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Titel

Martin Auer

Mädchen ausliefern

ein Roadmovie mit Untertiteln

 

Für das Umschlagbild wurden Illustrationen von
Magdalena Steiner verwendet.

 

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Zu den Untertiteln

In diesem Buch wird sehr viel Englisch gesprochen, und auch Rumänisch und Polnisch. Wie im Film gibt es hier Untertitel. Für Leser und Leserinnen, die mit dem Englischen gut vertraut sind, mögen diese Untertitel störend sein. Daher gibt es dieses Buch hier zweimal. In der ersten Fassung gibt es Untertitel nur für die Rumänischen und Polnischen Dialoge. Die zweite Fassung hat Untertitel auch für die Englischen Dialoge.

Mädchen ausliefern (mit den nötigsten Untertiteln)

Der Fahrer hatte das Fenster auf seiner Seite geöffnet. Der Sommermorgen war diesig und später würde es heiß werden. Er hatte eine Bruce-Springsteen-Kassette eingelegt, melancholische Balladen, in denen von Autowaschanlagen und Tankstellen die Rede war, von Mähdreschern auf den Feldern Nebraskas und vom Sterben auf dem elektrischen Stuhl. Hin und wieder nahm er einen Schluck aus einem Thermos-Becher, der mit Tee gefüllt war. Er bog in die Seitengasse einer Seitenstraße ein, verlangsamte die Fahrt, um die Nummern an den Haustoren lesen zu können und griff gleichzeitig nach dem Handy, das auf dem Nebensitz lag.

"Hi, Isabella, I will be there in two minutes!"

Er fand die Hausnummer und fuhr weiter an den geparkten Autos vorbei, bis er eine freie Gehsteigecke fand. Er schloss den Wagen ab und ging zurück zum Haustor. Seine Cowboystiefel machten ihn noch größer, als er ohnehin war. Er trug Jeans und eine ärmellose Jeansweste, sein graues Haar, das allmählich schütter wurde, hatte er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Seine Haltung war leicht gebeugt, als ob er sich kleiner machen wollte. Vielleicht hatte er aber auch Rückenschmerzen. Nach ein paar Minuten öffnete sich das Tor.

"Hi!" sagte der Fahrer.

"Oh, I thought you would never call me!"

Das Mädchen sah müde aus. Sie bewegte sich damenhaft in ihren hochhackigen Schuhen und den Dreiviertelhosen, die ihre schmale Taille zur Geltung brachten. Sie setzte eine Sonnenbrille auf, dann legte sie einen Arm um ihn und ließ sich zum Auto führen.

"This man, he too much for me. You know, he strong with me, my hands, my arms, here! He wanted one hour more, but I say no, I cannot. But he say yes, you stay here. And I say no, and if not, you will be in trouble. So when you call, he let me go. You know he drink champagne with wine, and he smoke marihuana. He not make anything, because he cannot, but he try. Then he want to make Griechisch, and I say no, I don’t do this. He say, I cannot, but when I fuck your ass, I can. Und I say no, I don’t want this and I don’t want you talk to me like this. A woman is like a flower! But he, no! He try turn me round and fuck me from behind, and I fight with him."

Mit der freien Hand machte sie ihm vor, wo der Mann sie überall gepackt und gehalten hatte. In ihrem länglichen Gesicht mit den ausdrucksvollen Augenbrauen spiegelte sich der ganze Streit mit dem impotenten Freier wieder.

Er sperrte den Wagen auf, ließ sie einsteigen, startete und schaltete ihr zuliebe auf einen Popsender um, Radio
Energy. Sie lehnte sich zurück, machte kurz die Augen zu. Dann holte sie aus ihrer Handtasche einen 100-Euro-Schein.

"That was one hour?" fragte der Fahrer.

"Yes."

Er gab ihr zwei Zwanziger heraus. Nachdem er losgefahren war, drückte er auf dem Handy eine voreingestellte Nummer.

"Seawas. Den Kunden von Hauffgasse 12 bitte auf die Sperrliste. Na, grob is er worden, ang’soffen, wollt’s net weggehen lassen."

"Mach ich", sagte die Telefonistin. "Kannst du mir dann bitte die Juliette abholen vom Hilton Plaza?"

Der Fahrer schaute auf die Uhr.

"In ungefähr 20 Minuten."

"Okay. Pah pah, bis später."

