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Inhalt

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Prolog

1.Kapitel

2.Kapitel

3.Kapitel

4.Kapitel

5.Kapitel

6.Kapitel

7.Kapitel

8.Kapitel

9.Kapitel

10.Kapitel

11.Kapitel

12.Kapitel

13.Kapitel

14.Kapitel

15.Kapitel

16.Kapitel

17.Kapitel

18.Kapitel

19.Kapitel

20.Kapitel

21.Kapitel

22.Kapitel

23.Kapitel

24.Kapitel

25.Kapitel

26.Kapitel

27.Kapitel

28.Kapitel

Epilog

 

 

 

 

 

 

Prolog


Alles wahrhaft Böse wird aus Unschuld geboren.

-Ernest Hemingway-

 

Wie sie da sitzt, mit ihrem Lächeln und einem wunderschön hellklingenden Lachen. Sie strahlt von innen und ihre Augen leuchten wie kleine Sterne am Himmel in der Nacht. Ich fühle mich so nah bei ihr und doch bin ich so fern. Bis jetzt hat sie mich noch nicht einmal wahrgenommen. Keines Blickes hat sie mich gewürdigt, sie blickt durch mich hindurch, als sei ich nicht da. Dabei würde ich so gerne mit meinen Händen durch ihr blondes Haar streichen. Vermutlich sind meine Hände zu grob für dieses feine Haar! Mutter meinte immer, ich wäre so grobschlächtig wie ein Bauer und keine Frau würde das mögen, ich solle mich lieber von ihnen fernhalten. Über drei Stunden beobachte ich sie und ihre Freundinnen. Alles sind sie Schönheiten und ziehen die Blicke vieler Männer auf sich. Sie selber ist offen, lacht alle an. Erzählt Anekdoten. In meinen Ohren hört sich ihre Stimme wie eine wunderschöne Melodie an. Ihre ganze Art ist offen. Immer wieder hebt sie ihr Glas, prostet einem Umstehenden zu und trinkt dann einen ganz kleinen Schluck. Sie ist bestimmt sehr sparsam und das ist eine wunderschöne Eigenschaft von Frauen. An dem ganzen Abend hat sie erst zwei Getränke zu sich genommen.

Sie ist sparsam, aber nicht sittsam, denn ihr Rock ist viel zu kurz. Er endet weit über den Knien und lässt mich immer wieder ihre Haut sehen. Wie gerne würde ich über die Haut streichen, nur ich traue mich nicht. Außerdem hat Mutter immer gesagt, dass seien Flittchen. Doch die Frau macht mir gar nicht den Anschein, als sei sie eines. Den Mann, der sich zu ihr gesellt hat, hält sie immer wieder auf Abstand. Kommt er ihr zu nahe, schiebt sie ihn mit ihren Händen fort. Ihre Finger, sie sind so feingliedrig, ihre Nägel aber nicht in einem knalligen rot lackiert, sondern in einem verspielten pink. Die harmonieren wunderbar mit ihrem engen Top. Es steht ihr sehr gut, denn sie hat eine helle Haut. Überhaupt ist sie sehr hell. Fast wie eine Puppe. Ihre blonden Haare, sie sind fast weiß, nur ihre kleine Stupsnase ist ein wenig rot. Vielleicht haben die zwei Gläser Martini doch gereicht.

 

Von ihrer Nase lasse ich meinen Blick auf ihren Hals wandern. Er ist lang und schmal. Eine kleine Einkerbung am Schlüsselbein. Ein Zittern durchläuft meinen ganzen Körper. Ich muss sie kennen lernen. Sie sieht so perfekt aus. Dieses Mal werde ich es schaffen.

1.Kapitel

 

Mit Gewalt erreicht man keine Liebe.

-Boris Leonidowitsch Pasternak-

 

»Töte sie.« Mutters Stimme ist so laut. Sie hallt durch die ganze Kirche. Egal, wie sehr ich mir meine Hände auf die Ohren drücke, um sie nicht mehr hören zu müssen, dringen sie wie Pfeile in mein Gehirn.

»Sie bringt dir nur Unglück, versteh das doch Junge. Sie ist nicht gut genug für dich.« Aber was hat denn die Frau wirklich getan? Ja, sie wollte keine Zeit mit mir verbringen. Ok. Sie fand mich nicht attraktiv. Aber sie deswegen gleich töten? Doch immer wieder peitschen die Worte »Nicht gut genug« in meinen Kopf hinein.

