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Kapitel 1




Wie jeden Abend saß ich draußen im Garten auf einem Fels und beobachtete die Sterne. Der Himmel war so klar, dass man jeden einzelnen gut erkennen konnte. Ab und an ging mir eine kühle Brise durch meine schwarzen Haare, von der ich immer wieder eine Gänsehaut an den Oberarmen bekam. Mit meinen Füßen plätscherte ich gerade in unserem mittelgroßen Teich herum, der mit vielen Wasserpflanzen unteranderem Wasserlilien geschmückt war, als ich hinter mir eine ruhige Stimme vernahm. Es war meine Mutter, Hina.
„Minako, komm doch bitte rein. Es ist schon spät und kalt ist es auch noch.“
„Sofort, Mutter“, gab ich als Antwort.
Sie verschwand wieder und schob die Tür etwas zu. Obwohl wir in Deutschland lebten, war unser Haus im japanischen Stil gebaut worden. Naja, wir sind ja auch Japaner. Besser gesagt, meine Mutter ist Japanerin und mein Vater Europäer. Also bin ich eine Halbasiatin.
Langsam erhob ich mich, ging nach drinnen und machte mich bettfertig. Die Osterferien waren nun vorüber und ich hatte morgen wieder Unterricht. Ich legte mich auf meinen Futon und versank noch eine Weile in Gedanken bevor ich einschlief.

Am nächsten Tag hörte ich das Klingeln von meinem Handywecker, den ich übermüdet und leicht genervt ausstellte und aufstand. Wie jeden Tag ging ich ins Bad, wusch mich, putzte meine Zähne, kämmte meine langen Haare, die mir bis zur Hüfte gingen, und packte meinen Rucksack. Meine Mutter hatte mir noch Essen und Trinken eingepackt. Ich verließ das Haus und machte mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Im Bus schlief ich eine Weile, da die Busfahrt eine dreiviertel Stunde dauerte.

An der Schule angekommen ging ich ins Gebäude und setzte mich einfach still an meinen Platz, ohne irgendjemanden zu begrüßen. Nebenbei durfte ich auch noch das Lästern von zwei dummen Zicken über mich mit anhören. Lästern konnten sie wirklich nicht gut, sonst hätten sie das leiser getan. Oder Steffi und Nadine wollten einfach, dass ich mich aufregte, aber da hatten sie sich geschnitten. Mir war es nämlich scheißegal, was andere über mich dachten oder sagten. In den ersten Stunden hatten wir Geschichte und eine Doppelstunde Deutsch.

Nach den langweiligen Stunden klingelte es endlich zur Pause, ich nahm etwas zu Essen und ging in den Hof. Auf der kleinen Mauer saß fast niemand, also setzte ich mich dort hin, aß etwas und beobachtete dabei die anderen. Nach nicht mal zwei Minuten Ruhe kamen die zwei Mädchen von vorhin, die wie immer über mich ablästern mussten.
Eines der Miststücke, namens Steffi meinte: „Warum sitzt du hier so alleine herum? Gesell dich doch lieber zu den anderen Außenseitern.“
Ich seufzte, jeden Tag mussten sie mich nerven, das kotzte einfach nur an.
„Verpisst euch doch einfach und lasst mich in Ruhe“, sagte ich gelassen.
„Erst wenn wir dir eine Gesichts-OP bezahlt haben“, lachten die zwei Gören.
Meine Hände wurden zu Fäusten.
>>Können sie nicht einfach ihre Fresse halten und weggehen?! Am besten ganz von der Schule!<<, schrie ich in Gedanken. Heute hatte ich sowieso schon einen beschissenen Tag, warum mussten sie mir dann auch noch dumm kommen. Plötzlich verstummte ihr Lachen, beide führten ihre Hände zu den Mündern und hielten sie bescheuert zu. Das war aber noch nicht alles. Sie machten auf dem Absatz kehrt und verließen einfach so das Schulgelände.
>>Was zur Hölle? So schlau, dass sie Gedanken lesen könnten sind sie nicht! Und wenn sie es wären, dann hätten sie jetzt eher einen dummen Spruch abgelassen und weitergelacht.<<
Verwundert blickte ich drein, doch was soll es mich schon angehen, was die zwei machen? Genau. Nichts. Ich zuckte mit den Schultern. Nun kamen auch meine Freundinnen, sie waren in einer anderen Klasse.
