I.
1. The Mercenary
"Schon wieder?"
"Ja", antwortete er mit tiefer Stimme.
"Wie lange soll das denn noch so weitergehen? Ich kann nicht mehr. Ständig kommen diese dunklen Gestalten und fragen nach dir. Mindestens alle zwei Tage klingeln sie und ich habe... Ich habe keine Ahnung, was sie wollen. Sag es mir endlich!"
Nachdem sich die zierliche, 170 cm große Frau mit langem, blondem Haar auf dem Küchenstuhl niedergelassen hatte, sah sie eindringlich in seine auffällig blauen Augen, die sofort in eine andere Richtung starrten.
"Vergib mir. Ich muss in knapp einer Stunde wieder fort."
"Nein!", japste sie.
Nach einer Weile des Schweigens entgegnete er ihr:"Ich muss meine Sachen packen. Ich darf nicht zu spät kommen. Es hört sich nicht gut an, wenn ich sage, dass meine Frau mich aufgehalten hat."
"Du hast es erfasst! Ich bin deine Frau. Wir sind kaum noch zusammen. Ich sehe dich so selten. Ich schlafe schon, wer weiß wie lange, allein in unserem
Ehebett. Ich weiß nicht einmal mehr, wann ich dich zum letzte Mal gespürt, geschweige denn geküsst habe. Wie lange ist es her?"
Er zuckte leicht mit seinen breiten Schultern. Dabei sah er zu Boden. Beschämt und voller Selbsthass. Bitter biss er sich auf die Unterlippe.
"Das sagt mir alles. Du hast es also vergessen. Oder willst du dich nicht daran erinnern? Ich habe doch immer versucht, dir das zu geben, was du brauchst. Auch nach deinem Unfall. Habe ich denn gar nichts richtig gemacht? War die Zeit mit mir so schlimm?"
"Es gibt kein Zurück, Admina."
"Jetzt nennst du mich nicht einmal mehr Addie, so wie du es früher immer getan hast..."
Ohne ein weiteres Wort verschwand er im Schlafzimmer und ließ sie dort alleine in der Küche sitzen, weinend. Sie wusste sich nicht anders zu helfen, als auf ihn einzureden, aber darauf hatte er schon seit längerer Zeit nicht mehr reagiert. Das war nicht allzu verwunderlich, denn sie hatte ihn als eine sehr wortkarge und introvertierte Person kennen gelernt.
Seit er vor zwei Jahren diesen Unfall hatte, war er nicht mehr der, den sie drei Jahre zuvor geheiratet hatte.
Sie hatte sich immer Kinder gewünscht, doch vor 16 Monaten wurde festgestellt, dass sie unfruchtbar war. Ihm schien das jedoch völlig egal zu sein. Zumindest ließ er sich nichts anmerken. Ob es ihn innerlich vielleicht doch berührte, wusste niemand.
Er kam jeden Monat für eine Woche nach Hause. Sie wusste aber nicht, dass er diesmal nicht wieder nach Hause kommen und sie ihn nie wieder sehen würde. Doch wenn sie es wüsste, würde sie ihn noch einmal nach langer Zeit küssen. Noch einmal seine zarten, weichen Lippen spüren. Das würde nie mehr passieren. Es würde kein nächstes Mal geben.
Nach einer halben Stunde kam er mit einer großen Sporttasche, die bereits gepackt war, aus dem Schlafzimmer und stand eine Weile im Türrahmen, während er sich durch seine schwarzen Haare strich, bevor er sich an den Küchentisch ihr gegenüber setzte.
"Admina?"
Sie sah ihn mit rot verweinten Augen an.
"Was?"
"Ich werde bald gehen. Ich werde für immer
gehen."
"Das hast du schon so oft gesagt. Aber du hast es nie getan."
Niedergeschlagen legte sie ihren Kopf auf ihre Arme.
"Aber diesmal meine ich es ernst. Diesmal werde ich für immer gehen. Mach' es gut...Addie."
Blitzartig sah sie auf und direkt in seine matten Augen. Er stand auf und ging an ihr vorbei in Richtung Haustür.
Verzweifelt rannte sie ihm hinterher und schrie: "Nein! Bitte, verlass mich nicht!"
Sein schwarzes Auto stand schon abfahrbereit vor dem kleinen, hellblauen Häuschen, in dem beide über Jahre gewohnt hatten. Für ihn gab es kein Zurück mehr.
"Nein!"
Er öffnete den Kofferraum, warf seine Sporttasche hinein und verstaute seinen Rucksack auf dem Rücksitz.
"Nein, bitte bleib hier!"
Er öffnete die Fahrertür und stieg ein.
"ALAN! NEIN!"
Er zog sie zu und startete den Motor. Dann fuhr er los.
Eine Stunde später parkte er sein Auto in einer düsteren Stadt, in der niemand zu leben schien. Die Abenddämmerung und der leichte Nebelschleier, der sich über die Siedlung gelegt hatte, verlieh dieser Gegend etwas Unheimliches. Die Häuser waren zusammengebrochene Ruinen. Die Bäume waren kahl. Keine Menschenseele war zu sehen. Dieser Ort war tot.
Er stieg aus dem Wagen und warf die Fahrertür unsanft zu. Eine ganze Weile lief er neben seinem Auto auf und ab, bis er die Autotür wieder aufzog, um aus dem Handschuhfach ein Foto herauszunehmen. Er betrachtete es eine Weile. Auf dem Bild waren er und Admina bei ihrer Hochzeit zu sehen. Mit einem schmerzvollen Blick steckte er es in sein braunes Portemonnaie. Dann machte er sich auf den Weg durch die verlassene Stadt zu einem noch halb stehenden Gebäude.
Als er dort ankam, ging er vor dem Haus erneut auf und ab. Diesmal nervöser als zuvor. Er wartete. Und er war einige Minuten zu früh. Wie immer. Er war für seine Pünktlichkeit bekannt.
Er blieb stehen, schaute ungeduldig auf seine silber-schwarze Taschenuhr, die an seiner verwaschenen, schwarzen Worker-Jeans hing, und knirschte mit den Zähnen.
Unbemerkt und leise trat eine schwarzhaarige Frau mit blasser Haut neben ihn. Er stutzte.
"Hey, Alan."
"Aus welchem Grund holst du
mich ab?", hinterfragte er misstrauisch.
"Mach dir darüber lieber keine Gedanken."
Sie zog eine Zigarettenschachtel aus ihrer Hosentasche und hielt ihm die geöffnete Packung hin. Er schüttelte den Kopf. Achselzuckend steckte sie die Schachtel zurück, nachdem sie sich eine Zigarette herausgenommen und sie mit einem goldenen Feuerzeug, das die auffällige Gravur 'Himmel & Hölle' trug, angezündet hatte. Genüsslich zog sie an der Zigarette, während sie mit ihrem Benzinfeuerzeug herumspielte. Dabei sagte sie melancholisch:"Ist dir eigentlich bewusst, dass sie nicht mehr lange zu leben hat? Sie hat es womöglich herausgekriegt, weil du nicht aufgepasst hast..."
Plötzlich wurde sie lauter.
"Weißt du eigentlich, dass du
es höchstpersönlich erledigen darfst?!"
Er schwieg und schüttelte scheinbar unberührt den Kopf.
"Doch, mein Freund! Du hast einen großen Fehler begangen! Nun wirst du auch dafür gerade stehen! Lass uns endlich gehen!"
"Du
wolltest unbedingt eine Zigarette rauchen, Ebony. Ich habe aus Zeitmangel keine genommen."
Leicht gereizt stolzierte sie neben Alan an das angrenzende Waldstück.
Prüfend betrachtete er die Gegend.
Mit einem skeptischen Blick drehte er sich zu der kühlen Schönheit um, die sich durch ihre schulterlangen, dunklen, welligen Haare strich und dabei bösartig lächelte.
"Fahr zur Hölle, elender Verräter!", lachte sie höhnisch.
"Ich habe ihr nichts erzählt, falls du wieder darauf
anspielst..."
"Wenn sie es nicht wüsste, wärst du wohl kaum abgehauen, oder?!"
"Ich bin aus einem anderen Grund gegangen, der nur sie und mich etwas angeht. Entschuldige."
Ebony blickte einer dunklen Gestalt ins Gesicht, die an einen Baum gelehnt stand und das Spektakel grinsend beobachtete. Nach einigen Sekunden trat der Unbekannte ins Waldlicht.
"Na, sieh mal einer an. Das ist also unser berühmte Söldner der Hölle Alan De Mercier."
Alan ließ sich seine Nervosität nicht anmerken.
"Was geschieht nun?"
Ebony und der Fremde begannen zu lachen.
"Überleg doch mal, Alan. Wo kommen jene hin, die uns verraten?"
"Ich habe euch nicht verraten", entgegnete er mit ruhiger Stimme.
"Wie lange ist es nun her, Alan? Wie lange ist dein 'Autounfall' her?"
Der Söldner senkte seinen Blick betroffen zu Boden.
"Sie weiß es also immer noch nicht? Na, du bist ja ein schöner Ehemann. Du kannst es dir wahrscheinlich nicht einmal selbst eingestehen, dass du ein Wesen der Hölle bist. Stattdessen erzählst du ihr, es wäre ein Auto auf der Landstraße in dich hineingefahren. Mich wundert es, dass sie dir das überhaupt abgekauft hat. Immerhin sahen deine Wunden nicht wie nach einem Autounfall aus."
"Es reicht!", brüllte Alan.
"Wir haben doch gerade erst angefangen", kicherte Ebony belustigt.
Verkrampft presste Alan beide Hände gegen seine Schläfen und sank in sich zusammen. Er verspürte plötzlich einen nicht auszuhaltenden Druck in seinem Kopf.
"Na, Alan, tut es weh?!"
Schmerzensschreie waren aus seiner zerbrochenen Seele zu hören, die aber nicht nach Außen dringen konnten. Sein ganzes Leid sammelte sich in ihm von Tag zu Tag und zerstörte ihn immer mehr.
'Ist das mein Ende?'
Es wurde dunkel.
'Nein...'
Gähnende Leere erstreckte sich plötzlich vor den Drei.
'Nein... Es ist noch nicht vorbei...'
Nur der Vollmond war als Lichtquelle geblieben.
'Es wird das Ende für sie
sein...'
Die kahlen Bäume warfen große, bedrohliche Schatten.
'Das Monster erwacht...'
Die Schatten verformten sich.
'Blut fließt den Hang hinab in das düstere Tal...'
Schreie von Ebony und dem Unbekannten ertönten. Die Schatten zerrissen beide in Stücke.
'Die Hölle wird der Ort des Verbrechens sein...'
Er stand benommen auf. Sein Haupt noch immer zu Boden gesenkt.
"Die Hölle ist der Ort des Verbrechens."
Mit diesen Worten verließ er das Massaker.
"Was soll ich nur ohne ihn tun?", schluchzte Addie und weinte bitterlich.
"Er würde dich doch nie einfach sitzen lassen. Und schon gar nicht für eine andere. Du weißt, dass er nicht so ist", ertönte es aus dem Telefonhörer.
"Sag du es mir, Kyo. Du bist immerhin sein bester Freund."
"Das stimmt schon, aber ich bin auch nur
sein Freund. Doch er hat dich nie betrogen. Das weiß ich. So etwas hätte er mir erzählt. Er hat immer versucht, ein guter Mensch zu sein. Er hat jedes Mal ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn er auch nur zu spät zu einer Verabredung mit mir kam. Wenn er dich wirklich betrogen hätte, dann hätte ihn das vermutlich seelisch umgebracht. Also mach dir bitte keine Gedanken. Er kommt bestimmt bald zurück."
"Nein... Erinnerst du dich noch an damals? Nach dem Autounfall war er total durcheinander und aufgewühlt. Er wusste zuerst gar nicht mehr, wer er war. Doch auch danach blieb es schwierig, denn er ließ sich ja nicht helfen. Wenig später begann die merkwürdige Angelegenheit mit den sonderbaren Gestalten, die ununterbrochen bei uns klingelten. Sogar, wenn er weg war. Jedes Mal, wenn er nach Hause kam, habe ich ihn nach diesen Männern gefragt, aber er hat mir nie geantwortet. Er weiß doch, dass er mit mir über alles reden kann... Aber das hat er nicht. Wir haben seit fast zwei Jahren kein vernünftiges Wort mehr miteinander gewechselt. Wir haben ständig nur diskutiert. Ich weiß gar nicht, wie ich das die ganze Zeit über ausgehalten habe. Vielleicht war es einfach meine Liebe für ihn, die so stark ist. Und jetzt...ist er einfach gegangen..."
Wieder schluchzte sie.
"Addie, hör mir jetzt einmal bitte zu! Er wird
wiederkommen. Man kann sich dein Selbstmitleid ja kaum noch anhören. Er hatte es in seinem Leben auch nie einfach. Das weißt du. Was meinst du, warum er auch immer allergisch darauf reagiert hat, wenn du mit dem Kinderkriegen angefangen hast. Er hatte Angst, dass es eurem Kind vielleicht genauso ergehen könnte, wie es ihm früher ergangen war."
Sie schwieg eine Weile.
"Addie? Bist du noch dran?"
"Ja... Entschuldige..."
"Ich glaube, es ist besser, wenn du dich jetzt erst einmal beruhigst und etwas machst, dass dich von deinen trüben Gedanken ablenkt. Vielleicht komme ich später bei dir vorbei, wenn es mein Zeitplan zulässt. Mach' es gut", mit diesem Angebot verabschiedete sich der einzige Freund ihres Mannes.
'Ich bin einsam und verloren in dieser unrealen Welt... Mir bleibt einzig die Wirklichkeit, die nur in meinen Gedanken existiert... Und so verlasse ich dich und gehe in eine graue Welt, weit weg von dir... Prend soin de toi, ma petite puce adorée... (Übers.: Pass gut auf dich auf, mein kleiner Schatz.)
'
Alan schlenderte in Gedanken versunken durch die düstere Stadt zurück zu seinem geparkten Auto. Als er ankam, setzte er sich hinein. Er zog die Tür vorsichtig zu, schnallte sich an und steckte den Schlüssel ins Zündschloss, drehte ihn jedoch noch nicht um. Er holte sein braunes Portemonnaie aus der Innentasche seiner schwarzen Lederjacke heraus und starrte es eine Weile an. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich das Hochzeitsfoto erneut anzuschauen.
'Je ne sais que faire de cette vie...(Übers.: Ich weiß nicht, was ich mit diesem Leben machen soll...)
Was soll ich nur ohne dich tun, Addie? Ich habe alles verloren. Ich
bin hoffnungslos verloren... Ich hätte stärker sein müssen, stärker für dich... Es gibt kein Zurück mehr. Ich hätte es besser wissen müssen, als je zuvor. Aber ich wollte die Wahrheit nicht sehen... Diese Sehnsucht tut unendlich weh... J'aimerais tant pouvoir encore la revoir... (Übers.: Ich wünschte, ich könnte sie noch einmal wiedersehen.)
'
Bittere Tränen liefen aus seinen Augenwinkeln. Er legte das Foto mit zitternder Hand behutsam und vorsichtig wie eine Porzellanfigur zurück in das Handschuhfach.
Er umfasste das Lenkrad und lehnte sich angespannt zurück.
'Ich habe diejenige verlassen, die ich am meisten geliebt habe. Und ich habe diejenigen getötet, die meine Untaten geheim gehalten haben. Jetzt kann ich nicht mehr weglaufen. Es gibt keinen Ausweg mehr. Ich habe mir meine mögliche Flucht zunichte gemacht. Jetzt werden sie mich holen...'
Ohne eine Ahnung, wo er nun vorerst verweilen sollte, drehte Alan den Autoschlüssel um und fuhr los.
Er versuchte so unbemerkt wie möglich zu bleiben. Jetzt war sein Risiko zu Sterben höher als jemals zuvor.
Der Grund war einfach. Simpel ausgedrückt: Er hatte zwei Wesen, Ebony und ihren Auftragsgeber, umgebracht, die einen festen Draht zur Hölle besaßen. Und nur vier Personen, die von der Hölle ausgesandt worden waren, lebten in der Menschenwelt und waren somit Spione, die dem Höllenfürst regelmäßig Bericht erstatteten.
Zwei davon waren Ebony und der Unbekannte gewesen. Der dritte war er. Und der vierte...
"Noch einen bitte", polterte Alan und donnerte sein Whiskey-Glas auf den schmalen Holztresen.
"Ich glaube jetzt reicht es, mein Lieber! Das bringt dich auch nicht weiter, wenn du dich bei mir an der Bar sinnlos betrinkst!"
"Lass mich doch!", gab der angetrunkene Alan schlecht gelaunt zurück.
"Nein, ich lasse dich ganz bestimmt nicht! Immerhin bist du hier in meiner
Wohnung! Falls du das vergessen hast. Ach, noch was! Weißt du, wie teuer ein paar Flaschen guter Rotwein sind? Die stehen da eigentlich zum Genießen! ... Wag es dich den anzufassen! Das ist ein Sammlerstück!"
Alan war keine andere Wahl geblieben. Er hatte keine Verwandten, die in seinem näheren Umfeld wohnten. Zurück zu Addie konnte er nicht. Er wollte sie nicht unnötig in Gefahr bringen. Darum blieb ihm als einzige Unterkunft die kleine aber feine Wohnung seines besten Freundes Kyo.
Dieser stürzte sich nun auf Alan, der gerade dabei gewesen war, sich über einen Rosé herzumachen. Kyo kitzelte ihn an den Seiten. Alan jedoch verzog keine Miene. Er hatte einen durchtrainierten Körper, gegen den sein schmalgebauter, blonder Freund nicht im Geringsten eine Chance hatte.
"Kannst du nicht wenigstens so tun, als wärst du kitzelig?"
Darauf bekam der lebensfreudige Kyo keine Antwort.
Beide setzten sich eine Weile schweigend auf die Couch.
"Wie geht es eigentlich deiner festen Freundin, Kyo?", säuselte Alan angeheitert.