»Sie war eine Schlampe.« Mutter kneift die Augen zusammen und ihre Stimme ist hämisch. Sie liebt dieses Wort. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft sie es benutzt.

»Aber…« Doch weiter komme ich nicht, denn mit einer Handbewegung deutet Mutter auf das Mädchen, das bewusstlos auf dem Boden liegt.

»Was denkst du wird passieren, wenn sie wieder wach ist?« Mit ihren Augen fixiert sie mich. Sie schafft es immer wieder, dass ich mich wie ein kleiner Junge fühle. Keiner wird mir glauben, dass ich schon fast 30 Jahre alt bin.

»Sie wird dich wiedererkennen und dann?« Sie zuckt so seltsam mit dem Kopf. Immer wieder ein Zeichen, mir zu zeigen, dass ich nachdenken soll.

»Du bist aber auch immer zu blöd. Du weißt doch ganz genau, dass sie dich wiedererkennen kann. Dann geht sie zur Polizei und wird dich anzeigen. Dann gehst du in den Knast, für immer!« Sie behandelt mich wieder wie ein unselbständiges, kleines Kind. In dieser Beziehung ist sie so schrecklich.

»Was würdest du denn machen, wenn du an Stelle dieser Frau wärest? Immerhin hast du sie mit einem Schlag auf die Halsschlagader ausgeknockt.« Wie sie das sagt, hört es sich hart an, aber die Frau wird keine Schmerzen davontragen. Vielleicht ein wenig Kopfschmerz. Angefasst habe ich sie auch nicht. Auch wenn meine Mutter meinte, dass ich wenigstens einmal meinen Spaß gehabt haben soll, habe ich es nicht getan. Ich weiß immer gar nicht, was genau sie von mir will. Auf der einen Seite sind alle Frauen nicht gut für mich, außerdem sind sie Schlampen und am Ende soll ich sie ermorden. Was soll ich jetzt genau tun? Doch vermutlich hat sie Recht. Ich würde es ja auch nicht so einfach mit mir machen lassen und in den Knast gehe ich nicht. Niemals! Eher bringe ich alle um.

»Was machst du denn jetzt?« Die Stimme meiner Mutter überschlägt sich. Ich hätte nie gedacht, dass sie mit ihrer Stimme so hoch kommt. Wieder mache ich etwas nicht richtig.

»Ich setze sie hin. Du hast doch immer gesagt, dass man in der letzten Stunde seines Lebens ins Angesicht des Herrn sehen sollte.« Damit zeige ich auf die kleine Jesusfigur über dem Altar. Sofort ist sie besänftigt. Sogar ein kleines Lächeln bekommt sie hin.

»Nie hätte ich gedacht, dass du mir überhaupt jemals zuhörst.« Wie lange habe ich darauf gewartet, dass sie mich lobt. Immer nur beschimpft hat sie mich die letzten Wochen und Monate. Stolz schaue ich sie an und sofort bellt sie wieder ihre Befehle. Dieses Mal hat ihre Stimme einen freudigen Unterton.

»Hol dein Messer raus, du kannst das so gut. Es ist immer schnell und dieser kleine Zischlaut beim Schneiden.« Sie klatscht vor lauter Freude in die Hände. »Das gefällt mir so gut.« Breitlächelnd steht sie vor mir. Ihr Blick ist auf meine

Beine gerichtet. Dort, wo immer das Messer in der Scheide liegt. Sie kennt mich so gut.

Ein leichter Schauer läuft mir den Rücken herunter. Wie kann man nur so mordlustig sein?

»Junge, mach, sie beginnt schon, wach zu werden, dann hast du Probleme mit ihr, das willst du doch nicht, oder?« Nein, noch mehr Probleme will ich wirklich nicht. Mutter reicht mir vollkommen.

Meine Hand fährt mein Bein herunter. Seit Jahren trage ich dort immer ein Messer. Es ist mir so in Fleisch und Blut übergegangen, ohne gehe ich nicht raus, sonst fühle ich mich nackt.

