vorwärtssalto vom Turm hinunter auf das Schlachtfeld. Während seines Sprunges verschwand er erneut und stand plötzlich hinter Alan.
"Pass nun gut auf und hab ein Auge auf mich...", flüsterte Dan.
Alan drehte sich blitzschnell um und starrte ins Leere.
'Das ist unmöglich! Wie macht er das?'
Suchend sah er sich um.
Währenddessen war Noir in einen Kampf mit vier Soldaten verwickelt. Mittlerweile war sie am Limit ihrer Kräfte angekommen. Sie hatte sich verschätzt und sofort auf einen Schlag eine riesige Menge ihrer Schwarzmagie freigesetzt, um mehrere Gegner auf einmal auszuschalten.
Vor ihr standen drei Wachen, mit denen sie beschäftigt war. Der vierte stürmte von hinten auf sie zu. Sie bemerkte ihn zu spät, doch bevor es für sie vorbei war, stand plötzlich Dan hinter dem vierten Soldat, der blutend zu Boden fiel, noch bevor er Noir mit seiner Klinge berühren konnte, ohne dass man Dan hatte zuschlagen sehen. Noir sah ihn mit aufgerissen Augen an.
Die anderen Soldaten schwangen ihre Schwerter und ließen sie auf die beiden niederpreschen. Dan ging blitzschnell auf Noir zu, blieb ganz nah vor ihr stehen und sah ihr tief in die Augen. Ohne auch nur einen Finger zu krümmen, bekamen die schamanischen Krieger tiefe Wunden, fingen an zu taumeln, ließen ihre Schwerter fallen und fielen blutüberströmt um.
"Wie hast du das gemacht?", wisperte Noir ehrfürchtig, versunken in Dans wieder braun gewordene Augen.
Er nahm ihr Kinn in seine Hand und flüsterte ihr ins Ohr:"Das ist die wahre Kraft eines Höllen-Todesengel des Prototypen I..."
"Was?! Dann bist du...?"
"Ja, ich bin mit deinem Bruder Alan der einzige noch lebende dieses Prototypens. Und ich habe auch einmal in der Menschenwelt gelebt, hatte dennoch eine feste Verbindung zu der Hölle. Mich hat er damals gespürt, aber dann, als Ebony und ihr Auftragsgeber von ihm umgebracht wurden, bin ich zurückgerufen worden. Ich wurde dann als Soldat in der Hölle eingesetzt und mir wurde der Auftrag erteilt mich über deinen Bruder zu informieren. Es war nie so, dass ich das alles aus freien Stücken tat. Ich tat es widerwillig. Ich hatte mich selbst eines besseren belehrt, denn ich wusste, dass nichts für die Ewigkeit war. Kein Körper und keine Seele. Ich ging also davon aus, dass ich bald davon erlöst sein würde. Wenn einen die Schwäche und Kampfunfähigkeit einnimmt, sind wir für nichts mehr zu gebrauchen. So lautet unsere Lebensart. Der Fürst der Hölle verbrennt uns bei lebendigem Leibe. Unser geschwächter, nutzloser Körper, unsere Hülle, die unsere verwundete, gebrochene Seele schützt, zerfällt zu Staub. Der letzte Funke unseres Lebenswillen verlässt uns und wir existieren nicht mehr. Das ist unser Schicksal. Das Schicksal der Höllenengel. Aber dein Bruder ist der erste, der sich diesem Schicksal verschworen hat. Er hat es geschafft, diesem Teufelskreis zu entkommen. Und hätte ich euch nicht getroffen, wäre ich noch vor meiner Exekution an meinem eigenen Leben gescheitert. Ihr habt mir meinen Willen zu kämpfen und zu überleben wieder zurückgegeben. Ich habe euer Durchhaltevermögen, euren Zusammenhalt und eure Stärke bewundert. Das hat mich daran erinnert, dass es noch Engel gibt, die sich der Hölle verschwören, dem Morden den Rücken kehren und den Willen haben, für Freiheit und Frieden zu kämpfen. Ich danke euch von ganzem Herzen, dass ihr mich mitgenommen habt. Um euch meinen Dank zu beweisen, leiste ich euch und besonders Alan gegenüber tiefste Untergebenheit und Einsatzbereitschaft..."
Noir schwieg mit einem mürrischen Blick, verschränkte die Arme und blickte zur Seite. Das gab ihm klar und deutlich zu verstehen, dass sie ihn scheinbar nicht als Mitglied der Gruppe akzeptierte.
Alan, Rémi und Kyo näherten sich den beiden. Sie hatten die letzten kampffähigen Gegner ausgeschaltet.
"Mich hat selten jemand mit offenen Armen empfangen. Ich habe immer bereut, was ich getan habe. Kein einziges Mal habe ich gedacht, dass mein Handeln richtig gewesen ist. Und der Gedanke daran, dass gerade du, die Schwester des Anführers, mich nicht ausstehen kannst, ist deprimierend. Vor allem, weil du...", fuhr Dan unsicher fort.
Dan sah in die neugierigen Gesichter von Rémi und Kyo und in das hassverzerrte von Noirs Bruder, der ihm mahnende Blicke zuwarf.
"Die Zeit drängt!", brüllte Kuro aufgebracht von weitem, die den Engeln mit ihren Kameradinnen entgegen kam.
"Kommt schon! Eure Beziehungsprobleme könnt ihr später klären!"
Ungeduldig zog sie Alan und Rémi hinter sich her.
Wortlos stolzierte Noir abgewandt an Dan vorbei.
Mit einem enttäuschten und niedergeschlagenen Blick marschierte er den anderen schnellen Schrittes hinterher, versuchte aber, seinen persönlichen Misserfolg herunterzuschlucken und sich nichts anmerken zu lassen.