"Was für eine feste Freundin? Du weißt, dass für mich die gesamte weibliche Spezies so uninteressant wie Knäckebrot ist."
"Das ist mir wohl entfallen. Entschuldige."
"Übrigens hat deine Süße heute bei mir angerufen. Sie hat am Telefon sehr geweint. Was hast du ihr schon wieder erzählt, wo du wärst? Jetzt unterstellt sie dir nämlich schon, dass du fremdgehst."
"Ich hoffe, dass du ihr das ganz schnell wieder ausgeredet hast", murmelte Alan.
"Natürlich! Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du das nie tun würdest. Ich habe sie ein wenig beruhigen können, indem ich ihr vorgeschlagen habe, alles einfach erstmal ruhen zu lassen. Scheint geklappt zu haben, sonst hätte sie mich bestimmt noch einmal angerufen."
Alan starrte aus dem Fenster, das mit Regentropfen übersät war.
"Wie soll ich das bloß wieder hinkriegen?"
Verzweifelt wuschelte er sich durch seine schwarzen, strubbeligen Haare.
"Hör mal... Wo willst du denn jetzt eigentlich bleiben? Nach Hause zu Addie kannst du ja nicht. Na ja... Du kannst bei mir schlafen, wenn du willst..."
Der Blondschopf grinste ihn errötend an.
"Mit dem Gedanken habe ich mich bereits vertraut gemacht. Wie es scheint, bleibt mir wohl vorerst keine andere Wahl. Vielen Dank, Kyo."
Sofort sprang Alans Kumpel auf und verschwand im Schlafzimmer.
Abwesend nahm der ruhige, unnahbare Söldner sein Whiskey-Glas, schenkte sich erneut Rotwein ein und blickte nach Draußen in den strömenden Regen.
'Warum fühlt sich alles so kalt und leer an? Wann wird es wieder warm in meinem Herzen? Erst in der Hölle wird meine erfrorene Seele auftauen... Eine ungeheure, gefährliche Macht, die in mir schlummert und die niemand zu bezwingen vermag... Das haben sie damals selbst gesagt... Nach meinem tiefen Schlaf sei ich endlich als Killermaschine vollendet... Nach sieben, langen Jahren erwacht zu einem elendigen Monster...'
Er nippte an dem Glasrand.
"Ich bin fertig!", sagte Kyo, der lächelnd aus dem Schlafzimmer zurückgekehrt war.
Er streckte Alan seine Hand entgegen, die dieser zögerlich und noch in seinen Gedanken versunken nahm.
Während Kyo sich bis auf die Unterwäsche auszog und in das gemütliche Doppelbett warf, wirkte sein zurückhaltender Freund jedoch leicht befangen als er im Türrahmen stand und ihn dabei beobachtete. Unsicher tat er es ihm gleich und legte sich neben ihn.
Einige Minuten kehrte Stille ein bis Kyo sie brach.
"Was machst du da, Alan?"
"Entschuldige. Ich denke nach."
Der Blondschopf murmelte etwas vor sich hin und schaute ebenfalls an die Decke.
"Ist es interessant, die Decke anzustarren oder hast du nur keine anderen Hobbys?"
Alan antwortete nicht.
"Also doch keine Hobbys..."
'Wie weit werden sie gehen? Werden sie es wagen, ihr etwas anzutun? Ich werde es verhindern... Soweit ich das kann... Ma petite puce adorée... (Übers.: Mein kleiner Schatz.)
'
"An was denkst du, Alan?"
"Würdest du wohl freundlicherweise die Ehre besitzen, mir meine Ruhe zu lassen?"
Kyo kicherte kindlich.
"Was gibt es da zu lachen?"
Alan lächelte leicht. Das erste Mal nach so langer Zeit.
Plötzlich rumpelte es in der Küche. Beide schraken auf.
'Es ist soweit. Nun werden sie mich holen.'
Er rümpfte seine Nase, in die ihm sofort der Geruch von frischem Blut stieg.
'Nein... Nein... Ist es...?'
Er zog den Geruch tiefer ein.
'Das darf nicht...'
Er wurde kreideweiß.
'Es ist Addies Blut...'
2. Imprisonment in Hell
Alans Zähne verlängerten sich wie die eines Vampirs. Hassschreie befreiten sich aus seiner gebrochenen Seele. Diesmal konnte man sie ganz deutlich und laut hören. Seine Muskeln wurden sichtbar. Er fletschte die Zähne.
Eine dunkle Gestalt mit einem fiesen, breiten Grinsen schaute ins Schlafzimmer und kicherte bösartig.
"Du mieses Monster! Wie konntest du nur?!", schrie Alan verzweifelt mit bebender Stimme.
Er konnte sich kaum noch beherrschen.
"Bitte, reiß dich zusammen!", versuchte Kyo ihn zu beruhigen, doch vergebens. Der tobende Alan verlor immer mehr die Kontrolle über sich selbst. Er hatte keinen klaren Gedanken mehr.
"Alan!"
Verkrampft stand er auf. Seine sich in ein dunkles Rot verfärbenden Augen füllten sich mit Tränen. Ein brennender Schmerz durchströmte seinen Körper, als sein muskulöser Rücken plötzlich aufriss und schwarze, samtene Flügel hinaus schossen.
'Warum? Warum ausgerechnet sie
? Sie war doch noch so jung und hatte noch so viel vor in ihrem Leben... Wo wird ihre Seele hinwandern? Ins Paradies? In die Hölle?'
Sein Blick verfinsterte sich.
'Muss ich es etwa wieder tun?'
Seine Augen funkelten in einem höllischen Feuerrot.
Kyo konnte in diesem Moment nichts mehr tun. Er wusste, dass Alan sich bereits für den Kampf entschieden hatte.
"Die Hölle wartet auf dich, mein Freund!", lachte der düstere Kerl und spielte mit seiner schon geladenen Schusswaffe.
'Blut fließt den Hang hinab in das...'
"Vergiss es, Söldner! Deine Exekutionskünste haben bei mir keine Chance!"
Alan stutzte überrascht.
'Was passiert mit mir?'
Er spürte wie sein Körper schwach wurde und er ihn mit einem Schlag auch als taub empfand.
'Dieser Kerl... Er ist einer Meinesgleichen... Ich kann seine ungeheure Macht wahrnehmen... Das heißt, er kann mich tatsächlich besiegen...'
Alan taumelte zu seiner ihm nächstgelegenen Schlafzimmerwand, um sich an ihr abzustützen.
"Alan!"
Unbeabsichtigt schlug er mit seinem Kopf gegen die Wand. Er schluckte tief.
"Kyo! Bleib wo du bist. Egal was passiert, du mischst dich nicht ein, hast du verstanden?!"
Er konnte sich nicht länger auf den Beinen halten und fiel zu Boden. Auch wenn Alans Blickfeld enger wurde, konnte er drei weitere Männer erkennen, die sich zu dem ersten gesellt hatten. Sie trugen auffällige und ihm bekannte dunkle Umhänge.
"Schafft ihn weg!", befahl einer von ihnen mit dominanter, tiefer Stimme,"Und um den anderen, blonden Kerl wird sich auch noch gekümmert, habt ihr verstanden?!"
Die Bewusstlosigkeit holte Alan schneller ein als erwartet und ihm wurde schwarz vor Augen.
Wenig später in der Höllendimension:
Als die riesige Eisentür des Gefängnisses von den Soldaten, die Alan hinter sich her zogen, aufgeschlossen wurde, vernahm der Todesengel in seinem Unterbewusstsein die bebende Stimme einer jungen Frau ertönen:"Lasst mich hier raus!"
Von den Höllenwesen jedoch bekam sie keinerlei Beachtung. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie die Höllenwächter Alan in das Verließ, in dem auch sie verweilte, brachten und ihn wie sie an einen Stuhl fest ketteten. Mit einem höhnischen Gelächter schlenderten die Soldaten hinaus und verschlossen die Eisentür des Verließes.
"Hey... Hey!"
Alans Körper zuckte kurz. Dann zwinkerte er einige Male, bevor er seine Augen ganz öffnete. Er hob vorsichtig den Kopf und sah direkt in ihre hellgrünen Augen.
"Der Himmel hat dich geschickt! Und nun da du endlich wieder bei Bewusstsein bist, lass uns versuchen, hier herauszukommen..."
Er antwortete nicht. Alan war noch nicht ganz in der Wirklichkeit angekommen und hatte noch nicht realisiert, wo er war und dass er soeben von einem seiner Art besiegt wurde. Aber noch weniger wollte er wahrhaben, dass seine Frau wirklich umgebracht worden war. Er senkte sein Haupt zu Boden. Er wollte nicht, dass eine fremde Person Tränen der Trauer in seinen Augen sah.
"Komm schon, willst du wirklich hier bleiben?"
Er schüttelte den Kopf, versuchte, den Schmerz der Verzweiflung herunterzuschlucken und entgegnete:"Darum geht es absolut nicht."
"Ist alles in Ordnung?", erwiderte sie besorgt.
"Bitte entschuldigen Sie mich, Mademoiselle. Wir werden gleich auf dem Weg in die Freiheit sein, wenn es Euch genehm ist."
Sie stutzte. Es klang für sie fast so , als wollte er nun einfach aus dem Gefängnis hinaus spazieren. Sie betrachtete prüfend den konzentrierten Alan, der immer noch zu Boden starrte und an seinen Fesseln herum experimentierte.
"Nur zum Verständnis, mein Name ist Akira McAlester. Und wie heißt du?"
"Nenn mich Alan. Sag, wo genau wir uns befinden?"
Ohne groß zu Überlegen antwortete sie:"Dieses Verließ ist in einem Vulkan."
Er schaute auf und sah sie mit aufgerissen Augen an. Er wusste genau, was das bedeutete. Erneut stieg endlose Hoffnungslosigkeit in ihm auf. Er blickte immer wieder um sich. Nichts weiter als Eisenwände und einer schweren Metalltür, aus denen kein Entkommen möglich schien. Das Einzige, was aus Stein war, war der Boden des Gefängnisses. Doch der war hart und mehrere Meter darunter befand sich höchstwahrscheinlich flüssiges Magma.
'Wir müssen hier heraus. Egal wie. Die einzige Möglichkeit ist die Tür.'
Mit aller Kraft versuchte er, sich aus den Ketten zu befreien. Plötzlich gab es einen gewaltigen Knall. Akira schrak auf und kniff die Augen zusammen. Über sie waren die Einzelteile der Eisenketten geflogen, die Alan auseinander gerissen hatte. Mit ausgestreckten Armen saß er nun auf dem Stuhl aus Titan und konnte selbst nicht glauben, dass er es geschafft hatte.
Fassungslos starrte Akira ihn an.
Alan erhob sich und marschierte zu der verriegelten Eisentür. Kritisch betrachtete er sie und holte dann aus seiner Hosentasche ein Taschenmesser. Damit schraubte er leise an der Tür herum. Währenddessen hinterfragte er:"Sie sind Kyos kleine Schwester... Liege ich damit richtig?"
"Du kennst meinen Bruder?"
Er nickte unmerklich.
"Hey! Du willst mich jetzt aber nicht hier lassen, oder?"
Alan drehte seinen Kopf zu ihr und sah sie fragend an.
Mit verärgertem Blick raschelte sie mit den Fesseln und legte den Kopf schief. Dabei blies sie sich eine Strähne ihres goldblonden Haares aus dem Gesicht.
"Sie können es nicht leugnen, die Schwester meines verrückten Freundes zu sein. Entschuldigen Sie, aber das entspricht nur der Wahrheit. Keine Sorge. Das wird mich nicht davon abhalten, Sie mitzunehmen."
Das Einzige, was sie ihm entgegnete, war ein provokantes, übertrieben höfliches Lächeln.
Vorsichtig fing er die schwere Tür auf, die er aus den Angeln geschraubt hatte, legte sie kaum hörbar auf den kalten, braunen Steinboden und befreite danach Akira aus ihren Fesseln.
"Lassen Sie mich bitte kurz einen Blick in den Flur werfen", wisperte Alan.
Nachdem er sich umgesehen und sichergestellt hatte, dass sich momentan keine Wachen in der Nähe befanden, schlichen beide durch den langen, schmalen Eisengang. Es sah fast genauso aus wie in dem Gefängnis, in dem beide noch vor wenigen Minuten eingesperrt waren. Der Grund, auf dem sie liefen, bestand aus Fels und die Wände waren mit Stahl ummantelt. Scheinbar hatte man den Vulkan aus- und umgebaut. Es gab nur sehr wenige Abzweigungen. Es blieb ihnen somit nichts anderes übrig, als dem Tunnel zu folgen und zu hoffen, dass ihnen keine Soldaten der Höllenwache begegneten und es einen Ausgang aus dem riesigen Vulkan gab.
"Bitte erzähle mir etwas über meinen Bruder. Ich will alles
wissen", flüsterte Akira wissbegierig, um Alans nicht zu übersehende innere Hochspannung ein wenig zu lockern.
"Nun, ich kann es Ihnen nicht verschweigen... Sagen wir es so... Er ist noch penetranter geworden als vorher..."
Gespannt umfasste sie ihr Kinn und spielte mit einer Strähne ihres langen, vollen Haares.
"Wie interessant."
Plötzlich hielt Alan ihr den Mund zu und zog sie unsanft in einen Schacht. Doch schnell merkte er, dass er sie nicht bändigen konnte.
"Hey, was soll das?! Wieso drückst du mir die Luft ab?!", schrie Akira aufgebracht.
Alan sprang mit ihr auf dem Arm aus dem Schacht und hetzte mit ihr Hand in Hand gejagt von Soldaten durch den Gang.
'Und ich habe wirklich geglaubt, es wäre so einfach hier heraus zu kommen. Sie sind uns von Anfang an gefolgt, weil sie wussten, dass wir versuchen werden zu entkommen. Ich hätte es wissen müssen. Und zudem habe ich die Anzahl der Höllenwächter unterschätzt.'
Zuerst waren die Soldaten ihnen nur hinterhergelaufen, um sie gewaltfrei einzufangen, aber sie hatten schnell festgestellt, dass dies einfacher klang als es war. Mit Pfeil und Bogen versuchten die Wächter nun, die beiden so stark zu verletzen, dass sie innehalten würden oder zu Boden gingen. Doch Aufgeben kam für Alan nicht in Frage. Und das obwohl einige Pfeilspitzen seinen Körper bereits getroffen hatten.
Nachdem sich Akira mit einigen Kratzern und Alan mit tiefen Wunden den Weg aus dem Vulkan und gleichzeitig ihrem Gefängnis erkämpft hatten, ruhten sie sich vorerst in einer versteckten Höhle aus, während es Höllenfeuer regnete.
"Alan, du musst wach bleiben!"
"Ich weiß..."
Seine matten Augen fielen zu. Akira rüttelte ihn. Sofort war er wieder hellwach.
"Ich habe es versucht... Verzeih mir, Aki..."
'Er nennt mich endlich bei meinem Namen', sie lächelte kurz, "Du musst sehr müde sein, Alan."
"Nein. Ich bin wach. Tout est pour le mieux (Übers.: Es ist alles gut.)
…"
"Du bist
müde. Du hast mich eben nämlich Aki genannt und es wäre schön, wenn du das auch weiterhin tun würdest."
Er nickte unmerklich.
Sanft strich sie ihm über die Wange, spürte dabei seinen Unterkieferknochen und flüsterte:"Ich pass auf dich auf. So arrogant es auch klingen mag, aber ohne mich kommst du hier nicht wieder heraus. Ich bin schon sehr lange hier..."
Sie legte sich nah an seinen warmen Körper und ihren Kopf auf seine muskulöse Brust. Sie spürte sein Herz langsam schlagen. Seine Brust hob und senkte sich beruhigend.
"Nach dem Tod unserer Eltern waren wir beide auf uns alleine gestellt, Kyo und ich. Eines Tages geschah es. Mein Bruder war für uns beide einkaufen. Aber er war diesmal nicht wie sonst mit seinem Auto unterwegs. Höllenengel zündeten unser Haus aus. Sie gingen auf Grund dessen, dass Kyos Auto vor dem Haus stand, davon aus, dass auch er zu Hause war. Sie wollten, dass wir beide sterben und im Feuer verbrennen. Und das tat ich. Somit war mein Bruder alleine und ich war fortan hier unten..."
Er nickte verständnisvoll und flüsterte:"Das ist wahrlich kein angenehmer Tod..."
Nervös setzte er sich auf. Er musste sich daran erinnern, was für eines schrecklichen Todes seine geliebte Frau gestorben sein muss. Verzweifelt legte er eine Hand auf seine Stirn und sah zu Boden.
"Was ist denn los? Kann ich dir irgendwie helfen?"
Besorgt legte Akira einen Arm um ihn.
"Nein, bitte..."
Er drückte sie unsanft von sich weg.
Niedergeschlagen fuhr sie sich mit ihrer Hand durchs Haar und ließ sich neben ihn fallen.
"Komm, Alan, leg dich hin. Das tut dir sicherlich gut."
Er tat es in der Hoffnung ihr keinerlei Erklärungen schuldig sein zu müssen und ruhte, während sie tief und fest schlief und sich an seinen trainierten Oberkörper kuschelte. Verunsichert schob er sie vorsichtig von sich weg.
Er konnte diesem unerträglichen Schmerz der Sehnsucht nach Addie nicht standhalten. Er drehte sich mit dem noch verwundeten Rücken zur schlafenden Akira und krümmte sich vor Pein, versuchte aber kein Klagen von sich zu geben. Taumelnd stand er auf, hielt sich an der aus festem Magma bestehenden Höhlenwand fest und presste eine Hand gegen seine Brust.
Sein Herz schlug schneller. Sein Puls raste.
'Beruhige dich... Es wird alles wieder gut... Du wirst bald wieder mit Addie zusammen sein... Und du wirst das bekommen, wonach du dich seit Jahren sehnst... Du wirst sie nicht damit durchkommen lassen... Du kommst hier irgendwie schon wieder heraus, aber du darfst dich jetzt auf gar keinen Fall von deinen Gefühlen leiten lassen...'
