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ERSTER TEIL

- von Nicole Doll - 

Vorwort von Nicole Doll

Was ist eine Transautolegasthenistin? - Was ein Autolegasthenist ist, erklärt Nikolai Fritz im zweiten Vorwort, das ursprünglich zu diesem Buch gehören sollte. Ich möchte hier erst einmal erklären, wie es zu einer Zweiteilung - Nicole Doll / Nikolai Fritz - gekommen ist.

 

Mit dem Buch „Der Autolegasthenist” versuchte Nikolai Fritz so etwas wie eine Autobiografie zu schreiben, obwohl er überhaupt nicht wusste, was mit ihm los war. Dass er als Legastheniker Probleme mit dem Lesen und Schreiben hatte, war soweit klar. Nur was seine Probleme mit den Mitmenschen anging, war er ziemlich ratlos.

Er vermutete als Ursache Autismus, da er einige seiner Verhaltensmuster bei der Beschreibung des Asperger-Syndroms entdeckte. Dazu passte auch sein großes Interesse für Wissenschaft und Technik. Also glaubte er Legastheniker und Autist zu sein, und dass diese Eigenschaften seinen Lebensweg prägten.

 

Also betätigte sich Nikolai Fritz - zunächst neben seinem Beruf als Ingenieur - erst einmal als Parawissenschaftler, wobei er mit einem selbst entwickelten physikalischen Modell ein Bindeglied zwischen Religion, Esoterik und Naturwissenschaft schaffen wollte. Daraus ergaben sich zwei Manuskripte, die für einen Nicht-Physiker ziemlich unverständlich waren und auf der Festplatte seines Computers verblieben. Mit der Zeit verzweifelte er immer mehr, verlor seine Arbeit als Ingenieur und zog sich immer mehr von seinen Mitmenschen zurück. In der Einsamkeit schrieb er dann drei Fantasy-Romane - eine Trilogie mit Elfen, Zwergen und Drachen - und eine Populärwissenschaftliche Zusammenfassung seiner physikalischen Betrachtungen.

 

Über sich selbst bekam er kaum irgendwie ein Wort heraus. Deshalb ging es mit dem „Autolegasthenisten” einfach nicht voran. Also verlegte er die Handlung in eine lange zurück liegende Zeit. Er wurde dabei zu einem Drachenreiter, seine Mutter zu einem Drachen, und aus den derzeitigen gesellschaftlichen Problemen mit Kriegen, Gewalt und Umweltzerstörung wurde des bevor stehende Ende des Zeitalters der Elfen, auf welches das Zeitalter der Menschen folgt, in dem wir heute leben.

 

Mit dem Tod seiner Mutter wurde schließlich für Nikolai Fritz sein ganzes Leben vollkommen sinnlos. Er kümmerte sich um nichts mehr und schrieb nur noch verbissen an seinen Romanen weiter, um deren Veröffentlichung er sich aber kaum kümmerte. Im Sommer 2016 sagte er schließlich: „Ich habe wohl so etwas wie Krebs im Endstadium. Mir geht es immer beschissener. Es geht zu Ende. Den übernächsten Winter erlebe ich nicht mehr.” Und so war es dann auch. Den übernächsten Winter erlebte nicht mehr Nikolai Fritz, sondern Nicole Doll. Aus dem Autolegasthenisten war eine Transautolegasthenistin geworden.

 

Mit der endgültigen Ausbruch aus der Männerrolle, in die ich mich als Nikolai Fritz immer hinein gedrängt gefühlt hatte, verschwand so langsam meine im Laufe der Jahrzehnte immer stärker gewordene Sozialphobie. Deren Ursache war also offensichtlich nicht Autismus, sondern es es hatte etwas mit Transidentität zu tun. Als Nicole Doll erlosch bei mir ziemlich schnell jedes Interesse an Drachen, Elfen oder Zwergen. Auch die Parawissenschaft rückte recht weit in den Hintergrund. Nun möchte ich aus der sozialen Isolation hinaus, in die ich mich als Nikolai Fritz hinein geflüchtet hatte. Dazu gehört auch, dass ich das, was an Manuskripten vorhanden ist, möglichst bald zur Veröffentlichung bringe.

