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Leseprobe

© 2015 Vivian Tan Ai Hua

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Coverdesign: Vivian Tan Ai Hua

Bildmaterial: © Levente Janos (29356016) - Fotolia.com, © POP print on paper (1037325227), © Badges: starsunflowerstudio.blogspot.com

 

Prolog

In gewisser Weise kannten sich alle drei Personen im Raum sehr gut. Das beschreibt die Sachlage einerseits ganz gut und in anderer Hinsicht überhaupt nicht. Zum einen war eine der Personen davon überzeugt, dass sich nur zwei Menschen im Raum aufhalten würden, und auch wenn sich diese beiden Menschen schon über 20 Jahre kannten und wöchentlich sahen, so waren sie doch keine Freunde, die bei einer Tasse Tee die Erlebnisse der letzten Tage beklönten.

Und wer war der dritte im Bunde? Nun, dieser war scheinbar ein kleiner Junge, der sich offenbar mit einem weißen Bettlaken und einem zerdrückten Lorbeerkranz verkleidet hatte. Vielleicht hatte er den einen oder anderen Asterix-Comic zu viel gelesen und war ein Cäsar-Fan?

Wohl eher nicht. Denn wenn man genauer hinsah, dann erkannte man auf dem Rücken des pausbäckigen Jungen kleine, weiße Flügel. Lassen wir das einfach mal so im Raum stehen.

Der kleine Engel – wir lassen auch das einfach so im Raum stehen – blickte zu den beiden anderen, die an dem großen Schreibtisch saßen. Hinter dem Tisch, zurückgelehnt mit einem Block in der Hand, saß ein etwa 60jähriger Mann, mit gestutztem, weißem Bart und professionellem Blick, den er der jungen Frau sich gegenüber widmete. Natürlich tat er das, denn er war derjenige, der überzeugt war, dass er sich allein mit der Frau in seinem Behandlungszimmer befand. Auch wenn er sich gewissermaßen des Geistes des kleinen Jungen jederzeit bewusst war, wenn er sich mit der jungen Frau befasste.

„Nun Emma, beim letzten Mal erzählten Sie mir, dass Sie etwas niedergeschlagen wären. Ist das immer noch so?“

„Naja, total zufrieden bin ich jedenfalls nicht“, entgegnete die junge, fast mädchenhafte Frau, die erstaunlich entspannt dasaß. Erstaunlich deshalb, weil sie sich in einem Ärztezimmer befand, und vor allem, weil sie in einem Wassily saß oder, wie man diese Unart von Stuhl auch feiernd genannt hatte, Stahlrohrsessel B 3. Seit frühster Kindheit hatte Emma diesen Stuhl gehasst, weshalb sie vielleicht auch keinen Blick für die Art des Designs hatte. Welcher Mensch hat mal versucht eine Stunde auf diesem Stuhl zu sitzen und fand es gut? Das hatte sie sich schon oft gefragt. Aber nach über 20 Jahren hatte sie gelernt es sich gemütlich zu machen. Und auch wenn sie nicht so weit gehen würde zu sagen, dass sie Prof. Dr. Bierbaum lieben gelernt hätte, so war er doch ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens geworden. Ersteres hätte er auch gar nicht gut gefunden. Oder besser gesagt, er hätte sofort notiert, dass seine Patientin in ihm eine neue Projektionsfläche gefunden hatte. Und das wollte Emma lieber nicht. In der Bierbaum-Waffelschadensskala hatte sie sowieso schon einen zu hohen Wert, da war sie sich sicher.

Ihre Antwort hatte mal wieder dazu geführt, dass der Psychiater sich Notizen machte. Sie ließ ihm Zeit und hing ihren eigenen Gedanken nach. Auf dem Sofa seufzte der kleine Engel. Emma ignorierte es und der Psychiater hörte es nicht.

„Warum glauben Sie, dass Sie der ganzen Geschichte so nachhängen?“

Sie pustete die Luft aus, sodass der Pony ihres hellbraunen Pixihaarschnitts aus ihrer Stirn schwang. „Na zum einen war da ein Mann, den ich äußerst attraktiv fand und der scheinbar Interesse an mir hatte, dessen Interesse sich dann aber nicht nur abkühlte, sondern der Braut zuwandte, deren Hochzeit ich über die Bühne bringen musste. Und das bringt uns dann gleich zum anderen, ich war verantwortlich dafür ein riesiges Hochzeitsdesaster zu einem halbwegs glücklichen Ende zu bringen“, antwortete sie.

