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Prolog

Prolog

 

 

Ägypten
Neues Reich in der 18. Dynastie
Am Hafen in Memphis
Kapitän Narmer

 

Es war dunkel.
Es war kalt.
Und es war spät.
Es ging ein rauer Wind, und dichter Nebel zog vom Nil herauf.
Der Mondgott Chons stand hoch am Himmel und überblickte den Hafen von Memphis. Die Krokodile, Freunde des Nilgotts Sobek, trieben gemächlich im Wasser, nur ihre Köpfe auf der Oberfläche warfen dunkle Schatten.
Selbst das übliche Gewimmel von betrunkenen Seeleuten und Prostituierten um den Hafen ließ langsam nach. Sie verzogen sich in die schmierigen Kneipen, suchten für illegale Geschäfte Schutz in den Hinterzimmern oder vergnügten sich in dunklen Gassen miteinander.

Zumindest war es so ruhig, dass man schon weit unten am Hafen den festen Schritt des Mannes hörte, auf den Narmer wartete. Ungeduldig lief er den Steg auf und ab.

Er war davon ausgegangen, dem Fremden nur eine einfache Schiffskarte zu verkaufen.
Doch die Botschaft, die ihn mittags erreicht hatte, er solle zur Mondstunde bei der Goldschweif warten hatte ihn stutzig gemacht. Noch nie wollte ihn jemand nur wegen einer Fahrt in dem gefährlichsten Teil der Hauptstadt Memphis zu so später Stunde treffen.
Zu heikel waren die dunklen Gassen. Egal wer nun bald erscheinen würde - derjenige wollte etwas anderes.
Illegale Geschäfte waren in seinem Beruf Alltag. Doch normalerweise wusste er, mit wem er solche Geschäfte schließen würde. Man kannte sich nach den vielen Jahren gegenseitig. Und jeder seiner Kollegen wusste, wie man solche Treffen plante – sicherlich nicht mitten am Hafenbecken. Dazu gab es bekannte Kneipen, in denen man vor den Wachen sicher war. Doch das Siegel auf dem Umschlag war ihm bis heute fremd gewesen.
Ihm war klar, dass die Person nicht wegen einer Schiffsfahrt kam - da war mehr.
Doch was war es?
Klug wäre es gewesen, sich mit seiner Mannschaft zusammen oben im Gasthaus vom Affen zu betrinken und dann in den Armen der dicken Wirtin befriedigt einzuschlafen, doch nun stand er hier.
Die einzige Antwort, die Narmer einfiel wäre, dass sein Mitwirken bei den Rebellen aufgeflogen war. Doch woher sollte der Mann davon wissen? Sollte Königin Hatschepsud ahnen, dass es im Untergrund brodelte hätte sie schon längst ganze Trupps losgeschickt um die Verräter zu verhaften – es würden längst Köpfe rollen und Blut würde die Gassen verschmutzen. Aber soweit er wusste saß sie immer noch gemütlich in Theben in ihrem goldenen Thron, oder nahm malwieder ein Milchbad.
Sie würde doch nicht nur einen einzigen Mann zu ihm schicken, um ihn zu töten. Was hätte sie davon? Er war nicht einmal in einer besonders hohen Position bei den Roten Räuber. Oh nein - die Anführer waren komplett unbekannt, da sie vermutlich Adelige sind, die der Königin selbst sehr nahe stehen – mit ihrem offenen Mitwirken hätten sie zu viel riskiert.

Doch nun wartete er am Hafenbecken, unwissend, was ihm bevorstand.
Er war einfach zu neugierig - was ihm früher oder später noch den Tod bringen würde.
Doch jetzt war es zu spät.