 

Bei dem letzten Teil der Elfen-Trilogie fehlt immer noch der Schluss. Und ich habe einfach keine Lust da weiter zu schreiben. Also habe ich mir den „Autolegasthenisten” vorgenommen. Da fehlt zwar noch viel mehr, aber was dort fehlt, habe ich im Internet im Crossdresser-Forum bereits sinngemäß in Beiträgen hinein gestellt. Ich muss also gar nicht mehr viel schreiben, wenn die Beiträge im Forum zu Kapiteln dieses Buches werden. Und damit ergibt sich die Zweiteilung: Der erste Teil mit einer Einführung und den Beiträgen im Forum und der zweite Teil mit dem, was ich als Nikolai Fritz bereits geschrieben habe.

 

Beide Teile bleiben unvollendet. Im Crossdresser-Forum (unter: Eigene Berichte und Geschichten / Nicoles Galaxie) werden nach der Veröffentlichung dieses Buches weitere Beiträge folgen, und zu dem, was Nikolai Fritz geschrieben hat, füge ich nichts mehr hinzu. Ich empfinde jetzt anders. Wenn ich also da einfach weiter schreibe, passt es nicht mehr zusammen. Deshalb lasse ich es so stehen, wie es ist.

 

Ihre Nicole Doll

 

Aus Nikolaus wird Nicole

Wenn jemand als Mann geboren ist, dann ist das doch so der vorgegebene Lebensweg - ein Teil von Gottes Schöpfung oder so. Und damit MUSS man eben fertig werden. - So denken sicherlich die meisten. Und die meisten - so etwas 99,5% der Bevölkerung - haben auch nicht wirklich ein Problem damit.

Wenn aber jemand ein solches Problem hat, dann prägt das dessen gesamten Lebensweg. Es fängt bereits in der Kindheit an. An den Spielen, mit denen sich die Jungen beschäftigen, zeigt er wenig oder gar kein Interesse. Er ist dann einfach nur „doof” und wird verstoßen. Bei den Mädchen, mit denen er jetzt vielleicht gerne spielen würde, wird er ebenfalls abgewiesen, weil er ein Junge ist.

Nun bleibt er erst einmal alleine. Er ist einsam und langweilt sich. Also spielt er nun doch bei den Jungen mit und tut nur so, als würde es ihn irgendwie interessieren. In Wirklichkeit fühlt er sich nur schrecklich unwohl und würde am liebsten davon laufen. Aber die Einsamkeit ist noch schwerer zu ertragen.

 

Er erkennt: Ich bin irgendwie anders. Aber wie anders und warum überhaupt? Bin ich krank oder vielleicht bekloppt, wie die anderen Jungen immer sagen? Darüber, warum jemand mit seiner männlichen Rolle nicht zurecht kommt, gab es in meiner Kindheit keinerlei Information. Über Transmenschen sprach damals niemand. Aber Bekloppte kommen in die Irrenanstalt. Da will er auf keinen Fall hin. Also redet er mit NIEMANDEM über sein Problem.

Nun sind da die Mädchen, bei deren Spielen er gerne mit machen würde. Die tragen schöne bunte Kleider und leichte Schuhe, nicht so eine enge steife Hose und hässliche schwere dunkelbraune „Kampfstiefel”.

Wenn er dann einmal alleine zuhause ist, fasziniert ihn der Kleiderschrank seiner älteren Schwester. Er probiert heimlich ihre Sachen an und beginnt davon zu träumen eine Prinzessin zu sein. Dabei fühlt er sich so wohl, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Dann schaut er auf die Uhr: sofort die Sachen ausziehen und alles wieder so herrichten wie es vorher war. Es darf niemand etwas erfahren.