Wieder eifrige Schreibgeräusche hinter dem Tisch, was wieder ein Seufzen vom Sofa kommend auslöste.

„Aha, Sie waren also dafür verantwortlich das Ganze zu einem Erfolg zu bringen.“

„Tja, Erfolg … Ich würde eher sagen, dass ich den Schlamassel entwirren musste damit es halbwegs glücklich über die Bühne ging. Ich meine, das war ja nicht nur eine Feierlichkeit, sondern da stand eine glückliche Beziehung auf dem Spiel“, nahm Emma den Faden wieder auf.

Verstehend brummte Prof. Dr. Bierbaum und fragte dann weiter. „Sie fühlten sich also schuldig?“

„Na, das nicht, aber ich musste schon zusehen alles wieder in Ordnung zu bringen.“

„Er sieht dir wieder an, dass du dich schuldig fühlst für Sachen, für die du nicht kannst, warte es ab“, prophezeite der kleine Engel. Worauf erneut keiner der beiden einging.

Jetzt lehnte sich der Psychiater vor, legte den Block zur Seite und seine Handflächen aneinander und fasste Emma wieder ins Auge.

„Emma, Sie verfallen immer wieder in alte Verhaltensmuster.“

„Habe ich es nicht gesagt?“, fragte der Engel und sah zur Decke hinauf, denn diese gab ihm mehr Rückmeldung als das Paar am Tisch.

„Früher mussten sie die Fehler von Raffael ausbügeln. Heute sind Sie zwar Ihrem imaginären Freund nahezu entwachsen, aber Sie fühlen sich immer noch für alles verantwortlich.“

Auf dem Sofa kicherte der kleine Engel, als er sich in die Kissen fläzte. Emma konnte sich einen kleinen Blick zu ihm nicht verkneifen. Nicht unbemerkt vom Psychiater. Er runzelte die Stirn.

„Sagen Sie mal, ist Ihnen Raffael wieder erschienen? Ist er …“, er suchte nach dem richtigen Wort, „zurückgekehrt?“

Emma schüttelte entschieden den Kopf und antwortete dann. „Nein, er ist schon lange nicht mehr zurückgekommen.“ Sie legte ihre Hände in den Schoß und sah ihn ganz offen an.

„Eigentlich denke ich ja immer, dass du eine miserable Lügnerin bist, aber im Wahrheiten verdrehen bist du wirklich aller erste Sahne“, lobte sie der Engel vom Sofa her.

Ja, sie hatte nicht gelogen, denn ihr sogenannter imaginärer Freund, weswegen sie schon als achtjährige in Behandlung gekommen war, war nie zurückgekehrt, da er sie seit ihrem vierten Lebensjahr nie länger als einen Tag allein gelassen hatte. Damit sie allerdings nicht in die Psychiatrie eingewiesen wurde, hatte Emma schon früh gelernt sich die Anwesenheit dieses Freundes nicht anmerken zu lassen. Die Male, in denen sie es nicht hatte verbergen können, hatten sich viele Menschen große Sorgen gemacht, weshalb Prof. Dr. Bierbaum für sie schon so sehr Teil ihres Lebens war, wie es der kleine Engel mit Namen Raffael und ihr Vater waren. So hatte der Engel auf dem Sofa diese drei schließlich als „Emmas Dreifaltigkeit“ benannt.

„Nun gut, das ist doch ein Fortschritt, kein Raffael“, wollte der Psychiater ihr glauben.

„Fortschritt!“, schnaubte Rafy.

