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1.Kapitel

Noch nicht, bitte noch nicht! Das darf nicht sein, ich bin doch gerade erst ins Bett gegangen! Aber mein Wecker ist gnadenlos. Halb blind versuche ich, ihn auszustellen. Welcher Idiot hat eigentlich die Funktion erfunden, mit der diese Dinger immer lauter werden, je länger sie schrillen?

Endlich Ruhe. Am liebsten würde ich mich nochmal umdrehen und weiterschlafen. Aber die Pflicht ruft. Die gestrige Schicht dauerte zwar lang, weil mein Kollege und ich den Verdächtigen noch bis spät in den Abend verhört haben, aber sie war erfolgreich. Nach gut drei Wochen Recherche und Vernehmungen konnten wir den Mehrfachmörder endlich dingfest machen. Zwei Kinder hat das Schwein ermordet. Nun können wir den Eltern wenigstens mitteilen, dass es ein Ende hat. Auch wenn ich selbst keine Kinder habe, geht mir so ein Fall an die Nieren.

Wie schwer Beine sein können, war mir nicht bewusst. Mit Mühe schaffe ich es in die Küche, wo ich mir meinen Morgenkaffee aufsetze. Ehe der leckere Duft den Raum erfüllt, steige ich unter die Dusche.

Langsam merke ich, wie die Lebensgeister zurückkehren. Als ich meine Haare einseife, höre ich es an der Tür klingeln.

Seltsam, wer kann das sein? Es ist keine typische Zeit für den Postboten. Bestimmt ist es wieder meine Nachbarin, Frau Ebert.

Die Frau wird mich noch den letzten Nerv kosten.

Komme ich nachts spät vom Dienst nach Hause, liegt am nächsten Tag gleich eine Beschwerde bei meinem Vermieter. Sie wird nie verstehen, dass ich im Schichtdienst arbeite.

Erst einmal ist es mir egal, ich werde mich wegen ihr nicht beeilen. Nach einer etwa dreißigminütigen Dusche verlasse ich langsam das erfrischende Nass. Glücklicherweise wurde nicht noch einmal geklingelt, so dass ich kein schlechtes Gewissen bekommen muss. Noch bevor ich mich mit dem Drachen auseinandersetze, schenke ich mir einen Kaffee ein und mache mir mein Brot zum Frühstück.

Schade, denke ich, als ich keine Ausrede mehr habe und mich der Konfrontation stellen muss. Ich will schließlich nicht, dass sie wieder dem Vermieter einen Brief schreibt und er sich wegen einer Lappalie herumärgert. Als ich aus der Haustür trete, stolpere ich über ein Paket. Es ist nicht groß, vielleicht wie ein Schuhkarton. Leicht feucht und zerknittert. Seltsam, ich habe doch gar nichts bestellt... Was kann das sein?

Bei genauerer Betrachtung sehe ich, dass gar kein Absender draufsteht, nur meine Adresse, und die wurde maschinell erstellt. Damit ich nicht weiter auffalle, nehme ich das Paket mit hinein. Vielleicht ein Geschenk von jemandem? Aber wer sollte mir einfach so etwas schenken? Ich lebe recht zurückgezogen. Klar, durch meine Arbeit als Polizist treffe ich viele Menschen, aber ich achte stets darauf, dass professionelle Distanz bleibt.

Da das Paket eiskalt ist und es sich sehr schmierig anfühlt, fast so, als wäre es absichtlich nass gemacht worden, suche ich n meinen Schubladen nach Einmalhandschuhen. Bestimmt handelt es sich um einen üblen Scherz meiner Kollegen. Ich werde sie umbringen. Ich weiß zwar nicht, wer von ihnen es wagen würde, aber gewitzelt, dass sie mich einfach abholen würden, um mich dann in eine Kneipe zu schleppen, haben sie schon oft. Ich traue ihnen auch so ein ekliges Paket zu.

Mit Handschuhen bewaffnet öffne ich das Paket. Mir kommt ein ekliger, süßlicher Geruch entgegen. Sofort steigen Bilder von Tatorten auf. Der typische Leichengeruch. Ich scheine schon zu lange diesen Beruf auszuüben, da ich gleich daran denken muss.