"He will not get any more girls from Belvedere-Escort", sagte der Fahrer zu dem Mädchen.

Das Mädchen kramte in ihrem Täschchen, suchte etwas.

"I have no more cigarettes."

Er griff mit der rechten Hand nach hinten, tastete ein bisschen herum und holte vom Rücksitz eine offene Schachtel. In der Schachtel waren Kondome, Kaugummis, Bonbons, Aspirin, Heftpflaster und eine angebrochene Packung Marlboro Light.

"Thank you", seufzte sie erleichtert.

Sie lehnte sich zurück, rauchte mit geschlossenen Augen, erschöpft.

*

Der Fahrer fuhr die Ringstraße entlang. Aus dem Kassettenplayer kam wieder Bruce Springsteen. Er drehte leiser und telefonierte.

"Ja będę za pięcz minut."

Juliette antwortete ihm auf Deutsch: "Bitte zehn Minut. Ich komme."

Er hielt in der Nebenfahrbahn vor dem Hotel, hörte Bruce Springsteen und nahm gelegentlich einen Schluck von dem Tee, der nun schon kalt war. Das Handy klingelte.

"Ja?"

"Tut mir leid, die Juliette hat um eine Stunde verlängert."

"Na is recht." Er überlegte eine Weile, was zu tun sei, dann entschloss er sich, seine Einkäufe zu machen. Er schloss den Wagen ab und ging in den nächsten Supermarkt. Als er seinen Wagen zur Kasse schob, klingelte das Handy.

"Du, die brauchen oben zwei Packerl rote Marlboro. Zimmer 920."

"Warum rufen die nicht den Zimmerservice?"

"Mich fragst du?"

Er ging also Zigaretten kaufen, stellte die Plastiktasche mit seinen Einkäufen in den Kofferraum seines Wagens und ging ins Hotel. Mit dem Lift fuhr er in den neunten Stock und klingelte bei Zimmer 920, Executive Suite. Der verwuschelte Kopf eines jungen Mannes, der sich ein Leintuch vor den Leib hielt, schaute zur Tür heraus.

"Ich bring die Zigaretten. 10 Euro bitte."

Der junge Mann nahm mit glasigem Blick die Zigaretten und verschwand in der Tür. Nach ein paar Momenten kam der gleichfalls zerraufte Kopf von Juliette zum Vorschein, die sich ebenfalls ein Leintuch vor den Körper hielt.

"Ich gäbe dir spätter!"

Der Fahrer nickte.

"Brauche ich noch Kreditkartenformular. Er hat viermal verlängert."

"Ich hab s’ unten im Auto. Ich leg s’ vor die Tür."

"Danke!" sagte Juliette mit ihrer warmen Stimme.

Er fuhr wieder hinunter, ging zum Auto, holte die Formulare und fuhr wieder hinauf. Als er wieder hinunter fuhr, überlegte er kurz, ob er sich einen Kaffee in der Hotelbar genehmigen sollte, entschied sich aber dann dagegen. Er ging zum Tricaffee in der Börse, dort konnte er draußen sitzen, bis die Telefonistin ihn wieder zum Hotel schickte.

Juliette ging ganz anders als Isabella. Sie kam mit burschikosem, sportlichem Schritt aus dem Hotel, an dem kostümierten schwarzen Türsteher vorbei, der ihr die Glastür aufhielt. Juliette war schön. Kein anderes Mädchen wagte es, in Adidas zum Job zu gehen. Der Fahrer fuhr vor und machte ihr die Wagentür auf. Diesmal ließ er Bruce Springsteen weiter laufen. Sie machte erschöpft die Augen zu und bewegte ganz leicht den Kopf im Takt der Musik. Dann öffnete sie die Augen, zog den Haargummi von ihrem Pferdeschwanz und begann ihr Haar zu zwei weizenblonden, dicken Zöpfen zu flechten.

"Acht Stunde war ich da, acht Stunde! Immer wieder er hat verlängert. Weisdu, manche Kunde mir passt, und andere nicht. Und ich denke, diese Kunde nicht meine. Er fragen: Diese Job, das ist Spaß? - Und ich: Spaß? Was Spaß? - Na warum machst du diese Job? - Na für Geld. Das ist nicht meine Hobby! - Aber manchmal, es ist Spaß? - Weißt du, sage ich: Erste Mal mit eine Kunde, das ist nur Stress: Was willst du, was machst du, bin ich gut? - Und später, er fragen: Und wenn du aufstehen und gehen, du denken: Ach, diese Kunde! - Und ich: Ja genau! Und er..."