Warum sind Sie dann nicht zufrieden? Die Hochzeit fand statt, das Paar ist nach Ihrer Aussage glücklich, auch noch nach einigen Monaten. Und was ich als sehr großen Fortschritt ansehe, Sie haben Interesse an einem Mann gezeigt. Sie öffnen sich also der Vorstellung einer Beziehung.“

„Ähm ja, aber der Mann will nichts von mir. Ich weiß ja nicht, wie lange Ihre Datingzeit zurückliegt, aber in meiner Welt ist ein Typ, der eben noch mit einem flirtet, um sich dann an den Hals einer anderen Frau zu werfen, nicht gerade eine Kerbe in meinem Bettpfosten wert.“

Er ging nicht wirklich auf ihre Erwiderung ein. „Wie lange ist Ihre letzte Beziehung her?“

„Das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich“, antwortete sie, um dann aber noch hinzuzufügen, „also Ben dürfte sich schon vor zwei Jahren von mir verabschiedet haben.“

„Ich denke, dass Sie vielleicht diesen Mann abgeschreckt haben könnten, sodass er sich einer anderen Frau zuwenden musste.“

Emma öffnete kurz den Mund zu einer Erwiderung, aber ihr schien nichts Passendes darauf einzufallen, sodass sie den Mund wieder schloss.

Der Psychiater fuhr fort. „Das ist nicht so schlimm. Vielmehr bin ich überzeugt, dass es so sogar viel besser für uns gelaufen ist. Sie haben einen Zeh ins Wasser gestreckt und sind nicht untergegangen. Vielmehr haben sie anstatt einer unglücklichen Liebesbeziehung eine vielversprechende Beziehung aufgenommen.“

Kurz sah ihn Emma immer noch wie ein kaputtes Auto an, während im Hintergrund der Engel fast irre kicherte. „Spielen sie auf Lizy an?“

Der Psychiater nickte. „Ich finde, dass Sie wirklich große Fortschritte machen. Sie haben jetzt eine Freundin, die nicht weit weg wohnt oder imaginär ist. Das geht in die richtige Richtung. Jetzt müssen wir noch daran arbeiten, dass Sie sich nicht immer für alles verantwortlich fühlen. Wenn wir das besser in den Griff bekommen könnten, ist die Gefahr, dass Sie Raffael benötigen, viel kleiner.“

„Hört, hört“, murmelte die junge Frau und vom Sofa kam ein „Quatsch!“ her.

Kapitel 1: Rosen haben Dornen

Nach der Sitzung mit meinem Psychiater fuhr ich mit meinem rostigen Twingo weiter zu einem Café. Neben mir saß Rafy und analysierte die letzte Stunde.

„Weißt du, vom Spannungsbogen stagniert deine Krankheitsgeschichte etwas.“

„Ach wirklich, dabei findet doch Prof. Dr. Bierbaum, dass ich große Fortschritte mache. Ich entledige mich meinem imaginären Freund.“

„Ja, wo ist denn da der Spannungsbogen, frage ich dich?“, entrüstete sich mein geflügelter Freund. „Keiner will, dass die spannendste Figur, die Hauptfigur verschwindet!“

„Nur, dass meine geistige Gesundheit kein Film oder Roman über einen kleinen Cupido ist“, wandte ich ein, während ich rechts einfädelte.

„Natürlich ist es das, seit 25 Jahren sind wir doch ein großartiges Team, wie Sherlock und Watson, wie die Coenbrüder, wie Hill und Spencer, wie …“

„Ernie und Bert“, unterbrach ich ihn.

„Na, die hätte ich jetzt nicht genannt, aber ja. Ich bin der Star und du bist der wundervolle Sidekick.“

„Oh oh, pass bloß auf, dass zu meinen ganzen Dachschäden nicht auch noch der Minderwertigkeitskomplex kommt.“

„Nee, vielmehr habe ich dir eine göttliche Aufgabe gegeben, wenn das keinen Sinn im Leben gibt, dann weiß ich nicht weiter.“

„Weißt du, dein Boss und ich, wir haben es nicht so miteinander.“

Der kleine Engel neben mir musterte mich, für seine Verhältnisse sehr ernst. „Weißt du, das habe ich nie so richtig verstanden. Du glaubst an mich, das mit der Göttlichkeit ist also kein Problem. Aber trotzdem hast du es nicht so mit dem Boss.“

Ich zog kurz eine Grimasse. Das Thema war nicht gerade leicht für mich. „Ich glaube ja auch an ihn. Ich sehe dich, ich weiß was dein Auftrag ist und ich bin auch voll dabei. Ich meine, was sollte ich dagegen haben, dass man Paaren dabei hilft sich zu finden oder sich füreinander zu entscheiden? Aber ansonsten weiß ich nicht sonderlich, was ich von der Arbeit deines Herrn halten soll. Ich verstehe das Ganze einfach nicht, oder ich bin nicht ganz einverstanden. Und somit bin ich mir zwar sicher, dass es ihn gibt, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles gutheißen kann.“