Kuro führte die Gruppe durch die labyrinthartige Stadt. Sie benutzten hauptsächlich Schleichwege und kleine Gassendurchgänge, und umgangen die größeren Gebäude, in denen sich möglicherweise weitere Soldaten aufhalten könnten.
An Jivin' grenzte ein Waldgebiet an. An einer Stelle am Waldrand wollten sie ihr Lager für die Nacht aufbauen, an der sich ausschließlich Bäume und Büsche befanden. Sie waren also gut getarnt und konnten trotzdem unbemerkt mitbekommen, was in der Stadt geschah.
Alan half Kuro im Wald Holz für das Lagerfeuer zu sammeln, Kyo und Rémi machten sich auf die Suche nach einem Bach oder Fluss, um die Trinkflaschen mit frischem Wasser zu füllen und die restlichen Schamaninnen waren von ihrer Anführerin damit beauftragt worden, in der Stadt Nahrung aufzutreiben. Somit waren Noir und Dan mit dem Aufbau des Lagers und der Feuerstelle beschäftigt. Und diese Chance wolle er nutzen. Er wusste, dass er maximal eine halbe Stunde Zeit mit ihr alleine verbringen konnte. Spätestens dann würden die anderen wiederkommen.
"Noir..."
Sie sah ihn an. Er hatte sich ihr mit meinem nervösen Blick gegenüber gestellt.
"Es tut mir leid wegen vorhin... Ich denke, ich bin dir zu nahe getreten..."
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein... Nein, das ist es nicht... Es ist nur so, dass ich keine Schwächen zeigen will. Ich halte mich vor Fremden wie den Schamanen grundsätzlich sehr zurück."
"Und was heißt das in Bezug auf mich?", fragte er kleinlaut.
Noir ging um ihn herum und blieb hinter ihm stehen.
"Nun... Du bist stark, siehst gut aus. Was will eine Frau mehr?"
"Ich fürchte viel mehr, als ich bieten könnte."
Ihre Faust traf unsanft sein Schulterblatt.
"Du könntest dir zum Beispiel etwas mehr zutrauen. Das würde dir nicht nur besser stehen, sondern wäre auch vollkommen berechtigt, denn du bist unglaublich stark."
Sie stellte sich wieder vor ihn und lehnte sich mit dem Rücken an den Baum, vor dem sie stand. Vorsichtig legte er eine Hand auf ihre Wange.
"Weißt du, dass du die wunderschönste Frau bist, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Du bist ein wahres Juwel und ich könnte mich in deinen Augen verlieren."
Noir sah leicht errötend zur Seite. Liebevoll strich er durch ihr tiefschwarzes, seidiges Haar.
"Glaubst du, ich lasse dich noch näher an mich heran?"
"Das liegt alleine bei dir. Ich würde mich natürlich sehr darüber freuen, wenn du mir eine Chance geben würdest."
Nachdenklich blickte sie gen Himmel, der diese Nacht so klar war, dass man jeden einzelnen Stern sehen konnte.
"Ich habe schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht...", sprach sie etwas leiser.
"Ich verstehe..."
"Nein, du verstehst nicht!"
Aufgebracht lief sie an ihm vorbei, doch er hielt sie vorsichtig am Handgelenk fest.
"Bitte, lauf nicht weg. Ich würde dir so gerne helfen, wenn ich wüsste wie, Noir. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mir das wünsche."
Sie schwieg und sah zu Boden. Sanft umarmte er sie. Für ein paar weitere Sekunden blieb sie stumm, doch dann begann sie bitterlich zu weinen. Dan drückte sie fester an sich, streichelte tröstend über ihren Rücken und flüsterte:"Möchtest du mir nicht erzählen, was passiert ist?"
"Ich will nicht, dass du denkst, ich sei schwach", gab sie verzweifelt von sich.
"Das würde ich nie denken, Noir, weil ich weiß, dass du es nicht bist. Du kannst meinen Worten beruhigt vertrauen."
Sie nickte unmerklich, nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her zu einem Baum, an dem sich beide niederließen.
"Damals wurde ich adoptiert und ich hatte in Amerika eine schöne und unbeschwerte Kind, abgesehen von dem Verlust meiner Eltern. Irgendwann jedoch war ich erwachsen und musste meinen eigenen Weg gehen. Ich war 17, unerfahren und naiv, weil mir als Kind fast nie etwas Schlimmes zugestoßen war. Nicht so wie meinem Bruder. Meine Pflegeeltern kauften mir eine eigene Wohnung. Und dann kam mein erster Freund..."
Dan sah leicht niedergeschlagen zur Seite.
"Aber er war ein Bastard. Ich habe ihn geliebt und er hatte nichts Besseres zu tun, als betrunken nach Hause zu kommen und mich zu verprügeln. Ich habe so oft meine Flucht geplant, aber ich konnte es nie umsetzen. Ich hatte zu viel Angst vor ihm und keine Kraft dafür. Eines Tages zwang er mich dazu, bei seinen Freunden als Prostituierte aufzutreten, um ihm so Geld für neuen Alkohol zu beschaffen..."
Dan drückte sie behüteter an sich.
"Ich habe ihn umgebracht."
Er riss seine Augen auf.
"Ja, ich habe ihn ermordet. Und weißt du was? Es war mir egal. Es hat mich nicht im Geringsten berührt."
Nach einem längerem Schweigen, bat er:"Sieh mich an, Noir..."
Ohne ein Widerwort sah sie ihm tief in die Augen. Er strich ihr sanft mit seinem Handrücken über ihre weiche Wange.
"Ich möchte, dass du weißt, dass du mir sehr viel bedeutest und ich immer für dich da bin."
Er schluckte.
"Und ich möchte auch, dass du weißt, dass ich..."
"Dan..."
Sie legte eine Hand an seinen Hinterkopf.
"Küss mich einfach", hauchte sie ihm leidenschaftlich ins Ohr.