Er atmete gelassener.
"Alan...? Willst du weg...?", fragte die gerade erwachte Akira mit verschlafener Stimme.
"Nein..."
Er schaute an ihr vorbei.
"Dann komm zu mir... Bitte..."
Zögernd setzte er sich neben sie.
"So besser?", erwiderte er leise.
Sie nickte leicht und schlief wieder ein. Er wich ihr nicht von der Seite, bis sie aufwachen würde. Er ahnte jedoch nicht, dass bereits eine große Truppe von Höllenwächtern auf dem Weg zu ihnen war.
"Erst nehmt ihr mir meine kleine Schwester und jetzt habt ihr auch noch meinen einzigen Freund entführt! Aber damit werdet ihr nicht durchkommen!"
"Du hast es selbst gehört. Ich soll mich um dich kümmern. Ich werde nicht zulassen können, dass du den anderen Höllenwächter und dem gefangen genommenen Söldner folgst. Und Zeugen können wir erst recht nicht gebrauchen. Wenn du also weiterleben willst, erteile ich dir jetzt eine Lektion und du wirst dich nicht vom Fleck rühren. Hast du verstanden?!"
Ein Schuss ertönte.
Kyo schluckte den brennenden Schmerz stumm herunter.
Blut lief an seinem Arm herunter.
"Er wird zurückkommen... Das schwöre ich dir..."
"Schweig!"
Wieder fiel ein Schuss.
Erneut verkniff er sich den Schmerzensschrei. Stattdessen knirschte er nur mit den Zähnen.
Der düstere Kerl lachte.
Eine Träne der Wut und Hilflosigkeit rollte über Kyos Wange. Der Soldat der Höllenwache schlug ihm rücksichtslos ins Gesicht, sodass seine Nase zu bluten begann. Dann verschwand er und ließ den unschuldigen, sensiblen Blondschopf verwundet zurück.
"Mistkerl!"
Aus einer Schublade holte er sich ein Taschentuch und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Dann schaute er an seinem Arm herunter, sah das mit Blut verschmierte Bettzeug.
Erschöpft ließ er sich auf sein Bett fallen.
"Alan, wo zur Hölle steckst du?"
3. Hopscotch
'Je devrais avoir mon enfer pour la colère, mon enfer pour l'orgueil, - et l'enfer de la caresse; un concert d'enfers...
Eine Art Weisheit des französischen Dichters Arthur Rimbaud und bedeutete:>Ich müsste meine eigene Hölle haben für den Zorn, meine Hölle für den Hochmut, - und die Hölle der Zärtlichkeit; ein ganzes Konzert von Höllen...dich
mit dem Tod bestrafen. Ich wurde in dem Kerker des Vulkans schon eine ganze Weile festgehalten. Ich wusste, dass jemand mit mir sterben sollte. Das hatten die Höllenwächter mir immer wieder gesagt. Deswegen wollte ich warten, um mich mit meinem Mitgefangenen gemeinsam zu befreien. Und der warst dann ja du
."
Er stand auf. Er wusste, dass es bald soweit war. Sie kamen näher. Und durch seinen höllischen Instinkt spürte er sie kommen.
"Akira, du bist diejenige, die mir Anweisungen geben muss."
Sie lächelte ihn ermutigend an, stand ebenfalls auf, nahm ihn an die Hand und zog ihn hinter sich her vor die Höhle.
"Warum gehen wir raus? Wenn wir drinnen bleiben würden und wir Glück haben, finden sie uns vielleicht nicht!"
"Doch, die finden jeden
. Aber, wenn du dich sofort, verteilst du schon mal ordentlich Respekt. Das ist besser. Auch für die Allgemeinheit", fügte sie mit einem sarkastischen Lächeln hinzu.
"Ihr habt den gleichen Humor, du und dein Bruder."
"Wir sind ja auch Geschwister, du Franzose."
Sogar vor einem blutigen Kampf behielt sie ihren Optimismus gefüllt mit etwas Lebensfrohem.
Es wurde Zeit, sich zu stellen. Sein Zorn würde nicht länger existieren. Sein Hass würde verschwinden. Er müsste sich ganz nach den Regeln dieses Spieles verhalten. Er müsste der gefallene Engel sein. Das würde er spätestens dann sein, wenn das Spiel beendet wäre und der Sieger feststehen würde. Und der wäre nicht er. Zumindest glaubte er das.
Aki versuchte, ihm Mut zu machen. Ihm klar zu machen, dass er überleben würde, war jedoch alles andere als leicht.
Sie ließen sich abführen, sich die Regeln erklären. Es war Himmel und Hölle. Dieses Spiel hatte er früher zu seiner Grundschulzeit geliebt. Doch jetzt wurde ihm der wahre Sinn dieses Spiels bewusst.
Ein Sprichwort unter den Höllenengeln besagt:
>Je mehr sich diese naiven Kinder mit diesem Spiel beschäftigen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eines Tages selbst darin landen.dich
."
"Das…beruhigt mich ungemein…"
Er kniff die Augen zusammen und knirschte schmerzvoll mit den Zähnen.
"Hey..."
Sie strich ihm über sein pechschwarzes Haar und streichelte sanft seine erblasste Wange.
"Wir kriegen das schon hin. So leicht lasse ich mich nämlich nicht unterkriegen."
Er zwang sich ein Lächeln heraus.
"Genau diese Einstellung hat dein Bruder. Das habe ich schon immer an ihm bewundert…"
"Ach, Alan... Kann das sein, dass du versuchst, mit deinem französischen Charme die Frauen herumzukriegen?"
"Aki, bitte unterstell mir nicht so etwas. Ich war glücklich verheiratet...bis vor kurzem..."
"Was...ist passiert?"
Er kehrte ihr den Rücken zu.
"Ich will nicht darüber reden..."
Sie gab ihm die Ruhe, die er in diesem schmerzerfüllten Moment brauchte, doch nach einer Weile musste sie das Schweigen brechen.
"Alan, ich will jetzt echt nicht unsensibel sein, aber...wir müssen weiter. Wir können nicht noch länger hier bleiben, sonst sterben wir höchstwahrscheinlich. Die Luft hier ist nämlich verdammt trocken... Alan? Alan!"
Sie stupste ihn leicht an, doch er rührte sich nicht. Man hörte nur ein grimmiges >Mh?4. NOIR, a forgotten Person
Hastig kramte er in Alans Schubladen herum und schleppte immer wieder seine Sporttasche hinter sich her. Er nahm eine Mappe aus einem Fach, setzte sich im Schneidersitz auf den Teppich und öffnete sie.
"Wow!"
Kyo war fasziniert. Staunend blätterte er Alans Zeichnungsordner durch. Am häufigsten fand er Zeichnungen von Admina in verschiedensten Positionen.
"Er hat ja fast nur seine Frau gemalt."
Er zog einen Schmollmund. Der verschwand jedoch, als er eine Zeichnung von einer ihm unbekannten Frau fand.
"Wer ist das? Sie sieht Alan verdammt ähnlich. Noir... Ist wohl ihr Name."
Auf der Rückseite des Blattes standen eine Adresse und eine Telefonnummer.
"Cheston-Street 29...und eine Nummer..."
Es traten ein paar Sekunden Stille ein, in denen er verwirrt durch die Gegend starrte.
"Wow toll! Da muss ich unbedingt anrufen!"
Schließlich wollte er alles über Alan erfahren, was ihm bis jetzt noch unbekannt war.
Er holte aus seiner schwarz-weißen Sweatjacke ein hellblaues Klapphandy, tippte die Nummer ein und drückte auf >Anrufen<.
Es tutete. Nach dem dritten Mal hörte er eine Frauenstimme >Hallo?ich
denn?"
"Kyo McAlester ist am anderen Ende der Leitung."
"Kenn ich nicht."
"Nein, aber Alan, oder?"
Stille setzte ein.
"Sag schon, kennst du ihn? Ich meine, sonst hätte er dich bestimmt nicht gezeichnet."
Sie schnaufte.
"Wer auch immer du bist, du bist in der Wohnung meines Bruders. Du bewegst dich nicht von der Stelle, hast du das verstanden?!"
Sie legte auf.
Kyo schaute verwirrt auf sein Handy-Display.
Keine 10 Minuten später hörte er, wie jemand die Tür aufschloss. Freudig rannte er zu Tür, er erwartete Alan. Er riss die Tür auf, dann blickte er in das Gesicht einer blauäugigen jungen Frau mit langen, glatten, schwarzen Haaren und einem Seitenpony.
'Scharfe Klingen aus kaltem Stahl
in meinen Leib gestoßen,
nur um zu strafen...
Genommen wurde mir der letzte, freie Wille,
den mir der kleine Überrest meiner Menschlichkeit ließ...
Schon lange sind meine rabenschwarzen Federn verblichen,
der Heiligenschein und meine Seele zersprungen,
die Liebe erloschen und der Tod erblasst...
verborgen unter schwarzem Schleier...
Das ist mein Schicksal... Mein Haupt wird fallen, ich werde meine Würde verlieren und somit untergehen... Und alle werden nichts Geringeres beweinen als meinen Tod... '
"ALAN! ALAAAAAAN! WO BIST DU?!"
Schluchzend kauerte Aki auf dem kalten Boden vor dem Loch.
'Was soll ich tun? Ich kann nichts machen... Ich kann ihm nicht helfen... Verdammt!'
"Hallo…", stotterte er und lief dabei rot an.
Die junge Dame stemmte die Hände in die Hüfte.
"Kyo, nicht wahr? Wenn ich mich kurz vorstellen darf. Ich bin Noir De Mercier, Alans Schwester."
Sie schaute an ihm vorbei.
"Ist Admina nicht da?"
Er erblich.
"Ich rieche sie nicht… Aber was...?!"
Schockiert rannte sie ins Wohnzimmer. Er hingegen blieb mit kreideweißem Gesicht in der Tür stehen, erstarrt.
Sie fasste sich ungläubig an den Kopf.
"Was ist hier los?! Was ist das für ein furchtbarer Geruch?! Sie waren hier..."
Ihre aufgerissenen Augen drückten Angst und Furcht, aber auch Wut und Hass aus. Sie begann zu zittern.
"Sie haben sie...Nein! Das ist nicht wahr!"
Sie drehte sich ruckartig um.
"Du! Was hast du damit zu tun?!"
"Ich habe nichts getan. Dein Bruder wurde entführt. Er ist in die Höllenwelt gebracht worden. Ich habe in seiner Wohnung nach Hinweisen gesucht. Nach Spuren von den Kerlen, die ihn mitgenommen haben. Allerdings habe ich nichts Brauchbares gefunden. Du scheinbar schon. Ich will ihn auch wieder zurückholen."
Sie nickte mit ernster Miene.
"Sag mal, hat er eigentlich immer solch grausam, traurige Gedichte geschrieben? Ich habe schockierende Texte gefunden."
Ohne dass sie etwas darauf antworten konnte, zog er sie mit in Alans Arbeitszimmer.
Dann hielt er ihr ein Blatt unter die Nase.
'Ein schwarzer Engel fliegt durch die Nacht,
seine Hände beschmiert mit Blut, denn er hat eine dunkle Tat vollbracht…
Seine Augen erfüllt von Selbsthass,
sein Gesicht kalt und blass,
rollt eine Träne über's Weiß
und gefriert funkelnd zu glitzerndem Eis...
Denn plötzlich steht er vor mir, der Todesengel,
und weiß, sein nächstes Opfer, das bin ich…'
Sie las es sich durch. Danach schaute sie ihn unbeeindruckt an.
"Was ist denn damit?"
"Das ist furchtbar, Noir! Warum schreibt er solche Dinge?"
Sie trat ein paar Schritte zurück.
"All diese Gedichte spiegeln sein Leben wider, merkst du das nicht? Du, als seine Schwester."
"Ich habe erst seit einer Woche wieder Kontakt zu ihm. Wir haben uns über 10 Jahre nicht mehr gesehen. Und ja, er hat ein Bild von mir gemalt, weil er etwas von mir als Erinnerung haben wollte, falls wir uns wieder aus den Augen verlieren. Hör zu, ich finde, du solltest mal langsam deine Tasche in die Hand nehmen."
"Meine Tasche...nehmen? Wieso?"
Er verstand die Welt nicht mehr.
"Ich dachte, wir wollten meinen Bruder suchen. Ich glaube, wir beide werden noch viel Spaß zusammen haben", lachte sie.
Kyo legte sich errötend und verlegen lächelnd die Hand auf die Wange.
"Das hat dein Bruder auch immer zu mir gesagt... Du und dein Bruder, ihr seid euch wirklich sehr ähnlich, so wie meine Schwester und ich es waren..."
Sie legte ihm aufmunternd die Hand auf die Schulter.
"Hey, Kopf hoch!"
Ihr Optimismus ließ ihn ermutigt aufblicken. Dann nickte er und schnappte sich seine Sporttasche.
"Auf geht's!"
Während er die Tür abschloss, setzte sie sich in ihren schwarz-silbern, tiefer gelegten Ford. Hastig schmiss er seine Tasche auf den Rücksitz und schnallte sich an. Im Nu brachte Noir den Sportwagen von 0 auf 100.
Kyo krallte sich nach Luft schnappend am Sitz fest.
"Sag mal, bist du der Freund von Alan, der schwul ist? Er hat mir von so einem erzählt."
Er biss sich auf die Unterlippe.
"Nein, ich steh nur nicht so auf Frauen."
"Das ist schwul, Kyo", lachte sie.
"Nein, das ist eher-"
Noir machte plötzlich eine gewaltige Vollbremsung. Sie umklammerte das Lenkrad und starrte auf die Straße.
Der Boden bekam Risse, öffnete sich und aus den Spalten stiegen schwarze, dämonische Monster, die in ihrem Aussehen nichts mehr mit einem Menschen gemeinsam hatten, empor. Noir war erstarrt. Kyo ebenso. Die Wesen begannen zu brüllen. Von der einen auf die andere Sekunde hechteten sie auf Noirs Auto zu. Der Himmel verfärbte sich feuerrot. Es stank bestialisch nach Blut.
"Ist es die Hölle auf Erden oder bloß eine Illusion?", stammelte Kyo fassungslos.
"Nein, Kyo, diese Monster sind real."
5. The Prototypes
In dem Moment, in dem sie auf das Autodach sprangen, startete Noir den Motor und raste auf dem Bürgerstein davon. Dabei fuhr sie einige Monster tot.
"Noir!"
"Was?! Ich bin gerade ziemlich konzentriert! Also lass mich mal!"
Dann blieb sie ca. eine halbe Stunde später mit dem Wagen irgendwo im Nirgendwo vor einem Haus stehen. Er sah hinaus.
"Was ist denn das?"
"Ein Haus. Wo lebst du denn?"
Kyo zuckte unwissend mit den Schultern. Er folgte ihr in die Wohnung.
"Was machen wir jetzt hier? Ich dachte, wir wollten deinen Bruder suchen?"
"Ja, machen wir doch auch noch, aber zuerst müssen wir uns dringend schlafen legen. So schnell werden wir da unten nämlich keinen Schlaf mehr kriegen. Da wirst du im Übrigen auch gar keine Zeit zu haben."
"Ich kann das leider nicht beurteilen. Ich war noch nie da unten."
Er senkte beschämt den Kopf zu Boden. Noir schaute ihn erstaunt an.
"Kyo, was für ein Wesen bist du?"
"Ich bin ein weißer Engel."
Er biss sich nervös auf die Lippe.
"Das ist eine Sorte von Engel, die sich um das Wohl der Menschen kümmern, eine Art Schutzengel. Wenn wir einmal in die Hölle wandern, können wir nie wieder zurückkommen. Meine Schwester war auch ein wunderschöner weißer Engel. Aber sie ist im Feuer der Hölle verbrannt..."
Er ließ sich auf der roten Couch nieder.
"Und du?"
Sie sah weg. Dann ließ sie sich ebenfalls nieder, neben ihm.
"Ich bin ein Todesengel. Die Ausrottung der Menschheit ist unser Ziel. Aber nur ein Höllen-Todesengel vom Prototypen I bis III hat die Aufgabe die Menschheit auszulöschen. Wir sind also das genaue Gegenteil von euch. Im Gegensatz zu euch können wir auch wieder aus der Hölle zurückkehren. Die Hölle ist sozusagen unsere Heimat, das Feuer unser Blut und unsere gefährlich spitzen Zähne die Messer, mit denen wir Körper auseinander reißen. Wir sollen die menschliche Spezies mit unserem dämonischen Feuer niederbrennen. Aber wir haben uns dieses Schicksal nicht ausgesucht! Wir wurden als das geboren. Ich hasse es, eine solche Kreatur zu sein. Mein Bruder jedoch hat Gebrauch von seinen Kräften gemacht. Er ist seinen Pflichten als Höllen-Todesengel nachgegangen, dennoch nicht freiwillig. Hätte er nicht mitgespielt, hätten sie Admina getötet. Das haben sie ja dann auch irgendwann gnadenlos getan. Und das-"
"Hör auf, bitte!"
Kyo vergrub sein Gesicht in einem Kissen.
"Bloß nicht heulen, ja?"
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.
"Hör mal... Es bringt nichts jetzt noch zu trauern. Es ist geschehen. Und ehrlich gesagt, Alan tut mir am meisten leid. Immerhin war sie seine Ehefrau. Und auch, wenn es in der letzten Zeit nie so ausgesehen hat... Er hat sie über alles geliebt. Du musst einfach versuchen es zu vergessen. Egal, wie schwer es ist."
Er nickte und schniefte. Dann schaute er sich im Wohnzimmer um.
"Soll ich auf der Couch schlafen?"
"Problem damit?"
Er zuckte mit den Schultern.
"Es ist eben schlimm, alleine zu sein, Noir. Deswegen würde ich mir gerne heute Nacht ein Bett mit dir teilen."