Derjenige, der mir das Paket geschickt hat, hat es mit der Verpackung anscheinend besonders gut gemeint. Es besteht aus mehreren Kartons, die ineinandergesteckt wurden. Als ich die letzte Pappe freilege, sehe ich Eis, welches helle rote Spuren aufweist. Sorgsam teile ich die Eisschicht und erschrecke mich.

Mitten im Eis liegt ein weißlich-bläulicher Finger mit rosa Lack auf dem Nagel. Er ist ordentlich manikürt. Vorsichtig nehme ich ihn in die Hand. Das abgetrennte Ende ist faserig, die Haut hängt in Fetzen herunter. Dies ist mit Sicherheit kein Scherzartikel, und der Geruch ist keine Einbildung. Sofort lege ich den Finger wieder in das Paket, aber nicht, ohne ihn nochmal leicht anzudrücken, um zu sehen, ob er echt ist. Der Knochen, der rausgequetscht wird, ist eindeutig echt. Man sieht sogar die kleinen Äderchen. Noch nie in meinem Leben habe ich ein einzelnes Leichenteil aus dieser Nähe gesehen. In mir steigt Übelkeit auf. Nur mühsam kann ich sie unterdrücken.

Geschockt gehe ich zum Telefon, um meine Kollegen anzurufen. Auch wenn mein Wohngebiet nicht zu unserem Einzugsgebiet gehört, möchte ich erst einmal nicht mehr Leute als nötig darüber informieren. Das Gerede, welches nicht ausbleiben wird bei einer solchen Sache, wird meiner Karriere ohnehin nicht guttun.

Während ich auf meine Kollegen warte, laufe ich wie ein eingesperrter Löwe in meiner Wohnung auf und ab. Wer kann so etwas getan haben? Wessen Finger ist das? Ich vermute, der einer Frau, wobei ich ja hier in der Simon-von-Utrecht-Straße wohne. Mitten im Herzen des Hamburger Kiez mit all seinen Facetten. Da könnte es sich auch um einen Transsexuellen oder eine Dragqueen handeln. Aber es wird die Aufgabe der Rechtsmedizin sein, das herauszufinden.

Endlich klingelt es an der Tür. Noch nie habe ich dieses Geräusch so sehr herbeigesehnt wie heute. Als aber Maik, mein Kollege, reinkommt, wünsche ich mir doch, dass ich die andere Wache angerufen hätte. Ich habe noch nie jemanden aus dem Team bei mir gehabt. Es hätte mir klar sein müssen, dass es doofe Sprüche hageln würde.

»Na, so mitten am Tag eine Einweihungsfeier zu veranstalten, ist aber auch nicht gerade clever. Da können wir ja nicht mal ein Bier trinken.««

Kevin aus der anderen Schicht muss sogar noch einen draufsetzen: »Du willst also die Feier auf Sparflamme halten. Wenn wir früher Bescheid gewusst hätten, wären wir ja gerne bereit gewesen, noch etwas mitzubringen.««

Knurrend unterbreche ich die beiden Spaßmacher.

»Ich habe euch beide angerufen, weil ich einen Finger vor meiner Tür gefunden habe, und nicht, weil ich mit euch Party machen möchte. Ich würde mich also freuen, wenn ihr euch meinem, beziehungsweise dem Problem der Dame, der der Finger gehörte, annehmen würdet.««

Mein Tonfall scheint beide wieder zur Besinnung zu bringen.

»Dann zeig uns mal das Corpus Delicti. Ist bestimmt ein Scherzartikel von irgendwelchen Nachbarn oder Kindern. Ich habe dir immer gesagt, das ist keine Gegend zum Wohnen. Ich weiß, du hast es damit nicht weit zur Party, aber leider ist diese auch gerne vor deiner Tür.«

»Es ist kein Scherzartikel, außer, es gibt welche mit echtem Blut und Knochen. Sogar der typische, süßliche Geruch des Todes hängt daran. Ich kenne noch kein Parfüm, das so riecht.«

Beide werden sofort dienstlich. »Wir sollten die Spurensicherung dazu holen. Wenn du Recht hast, wird uns auch nichts anderes übrigbleiben, als das Dezernat für interne Ermittlungen einzuschalten. Das wird ein Höllenritt für dich.«

Es hört sich beinahe so an, als würde Maik denken, dass ich der Übeltäter bin. Nicht das erste Mal habe ich mit der Internen zu tun. Ich weiß, es wird eine nervige Angelegenheit, auch wenn ich nichts zu befürchten habe.