Ein verliebtes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Vorsichtig umfasste er ihre Taille. Ihre Arme hatte sie um seinen Hals gelegt und zog ihn sanft an sich. Beide schlossen ihre Augen und spürten die zarten Lippen des anderen. Noir fühlte sein unglaublich rasendes Herz, während sie den Reißverschluss seiner Jacke und Knöpfe seines Hemdes öffnete. Mit ihren warmen Händen strich sie verführerisch über seine muskulöse Brust.
Kurz ließ sie von ihm ab und flüsterte:"Du fühlst dich gut an..."
Er lächelte verlegen.
Sie küsste ihn leidenschaftlich und massierte seinen Oberkörper.
Plötzlich hörten beide ein Rascheln. Blitzschnell stand Noir auf und nahm eine Kampfposition ein. Aus einem Busch krabbelte Kyo und hinter einem Baum kam Rémi hervor.
"Na, Dan, dir muss aber warm sein", kicherte Rémi und grinste.
"Ja, was für eine heiße Nacht heute", lachte Dan übertrieben auffällig und kratzte sich dabei am Hinterkopf.
"Sind wir die einzigen, die bis jetzt wieder zurück sind?", wunderte sich der Blondschopf.
"Ja, Kyo, und jetzt setz dich. Ich als einzige Frau momentan in der Runde habe etwas zu verkünden. Alan hat mir von unserem weiteren Vorgehen, das er mit Kuro besprochen hat, berichtet. Morgen Mittag werden wir uns auf den Weg zur Höhle aufmachen. Aber bis dahin müssen wir uns ausruhen und uns auf den großen Kampf gegen die Bestie vorbereiten. Das war alle!"
Sie stand auf.
"Jawohl!", antworteten Dan, Kyo und Rémi im Chor.
Sie lächelt zufrieden.
"So soll das sein, meine Herren."

Alan und Kuro hatten schon einiges an Feuerholz gesammelt und waren bereits auf dem Rückweg zum Lager
"Nun, Kuro, es gibt etwas, dass ich Euch fragen muss."
"Halt dich nicht zurück, Todesengel. Was auch immer deine Seele bedrückt, erzähl es mir."
"Ich bin mittlerweile nicht mehr nur auf der Suche nach der Seele meiner Frau. Auch die Seele meiner Cousine Élèna und die eines Todesengels, der eine meiner Cousinen geheiratete hat, muss ich mit Körper und Geist zurück ins Leben holen", erklärte Alan der Schamanin.
Die grinste nur und erwiderte:"Und was genau willst du jetzt von mir wissen?"
"Ich weiß, wo sich die beiden aufhalten. Sie befinden sich in Nesay. Ich habe sie dort getroffen. Aber wie kann ich sie zurückholen?"
Grinsend umfasste sie ihr Kinn und lachte dabei:"Hört sich ja fast so an, als wolltest du einen weiteren Pakt mit uns schließen."
"Genau das wollte ich vermeiden. Nicht Euretwegen, Kuro. Es ist einfach nur so, dass ich die in der Hölle Hausenden schon genug hintergangen habe. Zum Hochverräter möchte ich ungern werden."
Kuro winkte lächelnd ab.
"Das bist du sowieso schon, Alan. Zudem solltest du keinen Funken Reue in dir tragen. Sie hatten es verdient, das weißt du. Allein die Tatsache, dass du dich für einen Menschen zum Sünder gemacht und dem Bösen widersetzt hast, zeigt, welche Güte in dir steckt."
Nachdenklich blickte er umher und nickte unmerklich.
"Hör mir zu, Todesengel. Du musst diese Seelen in Edelsteine einschließen, um sie in eine andere Dimension mitnehmen zu können. In der richtigen Welt angekommen, kannst du dann die Kristalle aufbrechen, um die Seelen freizulassen. Sie werden ihre alte Gestalt annehmen. Die, die sie besaßen, bevor sie starben. Diese Steine findest du allerdings nur in Komaras Höhle."
Erneut nickte er verständlich.
"Ich danke Euch, Kuro. Ohne euch wären wir verloren."
Sia lachte grinsend. Dann begann sie eine Melodie zu pfeifen, die durch den ganzen Wald bis in die Stadt Jivin' hallte. Sie rief damit ihre Kameradinnen zurück.
Als beide am Lager ankamen, saßen die anderen Schamaninnen, Noir, Kyo und Rémi um die fertige Feuerstelle herum.
Keine fünf Minuten später prasselte eine große Flamme von Steinen umringt vor sich hin. Alle wärmten sich daran. Nur einer fehlte. Das war Alan sofort nach seiner Ankunft mit Kuro aufgefallen.
"Wo ist Dan?", fragte er misstrauisch.
Noir zuckte mit den Schultern.
"Als Rémi und Kyo kamen war er plötzlich weg."
Alan stand auf.
"Ihr werde ihn suchen. Und ihr bleibt alle hier. Bevor noch jemand verschwindet."
Er rannte immer tiefer und tiefer in den düsteren Wald hinein.
"Dan!"
...
"Dan!"
Er blieb auf einer Waldlichtung stehen und suchte mit seinen auffällig blauen Augen die unmittelbare Umgebung ab. Seine Pupille verformte sich zu einer schlitzförmigen, seine Iris verfärbte sich in ein dunkles Rot.
Plötzlich polterte es in der Ferne. Blitzschnell drehte er sich um. Sein Blick verfinsterte sich.
"Irgendetwas passiert hier..."
Er vernahm einen erneuten gewaltigen Knall , als würden Bäume umfallen. Er wurde unwillkürlich nervös.
'Hier ist eine seltsam starke Aura. Eine höllenähnliche Aura. Unmöglich!'
Er rannte mit aufeinander gepressten Zähnen und verengten Augen der Aura einige Meter entgegen. Dann blieb er hinter einem Baum stehen.
'Was ist das?! Kann es tatsächlich sein, dass jemand aus der Hölle hier ist?!'