Sie zog ihre Augenbraue hoch. Dann aber lachte sie:"Na ja, aber du bist schwul. Da ist das noch in Ordnung."
"Hey! Ich bin nicht-"
Noir zog ihn hinter sich her, sodass er ihr stolpernd folgte, bis sie eine Tür öffnete.
"So, mein Schlafzimmer. Du solltest dich geehrt fühlen. Es hat noch nie ein männliches Wesen diesen Raum betreten."
Die Zimmerwände waren in einem zarten Blau gestrichen.
"Mach es dir im Bett gemütlich. Ich ziehe mich schnell im Badezimmer um."
Sie verschwand.
"Aber ich hab doch... Egal..."
Noch etwas benommen stand er da und schaute sich in den vier Wänden um.
Keine 10 Minuten später klopfte es an der Tür.
"Kyo?"
"Bin fertig!"
Sie trat herein, blieb aber in der Tür stehen.
Er drehte sich um.
"Alles in Ordnung?"
Sie strich sich durchs Haar.
"Ja, ja… Alles gut, schätze ich."
Sie setzten sich auf das Doppelbett.
"Wir müssen uns ausruhen, dringend. Und wenn du morgen früh zu müde bist, schmeiße ich dich aus dem Bett. Das sag ich dir. Da kannst du machen, was du willst."
Sie legte sich unter die Decke. Er tat es ihr gleich, wickelte sich in die weiche, warme Decke ein. Sie löschte die Flamme der Wachskerze.
"Du, Noir? Wie habt ihr euch eigentlich getroffen, du und dein Bruder?"
Einige Sekunden Stille.
"Er kam eines Tages zu mir... Es war unerwartet, ich war unvorbereitet... Ich erkannte ihn nicht..."
In ihrem Kopf spielte sich alles noch einmal ab.
"Er wollte mit mir sprechen... Er nannte mir seinen Namen... Und mein Blut gefror... Plötzlich wusste ich, dass es mein Bruder war... Ich konnte nicht glauben, dass er es wirklich war..."
"Du hast Glück... Dein Bruder ist wieder zurückgekommen... Meine Schwester nicht..."
Er kehrte ihr den Rücken zu.
"Wir werden auch sie dort unten suchen, versprochen. Schlaf gut, Kyo."
"Gute Nacht, Noir..."
Kurze Zeit später schliefen beide ein.
Er stand vor mir, Alan, mein eigener Bruder, mit ausgespannten, dunklen Engelsflügeln, deren Federn dicht und in Blut getränkt waren.
Er sprach zu mir:
"Ich, der Todesengel, schwebe über dir,
ziehe meine Kreise…
Du vernimmst das Aneinanderreiben meiner tiefschwarzen Federn,
bei jedem Flügelschlag…
Meine Blicke brennen auf dir,
durchlöchern dich,
zerstören deine Seele…
Ganz starr liegst du da…
Ich stürze auf dich herab…
Meine blutverschmierten Finger umgreifen dich,
eisige Kälte packt deinen Körper,
lässt das Blut in deinen Adern gefrieren…
Und plötzlich..."
Der Wecker klingelte. 7:30 Uhr zeigte er an. Kyo schmiss ihn genervt vom Nachttischschrank.
Noir war bereits seit 6:30 Uhr mit ihren Vorbereitungen fertig und stiefelte nun ins Schlafzimmer.
"Hey! Aufstehen!"
Keine Reaktion. Gnadenlos schmiss sie ihn aus dem Bett.
"Beweg deinen faulen Hintern ins Bad! Und zwar ganz schnell!"
"Ja, ich mach ja schon..."
Verschlafen tapste er durch die Wohnung, gähnte, wuselte sich in seinen blonden Strubbelhaaren herum und verschwand dann im Badezimmer.
Sie zog ihre Rüstung an, während Kyo sich fertig machte.
Ihre Rüstung war schwarz-silbern mit roten und schwarzen Edelsteinen besetzt und golden verziert.
Kyo betrat das Wohnzimmer, in dem sie sich aufhielt.
Er stutzte als er ihre Rüstung betrachtete.
"Du bist ein Prototyp?"
Sie drehte sich um.
"Ja, wieso?"
Er stutzte erneut.
"Das...wusste ich nicht... Gibt es noch mehr?"
Noir nahm ihr Handy vom Tisch.
"Ja, und eine rufe ich jetzt an. Wir gehen jetzt. Komm schon!"
Mit dem Handy an ihr Ohr gepresst haltend, ging sie zu ihrem Auto.
Überfordert lief er ihr mit einer Tasche gefüllt mit Waffen, Sprengstoff und Munition hinterher, knallte dabei unbeabsichtigt die Haustür zu und schmiss sich anschließend in den Sportwagen.
Sie hatte ihr Handy in den Halter gesteckt und auf Lautsprecher eingestellt.
"Verdammt, wieso geht die denn nicht dran?!"
Dann rief sie eine andere Nummer an, startete den Motor und fuhr los.
"Du willst doch jetzt nicht im Ernst während des Autofahrens telefonieren?!"
"Ist erstens wichtig und zweitens-"
"Hallo?"
Beide horchten auf.
"Rémi? Bist du das?"
"Ja, was gibt's? Mensch, wir haben uns ja ewig nicht mehr gehört. Wie geht es dir?"
Kyo hörte gespannt zu.
"Soweit ganz gut. Ich hoffe euch auch. Ich habe versucht, deine Schwester anzurufen, aber sie ging nicht an ihr Handy. Du weißt doch, wo das Höllenportal ist, oder? Wir müssen uns dort treffen. Jetzt gleich. Und nimm bitte Estelle mit. Es geht um meinen Bruder. Er steckt in Schwierigkeiten", erklärte sie ihrem Cousin Rémi, dessen Schwester sie nicht erreicht hatte, und konzentrierte sich gleichzeitig auf den Straßenverlauf.
"Alles klar. Wir sind sofort da. Bis gleich."
Er legte auf.
Keine 10 Minuten später kamen sie am Höllenportal an. Rémi und Estelle saßen wartend auf einer Mauer und unterhielten sich. Sie sprach französisch, er antwortete auf amerikanisch. Sie konnte kein Amerikanisch sprechen, es aber verstehen. Beide lebten seit zwei Jahren zusammen in einem Haus in Amerika. Er hatte Amerikanisch studiert und hatte versuchte, ihr die Sprache beizubringen, aber sie hatte einfach kein Interesse daran. Sie wollte lieber wieder in die Provence. Doch sie blieb ihrem Bruder zu Liebe in den Vereinigten Staaten.
Nachdem beide aus dem Wagen ausgestiegen waren, verbeugte sich Noir vor ihrer Cousine und ihrem Cousin.
"Bonjour Estelle. Hallo Rémi. Schön, dass ihr gekommen seid."
Estelle nickte und hob ihre Hand. Noir bat die beiden in ihr Auto einzusteigen. Sie mussten noch ein Stück fahren.
Während der Fahrt tippte Estelle, die zusammen mit Kyo auf dem Rücksitz saß, ihre Cousine an.
"Noir, Alan a écrit une lettre à nous. (Übers.: Alan schrieb uns einen Brief.)
"
Rémi holte einen Briefumschlag aus seiner Jackentasche.
"Hört gut zu. Er hat nichts weiter als das geschrieben, was ich jetzt vorlesen werde.
'Estelle, Rémi...
Eisige Kälte bestimmt mein Leben
und behütet mein gebrochenes Herz…
Gleich einem apokalyptischem Reiter
lösche ich Tausende von unschuldigen Lebenslichtern aus…
Kein Krieger, kein Gott, nicht einmal der Tod
hielt mich jemals auf,
weder Dolche noch Klingen sind ein Hindernis…
Unaufhaltsam werde ich stets meine grausamen Taten vollbringen…
Welches Grauen ich doch verbreite,
welch' eisige Hülle mein Herz umschließt…
Nächte voller Angst ich euch bringe,
wenn eure Todesglocke zu läuten beginnt…
Du spürst meinen kalten Atem
ganz nah an deinem Genick…
Hängend an deinem Leben,
vertraust du auf deinen letzten Funken Glück...'
Noir blieb mit dem Auto stehen. Alle schwiegen und stiegen aus.
Der Wind war stark. Asche wirbelte durch die Luft. Vor ihnen erstreckte sich ein Portal aus Feuer, durch das sie hindurch marschierten.
Sie waren in der Hölle angekommen.
6. Lachrymose
Sie gingen ein Stück an einem Fluss entlang. In der Ferne sahen sie eine Brücke aus Stein.
Kyo knetete nervös seine Wangen.
"Verdammt, sag mal kannst du dich mal zusammen reißen?! Wir sind doch nicht im Kindergarten, wo man Schiss vor irgendwas hat." Noir verpasste ihm einen leichten Schlag auf den Hinterkopf.
"Sag mal, Noir, wer ist das überhaupt?", warf Rémi ein und zeigte auf Kyo.
"Das ist-"
"Ich bin Kyo, Kyo McAlesta", unterbrach er sie.
"C'est un wundervoller Name, Kyo McAlesta." Estelles niedliches Lächeln und ihre süßen, roten Bäckchen machten ihn verlegen. Errötet verschränkte er die Arme hinter seinem Kopf und grinste. "Danke. Und wie ist dein Name?"
"Je suis Estelle Portadonnez."
Während Noir und Rémi versuchten Pläne zu schmieden, unterhielten sich Kyo und Estelle, was sich allerdings schwierig gestaltete.
"Du kommst also aus Frankreich?"
"Oui, France est très beau. Je veux retourner à France, mais mon frère ne veux pas."
"Oh, eh, kann mir mal einer übersetzen? Das war zu viel französisch!" Während ihrem Marsch drehte sich Rémi zu den beiden um. "Sie hat gesagt, dass Frankreich schön ist, sie gerne wieder dorthin will, aber dass sie bleibt, weil ich nicht wieder zurück will." Dann drehte er sich wieder um und sprach weiter zu seiner Cousine.
"Geschwisterliebe. Wie süß!" Er lächelte sie liebevoll an.
"Kyo, très chéri! Regarde-le, Rémi!"
Nochmals drehte er sich um. "Sie findet dich süß!", lachte Rémi. Noir ebenso.
"Oh, ehehe..." Kyo lief knallrot an und grinste wieder verlegen.
"Hey! Noir! Rémi! Estelle!" Alle drehten sich um. Eine junge Frau mit schulterlangen, hellbraunen Haaren kam auf sie zu gerannt.
"Élèna!!" Estelle lief auf sie zu und umarmte sie.
"Das ist Élèna Lopez, eine Cousine von uns. Sie ist ein Feuer-Todesengel des Prototypen III", berichtete Noir Kyo kleinlaut, während Rémi nun auch seine Cousine in den Arm nahm. "Hört mal bitte zu!", brüllte Noir, die Anführerin des Teams war. Alle Augen waren blitzschnell auf sie gerichtet.
"Élèna, wirst du uns begleiten?" Sie nickte heftig mit dem Kopf.
"Noir, wo ist Alan und wie geht es ihm?"
"Das wollen wir auch herausfinden." Ihr Blick wandte sich dem Zentrum der Hölle zu. Es war nicht mehr weit bis dorthin. "Wir müssen durch den Wasserfall der Hölle und ab da müssen wir vorsichtig sein", gab Noir allen bekannt.
Sie zogen gemeinsam weiter, mit einem neuen und starken Mitglied; Élèna. Sobald man den Höllen-Wasserfall sah, wurde Estelle nervös. Aufgekratzt zupfte sie immer wieder am Pullover ihres Bruders. "Frère... J'ai peur... J'ai peur..."
Rémi strich ihr behutsam und sanft über ihr Haupt, über ihre seidigen dunklen Haare. "Du brauchst keine Angst zu haben, Estelle. Ich bin bei dir und werde dich beschützen."
Sie nickte leicht, aber besorgt.
Hinter dem Wasserfall, bestehend aus Feuer, blieben alle wie angewurzelt stehen und schauten sich wie Verfolgte um.
"Noch niemand in Sicht. Ich denke, wir können erstmal beruhigt weiterziehen. Wir müssen aber trotzdem aufpassen. Uns darf ab jetzt kein Fehler mehr unterlaufen. Zieht zur Sicherheit die Mäntel an und die Kapuzen auf. Niemand darf wissen, dass wir hier ohne Erlaubnis rumlungern." Alle taten, was Noir befahl. Sie wanderten durch die kahle, dunkle Landschaft. Alles wirkte trostlos. Auch die Wesen, denen sie begegneten, schienen hoffnungslos und einfach nur grundlos traurig zu sein.
Plötzlich hörten sie einen lauten, schmerzvollen Schrei, der Noir kalt den Rücken runterlief und bei dem Rest der Gruppe Gänsehaut verursachte.
"Bleibt jetzt bitte-"
Noch ein Schrei ertönte aus der gleichen Richtung.
"Bitte bleibt ruhig", bat Rémi. Die anderen redet wie wild durcheinander.
"Ich bitte euch! Es bringt doch nichts, jetzt Panik zu machen! Wir müssen uns jetzt mal beruhigen und ganz entspannt und überlegt an die Sache rangehen, ja?!"
Alle verstummten.
Er schnaufte. 'Hätte das nicht eben schon so sein können?'
"R-rémi... Was ist mit meinem Bruder?"
Noirs Cousin zögerte kurz. "Er befindet sich mit einer Frau in einem riesigen Höhlenlabyrinth, ganz hier in der Nähe. Er steckt in dem Spiel 'Himmel und Hölle'. Ja, ein lustiges Grundschulspiel, aber hier unten wird es zur grausamen Realität. Seine Überlebenschancen sind sehr gering. Geringer geht's kaum noch."
"Willst du ihn jetzt etwa einfach aufgeben?!", warf Élèna enttäuscht ein. "Wir KÖNNEN ihn finden! Das wisst ihr genauso gut wie ich! Wir müssen nur stark sein, zusammenhalten, nicht aufgeben! Er wäre bestimmt sehr traurig, wenn er hören würde, dass wir vorhaben, ihn einfach aufzugeben, weil wir hoffnungslos sind. Also, bitte lasst uns weitergehen und ihn suchen und ihn befreien. Nur WIR können ihm jetzt noch helfen." Élèna sah in die Runde. "Unsere Cousine hat recht. Lasst uns meinen Bruder weitersuchen!"
Élèna hatte allen etwas von ihrer unendlich großen Hoffnung, für die sie bekannt war, abgegeben. Sie wanderten ermutigt weiter.
Nach einer Weile begegneten ihnen auch einige Truppen der dämonischen Höllen-Wache. Sie verhielten sich unauffällig, zogen nur ihre Schwerter, wenn es nötig war, zeigten keine Emotionen, sprachen kein Wort. Weder mit denen, die ihnen über den Weg liefen, noch untereinander. Sie trugen dunkle, lange Mäntel. Man konnte nicht vermuten, was sich unter ihrem schwarzen Gewand befand. Ihr Gesicht war durch die Kapuzen, die über ihre Köpfe gestülpt war, verdunkelt. Ihre Augen leuchteten in einem grellen Rot. Dieser Trupp wirkte beinahe abstrus. Sie schnitten Noir und ihrer Gruppe den Weg ab.
Angespannt blieben alle stehen und schauten sich gegenseitig verängstigt an. Élèna trat neben Noir.
"Was gibt's?", sprach Élèna mit leiser Stimme. Sie wollte keine Aufmerksamkeit auf die Gruppe ziehen.
"Wer seid ihr? Eure Anwesenheit erscheint uns äußerst suspekt." Sein Blick durchbohrte Noir. "Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Case. Und das sind meine Begleiter Buster, Dan und Ray." Eine Kopfbewegung von Case genügte. Buster und Ray postierten sich hinter die Gruppe.
"Wenn ich bitten darf."
Ohne zu zögern folgten sie ihnen. Alle wussten, dass sie in große Schwierigkeiten gekommen waren.
Élèna blieb plötzlich stehen.
"Hey, geh weiter!" Sie bekam von Buster einen Stoß.
"Finger weg!" Sie drehte sich um. "Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Wo bringt ihr uns hin? Wir sind nicht im Unrecht, wie ihr wohl vermutet. Also hört auf, uns wie Schwerverbrecher zu behandeln!"
Alle starrten Élèna an. Die jedoch war nur auf Buster konzentriert. Ray näherte sich der abgelenkten Noir. "Hör sich das mal einer an!"
Sie drehte sich blitzschnell um.
Ray wedelte mit einem Zettel. "Willst du wissen, was drauf steht?"
Sie schwieg.
"Ich werde es dir trotzdem sagen. Immerhin war der Brief ja an dich."
Sie wurde kreideweiß.
" 'Ich wollte dich nie verlieren
und wenn doch,
dann wollte ich sterben.
Ohne einen Engel wie dich,
wäre ich nichts.
Du warst ein Engel
und hattest ein so schönes Gesicht.
Immer wieder schaute ich dich an,
ja, sogar in meinen Träumen
bist du bei mir gewesen.
Doch dann kamen die harten Zeiten
und du warst nirgendwo mehr zu finden,
ich musste es alleine schaffen
und mich überwinden.
Wie konntest du jetzt einfach so verschwinden?
Heute warte ich immer noch auf dich,
egal wo immer du auch bist.
Meine Flügel sind gebrochen,
bitte hilf mir.
Ich wünschte mir,
mein Engel käme eines Tages wieder...'
Wie rührend, findet ihr nicht?" Er lachte.
Noirs Augen füllten sich mit Tränen. Sie verdeckte ihr Gesicht mit ihren Händen. Unbemerkt zückte er sein Schwert und stürmte auf Noir zu. "Stirb!!"
"NOIIIIR!!"
Von der einen auf die andere Sekunde stand Élèna vor ihrer Cousine.
"Ngghhh..." Sie versuchte den Schmerz herunterzuschlucken, während sich Noir geschockt an die Wange fasste. In ihrem Gesicht war Blut, das Blut ihrer Cousine, die sich vor sie geschmissen hatte, um sie zu retten.