Als endlich eine dunkle Gestalt um eine Häuserecke bog und direkt auf ihn zusteuerte, hörte er auf nervös herumzulaufen und blickte dem Fremden entgegen.
Er war jung, noch lange keine 30 Jahre alt, das erkannte Narmer mit einem Blick in das Gesicht des Fremden. Ein feines Lächeln lag auf dessen Lippen. Er trug einen dunklen Kilt und hatte Sandalen an den Füßen. War wohl ein reicher Kaufmann.
Sein Gesicht war typisch für reiche Ägypter, glatt rasiert und auch sein dunkles Haar war kurz gehalten.
„Kapitän Narmer, ich freue mich, dass sie sich so spät noch Zeit für mich nehmen konnten“, sagte er kaum, dass er vor Narmer stand. Seine Stimme war angenehm, doch hörte man einen leicht herrischen Ton dahinter.
„Das war doch selbstverständlich, Herr…?“
„Santis. Bücherschreiber aus Theben.“
Ah ein Bücherwurm also.
Narmer entspannte sich langsam. Wahrscheinlich war der Junge doch nur an einer Fahrt nach Theben interessiert und kannte sich in Memphis nur nicht besser aus, um zu wissen, in welch eine gefährliche Situation er sich hier am Hafen brachte.
Da blitzten die Augen des Jungen auf, der seine Gedanken zu erraten schien.
„Kapitän, ich denke sie wissen, dass es nicht das übliche Geschäft ist, welches ich mit ihnen betreiben möchte. Ich will gleich zum Punkt kommen. Ich weiß dass sie nicht für, sondern gegen unsere Königin arbeiten. Und ich möchte herausfinden, wie ausgeprägt ihr Vertrauen gegenüber den Roten Räubern ist. Ich stehe auf ihrer Seite, auf Thutmosis Seite, keine Sorge. Doch ich finde, wir sollten uns einen sichereren Ort suchen, um dieses Gespräch weiter zu führen – was meinen sie?“
Da hörte man plötzlich weitere Schritte. Sie stammten von mindestens vier Männern. Sie bewegten sich schnell. Das Echo wurde immer lauter zwischen den Häuserreihen der Stadt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie das Hafengelände erreicht hätten.
„Verdammt. Die sind schneller als ich gedacht hatte.“ Zischte der Junge durch gepresste Lippen und zog Narmer im gleichen Atemzug in den Schatten eines Bootes.
„Sie verhalten sich nun ganz still, verstanden Kapitän?“
Er blickte ihm dabei ins Gesicht. Narmer nickte ihm zu. Kein Wort würde über seine Lippen geraten.
Da bogen die fremden Männer um die letzte Häuserecke. Kurz verharrten sie und deuteten dann auf Narmers Schiff.
Der Junge hockte sich hin und zog einen langen Dolch unter seiner Tunika hervor. Er schob Narmer hinter sich und bedeutete auch ihm, sich zu ducken.
Die Männer steuerten direkt auf das Schiff zu. Keine fünf Schritte trennten sie noch. Als sie an ihrem Versteck angelangt waren und gerade vorbei liefen ging alles sehr schnell. Der Junge streckte den ersten der Männer, einen stämmigen Großgewachsenen mit einem Streich am Hals nieder. Der Mann gurgelte Blut und fiel dann über den Steg ins Wasser. Der Zweite konnte nicht schnell genug die Waffe ziehen, wodurch auch er schnell das Messer im Brustkorb stecken hatte. Doch die beiden anderen Männer standen nun vor dem jungen Mann, der den leblosen Körper schützend vor sich hielt, das Messer bereits wieder aus dem Körper gezogen.
Sie kamen näher. Keiner der Männer bemerkte Narmer, als dieser sich aus seinem Versteck schlich und sein eigenes Messer zog.
Er huschte unbemerkt hinter die Kerle.

Das Gesicht des Jungen lag für einige Sekunden im Licht des Mondscheins.
Einer der Männer keuchte auf.
„Sie?! Sie haben keine Chance allein, mit ihrem Messer gegen uns beide. Der Hass der Königin wird sie treffen. Sie wird sie auseinander nehmen“ lachte er schallend auf.
„Ich bin ja auch nicht allein“, erwiderte der Junge und wirbelte herum. Den Körper ließ er fallen und stürzte auf den rechten der Männer, dem das Lachen wie aus dem Gesicht gewischt wurde.
Narmer tippte dem anderen auf die Schulter, als der sich erschrocken umdrehte drosch er ihm seine Faust mitten ins Gesicht. Er fiel um wie ein gefällter Baum.
Neben ihm stürzte auch der letzte der Männer auf die Planken.
„Töte ihn, er hat mich erkannt“, sagte der Junge und schob die toten Männer ins Wasser.
Ohne zu zögern rammte Narmer dem bewusstlosen Kerl das Messer in den Hals und schob ihn über die Stegskante in die Fluten.
Nilgott Sobek würde sich über das Opfer freuen.
Man sah schon die Schatten der Krokodile übers Wasser in Richtung der leblosen Körper gleiten.

„Wer seid ihr?“ fragte Narmer den Jungen.

„Alles zu seiner Zeit, Kapitän.“

Kapitel 2- Der Fremde

2.

