Leseprobe - 26 von 202 Seiten
1. Guten Morgen
Mittwoch, 05:10 Uhr
Vorsichtig öffnete er seine Augen, irgendetwas stimmte hier nicht. Er hatte das Gefühl auf einem Hubschrauberlandeplatz erwacht zu sein. Es dröhnte und es vibrierte derart, dass ihm beinahe schlecht wurde. Paul drehte sich zur Seite und warf einen ersten Blick auf den Wecker, drehte sich dann in die andere Richtung und erschrak. Beinahe Nase an Nase sah er in das völlig zerknitterte Gesicht und in die weit aufgerissenen Augen seiner Frau.
»Was ist hier los?«
Er ließ sich auf den Rücken fallen, atmete ein paarmal tief durch und stand dann auf. Das Dröhnen war unerträglich, breitete sich von seinem Kopf in den ganzen Körper aus und wäre Sabine nicht ebenfalls davon wach geworden, hätte er darauf getippt, jeden Moment einem Schlaganfall zu erliegen. Er stand am Fußende des Bettes, bückte sich und spreizte die Hände beim Gehen leicht vom Körper ab, als wollte er wie ein Wünschelrutengänger die Quelle des Übels erspüren. Sabine lag im Bett, stütze sich mit beiden Ellenbogen hoch und sah zum Erbarmen aus.
So hatte er seine Frau noch nicht gesehen, die Augen waren geschwollen, das Gesicht aufgedunsen und das Kissen hatte tiefe Furchen darin hinterlassen. Die blonden Haare standen in alle Richtungen ab, ihre Nase hob sich nur wenig aus dem Gesicht hervor und eine Art Nasenring, hergestellt aus einem zerrissenen und gedrehten Taschentuch, der in den Nasenlöscher verschwand, vervollständigte das Bild des Grauens. Unwillkürlich schüttelte Paul den Kopf und verließ das Schlafzimmer nur um kurz darauf wieder zurückzukommen.
»Da draußen ist nichts, nur hier dröhnt es!«
»Dann kommt es von oben oder aus dem Keller, schau nach!«
Auch die Stimme seiner Frau kam ihm wenig bekannt vor und er hatte Angst, sie könnte jeden Augenblick anfangen grünen Schleim zu spucken und ihren Kopf, um die eigene Achse zu drehen. Darum gab er keine Antwort, zog sich seine Jeans über und ging aus dem Raum. Entgegen seiner Angewohnheit führte ihn sein erster Weg heute weder zur Cappuccinomaschine noch ins Bad, sondern auf direktem Weg in den Hausgang. Hier war dieses Dröhnen wieder zu spüren, nicht so extrem wie in seinem Schlafzimmer, aber es war da. Er ging zuerst einige Stufen nach oben, stellte aber schnell fest, dass es dort nachließ, drehte sich um und nahm zögerlich die ersten Stufen zum Keller. Ja, eindeutig, das Dröhnen nahm hier wieder zu. Schritt für Schritt horchte er sich durch den langen Kellergang und hörte plötzlich nichts mehr. Ruhe, kein Dröhnen, kein Rattern. Er stand einige Sekunden einfach nur da, drehte den Kopf nach allen Seiten und ging dann langsam weiter. An der Waschküche blieb er stehen und horchte durch die verschlossene Tür in den Kellerraum. Zunächst nahm er nichts wahr, hörte dann ein leises Klappern und drückte die Tür nach innen auf.
Beinahe im gleichen Moment dachte er, dass das keine gute Idee gewesen war. Sein Blick fiel auf einen riesigen Hintern, auf einen viel zu knappen, wahrscheinlich selbstgeklöppelten Slip in den Farben einer alten Gaststättengardine. Seine Gesichtsfarbe änderte sich und er überlegte, wie er hier schnell und ohne Aufsehen wegkommen könnte, wurde aber durch ein lautes und schrilles,
»Guten Morgen«, aus seinen Gedanken gerissen und musste wohl oder übel bleiben.
Der Rücken, der sich beinahe komplett hinter diesem wirklich überdimensionalen Hintern verborgen gehalten hatte, wurde mit einem lauten Stöhnen nach oben gedrückt. Paul hatte zunächst die Angst, der Oberkörper könnte komplett nackt sein, sah aber dann einen dünnen Streifen Spitzenstoff, der sich zwischen den ersten beiden größeren Falten über den Rücken spannte und war wenigstens einigermaßen beruhigt. Er wollte nicht hinsehen, konnte aber auch nicht einfach weglaufen und so ergab er sich seinem Schicksal und blieb. Das weibliche Wesen welches ihn von hinten irgendwie an einen Golem, einen Wächter aus Unterstadt, aus dem Spiel World of Warcraft erinnerte, drehte sich jetzt langsam herum. Aber statt des für Golems üblichen Hackebeils hielt die Figur einen Wäschekorb in ihren Händen, der gottlob die Sicht auf Schlimmeres verdeckte.
»Ihnen auch einen guten Morgen«, gab er nun freundlich aber mit einem etwas angewiderten Unterton zurück. Bekam keine Antwort und wurde stattdessen, von der kurzhaarigen, für eine Rubensdame deutlich zu dicken Frau aus ihrem rotbackigen Gesicht nur freundlich angelächelt.
»Pojáca!«
Die Frau konnte sicher Gläser zersingen.