Vorsichtig spähte er hinter dem Baumstamm hervor. Ein Mann mit einem Schwert und einer schwarzen Rüstung sah ihn mit blutroten Augen an, als Alan sich zu erkennen gab.


9. Secrets



Noch immer nicht von dem Krieger mit den stechend roten Augen abgewandt, näherte sich Alan ihm.
"Nun, Alan, ich dachte, du würdest vorerst nicht nach mir suchen, aber offensichtlich habe ich mich getäuscht..."
Alan griff in eine seiner Gürteltaschen, holte zwei Wurfmesser heraus und hielt sie sich vor die Brust.
"Dan, ich weiß alles. Und genau das weißt du auch. Du hast mich unterschätzt."
Sein einstiger Lehrmeister senkte das Katana, das er fest in seiner Rechten hielt.
"Du kannst von Glück reden, dass du damals nicht jemand anderem in die Hände gefallen bist. Ich habe dir zur Flucht verholfen. Und dafür musste ich büßen. Ich habe meine hohe Position und meine Ehre verloren, wurde gefoltert und schließlich als Höllenwächter damit beauftragt, alles wieder ins Reine zu bringen, indem ich dich töte. Ich versichere dir, dass ich immer wieder die Möglichkeit dazu gehabt hätte, aber ich sah wie glücklich du mit dieser Frau warst und du dein altes Leben hinter dir gelassen hast."
Alan legte seinen Kopf schief, verengte nachdenklich die ebenfalls rot verfärbten Augen und musterte seinen Gegenüber, der ihn ebenso kritisch betrachtete.
"Willst du mich nun bestrafen?", hinterfragte Dan flüsternd.
Sein ehemaliger Schüler streckte ihm ein Messer entgegen. Obwohl eine Unmenge an aufgestauter Wut in Alan brodelte, erwiderte er mit beherrscht ruhiger Stimme:"Ich frage dich, warum hast du toleriert, dass sie ein Monster aus mir machen?"
Dan jedoch schüttelte den Kopf und erklärte:"Nun hör mir einmal zu. Es wurde mir der Auftrag erteilt, mich um dich zu kümmern und dich zu lehren. Viele von uns wurden zu grausamen Schandtaten genötigt. Auch ich

hatte dem Befehl des Höllenfürsten Folge zu leisten und falls ich mich geweigert hätte, wäre mein Kopf gerollt und ich hätte somit mit meinem Leben dafür bezahlen müssen. Als einzigen Grund für diesen Auftrag nannte er mir meine Stärke. Ich hätte als einziger gegen dich ankommen können. Körperlich sowie mental. Doch ich sah wie du immer mehr an dir selbst zu Grunde gingst und zerbrachst. Ich wollte dich diesem elendigen Leben nicht weiter aussetzen. Darum habe ich keine andere Möglichkeit gesehen, als dich fort zu jagen. Ich wusste, dass du alles über mich vergessen würdest. Ich konnte doch nicht ahnen, dass die Erinnerung irgendwann durch einen Traum zurückkehren würde."
Dem misstrauischen Todesengel, der aufmerksam zugehört hatte, schoss ein schrecklicher Verdacht durch den Kopf. Hatte Dan etwa versucht, sich in das Leben der französischen Engel einzuschleichen? Diesen Gedanken wollte Alan sofort wieder verwerfen.
"Sobald ich wissen sollte, dass du uns hintergehst, wird mir nichts anderes übrig bleiben als dich zu töten", versicherte er Dan.
Doch der winkte ab.
"Sei unbesorgt. Aber wenn ich dir einen Tipp geben darf. Sei bedachter bei den Aussagen, die du von dir gibst. Tue mir den Gefallen und verzichte darauf gegen mich zu kämpfen. Ich habe mich wie du der Hölle verschworen."
Alan schwieg. Aus gutem Grund. Er wollte seine Bedenken ihm gegenüber nicht äußern. Er wollte Dan in dem Glauben lassen, dass er ihm vertraute, um ihn so zu testen und herauszufinden, ob er wirklich die Absicht besaß, Alan und seine Gruppe zu täuschen.
Nickend drehte sich Alan um und ging zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Doch Dan bat ihn inständig zu bleiben. Alan sah sich unauffällig um. Es war stockfinster. Um ihn herum waren nichts anderes als Bäume zu sehen. Die Zikaden hatten bereits mit dem lauten, schrillen Zirpen begonnen. Nur durch die Fähigkeit mit ihren Augen in der Dunkelheit sehen zu können, sobald sie einen Teil ihrer Kraft freisetzten, war es den Engeln möglich sich zu orientieren.
"Ich wüsste nicht, was es noch zu besprechen gibt", gab Alan mürrisch von sich.
"Scheinbar habe ich dich verstimmt. Verzeih. Doch es gibt etwas, das du wissen musst."
Der noch immer im Unglaube stehende Engel nickte zögernd und erlaubte somit, sich etwas Außergewöhnliches zeigen zu lassen.
"Pass gut auf, Alan..."
Dan umfasste mit seiner freien Hand das Handgelenk, in dem er das Katana hielt, das er Alan geschenkt hatte. Nur wenige Sekunden später begann sich einer der Bäume in rasender Geschwindigkeit in immer kleiner werdende Stücke zu zerteilen und zerbarst. Währenddessen hatte Alan seine rot glühenden Augen weit aufgerissen, starr auf den sich zerstückelten Baumstamm gerichtet und versuchte Dans Bewegungen zu folgen, was ihm jedoch nicht gelang.
Plötzlich stand Dan hinter ihm.
"Konntest du mich und das Schwert mit dem bloßen Auge erfassen?"
"Keineswegs. Es war mir unmöglich auch nur eine deiner Bewegungen zu folgen", gestand der französische Todesengel.
"Das ist eine ganz besondere Technik, die ich dich lehren möchte."