 

In einer Villa im Osten von Memphis
Aus der Sicht der jungen Sklavin Kaja

 

Amun hatte in Theben eine wunderschöne Frau gesehen. Als er Ahmose schlafend in ihrem Bett sah nahm er die Gestalt ihres Mannes Thutmosis I an und lag ihr bei. 
Ahmose erkannte ihn jedoch als Gott und versprach ihm, der Tochter in ihrem Leib den Namen Hatschepsud (die erste der Damen die Amun umarmt) zu geben, da sie im ganzen Land die Rolle des Königs einnehmen solle.

Kaya betonte vor allem den letzten Satz deutlich. 
Die Geschichte erzählte von ihrer Königin Hatschepsud, die nicht nur von ihrem irdischen Vater, Thutmosis I, sondern auch von göttlicher Abstammung ist. Der Reichsgott Amun hat Hatschepsuds Mutter stattdessen beigelegen. 
Wenn Kaja ihrem Herren vorlas, musste sie stets auf eine genaue Wortwahl achten, denn wenn sie auch nur den kleinsten Fehler in der Übersetzung von dem ägyptischen Schriftstück in ihrer Hand in das Babylonische vornahm, konnte sie hoffen, allein mit einer leichten Ohrfeige davon zu kommen.
Was ihre Bildung belangte, war ihr Herr Istaz sehr konsequent. 
Er hasste dumme Sklaven bis aufs Blut, und da die Älteren bereits eh versaut waren, versuchte er sein Glück wenigstens bei Kaja. Was auch sehr fruchtete. Kaja selbst kannte keinen Sklaven, und auch nur wenige Männer und schon gar keine Frauen, die lesen konnten. 
Und sie hatte nicht nur das Glück Ägyptisch lesen und schreiben zu können, sondern auch Texte auf Babylonisch zu verstehen und zu verfassen.
Istaz selbst hatte nur einen Sohn. Und dieser war leider so dumm wie ein Esel. Auch sein Vater schien so zu denken, denn er vergeudete selten seine Zeit mit Thoris.
Istaz lehrte Kaja als wäre sie sein Fleisch und Blut, wahrscheinlich aus dem Grund dass sie später seinem Sohn als rechte Hand bei den Geschäften behilflich sein sollte. Bei allem anderen wurde sie wie jeder der anderen Sklaven auch. Sie schlief in den Baracken, musste den Boden schrubben, für Istaz kochen und die Pferde misten.
Unterlief ihr ein Fehler, erhob er die Hand gegen sie, war nicht mitfühlender als sonst auch. 
Doch heute hatte sie ihre Aufgabe anscheinend gut gemeistert, denn Istaz klatschte anerkennend und klopfte ihr auf die Schulter. 
„Gut gemacht Kaja. Heute hast du dich sehr angestrengt“, meinte er, räusperte sich, und stand schwerfällig auf. Wie jeder reiche Kaufsmann hatte auch Istaz nie Hunger zu leiden und sich einen ordentlichen Vorrat angegessen.
Aber auch Kaja konnte nicht klagen, Istaz war zu allen seinen Sklaven stehts aufmerksam – noch nie hatte jemand unter seinem Dach schlimmen Hunger gehabt. 
„Für morgen hoffe ich, dass du mir die Geschichte über unsere ehrfürchtige Königin weiter erzählen kannst. Also lese noch ein Stück für dich weiter.“ Sagte er noch, und ging dann aus der Bibliothek.

Sie warf nochmal einen Blick in das dicke Buch auf ihrem Schoß, bis die Schritte von Istaz auf dem Kies vor dem Anbau verklungen waren und erhob sich dann in einer fließenden Bewegung. 
Schon oft hatte sie lange nachdem Istaz mit seiner Lehrstunde fertig war in einer Ecke der staubigen Bibliothek weitergelesen. Märchen, Mythen, alte Briefe sogar Berichte von Schlachten und fanden sich in den unzähligen Reihen der Regale wieder. Die meisten Bücher in der Bibliothek stammten aus der Zeit des neuen Reichs, welches von Ahmose begründet wurde und unter Hatschepsut aufblühte. Sie waren alle auf Ägyptisch geschrieben, nur einzelne Papyrusrollen hatte Istaz zusammengesammelt, die alle im hinteren, dunkleren Teil der Bibliothek verstaut waren. Diese Texte erzählten von den großen Königen und Königinnen, den Pharaonen von Ägypten. 
Immer, wenn sie mal wieder von den Erlebnissen und Heldentaten der Könige gelesen hatte, träumte sie in den Nächten von sich selbst in der Rolle eines bekannten Herrschers. Ein Herrscher der frei war, bestimmen konnte wie er sein Leben zu leben hatte, der tun und lassen konnte was er wollte. Doch immer wenn sie dann aufwachte, war der Traum zu Ende. Dann befand sie sich wieder in einem Leben mit vorgegebenem Inhalt, mit Pflichten und mit Bestrafungen.
Also warum sollte sie von einem Leben in Freiheit träumen, wenn sie dann doch nur enttäuscht wurde.