»Ich dachte, hier schläft noch alles, deshalb habe ich, so wie ich bin eine Maschine angemacht.«
Diese Logik erschloss sich ihrem neuen Nachbarn nicht und er überlegte einige Zeit, wie er seine Beschwerde nett verpacken konnte.
»Unser Schlafzimmer ist genau über der Waschküche und man hört dort jede Umdrehung, als würde man hier neben der Waschmaschine stehen.«
Hatte das gereicht? Kam das an? Er hoffte, nicht deutlicher werden zu müssen. Musste er auch nicht, denn mit dem Satz:
»Das Haus ist so hellhörig, was bin ich froh nicht im Erdgeschoss zu wohnen«,
drückte sich die nette Nachbarin an Paul vorbei in den Kellergang. Er überlegte, wollte noch etwas sagen, drehte sich in ihre Richtung und dabei fiel sein Blick wieder auf diesen Hintern. Er schwieg.
Er wollte nicht hinter dieser Person die Treppe hochgehen und wartete daher lieber einige Minuten, bis das dumpfe Trampeln nicht mehr zu hören war. Kurze Zeit später, warf er seine Jeans auf die Kommode im Schlafzimmer und legte sich neben seine »wieder« schlafende Frau.
»Was zum Teufel, hab ich ihr getan?«
Das Dröhnen war wieder da, langsamer aber ebenso laut. Sie hatte doch tatsächlich, nicht nur eine Maschine ausgeräumt, sondern gleich neu befüllt und gestartet.
»Diese blöde Kuh!«
Paul stand wieder auf, griff nach seiner Decke, nach seinem Kissen und legte sich im Wohnzimmer, das direkt an das Esszimmer angeschlossen war, auf die Couch. Er genoss die Ruhe, knickte aber vorsichtshalber sein Kissen so, dass er mit einem Ohr darauf lag und das andere Ohr damit abdecken konnte. Mit seinem Oberarm fixierte er das Ganze und schlief nur kurze Zeit später endlich ein. Er hatte das Gefühl sehr lange geschlafen zu haben, öffnete langsam die Augen und wunderte sich über die Helligkeit, die ihn blendete. Gestern Abend hatten sie überall die Rollläden heruntergelassen, daran erinnerte er sich sofort und mit dem Wissen, dass Sabine sie hochgezogen haben musste, sprang er hoch.
»Wie war deine Hochzeitsnacht? Meine war sehr einsam!«
Was sollte er sagen, er war extrem müde gewesen und wohl zu schnell eingeschlafen. Seine Frau sah ihn vorwurfsvoll an, begann aber dann zu lachen.
»Ich bin kurz nach dir eingeschlafen, war zuviel in den letzten Tagen. Was soll es, wir holen alles nach.«
Nicht nur der Satz auch ihr Blick war vielversprechend.
»Hast du noch herausgefunden, wo der Lärm herkam?«
Paul winkte ab.
»Das war die Waschmaschine, die Dicke von oben ...«
Er berichtete seiner Frau nun detailreich von seiner ersten Begegnung mit Frau Pojáca. Er schüttelte dabei immer wieder den Kopf und verzog angewidert sein Gesicht. Sabine lachte lauthals.
»Klingt ja, als hättest du dich verliebt. Denn was sich liebt, das neckt sich«,
nur sie selbst lachte über ihren Witz. Paul sagte nichts mehr, erhob sich nun endlich von der Couch und setzte sich, nach dem er Kissen und Decke ins Schlafzimmer gebracht hatte an den Esszimmertisch. Sabine hatte groß aufgefahren und beide ließen es sich schmecken. Für heute hatte sich das frischgebackene Ehepaar nichts vorgenommen, sie wollten einfach zuhause bleiben und ausspannen. Gemeinsam räumten sie den Tisch ab um sich direkt danach wieder in ihr Bett zurückzuziehen, wo sie den Fernseher einschalteten und Arm in Arm noch einmal weg dösten.
Mittwoch, 14:35 Uhr
Paul wurde als erster wach und weckte vorsichtig seine Frau, die beinahe gleichzeitig mit ihm aus dem Bett aufstand und während er sich frische Unterwäsche aus der Schublade der Kommode angelte, anfing, die Bettdecken aufzuschütteln.
Er duschte, zog sich an, warf seine Schmutzwäsche in den Wäschekorb und gab beim Verlassen des Bades, Sabine die Türklinke in die Hand. Trotz der leichten Kopfschmerzen, die wahrscheinlich dem Tag gestern und der Vibrationen aus dem Keller heute geschuldet waren, fühlte er sich soweit wohl und ausgeschlafen. Beim betreten der Küche, drückte er den Knopf des kleinen Wandradios und freute sich darüber, dass ordentliche Rockmusik aus den Lautsprechern kam. Danach begann er damit Teller, Tassen und Besteck aus dem Schrank zu räumen und im Esszimmer auf dem Tisch zu positionieren. Brot, Käse, einige vegetarische Aufstriche, Butter und Marmelade drapierte er mittig zwischen den Tellern und befüllte die Kaffeemaschine. Das zweite Frühstück sollte heute das Mittagessen ersetzen. Aus dem Schlüsselkasten im Flur nahm er sich den Briefkastenschlüssel, öffnete langsam die Wohnungstür und warf in Erinnerung an die halbnackte Nachbarin einen vorsichtigen Blick ins Treppenhaus. Alles war ruhig und so lehnte er von außen die Wohnungstüre nur an, zog die Haustüre auf und betrat den kleinen gepflasterten Weg des Hauses. Herrlich, tolles Wetter. Die Sonne schien, rings herum war alles grün, die Vögel zwitscherten und sonst war kaum etwas zu hören. Doch, im Gegensatz zu der Gegend in der er vorher gewohnt hatte, ließ es sich hier wirklich gut leben. Tief atmete er einige male ein, genoss die frische und für ihn ungewohnt saubere Luft, beschloss dann, seinen Körper nicht länger als nötig zu verwirren und zündete sich eine Kippe an.