Sie machte ihn nach, wie er gekränkt das Gesicht verzog.

"Du nimmst den Job ernst, was?"

"Wie meinst du?"

"Dir ist nicht egal, was der Kunde denkt. Andere Mädchen sagen: Kunde ist Kunde, schnell weg und aus."

"Nein, ist nicht egal. Für mich ist auch Mensch, mit seine Fühlen, seine Denken. Manche Kunde denken: Alle Prostitut ist dumm. Aber ich nicht, ich korrekt. Nein, andere: Komm ich zu Kunde, Kunde so:"

Sie spielte ihm vor, wie sich der Kunde im Lehnstuhl fläzte, ließ eine imaginäre Zigarette lässig im Mundwinkel baumeln.

"Ich fragen: wie lange? - Er schauen mich an, so: Na, eine Stunde. Er fragen: Du gut? Naturfranzösisch du machen gut? - Na, ich denken: du so, ich auch so! Ich sagen: Du haben große Schwanz, Naturfranzösisch ich machen gut. Du haben kleine, ich machen nicht gut! - Er so:...!"

Sie machte sein langes Gesicht nach. Dann grinste sie.

"Ich sagen: Du so, ich auch so! - Dann er, auf einmal: Na, okay, was willst du trinken? Ganz nett, plötzlich. Und andere fragen: Welche Buch du zuletzt gelesen? Ich: Szachista von Waldemar Łysiak. Kennst du?"

"Nein, von dem hab ich nie gehört."

"Ist polnische Autor. Aber ist international schon. Bestseller. Er sehr - was ist używać in Deutsch?"

"Benützen."

"Er benützen sehr schwere Wörter. Ich erste Mal lesen mit siebzehn. Verstehe kein Wort. Ich denken, gut, noch einmal. Und ich lesen sechs tome, sechs Buch mit encyklopedia. Und ich sagen zu Kunde, diese Buch von Waldemar Łysiak. Und er: Was, Prostitut lesen Łysiak!"

Der Fahrer nickte. Sie holte fünf Kreditkartenformulare aus ihrer Handtasche und gab sie ihm. Er blätterte sie in der rechten Hand auf wie ein Kartenspiel und kontrollierte die Zahlen. Eines lautete auf 440,- Euro, die vier anderen jeweils auf 110,-. Er legte die Formulare ins Handschuhfach. Aus der Jackentasche holte er vier Hunderter, schaltete mit der Hand, die die Scheine hielt, von der Zweiten in die Dritte, dann hielt er ihr die Scheine hin. Er fand noch zwei Zehner, steckte einen wieder zurück und gab ihr den anderen.

"Danke", sagte Juliette.

Sie zählte mit sichtlicher Befriedigung die Geldscheine, glättete sie, und verstaute sie in ihrer Börse. Sie öffnete die Börse noch einmal und zählte, ohne die Scheine ganz aus der Börse herauszunehmen, den Inhalt, vielleicht acht oder neun Hunderter. Dann schloss sie die Börse, verstaute sie in der Handtasche und machte die Augen zu. Sie fuhren eine Weile schweigend.

"Hoffentlich kannst du ein bisschen schlafen", sagte der Fahrer, als er vor ihrem Haus hielt.

"Ja", sagte sie.

Sie stieg aus, warf die Wagentür zu und schob das schwere Haustor auf. Er schaute ihr nach. Bevor sie ganz verschwunden war, drehte sie doch noch einmal den Kopf zu ihm und lächelt kurz. Er nickte ihr zu. Als sie endgültig weg war, schaute er noch ein paar Sekunden das geschlossene Tor an. Sehnsüchtig und hoffnungslos. Dann holte er den Tageszettel und die Kreditkartenformulare aus dem Handschuhfach und trug die Summen ein.

Der Fahrer fuhr los, telefonierte, fuhr vom sechzehnten in den zehnten Bezirk. Das Mädchen, das er abholte, kam mit dem schwerfälligen Gang einer Dienstmagd daher. Ein liebes Mädel, blond, schon ein bisschen schlaff und füllig, mit großen Brüsten. Sie trug braune Hosen mit Bügelfalten, dazu niedrige Pumps. Der Fahrer machte ihr von innen die Tür auf. Sie lächelte ihn freundlich und müde an.