„Feierabend“ sagte sie und klatschte dabei in die Hände. 
Nur noch schnell das Buch verstauen und schon rauschte sie aus der Tür.

Es war einer der vielen heißen Tage in diesem Jahr. 
Die Sonne knallte auf ihre braun gebrannte Haut, aber das war sie ja gewohnt. 
Auf dem Vorplatz stand Myra, die erste Sklavin von Istaz und hängte gerade die frisch gewaschene Wäsche der zwei Hausherren auf. Sie musste sich um den gesamten Haushalt kümmern, die Arbeiten koordinieren, Feste planen und sorgte sich dennoch gleichzeitig um Kaja, als wäre sie ihr eigenes Kind. 
Sie war sozusagen die Hausherrin.
Istaz liebte Myra über alles, doch konnte er sie nicht zur Frau nehmen, da sie aus ärmlichen Verhältnissen kam, und das Brandmahl der Sklaven auf ihrer Schulter trug. Ihr Verhältnis war innerhalb der Hofmauern ein offenes Geheimnis, denn den dicken runden Bauch unter ihrer Tunika konnte sie seit drei Monaten nicht mehr verstecken. Obenrum war sie nicht bekleidet, wie es sich für erwachsene Dienerinnen gehörte, und wie es anscheinend auch Istaz am besten gefiel, denn in genau diesem Moment trat er von hinten an sie heran und legte eine Hand auf ihre freie Brust. Er flüsterte ihr etwas von hinten ins Ohr, woraufhin sie kicherte und zustimmend nickte. Dann ließ er sie los und verschwand im Haupthaus.

Kaja musste lächeln. Sie wusste das sie es gut getroffen hatte im Haus von Istaz zu wohnen. 
Seine erste Frau war vor siebzehn Jahren bei der Geburt von Thoris mit einem jungen Alter mit nur fünfzehn Jahren verstorben. Er erwarb Myra damals als Amme für den Kleinen und verliebte sich angeblich sofort in sie. Nachts war Myra nie im Schlaftrakt der Sklaven.

Kaja strich sich über ihre eigene Schulter, die narbenfrei war. Sie lebte seit nunmehr fünfzehn Jahren in Istaz‘ Haushalt. Sie wurde von Myra damals in einem Binsenboot aus einer kleinen Flussmündung des Nils gefischt. Mancher Arme setzte sein Kind auf diese Art und Weise aus, aber auch manche reiche Frau, deren Mann auf Reisen verweilte, schickte den Beweis eines Ehebruchs in einem Binsenboot den Strom hinunter. Oft stellte sie sich vor, dass ihre Mutter eine Seemansfrau gewesen war, die ihren Mann mit einem anderen Reichen Kaufmann betrogen hatte. 
Vielleicht hätte Kaja ein Leben in Freiheit genießen können, wenn ihre Mutter nicht ihr eigenes Kind weg gespült hätte – aber so war es nun mal geschehen. 
Myra hatte es damals nicht übers Herz gebracht, sie sterben zu lassen. 
Myra hatte ihr erzählt, das Istaz erst abgeneigt war, doch nachdem er die eisblauen Augen des Säuglings gesehen hatte, konnte selbst er sie nicht mehr liegen lassen. Eine solche Augenfarbe war in Ägypten eine Seltenheit und ein Zeichen der Göttin Maat. Man sagte über solche Kinder aus, dass die Maat sie berührt hatte und sie deshalb einen Teil der Göttin selbst in sich trugen. Schon häufig hatte Istaz gute Angebote für sie bekommen, und sie konnte von Glück reden, dass er nie darauf eingegangen war. 
Schöne Sklaven hatten es in dieser Welt nicht leicht.

Sie hatten zwar keine Spiegel im Haus, nur der Hausherr hatte einen im Badezimmer hängen, doch sagte man ihr oft, dass sie eine Schönheit wäre.
Kaja selbst fand das nicht. Wenn sie an sich herab sah, sah sie nur eine knochige schlaksige Figur.
Sie hatte nicht so schöne Rundungen wie Myra.