Sanft streichle ich über das Metall, Handarbeit, keine Massenware. Nur das ist ein wahres Messer. Kein Schnickschnack, aber ein Griff, der gut in der Hand liegt. Ich schleife es regelmäßig liebevoll. In den letzten Jahren benutzte ich es oft. Ja, eigentlich zu oft. Doch ich höre auf Mutter. Denn sie hat immer Recht.

Ich setze rechts einen Daumenbreit unter ihrem Ohr an. Der perfekte Platz für den perfekten Schnitt. Ich will nicht, dass sie lange leidet, der Schnitt muss also genau sitzen.

Schnell ziehe ich von rechts nach links. Ein Stöhnen, sie reißt die Augen auf und starrt mich entsetzt an. Doch mehr als ein Röcheln kommt nicht mehr aus ihr heraus. Vorsichtig halte ich sie zurück, nicht dass sie umfällt. Nur noch ein kurzes Zucken und schon ist es vorbei. Dieses Mal ist viel Blut geflossen. Doch ich kann ihre Hände falten, ohne dass ich in Berührung mit ihrem Blut komme.

»Komm jetzt, du musst verschwinden. Es dauert nicht mehr lange bis es hell wird. Du willst doch nicht gesehen werden.« Mit diesen Worten dreht sich Mutter um und will gehen. Doch ich bin noch nicht so weit. Ich kann nicht gehen, ohne Buße zu tun.

2.Kapitel

 

Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden, denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.

-Altes Testament: das erste Buch Mose (Genesis) (1.Moses 9,6)-

 

In einer Nebenstraße der Reeperbahn mitten auf dem Kiez, dort wo abends das große Geschäft mit der Liebe gemacht wird, Alkohol und Drogen ihren Hauptumschlag haben, steht eine Kirche, die St. Joseph Kirche zu St. Pauli. Sie ist eine imposante, barocke Kirche. Alt und würdig thront sie mitten in der Lichterreklame und dem Dreck der Nacht. In einer Querstraße der Reeperbahn erhebt sich diese alte, eindrucksvolle Kirche. Nicht selten ziehen sich hier Frauen vom Gewerbe nach einer harten Schicht auf dem Kirchhof oder, wenn sie offen ist, in den Gebetsraum zurück und versuchen, ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren.

Auf dem Kirchhof parken mehrere Dienstwagen und alles ist abgesperrt. Wie falsch sich das anfühlt. Ich bin zwar Atheistin, doch eine Kirche hat offen zu sein, damit jeder rein und rausgehen kann. Und sie ist kein Tatort.

Überall anders hätte es vor Absperrungen zu Menschenansammlungen geführt, doch hier ist es schon fast Alltag und jeder geht weiter, in seine Gedanken vertieft. Hin und wieder bleibt ein Tourist mit seiner Kamera stehen und versucht, ein Bild zu machen.

Doch dann sehe ich sie. Die Geier, die über jedem Tatort ihre Kreise ziehen. Sie würden sich zwar nie so bezeichnen, doch in meinen Augen sind sie genau das: Reporter!

Zwei von ihnen, die ich schon von anderen Tatorten kenne, kommen mit schnellen Schritten auf mich zu. Ich atme tief ein, denn ich weiß genau, was jetzt kommt. Immer wieder bete ich, dass sie es doch sein lassen sollen, denn sie kennen meine Antwort.

»Frau Michalski, können Sie schon etwas zu dieser Tat sagen?«

Wie ich es hasse, immer wieder diese eine Frage, nie zuerst eine Höflichkeit, sondern nur dieser eine Satz.

Betont freundlich lächle ich den jüngeren von beiden an. Ich weiß, er ist noch nicht so lange dabei, doch auch er muss es wissen. Ein optimales Opfer für eine Demonstration für mich.

»Herr Ludewig, so war doch Ihr Name, oder?» Sofort nickt er begeistert und kommt noch einen Schritt näher

»Sie kennen meine Funktion oder besser gesagt, die Funktion, die ich nicht habe?« Nun beginne ich, mit ihm wie mit einem kleinen Jungen zu reden, der im falschen Klassenraum sitzt.

»Wir haben Pressesprecher und wir haben Ermittler. Wissen Sie, was ich bin?« Sofort verändert sich sein Gesichtsausdruck. Von der Freude, dass ich mit ihm rede, hin zur Enttäuschung. Also lässt er von mir ab und dreht sich von mir weg, um zurück zur Absperrung zu gehen. Gleich strecken die versammelten Reporter ihre Hälse, um ja alles zu überblicken.

