Die Revolutionierung der Malerei
Nicht nur in der aktuellen kunsthistorischen Bewertung wurde mit Einsetzen der künstlerischen Laufbahn Giotto di Bondones eine neue Ära der Malerei festgestellt, sondern auch durch seine Zeitgenossen und zeitlich ihm näherstehenden Kritikern.
Georgio Vasari formuliert in seinen Künstlerbiografien, die er in der Mitte des 16. Jahrhunderts auf die vor ihm gesammelten Künstlerbiografen des Lorenzo Ghibertis aufbaute, dass der Stern Giottos dem seines Meisters Cimabue überstrahlen würde. Und die beiden Dichter Dante und Boccaccio vermerkten, dass die Malerei Giottos die seiner Zeitgenossen übertrumpfte, sie sogar den Eindruck erwecke wirklicher als die Realität selber zu sein.
Sicherlich, in solchen Aussagen spiegeln sich alttradierte Künstlertopoi wieder, doch im Folgenden wird sich zeigen, dass tatsächlich mit Giottos Kunst eine neue Epoche eingeleitet wurde.
Giotto wies mit seiner Kunst auf die der Renaissance und wird somit auch der Proto-Renaissance zugeordnet, verkörpert sie mehr gesagt schlechthin.
Dabei ist über den Künstler selber wenig bekannt, trotzdem er schon zu seinen Lebzeiten zu Ruhm kam und sich bald um seine Person viele Mythen ranken sollten.
Schon sein Geburtsort, sowie die Zeit sind nicht bekannt, aber es wird um die 1270er Jahre in der Nähe von Florenz oder in Florenz selber gewesen sein. Nach einer Schilderung Giorgio Vasaris soll Cimabue Giotto als Hirtenjunge auf dem Land beim Weiden von Vieh angetroffen haben, wobei der junge Giotto im Staub naturgetreue Zeichnungen anfertigte, sodass Cimabue den Hirtenjungen als Lehrling aufnahm. Wieder eine Schilderung eines bekannten Künstlertopois, der seit der Antike überliefert wird.
Wirklich gesicherte Quellen, dass Cimabue der Meister Giottos war, gibt es nicht. Aber es liegt nahe, nicht nur in der Formensprache und der Weise wie Giotto sich an den Werken des Cimabue abarbeitete, sondern auch, weil sie an großen gemeinsamen Projekten arbeiteten und die Gewichtung der Werkverteilung auf eine Meister-Schüler-Beziehung deuten. Die Fresken in S. Franseco in Assisi, vor allem in der Oberkirche, die 1295 bis 1300 ausgeführt wurden, stellen das herausragendste Beispiel dafür dar.
Naheliegend ist auch, dass Giotto sich einige Zeit in Rom und Umgebung aufhielt, nicht nur seine Formsprache, die sich in entscheidender Weise von der Cimabues unterscheidet, lässt das vermuten, sondern auch einige Werke, die ihm zugesprochen wurden, wie es beispielsweise beim Stefaneschi-Triptychon der Fall ist, welches heute sich in der Sammlung der vatikanischen Pinakothek befindet und im Zeitraum zwischen 1320 und 1330 entstanden sein dürfte.
Zudem war er nicht nur als Maler, sondern auch als Architekt tätig tätig. Die Carraiabrücke in Florenz, die nach dem Zweiten Weltkrieg nur unvollständig restauriert wurde, wird nach einer Zuschreibung von Gioseffi als Bautätigkeit Giottos anerkannt, wobei sie erst nach seinem Tod 1337 fertiggestellt werden konnte.
Als gesichert gilt auch, dass Giotto im Jahre 1337, nach florentinischer Zeitrechnung noch 1336 im Januar starb. Er gilt als erster Künstler, dem ein Staatsbegräbnis bereitet wurde. Ein weiterer Hinweis auf die hohe Stellung, die ihm schon seine Zeitgenossen zugestanden haben. Zum Zeitpunkt soll er nach Antonio Pucci als Siebzigjähriger verstorben sein, sodass sein Geburtsjahr demnach errechnet wird und Pucci, ein Gelehrter des 14. Jahrhunderts mehr Glaube geschenkt wird als der Datierung neun Jahre später von Vasari.