Ihr Herr hatte noch nie mit anderen Absichten Hand an sie gelegt, anders als dessen Sohn Thoran. Vor ihm hatte sie sich etwas hüten müssen. 
Sie war mit Thoran damals aufgewachsen, was als Kinder nie ein Problem für die beiden war. 
Doch nachdem Thoran vor zwei Jahren auf ein Internat für die junge Elite Memphis gekommen war hatte sich ihr Verhältnis schnell geändert. 
Das allererste Mal hatte sie es in den ersten Ferien bemerkt, als Thoran nach Hause kam. 
Er hatte nicht mit ihr gesprochen. Sie nicht einmal mehr eines Blickes gewürdigt. 
In den nächsten Ferien waren Freunde mit ihm gekommen. Sie hatten Kaja gesehen und sie Hure genannt. Als sie fliehen wollte hatten sie sie an den Haaren festgehalten.
Zum Glück war Istaz damals eingeschritten. 
Ab dem Moment hatte Thoran sie nicht mehr ignoriert. Er hatte sie beleidigt oder sie mit Sachen beworfen, wenn sie nur den kleinsten Fehler beging. 
Doch Thoran wusste, dass er nicht zu weit gehen konnte. Istaz hätte ihn grün und blau geschlagen, wenn er Kaja etwas angetan hätte. 
Sie war wie eine Tochter für ihn. Mit einem Unterscheid, sie würde niemals frei sein.

Die große Villa lag im Östlichen Teil der Stadt in den inneren Ringen der Kaufleute. 
Zum Forum war es nicht weit. 
Kaja verschwand im Schatten der Gebäude, damit Myra sie nicht bemerkte und kletterte an einem ungeschützten Teil über die rote Sandsteinmauer. Leise kam sie auf der anderen Seite auf dem Boden auf und schaute die Straße Richtung Westen hinauf. Schloss man die Augen konnte man bereits den Markt riechen. Frisches Gebäck, vor allem die Zimtbrötchen, Gewürze wie Anis und Safran. Mit flottem Schritt lief sie dem Geruch entgegen. Es war an der Zeit mal wieder etwas Freiluft schnuppern zu gehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 3- Unterwartete Entdeckung

3.

 

Hauptforum in Memphis
Aus der Sicht von Senenmut

 

Er war sauer. 
Die Hälfte seiner Männer war in der Nacht von ihrem Auftrag nicht heimgekehrt. 
Vor zwei Stunden erst hatte man sie gefunden. 
Sie wurden tot aus dem Nil gefischt - zumindest was von ihnen noch übrig war.
Dabei war es eine sichere Sache gewesen und die einzige Spur, der er hier hätte folgen können. 
Memphis war eine Hochburg der Verräter, ein Schlangennest, da war er sich sicher. Doch sie hielten sich so gut versteckt, dass er nicht den kleinsten Hinweis befand, wo ihr Versteck sein konnte. 
Warum war er gestern nur nicht selbst gegangen? 
Stattdessen hatte er seine Männer mit dem Auftrag losgeschickt, den Verräter zu ihm zu bringen, ohne ein Blutbad dabei zu veranstalten. Eine Sache hatten sie zumindest richtig gemacht, sie hatten sich wenigstens unauffällig töten lassen. So hatte er weniger zum aufräumen. 
Memphis war eine einzige Sackgasse.

Dennoch hatte er zwei Aufgaben. 
Zwei! 
Und bisher keine von beiden erfüllt.
Seine Wut war so groß – er musste sich Luft verschaffen. Dringend.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite kam plötzlich hektisches Treiben auf.