»Kümmern wir uns erstmal um den Finger. Den Rest werde ich aushalten.« Endlich widmen sich die beiden dem Paket. In der Zeit, in der ich auf sie gewartet habe, ist das Eis fast vollkommen geschmolzen. Eine Wasserlache hat sich auf meinem Küchentisch gebildet.

Ein kurzer Blick von Kevin und ein bestätigendes Nicken veranlassen die beiden dazu, den Finger nicht weiter zu untersuchen, sondern, wie ich es vorgeschlagen habe, die Spurensicherung anzurufen.

»Weißt du, wer dir das Paket vor die Tür gelegt haben könnte? Oder wer die Frau ist? Wer könnte so verfeindet mit dir sein, dass du so ein Paket gesendet bekommst?«

Kevin beginnt mit meiner Befragung. Eigentlich bin ich ja dankbar, denn ich möchte diese Situation schnellstmöglich beendet sehen. Aber mir fällt niemand ein. Klar, ich habe mir keine Freunde gemacht. Ich vermute nicht, dass ein ehemaliger Verdächtiger oder gar einer, der aufgrund meiner Arbeit ins Gefängnis kam, damit beginnt, mir Leichenteile zu schicken. Bedrohungen, das kenne ich, aber so drastisch? Nein, da fällt mir niemand ein. Kevin scheint meine Gedankengänge zu ahnen.
»Ich glaube dir, dass du dir niemanden vorstellen kannst, aber du musst da genau nachdenken. Hat dich jemand in der letzten Zeit bedroht? Oder hattest du einen Fall, der aufgrund von Indizien entschieden wurde? Alles könnte von Interesse sein.«

»Kevin, wenn dem so wäre, wieso dann nur ich und nicht auch Maik? Wir arbeiten seit mittlerweile vier Jahren in einem Team. Mein ehemaliger Partner ist gestorben, also könnte es aus der Zeit sein. Aber wer würde nach so vielen Jahren noch etwas gegen mich unternehmen?«

»Jemand, der wütend auf dich ist. Da sollten wir am besten ansetzen.«

Endlich werde ich befreit, denn Maik hat die Kollegen von der Spurensicherung reingelassen.

Ich werde gleich mit einem dummen Spruch begrüßt. Ich kann es nicht mehr ab. Ich sollte mir dringend einen anderen Job suchen.

»Mensch, Thomas, schön dich zu sehen. Was machst du nur für Sachen! Wir sehen dich echt gerne, aber doch nicht unter diesem Stern.«

Der Kollege verstummt sofort. Ich denke, mein Blick hat ihn eingeschüchtert.

Schweigend machen sie sich an die Arbeit. Der Kollege, der mich gefoppt hat, schüttelt den Kopf:

»Thomas, es befinden sich nur außen auf dem Paket Fingerabdrücke. Wir gehen davon aus, dass du es angefasst hast, ehe du dir Handschuhe angezogen hast?«

»Ja. Du willst also sagen, dass derjenige so professionell ist und keine Abdrücke hinterlassen hat?«

»Außen und da, wo das Wasser sie nicht komplett aufgelöst haben kann, sind nur deine. Aber hundertprozentig können wir das natürlich erst sagen, wenn sie im Labor untersucht wurden. Wir werden den Finger nun einpacken und in die Rechtsmedizin bringen. Vielleicht finden die noch etwas, was wir so nicht sehen können. Auch was die Herkunft betrifft und wie lange dieser Finger schon abgetrennt ist. Auf den ersten Blick würde ich sagen, es ist laienhaft mit einem normalen Messer gemacht worden. Aber da werdet ihr noch warten müssen, bis die Kollegen der Medizin uns mehr sagen können.«

Man sieht ihm an, dass er mir gerne andere Nachrichten mitgeteilt hätte. Es wird wohl eine harte Nuss, den Fall zu klären. Nachdem die Spurensicherung mit dem Finger abgezogen ist, gehen Maik und Kevin nochmal von Haustür zu Haustür. Für den Fall, dass jemand etwas gesehen hat.