 

Und nun prägt es ihn so langsam. Warum MUSS er diese hässlichen plumpen Jungensachen tragen und darf nicht als schöne Prinzessin daher kommen? Antwort: du bist doch ein Junge! Und er kommt zu der Überzeugung: NEIN, ich bin ein Mädchen.

Ich denke, in etwa so ist es bei den meisten Transmenschen - bei Jungen wie ich, die ein Mädchen sein wollen und auch umgekehrt bei Mädchen, die ein Junge sein wollen.

 

Von Eltern, Freunden und Lehrern in die Männerrolle gedrängt, spielte ich also notgedrungen mit. Nur irgendwie identifizieren konnte ich mich damit nie. Diese Person, die ich da spielte, war NICHT ICH. Es war nur so ein Hampelmann, den ich meinen Mitmenschen immer vorspielen musste. Und so begann ich diesen Hampelmann und alles, was ihn ausmachte, abgrundtief zu HASSEN.

Nun fragte man mich: „Warum hast du denn überhaupt kein Selbstvertrauen?” Auf welches SELBST sollte ich aber vertrauen? Auf diesen blöden Hampelmann? Also arbeitete ich an meinem Auftreten. Ich wollte so selbstsicher rüber kommen, dass das mit dem fehlenden Selbstvertrauen niemandem mehr auffiel. Das gelang mir dann auch schließlich irgendwie.

 

So lange nun Eltern, Lehrer, Freunde oder Chefs mich ständig dazu trieben, diese Rolle als Mann zu spielen, machte ich zähneknirschend mit. Bis immer ENDLICH Feierabend oder Wochenende war. Dann musste ich ganz schnell aus dieser Rolle raus. Ich suchte nur noch Ablenkung, bei der ich möglichst keine Gelegenheit zum Nachdenken hatte. Begann ich nämlich zu grübeln, machten sich immer nur Unmut und Verzweiflung breit.

Ein solcher ständiger, aber völlig aussichtsloser Kampf gegen die Person, die man darzustellen versucht, ist extrem kräftezehrend. Irgendwann muss es also zum so genannten Burnout kommen. Ich ging zu keinem Arzt. Also gab es bei mir die Diagnose „Burnout” nicht. Ich verlor „nur” den Job und zog mich immer mehr in meine eigene Welt zurück.

Schließlich starb mit meiner Mutter die letzte Person, für die ich die verhasste Männerrolle noch immer wieder spielte. Damit stürzte ich in eine unendliche Leere. Absolut nichts war mehr wichtig. Alles war vollkommen sinnlos geworden. Ich hatte mein Leben - was ja eigentlich das Leben dieses Hampelmannes war - nun endgültig verwirkt.

 

Wer nicht betroffen ist, kann es sich sicherlich nicht vorstellen, wie es ist, wenn alles in der Welt so langsam aber unaufhaltsam vollkommen unwichtig und sinnlos wird. Die Diagnose lautet dann meistens: schwere Depression. Und für deren Behandlung gibt es Ärzte und Tabletten.

Aus Erfahrung bei Bekannten weiß ich, dass die Behandlung einer Depression ewig lange dauern kann, und meistens nicht wirklich zu einer Besserung führt. Der Zustand des Patienten wird in der Regel nur „stabilisiert” - also der Umgang seiner Mitmenschen mit ihm wird erleichtert. Er selbst hat eigentlich nichts davon - außer den Nebenwirkungen der Tabletten.

 

Diese Tabletten wollte ich nie schlucken. Also ging ich zu keinem Arzt oder Psychologen. So lange ich in irgend eine Beschäftigung voll eingespannt war, lief es ja immer irgendwie. Und dann ging immer nur entweder Vollgas oder Stillstand. Ein kontinuierliches Arbeiten, wie es Lehrer oder Chefs gerne sehen, war für mich unmöglich.