Es ist also wenig gesichert bekannt, nicht nur was sich auf seine Lebensdaten erstreckt, sondern auch auf sein Werk. Außer der Fresken der Arenakapelle in Padua von 1303-05 ist kaum ein Werk deutlich ihm zuzuschreiben. Dazu kommt noch die Problematik der Händescheidung. Wenn ein Werk in die Nähe Giottos eingeordnet werden kann, klärt es noch lange nicht, ob es eigenhändig von ihm ausgeführt wurde, oder mithilfe seiner Werkstatt, oder aber ob er nur als Aufsicht seiner Werkstatt fungierte oder, als letzte Möglichkeit, das Werk einer seiner Schüler ausführte oder zumindest ein Künstler aus seiner näheren Umgebung der Ausführende war. Bei einer Beschäftigung mit Giottos Werk müssen heutige Künstlervorstellungen den damaligen Verhältnissen angepasst werden. Weiterführend gehören da auch Theorien zum Geniegedanken dazu.
Eine andere Problematik, die aus der Zuschreibung häufig resultiert, ist die der Datierung. Zieht man Fachliteratur aus den 1970er Jahren heran, wird man feststellen, dass die Datierungen heute gerne zu damals um 20 Jahre divergieren können. Dabei kann eine Zusprechung und Datierung das gesamte andere Werk in seiner Festlegung durcheinanderwirbeln. Einmal versucht man die festgestellte Ähnlichkeit in der Farbbehandlung und dem Kompositionsduktus durch Lebensdaten zu beweisen, das andere Mal werden genau diese Lebensdaten für nichtig erklärt und als nicht glaubwürdig bezeichnet, sodass andere Verbindungen hergestellt werden können.
Ein Beispiel hierfür stellen die Fresken der Oberkriche in S. Francesco in Assisi von 1295 dar, die lange aus einem Zuordnungsmangel dem Isaak-Meister zugesprochen wurden, um ihn schließlich mit Giotto gleichzusetzen. Das hatte zur Folge, dass das Kruzifix in S. Maria Novella in Florenz ihm ebenfalls zugesprochen wurde, da man eine Verwandtschaft der Johannesfigur darauf zu der Darstellung des Jakobs auf dem Fresko 'Isaak segnet Jakob' ausmachen konnte. Nicht nur eine deutliche Übereinstimmung der Figuren legen das nahe, sondern auch die subtile Modellierung, die bei beiden Werken auffällt. Eine stilistische und maltechnische Übereinstimmung vor allem in den Gesichtspartien, die sich durch eine Feinheit der Züge, sowie ein Ausdruck von Gefühlen auszeichnet, ist unübersehbar. Eine Ausdruckshaftigkeit, die vor allem in den Skulpturen in Frankreich und Deutschland bereits in der Hochgotik zu finden ist und sich mit den ebenmäßgen Gesichtszügen deutlich von den byzantinischen Stilformen unterscheidet, die vorher, z. B. bei Cimabue gängig waren.
Heute gilt das Kruzifix auf 1290 datiert als ein frühes Meisterwerk Giottos, die ältere Forschung, vor allem von angelsächsischer Seite hatte Giotto das monumentale Werk meist aberkannt.
Nur wenige Werke, alles samt Tafelbilder, wurden von Giotto signiert. (Doch ist es in der Kunstgeschichte seit jeher bekannt, dass eine Signierung eher zu Denken gibt als eine fehlende.)
Doch was war nun das grundlegend Neue in dem Werk Giottos, welches die Malerei revolutionieren sollte?