Der Briefkasten war leer, er schloss ihn wieder, zog ein paar mal an seiner Zigarette und sah sich dabei den wirklich schönen Garten an, der durch den Weg unterbrochen wurde. Schön, einfach schön aber sicher würde es auch zeitintensiv dieses Idyll so zu erhalten.
Wie ruhig es hier wirklich war, erkannte er an der Tatsache, dass man einen Wagen schon hörte, wenn dieser in die Straße einfuhr. Er beugte sich über das Gartentor und sah links den kleinen Sportwagen, den er gestern nach der Trauung das erste mal gesehen hatte und somit sofort seinem Vater zuordnen konnte. Robert Meier parkte direkt neben dem Gartentor, stieg aus und kam mit einem kleinen Karton in den Händen auf seinen Sohn, der das Gartentor aufgezogen hatte und seinem Vater entgegenging, zu.
»Na mein Sohn, wie war die Hochzeitsnacht?«
»Doch, prima!«
,log Paul seinen Vater an. Der zwinkerte ihm zu und klopfte ihm auf die Schulter.
»Ihr habt gestern eure Kuverts liegen gelassen und weil ich eure Wohnung noch nicht gesehen habe, meinte dein Schwiegervater, ich soll sie mitnehmen und euch vorbeibringen.«
»Danke Papa, dann komm mit. Die Wohnung ist wirklich schön geworden.«
Paul nahm seinem Vater den Karton aus der Hand und der folgte ihm durch den Hausgang, das Wohn und Esszimmer, bis in die Küche, wo sein Sohn die gesammelten Kuverts auf der Arbeitsplatte abstellte.
»Ich hatte gerade den Frühstückstisch gedeckt, magst du auch einen Teller?«
»Nein, eine Tasse Kaffee würde mir reichen. Ich muss dann bald wieder los.«
»Schatz!«
Paul hatte gerade begonnen die Tasse zu befüllen, als er vom Ruf seiner Frau unterbrochen durch Ess- und Wohn-Zimmer in Richtung der Badezimmertür sah. Wow, ein genialer Anblick, Sabine tippelte komplett nackt, mit herausgestrecktem Hintern vom Bad zum Schlafzimmer, drückte die Tür auf und ließ dabei provokativ ihr Badetuch, das sie eben noch in Händen gehalten hatte fallen. Mit leicht überkreuzten Beinen, durchgedrücktem Rücken bückte sie sich nach vorne, hob das Stück Frotté auf und drückte sich beim Aufstehen zuerst mit ihrem Po und dann auch mit ihrer Schulter an die Zarge. Das Badetuch hatte sie sich zwischen ihr großen Brüste geklemmt und hielt es mit den Zähnen fest. So blieb sie kurz stehen, drehte sich aber dann ruckartig in Richtung Küche, öffnete dabei ihren Mund, ließ das Tuch über ihren Busen nach vorne, zwischen ihre leicht geöffneten Beine fallen.
»Kommst du?«
Hammer, was für ein Anblick, traumhaft. Paul war hin und weg, ließ seine Blicke von Brust zu Brust, zum Schritt über die Beine und wieder hoch zum Hals gleiten. Ihre weit aufgerissenen Augen, den roten Kopf, den leicht geöffneten Mund, nahm er erst jetzt wahr.
»Noch nicht, wenn du aber noch ein bisschen weitermachst, sicher!«
Die Stimme seines Vaters, die mit ihrem belustigten Unterton so überhaupt nicht in diese Szene passte, riss Paul schlagartig wieder in die Realität. Er sah in Sabines Gesicht, zurück zu seinem Vater und wieder zu Sabine. Die warf sich herum, stürzte gegen die Schlafzimmertür, drückte sich an der Tür vorbei und schlug sie von innen hart in den Rahmen.
»Super Show, deine Frau hat Potenzial.«
Zittrig und fahrig sah sich Paul in der Küche um. Die Kaffeekanne, die er immer noch in der Hand hielt, war leer, die Tasse übergelaufen, auf Arbeitsplatte und Fußboden hatte die Brühe große Pfützen hinterlassen. Sein Vater nahm die Tasse, goss einen Teil des Kaffees in die Spüle, wischte mit dem Spültuch über die Tasse und setzte sich lächelnd im Esszimmer auf einen Stuhl.
Paul überlegte, sollte er zu Sabine ins Schlafzimmer gehen? Die unverständlichen Flüche, die durch die Türe drangen, verhießen aber nichts Gutes, daher blieb er lieber in der Küche um zunächst das Nass von Küchenzeile und Boden zu entfernen. Seinen Vater ansehen konnte er erstmal nicht, wusch den Spüllappen aus, befüllte die Kaffeemaschine neu und drückte den Startknopf.