„Oh mein Gott Mina! Ich muss dir unbedingt was erzählen!“, rief Laura.
Ich schaute die Blondine etwas überfordert an.
„Ein so heißer Typ kam heute in unsere Klasse! Der ist so geil! Komm mit, ich zeig ihn dir!“, plapperte sie los und packte mich am Arm, zerrte mich irgendwohin. Sie fing an zu kichern.
„Da hinten steht er! Siehst du? Lass uns hingehen!“
„Nein! Bist du verrückt?“, fragte ich meine Freundin.
„Ihr würdet aber so süß zusammen aussehen. Komm jetzt mit!“, befahl sie und zerrte mich gegen meinen Willen dort hin.
Er schaute uns etwas perplex an.
„Hi, ich wollte dir meine beste Freundin vorstellen!“
Ich verdrehte die Augen. Sie stupste mich mit dem Ellenbogen an. „E-ehm, hey, ich bin Minako.“, stotterte ich leicht und spielte dabei verlegen an meinen Haaren rum. Er reichte mir seine Hand und lächelte.
„Ich bin Kelvin.“
Vorsichtig nahm ich seine Hand und schüttelte sie etwas.
„In welcher Klasse bist du?“, fragte er mich.
„In der Zehnten und du in der Elften, bei Laura, richtig?“
Gerade wollte ich zu ihr herüber schauen, aber sie hat sich schon aus dem Staub gemacht. Na toll. Sie sollte mal damit aufhören, mich mit jedem Kerl verkuppeln zu wollen. Nur, weil ich in meinem Alter noch nie einen Freund hatte? Unbedingt wollte sie mich einmal glücklich mit jemand zusammen sehen. Doch alle Kerle, die sie mir bisher vorstellte, waren zwar hübsch aber strohdumm.
„Jap, richtig“, erzählte er und dabei klingelte es zum Ende der Pause.
„Komm, ich gehe mit dir hoch und begleite dich ins Klassenzimmer. Das Gespräch war jetzt einfach zu kurz.“
Schüchtern nickte ich. Anscheinend wollte er ein paar Leute an der Schule kennen lernen. Okay, wer will das nicht, wenn er neu an der Schule ist?
„Welche Stunden hast du jetzt?“, fragte ich, während wir gingen.
Er hatte seine Hände in den Hosentaschen von seiner schwarzen Jeans und lief dabei lässig und cool, als ob er schon länger auf der Schule wäre. Während wir gingen, bewunderte ich seinen Kleidungsstil, er trug auf der Jeans, ein weißes Hemd mit einer lockeren Krawatte und eine schwarze Jacke. Als Schmuck trug er eine Kette mit einem Kreuz, an beiden Armen Armbänder und an der Hose noch eine silberne Kette.
„Ich hab Englisch und du?“, antwortete der Schönling.
„Physik“, stöhnte ich genervt.
Er grinste nur, anscheinend verstand er, dass ich das Fach hasste. Da waren wir schon an meinem Klassenzimmer angekommen, der Weg war nämlich ziemlich kurz.
„Also wir sehen uns dann“, lächelte er mir zu und ging weiter zu seinem Raum, der etwa fünf weitere Klassen entfernt lag. Die weiteren drei Schulstunden vergingen echt lahm. In der letzten Stunde, in Erdkunde, schrieben wir eine Stegreifaufgabe*. Super, wirklich. Ich habe gestern ja dafür so viel gelernt. Warum mussten die Lehrer immer sofort nach den Ferien uns Tests reindrücken?
Mitten im Test meldete ich mich um den Lehrer herzurufen, da eine Frage merkwürdig formuliert war, aber das war nicht der einzige Grund. Ich wollte dieses komische Ereignis von vorhin noch einmal probieren.
„Ja, was gibt es?“, sagte der Lehrer höflich. Mit einem durchdringenden Blick schaute ich ihn an.
>>Flüstern Sie mir die Aufgabe 5.<<
Er schaute mich ebenfalls an und nickte auf einmal.
„Die Lösung für Aufgabe fünf lautet, 83° Nord, 35° Ost.“
Ich fing an zu grinsen.