"Wie geht’s?"

"Danke, geht so."

Er fuhr los. Sie saß schlaff, mit hängenden Schultern neben ihm.

"Wo ist diese Job?"

"Nicht weit. Hier im Zehnten. Wie geht’s deinen Meerschweinchen?"

Sie klappte ihre Geldbörse auf. Da, wo andere ein Foto ihres Liebsten haben, hatte sie welche von ihren Meerschweinchen.

"Hab ich neue Foto, schau. Eine ist kastriert, der arme. Aber trotzdem zwei ist schon wieder schwanger. Ich weiß nicht wie. Er schnell vorher noch bummbummbumm!"

"Na ja, wenigstens einmal im Leben!"

Hinter dem Foto von den Meerschweinchen kam das Foto von einem schlanken, grauhaarigen Mann zum Vorschein.

"Meine Freund! Er schon alt. Aber meine Meerschweinchen sind meine liebste."

"Lieber als der Freund?"

Sie lächelte verlegen: "Na ja, halb halb!"

Er hielt an.

"Da. Türnummer 18."

Sie ging zur Eingangstür, läutete an, sagte etwas in die Gegensprechanlage, ging hinein. Der Fahrer wartete. Ein junger Mann auf einem Elektroscooter führte seinen Hund Gassi. Das Handy des Fahrers läutete.

"Ja Paulette?"

"Eine Stunde!"

"Danke! Bis später."

Er drückte die Agentur-Taste. "Paulette eine Stunde."

Dann suchte er sich ein Cafe mit Schanigarten. Er bestellte eine Melange, und während er sie langsam trank, hörte er dem Gast am Nebentisch zu, der der Kellnerin etwas erzählte.

"I schlaf auf der Couch, mit an Polster drüber. Ich muss da sagen, dass ich sehr gut schlaf mit hochgelagerte Füße. I hab eh gwart’, dass s’ ma des Angebot macht. Wanns ma des gmacht hätt, hätt i ihr gsagt, i tua alls für di, aber des tua i da net an. I hätt’s eh ausg’schlagen, aber i hätt g’wusst, dass i ihr was wert bin. So muass i mi halt abfinden."

Die Kellnerin stand daneben, wischte mit ihrem Hangerl an einem Glas herum und schaute in die Ferne. "Ja, ja, die Luise", sagte sie.

Das Handy des Fahrers klingelte.

"Oje, ich kenne diese Mann", sagte Paulette. "Dauert wieder fünf Stunden und kann nicht. Kokain! Ich habe diese Job schon bis hier!

"Wie lange bist du denn schon da?"

"Seit Jänner. Vorher ich war in eine Bar in Wels. Aber da war nix los. Und dann in eine Bar in Innsbruck. Das war große Bar mit vierzig Mädchen und immer voll. Dort ist, wie sagt man, Varieté mit Zauber und Jonglier und alles. Und in die eine Bar, eine Stunde ist 280,-. Und 180,- für mich."

"Und warum bist du weg?"

"Na, muss man immer trinken, ganze Nacht sitzen, kann man nicht weggehen. Sitzen, trinken, rauchen. Hier ist besser."

"Und wie lange willst du den Job noch machen?"

"Bis ich habe Wohnung."

"Und wo willst du dann wohnen?"

"In Slowakei. Jetzt ich bin reich. In Slowakei für 100 Euro ich habe gearbeit eine Monat."

"Was hast du gemacht?"

"Ich war Verkäuferin. Aber ich habe gemacht alles: Ich habe gemacht Faktura, ich habe gemacht putzen. Und dann ich habe gehabt Streit mit Chef. Ich bin so: Was ich denke, ich sage. Ich bin nicht so: Hi hi hi, wenn in Wahrheit will umbringt diese Mann. In Slowakei kann haben drei Wochen Urlaub, vielleicht vier Wochen, ich weiß nicht. Ich sagen: Will Urlaub. Chef sagen: Du Urlaub wann ich will. Na, nächste Tag ich nicht kommen. Scheise. Und Montag kommen meine Bruder, ich geben Geld für Familie. Ich schicken Geld mit Bank, auch ist teuer. So ich gebe meine Bruder."

"Du gibst deiner Familie Geld?"