Innerlich muss ich schmunzeln. Er hat immer noch die Hoffnung, etwas zu sehen, was er medienwirksam ausschlachten kann

Öffentlich würde ich nichts gegen diese Berufsgruppe sagen, sie haben uns ja schon viele gute Dienste geleistet, doch auch sie müssen wissen, dass es mich meinen Kopf kosten könnte, wenn ich ihnen etwas sagen würde.

»Tatjana.« Sofort drehe ich mich in die Richtung, aus der der Ruf kommt. Mohammed, ein Praktikant der Rechtsmedizin, winkt mir fröhlich zu. Das Bild eines fröhlichen jungen Mannes passt für mich überhaupt nicht hierher. Ich weiß natürlich, dass er sich darüber freut, mit an einen Tatort kommen zu dürfen. Mit seinen jungen Jahren hat er sich sehr schnell eingefunden. Nie habe ich ihn schlecht gelaunt oder meckernd erlebt. Mittlerweile darf er einfache Untersuchungen wie Kerntemperatur oder Hautbiopsien selber durchführen. Der Rechtsmediziner weiß genau, wie er ihn fördern kann. Und das gipfelt in dem heutigen Tag, an dem er das erste Mal mit an einen Leichenfundort darf. Voller Stolz strahlt sein Gesicht und im Gegensatz zur Anfangszeit, als sein Gang noch gebeugt und vorsichtig war, geht er heute aufrecht. Jeder Schritt zeigt sein Selbstbewusstsein.

»Mohammed, was hast du mit Dr. Petersen gemacht, wenn du hier sein darfst? Hast du ihn bestochen?«

Glücklicherweise kann man mit ihm solche Scherze machen, denn er ist nicht auf den Mund gefallen.

»Sie wissen doch, ich bin mit einem Muffin und einem starken Kaffee immer zu haben.« Eine tiefe Stimme hinter mir unterbricht meine Unterhaltung mit Mohammed. Gleich am Eingang steht der Gerichtsmediziner. Ich mag seinen Humor gerne. Er ist der absolute Perfektionist, doch hat er nie die Menschlichkeit in seinem Beruf verloren. Während ich bei anderen Rechtsmedizinern schon mal einen Fehler bemerkt habe, ist mir bei ihm noch nie einer aufgefallen. Er ist einfach brillant und sieht dazu auch noch gut aus. Er legt viel Wert auf seinen Körper und treibt regelmäßig Sport. Ich dagegen bin eine Niete, was das betrifft. Logisch, ich bin nicht unsportlich, ansonsten wäre ich vermutlich schon längst zum Schreibtischdienst abkommandiert, doch extra zum Sport und vielleicht noch auf die Ernährung achten? Nicht mein Ding. Ich bin glücklicherweise von Natur aus dünn. Vielleicht ein wenig zu sehr? Ich wünschte mir etwas mehr Oberweite. Das Einzige, was ich wirklich an mir mag, sind meine Haare. Meine kleine Hexe hatte mich mein Vater immer genannt, denn ich habe feuerrote Haare. Klar, ich wurde oft in der Schule gehänselt, doch geliebt habe ich sie immer. Leider habe ich keine grünen Augen, sondern braune. Hätte ich grüne, würde es besser zu meiner hexigen Art passen. Zumindest, wenn man meinem Vater Glauben schenken darf.

Aufgeregt kommt Ben auf mich zu und reißt mich aus meinen Gedanken. Er ist unser jüngstes Mitglied im Team und hat erst einen Fall mit uns bearbeitet. Dieser hatte es in sich und Ben hat sich sehr gut gehalten. Er muss noch vieles lernen, was in dem Bereich wichtig ist, doch ansonsten ist er nicht schlecht.

»Tatjana, dass musst du dir ansehen.«

Leichenblass steht er vor mir und zittert am ganzen Körper. Ich hatte mich schon letztes Mal gefragt, ob er einen Leichenfund ertragen kann. Jeder von uns hat schon mal bei einer Leiche erbrochen, doch die letzte war noch eine eher angenehme Leiche. Das Opfer wurde mit Gift getötet, sauber und nicht stinkend, da es schnell gefunden wurde.