Maik hat das Pech erwischt, er hat bei meiner Nachbarin Frau Ebert geklingelt. Diese lässt es sich nicht nehmen, sich über mich und meinen Lebensstil auszulassen. Sie habe es schon immer geahnt, dass irgendwann einmal etwas Schreckliches passieren würde. Ich höre, wie Maik freundlich versucht, Frau Ebert abzuwimmeln, denn sie scheint nichts gesehen zu haben. Was ich mir kaum vorstellen kann.

Sie ist die neugierigste Person, die ich kenne.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen beide wieder rein.

»Nichts, keiner scheint etwas gesehen zu haben. So viele Menschen und auch so wissbegierige, aber keiner hat mitbekommen, wie man dir das Paket hingelegt hat. Wir sollten auf die Wache. Dort werden wir ein Protokoll anfertigen, und wir haben auch schon die Interne informiert. Ich denke, dass sie heute noch jemanden schicken werden, der dich vernehmen wird. Ich hatte gehofft, wir könnten mehr für dich tun.«

Ich höre aus Kevins Stimme echtes Bedauern, aber es lässt sich nicht ändern.

»Ich werde mein Rad nehmen. Ich kann mir vorstellen, dass die Nacht lang wird. So bin ich unabhängiger. Wir treffen uns dann gleich.«

»Mit dem Rad bis Bergedorf, das sind über zwanzig Kilometer! Machst du das öfter?« Maik kennt mich anscheinend immer noch nicht gut.

»Ja, ich fahre immer mit dem Rad. Gerade nach einem langen, harten Dienst ist das eine wunderbare Möglichkeit abzuschalten. Aus diesem Grund will ich das heute auch wieder machen.«

Vor der Tür verabschieden wir uns.

2.Kapitel

 

Auf dem Weg zur Wache geht mir nichts anderes durch den Kopf als die Frage, wer es gewesen sein könnte. Es muss, wie Kevin schon sagte, vorher schon Anzeichen dafür gegeben haben. Aber bis auf Bedrohungen während einer Vernehmung gab es nichts, was darauf hätte hindeuten können.

Was soll ich nur den Kollegen der Internen sagen, wenn sie mich gleich vernehmen? Ich wisse nichts? Keine Ahnung, wer die Frau sein könnte? Ich werde mit Sicherheit suspendiert.

Einmal, als ich die Dienstwaffe einsetzen musste, ist mir das passiert. Damals blieb mir eigentlich keine andere Wahl. Der Flüchtende stoppte nicht auf meine Zurufe hin, und alles deutete darauf hin, dass er der Täter war. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er taub war und mich deswegen nicht gehört hat. Noch heute mache ich mir Vorwürfe, auch wenn keine bleibenden Schäden zurückgeblieben sind. Der Mann hat meine Entschuldigung angenommen, und wenn wir uns auf der Straße treffen, grüßen wir uns sogar.

»Thomas, du solltest dich beeilen. Oben im Verhörraum sitzt einer von der Internen und wartet ungeduldig auf dich.« Der Kollege aus dem Empfangsraum fällt gleich mit der Tür ins Haus. Nicht mal ein Kaffee scheint mir vergönnt zu sein. Aber den Kollegen oben warten lassen, geht für mich auch nicht. Also begebe ich mich auf dem direkten Weg ins Besprechungszimmer im zweiten Stock. Auf dem Flur kommt mir Maik entgegen.

»Es wäre doch besser gewesen, wenn du mit uns gekommen wärst. Der Herr scheint nicht gerade geduldig zu sein. Er hat schon viermal nach dir gefragt.«

Ohne ein Wort rausche ich an ihm vorbei. Es lässt sich nun nicht mehr ändern, aber ich muss ihn ja nicht warten lassen, weil ich mich auf dem Flur mit meinem Kollegen unterhalte.

Als ich die Tür aufmache, muss ich erst einmal schlucken. Ein älterer Kollege mit einem grimmigen Blick sitzt auf einem Stuhl und schreibt etwas in eine Akte – ich vermute, es ist meine. Es ist ein komisches Gefühl, dass dieses Mal ich derjenige bin, der verhört wird. Obwohl ich weiß, dass ich unschuldig bin, kommt in mir ein Schuldgefühl auf. Habe ich vielleicht doch etwas getan, was verboten ist? Ich denke, so geht es allen, die in diesen Raum kommen und verhört werden.