Ein Hinweis darauf sind die Aussagen aus der Renaissance, die nahelegen, dass die Kunst Giottos realiter als die seiner Vorgänger wirke. Auch von kunsthistorischer Seite folgte man dieser Bewertung. Max Dvořák sprach von einer Neuschaffung für „neue generelle Wahrheitskategorien und formale Wertsysteme[,…] nicht mehr ein Spiegelbild von transzendenten Voraussetzungen war, sondern im sinnlichen Erleben ihre Quelle hatte.“ Wobei natürlich Dvořáks These über die Feststellung der Neunormierung von Wirklichkeitsdarstellung hinausgeht. Erwin Panofsky brachte das bekannte Bild in den Diskurs, dass Giotto mit seinen Fresken das Bild „gleichsam in ein ‚Fenster’“ verwandelte, „durch das wir in den Raum hindruchzublicken glauben sollen.“
Die Innovation war dabei vor allem in seinen Fresken zu erkennen, aber stellt man die beiden berühmten Maestà-Darstellungen von Cimabue und Giotto sich gegenüber, wie es ja auch die Aufstellung heute der Florentiner Uffizien vorsieht, so kann dabei gut die Entwicklung der Malerei einführend beschrieben werden.
Cimabue schuf seine Maestà um 1280-90 für S. Trinita in Florenz, Giotto seine etwa 1310 für die Kirche Ognissanti ebenfalls in Florenz. Dabei nahm er ganz bewusst Bezug auf die Maestà Cimabues, die Verwandtschaft von Typus und Malstil ist nicht zu leugnen. Beide Tafelbilder zeigen den byzantinischen Ikonentypus der Hodegetria, doch revolutioniert Giotto mit seiner Darstellung der Muttergottes mit dem Kind die Malerei. Seine Madonna mit dem Kind befindet sich in einem räumlich definierten Raum, ihre Körperlichkeit wird für den Betrachter offenbar.
Im Unterschied zur Gottesmutter Cimabues, wirkt die Gottesmutter Giottos kompakter, unter den Stofffalten ihres Kleider kann der Betrachter genau dem Verlauf ihrer Beine folgen. Bei Cimabue ist mehr Augenmerk auf den Faltenwurf des Gewandes Wert gelegt worden, die Beine darunter sind nicht bedacht und auch von keiner Wichtigkeit. Genauso spielt die räumliche Erfassung insgesamt in der italo-byzantinischen Kunst keine Rolle. Und obwohl Giotto in seinen meisten Tafelbildern den Goldgrund übernimmt und auch in seinen Fresken die blaue Himmelsfarbe eine ähnlich transzendente Bedeutung haben dürfte, setzt er nicht wie Cimabue die Figuren einfach auf die Bildfläche. Die Engel bei Cimabues Maestà, die der thronenden Madonna zur Seite gestellt sind, scheinen sich mehr übereinander als hintereinander zu situieren. Ganz anders als bei Giotto, die Engel und Heiligen scheinen viel mehr sich in einem Raum zu befinden und auch räumlich in Beziehung mit der Madonna zu stehen. Auch der räumliche Aufbau des Thrones, der in einem Ziborium endet und der sich dann über der Madonna erhebt, verstärkt diesen Eindruck der Raumeinfühlung noch.
Eine Verwechslung mit einer Darstellung mithilfe einer Zentralperspektive darf aber nicht getroffen werden, wie sie bekannt wird für die Malerei der Renaissance. Giottos Maestà verweist aber auch auf diese Entwicklung der Malerei.
Am innovativsten sollte Giotto allerdings in seinen Freskenzyklen werden. Darum wird sich im Folgenden auch vor allem auf die Ausmalung der Arenakapelle in Padua konzentriert werden. Dort konnte Giotto das gesamte Programm realisieren und nicht wie in S. Francesco in Assisi nur in Teilen.
Die Arenakapelle trägt ihren Namen nach ihrem Aufstellungsort. Sie wurde wie das dazugehörende Wohnhaus in der antiken Arena in Padua als Privatkapelle errichtet. Auftraggeber war Enrico degli Scrovegni. Es deutet viel daraufhin, dass sie unter anderem zur Schuldtilgung der Sünden des Vaters und somit auch indirekt die der Nachfahren dienen sollte. Denn der Vater hatte sein Vermögen aufgrund von Wuchergeschäften begründet, welches für einen Christen damalig bedeutete, dass das Fegefeuer auf ihn wartete.