„Gotteswege sind…“, wollte er reklamieren, aber ich unterbrach ihn: „Ach halt die Klappe!“

 

Ich war erstaunt, dass im Café schon Lizy saß. Bisher war sie nie pünktlich gewesen. Ich kannte sie gerade mal drei, vier Monate, jedoch schon vom ersten Blick auf die dralle, rothaarige Schönheit war mir klar, dass man sofort von ihr verzaubert wurde. Aber nicht auf die zarte Art, also kein feiner Funkenregen mit leichter Brise, es fegte vielmehr ein gewaltiger Orkan über einen hinweg. Und wenn man diesen halbwegs unbeschadet überlebt hatte und vor lauter Adrenalin erstaunlicherweise unbedingt nochmal das gerade Erlebte haben wollte, raste dann Max genau auf einen zu. Denn nicht nur Lizy war eine Naturgewalt, sondern auch ihr kleiner Sohn, den sie allein aufzog. Wie sie selbst zu sagen pflegte, es war zwar keine unbefleckte Empfängnis gewesen, aber der Kindsvater war so schnell auch wieder aus ihrem Leben verschwunden, dass sie noch gar nicht gewusst hatte, dass Max im Anflug war, sodass er zwar nicht der Heilige Geist, aber zumindest geistähnlich war.

Nicht nur ich liebte Lizy, sondern auch mein kleiner Mitbewohner. Sie konnte ihn, wie der Rest der Welt, zwar nicht sehen, aber für Rafy gehörte sie eindeutig zu seinem Freundeskreis. Er liebte alles an ihr.

Während wir uns zur Begrüßung umarmten, hatte Lizy nicht nur ihre Jacke vom Stuhl gestoßen, sondern sich auch so in ihren Schal verwickelt, dass ich erstmal ihre langen, roten Locken aus den Schalschlaufen entwirren musste und dann ihren Absatz aus einer Masche, sodass sie nicht gleich auch den ganzen Bistrotisch zu Fall brachte. Rafy klatschte dazu begeistert in seine kleinen Patschehände. Er wusste einen unverfänglichen Aufruhr immer zu schätzen.

„Huch, wie konnte mir das denn passieren?“, fragte sie, allerdings eher aus Gewohnheit, als dass sie sich wirklich wunderte. Und ließ sich einfach wieder auf ihren Stuhl fallen, in der Sicherheit, dass ich ihr Chaos schon irgendwie bändigen würde. Als ich mich endlich gesetzt hatte und mir ebenfalls einen Kaffee und auf Geheiß von Rafy auch ein Stück Kuchen bestellt hatte, blickte ich mich befürchtend um.

„Wo ist denn Max?“, wagte ich zu fragen.

Woraufhin sie gleich glucksend lachte. „Du hast Glück, der ist noch im Kindergarten.“ Sie deutete auf das Haus gleich in der Straße gegenüber. „Darum treffen wir uns auch hier. Dann muss ich mich nicht abhetzen, wenn ich ihn abhole. Und wir haben genug Zeit, um bei Kaffee und Kuchen zu klönen.“

Ich versuchte erst gar nicht meine Erleichterung zu verbergen. Lizy liebte Max, aber sie fand ja selber, dass er ein Monster war. Ein süßes zwar, aber unbestreitbar ein Monster.

„Ich bete jeden Tag, dass die im Kindergarten ihn wirklich wieder nehmen und sich die Erzieher nicht etwa weigern oder gar sich die Eltern und Kinder beschweren. Aber bisher“, sie klopfte auf das Holz der Tischplatte, „sagen sie zwar, dass er wild ist, aber sie mögen ihn. Er ist wirklich sehr beliebt. Und deshalb lässt man ihn wohl auch das eine oder andere durchgehen. Wie meine Mutter schon immer sagte, versuche möglichst charmant durch das Leben anderer zu trampeln. Das könnte sozusagen unser Familienleitspruch sein.“