»Setzen Sie sich, Herr Eickhoff. Ich heiße Mayer, von der Internen. Wir haben Gesprächsbedarf. Wann genau wurde der Finger vor ihrer Tür abgelegt? Haben Sie schon jemanden im Verdacht? Haben sie eine Vermutung, wer die Frau sein könnte?«

Der ist aber auch sehr direkt! Ich kenne ja viele Verhörtechniken, aber alle Fragen auf einmal zu stellen, keine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen, das ist mir neu.

»Ich versuche mal ihre Fragen, so gut wie möglich, von Anfang an zu beantworten, Herr Mayer. Vom Dienst bin ich heute Morgen um zwei Uhr heimgekommen. Da lag noch nichts auf der Fußmatte. Etwa gegen neun Uhr bin ich unter die Dusche gegangen. Ich vermute, da lag noch nichts draußen, auch wenn ich nicht geschaut habe.« Als ich seinen fragenden Blick sehe, frage ich mich, ob er jeden Morgen erst einmal aus der Tür schaut. Aber vielleicht ist er ja auch jemand, der jeden Morgen seine Zeitung in Hauslatschen und Nachtzeug hereinholt.

Ich versuche, als ich weiterspreche, so unbeirrt wie möglich zu klingen. »Einige Minuten später hat es an der Tür geklingelt. Meine Vermutung ist, dass der Täter damit meine Aufmerksamkeit auf das Paket lenken wollte. Leider dachte ich aber, dass dies meine Nachbarin sein könnte, da sie sich oft über mein spätes Heimkommen beschwert. Ich bin deshalb nicht gleich aus der Dusche raus, sondern habe noch in Ruhe zu Ende geduscht und dann gefrühstückt. Das dauerte bis circa zehn Uhr, und dann dachte ich, ehe Frau Ebert einen Beschwerdebrief über mich schreibt, gehe ich doch lieber mal zu ihr rüber. Erst dann ist mir das Paket aufgefallen.

Wer es mir gesendet hat, kann ich Ihnen nicht sagen, es stand kein Schild dran. Ich kann nur vermuten, dass es mit meiner Arbeit zu tun hat. Wer die Frau ist? Auch das kann ich nicht beantworten, der Täter hatte dem Finger leider keine Visitenkarte beigelegt.« Ich bin über meine aggressive Stimmung selbst überrascht. 

»Haben Sie irgendwelche Probleme mit Frauen?«

Wie kommt der darauf? Klar, ich hatte in den letzten Jahren, wenn, dann nur eine kurze Beziehung. Obwohl ‚Beziehung’ nicht die richtige Bezeichnung ist, eher One-Night-Stands. Aber das bringt der Beruf mit sich. Gerade wenn man darin erfolgreich sein möchte.

»Wie meinen Sie das?« Ich ärgere mich über mich selbst. Wieso zittert meine Stimme? Ich weiß doch, dass ich nichts falsch gemacht habe. Aber die Art, wie Herr Mayer mich angeht, verunsichert mich doch.

»Na ja, haben Sie vielleicht gerade eine Beziehung beendet, die nicht so verlaufen ist, wie sie es sich wünschten? Oder haben Sie in der letzten Zeit den Drang verspürt, einer Frau Verletzungen zuzufügen?«

»Ich glaube kaum, Herr Mayer, dass wir mit diesen Anschuldigungen weiterkommen, aber, wenn es sie beruhigt... Nein, ich habe niemanden verletzt, noch wollte ich es. Und meine letzte Beziehung ist so lang her, dass sie kaum noch wahr ist. Wenn sie in meine Dienstakte schauen würden – ich vermute stark, dass sie vor Ihnen auf dem Tisch liegt – werden sie sehen, dass ich mehr Überstunden habe als die halbe Belegschaft der Wache zusammen. Dass ich so einige Tage und Nächte hier verbringe und nicht mal nach Hause fahre. Ich habe mich auf eine Stelle beim SEK beworben. Das kann ich nur, wenn ich einen freien Kopf habe. In meinem Leben ist kein Platz für irgendeine Frau.«

Endlich hat meine Stimme wieder die Festigkeit, die ich mir von Anfang an gewünscht habe.

»Ich hörte aber von Ihren Kollegen, dass Sie nie mit ihnen in die Kneipe gehen. Sie vermuteten dahinter eine Frau.«

Ach, er hat schon mit meinen Kollegen gesprochen? Ich würde gerne wissen, wer so etwas über mich gesagt haben könnte.