Skeptisch zuckte Alan mit den Schultern.
Der ehemalige Höllenwächter stellte sich vor ihn und hob entschuldigend seine freie Hand.
"Ich möchte nicht, dass du denkst, ich halte dich für schwach. Aber du weißt selbst, dass ein schwerer Kampf auf uns wartet. Für den müssen wir ausreichend vorbereitet sein. Besonders du

."
Dan reichte seinem Gefährten das Katana und holte aus einer Lederscheide, die auf seinen Rücken geschnallt war, ein weiteres Schwert heraus.
"Das Katana, das du in deiner Hand hälst, ist keine gewöhnliche Klinge. Ich habe sie während des Schmiedens mit einer Art Fluch belegt, der eigentlich nur den Nutzen haben sollte, dass das Schwert unzerstörbar ist. Doch irgendetwas ist nicht korrekt gelaufen und ich musste das Katana mit einem weiteren Fluch belegen. Dem Fluch der Zeit. Im Griff des Schwertes muss sich mein Blut befinden, damit ich die besondere Technik benutzen kann. Kein anderer kann das, solange sich mein

Blut darin befindet."
Während Dan ihn über das mysteriöse Schwert aufklärte, untersuchte Alan es prüfend.
"Ich möchte dir diese unglaubliche Macht über die Zeit offenbaren, die man durch diese Klinge plötzlich besitzt. Dafür aber muss ich dir Blut abnehmen, um es in die Kapsel im Griff des Katanas zu füllen."
Alan musste lange überlegen, ob es sich tatsächlich lohnen würde, solch ein Risiko einzugehen. Sein Misstrauen Dan gegenüber war noch immer nicht verschwunden. Wenn alles so ablaufen würde, wie Dan es bereits erwähnt hatte, brauchte er das Gefühl des Fürchtens nicht an sich heran zu lassen. Und vor allem plagte ihn auch nicht mehr der Gedanke daran, dass Dan ihn und seine Verwandten wirklich hintergehen wollte.
Mit einem vertrauensvollen Lächeln, das den Anschein von Naivität erwecken sollte, nickte er.
"Bitte, setze dich doch dort an den Baum. Ich bereite alles vor", bat Dan den Todesengel, der sich auf den kalten mit Blättern bedeckten Waldboden niederließ und ihn ganz genau bei allem beobachtete, was er tat.
Der Schmied, der sich offenbar auch als ein Mediziner erwies, zeigte ihm zwei Spritzen mit langen, spitzen Kanülen, die er zuvor aus einem Mäppchen entwendet hatte.
Alan stutzte.
"Die willst du mir doch nicht im Ernst in den Arm jagen, oder?"
Unmerklich nickend hockte sich Dan vor ihn, band um Alans muskulösen Oberarm ein Stück Stoff und hielt unsanft sein linkes Handgelenk fest.
Der finstere Blick seiner blutroten Augen durchbohrten Alan, dem es nun unmöglich war, sich aus den Fängen Seinesgleichen zu befreien.
"Tut mir leid", entgegnete Dan ihm emotionslos.
Alan schrie auf als die kalte, dicke Nadel durch seine Haut drang und er spürte wie ihm das frische, warme Blut aus den Adern gesogen wurde.
Nachdem beide Metallspritzen bis oben hin gefüllt waren, riss Dan dem Todesengel ungehalten das Band vom Arm und drückte es auf die Einstichstelle. Prüfend betrachtete er den dunkelroten Inhalt in beiden Spritzen.
Alan jedoch war nur mit einem Gedanken beschäftigt: War Dan ein Verräter?
"Ich werde zu einem nahen Bach gehen und das Gefäß im Griff auswaschen, damit keine Blutreste von mir übrig bleiben", verkündete der abtrünnige Unterweltler und verschwand zwischen den Bäumen und Büschen in der Finsternis.
Alan konnte ihm die Geschichte des verfluchten Katanas nicht recht glauben. Misstrauisch aber wachsam blickte er in die Richtung, in der sich Dan davon gemacht hatte. Der einstige Söldner ging von allem aus. Er rechnete jede Sekunde damit, dass Dan mit einer Horde wild gewordener Höllenwesen auftauchte und ihn abschlachten ließ.
Sein Verdacht erhärtete sich immer mehr, denn Dan blieb verdächtig lange verschollen, bis es eine scheinbare Ewigkeit später zwischen den Bäumen raschelte und er aus der Dunkelheit hevor kam. Er hatte bereits die Schwertkapsel mit Alans Blut gefüllt und überreichte ihm nun die Klinge.
"Von nun an bist du der Träger dieses Katanas. Es gibt keinen Trick, wie man die Technik der Zeit benutzt. Du wirst es aus dem Gefühl heraus tun. Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang zum Lager? Die anderen warten sicher schon ungeduldig auf uns."
Alan nickte einsichtig.
Kaum kamen beide Höllenengel an der von den Schamanen ausgewählte Unterkunft an, wurden sie von den anderen herzlichst begrüßt.
"Setzt euch. Kuro wollte gerade mit einer Geschichte beginnen", lud Kyo beide ein und zeigte auf die freien Plätze neben sich.
Alan und Dan ließen sich am knisternden Feuer nieder und blickten die Anführerin der Schamanen erwartungsvoll an.
Alle saßen gemütlich in einer Runde um das Lagerfeuer herum und wärmten sich daran.
Kuro begann zu erzählen:"Es gibt eine alte Sage über die Schlangengöttin Komara. Hört nun gut zu, meine Engelchen... Komara war einst eine wunderschöne, junge Frau, die von allen Männern angehimmelt wurde. Sie war dadurch aber keineswegs arrogant oder hochnäsig. Sie war eine bescheidene Dame, die ihr Geld als Wahrsagerin verdiente. Man sagt, sie stamme aus der Gattung der Mischwesen, den sogenannten Chimären. Doch sie sei in Gestalt eines Menschen zur Welt gekommen. Tief in sich trage sie jedoch die Gene eines Schlangenmonsters.