»Junge was ist los, so schlimm? Ich hab schon nackte Frauen gesehen und es bleibt ja in der Familie.«
Die Stimme seines Vaters beruhigte ihn langsam, und er hatte ja Recht. Was war denn passiert? Gut, eine ganze Menge aber das ließ sich jetzt nicht ändern. Er atmete einige mal tief durch, drehte sich herum, ging zum Tisch und setzte sich seinem Vater gegenüber. Auch im Schlafzimmer schien man sich beruhigt zu haben, zumindest hörte man nichts mehr. Robert Meier grinste seinen Sohn an.
»Nicht schämen, du kannst doch stolz sein. Schlimm wäre es, wenn ich angewidert weggelaufen wäre oder?«
Paul grinste seinen Vater an und lachte leise.
»Ihr habt euch amüsiert? Schön, freut mich!«
Sabine kam aus dem Schlafzimmer, hatte sich komplett angezogen und setzte sich an ihren von ihrem Mann vorbereiteten Platz.
»Paul nicht so, mir hat es gefallen.«
Robert drückte seine Faust an den Oberarm seiner Schwiegertochter.
»Sei ruhig du Arsch!«
Sabine lachte, zwinkerte Paul zu, umarmte ihren Schwiegervater und begann zu frühstücken. Das gerade Erlebte wurde nicht mehr erwähnt. Paul führte seinen Vater durch die Wohnung und zeigte ihm auch gegenüber die Praxis und den Garten. Anerkennend schlug der seinem Sohnemann hin und wieder auf die Schulter und war von all dem, sichtlich angetan. Sabine kam dazu, erzählte was und wo sie als Kind hier im Garten am liebsten gespielt hatte. Paul rauchte noch eine und gemeinsam brachte das Ehepaar Herbert ihren Besuch an das weit offenstehende Gartentor. Man verabschiedete sich, Robert drückte dabei Sabine deutlich enger an sich als seinen Sohn, winkte beim Gehen und stieg in seinen Wagen.
Paul griff die Hand seiner Frau und führte sie durch das Treppenhaus, zur Wohnungstür.
»Warte kurz Schatz, das haben wir letzte Nacht vergessen«
,damit packte er zu, hob seine Frau an, warf sie sich über die Schulter und ließ sie erst, in dem er sie auf das Bett warf im Schlafzimmer wieder herunter. Sabine verstand und beide rissen sich mehr ihre Klamotten herunter, als dass sie sich auszogen. Nackt stand Paul vor dem Bett, bekam nacheinander BH und Slip in sein Gesicht geworfen und packte, als Sabine auf allen vieren an das Kopfende des Bettes flüchten wollte zu. An beiden Füßen zog er seine Frau in Richtung Bettkante und ließ sich fallen.
Ja, darauf hatte er gewartet, war froh, dass sein Vater endlich gegangen war. Jetzt genoss er das, was ihm vorhin so herrlich versprochen und präsentiert wurde. Wild und hemmungslos holten sie ihre Hochzeitsnacht nach. Pauls Johannes konnte beweisen, dass er wieder voll hergestellt war und es auch als Apnoetaucher weit gebracht hätte. Auf der Zielgeraden, Paul war gerade dabei sich völlig zu verausgaben, was seiner Frau deutlich hörbar Freude bereitete, hörte er direkt hinter sich, eine ihm wohlbekannte und unwohl in Erinnerung gebliebene Sopranstimme.
»Gott sei dank, ihnen geht es gut!«
Er drehte seinen Kopf, sah zwei überdimensionale Mondgesichter durch den Türrahmen schielen, überlegte keine Sekunde und spurtete im gleichen Augenblick los. Er schob seine Frau wie eine Schubkarre vor sich her, bis Sabine auf der anderen Seite des Bettes mit den Händen den Boden berührte, sich zur Seite abrollen ließ und er selbst neben ihr hart auf dem Boden aufschlug. Er schüttelte sich kurz, tatstete nach seiner Decke und zog sie nach unten um seine Frau und sich selbst, vor weiteren Blicken zu schützen.
»Ich dachte, sie hätten sich verletzt oder würden gerade überfallen werden. Ihre Türe stand offen.«
Paul gab keine Antwort, sah nur mit hochrotem Kopf in die Richtung der rotbackigen Sprecherin. Sabine lag seitlich neben ihm und hielt sich komplett unter der Decke versteckt.
»Wir gehen besser wieder, ihnen noch einen schönen Tag. Komm Hänschen, wir gehen.«
Paul hatte nun also auch den Sohn der Familie Pojáca, der seiner Mutter in Körperumfang und Gewicht in nichts nachstand, kennengelernt. Wenn sie bisher wahrscheinlich auch noch kein Wort miteinander gewechselt hatten, so konnte er jetzt doch davon ausgehen, dass beide Pojácas nun auch seine Frau sehr genau kannten.
Das Stampfen der beiden Nachbarn, welches Paul unwillkürlich an den Film »In einem Land vor unserer Zeit » denken ließ, wurde leiser und als er die Tür ins Schloss fallen hörte, legte er sich zurück und bedeckte sein Gesicht mit seinen Handfläschen.