Wohl auch deshalb wurde in den Fresken das Wuchererschicksal schwerpunktartig thematisiert. Der 'Verrat Judas an Christus' ist an prominenter Stelle gezeigt und die Darstellung des ‚Jüngsten Gerichts’ in der Eingangswand auf der Stirnseite zeigt die höllischen Strafen der Sünder mit Betonung auf das Schicksal der Geldwucherer. Kurz oberhalb des sich selbst gerichteten Judas, mit den herausquellenden Gedärmen, hängen drei Wucherer an ihren eigenen Geldsäckeln aufgeknüpft. Durch den gleichen Tod wird die Verwandtschaft des Geldgeschäfts an sich zu dem Verrat Judas für Geld deutlich gemacht.
Eine andere oder weitere Begründung auf diesen Schwerpunkt auf diese Thematisierung ist Giottos Nähe zu franziskanischen Theorien und Motiven. Nicht nur, dass er in S. Francesco die Zyklen mitgestaltete, auch die narrativen Grundlagen für die Arenafresken speisen sich zum Teil aus den "Meditationes vitae Christi" des sogenannten Pseudo-Bonaventura, der ein Anhänger des Bettelordens und der Gefährtenbewegung war. Darum legt auch Hans Michael Thomas nahe, dass die Zykluskonzeption auf einem Lebensbaum beruhe, einer vor allem literarischen Meditationsform der Franziskaner, in der vor allem die Einfühlung in die Heilsgeschichte erreicht werden sollte.
Wie oben schon beschrieben, können die Bildzyklen in der Arenakapelle mehreren Texten zugeordnet werden. Max Imdahl erklärt logisch, dass heilsgeschichtliche Ereignisbilder, wie es auch die Fresken der Arenakapelle welche darstellen, sich immer auf narrative Quellen beziehen müssen.
In langjährigen ikonografisch kunsthistorischen Auseinandersetzungen konnten die Zyklen, die Szenen aus dem Leben Mariae und Leben Jesu sowie den sogenannten Prolog im Himmel und das Jüngsten Gericht zeigen, den Evangelien, mehreren Pseudo-Evangelien, der Legenda Aurea von Jacobo de Varagine den eben genannten Meditationes des Pseudo-Bonaventura zugeordnet werden.
Schwerpunkte oder eine Vorauswahl der Szenen werden damit schon von den Texten bestimmend gesetzt, aber in der Bildkonzeption wird die Entscheidung des Augenblicks und der Konzentration von Bedeutung.
Schon Friedrich Rintelen hatte zu Giotto bemerkt, dass Giotto eine nie gekannte Kongruenz des bildmäßigen Rhythmus mit dem Thema der Darstellung entwickle und alles mit so viel Bedeutung aufzuladen wusste, dass dem Betrachter die Darstellung als notwendig erscheint. Die Fläche wird gestaltet, in Rhythmus versetzt und sie sowie die Figuren, in Beziehung und in ein Kräfteverhältnis zueinander gestellt.
Dabei bemerkt Rintelen, dass Giotto weniger der „schlichte Erzähler“ sei, darin wären ihm die Sieneser Maler durchaus überlegen gewesen, sondern eben ein Gestalter der Fläche und ein in Beziehungsetzender. Nach Rintelen sind die Erzählungen Giottos „Architekturen“.
Theodor Hetzer folgt dieser These und beschreibt, dass Giotto in den Arenafresken vom Ganzen des Bildes ausgehe, sowie vom Ganzen der Erzählung. Seine Bildvorstellung stehe im engen Zusammenhang mit der Bildfläche als begrenzter Darstellungsraum. Hetzer stellt die These auf, dass für Giotto die Fläche eine Bestimmtheit und Würde durch ihre mathematischen und idealen Qualitäten erlangt. Dagobert Frey geht noch weiter und spricht von der „prospektiven Potenz“, wobei er verknappt damit meint, dass bei Giotto entscheidend wird, an welcher Stelle der Bildfläche eine Figur gesetzt wird. Durch die Bestimmung der Position kann die Bedeutung und Aussagekraft eines Bilder bestimmt werden.