Case, Dan und Buster waren ebenso fassungslos, weil sie mit dem Angriff ihres Kameraden nicht gerechnet hatten. "Scheiße!"
Buster schnappte sich Ray. "Verschwinden wir!"
Éléna fiel zu Boden, blutend, halbtot. Reflexartig fing Noir sie auf.
Estelle war unterdessen weinend zusammengebrochen, Rémi stützte sie und redete ihr gut zu. Kyo stand nur starr da. Das alles war zu viel für ihn. Im Moment realisierte er gar nichts mehr.
"É-élèna... Warum...warum hast du...das getan?"
"Ngh... D-du...wirst noch...gebraucht, Noir... Dein Bruder...wartet auf dich... Du musst dich...beeilen... Wenn du nicht rechtzeitig kommst, dann...ist es...zu spät..." Sie hustete Blut. "Mach schon... Geh...endlich..."
"Élèna!"
"Hör auf... Es bringt nichts... Es tut mir leid, dass ich...versagt habe... Ich wünsche euch...alles Gute... Euch allen..." Sie brachte unter Schmerzen ihr schönstes, letztes Engelslächeln auf. Dann fiel ihr Kopf zur Seite. Ihr Lebenswille hatte sie verlassen.
Vorsichtig legte Noir sie ab.
Sie saß noch ein paar Minuten still da und betrachtete trauernd die tote Élèna, bevor sie dann wie innerlich ausgebrannt aufstand. "Sie musste ihr Leben für mich lassen... Ein Engel von solcher Schönheit ist in meinen Armen gestorben... Das ist schlimmer als ein Fluch... Ihre Federn sind nun voller Blut... Aber ihre Hoffnung lebt weiter, in uns. Wir müssen meinen Bruder finden. Ich werde nicht aufgeben. Für diese Mission ist sie gestorben. Das werde ich nicht auf mir sitzen lassen." Erst packte sie die Wut, dann jedoch die Trauer und die Hoffnung zugleich.
Alle schauten gen Himmel.
"Élèna... Ich werde mich rächen... Ich werde Gerechtigkeit für dich schaffen, damit du in Frieden ruhen kannst..." Tränen rollten aus ihren Augen ihre zarten Wangen hinunter.
"Ich werde dich nie vergessen... WIR werden dich nie vergessen, Élèna..." Sie nahm Élènas Schwert und Kette an sich. Schmerzerfüllt schloss sie ihre Augen und hoffte innigst, dass dieser Albtraum bald ein Ende haben würde.
"So, Alan, wie fühlst du dich? Sag schon! Mir gefällt es nicht, wenn man nicht antwortet!!"
"ARRRRRGGHH!!" Seine qualvollen Schreie zerstörten Akira. Sie war weit entfernt von ihm in einem anderen Teil der Höhle. Seit er 'abgestürzt' war, hatte sie sich nicht vom Fleck bewegt, in der Hoffnung, dass er vielleicht dorthin zurückkommen würde, was er leider nicht tat.
Sein Oberteil hatte sich rot verfärbt. Sein ganzer Körper war wie in Blut getränkt. "B-bitte... Lasst mich gehen..." Mehr brachte er nicht heraus.
"Das soll wohl ein Scherz sein!" Die fiese dunkle Gestalt lachte. Ein weiterer Schrei aus Alans durchbohrtem Körper drang zu Akira durch. Sie presste die Hände auf ihre Ohren und kniff die Augen zusammen.
"Ich werde jetzt gehen. Dafür werden dich gleich ein paar andere nette Personen besuchen. Ich denke, dass es spannend für dich und amüsant für sie wird." Lachend verschwand er. 'Meine Kraft lässt langsam aber sicher nach... Die hat mir immer ein gutes Gefühl gegeben... Aber ich scheine das alles hier verdient zu haben... Sonst wäre ich jetzt nicht hier...
Ich bin ein Engel,
der belogen und betrogen hat,
dem das Herz gebrochen worden ist,
dem man die Flügel gebrochen hat
und alles genommen hat,
was er liebte...' Sein Körper begann zu zittern. Seine Umgebung war dunkel. Er spürte einzig und allein den drückenden Schmerz, den die Handschellen an seinen Handgelenken verursachten. Er war an der Höhlendecke festgekettet worden. Er konnte dieser elenden Qual nicht entkommen. Auch ihn verließ so langsam die Lebenskraft. Nach all den Strapazen sah er keinen Sinn mehr, die ganzen Schmerzen und Qualen auszuhalten. Er empfand sein Leben für gewöhnungsbedürftig. Und gerade in diesem Moment hatte er festgestellt, dass er es mittlerweile sogar zum Kotzen fand.
Er spuckte Blut. Er senkte sein Haupt zu Boden, wo sich sein Blut in einer riesigen Lache sammelte. Leblos wie eine Leiche hing sein Körper an der Decke.
7. Search
Wieder einmal wanderte Noirs Gruppe durch die Höllenlandschaft, allerdings mit einem Mitglied weniger und diesmal auf der Flucht. Sie wussten, dass sich das Ereignis, das eben vonstattengegangen war, herumsprechen würde. Das war sicher. Und zwar zu 100 %. Ihnen war klar, dass nicht mehr viel Zeit übrig war. Die verstummten Schreie waren ein eindeutiges Zeichen. Meistens das Zeichen für den Tod, dem keiner von den vier folgen wollte. Leider war das unvorhersehbar. Ebenso wenig wie Élènas Tod es gewesen war.
"Leute, ich mache mir echt Sorgen um meinen Bruder!"
"Dazu hast du auch allen Grund."
"Was ist, Rémi?!"
"Er reagiert nicht mehr. Kein Geräusch, keine Emotion, keine kleinste Bewegung, nichts. Einfach gar nichts. Das irritiert mich. Das bringt mein komplettes Wahrnehmungsvermögen durcheinander. Dieser Penner kann doch jetzt unmöglich aufgeben!"
"Rémi!" Estelle sah ihren Bruder zurechtweisend an.
"Tschuldigung. Aber der kann doch jetzt nicht einfach 'nen Schlussstrich ziehen, verdammt! Wir haben unser Leben auf's Spiel gesetzt! Élèna ist tot! Was soll als nächstes kommen? Ich sage euch, wenn das so weiter geht, geht noch einer von uns drauf. Und das wird dann wahrscheinlich nicht bei zwei Toten bleiben. Das geht immer so weiter bis keiner mehr von uns übrig ist. Dann hat's sich wenigstens auch noch gelohnt."
"Deinen Pessimismus können wir jetzt echt gar nicht gebrauchen! Nebenbei bemerkt haben wir jetzt wirklich keine Zeit, darum zu streiten, wer hier den größeren Pessimismus von euch hat!", stellte Kyo klar.
Keiner hatte mehr etwas zu sagen. Zu Kyos Unverständnis.
Die vier versteckten sich in einer kleinen Höhle und hockten auf dem Vorsprung, von wo man eine sehr gute Aussicht auf das Geschehen dort unten in der Landschaft hatte. Zu ihrem Vorteil. Sie mussten sich unbemerkt in Alans Nähe schleichen und zudem beobachten, was in der Gegend passierte, um auf alles vorbereitet zu sein.
"Also gut. Hört mal zu. Ich habe hier eine Art Plan." Rémi breitete vor sich auf dem Boden eine Karte aus. Dann zeigte er mit dem Finger auf eine Stelle. "Hier befinden wir uns." Dann fuhr er mit seinem Finger zu einem anderen Fleck. "Und hier scheint sich Alan aufzuhalten. Die Frage lautet nun folgendermaßen: Wie kommen wir von da nach da? Es gibt hier in der Nähe eine Höhle, deren Ausgang in die Höhle führt, in der Alan im Moment ist. Das mag alles sehr simpel klingen. Allerdings ist da das Problem, dass wir diese Höhle erst einmal unbemerkt finden müssen. Sieht schon sehr seltsam aus, wenn vier schwarz gekleidete Gestalten hier unten rumrennen und 'ne komische Höhle suchen. Das bedeutet, dass wir durchdachter an die Sache rangehen müssen."
Kyo schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. "Wie durchdachter sollen wir denn noch werden?! Häh?!"
"Klappe auf den billigen Plätzen! Dieser Plan ist genial. Man muss ihn nur verstehen. Einer wird rausgehen und die Höhle suchen. Wenn er sie gefunden hat, wird er uns per SMS benachrichtigen. Ich werde dann seinen Standort festmachen und wir schleichen uns unauffällig zum Treffpunkt. Erklärt sich jemand freiwillig dazu bereit, sich auf die Suche nach der Höhle zu machen?"
Es blieb still.
"Keiner?" Er stand auf. "Nya, dann muss ich das wohl machen!" Er ging.
"Öhm... also, ich hätte es ja auch gemacht!", grummelte Kyo.
"Die Erkenntnis kam etwas zu spät", warf Noir ein.
"Das war mal wieder klar... Jetzt muss ich mal wieder die Drecksarbeit machen... Pff, die werden sich wundern... Nya..."Er blieb stehen, stemmte die Hände in die Hüfte und betrachtete prüfend die Wolken, die über ihm vorbei zogen.
"Mann, mann, ich seh's noch kommen. Das Wetter wird beschissen. Ich muss mich beeilen. Wenn's anfängt zu regnen, setzen die keinen Fuß mehr ins Freie." Er schlenderte weiter. "Mmh... Mal gucken in welche Scheiße wir als nächstes reinreiten. Kann nicht mehr lange dauern und es passiert wieder irgendwas Unpassendes. Typisch wäre es jedenfalls... Über den Zustand hier unten kann man echt nur noch lachen und heulen gleichzeitig..."
Er verzog seinen Mund. Nachdenklich spielte Rémi mit seinem Schlüssel. Wieder schaute er zum Himmel. "Langsam wird's unheimlich... Sein Geruch wird stärker. Allerdings ist der mit starkem Blutgeruch untermalt. Er hat viel Blut verloren.... Verdammte Höhle, wo bist du?! Diesmal kann ich ja wohl mal Glück haben, oder? Hmpf..."
"Estelle hat seit Élènas Tod kein Wort mehr gesagt", flüsterte Kyo Noir zu. Sie nickte nur. "Wie lange wird er denn noch brauchen? Er ist schon so lange weg... Mmh..."
"Wenn du gegangen wärst, würdest du wahrscheinlich jetzt auch noch erfolglos da draußen rumlaufen."
"Ja...sicherlich..."
Die drei starrten durch die Gegend bis plötzlich Noirs Handy klingelte. Sie reagierte nicht. "Noir... Noir!"
"W-was?! Oh! Handy!" Ein Blick auf ihr Handydisplay genügte um zu wissen, was los war. "Eine SMS von Rémi." Sie öffnete die Nachricht. Ihr Blick verdunkelte sich.
"W-was ist los?!", fragte Kyo eindringlich.
Estelle lehnte schlafend an einer Wand. Sie hatte sich in den Schlaf geweint.
"Kyo... Rémi ist..."
"Was?!"
"Er...ist..."
"Ach komm, gib schon her!" Kyo riss ihr das Handy aus der Hand. " 'Euer kleiner Spion wird genauso enden, wie sein Cousin, Alan De Mercier.' Was ist das denn für eine Scheiße!? Los!! Aufstehen!! Suchen gehen!!" Aufgekratzt lief er auf und ab. Dann nahm er Noir und Estelle am Arm und zog sie hoch.
"Los, los!!"
Noir riss sich los. "Willst du, dass wir auch noch weggeschleppt werden?!"
Kyo kam ein Geistesblitz. "Was hast du gerade gesagt?"
"Ich habe dich gefragt, ob du Lust darauf hast, dass wir auch noch entführt werden!"
"Das ist es... Das ist es! Noir, du bist ein Genie! Wenn wir uns zu erkennen geben, nehmen sie uns mit und bringen uns zu Rémi und Alan!"
Sie starrte ihn überrumpelt an. "Das ist jetzt wohl nicht dein Ernst!?", stammelte sie.
Estelle blieb stumm und schaute nur zu Boden.
"Doch, lass es uns versuchen! Eine andere Möglichkeit wird uns wohl kaum übrig bleiben oder hast du eine bessere Idee?!"
Nachdenklich legte sie sich den Zeigefinger an die Unterlippe und glotzte an die Decke. "Ehrlich gesagt... Nein. Also bleibt uns keine andere Wahl. Auf geht's!" Noir nahm ihre kleine Cousine in ihre Obhut. Sie wusste, dass sie jetzt total am Ende war. Sie hatte ihre Cousine und zugleich eine sehr gute Freundin verloren, und nun war auch noch ihr Bruder weggebracht worden. Das war zu viel. Allerdings konnte Noir sie auch nicht zurück lassen. Nicht in diesem Zustand.
"Nghhhnn... Arggghh... A-alan..." Rémi hustete. Er hatte sich an seinem eigenen Blut verschluckt. "Nya... Hah... Ngghh... Alan!"
Sein Cousin reagierte nicht.
Rémi schaute sich um. Er sah nichts. Plötzlich leuchteten seine Augen in einem dunklen rot auf. Seine runde Pupille verformte sich zu einer schlitzförmigen. Er konnte nichts außer Alans Blutpfütze und einer Eisentür erkennen.
"Hah...hah...hah..." Er atmete schwer. Und das obwohl es ihm von den Verletzungen her wesentlich besser als Alan ging. Trotzdem hatte ihm das alles ziemlich zugesetzt. Er hing genau wie Alan angekettet an der Höhlendecke.
"Hier ist auf jeden Fall noch Platz für ein paar andere... Hoffentlich gehen meine Schwester, meine Cousine und ihr komischer Freund nicht auf die Fake-SMS ein... Ngghaa...aber so wie ich sie kenne, werden sie sich auf die Suche machen... Verdammt..." Er krümmte sich leicht. "In meiner Lage wäre Malika
ganz sinnvoll hier zu haben... Die könnte meine Blutungen stoppen... Und Alan... Der sollte auch mal langsam wieder aus'm Traumland zurückkommen..." Er senkte seinen Kopf zu Boden.
"Rémi? Du hast mich gerufen?"
"Du hast mich gehört?"
"Natürlich... Schon die ganze Zeit... Ich bin am Ende mit den Nerven..."
"Alan, es tut mir leid, dass ich dir jetzt auch noch Sorgen mache, indem ich mich überwältigen lassen habe. Ich hatte keine Chance gegen sie. Es waren einfach zu viele."
"Entschuldige dich nicht für etwas, wofür du nichts kannst. Irgendwann ist jedes Limit einmal erreicht. Das heißt nicht, dass du dich schlecht machen und dir die Schuld geben musst. Rémi, bitte, weck mich auf. Lass mich endlich aufwachen. Wir müssen-"
"ALAN!"
"W-was?! Was?!"
Rémi schnaufte.
Alan sah sich um. "Wir haben im Traum miteinander gesprochen, stimmts?"
Rémi nickte und erwiderte:"Wie lautet dein Plan?"
Alan schaute auf. "Wie Plan? Was für einen Plan?"
Rémi zog eine Augenbraue hoch.
"W-was?"
"Alan, ich rede von einem Plan, der uns hier raus bringt."
Beide starrten sich eine Weile an.
"Sag was."
"Was soll ich denn sagen, Rémi?!"
"Zum Beispiel, wie du hier her gekommen bist."
"Kann ich nicht."
"Wie kannst du nicht? DU musst doch wissen, wie du hier gelandet bist."
Rémis Cousin sah an die Decke. "Also: Akira und ich wurden in diese Höhle hier gesteckt, in 'Himmel und Hölle'. Dann waren wir in einem Raum. Wir sprachen über mich, über meine Existenz, über meinen Ruf hier unten. Ich wurde plötzlich sauer. Mich überkam die blanke Wut. Und dann...! Dann brach der Boden unter mir weg und ich fiel in die Tiefe..."
Beide schwiegen.
"Lalala...lala...lalala...lalalala..."
"Würdest du das bitte unterlassen? Danke..."
"Irgendwie muss ich mich aber beschäftigen, verehrter Cousin."
"Dir geht's schlechter als mir! Also hör auf hier rum zu singen und denk lieber mal mit, wie wir hier wieder verschwinden können!"
"Rémi, es gibt keinen Ausweg. Wir kommen hier alleine nicht raus."
"Doch! Könnten wir, wenn du mal deine Fügelchen ausbreiten würdest."
"Das geht nicht!! Sie sind gebrochen..."
"Jetzt muss ich wohl schon wieder ran, mh? Du machst es mir echt nicht leicht, Alan." Rémi kniff seine Augen zusammen. "Arrgghh!!!" Aus seinem Rücken schossen schwarze Flügel. Die zerstörten die Handschellen und Fesseln. Er fiel verwundet und kraftlos zu Boden.
"Wo sind wir hier, Noir?" Er und Noir sahen sich verwirrt um.
Estelle blickte wieder nur stumm zu Boden.
"Wir...haben uns wohl verirrt... Mist, jetzt bräuchten wir Rémi. Der hat einen super Orientierungssinn. Mmh... Jetzt müssen wir uns wohl oder übel alleine zurecht finden."
"Hey, schaut mal! Da liegt Rémis Handy!" Plötzlich standen sie vor einer Höhle, in deren Eingang Rémis Handy lag.
"Warte!"
Kyo drehte sich um.
"Wir müssen vorsichtig sein! Womöglich ist das eine Falle..."
Er schaute sich um. "Ich sehe keine Fallen."
Noir prustete.
Von dem einen auf den anderen Moment fiel sie über Kyo her und hielt ihm den Mund zu, flüsterte ihm ins Ohr:"Bleib jetzt ruhig... Ich habe jemanden gehört..." Nach ein paar Sekunden ließ sie ihn los. Vorsichtig und leise schlich sie sich einige Schritte in die Höhle. Ihre Hände wurden kalt und feucht. Sie schluckte tief. Nervös wischte sie sich den Schweiß von der Wange. "Wer ist da?!", brüllte sie. Es hallte ein paar Mal in der Dunkelheit der Höhle wieder. Ein Lachen kam zurück. Sie ging weiter, tiefer in die Schwärze hinein. Prüfend blieb sie stehen. Sie spürte einen kalten Atem an ihrem Hals.