Er lebte noch keine vierundzwanzig Stunden hier und war schon soweit bedient, dass er seine alte Wohnung und vor allem die Ruhe der alten Nachbarschaft vermisste.
Leise hörte er seine Frau unter der Decke lachen, drückte seinen Oberkörper hoch und blieb zunächst einfach so sitzen. Das Lachen wurde lauter und Paul riss die Decke zurück.
Auch Sabine hatte einen knallroten Kopf aber im Gegensatz zu ihm, fand sie das Ganze offenbar extrem lustig. Sie weinte beim Lachen und bekam sich eine ganze Zeit nicht wieder eingefangen. Ihr Mann saß daneben und schüttelte den Kopf, hielt sich immer wieder die Hände vor sein Gesicht und gab alles in allem einen eher bedauernswerten Anblick ab.
»Das nennt man also einen Rohrkrepierer! Wie war das, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!«
Bei den beiden Sätzen, die sie beinahe schon geschrien, bei jedem dritten Wort gluckernde Geräusche von sich gegeben und nicht einmal versucht hatte, das Lachen einzustellen, liefen ihr dicke Tränen aus den Augen.
Mit einem verständnisslosen vorwurfsvollen Blick stand Paul auf, hielt seiner Frau die Hände hin und zog sie hoch.
»Hauptsache dir geht es gut.«
,sprach er sie dabei emozionslos an, bekam dafür einen amüsierten Blick und ein Küsschen zugeworfen.
»Was soll ich deiner Meinung nach tun, weinen? Das hilft doch jetzt auch nicht mehr!«
Paul winkte genervt ab.
»So ist es nun mal, willkommen in der Villa Unruh!«
2. Erziehung
Mittwoch, 16:45 Uhr
Man hatte sich beruhigt, das Vorgefallene beiseitegeschoben und zunächst versucht sich mit dem, was im deutschen Fernsehen so abgespult wurde, zu entspannen. Dieser Versuch scheiterte am Ansatz, deshalb suchte sich das Ehepaar Herbert andere Aufgaben. Paul begleitete seine Frau in ihre Praxis, setzte sich ihr gegenüber an ihren Schreibtisch und gemeinsam schmiedeten sie Pläne, wie sie die Praxis zum Laufen bringen konnten.
Sabine Herbert telefonierte nach und nach, mit der örtlichen Presse um dort Anzeigen schalten zu lassen und mit Kollegen ihres Vaters um für sich zu werben.
Ein goldenes Schild, welches an der Fassade des Hauses angebracht werden sollte, wurde in auftrag gegeben, Aktenordner, Patienten-Fragebögen, Karteikarten, Formulare jeder Art und Stempel, wurden ebenso in rauen Mengen bestellt, wie Desinfektionsmittel, Tapes, Bandagen, Handtücher und einige andere Dinge, die Paul noch nie gesehen hatte, die seine Frau aber für die Therapie brauchte. Alles in allem durfte also in den nächsten Tagen, eine große Lieferung und eine noch größere Rechnung erwartet werden. Liegen, Geräte und alle Einrichtungsgegenstände waren auf Kosten von Hans Herbert schon eingekauft und aufgestellt oder eingeräumt worden. Am Montag wollte sie eröffnen, ihre Mutter sponsorte einen Caterer und ihr Vater hatte in der Klinik, bei Ärzten und Patienten schon die Werbetrommel gerührt. Paul hatte Urlaub, diese und nächste Woche gab es also, für ihn, außer seiner neuen Tätigkeit als Hausmeister, die er ab Dienstag nächste Woche offiziell beginnen wollte, nichts zu tun. Aus der Eröffnung wollte er sich weitestgehend heraushalten.
»Eines brauche ich noch und das ist sehr wichtig. Ich habe hier drei Behandlungszimmer aber wer kümmert sich um die ankommenden Patienten, um die Termine und das Wartezimmer?«
»Ich nicht!«
,schoss es sofort aus Paul heraus. Sabine lachte.
»So war das nicht gemeint. Aber ich muss jemanden einstellen und ich dachte dabei, na ja ... an Gisela.«
»Das ist nicht dein Ernst, erstens ist sie dann ständig hier, zweitens hat sie einen Hau und drittens und das ist das Wichtigste, hat sie sich nur ein einziges mal schnell bewegt und das muss bei ihrer Zeugung gewesen sein.
Seine Frau schüttelte den Kopf.
»Sei nicht so ungerecht, sie ist doch deine Schwester. Außerdem, wen ich hier einstelle, darfst du getrost mir überlassen. Besser jemanden aus der Familie als einen Fremden, gerade am Anfang!«
Prima, das war auch geklärt, hier in der Praxis hatte Paul also nicht mitzureden. Sabine wählte die Nummer ihrer Schwägerin, blinzelte Paul dabei zu und besprach mit Gisela, alles was ihr zu diesem Thema wichtig erschien. Er durfte zuhören und dabei erfahren, dass seine Schwester in Zukunft erstmal halbtags, von morgens um acht bis mittags um zwölf hier sein würde. An ihrem ersten Arbeitstag wäre die Zeit, sich über das Gehalt und ihre genaue Tätigkeit zu unterhalten. Sabine beendete das Gespräch und beide verließen die Praxis um sich in der Wohnung erneut auf der Couch niederzulassen. Für Paul war die Geschichte mit Gisela noch nicht erledigt und so versuchte er hin und wieder, auf genau dieses Thema zu kommen, was von Sabine abgeblockt und mit einem Lächeln übergangen wurde. Der Fernsehapparat, den man sich durchaus auch hätte sparen können, blieb ausgeschaltet. Sabine startete die Musikanlage und zu den Klängen einer Rock-CD, kuschelten sich beide auf die Couch. Paul streichelte heute zum ersten mal ausgiebig ihren noch nicht wirklich sichtbaren Babybauch.