Eines Nachts stieß ihr etwas Furchtbares zu. Sie verließ um Mitternacht bei Vollmond ihr Elternhaus, um hinaus zum Meer zu gehen und die Götter darum zu bitten, dass sie ihr eine reine, menschliche Seele geben mögen. Dort am Strand abgelegen der Stadt wurde sie von einem starken, schamanischen Mann überfallen und missbraucht. Sie als zierliches Geschöpf musste es über sich ergehen lassen. Sie verdrängte den unendlichen Schmerz und ihr Geist fiel in Ohnmacht, damit sie es nicht im klaren Bewusstsein ertragen musste.
Am nächsten Morgen erwachte sie nahe dem Meer. Als sie das Wasser erblickte, erinnerte sie sich und realisierte was geschehen war. Der Hass auf diesen Schamanen, der sie mehr als gedemütigt hatte, zerfraß sie so sehr, dass sie an Ort und Stelle zu der Kreatur erwachte, die seit ihrer Geburt in ihr schlummerte und die sie heute ist. Allein das Gefühl der übermäßigen Macht ließ sie die Grenze ihrer Menschlichkeit überschreiten. Ihr Rachedurst war unersättlich. Sie wollte es nicht nur dem schamanischem Mann sondern dem gesamten Schamanenvolk heimzahlen. Der Schamane, der sie vergewaltigt hatte, wurde noch am selben Tag von ihr in Stücke gerissen. Damit versetzte sie unser Volk in Angst und Schrecken.
Tatsächlich war es so, dass die Priester unserer Stadt aus Furcht einen Pakt mit ihr schlossen und sie anflehten, die Jivin' nicht zu zerstören. Komara ließ sich genügsam darauf ein und versprach die Geistlichen am Leben zu lassen, prophezeite aber auch, dass alle schamanischen Männer mit der Zeit sterben würden. Immer wieder kam sie aus ihrer Feuerhöhle unter der Stadt hervor und tötete einen von uns auf grausamste Weise.
Der Plan der Heiligen war eigentlich gewesen, Komara als Schutz vor Eindringlingen zu benutzen. Das gelang eine gewisse Zeit. Doch irgendwann flohen alle aus der Stadt und nahmen Heimatlosigkeit auf sich um frei von diesem Fluch und auch von dieser Bestie zu sein.
So verloren die Priester immer mehr die Kontrolle über ihr Tun, sodass selbst viele von ihnen sich davon gemacht haben.
Den Titel 'Schlangengöttin' haben die Schamanen ihr gegeben. Eine riesige Chimäre aus Frau und Schlange, die so stark wie eine Göttin und bis jetzt unbesiegt ist..."
Alle hatten gespannt zugehört und Kyo war der erste, der sich zu dieser Erzählung äußerte.
"Ist ihr Verhalten nicht verständlich?"
Alan entgegnete:"Natürlich ist es das. Auch wenn sie alles Männliche dieser Welt hasst und verabscheut, gibt es ihr dennoch nicht das Recht, alles und jeden zu zerstören. Ich kann ihren Vernichtungstrieb nicht dulden und akzeptieren schon gar nicht. Auf meine Frau hat sie schließlich auch keine Rücksicht genommen. Auch wenn sie Addie nicht getötet hat. Damit hat sie mich in der Hand."
Alans kampfsicherer Blick wurde durch die Erinnerung an Admina gebrochen. Mit verbitterter Miene verlor er sich im warmen Orange der Flammen und folgte den glühenden Funken, die zum dunklen, klaren Himmel empor stiegen. Er wusste, dass jeder Stern, der dort oben schien, eine verstorbene Seele war.
'Egal, wo du im Moment leuchtest, Addie. Ich werde dich zurück nach Hause bringen. Das verspreche ich dir.'
Nachdem sich die Gruppe über die mitgebrachten Köstlichkeiten der Schamanen hergemacht hatten, übernahmen Alan und Kuro die Nachtwache. Der Todesengel brauchte keinen Schlaf mehr. Er war mehr als entschlossen, den Kampf gegen Komara zu gewinnen.
Selbst Kuro war hellwacher denn je. Zwischendurch versorgte sie das Lagerfeuer immer wieder mit Holz.
"Es gibt etwas, das mich brennend interessiert, Alan. Ist es wahr, dass du als ein böses Omen geboren wurdest?"
Alan, der die ganze Zeit in seinen Gedanken versunken gewesen war, sah auf und betrachtete die Schamanin nachdenklich.
"Nein... Nein, so würde ich es nicht bezeichnen. Ich wurde bloß als etwas geboren, das ich nie sein wollte. Aber schlussendlich kann man an seiner Identität nichts ändern, nur an seinem Ruf. Das habe ich ja erfolgreich getan. Obwohl ich jetzt auch nicht in einem besseren Licht da stehe. Ich soll viele Dinge getan haben, von denen ich zu dem Zeitpunkt nicht einmal etwas wusste."
"Und was ist an der Sache mit deinem Bruder Luzifer dran?", erwiderte Kuro kleinlaut.
Der Engel musste sich ein Lachen verkneifen.
"Genauso so ein Unfug. Ein lächerliches Gerücht. Ich kenne viele Geschichten über den Erzengel Luzifer, doch ich stehe in keinerlei Verbindung zu ihm. Dennoch würde ich einen Besuch bei ihm nicht abschlagen. Ihm einmal gegenüber zu stehen, hört sich sehr reizvoll an, wenn man bedenkt, dass keiner lebend zurückgekehrt ist, der ihm begegnete."
Die Schamanin setzte einen ungewohnt ernsten Blick auf.
"So? Was gibt es denn über den verstoßenen Engel der Hölle zu berichten?"