"Noir... Ich bin hier, um dich zu holen...", hauchte ihr eine markant tiefe Stimme ins Ohr.
Sie erstarrte.
"Lass uns gehen... Ich bringe dich zu deinem Bruder..."
"Hah...hah...hah... W-wer...bist du?"
"Das musst du im Moment noch nicht wissen, Noir...", erwiderte der Jemand.
"Ich werde nicht alleine mitkommen... Ich möchte meine Freunde holen!"
Einige Sekunden Stille.
"Tu das. Ich werde hier warten... Aber...lass mich nicht zu lange warten, denn dann bin ich weg..."
Sie nickte, wusste nicht, ob die Person es sehen oder wahrnehmen konnte, und rannte zum Eingang der Höhle.
"Kyo! Estelle! Wir können zu Alan und Rémi!"
Gemeinsam gingen sie in die Höhle zurück.
"Es wird uns jemand zu ihnen bringen."
Kyo legte misstrauisch den Kopf schief.
Ein Luftzug zog an ihnen vorbei. "Da seid ihr ja...hehehe..."
8. Angels ~ Lost Souls
'Wo bin ich?' Er schaute sich um. Weit und breit war niemand zu sehen. Alan stand auf einem Waldweg, an dessen Wegrand sich Eichen in den Himmel zogen. Das Sonnenlicht drang nur leicht durch die Kronen der Bäume hindurch.
Er ging den Steinweg entlang. Er hörte ein paar Stimmen. Vor ihm liefen lachend drei kleine Mädchen über den Weg in den Wald. Ihre langen, blonden Haare wehten im Wind. Er beobachtete sie bis sie verschwunden waren.
Er sah gen Himmel. 'Kenne ich diese Kinder, diese Gegend?'
Er lief weiter.
"Alan... Alan!", flüsterte eine Stimme sanft von einem der Bäume herab.
Er schaute hinauf. "Wer bist du?"
"Kannst du dich nicht an mich erinnern, Alan?"
Er schüttelte leicht den Kopf.
"Ich bin deine Tante, Cayla. Erinnerst du dich?"
Seine Augen weiteten sich. "Tante Cayla? Cayla Portadonnez?" Er schaute sich nochmals um. "Wo bin ich hier? Wie kann das sein? Du bist doch...tot..."
Sie nickte und sprang von dem Baum herunter. Sie war fast genauso groß wie er. Sie war in ein weißes, seidiges Gewand gehüllt. Ihre langen, hellblonden, fast weißen Haare, lagen zu einem geflochtenen Zopf gebunden über ihrer Schulter. Sie trug keine Schuhe. Die brauchte sie dort nicht.
"Du steckst in Schwierigkeiten, stimmts, Alan?"
"Allerdings... Und ich bin im Moment in einer wirklich aussichtslosen Lage, aus der ich nicht mehr herauszukommen scheine." Sie nickte. "Ich weiß."
"Woher? Wie kannst du wissen, was los ist? Immerhin bist du tot..."
"Obwohl wir tot sind, haben wir Kontakt zur Außenwelt..." Sie lief vor ihm davon. Er rannte ihr hinterher, bis er neben ihr ging. "Wir sehen, was in ihr passiert, Alan. Aber die Wesen, die in ihr leben, können uns weder sehen noch wahrnehmen. Wir existieren nicht in eurer Welt. Und ihr nicht in unserer, auch wenn wir in die verschiedenen Dimensionen eindringen können. Für längere Zeit können wir dort nicht leben. Ihr nicht in unserer und wir nicht in eurer. Ihr könnt nicht sehen, was in unserer passiert, denn ihr seid nicht tot. Ihr seht nur die, die ihren Lebenswillen noch nicht verloren haben."
"Ich verstehe... Meine Schwingen sind hier also nicht scharf wie Messerklingen?"
"Nein, das sind sie nur in deiner Welt. Dir liegt etwas auf dem Herzen, habe ich recht?"
Er nickte leicht betrübt.
"Der Todesengel harrt in Himmelshallen
als Verurteilter mit toter, zarter Braut.
Und seine wilden, dunklen Haare fallen
die Stirn hinab, auf der der Morgen graut...
"
Sie blickte kurz nachdenklich umher. "Du vermisst deine Frau, nicht wahr? All deine Gedichte spiegeln deine Gefühle, dein Leben, deine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wider. Man sieht dein grauenvolles, nie versiegtes Hoffen in deinen Augen. Du solltest dir dringend diese Verschlossenheit abgewöhnen. Das tut niemandem gut."
"Ich bin drauf und dran! Aber ich kriege diese verfluchten Gedanken nicht aus meinem Kopf. Sie kontrollieren mich." Er drückte die Hände gegen seinen Kopf.
Sie blieb stehen. "Alan, wenn du siegen willst, musst du wach werden. Du musst nach deinen Möglichkeiten Ausschau halten. Sieh dir all die menschlichen Gestalten auf der Erde an. Die haben nichts Besonderes in ihrem Blut, nichts. Aber in deinen Adern fließt edles Blut, Blut eines großen Todesengels, der die Kraft hat, sein Schicksal selbst zu kreieren."
Er stürzte auf seine Knie.
"Du wirst bald jemandem begegnen, der nach dir sucht, nach deiner starken, schützenden Hand. Sei aufmerksam. Du wirst nicht immer hierher zurückkehren können." Sie spannte ihre weißen, zarten Engelsflügel aus, mit denen sie empor und davon flog.
Eisige Stille kehrte für einige Minuten ein.
"Der Engel schweigt..."
Keine Antwort.
"Der Engel weint..."
"Ich weine nicht..."
"Innerlich weinst du bitterlich, Alan..."
"Ich weine nicht..."
Stille.
"Willst du nicht ehrlich zu dir selbst sein, Alan?"
Er schüttelte den Kopf.
"Sieh mich an. Erkennst du mich nicht?"
Er hob langsam seinen Kopf.
Sie nickte mit einem Lächeln.
"Élèna... Was ist...mit dir passiert?"
"Ich habe deine Schwester gerettet, mit meinem Leben. Man stieß mir den Dolch durch die Brust. Ich hatte Schmerzen, große Schmerzen sogar. Doch die vergaß ich, als ich daran dachte, dass SIE weiterleben würde. Ich habe es gerne getan. Ihr braucht euch, gegenseitig. Das kannst du nicht leugnen."
"Élèna...", flüsterte er, die Augen weit, vor Mitleid glühend offen.
"Das war meine Bestimmung, Alan. Es war bestimmt, dass ich sie mit meinem Leben beschützen würde."
"Ich danke dir. Ich danke dir dafür, dass du verhindert hast, dass man mir meine einzige Schwester nimmt."
"Du kennst mein Herz."
"Ja, es ist voller Güte, Mut und Hoffnung."
"Du wirst etwas davon brauchen, Alan. Ich werde dir die Gegend zeigen."
"Ich habe keine Zeit mehr, Élèna!"
"Ich weiß. Ich werde dir den Weg zeigen, der dich zurückbringt. Du wirst eine ganz andere Lebenseinstellung durch diesen heiligen und gesegneten Ort bekommen. Glaub mir. Du wirst sofort eine Lösung parat haben, wenn du in deiner Welt aufwachst."
"Na, wenn du meinst. Ich wäre mir da nicht so sicher. Du weißt, meine Meinung und Einstellung ist schwer zu ändern."
"Allerdings, aber ich habe es schon mehrere Male hingekriegt", lachte sie.
"Dieses Rauschen des Wasserfalls, das Singen der Vögel. Es beruhigt mich. Der Tod war für mich keinesfalls eine Strafe, so wie es uns früher in der Schule im Religionsunterricht beigebracht wurde. Hier kommen aber nur die hin, die reinen Herzens sind. Sie können Unmengen an Straftaten begangen haben, solange sie sie nur bereuen."
Alans Augen wanderten am Rand des Sees entlang. "Es ist wirklich schön hier. Ich könnte mir vorstellen, mein restliches Leben hier zu verbringen..."
"Das geht nicht!", fuhr Élèna ihn an. "Du MUSST zurück! Du MUSST die anderen finden, nach Hause bringen! Du MUSST weiterleben, Alan! Bitte!"
"Du hast ja recht, aber wie komme ich wieder zurück, verdammt?! Ich habe keine Ahnung, wie ich überhaupt hierher gekommen bin! Ich bin plötzlich eingenickt, schon wieder, und zwar nachdem Rémi mich geweckt hat und sich aus den Fesseln befreit hat."
"Rémi...?"
"Ja, Rémi. Ist was mit ihm?"
Einige Sekunden Stille.
"Élèna?"
"Ich...ich... Als ich ihn damals kennen gelernt habe, habe ich mich gleich gut mit ihm verstanden. Wir sind uns näher gekommen." Sie schaute auf das klare Wasser, das das Flussbett füllte, und immer wieder leicht an den Rand stieß.
"Und?"
"Ich habe mich in ihn verliebt, ja, in meinen eigenen Cousin. Er hat einen edlen Charakter, einen goldwerten. Seine Art, seine Ausstrahlung, die fasziniert mich. Er ist unglaublich hübsch. Er hat wundervolle, haselnuss-braune Augen, in denen ich häufig versunken bin... Schon komisch... Ich hätte nie gedacht, dass mir je ein Mann so viel bedeuten könnte..."
"Meinst du nicht, dass es besser wäre, ihn zu vergessen?"
"Warum sollte ich? Ich träume jede Nacht davon, nur EINEN Kuss von ihm zu bekommen, nur einen. Wie er mich in seinen starken Armen hält, wie er mir seine Wärme und Nähe schenkt. Dass er-"
"Élèna! Du bist tot. Du wirst ihm nie wieder lebendig, in Fleisch und Blut begegnen. Du musst aufhören, diesen Träumen nachzujagen."
Sie senkte ihren Kopf zu Boden.
"Tu dir diese seelischen Qualen nicht an, Élèna. Du wirst an dieser Sehnsucht zerbrechen, so wie ich..."
"Ich will diese Schmerzen nicht ertragen, aber...ich kann nicht aufhören, an ihn zu denken. Ich kann es einfach nicht. Wie sehr ich es auch versuche. Es tut mir leid, versagt zu haben..."
"Das muss es nicht...," flüsterte er sanft, strich ihr über ihr seidiges Haar.
"Ich habe eine Überraschung für dich, Alan."
"Ach? Ähm, das macht mich jetzt ein wenig durcheinander."
Sie umfasste seine Hand mit ihren und zog ihn rückwärts laufend hinter sich her.
"So, Alan, ab hier gehst du alleine. Mach's gut." Sie legte ihre warmen, weichen Hände auf seine Wangen. "Ich werde dich vermissen. Ich werde EUCH vermissen, von ganzem Herzen." Er bekam von ihr einen zärtlichen Kuss auf den Hals. "Pass auf dich auf, geliebter Cousin..." Ihre göttlichen Flügel aus weißen Federn trugen sie durch den Nebel. Sie verschwand, wie vom Winde verweht.
Alan horchte auf. Momentan war nur ein Vogelgesang zu hören. 'Wer sucht mich?'
"Alan..."
"Mh?"
Er drehte sich suchend um. "Wer ist da?"
"Alan... Meine Stimme... Sie kommt dir bekannt vor, nicht wahr, mein Sohn?", hörte er plötzlich hinter sich.
"M...Mama... B-bist du...es?"
"Ja, mein Sohn, ich bin es, deine Mutter". Ihre Stimme, so wie ihre Hände, zitterten. Sie legte vorsichtig, Angst vor seiner Reaktion, die Arme um ihn. Aber er wies sie nicht zurück. Ganz im Gegenteil. Er nahm sie sehnsüchtig in den Arm, weinend.
"Mama...ich vermisse dich so. Warum, warum musstest du uns damals verlassen?"
"Es tat mir weh zu sehen, wie ihr unter der familiären Situation, unter dem Stress zwischen deinem Vater und mir, gelitten habt. Es tut mir so leid. Ich habe als Mutter versagt. Aber am meisten tut mir weh, dass ich euch alleine gelassen habe... Ich hoffe, ihr könnt mir irgendwann verzeihen..."
Er nickte, mit Tränen in den Augen, lächelnd. "Ich habe dir schon längst verziehen."
"Wie kannst du...mir das nur verzeihen, Alan?" Ihre Augen wurden glasig und nass.
"Weil ich dich über alles liebe, Mama."
"Oh, Alan." Sie konnte ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Sie weinte. Ihr Sohn drückte sie fester an sich.
"Alan, i-ich..." Sie hielt inne.
"Was wolltest du sagen?", flüsterte er ihr leise ins Ohr.
"Ich... Oh Gott. Wie konnte ich euch nur verlassen?! Ich liebe dich auch von ganzem Herzen, dich und deine kleine Schwester. Versprich mir bitte, dass ihr für immer zusammenbleiben werdet, dass ihr einander beschützt, und füreinander da seid."
"Das würde ich nicht nur tun, weil du mich darum bittest, Mama. Ich liebe meine kleine Noir. Ich war so glücklich, als ich von ihr hörte. Ich habe sie sofort aufgesucht. Ich wollte sie endlich kennen lernen."
"Es macht mich so unendlich glücklich, zu sehen, dass ihr einander gefunden habt. Aber...Alan... Du musst jetzt gehen... Deine Zeit ist abgelaufen... UNSERE Zeit ist abgelaufen... Mal wieder... Aber ich weiß, dass ich dich gehen lassen kann. Ich vertraue dir. Du würdest keinen Unsinn anstellen. Das weiß ich. Aber bitte, lass dich nicht zu Grausamkeiten verleiten. Lass dich nicht wieder zum Morden zwingen. Die Bluttaten werden dein Leben noch mehr zerstören, Alan. Und das macht mich traurig. Ich werde dich vermissen..." Sie schluchzte.
"Ich werde wiederkommen, Mama, ich versprech's dir." Ein letztes Mal drückte er sie an seinen warmen, muskulösen Körper. "Mach's gut, Mama."
"Pass auf dich auf, mein Sohn..." Sie wischte sich die Tränen von den Wangen. Sie ließ ihn schweren Herzens gehen, zurück in die grausame Welt, in der Leben von Tag zu Tag ausgelöscht wurde.
Sie winkte. Er erwiderte das Winken.
"Ich liebe dich... Mama..."
"BRUDER!! ALAN!! Wach auf, bitte!!"
"HAH!!" Durcheinander und nur halb in der Realität schaute er sich um. Er befand sich immer noch genau da, wo er vorher war; in der Höhle, in der er und Rémi gefangen gehalten wurden. "Was...ist passiert? Was zur Hölle ist eben passiert?! Da war Mama und ich habe-"
"Alan? Du bist total durch den Wind... Mama...ist tot..."
"N-nein, nein, ich war woanders..."
Alle sahen ihn verwirrt an.
"I-ich erzähl's euch später." Er glotzte an die Decke, Noir ebenfalls.
"Kyo, jetzt geht's los! Auf meine Schultern!" Kyo kletterte auf ihren Rücken, setzte sich dann auf ihre Schultern und sägte mit Élènas Schwert die Fesseln durch. Alan fiel zu Boden.
"Frère! Rémi?! Oh, Rémi!" Estelle rüttelte den leblosen Körper ihres Bruders. Sie starrte ihn eine Weile an. Dann faltete sie ihre Hände. Sie konzentrierte sich. Dann legte sie ihre Hände auf Rémis Brust. Sie atmete ruhig und tief ein und aus. Sie schloss ihre Augen. Ihre Hände zitterten.
"Das machst du gut, Estelle." Noir legte eine Hand auf ihre Schulter. Estelle schaute nicht auf und schwieg, trostlos. Ihre Hände sanken in ihren Schoß. "Frère...", flüsterte sie. "Schwesterherz..."
"R-rémi? Rémi!" Sie umarmte ihn. Er konnte ihre geschwisterliche Zärtlichkeit nicht erwidern. Er war noch zu schwach. Aber er erholte sich gut. Von Minute zu Minute ging es ihm besser. Das merkte man auch.
Noir kümmerte sich um Alan. "Sag mal, was machst du denn für Sachen?!"
"Wag es dich, mich zu belehren, Schwester... Das kann ich jetzt wirklich nicht gebrauchen..."
"Menschenskinder, deine Laune ist ja vielleicht mies!"
"Ist ja wohl auch kein Wunder... Au!"
Seine Schwester zog an seinen Flügeln. "Jetzt halt endlich still, Alan!"
Er grummelte.
Ein Rascheln. "Hah!" Verängstigt sah sie sich um. Wie eine Verfolgungswahnsinnige lief Akira durch die Gänge der 'Himmel und Hölle'-Höhle.
"Alan..." ... "Alan..."
Stille.
"Alan!!"
Stille.
"Alan!!"
"Wer ist das?"
Alan lauschte.
"ALAN!!"
Alan erhob sich, unter Schmerzen. "Das ist doch..."
"ALAN!!"
Wieder horchte er, konzentriert.
"HIER!!", brüllte er.
"ALAN!! WO??", ertönte aus der Ferne
"RECHTS VON DIR!!"
Sie lief in einen Gang, der sich vom Hauptgang abzweigte.
"Alan!!" Ihre Stimme wurde leiser.
"HEY!!",schrie Alan.
Akira blieb stehen. "Alan?!"
"WO BIST DU??"
"Hier!!"
Er überlegte kurz, erwiderte dann:"GEH WIEDER ZURÜCK UND NIMM DEN NÄCHSTEN GANG, RECHTS VON DIR!!"
Keine Antwort.
Stille.
Alan drehte sich zu den anderen um. Die sahen ihn nur unverständlich an.
"Alan, wer ist da?" Er bekam kein Wort heraus. "Sie ist weg..." Er blickte in die Richtung, aus der als letztes Akiras Stimme zu hören war.
Wieder Stille.
Keiner rührte sich oder gab einen Ton von sich, schwiegen einfach nur, wie Tote ín ihren Gräbern.