Mittwoch, 20:20 Uhr
»Es hat sich bewegt!«, Paul war begeistert und fühlte noch mal genauer nach, tastete über den Bauch, spürte nichts mehr Auffälliges und sah seine Frau verwundert an.
»Ja klar mein Schatz und wenn es übermorgen auf die Welt kommt, dann kann es sprechen und wird vierzehn Tage später eingeschult«, antwortete Sabine gelangweilt.
»Wenn du weiter so auf meinem Darm herumdrückst, wird es sich nicht nur bewegen, sondern es wird im wahrsten Sinne des Wortes stinkig werden.«, erklärte Sabine weiter, erntete dafür einen verständnislosen Blick ihres Mannes und rief:
»Hunger! Das Phänomen nennt sich Magenknurren!«
Paul tat so, als wäre seine vorherige Begeisterung ein Witz gewesen, und streichelte einfach weiter.
»Hunger! Was ist los mit dir, willst du meinen Kohldampf wegstreicheln?«, wurde Sabine jetzt sehr deutlich.
Paul überlegte kurz, rappelte sich hoch und half danach auch seiner Frau beim Aufstehen. Die Musik schaltete er direkt an der Anlage aus, tatstete nach der Fernbedienung des Fernsehers und war im Begriff einen Knopf zu drücken, als er von Sabine mit einem leichten Stups in die Rippen gebremst und gleichzeitig angefahren wurde:
»Ich sagte, ich habe Hunger und würde gerne etwas essen!«
Paul hatte verstanden, ließ die Glotze aus, lenkte seine Schritte in Richtung Küche und setzte sich im Esszimmer auf einen Stuhl.
»Was gibt es heute Gutes?«, fragte er freundlich und strich dabei über seinen Bauch.
»Mir geht es grad nicht so gut«, bekam er mit extrem genervten Unterton als Antwort.
»Schatz, das versteh ich, war ja auch viel die letzten Tage, mach langsam und koch eben nur eine Kleinigkeit«, versuchte er seiner Frau den Stress etwas zu nehmen. Allein die Reaktion auf diesen Satz fiel komplett anders aus, als von ihm erwartet. Sabine gab keine Antwort mehr, ging an ihm vorbei, riss den Kühlschrank auf, warf einen kurzen Blick hinein und knallte ihn geräuschvoll wieder zu. Trampelnd betrat sie das Schlafzimmer, ließ die Tür offen und kam nur wenige Sekunden später mit Kissen und Bettdecke zurück, warf beides auf die Couch, drehte sich herum, verschwand wieder im Schlafzimmer, schlug diesmal die Türe zu und Paul hörte deutlich, dass der Schlüssel gedreht wurde. Sollte er jetzt reagieren? Sie war schwanger, mit ihren unkontrollierten emotionalen Ausbrüchen würde er auch in nächster Zeit leben müssen, das war ihm klar und man hatte ihn gewarnt. Nicht nur sein Chef, nein auch sein Schwiegervater hatten während der Hochzeitsfeier, vor dem Auftreten einer solchen Problematik ausgiebig gewarnt. Er wollte also ruhig bleiben, abwarten und nicht weiter reagieren. Sie hatte ja Hunger und würde schon irgendwann, von diesem getrieben das Schlafzimmer verlassen, und dann hoffentlich besser gelaunt wieder mit ihm reden. Paul blieb also sitzen, sortierte seine Gedanken und wartete auf eine Gemütsänderung seiner frisch angetrauten Ehefrau. Seine Unruhe nahm dennoch minütlich zu und erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt, als es an der Tür läutete. Er stand auf, wollte öffnen, die Schlafzimmertür sprang auf und Sabine rannte an ihm vorbei. Sie drückte wortlos den Türöffner, zog die Wohnungstüre auf, bezahlte den Pizzaboten und nahm ihm »eine« bestellte Pizza ab. Mit einem kurzen Grinsen in Pauls Richtung, verschwand Sabine wieder im Schlafzimmer, drehte den Schlüssel und reagierte nicht mehr auf sein Klopfen und Jammern ...