Ein dicker Junge war mit einem Korb voll mit gelben saftigen Pfirsichen gestolpert. Viele der runden Leckereinen lagen nun auf dem Boden. Ein junges Mädchen sprang wie im Tanz um ihn herum und klaubte die Pfirsiche dabei auf, jeder der anwesenden glaubte sie würde ihm helfen das Obst zurück in den Korb zu bringen. Auch der Junge freute sich und konnte kaum die Augen von ihr abwenden um selbst seinen Korb wieder zu füllen.
Sie tanzte, sprang hoch in die Luft und schlug Räder und Piruetten. Eine Aufführung wie die einer Straßenkünstlerin. Der Junge grinste und Passanten fingen an ihr einen Rhythmus für den Tanz zu klatschen. 
Senenmut musste sogar lachen über die Gewitztheit des Mädchens. Denn mindestens jedes zweite der süßen Pfirsiche landete in den Taschen ihrer Tunika und nicht wieder im Korb. 
Doch keiner der Anwesenden achtete auf die verschwundenen Früchte. Die Zuschauer klatschten als alles aufgehoben war und zerstreuten sich- der Betrug war offensichtlich nur ihm aufgefallen.
Die Menschheit scharte sich schon immer um die Lügen, wie die Fliegen um einen Honigkuchen. Die Wahrheit aber flieht den Menschen. 
Die Fremde verbeugte sich anmutig und wand sich in eine kleine Gasse ab. 
Senenmut folgte Ihr. 
Eventuell konnte er ja doch noch eine Aufgabe erledigen.
Er hörte sie lachen und wie sie laut „Dummkopf“ sagte, jedoch nicht auf Ägyptisch, - sondern auf Babylonisch. Sein Interesse für dieses Mädchen stieg von Sekunde zu Sekunde. Er hatte womöglich genau hier auf dem Marktplatz die Puppe für sein nächstes Theater gefunden. 
Sie hatte einen Katzenhaften Gang und schwingende Hüften. Er konnte nicht einschätzen, aus was für Verhältnissen sie stammte, weshalb er Näher an sie herantrat. 
Seine Männer folgten ihm auf engem Fuße. 
Sie hielt ab und zu an einer Ecke an und biss von einem der Früchte ab, da konnte er sehen, dass sie kein Brandsiegel auf der Schulter trug. Dennoch lief sie auf nackten Sohlen und hatte eine schlichte, vergilbte Tunika an. 
Einmal tanzte sie eine Pirouette, und er erkannte strahlend blaue Augen in einem anmutigen Gesicht.

Sie war eine Tochter der Maat, der Göttin über Wahrheit und Ehrlichkeit, die sich in blauen Augen Ausdruck verlieh. Über diese Ironie musste er schonwieder lachen. Viele Priester meinten, dass eines Menschen Aussehen, solange es von den Göttern selbst gegeben war, ein Omen sei. So richtete der Mensch sein Leben komplett nach seinem Gott. Doch das Mädchen lebte anscheinend in die komplett andere Richtung.

Dieses Mädchen war genau so, wie er es wollte! Sie war perfekt für die Aufgabe. Da wurde sie plötzlich um eine Straßenecke gezogen.

 

Kapitel 4 - Gerettet

 

4.

In der Nähe des Marktplatzes in Memphis
Aus der Sicht von Kaja

 

Ach schmeckt das herrlich dachte sich Kaja, als sie beherzt in einen Pfirsich biss, den sie gerade dem kleinen fetten Obstjungen abgeluxt hatte. Wie beschränkt doch die Männer waren. Mindestens zehn Pfirsiche versteckten sich nun in der Tasche ihrer Tunika.
Keiner der Anwesenden auf dem Markt hatte ihren kleinen Trick bemerkt.

Das Gefühl der Freiheit durchströmte Kaja und sie musste unaufhörlich lachen und tanzen. Die fröhliche Melodie konnte zwar nur sie hören, aber fremde Leute ließen sich anstecken. Sie tanzte ab und zu einen Händler an, packte ihn an den Händen und sie drehten sich wild im Kreis. Im ersten Moment waren ihre Tanzpartner verschreckt und zuckten zurück, folgten jedoch im nächsten Augenblick ihrer Bewegung.
Bei einer alten Greisin welche Reis verkaufte schnappte sie drei kleine Säckchen und jonglierte diese einige Sekunden zwischen ihren Händen, bis auf dem faltigem Gesicht der alten Frau ein Lächeln erschien. Ein berauschendes Gefühl der Freude durchströmte sie, und lies auf ihrer Haut eine Gänsehaut zurück.
Nichts war so schön wie sich frei durch die Straßen von Memphis zu bewegen und Menschen mit ihrer Freude anzustecken.
Sie warf alle Säckchen zurück in den Korb und tanzte weiter durch die Straßen.

Seit Kaja hatte selbst laufen können, wurde sie jeden Morgen von Myra mit auf den Markt genommen. Zwar hatten die Beiden nicht viele Einkäufe zu besorgen, da die meisten Sachen zu der Villa geliefert wurden, doch der tägliche Spaziergang war eine Abwechslung von den stickigen Mauern der Villa.  Kaja kannte sich also in den Gassen um den Markt herum gut aus.

Ungeachtet ihrer Umgebung ging sie mit um die nächste Häuserecke, als sie plötzlich grob am Handgelenk gepackt wurde. Sie schrie auf und wollte dem Rüpel schon wilde Beschimpfungen ins Gesicht schleudern, als sie in ein Paar dunkle Augen blickte, welche sie nur zu gut kannte.