'Wo bist du? Du MUSST uns finden! Bitte, pass auf dich auf. Dir darf nichts passieren...' Er setzte sich auf den kalten Steinboden. Seine Flügel zogen sich in seinen Rücken zurück. "Geht es deinen Flügeln besser?" Alan nickte Noir zu. Er sah noch immer in den dunklen, schmalen Höhlenspalt.
Er spitzte seine Ohren. "Sie kommt...", flüsterte er.
"Wer kommt?" Keiner verstand so recht, über was Alan redete.
Man hörte Schritte. Sie wurden von Sekunde zu Sekunde lauter. Man hörte jemanden, der sich durch den Spalt quetsche. Eine blonde Frau fiel vor Alans Füße.
"A-akira!?!?", stotterte Kyo.
Akira sah auf, in die glasigen Augen ihres Bruders. "Kyo..." Sie schluchzte.
Er fiel auf die Knie. Akira krabbelte zu ihm. Tränen flossen über seine Wangen. Sie wischte sie weg, als sie vor ihm kniete. "Bruder..." Heulend drückte er sie an sich.
Alan betrachtete Noir, musste sich an die Worte seiner Mutter erinnern und legte von hinten die Arme um seine Schwester. Die erschrak. "Tut mir leid...", flüsterte er. Er zauberte ein Lächeln auf ihre roten Lippen.
Rémi legte schützend einen Arm um Estelle, die sich an ihn lehnte.
Akira hielt ihren Bruder in ihren Armen. Er weinte vor Freude. Er hatte immer geglaubt, seine Schwester sei tot gewesen. Seine Glücksgefühle überwältigten ihn.
Plötzlich stand Dan im Raum. Allen stockte der Atem. Noir stand wie gelähmt da. Mit zitternder Stimme wimmerte sie:"D-das ist...der Typ, dessen Partner Élèna umgebracht hat..."
9. The french Deathangels
"Was willst du?!"
Dan trat einen Schritt zurück.
"Ich schwöre dir, wenn du nicht verschwindest, bring ich dich um, gnadenlos!!" Widerstandslos hob er die Arme. "Ich bitte euch, hört mich an."
Noir schaute die anderen an. Kyo zuckte mit den Schultern. Alan nickte.
"Was hast du zu sagen?!"
"Ich habe mich von meiner Gruppe getrennt..."
"Achso, ja? Schiss bekommen, weil einer von euch meine Cousine umgebracht hat?"
"N-nein, nein! So ist es nicht! Das sollte nicht passieren! Es war absolut nicht geplant, wirklich! Aber dieser Idiot hat plötzlich rot gesehen, weil sie ihn provoziert hat," aus Dans Stimme war Verzweiflung heraus zuhören.
"Sie hat ihn nicht provoziert!! Sie wollte sich das nur nicht länger gefallen lassen, diese Rumschubserei!! Das ist alles!! Aber ihr habt keine Reue, kein Gewissen, keiner von euch!!"
Dan bekam nichts heraus.
"Ist besser so, dass du nichts mehr sagst. Du lügst doch schon, wenn du nur's Maul aufmachst!"
Wieder hob Dan seine Arme.
"Wehe du haust ab!!"
Er schüttelte den Kopf:"Habe ich nicht vor. Ich habe eher an etwas anderes gedacht..." Noir machte eine Kopfbewegung. Alan schnappte sich Dan und drückte ihn gegen die Wand.
"Hey! Was wird das?!"
"Wir können dir nicht vertrauen..."
"Doch, könnt ihr, wirk-"
"Klappe! Alan, durchsuch ihn!"
Alan nickte.
Währenddessen sprach Noir weiter:"Nun, wie lautet dein Deal?"
"Ich würde gerne eurer Gruppe beitreten und euch folgen..."
Stille.
"Er trägt nur ein Schwert bei sich, Schwester." Er reichte ihr die Klinge. Noir betrachtete sie prüfend. "Kannst du Waffen schmieden, Dan?"
Er nickte.
"Ich schätze, wir könnten dich gut gebrauchen, aber wag es dich nicht uns zu verarschen und zum Verräter zu werden, denn sonst wirst DU gefesselt an der Decke hängen, tot wohlgemerkt!", mahnte sie ihn.
Wieder nickte er, diesmal untergeben.
"Wo sind eigentlich die anderen von der Höllenwache, die dich begleitet haben?"
"Die habe ich verlassen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich mich nicht mehr in irgend so eine Scheiße mit reinziehen lassen werde. Daraufhin haben sie mich beim Obersten verraten und ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Auch auf Alan De Mercier, Noir Naïma De Mercier und Akira Eve McAlesta wurde ein Kopfgeld in unglaublicher Höhe ausgesetzt."
"Was?! Ich glaub's nicht! Ich habe jahrelang die Dreckarbeit gemacht, mir die Hände für die schmutzig gemacht, indem ich unfreiwillig den Söldner gespielt habe und jetzt wollen die mir den Kopf von den Schultern runter säbeln?!"
Dan zuckte mit den Schultern. "Ich bin auch nicht besser dran."
"Wir müssen uns was überlegen...", entgegnete Noir.
Alan ließ Dan los. "Ihr müsst wissen, dass ich vorhin, auf der Suche nach euch, etwas nicht sehr Tolles mitbekommen habe..."
"Sprich!"
"Nun ja... Die Höllen-Todesengel machen sich bereit für eine Invasion auf die Erde. Sie wollen nun endgültig die Menschheit auslöschen. Sie wollen alles und jeden niederbrennen, der ihnen in den Weg kommt. Noch sind die nicht auf dem Weg zum Portal, aber das kann nicht mehr lange dauern. Wenn wir diesen Angriff verhindern wollen, brauchen jeder von uns eine komplette Ausrüstung bestehend aus Rüstung, mindestens zwei Waffen und Munition. Ich kann alles besorgen. Allerdings können wir die Sachen erst holen, wenn die anderen sich aus dem Staub gemacht haben, das Portal jedoch noch nicht erreicht haben. Habt ihr noch jemanden, der uns zur Verstärkung helfen könnte?"
"Mmh... Malika und Jake! Ich ruf die beiden sofort an!" Noir schnappte sich ihr Handy, setzte sich in eine Ecke der kleinen Höhle und begann mit jemanden zu sprechen.
Unterdessen erklärte Dan weiter:"Wir müssen uns beim Kampf aufteilen. Einige müssen sich um den Obersten kümmern. Die Aufgabe der anderen besteht darin die Höllen-Todesengel fertig zu machen."
"Alles klar, die beiden kommen sofort hierher. Allerdings konnten sie mir nicht sagen, wann sie hier sein werden", teilte Alans Schwester den anderen mit.
"Wir haben aber keine Zeit noch länger zu warten! Sie werden jeden Augenblick losgehen. Wir haben noch maximal 10 Minuten, aber dann müssen wir uns auf machen, sonst sind wir zu spät, wenn wir am Portal ankommen und einige sind schon hindurch und auf der Erde."
"Die haben echt auch nichts besseres zu tun, als irgendwo ihr Unwesen zu treiben", prustete Kyo.
Seine Schwester lief nervös auf und ab. Dann blieb sie mitten im Raum stehen. "Ganz ehrlich, ich glaub wir schaffen das nicht. Selbst wenn uns noch zwei weitere Personen helfen... Wir kämpfen gegen eine ganze Armee. Verdammt nochmal!"
Sie hatte recht. Auch wenn einige es nicht einsehen wollten. Sie konnten unmöglich gegen all diese Soldaten ankommen. Es würde über 100 sein. Diese Tatsache bedrückte alle. Vor allem Alan lag es am Herzen den Kampf zu gewinnen ohne noch jemanden verlieren zu müssen. Das würde er sich selbst nicht verzeihen können. Selbst der Tod von Élèna machte ihn fertig, obwohl er nichts dagegen hätte tun können.
"Wir sollten uns auf den Weg machen...", warf Alan ein, um von seinen Gedanken über den Tod loszukommen, die ihm absolut nicht gefiel, wie überhaupt die ganze Situation.
"Wie sollten uns schon mal am Höhleneingang bereit machen", schlug Dan vor.
Alan trug Rémi. Er war noch zu schwach und seine Flügel noch nicht richtig verheilt.
Vorsichtig setzte er ihn ab, als sie am Eingang angekommen waren. "Rémi, wie geht es dir?"
Rémi hustete.
"Naja... Ich will's mal nicht so hart ausdrücken... Ziemlich bescheiden."
Alan sah Noir an, die nur mit den Schultern zuckte. Estelle hockte sich neben ihren Cousin und vor ihren Bruder. Alan sah sie an. "Ich bitte dich... Du musst ihn wieder einigermaßen hinkriegen. Wir brauchen ihn. Seine Intelligenz hat uns schon öfter aus dem tiefsten Loch geholt."
"Oui..." Estelle nickte.
Während sie sich nochmals um ihren älteren Bruder kümmerte, gesellte sich der Söldner zu Dan und Noir. "Wir sind zwar unvorbereitet, aber das wird uns keinesfalls am Sieg hindern, richtig?" Dan nickte Noir zu.
"Ihr seid doch sicher alles Kampfbestien oder?", entgegnete Dan.
"Wir können kämpfen, aber wir sind nicht auf Kämpfe aus."
"Und was ist mit Alan? Als Söldner muss man doch einiges erlernt haben. Wie bringt man ein Wesen schnellst möglich um. Wie kann ich es noch ein Weilchen quälen. Solche Sachen. Mh?"
Der Engel schwieg.
"Warum antwortest du nicht?!"
"Lass ihn!", Noir ging dazwischen. "Du kennst ihn nicht! Also urteile nicht so über ihn! Achte lieber auf dich und deine Untaten..."
"Mmh..."
Ewige Stille.
Todesstille. Der Wind wehte sacht durch Noirs schwarzes Haar. Ihre ozeanblauen Augen verfolgen die Funken, die mit dem Wind hinfort getragen wurden. Ihr Blick wandte sich der Landschaft, dem Himmel, der sich durch und durch immer mehr in ein dunkles Rot verfärbte. Er begann zu brennen.
Dan stieß dazu. "Wir müssen gehen!" Er zeigte auf das lodernde Feuer, das den Himmel verschlang. "Das ist das Zeichen, dass die Invasion beginnt!"
"Aber was ist mit meiner Cousine und ihrem Mann?!"
"Wir können nicht auf sie warten. Entweder wir haben Glück und treffen sie auf dem Weg zum Portal oder wir haben eben Pech gehabt. Aber jetzt zählt jede Sekunde! Deinem Cousin geht's auch wieder ganz gut... Jedenfalls hat er das gesagt."
Noir schnaufte. Sie schnappte sich Alan, Rémi und dessen Schwester. Dan folgte ihr mit Kyo und Akira unterm Arm.
Am Waffenhaus angekommen schlichen sie sich durch die Gänge in die großen Räume, die mit Rüstungen und allerlei Waffen und Munition gefüllt waren. Jeder suchte sich so viel aus, wie er tragen konnte.
Dan bot Alan ein von ihm selbst geschmiedetes Katana an. Er nahm es dankend an sich.
Dann versammelten sich alle im Flur.
"Also, ihr habt euch alle was weggenommen. Ihr seid alle gut ausgerüstet, ja?"
Alle nickten.
Plötzlich gab es einen gewaltigen Knall. Unter ihnen bebte kurz der Boden.
"Sie sind dabei das Portal zu öffnen!"
Sie rannten hinaus, in Richtung des Höllenportals, das zur Erde führte. Unterdessen fing es an zu regnen. Es regnete Blut. Davon ließen sie sich jedoch nicht beirren.
Schon von weitem sahen sie eine riesige Gruppe von Höllenwesen. Zwei Personen liefen auf sie zu. Wie angewurzelt blieb die Gruppe stehen und zückten ihre Schwerter und hielten ihre Schusswaffen in deren Richtung.
"Stehen bleiben!!", schrie Alan.
Die zwei Gestalten, die in schwarze Gewänder gehüllt waren, dessen Gesichter man durch die Kapuzen nicht erkennen konnte, blieben knapp 8 Meter vor ihnen stehen und hoben ihre Arme.
"B-bitte, nicht schießen!", bat die zierlich gebaute Person.
"Wir sind eure Verstärkung!", erwiderte das männliche Wesen.
10. Invasion of Hell-Deathangels & The Battle
Sie traten näher an die zwei heran. Die beiden zogen ihre Kapuzen ab.
"Ihr seid's!" Noir war erleichtert.
Jake legte einen Arm um seine Frau. Malika erwiderte dies mit einem kurzen, verliebten Blick.
"Wir haben euch ein paar Waffen mitgebracht." Dan schüttete seine Tasche vor ihnen aus. "Bitte, bedient euch."
Beide verbeugten sich dankend, suchten sich ein paar davon mit passender Munition heraus und nickten.
"Vielen Dank für Ihre Hilfe."
"Bitte, nennen Sie mich Dan."
"Und mich Malika. Das ist mein Mann Jake." Sie tippte ihrem Ehemann ein paar Mal auf die Brust.
Wieder zitterte der steinerne Boden unter ihnen. Ein Donnern ertönte. Der Höllenhimmel blutete weiter und weiter. Bald würde nicht nur sein Blut fließen.
"Man versucht gewaltsam das Portal zu öffnen, ohne Schlüssel." Dan streckte seinen Arm in die Luft und zeigte auf ihr Ziel.
Sie liefen weiter zum Höllenportal. Er ließ seine leere Tasche zurück.
"HEY!! STOP!! AUFHÖREN!!"
Ein paar der Höllenwesen drehten sich um.
"Mh? Was willst du denn?!?!" Ihr schäbiges Lachen gefiel Alan gar nicht.
"Verschwindet!! SOFORT!!", brüllte er. "Ihr könnt doch nicht all diese unschuldigen Leute umbringen!!"
"Das hast du doch auch getan, Söldner!!" Wieder ertönte ihr ätzendes Lachen.
Darauf konnte Alan erst nichts erwidern. Er war in diesem Moment enttäuscht und angeekelt von sich selbst. "Das tut nichts zur Sache!!" Tief in seinem Inneren plakte ihn das schlechte Gewissen. Mehr als das. Es machte ihn kaputt.
Er wandte sich seinem Team zu. "Vergesst es Leute. Die werden nicht verschwinden. Die legen es drauf an, dass wir ihnen den Krieg erklären."
"Bitte?! Das können sie gerne kriegen!", prustete Noir, die auf das Soldatenheer zu maschierte. Ihr Bruder hielt sie fest. "Lass das, bitte!"
"Die beachten uns jetzt eh nicht mehr, weil sie uns für schwache, nichtskönnende Idioten halten", fügte Rémi hinzu.
Noir nickte, widerwillig. Am liebsten würde sie einfach lachend eine Bombe auf das gesamte Soldatenheer schmeißen und zusehen, wie sie explodiert und alle durch die Gegend fliegen würden. So hätte Noirs Team gewonnen, ohne groß sich die Finger schmutzig zu machen. Das spielte sich in ihrer Fantasie ab. Zum Leid aller konnte diese grandiose Idee nicht umgesetzt werden, was besonders Noir zutiefst bedauerte. "Vergesst es. Die nehmen uns nicht mehr ernst. Mit Labern kommen wir hier eh nicht weiter. Gewalt hingegen ist zwar nicht die tollste Methode, aber ansonsten können wir hier nichts ausrichten. ... Die fangen schon an am Tor rumzukratzen. Deppen!", entgegnete Rémi, der bereits seine Schwerter gezückt hatte. Das tat nun auch der Rest der Gruppe.
'Tut mir leid, Mutter, dass du mich so sehen musst, in diesem Blutrausch, in dieser Verdammnis, in diesem Kampf... Bitte, vergib mir, mir und meiner geliebten Schwester Noir...'
"ANGRIIIIFF!!!"
Die Gruppe stürmte auf die Soldaten zu. Die drehten sich total perplex um und rafften erst dann, was überhaupt abging. Der gesamte Trupp stürmte auch auf sie zu und der Kampf begann.
Alans Katana schwang und schnitt sich durch die Körper seiner Gegner. Seine Aufgabe war es, den Obersten des Heeres umzulegen. Den musste er aber erst einmal finden. Die meisten Höllen-Todesengel stürzten sich auf ihn. Auf ihn war ein unglaublich hohes Kopfgeld ausgesetzt. Das wollte natürlich jeder bekommen.
Doch Alan ließ keine Klinge an sich heran. Lediglich über seine floss Blut.
'Hoch erhobenen Hauptes
steht er auf dem Felsen...
Das Schwert,
es tropft noch das frische Blut hinab...
Stolz schaut er sich an,
was er und seine Reiter angerichtet...
Die Körper,
liegen reglos auf rotgetränkter Erde. ..
Müde steckt er sein Schwert
wieder zurück in die Scheide...
Schaut ein letztes Mal auf die Toten
und steigt auf sein Pferd...
Dies ist meine Botschaft an euch, die ihr jedoch nicht erhöret. Ihr wollet eure Klingen in meine Brust stechen? So soll es geschehen. Aber leider werdet ihr daran verzweifeln. Das hier ist erst der Anfang...'
Mit Hieben und Schwingen kämpfte er sich bis zum Obersten durch. Doch plötzlich erhob sich vor ihm eine Frau. Er blieb ruckartig stehen. "Geh mir aus dem Weg!"
Sie entgegnete ihm nur ein belustigtes Lächeln.
"Aus dem Weg!!" Seine Hand umschlang mit kraftvollem Druck ihren Hals. Er hob sie mit einer Hand hoch, sodass ihre Füße nicht mehr den Boden berührten. Sie krallte verzweifelt ihr Fingernägel in Alans Unterarm.
Er drückte fester zu und sprach mit verbitterter Miene:"Ihr habt meine Frau ermordet und jetzt soll ich über euch Gnade walten lassen?!"
"I-ich...bin n-...nur die Handlangerin..."