Zum Unterschied kann die Darstellungsweise Duccios herangezogen werden, der zum Unterschied Giottos der byzantinischen Bildauffassung verhaftet war. Duccios Figuren befinden sich nicht in einen spannungsvollen Bewegungsraum, sondern sie werden einfach auf einen Träger gesetzt.
Giotto machte hingegen die Fläche zum Bedeutungsträger, er gestaltete erstmalig die Fläche an sich. Die Figuren werden nicht einfach in eine Fläche gesetzt, sondern ihre genaue Positionierung hatte eine Bedeutung für die Figur, ihre Handlung und zeitliche Situierung. Figuren wurden nicht einfach sich beigestellt, sondern in Beziehung, in ein Kräfteverhältnis zueinander gesetzt.
In einem italo-byzantinischen Bild versinnbildlicht eine Figur mehr, als dass sie wirklich etwas verbildlicht. Raum, Körper und Bewegung sind im Prinzip nicht von Bedeutung.
Hetzer suchte dies mit einem Feldliniensystem zu beweisen, konnte aber gerade die Bedeutungsebene damit wenig erhellen. Imdahl verweist auf ein grundsätzliches Problem der Kunsthistorik, denn Hetzer versucht etwas unglücklich zwei grundsätzliche Grundannahmen der Kunstgeschichte zu vereinen, nämlich die der Formanalyse, die schon Wölflin mit seinen „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ kurz vor der Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts festzulegen versuchte und dem ikonografisch-ikonologischen Verfahren der Warburg-Schule.
Trotzdem waren die Feldlinienstudien Hetzers nicht fruchtlos, denn er konnte glaubhaft beweisen, dass sie tatsächlich vom Künstler benutzt wurden, ob als Orientierungshilfe beim Aufbringen der Skizze oder tatsächlich zur Hilfe der Konzeptionierung der Komposition blieb dabei unklar. Doch anhand der Forschung Hetzers konzipierte Frey seine Thesen, die er ebenfalls wie Hetzer mit schematischen Zeichnungen unterstützte. Seine Theorie über die „prospektive Potenz“ geht einem vorher fast unbeleuchteten Weg. Imdahl nennt sie auch „planimetrische Ganzheitsstruktur“ und nutzt sie, neben der „szenischen Choreografie“, um den Bildkonzeptionen Giottos auf den Grund zu gehen. Sie haben neben dem ikonografisch-ikonologischen Verfahren viele Erkenntnisse gebracht.
Eine Figur kann also nur an einer bestimmten Stelle des Bildfelds stehen, um eine genaue Bedeutung auszudrücken. Dabei handelt es sich bei dem Bildfeld um ein geschlossenes System, welches durch die Situierung von Figuren, Gegenständen und die Lienen, die sie bilden, an Bedeutung gewinnen. Erst dadurch kann der Betrachter sich einfühlen, denn die Erzählung wird subjektiviert. Damit findet Giotto eine malerische Methode, um der Forderung nach Einfühlung nachzukommen, die in den Texten des Pseudo-Bonaventura angestrebt werden. Erst dadurch, dass Giotto die Figuren in Relation und Beziehung zueinander und in eine Situation stellt, drücken die Bilder ein raumzeitliches Koordinatensystem aus, Die Fragen nach einem ‚Woher’, ‚Hier’, ‚Wohin’ können dadurch beantwortet werden, weil es in der Bildkonzeption Giottos ein ‚Rechts’, ‚Links’, ‚Oben’ und ‚Unten’ gibt.