Thoris Gesicht war wutverzerrt.
„Wusste ich`s doch, dass ich dich kleine Schlampe gesehen habe.“
Sagte er gefährlich leise an ihrem Ohr und zog sie in die Seitenstraße aus der er kam.
Er drückte sie an die Wand und stützte sich mit seiner freien Hand hinter ihr ab.  
„Was machst DU hier? Wer hat dich allein aus der Villa gelassen“, fragte er wobei sein Griff um ihr Handgelenk noch stärker wurde. „Weiß Vater überhaupt von deinem kleinen Spaziergang?“
Sein Zorn stieg, doch Kaja war noch viel zu sehr in einer Schockstarre, als dass sie eine passende Antwort parat hatte. Warum genau hatte sie unbedingt Thoris über den Weg laufen müssen?.
„Nimm einfach deine Pfoten von mir Thoris“, kam es überraschend selbstsicher über ihre Lippen.
Keiner der Menschen um sie herum mischte sich in das Treiben ein, denn Thoris Kleidung sagte aus, dass er ein reicher Mann war und man ihm somit lieber nicht in die Quere kommen sollte.
Sein Blick wanderte nach unten zu der prall gefüllten Tasche ihrer Tunika, wobei er einen fragenden Gesichtszug annahm. Ohne ihren Arm zu befreien steckte er eine Hand in die Tasche, verdrehte ihr dabei den Arm unangenehm und zog ihn in einer fließenden Bewegung einen Pfirsich aus der Tasche.

Ein Moment der absoluten Stille trat ein, in der Kaja nur ihren eigenen Herzschlag wahrnahm. Thoris Blick hing an dem Pfirsich und wanderte dann langsam zurück zu ihrem Gesicht.   Seine Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln. 
„Sieh einer an - eine kleine Diebin habe ich hier“, rief er freudig aus.
Diese gehässige Freude ließ ihr plötzlich Angst in die Adern schießen. Sie konnte seine Wut und Abneigung aus Erfahrung einschätzen und mit ihr umgehen - aber mit dieser neuen Regung kannte sie sich gar nicht aus.
„Ach ist das schön – jetzt musst du brav tun und machen was der Thoris sagt, sonst fehlt dir gleich deine diebische Hand!“. Er biss beherzt in den einen Teil des Pfirsichs und kaute mit offenem Mund. Den Rest ließ er achtlos neben sie fallen. 
„Hm – vorzüglich.“
Kaja lief ein kalter Schauer den Rücken hinab.
Ihr Mund wurde trocken. Langsam fing ihr Geist an zu realisieren, in was für einer ausweglosen Situation sich sie im Moment befand.

„So kleines Miststück, jetzt kommst du mal schön an einen unbeobachteten Ort. Heute wird dich nichts und niemand mehr retten – heute gehörst du ganz und gar mir allein!“
Er lachte laut, packte Kaja mit der anderen Hand im Nacken und schob sie wie einen Hund vor sich her in eine dunkle Gasse.
Ein paar leere Obstsäcke lagen im hinteren Teil der Sackgasse. Die Wand erhob sich hoch und dunkel und stellte eine unüberwindbare Barriere dar.
Kaja keuchte laut auf, als sie verstand was Thoris vor hatte.
Dass er solche Absichten hegte wusste sie schon seit längerer Zeit, aber bisher hatte es für ihn nie Augenblicke gegeben, bei denen er die Gelegenheit gehabt hätte. Sie waren nie allein gewesen.
Bis heute.
Er gab ihr einen Ruck, so dass sie ein paar Schritte nach vorne stolperte. Für einen Moment war sie wieder frei und drehte sich hastig um. Sie duckte sich und hoffte schnell unter seinen großen Pranken hindurch huschen zu können.
Doch er stand ihr genauso in ihrem Fluchtweg wie die dicke Steinmauer in ihrem Rücken.
Jegliche Chance auf eine Flucht wurde ihr verbaut.
Von hier hatte sie einen Blick auf die belebte Gasse von der sie gekommen war, doch niemand machte dort Anstalten ihr zur Hilfe zu eilen. Wie konnte ihr niemand helfen? Es mussten doch mehrere Personen Thoris und sie gesehen haben… 

Kaja schluckte schwer und erstarrte in ihrer Bewegung.
Als Kaja in Thoris Augen schaute, sah sie nur noch den kalten Glanz der Gier.
Sie konnte sich nicht mehr bewegen, ihr Körper war wie gelähmt durch die Angst.
Es gab keinen Ausweg. Sie konnte nichts tun. Niemand würde ihr helfen.
Sie war allein.