Wenn ich also gerade mit Vollgas rackerte, war es in Ordnung, machte ich aber vor Erschöpfung eine längere Pause, war ich mal wieder einfach nur faul. Für mich entstand so der Eindruck es einfach NIE jemandem recht machen zu können. Hinzu kam meine Mutter, für die immer nur dann etwas gut oder richtig war, wenn es nach IHREM Muster ablief.

 

Es kann kein Mensch 24 Stunden lang am Tag mit Vollgas rackern. Also gibt es dazwischen immer Pausen, in denen man ins Grübeln kommt. Auch dafür haben Psychologen eine passende Diagnose: Wechselstörung oder manisch-depressiv.

Am schlimmsten ist eine solche Pause dann, wenn Schlafen angesagt ist, aber keine große Müdigkeit für ein Einschlafen sorgt. Dann heißt es ewig lange im Bett herum wälzen und sich über alle nur erdenklichen negativen Erlebnisse Gedanken machen - schrecklich. Da möchte man am liebsten das Gehirn ausschalten, aber es gibt keinen Schalter.

Oder doch? Bei einen Vollrausch mit Alkohol würde es jedenfalls funktionieren. Und mit Schlaftabletten auch. Aber halt! Davon wird man doch süchtig! Dann also besser herum wälzen und grübeln? Oder doch zum Arzt gehen und die Tabletten auf Rezept bekommen? Es ist irgendwie alles keine vernünftige Lösung.

 

Was ist die Folge des Ganzen? - Schlafentzug. Ich ging also immer erst dann ins Bett, wenn mich die Müdigkeit sicher einschlafen ließ. Das war dann so um ein oder zwei Uhr morgens. Und um sechs klingelte immer der Wecker - nach vielleicht vier Stunden „erholsamem” Schlaf. Bis zum Wochenende sammelte sich also ordentlicher Nachholbedarf an. Samstags war aber erst einmal Einkaufen angesagt. Früher machten die Läden schon mittags zu. Also konnte ich meistens erst am Sonntag endlich bis zum Mittag durch schlafen.

Und wie „erholsam” war das? Von morgens zwei bis gegen Mittag ergibt sich am Ende eine lange Traumphase. Und wenn ich dann mal wieder viel unangenehmes erlebt hatte, konnte die leicht zur Alptraumphase werden. Dann saß ich oft plötzlich in Schweiß gebadet senkrecht im Bett. Und mit der Erholung hatte es sich erledigt. Aber der frühe Vogel ... - der kotzt mich einfach nur an.

 

Dann sind da diese Frühaufsteher: „Es ist alles nur Gewöhnung!” Aber wieso konnte ich mich in über 50 Jahren nicht daran gewöhnen? Liegt es vielleicht daran, dass typische Frühaufsteher nichts zum Grübeln haben und ihnen deshalb diese Probleme unverständlich sind? Ich denke, so ist es.

Dass ein Leben, so wie ich es vorab beschrieben habe, einfach nur ungesund ist, braucht sicherlich nicht besonders betont zu werden. Schlafentzug, Tabletten, Alkohol - alles ist ungesund. Und an einen frühen Rhythmus gewöhnen? Das funktioniert nicht wirklich. Es stellt sich zwar so etwas wie eine Gewöhnung ein, aber gesund ist die nicht.

 

Und wie sieht es nun insgesamt mit den Ruhepausen aus? Ruhe bedeutet ja schließlich Grübeln. Also müssen diese Pausen immer mit etwas gefüllt werden, was den Geist möglichst vollständig beschäftigt. Nach der Arbeit einfach nur den Feierabend genießen und sich dabei erholen, geht also nicht.

Sämtliche Freizeit muss mit irgendwelchen möglichst anspruchsvollen Tätigkeiten oder Hobbys komplett ausgefüllt werden. Eine Alternative wäre sich mit Drogen in eine andere Welt zu versetzen. Da könnte man mit Haschisch oder Kokain anfangen und das ganze dann mit LSD, Heroin oder Opium steigern. Oder man verjagt die Ruhe mit aufputschenden Drogen wie Speed oder Crystal Meth.