Beispielhaft kann hier der ‚Verrat an Jesus’ herangezogen werden. Judas ist gerade im Begriff Jesus zu küssen, damit er das vereinbarte Zeichen gibt. Sein Mantel wird durch seine zur Umarmung gehobenen Arme fast komplett über den Körper Jesus geschoben. Dadurch entsteht ein Ungleichgewicht, Judas beherrscht körperlich die Szene, wie er es tatsächlich auch in der Geschichte momenthaft tat. Um den Kopf Jesu hat eine wilde Meute ihre Knüppel in Drohgebärde erhoben. Die Gefahr, in der sich Jesus befindet, wird dadurch noch gesteigert. Gleichzeitig umgeben die Knüppel aber auch das Haupt Jesu, sodass sie in Linien auf ihn zeigen, aber auch eine Weiterführung seines Heiligenscheines darstellen und somit seine Stellung im Bild verstärken und betonen. Zudem bildet der Knüppel ganz links genau eine Linie durch die Blickrichtung der beiden Protagonisten Jesus und Judas sowie dem erhobenen Arm eines Pharisäers, der am rechten Bildrand auf Jesus deutet. Diese Linie führt also von Linksoben nach Rechtsunten, Judas ist somit also auch kleiner dargestellt als Jesus. Diese Linienführung trägt dazu bei, dass schließlich Jesus als der überlegene Protagonist der Szene wirkt, der Judas gewähren lässt aber schlussendlich triumphieren wird.
Erzählstruktur, szenische Choreografie und planimetrische Gesamtstruktur wirken in einem Bild, dabei ineinander übergreifend, müssen allerdings im kunsthistorischen Verfahren zur besseren Übersicht getrennt bearbeitet werden. Imdahl hat dies in anschaulicher Weise vorgeführt und bewiesen, dass Giottos Fresken viele System- und Bedeutungsebene aufweisen.
Eine weitere davon ist die Farbkomposition. Diese wurde in der Geschichte häufig vernachlässigt, aus meist schlicht technischen Gründen der Veröffentlichung. Erst waren diese in Publikationen kaum möglich oder nachher nur teuer zu bewerkstelligen, schließlich konzentrierte sich der Diskurs um Giotto meist um andere Themenkomplexe.
Dabei ist augenscheinlich, dass Giotto seine Fresken durch ein, an ein Goldgrund erinnerndes, Himmelsblau miteinander verbindet, einen Zusammenhang dadurch herstellt. Umso mehr ein wichtiger Punkt, wenn bedacht wir, dass gerade die blaue Farbe nicht durch das Malverfahren der Freskotechnik erreicht werden konnte und somit also auf dem Putz aufgetragen werden musste und somit weniger haltbar war (was man den Fresken auch leider stark ansieht).
Aber auch die Farbe der Kleidung der Figuren gibt Aufschluss über die Bedeutung. Im ‚Noli me tangere’ ist Christus in einem ätherischen Weiß gehüllt, er scheint durch das Weiß seines Gewandes gar nicht wirklich auf dem Boden zu stehen. Maria Magdalena, die links im Profil vor ihm kniet, wirkt nicht nur durch ihre Haltung ihm gegenübergestellt fest auf der Erde, sondern auch durch ihr rotes Kleid. Ihre Arme, die sie zu ihm emporstreckt, sind in ein Lila gehüllt. Nicht nur der Gestus, sondern auch durch die Farbgebung scheint sie mit Jesus Christus zu versuchen Kontakt aufzunehmen.
Ein weiterer Beweis, dass die Kunst Giottos nicht allein mit einem Verfahren zu erfassen ist. Imdahl wählte vor allem den Weg der Ikonik, ein Verfahren, welches er aus den Ergebnissen Rintelens, Hetzers und Freys aufbaute und auch der Strukturanalyse Sedlmayrs gegenüberstellte, der er nur auf dem ersten Blick Parallelen zu seiner Methode zuerkannte.
Giottos Fresken weisen dadurch nicht nur viele Bildebenen auf, sondern zeichnet sich dadurch aus, dass diese in sich auch hochkomplex und untereinander vernetzt sind.
Schon der Nachweis welche narrativen Texte zur Konzeptionierung der Kompositionen herangezogen wurde weist viele Tücken auf. Denn Giotto nutzt nicht nur viele Quellen, sondern mischt sie auch, um ein stimmiges Bild zu entwickeln. Und die Textvorlagen wählte er auch nicht, sich an ihnen entlanghangelnd aus, was den Nachweis noch mehr erschwert.