"Nun ja, es heißt, er sei von Gott verbannt worden und als Blitz vom Himmel gefallen. Er besitzt nicht die Macht, etwas aus dem Göttlichen heraus zu erschaffen. Diese Fähigkeit soll ihm Gott als zusätzliche Strafe genommen haben. Sein Wesen wirke zerstörend, betrügerisch und voller Gier und Neid. Zudem wird ihm die Todsünde Stolz zugeschrieben. Trotz allem soll er ein Abbild der Vollkommenheit und Schönheit gewesen sein. Sein scheinbar perfektes Leben als oberster Engel an der Seite Gottes, der ihn am meisten geliebt haben soll, zerbrach durch nichts Geringeres als die Demütigung der Menschheit.
Inmitten von Schmerz und Hass versuchte er das Himmelsreich zu zerstören und soll zu einem riesigen Feuerdrachen geworden sein. Der Engel Michael besiegte diesen und Luzifer wurde als Verräter mit der ewigen Verdammung in der Hölle bestraft. Das ist die Geschichte, die uns in Frankreich erzählt wurde."
Kuro schien sichtlich beeindruckt. Sie war ein absoluter Fanatiker, was übergroße Ungeheuer anging.
"Leider muss ich dich enttäuschen. Er wurde nie zu einem Monster. Da bin ich mir ganz sicher. Bedauerlicherweise wird alles überspitzt und verhältnismäßig schlecht geredet. Grundsätzlich wird immer maßlos übertrieben."
Die Begeisterung der Schamanin ließ nach und sie wandte sich erneut dem kleiner gewordenen Feuer zu, in das sie einige Holzstücke warf, damit es nicht ausbrannte.
Alan richtete seinen Blick gen Himmel und betete mit zurückgeneigtem Kopf:"Mögen die Götter uns beistehen. Meine und die euren."

Am nächsten Morgen machte sich die Gruppe schon sehr früh auf den Weg, um keine Zeit zu verlieren. Die Riesenechsen hatten die Schamanen in einer Höhle untergebracht, die sie noch vor Sonnenaufgang herbei holten und sattelten. Alan spürte schon jetzt eine tiefsitzende Unruhe in sich. Auch wenn er beseelt von Hoffnung war, ließ die innere Hochspannung nicht von ihm ab.
Sobald das Lager und alle Hinweise auf den Verbleib der Gruppe beseitigt waren, ritten die Schamaninnen mit Kuro als Führung voran. Die Engel folgten ihnen.
Gemütlich trotteten die drachenartigen Geschöpfe in der Morgendämmerung durch den dicht bewachsenen Wald, der an Jivin' grenzte. Abgesehen von den singenden Vögeln herrschte eine friedvolle Ruhe. Der Wind wehte allen weich ins Gesicht.
Alan konnte diesen Frieden nicht genießen. Er hatte Mühe sich gedanklich auf den anstehenden Kampf vorzubereiten. Er wusste, dass es der alles entscheidende war. Noch einige Stunden zuvor war er siegessicher gewesen, doch jetzt wuchs die Nervosität und auch die Angst vor dem Versagen immer mehr. Wenn er scheitern würde, wäre sein Leben geschändeter als je zuvor und für ihn hätte es keinen Sinn mehr es fortzuführen. Nicht ohne Admina.
Sanft strich Alan der blau schimmernden Echse, auf der er ritt, über ihren glatt geschuppten Hals und klopfte ihn kräftig.
Währenddessen hatte sich Rémi mit seiner Riesenechse zu der Anführerin der Schamanen vorgedrängelt und erkundigte sich wissbegierig:"Entschuldige Kuro, aber wie ist es möglich, dass mitten in der Wüste ein Wald wachsen kann? Eine Stadt ist noch machbar. Aber solch ein grünes Fleckchen?"
Die Schamaninnen begannen zu kichern.
"Neugierig wie immer. Lass es mich dir erklären. In unserer Welt zeigen sich die Götter ausschließlich bei Neumond und zur Sommer- und Wintersonnenwende. Eines Nachts vor Tausenden von Jahren zur Zeit der Sommersonnenwende formten die Götter dieses Land als Wüste und inmitten dessen unser heiliges Jivin', das vom Sand geschützt werden sollte. Doch irgendwann überkam eine schwere Zeit unser Land. Viele waren bereits verhungert, denn es gelang den damaligen Schamanen in Jivin' nicht, die eingepflanzte Saat zum Wachsen zu bringen. Der Himmel schickte eines Neumondes die Göttin der Natur zu uns, die uns erretten sollte. Sie ließ einen Wald mitten dieses ganzen Sandes und neben unsere Stadt von göttlicher Schönheit wachsen und gedeihen. Sie hatte unser Land wieder zum Blühen gebracht und uns vor dem Verderben gerettet. Seither existiert dieses wunderschöne kleine Wäldchen und erfreut uns mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln der Natur."
Rémi, der sich sehr für die Götter der Schamanen interessierte, war hellauf begeistert und notierte sich sein neugewonnenes Wissen sofort auf einem kleinen Block. Es war also kein Wunder, dass er Geschichte und Mythologie studiert hatte.
"Bitte, erzähl mir mehr, Kuro."
Während die Schamanin und der weltoffene Rémi sich über deren Kultur austauschten, waren die anderen Engel ganz auf das fixiert, was vor ihnen lag. Ein Wüstenhochland.
Den geheimen Weg in Jivin', der zur Feuerhöhle führte, konnten sie nicht nehmen. Das wäre zu riskant gewesen. Stattdessen blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Tunnel in den Weiten der Wüste zu finden, der den zweiten Eingang bildete. Dieser führte unter der Erde mit dem aus Jivin' zusammen.