»Ben, wenn es dir nicht gut geht, dann gehe hinaus, aber stelle dich so hin, dass die Journalisten dich nicht sehen. Ich möchte nicht, dass sie eine Schlagzeile wie 'Kotzende Beamte in der Kirche' oder so bringen.«

Die sind froh, wenn sie überhaupt irgendwas schreiben können, aber wir müssen denen keine Vorlagen geben.

Ein sich erbrechender Kripobeamter ist bestimmt eine Schlagzeile wert.

»Nein, nein mir geht es schon viel besser.« Voller Respekt sehe ich ihn mir an. Er gibt nicht auf. Blass und immer noch zittrig steht er vor mir und ich sehe, wie er kämpft. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie es mir beim ersten Mal erging. Ich habe den halben Vormittag nur gespuckt. Es ging nichts mehr, so dass mich mein Vorgesetzter damals nach Hause geschickt hat. Viele haben hinter meinem Rücken geredet. Nie wollte ich so werden wie die damals. Ich höre sie immer noch reden:

»Schau mal die Kleine, die hätte vielleicht bei ihrem Kind zu Hause bleiben sollen.«

Es hat nicht viel geholfen, dass ich alleinerziehend bin. Doch erst recht meine Körpergröße von gerade mal 1,65m bei 55 Kilo war hinderlich. Aber ich kann voller Stolz sagen, dass ich mich durchgesetzt habe. Heute leite ich eine Mordkommission und bin verdammt gut in meinem Job.

»Aber das solltest du dir wirklich ansehen. Dass jemand zu so etwas fähig ist.« Wieder reißt er mich aus meinen Gedanken. Verdammt, ich muss

mich mehr konzentrieren. Seine Worte lassen mich lächeln, denn es gibt mittlerweile nichts mehr, was mich noch schocken könnte, da bin ich mir sicher. 14 Jahre Arbeit bei der Kripo hinterlassen ihre Spuren. Ich folge ihm durch das Kirchenschiff.
Ein Blick auf die Leiche lässt mich aufatmen, es sieht wirklich nicht so schlimm aus, wie Ben es beschrieben hat.

Ja, die Blutlache vor dem Opfer ist groß und die Bank vor ihm ist mit Blut vollgespritzt, teilweise noch feucht, aber hier in der Kirche, wo überall Stein liegt und nicht geheizt ist, ist es kalt.

Beim genaueren Betrachten der Leiche sehe ich, dass der Täter der Frau mit einem Schnitt die Kehle durchgeschnitten hat. Beide Hauptschlagadern sind durchtrennt, so dass das Blut vermutlich einmal kurz rausgespritzt und das Opfer dann ausgeblutet ist. Meine Erfahrung sagt mir, dass die Frau nicht lange leiden musste. So ein sauber gesetzter Schnitt wird sie binnen Sekunden beinahe schmerzfrei getötet haben.

»Frau Michalski, soll ich noch etwas dazu sagen?«

Der Doc ist von hinten an mich herangetreten.

»Nur eine Frage hätte ich an Sie: vermutlicher Todeszeitpunkt?« Ich finde nicht, dass hier noch viele Worte nötig sind.

Ein Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit.

»Wie immer, sehr direkt. Unser junger Padawan.« Dabei zeigt er mit dem Finger auf Mohammed, der noch Fotos vom Tatort für die spätere Beweislage macht.

»Hat heute seine erste Messung an einem Leichnam durchführen dürfen. Er hat festgestellt, dass sie heute Nacht zwischen ein und zwei Uhr gestorben ist. Es ist so kalt hier drinnen, dass das Blut nicht wirklich trocken kann.«

Seine Worte über Mohammed sind nicht lehrerhaft, sondern liebevoll, ja beinahe etwas väterlich.

»Ich weiß Doc, Sie würden nie sagen, dass es eindeutig ist, doch auch Sie werden vermutlich davon ausgehen, dass der Schnitt an der Kehle die Todesursache ist?«

Sein Nicken ist meine Bestätigung, also gehe ich von Mord aus.

Aber mich macht die Uhrzeit stutzig. Um diese Uhrzeit ist die Kirche geschlossen. Man kann dann nur in den Innenhof, aber nicht in die Kirche.