>>Danke<<
Ich wandte mich vom Lehrer ab und konzentrierte mich weiter auf die Aufgaben. Der Lehrer schaute mich überrascht an und schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich dachte er gerade darüber nach, warum er mir die Lösung sagte. Mein Grinsen verschwand auch wieder und ich tat so als ob nichts gewesen wäre. Doch mich selbst verwundert es auch ziemlich, aber irgendwie gefiel es mir und das was mir gefiel, sollte ich besser nicht in Frage stellen. Zu Hause könnte ich immer noch im Internet surfen und recherchieren, vielleicht haben andere Leute ja ähnliche Erfahrungsberichte gemacht.

Als die Stunde endlich beendet war, packte ich langsam meine Sachen in die Tasche. Ich hatte es sowieso nicht eilig, da der Bus erst in 20 Minuten fuhr. Als ich aus dem Klassenzimmer ging, erschrak ich kurz. Da stand Kelvin, cool angelehnt an der Wand. Er hatte den linken Fuß auf dem Boden und den anderen an der Wand, dabei verschränkte er seine Arme.
>>Warum wartete er hier auf mich?<< Als er mich dann sah, fing er an zu lächeln. „Hallo“, sagte ich.
„Hey“, erwiderte er, „hast du Hunger, oder schon etwas vor?“
Ich fühlte wie meine Wangen langsam warm wurden, wahrscheinlich legte sich gerade ein Rotschimmer auf diese, weswegen ich mein Gesicht von ihm wegdrehte.
„Nein, ich habe noch nichts vor… Aber wenn wir was machen wollen, dann müsste ich erst meinen Eltern Bescheid geben. Aber ich hab kein Geld mehr auf meinem Handy. Also sollte ich….“, ich versuchte eine Ausrede zu finden, um nicht mit zu kommen, es war mir einfach zu früh um mit einen Jungen auszugehen. Doch er unterbrach mich, indem er mir einfach sein Klapphandy hinhielt. Verwundert schaute ich ihn an. Unsicher nahm ich das Handy aus der Hand und murmelte ein „Danke sehr.“ Nun hatte ich keine Ausrede mehr, um nicht mitzukommen. Hätte ich mir eine neue ausgedacht, wäre das einfach viel zu auffällig geworde. Ich tippte die Nummer von meiner Mutter ein und sprach auf Japanisch mit ihr.
„Hey, Mutter, ich komme heute später nach Hause, weil ich noch mit einem Freund essen gehe… ja ich weiß… ja Mama… Er ist nett… Ja, ich komme nicht zu spät heim… Bis später, ich hab dich auch lieb.“
„Japanisch, hm?“, fragte der Schwarzhaarige mich. Ich nickte leicht.
„Hast du etwas verstanden?“, wollte ich von ihm wissen. Wir gingen schon einmal los, nach draußen.
„Nur ‚konnichi wa’ und irgendwas mit Sushi“, grinste er.
Ich musste kurz auflachen.
„Nein, Sushi kam nicht vor“, lächelte ich ihn an.
„Also, wo möchtest du essen gehen? Oder besser gesagt, was möchtest du essen?“ „Japanisch wirst du wohl jeden Tag essen, oder?“
Wieder nickte ich.
„Gut, dann vielleicht italienisch?“, sagte der Größere. Kelvin war knappe zwei Köpfe größer als ich und hatte gepflegte, etwas längere schwarze Haare, die in der Sonne blau schimmerten. Seine grünen Augen waren einfach atemberaubend, so etwas hatte ich noch nie gesehen, sie passten auch perfekt zu seinem Gesamtbild und man merkte, dass er einfach wusste, wie er auftreten musste um jedem Mädchen zu gefallen.
Abermals nickte ich. „Ja, Italienisch hatte ich lange nicht mehr. Hmm, Spaghetti.“
Zusammen gingen wir in ein schönes italienisches Restaurant. Er rückte mir sogar einen Stuhl zurecht. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass das ein Date war. Wir unterhielten uns eine Weile und quetschten uns gegenseitig aus.
„Wie alt bist du eigentlich?“, meinte der Grünäugige.
„16… und du 19, stimmt’s?“, erwiderte ich auf seine Frage.
„Ja, du kannst wirklich gut schätzen. Aber wie 16 siehst du gar nicht aus.“
Verlegen schaute ich zur Seite.