Eine weitere Möglichkeit sind solche Drogen, die ohne Chemie funktionieren. Dazu kann man die Zeit mit aufregenden Spielen ausfüllen, sich mit einem Auto oder Motorrad einem Geschwindigkeitsrausch hin geben oder man wird vielleicht Fußballfan. Dann kann man während des Spiels ordentlich Aggressionen aufstauen lassen und schlägt sich hinterher gegenseitig genüsslich den Schädel ein. - Das finde ich übrigens absolut in Ordnung, so lange die Fans dabei unter sich bleiben. Aber leider gibt es mit Fußballfans immer wieder „Kollateralschäden”.

 

Kommen wir nun also wieder zu mir oder Nikolaus, der unter dem Namen Nikolai Fritz schrieb, zurück. An chemischen Drogen habe ich neben Alkohol nur Haschisch ausprobiert. Der Spaß an weiteren Experimenten ist mir vergangen, nachdem sich ein guter Freund mit einer Überdosis LSD ins Nirwana geschossen hatte. Das ist lange her, und so fertig war ich damals mit meinem Leben noch nicht, dass ich ein Experiment gewagt hätte.

Aber schon lange bevor ich etwas über einen Drachenreiter schrieb, besaß ich bereits mehrere japanische Drachen. Sie hießen Honda, Suzuki und Kawasaki. Kawasaki war mit 150 Pferdestärken der stärkste und schnellste von ihnen. Auf gerader Strecke erreichte er problemlos fast 300 km/h. Wenn ich also wieder einmal von allem genug hatte, ritt ich auf meinem japanischen Drachen über eine kurvige Landstraße oder einfach geradeaus über die Autobahn.

Und abgesehen von einem Rausch unter Drogen musste ich meine Freizeit ständig mit irgend etwas möglichst anspruchsvollem ausfüllen: Gitarre oder Keyboard spielen, am Haus, Auto oder Motorrad herum basteln, Modellbau, Modellflug und schließlich Parawissenschaft. Zur Ruhe kam ich dann immer nur, wenn ich endlich völlig übermüdet einschlief. Und morgens um sechs war dann immer Alarm: Kompanie aufstehen und sofort ganz schnell antreten Marsch-Marsch. - Der Wecker klingelte.

 

Ich denke, es fällt sofort auf, dass eine Person bei dem vorab Beschriebenen überhaupt keine Rolle spielt - ICH SELBST. Gearbeitet wird für den Chef, am Haus oder im Garten wird für Mama oder Papa etwas gemacht, und die ganzen Hobbys dienen eigentlich nur dazu nicht ins Grübeln zur verfallen. Klamotten werden eingekauft, damit Mamas kleiner dummer Nikolaus auf der Arbeit ordentlich aussieht.

Und was gönnt sich Nikolaus? - Zunächst einmal jede Menge Bier und Schnaps für die wenigen Momente, in denen er nicht mit Arbeit oder Hobbys ausgelastet ist, und sonst viel Schokolade und gutes Essen. Und so wiegt Nicole bei ihrer „Geburt” im Frühjahr 2017 über 100 kg bei 175 cm Körpergröße - ein sehr großes und schweres kleines Mädchen.

 

Kommen wir nun zum Thema Partnerschaft und Sexualität.

Mama hat gesagt: Aus dem kleinen Nikolaus muss etwas anständiges werden. Papa hat sich aus Fragen der Erziehung immer weitgehend heraus gehalten. Also war der Weg vorgegeben: Gymnasium und dann Studieren - am besten etwas technisches, da der kleine Junge ja ständig an irgend etwas herum bastelte.

