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Stille

Es gibt 1000 Arten von Stille und sie muss nicht immer etwas mit Ruhe zu tun haben. Die Ruhe beim morgendlichen Erwachen ist angereichert von Vögeln, sie sich begrüßen, dem Schnurren der Katze, die geduldig auf Ihr Frühstück wartet und dem Rauschen vorbeifahrender Autos – befüllt mit geschäftigen Menschen auf dem Weg zu Geld, Macht und Routine. Die Stille am Frühstückstisch, unterbrochen vom Rascheln der Zeitung und dem Fließen des Kaffees in die großen, gelben Tassen wird erhellt durch Räuspern und Lächeln hinter dem Feuilleton und der sanften Berührung einer Hand, die sich bedankt. Frieden ist Stille. Auf der Suche nach Frieden sperre ich meine Umgebung aus als ich morgens durch die Stadt laufe. Das Lärmen der U Bahn, Geschwätz von Kollegen, die sich bereits lange vor Öffnung der Läden nichts zu sagen haben, die Ansagen im Zug. Nichts davon hat eine Bedeutung. Die Musik in meinen Ohren, gedämpft, klassisch schafft mir eine eigene Welt. Einen Raum für mich allein. Auf dem Weg ans Licht, hinauf in die Fußgängerzone beginne ich die Menschen zu beobachten. Ein reger Tausch von Geld und Kaffee wird begleitet von Lächeln und der Freude auf Wärme und Erwachen. Mürrische Blicke, hastige Schritte, Angst und Müdigkeit dominieren die Wege. Ich sehe zu – gefangen und geschützt in meinem eigenen Stillleben. Die Musik ein Käfig meiner Wahl. Ich will nicht dazugehören. Weigere mich den Rhythmus meiner Schritte anzupassen oder gar im Austausch für Brezeln, Zeitschriften oder Tee in Kommunikation zu treten und wäre sie noch so profan. Meine Welt. Meine Stille. Ein Mann kommt auf mich zu, stellt sich in meinen Weg, zwingt mich zur Änderung meiner Route. Er spricht mit mir, doch in meiner Welt kann ich ihn nicht hören. Ich weiß, er bietet seine Ware feil. Kunst. Also habe ich doch kommuniziert. In Gedanken – im Austausch mit meiner Erfahrungswelt. Nonverbal. Still. Straßenkehrmaschinen dominieren jetzt den Platz. Laut. So laut, dass Ihre Geräusche eindringen in mein Universum und beginnen meine Isolation zu stören. Ich suche nach einer Zuflucht. Die Bewegung einer Kirchentür weckt meine Aufmerksamkeit. Ich öffne das schwere Portal und fühle die Ruhe 100er Jahre schwer auf meinen Schultern liegen. Der Duft von Frieden und Ewigkeit durchdringt meine Haut. Auf den ersten Blick sehe ich nur wenige Menschen und fast fühle ich mich ein wenig einsam. Langsam entziehe ich die Musik meinen Ohren und verlasse mein Gefängnis, jedoch nur in der Hoffnung in eine größere, noch stillere Galaxie aufgenommen zu werden. Plastiksohlen knirschen auf dem Steinboden. Ich folge der Stimme hinter einer schweren, himmelhohen Säule und entdecke Menschen. Menschen auf der morgendlichen Suche nach Stille – umfangen von Orgelklängen, aufgenommen von einer Stimme, die von Frieden kündet. Lächelnd bietet die Frau neben mir an, Ihr Liedblatt mit mir zu teilen. Kommunikation. Ich nehme mit einem Lächeln an und lasse mich auf den Gesang ein. Teile und trage dazu bei, die Stille der Ewigkeit für einen Moment zu Durchbrechen. Die Einsamkeit meines musikalischen Kokons in der U Bahn und auf der Straße weicht dem Wunsch ein Teil des Chores zu werden, zu geben und zu nehmen. Die Stimme am Altar spricht einen Segen und ich verlasse den Dom. Lächelnd. Der Lärm der Kehrmaschinen ist ohrenbetäubend. Kein Vogel vermag ihn zu durchdringen, doch das Lachen des Paares an meiner Seite ist lauter und melodiöser. Einen kurzen Moment bin ich versucht zurückzukehren in meine Welt. Dann werden meine Schritte schneller und rhythmischer. Ich bin aufgetaucht. Viel später in einem Cafe lausche ich heimlich lernenden Schülern und einem leise zankenden Liebespaar, lächle der Bedienung zu und überhöre die fließende Musik im Hintergrund. Du rufst mich an und die Weichheit deiner Stimme öffnet meine Poren. Meine Welt ist in mir geblieben. Ruhe und Frieden liegen wie die Ewigkeit in mir und fließen gleich dem Blut durch meine Gefäße. Meine Welt ist draußen. Unbekannt und neu, laut und melodiös. Einsam und voll. Erregend.


(Ahila)


„Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.“

(J.W.G.)

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.03.2011

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