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Erster Fall. Luzifer.


Im Anfang war das Schweigen,
ewige Stille, nichts.
Und Gott war da und ein Reigen
tanzender Engel des Lichts.
Und in dem Garten Eden
machten die Engel Musik.
Niemand durfte reden.
Man sang, oder man schwieg.

Dann brach Gott das Schweigen
und sprach das erste Wort:
man solle sich verneigen
vor Seinem Ebenbild dort.

Und Er wies mit dem Zeigefinger
unter den Feigenbaum.
Da lag Er selbst, nur jünger.
Die Engel glaubten es kaum.

Da sprach der hellste der Engel:
„Wir uns vor dieser Kopie,
vor diesem dreckigen Bengel
aus Lehm verneigen? Nie!

Engel“, so sprach er weiter,
„ich warne euch, tut das nicht.
Wir stehn auf der Himmelsleiter
viel höher als dieser Wicht.

Wir sind unsterbliche Wesen
aus Energie und Licht.
Solchen skandalösen
Befehlen gehorchen wir nicht!

Mein Gott, was hast Du gegessen,
getrunken oder geraucht?
Bist Du vom Wahn besessen,
in Blindheit eingetaucht?

Wohin soll das denn führen,
so bitterböser Spott
auf uns? Der kriegt Allüren
und denkt, e r wäre Gott.

Er selbst soll Demut zeigen.
Das kleine Menschentier
soll sich vor uns verneigen
und dann mit uns vor Dir.

Du hast doch selbst in einer
Rechtsvorschrift verfügt,
dass alles nur vor Deiner
Hoheit die Knie biegt.

Sonst wird, bei meinem Leben,
der Mensch sich Stück für Stück
selbst über Dich erheben.
Nimm Dein Wort zurück!“

Nun aber war Gottvater
ein jähzorniger Herr.
Zu jenem Engel trat Er
und sagte: „Luzifer,

nicht mehr wirst du hier oben
das Reich des Lichts regiern.
Mein Werk willst du nicht loben?
Mich selbst sollst du verliern!

Satan, Gehorsam lerne!
Büße dein Komplott!
In allerfernster Ferne
von deinem lieben Gott,

im Erdendreck, du Teufel,
den du so wenig schätzt,
werden dir die Zweifel
aus deinem Hirn geätzt!

Du sollst den Staub verwalten!
Nimm das, du Hund und friss!
Hellste der Lichtgestalten?
Fürst der Finsternis!“

Da fiel er auf der Stelle
mit einem schrillen Schrei
vom Himmel in die Hölle,
am Freitag, kurz vor Zwei.

Und oben der, Gottvater,
immer noch schwer in Brass,
zeigte in den Krater,
wo Luzifer drin saß,

und sagte zu den Engeln:
„Jetzt, trete hervor
zu Mir, aber nicht drängeln,
wer weiterhin sein Ohr

dem da unten leihen
möchte, bitte sehr.“
Schweigen in den Reihen,
Stille. Niemand, der

sich traute, was er gerne
getan hätte, zu tun.
Den Blick in weite Ferne
gerichtet, schwieg man. „Nun“,

sprach Gott, der Herr, „dann wären
wir jetzt vielleicht bereit,
Gehorsam zu gewähren
Meiner Wenigkeit

und hübsch uns zu verneigen
vor Meinem Meisterstück.“
Langes banges Schweigen,
doch gab es kein Zurück.

Es neigten die Heerscharen
vor Gottes Ebenbild
die Häupter, doch sie waren
von großer Furcht erfüllt.

Das Weltgefüge knarrte.
Sie blickten äußerst bang
auf das, was ihrer harrte,
die ganze Zukunft lang.

Zweiter Fall: Lilith


Adam, stolzer Gebieter
über das Paradies,
saß wie ein verfrühter
Napoleon da und ließ

mit Pomp von allen Tieren
eine Delegation
an sich vorbeimarschieren,
denn er war Gottes Sohn.

Er war der große König!
Ihm warn, dem General,
selbst Engel untertänig,
und zwar in großer Zahl.

Als Weisesten der Weisen
hatten ihn alle gern
zu haben, ihn zu preisen
als Ebenbild des Herrn.

Doch während sie ihn priesen
wurde er gewahr,
dass etwas hier bei diesen
Geschöpfen anders war.

Er lief rot an, es wellte
sich seine Stirn, denn er
war zornig, und bestellte
paar Engel zu sich her:

„Kann jemand mir erklären —
ich seh hier jedes Vieh,
selbst Schlangen, Vögel, Bären
doppelt irgendwie.

Jedes Tier hat neben
sich noch ein zweites Tier!
Nur ich soll einsam leben,
ohne ein Nebenmir!