Mittwoch, 22:00 Uhr
Beinahe ständig hatte er auf die Uhr gesehen, sich selbst und vor allem seiner Frau gedanklich ein Ultimatum bis zweiundzwanzig Uhr gesetzt. Jetzt würde auch er es durchweben, er würde heute nicht mehr ins Schlafzimmer einziehen, ihr aus dem Weg gehen und ihr den ersten Schritt zur Versöhnung überlassen. Nein, er war heute nicht bereit, sich kleinmachen zu lassen, sich selbst zu reduzieren und den Bittsteller zu geben. Er musste jetzt, auch wenn es ihm durchaus schwerfallen würde, stark sein und erzieherisch tätig werden. Er öffnete die Wohnungstür, lehnte sie an, tat das gleiche mit der Haustüre und zündete sich im Garten eine Menthol an. Auf dem kleinen Weg zum Haus lief er auf und ab, überlegte was er falsch gemacht haben konnte, kam zu keinem klaren Ergebnis, beschloss das Nachdenken einfach einzustellen und hoffte, dass Sabine die Reue packen würde, sie in der Wohnung bereits auf ihn warten würde und dann einfach wieder alles gut wäre. Voller Vorfreude, schnippte er also die Kippe über das Gartentor und jammerte nur Sekunden später wieder an der Schlafzimmertüre. Sabine hatte nicht daran gedacht Reue zu zeigen, hatte nicht auf ihn gewartet und selbst jetzt reagierte sie nicht im Geringsten auf sein Klopfen und Flüstern. Ein Stück Brot und etwas Käse, sollte also heute sein Abendessen sein. Er setzte sich im Wohnzimmer auf die Couch, nahm wenig begeistert sein Festmahl ein und spülte mit reichlich Cola nach. Er stand auf, putzte sich die Zähne, horchte wieder kurz an der Schlafzimmertür, schaltete das Licht im Wohnzimmer aus, warf Hose und Shirt über die Armlehne des Sofas und saß im Dunkeln noch einige Zeit nur so da ...
Er fühlte sich nicht gut, war bedient, sah keine Chance, heute noch etwas zu ändern, und legte sich in der Hoffnung auf einen besseren nächsten Tag zur Seite, schob sein Kissen zurecht und warf die Decke über sich.
Das Einschlafen bereitete ihm größere Probleme, gelang nach einigem Nachdenken, Umdrehen, Kissenrichten und Deckezurechtzupfen dann aber doch.
Donnerstag, 09:10 Uhr
Geschirrklappern, die bekannten Geräusche seines Kaffeevollautomaten ließen ihn langsam wachwerden. Sabine schien also zur Besinnung gekommen zu sein und bereitete das Frühstück. Langsam drehte er sich auf den Rücken, strich sich mit den Händen über sein Gesicht und gähnte laut. Der Laden im Wohnzimmer war noch geschlossen, in Küche und Esszimmer bereits hochgezogen worden und die Sommersonnenstrahlen teilten den großen Raum in zwei Hälften.
»Guten Morgen mein Lieblingsschwiegersohn!«, wurde er begrüßt und erschrak nicht nur über diesen Satz, sondern auch, weil er natürlich sofort wusste, wer da gesprochen hatte. Er sah nach rechts und erkannte wie erwartet, seine Schwiegermutter, die an der Küchenzeile lehnte und emotionslos in seine Richtung sah.
»Deine schwangere Ehefrau ist im Badezimmer. Ihr geht es heute nicht so gut, kannst du dir erklären, warum das so ist?«, fragte Silke, während sie sich an den Tisch im Esszimmer setzte.
Er musste sich erstmal sammeln ...
Jede unüberlegte Antwort, jeder sorglose Satz, konnte und würde höchstwahrscheinlich ab jetzt gegen ihn verwendet werden. Zwei Frauen, Mutter und Tochter, reichlich angefressen unter einem Dach, was brauchte es da noch ein Gericht oder einen Richter?
Er war wahrscheinlich noch schlafend schuldig gesprochen worden und konnte im besten Falle darauf hoffen, dass seine Auslassungen das Strafmaß beeinflussen würden.
Hätte er nur annähernd eine Ahnung gehabt, was er Schlimmes angestellt hatte, er hätte gestanden und darauf gehofft, damit die Gerichtsbarkeit gnädig zu stimmen.
»Na, nichts, keine Idee?«, wurde nun von der Oberstaatsanwältin, in Person seiner Schwiegermutter streng nachgehakt. Die Scharfrichterin betrat die Szene, nahm provozierend keine Notiz vom Angeklagten und setzte sich gegenüber ihrer Mutter an einen der »beiden« Teller und begann zu frühstücken. Langsam schlüpfte Paul unter der Decke in seine Jeans, zog sich sein Shirt über und schlurfte zum Tisch und setzte sich neben seine Frau, die auch jetzt kein Stück auf ihn reagierte. Egal was er verbrochen hatte, es musste absolut verwerflich, schlimm und widerwärtig gewesen sein. Er hoffte, dass die Anklageschrift noch einmal verlesen werden würde und er dadurch endlich erfahren könne, was ihn nun zur Persona non grata gemacht hatte. Diesem Wunsch wurde nicht entsprochen und beide Frauen verfuhren mit ihm, frei nach dem Motto »Apila non captat muscas«, reagierten also zunächst nicht weiter auf seine Anwesenheit und ließen ihn einfach links liegen. Sabine sprach mit ihrer Mutter in einem normalen Tonfall, da war keine Gehässigkeit, kein Zorn, keine Traurigkeit, nur er war für sie scheinbar nicht da, wurde nicht wahrgenommen und sich selbst überlassen. Paul war nicht bereit, dieses Verhalten den ganzen Tag zu ertragen, legte seine Hand auf ihren Arm und begann sie vorsichtig zu streicheln. Beinahe gleichzeitig sahen ihn die beiden Frauen an und lächelten.
»Na mein Schatz, was hast du gestern gegessen?«, fragte seine Frau.
»Ein Brot«, antwortete er und wunderte sich gleichzeitig darüber, dass ausgerechnet sein Abendessen hier und jetzt zum Thema wurde.