"Ja. Mein Mama, auch sie arbeit, 170 Euro in Monat. Muss zahlen Miete 70 Euro, und wo ist Strom, wo ist Wasser, wo ist alles andere? Ich geben Geld für Wohnung, geben Geld für Essen. Meine kleine Bruder ist fünfzehn, gehen noch Schule. Meine große Bruder nix arbeit. Na warum, für diese Scheisegeld! Ich gebe Geld, ich bin Mama."

Der Fahrer nickte.

"Schau: Das schöne Hund. Rottweiler. Aber gefährlich."

"Na ja. Kommt darauf an, wie man ihn trainiert."

"In Slowakei, gibt’s viele Rassist, Skinhead, mit Rottweiler, Pittbull, solche, und trainieren: musst beißt Zigeuner, Schwarze..."

Sie beugte den Kopf tief in den Schoß und lachte verlegen, schüttelte dabei den Kopf.

"Und wie viel hast du gespart?"

"Für halbe Wohnung!"

"Also noch ein halbes Jahr!"

Sie seufzte. "Ich habe Freund und ich liebe ihn, da ist schwer machen diese Job.

"Weiß er, was du machst?"

"Ja. Und ist für ihn auch schwer. Er arbeiten auf Schiff."

"Als Kellner, Steward?"

"Nein, er machen Schiff. Ist große..."

"Fabrik? Werft?"

"Ja, Maier-Werft, deutsch-holländische Grenze."

"Da seht ihr euch nicht oft!"

"Alle drei Monat. Aber jeden Tag telefonieren! Ist nicht schwer, machen diese Job. Aber für Psychik ist schwer. Und immer Angst. Angst vor Polizei. Alles. Meine Herz ist so:"

Sie deutete mit zwei Fingern an, wie klein ihr Herz war.

"Weißt du, meine Meerschweinchen, ich bringe zu Tierarzt, und Tierarzt: Was ist, zwei Jahre, drei Jahre? – Nein! Ist drei Monate! Aber so groß, ein und halb Kilo!"

"Gut gefüttert, was?"

"Ja. - Wenn ich habe andere Leben, ich möchte sein eine Meerschweinchen. Aber bei eine so gute Mensch wie ich."

*

Der Fahrer fuhr langsam durch die verlassene sommerliche Arsenalstraße. Im Vorbeifahren betrachtete er die Asphaltvegetation, die in der Mittagshitze welkte. Löwenzahn, gelbe Schliefhanseln, Wunderbäume. Sein Handy läutete.

"Ja?"

"Kannst mir die Lilli abholen, bitte. In den Dreizehnten, St. Veitgasse 14, bei Dreher läuten."

"Hat sich die Lili ang’meldet bei dir?" sagte er. Sein Tonfall war erstaunt.

"Ja."

"Und was hat’s g’sagt?"

"Dass alles wieder in Ordnung ist."

"Nix is in Ordnung", schrie er. "Himmelherrgott! Die is ja sowas von blöd. Die darf drei Wochen keinen Sex haben!"

"Ich weiß."

"Und du weißt auch warum?"

"Ja."

"Na und?"

"Ich hab sie fünf Mal auf Rumänisch gefragt, ob sie okay ist. Sie hat gesagt, ja. Bitte, da will ich nicht den Moralapostel spielen."

Der Fahrer nahm kurz den Apparat vom Ohr, überlegte.

"Na schön, ich fahr hin."

Er legte auf, schaltete, stieg wütend aufs Gas. Dann fing er sich.

"I’ll be there in five minutes!" kündigte er sich wie gewöhnlich an. Lilli kam aus dem Haus. 18 Jahre, dunkle lange Haare bis auf den Rücken, schlank und langbeinig. Ihre Augen hatten einen leicht asiatischen Schnitt, ihre Lippen waren pink geschminkt, passend zu dem pinkfarbenen Top, das sich eng an ihre kleinen festen Brüste schmiegte, bauchfrei natürlich, dazu weiße Jeans und 12 Zentimeter hohe Stöckelschuhe aus durchsichtigem Plastik.

"Hi, ce faci? Bine?" sagte sie munter.

"No, not bine!" sagte der Fahrer finster.

"Why?"

"Because you are working and you know you cannot work!"

"Is okay."

"No, it’s not okay. You have had an abortion, you are ill, understand? Inside, everything is still open. You can get an infection! You understand infection?"

"No, no", jammerte Lilli, jaulend wie ein kleines Kind. "I work! Is not good, stay home three weeks!"