Ich warf einen Blick zu dem Kindergartengebäude und erwartete jederzeit, dass sowas wie eine Explosion das Haus dem Erdboden gleich machen und das ganze Viertel erschüttern würde. Doch noch sah alles ruhig aus. Raureif zierte die kahlen Winterbäume und Sträucher. Und der Himmel war klar eisblau. Der Winter hatte sich breit gemacht und ich hatte bisher diese Zeit ausgiebig bei Tee und guten Büchern in meinem Lieblingssessel verbracht, während Rafy sich durch die Serie „Heroes“ guckte. Nur hin und wieder wurde ich von der Arbeit an meinem Blog „Wedding Bells“ abgelenkt, denn ich hatte derzeitig keine Hochzeit, die ich vorbereiten musste. Das sollte sich jetzt allerdings ändern. Lizy brachte mir Arbeit.

„Na dann hoffe ich, dass Sarah und Erik nicht direkt mit dir verwandt sind. Ich kann mich gar nicht wirklich an die beiden erinnern.“

Sie winkte ab. „Keine Angst, die sind sogar nur entfernt bekannt mit mir. Und auch wenn sie auf der Hochzeit von Barbara und Felix waren, sollten sie dir kaum Schwierigkeiten machen.“

„Dein Wort in Gottes Ohren“, seufzte ich.

„Besser gesagt in Cupidos Ohren“, nuschelte Rafy, der sich gerade meinen Kuchen einverleibte und somit mit vollem Mund sprach. Die Hochzeit von besagtem Paar setzte mir immer noch zu. Nicht nur, dass ich beruflich da haarscharf an einer großen Katastrophe vorbeigeschlittert war, ich hatte auch etwas mein Herz verloren. Denn wie ich heute ja erst in der Sitzung mit meinem Psychiater erläutert hatte, richtig glücklich konnte man nicht sein, wenn der schönste Flirt seit zwei Jahren sich plötzlich Hals über Kopf in die Braut verliebt, dabei der beste Freund des Paares ist und auch noch der Trauzeuge der Hochzeit sein soll, die er gerade sabotiert. Und so war mein Flirt in dieser Geschichte in gewisser Weise mein Widersacher gewesen. Und das alles, weil sich der betrunkene Rafy verschossen hatte. Wer kann es mir da verdenken, dass ich mich nicht an alle Hochzeitsgäste erinnern konnte?

„Nachdem du mir gesagt hattest, dass da ein Paar auf der Hochzeit war, welches meine Dienste in Anspruch nehmen wolle, habe ich mir meine Fotos angeguckt. Er ist ziemlich ernst, nicht wahr?“

„Oh ja, total der Langweiler. Ich weiß nicht was Sarah von dem will. Sie ist nämlich eine ganz lustige“, platzte es aus Lizy hervor, die gerade das dritte Päckchen Zucker in ihren Milchkaffee rührte. „Manche sagen, sie heirate ihn des Geldes wegen, aber das glaube ich nicht. Er ist auf seine ernste Art attraktiv und er ist auch sehr erfolgreich. Das macht ja anziehend, auch wenn mir da eindeutig der Humor fehlen würde. Sarah ist entfernt mit Felix verwandt, also mütterlicherseits. Und Erik stößt somit erst in unseren Freundeskreis hinzu. Naja, bisher steht er dabei und guckt uns an, als wären wir nicht ganz sein Niveau. Und dann geht er auch öfter raus, weil er über sein Handy die Familienfirma leitet.“

„Bist du so giftig, weil du selbst gerne so einen Mann hättest?“, stichelte ich und wärmte mir die Finger an meiner Tasse.

Sie streckte mir kurzerhand die Zunge raus. „Nein, aber wenn du es wissen willst, habe ich ihm mal mit Bratensauce begossen. Und seine Mine war zur Salzsäule erstarrt und er sagte nur, dass das nicht schlimm wäre, das ließe sich sicherlich reinigen. So eine Frechheit!“

„Äh, was ist daran denn bitte eine Frechheit?“, wunderte ich mich, wobei ich es mir schon denken konnte.