Und was wollte ICH? Ich HASSTE - schon alleine wegen meiner Legasthenie - alles abgrundtief, was mit Schule oder Lehrern irgendwie zu tun hatte. Aber man machte mir Angst: „Wenn du nicht lernst, wird nichts aus dir und du landest in der Gosse”. Das ich auch trotz jeder Menge Lernens sozial komplett abstürzen, also „in der Gosse landen” kann, war mir damals nicht bewusst. Also lernte ich wütend und Zähne knirschend immer nur das aller nötigste.

Schließlich hatte ich das Abitur in der Tasche und durfte erst einmal zur Bundeswehr. Dort hatten fast alle Kameraden eine Frau oder Freundin - nur ich nicht. Ich kann mich nur an zwei von ihnen erinnern, die auch keine Freundin hatten. Die waren schwul und ein Pärchen. Deshalb waren sie in getrennten Stuben untergebracht, obwohl sie zur Besatzung des selben Panzers gehörten.

Als Soldat war es für mich am schlimmsten, dass ich so gut wie keine Zeit oder keinen Platz für meine Hobbys hatte. Während des Dienstes ging es irgendwie, aber danach half oft nur noch Alkohol - was für mich als Panzerfahrer bei einer Kontrolle, die es nie gab, sehr unangenehm geworden wäre.

 

Nach dem Wehrdienst war die Schule zunächst einmal ein Stück in die Ferne gerückt. Was sollte ich also nun machen? Arbeiten? Wieder nur Befehle empfangen wie beim Dienst bei der Bundeswehr? - nein danke! Das konnte jemand machen, der kein Abitur hatte!

Also wurde ich Student. Zuerst dachte ich - wohl wegen meiner Bastelei am Motorrad - an Maschinenbau. Dann wurde Bauingenieurwesen - Wasserwirtschaft und Kläranlagen - daraus. Ich wollte mit meiner Tätigkeit etwas für den Umweltschutz tun.

Nun studierten viele meiner ehemaligen Schulkollegen, die ich nicht leiden konnte, in meinem Heimatort Essen. Also wollte ich an einer anderen Uni studieren, aber bei meinen Eltern in Essen wohnen bleiben.

Die Lösung war die Ruhr-Universität in Bochum. Dort konnte ich jeden Tag hin fahren - im Sommer mit dem Motorrad und im Winter mit dem Zug. Mama erklärte ich, dass Bochum einen besseren Ruf und ich damit bessere Chancen im Beruf hätte. Sie schluckte es.

 

Als Student hatte ich dann einige recht kurze Beziehungen mit Frauen, aus denen allen aber nichts ernstes wurde. Neben dem Studium hatte ich eigentlich fast durchgängig irgendwelche Jobs, mit denen ich alles finanzierte, was ich in meiner Freizeit machte. Das meiste davon brauchte ich für das Motorrad. Und dann gab es da noch eine Rockband, für die ich intensiv Gitarre und Keyboard übte.

Also von einem fleißigen Studenten war da nichts zu erkennen. Und das sahen wohl die Frauen, die mir gefielen. So endeten die Beziehungen immer schneller, als sie angefangen hatten. Wenn ich also in eine Frau verliebt war, dann war ich das einseitig und unglücklich.

Und wie wurde ich mit meinem sexuellen Verlangen fertig? - Ganz einfach: selber Machen wie beim Heimwerken. Und so begann es dann. Ich wollte Sex mit einer schönen Frau und nicht mit einem Mann. Eine aufblasbare Gummipuppe hätte ich damals nicht gewagt anzuschaffen. Ich wohnte ja noch bei den Eltern. Aber ein paar weibliche Kleidungsstücke wie Strumpfhose, High Heels, Minirock, Perücke und Sachen zum Schminken konnte ich irgendwo verstecken.

Und so wurde ich immer wieder, wenn ich allein zuhause war, selbst zu meiner schönen Traumfrau. Das war immer nur kurz, denn sehr lange blieben meine Eltern meistens nicht weg. Als ich später eine eigene Wohnung hatte, änderte sich daran auch nicht viel. Es gehörte sich ja nun einmal nicht als Mann in Frauenkleidern. Eine Ausnahme machte ich nur gelegentlich bei Partys oder beim Karneval.