In der Wüste erstreckten sich hohe Berge und Hügelketten aus Sand, die im morgendlichen Sonnenlicht dem Rücken eines schlafenden Ungeheuers gleichten. Nichts Ungewöhnliches war der riesige Sandsturm, der sich der Gruppe mit immer schnellerer Geschwindigkeit näherte.
Die Engel zogen an den Zügel, um die Echsen anhalten zu lassen. Doch Kuro und ihre Artgenossinnen ließen ihre Tiere weiter auf den Tornado zu marschieren.
"Kuro!", rief Alan. "Das ist zu gefährlich!"
"Genau das ist es! Du musst der Gefahr ins Auge sehen, Alan! Das muss dir auch bei Komara gelingen. Dir darf kein Fehler unterlaufen. Das weißt du", entgegnete die Schamanin einschärfend.
Von ihrer Holzperlenkette riss sie eine braun-rötliche Feder mit cremefarbenen Streifen ab und hielt sie dem Todesengel hin.
"Eine Feder kann zeigen, woher der Wind weht. Das wird unser Weg sein", verkündete Kuro.
Wie gebannt starrten alle auf die Feder, die vorher einem prächtigen Vogel gehört haben muss.
Alan trieb seine Riesenechse mit einem Drücken seines Fußes in die Seite des Tieres zum Laufen an und nahm Kuro die Feder aus ihrer mit einem dunkelbraunen Henna verzierten Hand.
"Unser Weg ist der euren. Ich bitte Euch, uns zum Tempel zu führen, Kuro", bat der Todesengel.
Die Schamanin stutzte überrascht. Alan warf ihr ein entschuldigendes Lächeln zu, das sie wieder in die Realität zurück holte.
"Es geht weiter, Freunde!", forderte Kuro die anderen auf und ritt dem Sandsturm entgegen.
'Bitte haltet Eure schützende Hand über uns, Herr.'
Der unkontrollierbare Wind des Sturmes fegte über die Sandhügel und nahm alles mit sich, was ihm in den Weg kam. Und schon hatte der Tornado die Gruppe erreicht und alle waren mitten in dem gewaltigen Sturm. Besonders die Engel hatten sich bereits damit abgefunden, in dem mächtigen Sandstrudel sterben zu müssen, doch auf unerklärliche Weise wurde das Team durch eine kolossale Kraft auf den Untergrund gedrückt, anstatt herum gewirbelt zu werden.
Alans Mut ließ langsam aber sicher nach und er spürte wie ihm die gesamte Lebensenergie aus dem Körper gesogen wurde. Die Riesenechsen hatten sich bereits so tief es ging unter dem Sand vergraben.
'Und wieder einmal ist es soweit, dass man mir alles abverlangt. Wer auf Gottes grüner Erde soll die Macht besitzen, einem solchen Sturm die Spannung zu nehmen? Ich war noch nie ein Meister der Luftkünste. Feuer ist alles, was mir geblieben war. Wie bedauerlich...'
Plötzlich wurde er von einem grellen Licht geblendet, das heller war als die brennenden Strahlen der glühend roten Sonne.
Vor Alan stand eine junge Frau in weißem, seidenen Gewand und einem Diamantzepter in der Hand. Ihr puppenhaft makelloses Gesicht war gen Himmel gerichtet und ihre fast knielangen, glatten, dunklen Haare, die von einem Mittelscheitel getrennt waren, legten sich auf ihren zierlichen Körper, nachdem sich der tobende Sturm beruhigt hatte. Dann fiel ihr schleierhafte Blick auf den sich erhebenden Todesengel, der ihr mit großer Ehrfurcht gegenüber trat.
Alan wollte zu einem Wort ansetzen, doch die kluge Frau schüttelte zaghaft den Kopf.
"Danke mir nicht. Es ist meine Pflicht, Engel deinesgleichen zu unterstützen, die diese Welt erretten wollen. Ich, Nuriel, der Engel der Erde, bin euch über die Maßen dankbar, was ihr für eine Last auf euch nehmt."
Die sanftmütige Engelsdame verbeugte sich vor dem ehemaligen Söldner, der würdevoll erwirderte:"Wir stehen tief in Eurer Schuld, gnädigste Nuriel."
Sie lächelte zufrieden.
"Möge eure Reise ein gutes Ende nehmen."
Mit diesen Worten verschwand sie als heller Lichtstrahl im schimmernden Funkeln der Morgensonne.
Die Schamanen und Engel richteten sich auf und schauten irritiert um sich.
"Wo um alles in der Welt ist denn der Sandsturm auf einmal?", fluchte Noir und blickte mit verengten Augen der Sonne entgegen.
"Der Engel Nuriel hat unsere Reise gesegnet", warf Alan ein.
Sein Aufklärungsversuch bewirkte bei den Schamanen jedoch nur Unverständnis.
"Bitte wer?", bohrte Kuro nach, die selten mit einer solch verwirrten Miene anzutreffen war.
"Nuriel, Engel der Erde und des Lichtes, die sprichwörtliche Flamme Luzifers", versuchte es Alan erneut.
Doch leider ging auch dieses Mal keinem ein Licht auf und keiner konnte etwas mit dem Schutzengel anfangen.
"Hey, seht euch das hier einmal an!", rief Rémi, der einige Meter einen Sandhügel hinunter gestapft war.
Voller Neugier kam die Gruppe dem französischen Engel entgegen und waren gespannt, was sie zu sehen bekommen würden.
Rémi stand vor einem Eingang, der als steinerner, langgezogener Torbogen unter den Sand führte.
"Die Jayvans bleiben hier. Sie sind unsere treuen Gefährten und werden hier auf uns warten. Herein spaziert! Das ist die Pforte zur Unterwelt", die schamanische Anführerin trat zur Seite um Alan den Weg in die Dunkelheit frei zu machen.
"Nein, Kuro, das ist nicht annähernd vergleichbar mit dem, was in der Hölle lauert."


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Tag der Veröffentlichung: 29.11.2010

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