„Ich habe das ja nicht absichtlich gemacht. Und dann sieht er mich an, als wäre ich etwas, was er unter einem Stein im Wald gefunden hat. Und dann regt der sich noch nicht mal auf, sondern geht einfach zur Tagesordnung über. Als wäre ich ein Insekt, welches man eben zur Seite wedeln kann.“

Ich konnte nicht mehr an mich halten und lachte frei auf. „Oh Lizy, wie soll man da denn auch bitte richtig reagieren. Nein, das laste ich Erik also jetzt nicht an.“

„Na, als ich dich mit Rotwein übergossen habe, haben wir uns auch noch nicht lange gekannt. Und du warst nicht nur gefasst, sondern hast sogar gelacht. Und das, obwohl du das Kleid noch den ganzen Tag anhaben musstet. Und außerdem kamen da noch die Schokokeksflecken von Max hinzu.“

Ich erinnerte mich genau an diesen Vorfall. „Das liegt nur daran, dass ich eben perfekt bin“, tat ich gespielt hochnäsig ab.

„Vielmehr, warst du total auf Glücksendorphinen, weil Henri da noch nicht in die Braut sich verguckt hatte, sondern sich allein um dich kümmerte“, warf Rafy ein. Und ich war glücklich, dass nur ich ihn hören konnte. Ich ließ mir natürlich nicht anmerken, dass noch ein kleiner Engel mit uns am Tisch saß, wenn man mal davon absah, dass meine Wangen verdächtig rot wurden.

Lizy lachte auf, als sie mich ansah. „Du warst ja nicht nur durch mich verzaubert, sondern sahst alles durch eine rosa Brille, weil Henri da war“, erinnerte sie sich.

„Ja, alle Welt kann sich auf meine Kosten lustig machen. Der Mann, für den ich mich interessiert habe, hat mich angeflirtet und sich dann doch lieber einer anderen zugewandt“, grummelte ich.

Lizy drückte kurz aber herzlich meine Hand. „Das lag ganz sicher nicht an dir, denn ihr saht zusammen wirklich sehr süß aus. Bei Hochzeiten drehen offenbar wirklich öfter Menschen total durch, auch wenn ich es nicht für möglich gehalten hätte, dass das gerade Henri passiert. Apropos Henri, ich sehe ihn jetzt wieder häufiger, nachdem er sich im ersten Monat nach der Trauung eher rar gemacht hat, wirkt wieder alles wie früher. Als wäre das alles nur ein böser Spuk gewesen. Er und Barbara können sogar wieder ganz unverkrampft miteinander umgehen und von ihr weiß ich auch, dass Felix und Henri einfach wie bisher beste Freunde sind, wenn man mal davon absieht, dass sie tausende Kilometer trennen und sie so auf Skype zusammen ihre Freizeit verbringen“, erzählte sie mir.

„Das freut mich“, sagte ich und auch wenn ich es tatsächlich auch so fühlte, machte mich das ganze etwas schwermütig. Kurz sah Lizy so aus, als würde sie noch etwas zu dem Thema sagen wollen, aber dann wechselte sie doch das Thema.

„Zurück zu Sarah und ihrem Eiszapfen von Verlobten. Also sie hatten ja schon mal bei dir angefragt, aber dann wollten doch Sarah und die Großmutter von Erik das ganze planen. Aber jetzt kriegen sie natürlich doch Panik, dass das alles etwas zu viel für sie ist. Vor allem, weil die Großmutter wohl gerade etwas schwächelt.“

„Oha, die kippt nachher tot bei der Trauung um“, kommentierte Rafy und klaubte gerade mit seinen Fingern die letzten Krümel von meinem Teller. Nicht gerade sehr gefühlvoll, aber ich hatte etwas ganz ähnliches gedacht.

„Nichts ernstes, hoffe ich“, wandte ich zaghaft ein.

„Nee, sie merkt wohl einfach, dass sie nicht mehr die jüngste ist und sie die Planung sowie die Verköstigung, Unterbringung aller Gäste, sowie Ausrichtung einer Trauung zu Hause einen Hauch überfordert und ihre Schwiegerenkelin in spe zwar sehr lieb, aber nicht wirklich ein Organisationstalent ist.“

„Oh.“

Ja, ich weiß, nicht wirklich meine verbale Bestleistung, aber naja, Lizy lachte glucksend.

„Sie kocht selber?“, war das erste was mir dann einfiel.