 

Die Zeit als Student prägte meine sexuelle Praxis. Richtiger Sex zwischen Mann und Frau war ja mit meiner Traumfrau, die ich nun immer nur im Spiegel sah, nicht möglich. Und so wurde das Spiegelbild zu einem Fetisch, der mich immer zum Orgasmus führte. Wie beim Sado-Maso, wo Peitschenhiebe, eine Maske, Fesseln oder Knebel dazu führen, dass es schließlich zum Samenerguss kommt, war es bei mir mit der Frau im Spiegel.

Bei dieser Praxis musste der Penis nirgendwo hinein. Eine Erektion war also nicht nötig. Und so wurde es damit auch immer schwächer. Mir selbst wurde damals überhaupt nicht bewusst, was da geschah. Das „Erwachen” kam erst einige Zeit später.

 

Ich studierte zwar langsam, aber irgendwann geht alles einmal zu Ende. Was sollte ich also machen? Nach zwölf Semestern mit bestandenem Vordiplom abbrechen? Das wollte ich weder mir noch meinen Eltern antun. Und irgend etwas anderes weiter studieren wollte ich auch nicht. Also Augen zu und durch: noch ein paar Klausuren, eine Studienarbeit und die Diplomarbeit. Das musste zu schaffen sein - und war es dann auch.

Bei meinem Job änderte sich auch erst einmal nicht viel. Ich hatte bereits bei einem Ingenieurbüro westlich von Dortmund einen Nebenjob, bei dem ich bereits einfache Projekte im Bereich Kanalbau und Druckentwässerung mit Pumpwerken wie ein Ingenieur bearbeitete. Mit meinen Diplom änderten sich also nur der Arbeitsvertrag und die Arbeitszeiten. Und bei den Projekten übernahm ich nun die Leitung.

 

Was sich nun schlagartig änderte, war das Interesse der Frauen an mir. Plötzlich war ich irgendwie attraktiv. Das war vollkommen neu für mich. Also sagte ich ironisch: „Die Attraktivität eines Mannes wird einzig von der Höhe seines Einkommens bestimmt.”

Bald war ich dann mit einer Frau zusammen. Sie liebte mich wirklich. Aber ich konnte damit nicht wirklich etwas anfangen. Was fand diese Frau nur an diesem dummen kleinen Mamasöhnchen Nikolaus? Sie konnte es doch nur auf sein Geld abgesehen haben. Dabei war sie selbst in einer leitenden Position in einem Logistik-Unternehmen tätig. Aber Gefühle und Logik haben oft nichts miteinander gemeinsam.

 

Die Beziehung hielt eine recht lange Zeit. Aber im Bett klappte es nicht. Die in der langen Zeit als Student entstandene Fetisch-Praxis ließ irgendwie kein normales Sexualleben mehr zu. Hinzu kam die Angst vor einem möglichen Scheitern mit Familie und Kindern, wie ich sie in meinen Beiträgen im Crossdresser-Forum beschreibe. Ich war einfach immer nur verkrampft und eine Erektion kam nicht zustande.

Danach gab es noch eine kurze Beziehung mit einer Lehrerin, dann gab ich es mit den Frauen endgültig auf.

 

Und dann ging es nur noch abwärts. Das Motorrad Fahren - das mir immer sehr wichtig war - hatte ich schon einige Zeit vorher nach einem selbst verschuldeten Unfall aufgegeben. Ich hatte die Kontrolle verloren und war aus der Kurve geflogen. Also befürchtete ich, dass es bei einem nächsten mal im Rollstuhl enden könnte.

Unter diesem Unfall litt auch meine Arbeitsmoral. Als ich nach fast drei Monaten, die ich krank geschrieben war, meine Arbeit wieder aufnahm,

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 18.02.2018
ISBN: 978-3-7438-5684-4

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