Da wird doch einige Arbeit auf uns zukommen. Die Spurensicherung kann gleich damit beginnen. Wie ist der Mörder mit seinem Opfer hier hereingekommen?

»Wer hat die Leiche gefunden?« Ich sehe hier niemanden, der nicht zum Team gehört.

»Die Reinigungskraft hat sie gefunden. Sie ist zusammengebrochen. Ein Kollege ist mit ihr ins Krankenhaus gefahren und wird ihr dort, sobald es geht, ein paar Fragen stellen.«

Wieder wandert mein Blick durch den Raum, irgendetwas muss doch auffallen.

Ein Blick auf die Leiche lässt mich stutzen. Sie sitzt noch auf der Bank der Kirche, ihre Hände sind wie zum Gebet gefaltet. Der Mörder muss sie wieder hingesetzt haben, auch wenn es schnell gegangen sein wird. Sie wird dies doch nicht ohne Widerstand über sich ergehen lassen haben.

Ich schau auf den Boden. Der Täter muss Fußabdrücke hinterlassen haben, doch ich sehe keine. Auch auf der Kleidung des Opfers kann ich keine Handabdrücke oder Ähnliches erkennen. Er muss gewusst haben, was er wie machen muss, um keine Spuren zu hinterlassen. Ein sehr organisierter Mörder. Ob er sich auch das Opfer bewusst ausgesucht hat? Wenn ja, dann müssen wir hoffen, dass es nur eine Einzeltat war, denn einen organisierten Serienmörder zu fassen, ist verdammt schwer.

Aber erst mal ist diese Frau wichtig, Leichen können schon viel über den Täter aussagen.

Sie sieht nicht wie eine typische Nutte aus. Sie trägt zwar ein enges Top und kurze Hose, doch auf dem ersten Blick finde ich es nicht besonders aufreizend. Finnja trägt so etwas auch gerne. Die Frau hier ist auch noch sehr jung, 16 vielleicht 18 Jahre alt. Alter zu bestimmen, ist nicht meine größte Stärke. Wenn sie jung sind, versuchen sie sich auf älter zu trimmen. Doch, wenn Frauen alt sind, dann versuchen sie sich oft auf jünger zu stylen. Etwas was ich nie verstanden habe. Aber dank der roten Haare schätzte mich jeder so oder so jünger.

Aber sie hat noch keine Falten oder Flecken, die auf ein höheres Alter schließen würden. Allerdings ist sie stark geschminkt, als wäre sie auf einer Partytour gewesen, was ja auch zur Umgebung passt. Mein Blick fällt auf die Hände und ich werde nicht enttäuscht.

»Habt ihr ein UV-Handgerät dabei?« Die Jungs von der Spurensicherung heben ihre Köpfe und nicken nur, doch keiner erhebt sich, um mir das Gerät zu bringen.

»Hättet Ihr die Güte und würdet euch bewegen, um mir eines zu geben?« Ja, zickig könnte man mich nennen, doch anders geht es manchmal nicht. Auch jetzt zeigt es sich wieder. Denn endlich erbarmt sich einer und geht an einen Koffer, um mir das Gerät zu holen.

Verdattert schaut mich Ben an.

»Tatjana?«

Ich winke ihn zu mir. Mit dem Zeigefinger deute ich auf den Handrücken unseres Opfers.

»Siehst du den Schatten da?« Ich weiß, er ist nicht leicht zu sehen, doch wenn er ein guter Fallanalytiker in der Mordkommission werden möchte, dann muss er auf solche kleine Details achten.

»Oh, du hast recht, da muss man aber genau hinsehen.« Ich muss leise stöhnen. Das Thema hatten wir schon das letzte Mal, dass es immer Kleinigkeiten sind, die uns weiter bringen.

»Ben, wir sind auf der Partymeile von Hamburg, auf so etwas müssen wir achten. Vielleicht wird uns das bei der Identifikation helfen. Außerdem kann es sein, dass sich der Täter und das Opfer dort getroffen haben.« Ich hoffe, dass Oliver nachher wieder da ist. Mit ihm ist das Arbeiten zielstrebiger und schon eingespielter. Mehrere Jahre arbeiten wir gemeinsam in einem Team. Wir haben wirklich jedes Tief und jede Höhe in der Zeit mitgenommen. Leider hatte er heute Morgen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 12.03.2018
ISBN: 978-3-7438-6085-8

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