Plötzlich veränderte sich ihre Sicht und sie sah alles wie durch eine Art Schleier.
Ihr Körper reagierte nicht mehr.
Er kam auf sie zu, stieß sie auf die Säcke. Sie landete hart auf dem Rücken. Er baute sich vor ihr auf. Ihr Körper tat nichts. Sie wollte schreien – aber kein Laut entwich ihren Lippen.
Er sank vor ihr auf die Knie. Seine Hände nestelten an seinem Hosenbund.
Da schoss ein Blitz durch ihren Kopf – der Schleier verschwand. 

Bevor er reagieren konnte, holte sie aus und trat mit voller Kraft in sein Gesicht.
Seine Nase gab unter ihrer Verse nach. Schnell rollte sie sich auf die Seite. Doch plötzlich waren da wieder Thoris Hände. Er warf sie zurück auf den Rücken. Hass lag in seinen Zügen und unbändige Wut.
Seine Unterarme drückten ihr auf die Brust, sodass sie keine Luft mehr bekam. Die Beine schob er über ihre.
Er nagelte sie am Boden fest. Blut tropfte ihr ins Gesicht. Sie schloss die Augen.
„HALT JETZT STILL DU MISTSTÜCK“, schrie er ihr ins Gesicht.

Doch das einzige was folgte, war ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Stöhnen. Sie riss die Augn wieder auf. Thoris Körper kippte, fiel zur Seite und blieb liegen.

Hathor war ihr zur Hilfe geeilt.

Ein Mann stand hoch erhaben hinter Thoris. Hinter ihm erhaschte sie den Blick auf weitere Männer. Sie standen wie Schatten hinter ihrem Retter, hatten die Arme verschränkt und den Blick gesenkt.

Ihr Retter ging vor ihr in die Hocke. Sie kroch schob sich in den Sitz und rückte dann etwas weiter weg von dem Mann, bis sie die kalte Wand in ihrem Rücken spürte.
Der Fremde folgte ihrer Bewegung, wobei er über die angewinkelten Beine von Thoris stieg. Sein Blick verriet nichts und er machte auch keinen Laut. Er sah anders aus als jeder Ägypter den sie bis jetzt gesehen hatte. Seine Kopfhaut war kahl geschoren und auf seinen Unteramen hatte er Tätowierungen. Seine Kleidung war edel. Breite goldene Ketten lagen eng um seinen Hals, bei der Kaja nicht wusste, wie er sie denn ausziehen sollte.  
Doch am auffälligsten war sein stechender, kalter Blick mit dem er ihr Gesicht musterte.

Er bückte sich noch ein Stück weiter zu ihr hinab, woraufhin sie den Blick senkte. Seine Lippen berührten ihr Ohr, seine Wangen strichen an ihrem Haar entlang. Sie presste die Lippen aufeinander, um nicht zu wimmern. Sie hatte für heute genug Menschenkontakt gehabt.

„So“ flüsterte er in ihr Ohr,
„ich würde sagen, wir haben unser Püppchen gefunden. Eine wahre Schönheit bist du. Aber meiner Meinung nach, schläfst du nun eine Weile für mich. Aber keine Angst es wird nicht weh tun.“
Seine Stimme war eisig und so scharf wie ein Rasiermesser. Ganz gemächlich fasste er in eine Tasche seiner weißen Tunika und holte ein kleines Fläschchen und ein Stofftuch heraus. Als sie begriff was er vorhatte schob sie sich mit zitternden Händen auf die Knie.
„Nein, nein mein Engel. Ich sagte doch, dass alles gut wird.“ Sagte er mit sanfterer Stimme.
Plötzlich waren seine Männer nah und einer packte sie grob am Hals. Ihr Kopf krachte gegen die Wand und es knirschte laut.
„Vorsicht – ihr Dummkopfe. Ich brauch sie noch“.
Eine Hand drückte ihr das Tuch über Mund und Nase. Es war zu spät zum schreien. Sie bäumte sich wild auf, doch mehrere Hände zwangen sie nieder. Sie hielt die Luft an, um nicht noch mehr einzuatmen, doch es war bereits zu spät. Ihre Augenlieder flatterten und fielen zu. Arme und Beine wurden ihr schwer. Die Hände der Männer hielten sie jetzt nur noch aufrecht und verhinderten, dass sie zu Boden sank. Kajas Gedanken wurden langsamer und sie atmete wieder ein und aus.
„Alles wird gut, keine Angst kleine Diebin.
 Schafft sie zur Kutsche und räumt die Sauerei weg.“
Hörte sie noch die Stimme des Fremden, da wurde alles schwarz.

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Tag der Veröffentlichung: 26.11.2016

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