"Lilli, you cannot work!"

"But only blasen!"

Der Fahrer riss den Wagen wütend herum, fuhr in eine Nebenfahrbahn und hielt an.

"It is not possible. The client don’t know you can only give a blowjob. What if the client wants to fuck?"

"No, not ficken. Only blasen!"

"There is no job with only blasen. This is a normal job. You cannot do this."

Er drückte die Agenturtaste.

"Is die Chefin schon da?"

"Nein."

"Na gut, danke."

Er suchte im Verzeichnis des Handys. Die Chefin meldete sich gleich.

"Ja hallo, servus" sagte sie gemütlich, "was kann ich für dich tun?"

"Jolanta, würdest du ein Mädchen auf Job schicken, das vorgestern eine Abtreibung gehabt hat?"

"Hör mal, die Jacqueline hat sie fünfmal auf Rumänisch gefragt, ob sie arbeiten kann!"

"Ja, aber das Mädel ist doch deppert! Die weiß ja nicht, was sie macht. Sie glaubt, sie kann das irgendwie auf Blasen hinbiegen. Aber wenn der Kunde ficken will, sie kann das doch gar nicht händeln."

"Schau ich hab auch abgetrieben und am nächsten Tag hab ich gearbeitet."

"Pass auf, die Ärztin hat ausdrücklich gesagt, drei Wochen kein Sex. Ich bin daneben gstanden. Sie darf drei Wochen nichts in ihre Muschi kriegen, kein Tampon, kein Badewasser und schon gar keinen Schwanz! Soll ich dir das Merkblatt vorbeibringen?"

"Horch zu, du bist keine Frau! Und das war ja auch keine Abtreibung, das war eine Absaugung."

"Naa, ich bin keine Frau, aber auch bei einer Absaugung, der Uterus ist einfach gereizt und offen für Infektionen. Des kann ma einfach net machen, und sie versteht des net. Sie is doch ein Kind. Es muss nix passieren, aber es kann was passieren. Und wenn was passiert, wenn sie eine Entzündung kriegt, kann sie vielleicht ihr Leben lang keine Kinder kriegen."

"Das sind Übertreibungen!"

"Hast du jemals ohne Gummi gearbeitet?"

"Na nie!" Das kam mit Überzeugung.

"Aber die Madeln lasst du ohne Gummi arbeiten."

"Nur wenn sie wollen, ich zwing keine."

"Aber du kannst mir nicht einreden, dass eine, die zu blöd ist, dass sie die Pille nimmt, wenn sie ohne fickt, dass die weiß, was sie macht. Ich sag dir was, ich bring sie nicht zum Job, schick den Miroslaw oder den Gerd oder den Mirko, mir wurscht, und wenn s’d mich rausschmeißt, kann ich auch nix machen."

"Na gut, Papa, schick ma halt die Betsy."

"Ich dank dir, Jolanta."

Er wandte sich zu Lilli, die verschüchtert auf dem Beifahrersitz hockte.

"Now she sends Betsy to the job" sagte er grob. "Do you know what that means? Betsy also fucks without! This is not even a normal Job, this is a damn Ohne-Job! She wants you to go ficken ohne Gummi, and you have had an abortion three days ago!"

"Betsy has the job? Not me? Is no good! No job, no money!"

"I take you home now! Why do you think I take you to the hospital? Why do you think I spend three days to get you an abortion? Just to see you ruin your health after all?"

Er startete den Wagen, fuhr los.

"No job is no good!" jaulte das Mädchen.

"Go home to Romania, take a holiday, after that you come back and make a lot of money!"

"Is no goood!"

"And tell your boyfriend: if you get sick, you cannot make money for him. And tell him: if he sends you to work, I come and kill him!"

"Is not my boyfriend, is my brother!"

"Is not your brother. Is your peşte, your fish, your Scheiß-Zuhälter!"

*

Eine halbe Stunde später hatte der Fahrer ein zierliches schwarzlockiges Mädchen mit großen dunklen Augen und feuchten, sinnlichen Lippen neben sich sitzen. Er fuhr die Ringstraße entlang auf das Hotel Imperial zu. Ein Mercedes überholte seinen Wagen und zwängte sich

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Martin Auer
Bildmaterialien: Magdalena Steiner
Tag der Veröffentlichung: 21.10.2013
ISBN: 978-3-7309-5669-4

Alle Rechte vorbehalten

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