„Oh ja, die Hochzeit soll auf dem eigenen Landsitz stattfinden. Sie haben zwar Servicekräfte dazu gebucht und, jetzt schnall dich an, sie haben eigenes Hauspersonal, welches tatkräftig zur Hand geht. So wurde mir das jedenfalls von Sarah versichert. Und weil ja auch nicht so viele Gäste kommen sollen, wollte man es kuschelig auf dem Familiensitz haben und somit eine weihnachtliche Hochzeit feiern. Einige der Gäste werden sogar die Feiertage danach auf dem Landsitz verbringen. Und Nona und ihre Dienerschar sind es gewohnt Gäste zu beherbergen. Und jetzt kommt das Beste, sie richten öfter Hochzeiten im eigenen Ballsaal aus. Damit hat sie lange den Familiensitz halbwegs zusammengehalten, so dass das Gebäude jetzt mit dem Geld von Erik wieder komplett im alten Glanz erstrahlen kann.“ Lizy schien sich die Worte auf der Zunge zergehen zu lassen.

„Ich richte eine adlige Hochzeit aus, zu Weihnachten, und habe weniger als einen Monat Zeit?“ Ich muss es sicherlich nicht betonen, dass mein Tonfall hingegen nicht zuckersüß war, sondern eher mit jedem Wort panischer wurde. Woraufhin nicht nur Lizy noch mehr lachte, sondern auch Rafy sich freudig auf die nackten Schenkel klopfte.

„Das wird ein Riesenspaß“, teilte er mir mit.

„Bitte sag mir, dass sie trotzdem schon viel geschafft haben“, bettelte ich sie an. „Und höre endlich auf zu lachen, man könnte meinen du magst mich nicht.“

Sie lachte natürlich weiter, aber als sie sich dann beruhigt hatte, fügte sie hinzu, immer noch breit grinsend: „Ach was, ich hänge ja sogar ein Stück weit mit drin. Ich helfe nämlich Karla mit den Blumen. Nicht, dass ich an die ran dürfte, aber ich habe mich bereit erklärt die Blumen auszuliefern. Denn ich habe an dem Wochenende frei und kann somit mir die Zeit nehmen stundenlang zu fahren, um Blumenbuketts auf einen abgelegenen Landsitz zu bringen. Ich werde mit Aufladen, Hinfahrt, Abladen und Rückfahrt fast einen ganzen Tag unterwegs sein.“ Sie ließ eine kurze Pause, um dann begeistert in die Hände zu klatschen. „Das wird so großartig! Ein Tag lang im Auto mit meiner Musik, ohne Max. Ich bin total begeistert und ich werde für die Fahrt bezahlt!“

Sie quietschte fast vor Glückseligkeit. Ich hingegen raufte mir fast meinen Pixihaarschnitt. „Ich weiß nicht, ob ich den Auftrag annehmen soll“, jammerte ich schon fast.

„Ach du kleine Elfe, du hast die Hochzeit von Barbara und Felix geschafft, dann schaffst du auch diese“, wiegelte Lizy ab.

Ich atmete tief durch. „Okay, dann siehe zu, dass ich die beiden schnell kennenlerne, um zu sehen, wie weit sie sind. Muss ich dazu auf diesen Landsitz fahren?“

„Nein, die beiden wohnen in der Stadt. Er ist Patentanwalt oder Firmenchef für ein Logistikunternehmen oder sowas und kann deshalb natürlich nicht auf dem Land wohnen, sondern hat auch noch eine schöne Stadtwohnung. Und Sarah ist oder war Stewardess, so genau weiß ich das nicht. Aber sie wohnen seit einem halben Jahr oder so schon zusammen und sie hat frei oder gekündigt oder was auch immer, um die Hochzeit zu planen. Ich glaube, sie wird jetzt sowas wie eine Highsocietydame, so jobmäßig.“

„Und du meintest, dass sie wirklich nett ist?“

„Oh ja, aber sie war ja bisher auch nicht Teil der Familie von Ruven“, wieder sagte sie das mit viel Genuss.

„Soll ich den Job wirklich annehmen?“ Ich atmete tief durch, sodass die lange Strähne meines Ponys aus meinem Gesicht gepustet wurde.

„Okay, gib mir ihre Nummer und ich mache den Termin aus, damit ich …“, sie quietschte schon vor Begeisterung und umarmte mich herzlich und gab mir sogar einen Kuss auf die Wange. „Das wird so lustig. Ich mag dir so gerne bei der Arbeit zugucken!“

„Warte es ab, erstmal gucke ich mir das Ganze an und dann entscheide ich, ob ich den Job annehme“, gab ich mich kühl gelassen.