»Ich hatte eine leckere Pizza«, spottete Sabine und hatte sich scheinbar auf das Thema Essen eingeschossen. Scheinbar hatte Paul ein riesiges Fragezeichen auf der Stirn, denn Mutter und Tochter begannen gleichzeitig zu lachen.
»Habe ich dir nicht gesagt, er weiß nicht, um was es geht. Er ist sich keiner Schuld bewusst, hat keine Ahnung, warum du sauer sein könntest, und fragt sich, was er falsch gemacht hat. Da sind alle Männer gleich! Essen? Prima! Was gibt es. Da hat sich wahrscheinlich seit der Steinzeit nichts verändert.«
Das Fragezeichen auf Pauls Stirn verschwand langsam und er begann über das am Tag zuvor geschehene nachzudenken. Zu gerne hätte er sich, den ein oder anderen entschuldigenden Satz zurechtgelegt, doch es wollte ihm nicht ein einziger einfallen. Sabine sah wieder lächelnd zuerst in seine Richtung an dann zu ihrer Mutter.
»Hörst du wie seine Rädchen arbeiten?«, sagte sie und lachte danach laut auf. Paul fühlte sich vorgeführt, verzog verärgert sein Gesicht und wollte aufstehen, wurde gleichzeitig von Sabine und Silke an seinen Armen festgehalten und zum Bleiben genötigt.
»Bleib sitzen, alles ist gut! Willst du auch frühstücken?«, seine Schwiegermutter hatte scheinbar Mitleid mit ihm, durchbrach diese unschöne Situation und sorgte, in dem sie einen Teller und Besteck aus der Küche holte und vor ihrem Schwiegersohn platzierte, dafür dass man zu einer gewissen Normalität zurückkehren konnte. Sabine stand auf, ließ ihm einen Cappuccino heraus, stellte diesen wortlos vor Paul ab und redete danach mit ihrer Mutter weiter, als wäre nichts gewesen.
Gut das war geschafft, aber sein Gefühl sagte ihm, dass er ab jetzt unter Beobachtung stand, auf Bewährung frei war, und wahrscheinlich bei geringstem Anlass die volle Härte der herbertschen Gerichtsbarkeit zu spüren bekommen würde. Silke erzählte ihrer Tochter, dass ihr Vater heute verabredet war, dass sie ihn später noch besuchen würde um genaueres zu erfahren, die merkwürdigen Blicke, die dabei auf Paul geworfen wurden, deutete der als Spätfolge des ersten Ehekraches und wollte nicht weiter darauf eingehen. Nach dem Frühstück durfte Paul abräumen, spülen und den Tisch abwaschen. Wurde dafür hin und wieder mit Beifall bedacht, sprang auch darauf nicht weiter an und verschwand direkt danach im Bad.
Donnerstag, 10:40 Uhr
Geduscht, frisiert und frisch angezogen, kam er aus dem Badezimmer und stellte fest, dass die beiden Blondinen ausgeflogen waren, glaubte sie in Sabines Praxis, griff sich seine Mentholzigaretten, den Wohnungsschlüssel und lief kurze Zeit danach rauchend durch den Garten. Das Grundstück war schon sehr groß, weniger ein Garten als ein kleiner Park, wunderschön angelegt und das, was hier Vorgarten war, wäre bei den meisten anderen Häusern schon als großer Garten durchgegangen. Hinten links und beinahe direkt am Haus angeschlossen standen etwa zehn große, alte Bäume, die zusammen wie ein kleiner Wald wirkten, um diese Baumgruppe herum, führte der kleine Steinweg weiter zum liebevoll angelegten Gartenteich, in dem große Goldfische schwammen. Als werdender Vater sah Paul hier aber weniger die Schönheit, als vielmehr eine ständige Gefahr für Kleinkinder und nahm sich deshalb vor, diesen Teich zu umzäunen oder eben trockenzulegen.
Auf der rechten Seite des Grundstücks befand sich der Grillplatz, der mit einer kleinen Buchsbaum-Hecke umfasst worden war. Der Steingrill, die großer Sitzgruppe aus Stein boten alle Voraussetzungen, um die Hausgemeinschaft zu pflegen und gemeinsam zu essen. Alleine die Tatsache, dass sich Sabine und er vegetarisch ernähren wollten und die beiden Pojácas, die er bisher kennenlernen musste, den Grill alleine brauchen würden, trübte seine ansonsten blumige Sicht auf diesen Plan. Direkt an den Grillplatz schloss sich der kleine, private Spielplatz an, der nun von Paul ausgiebig auf scharfe Kanten, Rost und Brüchigkeit getestet und letztlich für gut und sicher befunden wurde. Eine Schaukel, eine kleine Rutsche und ein Sandkasten luden dort zu spielen ein. Kein Baum verdeckte die Sicht und so war es allen Bewohnern des Hauses möglich, ihre Kinder beim Spielen, von den Fenstern heraus zu beaufsichtigen. Seine Kippe warf er in den Grill und ging zurück in den vorderen Bereich des Gartens, wo es außer dem kurzgeschnittenen Rasen, einem einzigen kleinen Baum rechts und einem Gebüsch links, nichts Besonderes zu entdecken gab.
Tag der Veröffentlichung: 08.04.2016
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