Ihr könnt mir nicht erzählen,
dass das Sein Wille sei.
Ihr wollt mich damit quälen!
Ihr freut euch noch dabei!

Ja ja, das ist mir helle!
Nein nein, damit ist Schluss!
Klar, dass hier auf der Stelle
ein zweites Ich her muss!

Ich will, dass ihr bis morgen
ein Wesen fabriziert,
das mir und meinen Sorgen
zur Seite steht, kapiert?“

Die Engel schwiegen lange.
Dann sahen sie sich an,
in jedem Blick die bange
Frage: „Und was dann?

Was, wenn wir alle Sachen,
die sich im Übermut
der Mensch so ausdenkt, machen?
Wie lange geht das gut?“

Doch andererseits fragte
man sich, was wird Gott tun,
wenn Adam zu Ihm sagte:
„Die Engel, Herr, geruhn

in Hybris sich zu wiegen.
Man spricht wie zu ‘ner Wand.“
Sie würden sicher fliegen.
Sie würden auch verbannt.

Gott selbst hatte befohlen,
Befehle auszuführn.
„Soll Ihn der Teufel holen,
wir müssen uns wohl rührn.“

Und alle Cherubime,
die ganze lichte Schar
der Engel, Seraphime —
der ganze Himmel war

in Aufruhr, um die Grillen
des Ebenbilds des Herrn
subordinär zu killen.
Man kam von nah und fern

auf windesschnellen Flügeln.
Der Ehrgeiz war geweckt,
Pläne auszuklügeln
zu so einem Projekt.

Sie zogen durch die Pforte
des Paradieses in
die himmlische Retorte
zum großen Neubeginn.

„Der Mensch, den Gott zu machen
versucht hat, ist aus Lehm,
aus Wasser und ‘nem schwachen
Lufthauch außerdem.

Er ist zwar ungeheuer
athletisch, stark und groß,
allein — es fehlt das Feuer
zu diesem Erdenkloß.

Da wird der Fehler liegen!
Drum ist er so gemein!
Feuer soll er kriegen!
Heizen wir ihm ein!

Das Gegenstück des Knaben
soll heiß sein, heiß und wild,
soll Feuer in sich haben
und uns als Ebenbild!“

Sie holten von den Flammen
aller Welten dann
Feuer sich zusammen
fürs Gegenstück vom Mann.

Vom großen Sonnenwagen
hat wer ein Rad geklaut,
ohne wen zu fragen —
man darf, was man sich traut.

Einer holte Funken
vom baumspaltenden Blitz,
wär selbst fast umgesunken,
so scharf warn die und spitz.

Ein Gran kam aus der Seite
von jenem Flammenschwert,
auf das man oben heute
noch „Gott sei bei uns!“ schwört.

Man flog auch zu dem alten
leuchtenden Mann im Mond.
Zwei weißglühende Falten
von ihm wurden geklont.

Vom Feuersalamander
begehrten sie den Schwanz.
Der kam so durcheinander —
da nahmen sie ihn ganz.

Tentakeln der Brennnessel,
Feuerdorn und Feuerstein,
alles kam in den Kessel
für ihr Geschöpf mit rein.

Auf tausend kleinen Flammen
kochten sie den Saft,
den Lebenssaft zusammen,
mit heißer Leidenschaft.

Dann brauchten sie persönlich
von Gott ein Fünkchen noch.
Das war sehr ungewöhnlich.
„Wer geht?“, fragte der Koch.

Erst wollte keiner gehen,
doch dann meldete sich
ein Kleiner, kaum zu sehen,
ein Neuer und sprach: „Ich!

Wer niemals etwas wagte,
auch nie etwas gewann!“
Er flog zu Gott und fragte:
„Hast du mal Feuer, Mann?“

„Darfst du denn schon, du Neuer?
Na gut, aber verlier
kein Gran von meinem Feuer.
Wie leicht könntest du hier

‘nen Weltenbrand entfachen,
hörst du? Du kannst jetzt gehn.“
Dann lachte Er. Das Lachen
sollte Ihm noch vergehn.

Der ganze Engelshaufe
schritt nunmehr feierlich
zur großen Feuertaufe,
zum Schöpfungsakt an sich.

Sie gossen in das Wesen
die rot kochende Glut,
es von dem Nichts zu lösen
zum Sein, hinein als Blut.

Nach Lil, dem Sturm, der glühend
durch alle Welten zieht,
versengend, Hitze sprühend,
riefen sie sie Lilith.

Noch schwarzes Nichts soeben,
fiel Lilith in das Sein,
fiel Lilith in das Leben,
fiel in die Welt hinein.

Impressum

Texte: Ulf Deutscher
Bildmaterialien: Frank Pfeifer Artdirektion
Lektorat: Clemens Fricke
Tag der Veröffentlichung: 06.02.2012

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