„Ach das glaubst du doch selbst nicht“, tat auch Rafy ab, der gerade losflattern wollte, um sich noch etwas von der Kuchentheke zu stibitzen. Bei den Mengen, die er mopste, war ich immer wieder erstaunt, dass keiner etwas davon mitbekam. Es war etwas anderes, dass niemand sah, wie alles verschwand, aber man sollte doch meinen, dass man es merkt, dass Massen fehlen. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht immer ordentlich Trinkgeld zu geben. Auch wenn Rafy meinte, dass es sein gute Recht als Engel wäre alles zu nehmen, denn schließlich leiste er auch seinen Dienst an der Menschheit. Seine Worte, nicht meine.

„Ich habe doch schon den Job mit den Blumen angenommen, weil ich weiß, dass wir viel Spaß haben werden. Du kannst das doch nicht einer alleinerziehenden Single-Mama, die einen schweren Job als Altenpflegerin hat, abschlagen“, bettelte sie, wobei ich Siegesgewissheit in ihren grünen Augen sah.

„Wie gesagt, ich treffe mich ja mit ihnen. Aber sie hätten wirklich mal früher zu mir kommen können“, beschwerte ich mich, damit ich nicht zu sehr einknickte.

Kapitel 2: Der Funken will nicht überspringen

Wieder im Auto und auf dem Rückweg in das kleine Kaff, welches fast schon von der Großstadt geschluckt wurde, in dem ich fast mein ganzes Leben bisher verbracht hatte, überschlug sich Rafy fast vor Begeisterung.

„Das hört sich großartig an!“

„Ach ja?“, wagte ich zweifelnd zu fragen.

„Ja klar“, meinte wieder er, „hört sich doch gut an. Sie ist nett und wird sich schon keinen Idioten ausgesucht haben.“ Er saß neben mir auf dem Beifahrersitz, natürlich nicht angeschnallt. Das hatte er ja nicht nötig, auch wenn ich ein ungutes Gefühl dabei hatte. Aber naja, er konnte einfach nicht verunfallen, jedenfalls nicht ernsthaft. Mal eine Beule, aber das war es dann auch schon. Seine Füße lagen auf der Sitzfläche, er war wirklich nicht sonderlich groß. Er sah aus wie ein kleiner Junge, den man vielleicht gerade den Kindergarten hätte zumuten können.

„Also Lizy meinte, dass sie ihn vielleicht nur heiratet, weil er Geld hat“, wandte ich weiter ein.

„Ach was, ich spüre, dass es Arbeit für mich gibt. Ich muss meinen Pfeilsegen abgeben. Und ich spüre es in meinen Flügeln, das wird ein Paar welches meinen Segen auch so richtig nötig hat.“

„Na warten wir es ab. Lizy macht den Termin für uns klar und dann sehen wir weiter.“ Ich war tatsächlich nicht sehr scharf darauf wieder eine Hochzeit richtig mitausrichten zu müssen. Meine letzten Sachen waren nur Berichterstattungen gewesen. Mal zur Trauung, dann auch mal ein Interview mit einem Schneider für Herrenanzüge für die besondere Gelegenheit. Aber die letzte wirklich große Hochzeit war die von Felix und Barbara gewesen. Und die setzte mir immer noch zu.

Doch ich hatte die Arbeit als Hochzeitsbloggerin und Hochzeitsconsultant schließlich begonnen, um undercover Rafy bei seiner Arbeit zu helfen. Und das war nun mal Paare seinen Segen zu geben. Er war ein Putto, einer dieser kleinen Engel, die man häufig in Renaissancebildern und Barockstuckaturen in Kirchen sah. Wie er mich schon als Kind aufgeklärt hatte, hatte es sie schon in der Antike gegeben. Da wurden sie auf Relieffriesen dargestellt, aber es gab sie wohl auch schon vorher. Die Putti waren Genien, also ein abstrakter Begriff, der durch eine Figur dargestellt wurde, in Rafys Fall war es der der Liebe, genauer gesagt des Sichverliebens. Ich hatte ihn mit vier Jahren

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.11.2015
ISBN: 978-3-7396-2552-2

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