"Das war ich auch!! Das gibt euch aber nicht das Recht unschuldige Personen umzubringen!!" Unwillkürlich schloss sich seine Hand, schnürte ihr die Kehle zu. Ihr Gesicht lief blau an. "NAARRGGHHH!!", in ihm stieg die Wut hoch. Er schmiss sie in den nächsten Graben, aus dem man nur noch ein Husten und Krächzen vernahm.
Alans Schwester war einige Meter entfernt ebenfalls damit beschäftigt ihren Gegner mit ihren Schwertern Manieren beizubringen, und zwar auf die harte Tour.
Plötzlich und unerwartet stand Ray mit einem fiesen Grinsen vor ihr.
Ihr Atem stockte. Wärme nahm ihren Körper ein. Ihre Hände wurden feucht, so feucht, dass ihr die zweischneidigen Stichwaffen aus den Händen entglitten. Ein Klirren ertönte als die aus Stahl geschmiedeten Klingen auf den Steinboden prallten. "Hah!"
"Was ist denn?! So erschrocken?!"
"Du!! DUUU!!!" Geschwind schnappte sie sich ihre Schwerter und ließ sie auf Ray nieder donnern. Der wehrte mit einer Hand ab und stieß ihr sein Schwert mit der anderen in den Leib.
"HAAAH!!"
Er schob die scharfe Klinge weiter in ihre Brust.
"AAAARRGGGHHH!!"
Dann zog er sie blitzschnell heraus.
Die Verzweiflung in ihrem Gesicht machte sich bemerkbar. Sie öffnete weit ihre Arme, schaute noch einmal nach oben, während die Unendlichkeit ihren fallenden Körper umgab.
Plötzlich hörte sie auf zu fallen. Ihre Flügel waren gewachsen und trugen sie unbemerkt in Rays Nähe. Mit Lichtgeschwindigkeit stürzte sie auf ihr Opfer hinab. Er drehte sich kurz vor ihrer Ankunft um, doch es war zu spät. Fünf Klingen durchbohrten seinen Körper. Er spukte Blut. "Drecks-...stück!!" Sein blutüberströmter Leib fiel zu Boden.
Ein siegesreiches Lächeln schlich sich auf des Engels blasses Gesicht. Mit diesem Lächeln blickte sie gen Himmel. 'Ich habe es für dich getan, Élèna... Ich hoffe, du bist genauso stolz auf mich, wie ich es bin...'
"Aarggh!! Ngghhh!! Scheiße..." Rémi atmete tief ein und aus. Er lag in einem Graben, mit nur einem Flügel. Den anderen hatte man ihm abgetrennt. Estelle lag ein Stofffetzen auf die Fleischwunde drückend neben ihm.
"Ich hätte besser aufpassen müssen... Verdammt..."
Er spähte kurz auf das Schlachtfeld. "Ich muss wieder zurück und ihnen helfen, Flügel hin oder her!"
Estelle schüttelte den Kopf.
"Ich MUSS! Naja, im Grunde muss ich gar nichts, aber ich WILL!" Er strich ihr über die Wange und küsste sie auf den Haaransatz. "Ich bin bald wieder zurück. Du passt schön auf, dass dir nichts passiert. Ich werde hin und wieder ein Auge auf dich haben. Mach keine Dummheiten, Estelle." Er rannte zurück, dort wo der Kampf vonstatten ging.
Er stürzte sich Hals über Kopf auf irgendeinen Gegner ohne groß darüber nachzudenken. Er wollte sich bloß nützlich machen. Er ließ sein Schwert auf ihn niedersausen. "AARRGGHH!!" Sein samtes, schwarzes Federkleid wurde mit Blut bespritzt. Aber nicht mit seinem.
"D-désolé...frère... (Übers.: Es tut mir leid, Bruder.)
"
"Nein... NEEEEEEIIIIN!!!" Rémis Schwester fiel zu Boden. Er stürzte auf die Knie um sie auf zufangen. "NEEEEEEIIIIIN!!! NEEEEEIIIIIIIIIN!!! AAAAARRGGHH!!!" In dem Moment seiner grauenvollen Verzweiflung versuchte man ihn umzubringen. Doch dazu kam es nicht.
Er schaute verstört auf. "Élèna...?"
Er schüttelte den Kopf. "Nein, das kann nicht sein."
Eine weißgekleidete junge Frau mit hellbraunem Haar stand vor ihnen. Sie hatte Rémis Gegner einige Meter weit weg katapultiert. Élèna drehte sich zu ihm um und blickte ihm tief in die Augen. Sie kniete sich vor ihn und strich ihm eine Träne von der Wange. Dann sah sie in Estelles weißes Gesicht.
"Sie braucht dringend eine medizinische Versorgung. Du musst Malika aufsuchen, Rémi. Sonst wird sie diesen Tag nicht überleben. Ihr schönes Leben soll ihr nicht vergönnt werden." Er sah sie betrübt an.
"Es wird alles gut werden. Das verspreche ich dir. Doch nun muss ich gehen. Ihr Körper verschwand. "Élèna..."
"Ich werde dich vermissen, mein Liebster...", hörte er leise und sanft Élènas Stimme in seinem Ohr klingen.
"Malika... Ich muss Malika suchen. Sofort!" Mit Estelle im Arm rannte er durch das Gerangel, in dem wortwörtlich das Massenmorden herrschte.
Nach einer Weile hatte er sie gefunden. Sie hatte zusammen mit ihrem Mann Jake gegen eine kleine Gruppe Höllen-Todesengel gekämpft und gesiegt. Jake hauste noch zwischen ein paar anderen herum, während sie am Rand des Schlachtfeldes stand.
"Malika!!"
Sie sah sich um. "Oh mein Gott!! Was ist mit Estelle?!" Sie nahm ihm Estelle sofort ab und legte sie in einen Graben, versorgte ihre tiefe Wunde. "MALIKA!!", drang aus der Masse zu ihnen durch. Es war Jakes Stimme.
Sie reagierte nicht.
Plötzlich ertönte ein schmerzvoller Schrei. Völlig geblendet starrten sie auf die Soldaten.
Rémi humpelte in die Richtung, aus der der Schrei kam, während sich Malika um seine verwundete Schwester kümmerte. Doch dann stand er vor Jakes Leiche. Seine Augen weit aufgerissen, sein Hemd in Blut getränkt, beide Flügel vom Leib abgetrennt lag er da, in einer Blutlache. Rémi trat einige Schritte zurück. Er hinkte rückwärts zu seiner Cousine. Er konnte den Anblick nicht ertragen.
"Wo ist Jake?"
Er schüttelte nur den Kopf und brach neben ihnen zusammen.
"Nein... Nein..." Sie rannte in die gleiche Richtung.
"AAAARRRRGHHH!!!"
Bei ihrem Schrei zuckte Rémi zusammen.
Man hörte sie nur noch bedauernd schreien und weinen.
"Du hast mir meine Frau genommen!!! Glaub mir, DAS WIRST DU BEREUEN!!!" Alans Katana traf auf das riesige Schwert des Obersten, der damals Admina ermordet hatte, skrupellos und mit dem Grund, Alan damit eine Lehre zu erteilen. Er nutzte Addies Machtlosigkeit gnadenlos aus. Gerade das machte Alan so rasend vor Wut und Hass. Er würde ihm das am liebsten alles heimzahlen. Doch mehr als den Tod konnte er ihm nicht schenken.
"STIRB ENDLICH, VERDAMMTE SCHEIßE!!!" Alans Umgebung zitterte. Seine Schultern bebten. Nebel legte sich über's Land.
'Gefallener Engel,
bin ich nun traurig?
Ich wusste es doch,
dennoch habe ich es getan...'
Alans Rücken riss nicht auf. Ihm wuchsen keine Flügel.
'Gefallener Engel,
ich schau auf meinen Rücken,
keine Flügel mehr,
nur noch Narben...'
Ohne an Kraft zu verlieren, preschte er weiter auf seinen Feind ein, in der Hoffnung einen Treffer zu landen. Sein Rachedurst trieb ihn an.
'Gefallener Engel,
war mir so sicher...
Wollte wegen ihr
kein Himmelswesen mehr sein...'
Seine Bewegungen wurden schneller. Er wollte siegen, über Leben und Tod entscheiden.
Er steigerte sich in sein Gelübde, das er damals abgegeben hatte, hinein. Er gelobte nicht mehr zu morden. Doch für seine Frau würde er über Leichen gehen, jeden einzelnen umbringen, der ihm im Weg stehen würde. Und das nur für sie. Er setzte zu einem neuen Schlag an.
'Gefallener Engel,
hab alles aufgegeben...
Doch nun bin ich allein...
Und kann nur noch Mensch sein...'
Würde das sein vernichtender Schlag sein? War seine Prophezeiung wahr?
Sein Hieb gewann an Kraft. Noch bevor die Klinge seinen Gegner erwischte, verschwand Alan vor ihm, tauchte hinter ihm auf. Würde dieser Söldner siegen?
'Gefallener Engel,
Ich werde es schon schaffen!
Bin ich doch auf die Erde gekommen,
um die menschliche Liebe zu erfahren.'
Seine Klinge setzte an der Kehle des Obersten an, durchschnitt sie. Er ging in einer Blutfontäne auf. Fremdes Blut klebte an Alan Schwert. Er sank zu Boden. Befreit streckte er seine Arme aus, faltete seine Hände und sprach gen Himmel:"Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes."
Alle Höllenwesen verschwanden. Sie wussten, dass die Entscheidung gefallen war, die Entscheidung über den Sieger, über den Herrscher über Leben oder Tod.
Stille kehrte ein.
Alan betete zum Herrn. Er bat um Gnade für sein Fehlverhalten, für das Missachten seines Gelübdes.
Nach seinem Sündengebet suchte er die anderen seiner Gruppe.
Sie hatten sich bei Malika und ihrem toten Ehemann versammelt. Die meisten von ihnen waren knapp dem Tod entkommen.
Das nächste Gebet widmete er seiner Cousine Malika und Jake. "Ich bitte Euch, mein Herr. Haltet Jake schützend in Euren Händen. Lasset ihn schmerzfrei und glücklich in Eurem Paradies weiterleben. Wenn es Euch gibt, dann lasset ihn nicht fallen. Nicht von so weit oben. Amen."
Er bedauerte zutiefst, dass jemand sterben musste, jemand, der so gerecht war, wie Jake.
Er versprach Malika, ihr ihren Mann wieder zugeben. Auch wenn er ihr nicht versichern konnte, dass er ihr diesen Wunsch erfüllen konnte.
Er half Dan dabei die anderen medizinisch zu versorgen. Das hielten beide für selbstverständlich.
Der Kampf war lang, blutig und grausam gewesen. Der Sieg ließ diese Gedanken langsam in den Hintergrund treten. Alle waren sehr erschöpft, müde und kraftlos. Das Team musste zur Ruhe kommen.
11. Maybe a Happyending?
Alans warmer Atem war in der kalten Luft des Nebels zu sehen. Sein Körper lag reglos im nassen Gras. Der erlösende Regen kam, spülte ihm das Blut aus dem Gesicht und machte sein Herz wieder rein.
Noir krabbelte zu ihm, sah in seine tiefgründigen blauen Augen, legte ihren Kopf auf seine Brust. Sie vernahm das ruhige Schlagen seines Herzens. "Bruder..."
Er nickte.
"Endlich ist es vorbei...", flüsterte sie erleichtert.
"Nein..."
Sie schaute ihn erstaunt an.
Er rappelte sich auf, nahm sein Katana und schaute zum Himmel hinauf.
'Geboren wurde ich aus Tränen,
die einst ein Mensch hat still geweint...
Verzweiflung und tiefer Kummer
hat sachte, leise uns vereint...
Ich fühlte in ihr all die Schmerzen,
spürte das Leid und große Not...
Sah tiefe Narben auf ihrer Seele,
auch die Gedanken an den Tod...
Vernahm die Sehnsucht nach dem Frieden,
den sich ihr Herz hat stumm erfleht,
wenn sie des Nachts in ihren Träumen
sich sanft an meine Schulter lehnt...
Doch heute weine ich die Tränen,
die mich einst geboren in der Nacht,
weil oft die Menschheit ohne Glauben
mein Lichterwesen nur belacht...
So sitze ich auf einem Hügel
umwoben von dem hellen Schein,
und flüstere zu dir in Gedanken
Addie, lass mich in deinem Herzen sein...
Ich liebe dich...'
Noir nahm den Engel zärtlich in ihren Arm. Es flog all sein Leid, das er ertragen musste, aus seinem Herzen in die Unendlichkeit. "Bruder... Hast du dir wieder eines deiner leidtragenden Gedichte selbst vorgetragen?"
Er nickte, senkte sein Haupt zu Boden.
"Alan... Alan! Hör mir zu!"
Mit seinen strahlend blauen Augen sah er sie an.
Sie sprach leise zu ihm:"Schließ einfach deine Augen.
Ich hüll dich mit Wärme ein.
Dann wirst du in deinem Leben,
niemals mehr alleine sein..."
In seinem Herzen wurde es langsam wieder warm.
Neben ihn traten Akira und Kyo, die ihn stolz anlächelten.
"Wir haben den ersten Teil geschafft, Alan", entgegnete Akira.
Auch Rémi kam humpelnd mit Estelle auf dem Arm dazu. Estelle war wach und schenkte Alan ein ermutigendes Lachen, das von Herzen kam.
Malika kniete noch immer neben ihrem toten Gatten, von dem sie aber mittlerweile Abschied genommen hatte, auch weil sie Alans Worten vertraute. Um Jake schimmerte ein strahlendes Licht. Sobald sie sich endgültig von ihm getrennt hatte, zerfiel sein Körper zu Staub, der vom Wind hinfort getragen wurde. Ein warmer sanfter Windhauch streifte ihr Gesicht. Jakes Stimme sprach ihr ganz leise ins Ohr:"Ich liebe dich, meine Malika... Ich werde für immer bei dir sein..."
Dan stand etwas abseits. Er war kein Teil der Gruppe. Das würde er wahrscheinlich auch nie werden. Er hatte seine Pflicht erfüllt, Alan zum Sieg zu verhelfen. Damit war seine Arbeit getan. Er entfernte sich vom Team.
Alan wurde darauf aufmerksam. "Dan!"
Er drehte sich um.
"Wo willst du hin?"
Er schwieg ein paar Sekunden. "Ich versuche irgendwo unter zu kommen."
Alan sah die anderen an. Dann streckte er seine Arme nach Dan aus. "Aber nein. Bitte schließ dich unserer Gruppe an und begleite uns. Es wäre uns eine große Freude, einen so mutigen Mann in unserem Team zu haben. Also, was ist?"
Dan war perplex. Er war noch nie so herzlich aufgenommen worden. In der Hölle hieß es 'Jeder ist sein eigener Heer.' Doch obwohl auch Alan davon geprägt war, hatte er sich immer an seine eigenen Vorsätze gehalten. Das Eis um sein Herz war aufgetaut. Er und Dan hatten das gleiche Schicksal. Alan war bereits aus diesem Teufelskreis der Hölle ausgestiegen. Nun wollte er Dan ebenfalls daraus bringen.
Dan verbeugte sich. "Ich danke euch, dass ihr so gütig zu mir seid."
"WIR müssen dir danken. Du hast uns geholfen zu siegen."
Dan nickte untergeben und stellte sich neben Alan.
"Auf geht's Team Alan! Macht euch bereit!", verkündete Noir.
"Team Alan?", fragte ihr Bruder stutzig.
Noir nickte lachend.
"Nya, sei froh, dass man überhaupt irgendetwas nach dir benennt."
"Hör auf, Rémi!"
Beide lachten.
"Jetzt mal ernst, Leute! Was steht als nächstes an?", unterbrach Akira.
Für ein paar Sekunden kehrte Stille ein, bis Alan das Schweigen brach. "Naja, ich habe Malika versprochen, Jake zurück zubringen. Und...meine Frau...würde ich auch sehr gerne wieder bei mir haben... Meine Mutter und Élèna könnten uns sicher helfen. Ich kann nicht von euch verlangen, dass ihr den ganzen Weg über bei mir bleibt."
"Alan! Wir werden dich NATÜRLICH begleiten. Oder etwa nicht?", stellte Rémi allen die Frage.
"Auf jeden Fall!"
"Du hast mich aufgenommen. Ich stehe tief in deiner Schuld und werde dir somit treu dienen."
"Was für eine Frage!"
"Wir stehen alle hinter dir, Alan."
Alan war überwältigt. Überwältigt von der Treue seiner Freunde. "Ihr wollt mich wirklich...?"
"Ja, Alan, jetzt krieg mal bitte wieder deine Heulausbrüche vor Freude in den Griff. Ist ja schon fast peinlich."
"Sehr lustig, Rémi."
Alan hob seine Hand.
Alle schwiegen.
"Verliere nie den Glauben,
hab immer Zuversicht.
Die Hoffnung wird uns tragen,
hinauf ins Sternenlicht!"
Die Dunkelheit brach herein. Das Mondlicht erhellte die Nacht. Er hob sein Katana in die Höhe. Er kniff die Augen zusammen, krümmte sich. Die Flügel, die ihm wuchsen, waren stärker denn je. Seine Flügel glänzten silbern, sahen aus wie Filigran. Seine blutroten Augen mit Schlitzpupillen glühten in tiefer Schwärze.
Auch die Pupillen der anderen nahmen eine Schlitzform an. Die Augen der Höllenwesen leuchteten rot, die von Kyo und Akira weiß.
Alle streckten ihre Arme aus, in den Händen ihre Waffen haltend.
Als Anführer der Gruppe hatte Alan das letzte Wort:"Ein Kampf ist ausgebrochen!
Die Seelen kochen!
Die Körper gestählt,
zu allem bereit!
Wir kämpfen für alles,
zu jeder Zeit!
Sterben für Ideale
ist gut,
auf dass es ein Gott
bezahle!"
Alle erwiderten mit einem Rufen.
"Und denkt immer daran:
Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann!"
Tag der Veröffentlichung: 06.11.2010
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