Dass dabei zu beachten ist, dass viele Aspekte auf die Konzeptionierung der Zyklen einwirkten, macht es auch nicht einfacher. Die schon erwähnte Schuldentilgung des Vaters des Auftraggebers und die Gefährtenbewegung der Franziskaner wurden schon erwähnt. Ein weiteres Beispiel herfür stellt aber auch die These Mieths dar, in der er aufstellt, dass die Arenakapelle anhand der Mnometechnik konzipiert wurde. Eine Technik, die erstmals in der Antike für Rhetoriker von Tulius entwickelt wurde. Anhand eines imaginären, perfekten Gebäudes sollten sich die Rhetoriker ihre Rede einprägen, indem sie das Haus gedanklich abschritten, und/oder Gebäudeteile genau betrachteten. Dabei bewegte sich ihr imaginärer Blick oder ihr Rundgang in einer Spirale abwärts, wobei im Falle der Arenakapelle andere Bilder in Relation gesetzt werden als in der „natürlichen“ Reihenfolge. Mieth stellt fest, dass die Konzeptionierung in Zusammenarbeit mit einem Dichter geschehen sein musste und auf ausdrücklichen Wunsch Scrovegnis hin.
Ein Aspekt, der auch schon erwähnt wurde und näherer Betrachtung würdig ist, stellt die meisterhafte Darstellung der Wirklichkeit durch Giotto dar.
In den Altarwänden malt Giotto auf jeder Seite eine Coretto. Dabei zeigt er damit eine frühe Form der Tromp l’ ½il. Eine, auf Architekturgesetzen gehorchende kleine Nische, deren illusionistische Wirkung durch das Himmelsblau noch verstärkt wird, welches durch das Fenster fällt und eben weicher und realistischer ausfällt als auf den anderen Fresken. Ein Meilenstein in der Genre- als auch Stillebendartstellung.
Unterhalb dieser „Chornischchen“ als auch im Sockelgeschoss stellt er malerisch marmorne Inkrustationen dar, die sich in das architektonische Bild der Kapelle fügen. In ihnen sind jeweils links die Tugenden und rechts die Laster eingebettet. Die Laster dabei mit der Darstellung des ‚Jüngsten Gerichts’ korenspondierend, indem sie auf der gleichen Seite auf der Längsseite der Kirche, die Tugenden wie die Seligen auf der anderen Seite angebracht sind.
Erstmalig werden die Allegorien in Grisaillemalerei dargestellt, sodass mit Recht behauptet werden kann, dass Giotto in den Paragonestreit zwischen Malerei und Bildhauerei eingriff.
Dabei weisen die Figuren im geringen Maße durchaus eine Farbigkeit auf, das Inkarnat hebt sich z. B. von der Kleidung in der Färbung ab.
Doch der Realitätsanspruch Giottos kann auch in den Darstellungen von Stiftern nachgewiesen werden, in der Arenakapelle innerhalb des ‚Jüngsten Gerichts’. Anders als die fünfzehn Seligen, die er an einem Tagwerk (giornata) anfertigte, ließ er sich für das Stifterbild Scrovegnis vier Tagewerke Zeit, gut zu erkennen an den Stößen, also Putzübergängen im Streiflicht, die Tagwerke zueinander im Fresko abgrenzen. Giotto gab sich also besonders viel Mühe mit dem Porträtieren. Ein Umstand, der auch bei dem Stefaneschi-Tripdychon zu beobachten ist.
Aber auch der Wirklichkeitsanspruch innerhalb seiner Erzählungen zeichnet Giotto aus. Wie Wolfgang Kemp es nennt, schafft er Zeit- und Erzählräume. Die Verkündigung Annas stellt Giotto in den gleichen Räumlichkeiten dar, wie auch die Geburt Mariens. Er beweist in diesen Darstellungen auch ein Raumgefühl, welches er nicht nur für seine Malerei nutzte, sondern auch als Architekt einsetzte.
Wirklichkeitsanspruch und die verschiedenen Bildkonzeptionsebenen zeigen, dass mit Recht Giotto als Innovator der Malerei bezeichnet wird und in seinem Werk viele Ideen aufgriff, die kennzeichnend für die Epoche der Renaissance werden und in ihr perfektioniert werden sollten.
Tag der Veröffentlichung: 15.12.2008
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