»Wenn wir das Verhör auf Hörensagen und Vermutungen aufbauen wollen, werden wir nicht weiterkommen. Ich habe in den letzten Jahren viele große Fälle geklärt. Damit habe ich mir nicht nur Freunde geschaffen. Wir sollten da ansetzen und nicht an der Frage, ob ich eine Frau hatte oder nicht. Des Weiteren ist es schon eine seltsame Art, mir Leichenteile zuzusenden. Wir sollten ein Profil des Täters erstellen. Was ich Ihnen nur raten kann, Herr Mayer: Haben Sie genug Vertrauen in mich und meine Person, dass ich mit Sicherheit niemanden töte, mir dann die Körperteile auf meine Fußmatte lege und zum Ende noch meine Kollegen anrufe, um ihnen das mitzuteilen. Und nun würde ich gerne meine Arbeit wiederaufnehmen. Ich will herausfinden, wer das war. Und von Ihnen, Herr Mayer, wünsche ich mir vollste Unterstützung. Zum Beispiel wäre es super, wenn ein Fallanalytiker mit hinzugezogen würde.«

Herr Mayer schaut mich stumm an. Ich habe das Gefühl, die Zeit rinnt unendlich langsam dahin. Aus Sekunden werden Minuten.

»Eigentlich müsste ich Sie sogar suspendieren. Aber ich habe Ihre Akte gelesen. Sie haben wichtige Fälle bearbeitet. Sie hatten immer eine lupenreine Weste. Den einen Vorfall hätte ich nicht weiter untersucht, aber Sie standen damals Ihren Mann. Sie hatten Courage und haben sich entschuldigt. Soweit ich weiß, halten Sie bis heute noch Kontakt mit dem Opfer. 

Sie werden den Fall weiterbearbeiten dürfen. Aber es gibt ein paar Einschränkungen. Sie werden nicht wie gewohnt mit Ihrem Kollegen arbeiten, sondern jemanden von der Internen an Ihre Seite bekommen. Sie dürfen nur an diesem Fall arbeiten. Egal, was es ist, Sie haben sofort Bericht zu erstatten. Ihre Dienstwaffe muss nach Dienstschluss auf der Wache bleiben. Ich werde mich bemühen, Ihnen einen Profiler an die Seite zu stellen. Auch wenn ich noch nicht genau weiß, was dieser machen kann. Viel ist noch nicht da, was er bearbeiten kann. Sollte es zu Ungereimtheiten kommen, egal, wie nichtig, muss ich Sie vom Dienst beurlauben lassen. Enttäuschen Sie mich nicht.«

Ohne ein Wort des Abschieds verlässt er den Raum. Ein Unwetter ist nicht weniger stürmisch.

Ich bleibe noch einige Minuten zur Erholung sitzen. Auch wenn der Kollege von der Internen gewiss noch einige Zeit braucht, entscheide ich mich, meine Fallakten der letzten zehn Jahre durchzugehen. Mit der Zeit habe ich die ersten großen Fälle übernommen, und ich vermute, dass der Täter eher aus diesem Bereich kommt.

Ich bin gerade dabei, den Fall von einem Kinderschänder aufzumachen, als meine Tür aufgeht. Ich blicke hoch und stöhne innerlich auf. Wieso in drei Gottesnamen muss es eine Frau sein? Wahrscheinlich um zu testen, ob ich in der Lage wäre, eine Frau zu töten. In all meinen Dienstjahren hatte ich es geschafft, nur männliche Kollegen zu bekommen. Nicht, dass ich irgendetwas gegen Frauen im Dienst hätte, nein, das wirklich nicht. Aber Frauen lenken von der Arbeit ab. Gerade, wenn sie so gut aussehen wie diese.

 Ich versuche, ihr trotzdem ein Lächeln zu schenken – ändern kann ich es ja sowieso nicht.

»Hallo! Mein

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alexandra Krebs
Bildmaterialien: Valery Kraynov / 123 RF Foto Schmetterling: © sunshinesmile / 123RF lizenzfreie Bilder
Lektorat: Sabrina Ruhmann, Anja Binnebößel
Tag der Veröffentlichung: 18.11.2016
ISBN: 978-3-7396-8380-5

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