„Ja ich weiß, ich werde erst in zwei Wochen 16…“
„Öhm… Ich meinte eigentlich damit, dass du älter aussiehst als 16. Eher wie 18, du könntest schon locker in eine Disco!“
„Ehrlich?“, meinte ich ungläubig. „Naja, aber Discos reizen mich nicht besonders.“
„Ach, warum nicht? Ein bisschen Musik, Drinks und Gesellschaft schaden doch niemanden.“
Kelvin musterte mich.
„Ah, verstehe, du bist eigentlich eher so die Einzelgängerin.“
Überrascht schaute ich ihn an. Da kam – Gott sei Dank – schon unser Essen.
Beim Erzählen von einer Geschichte fuchtelte ich heftig mit meinen Händen herum, langsam taute auch ich auf, doch plötzlich flog mir etwas um die Ohren. Kelvin schaute mich erst total doof an, bekam aber dann einen richtigen Lachanfall und erstickte fast an seiner Lasagne.
>>Was gibt es da bitte zu lachen? Oh Gott, das fühlt sich nach einer Soße an, na lecker.<< Ich hatte meine Augen geschlossen, da mir die Soße im Gesicht klebte, Ich fand das Ganze eigentlich nicht sehr amüsant, musste aber dann auch mitlachen. Da ich merkte, dass es eine meiner Spaghettinudeln war, die vor kurzem noch an meiner Gabel hing. Wie konnte ich bitte auch so doof sein und mit Besteck in der Hand so rumfuchteln? Oh Mann. Mit einer Serviette wischte ich mir grob das Zeug aus dem Gesicht.
„Ich geh mal eben auf die Toilette und wasche das ab, warte hier“, bat ich ihn.
Er nickte und lächelte mich weiterhin an. Als ich wieder zurückkam, war schon der Tisch abgeräumt. Mit meinen Blicken suchte ich Kelvin, dachte schon er ist einfach weggegangen, aber zum Glück stand er nur an der Theke und bezahlte… halt, er bezahlte! Mit schnellen Schritten lief ich zu ihm hin.
„Komm, lass uns gehen“, meinte er zu mir.
„Ja, ich bezahle nur noch schnell mein Essen“, erwiderte ich.
„Schon getan“, grinste der Grünäugige.
„Du kannst mich doch nicht einfach so einladen, ohne dass ich es weiß!“, motzte ich und zog einen Schmollmund. „Aber danke. Ich gebe dir das Geld draußen wieder!“
„Nein, ich werde es nicht annehmen“, winkte mein Gegenüber ab.
„Dann hab ich aber ein schlechtes Gewissen“, seufzte ich und ließ die Schultern hängen.
„Brauchst du nicht haben. Das ist schon okay, ich habe es doch freiwillig und gerne gemacht“, schnell wechselte er das Thema, „Lass uns gehen, es ist schon 17 Uhr, deine Mutter macht sich bestimmt bald Sorgen, ich fahr dich nach Hause.“
Ich nickte nur.

Zusammen gingen wir aus dem Restaurant und stiegen in seinen schwarzen BMW ein. Während der Fahrt hörten wir einige Lieder, wie „Life is beautiful“. Bei manchen Strophen sangen wir einfach mit. Himmel, wie ich dieses Lied liebte. Ausgerechnet jetzt kam es im Radio, das war so toll. Die ganze Autofahrt war spaßig, wir unterhielten uns weiter. Nach der halbstündigen Autofahrt, waren wir vor meinem Haus angekommen. Es war ruhig und wir standen ungefähr drei Minuten nur so da. Man konnte nur noch den Motor hören.
„Ich geh dann mal rein, wir werden uns morgen in der Schule sehen, oder?“, fragte ich.
„Ich hoffe doch…“
Er blickte zu mir rüber und streichelte mit dem Handrücken über meine Wange, „du bist süß, Coco.“
Blitzschnell wurden meine Wangen nicht warm sondern glühten! Niemand hat mich bisher Coco genannt, oder kam auf diese Idee! Warum nennte er mich eigentlich so? Aber die Berührung erst. Ich hatte am ganzen Rücken Gänsehaut. Überstürzt machte ich die Tür auf, murmelte ein schnelles „Tschüss“, knallte die Autotür zu und klingelte Sturm. Verwirrt ließ ich Kel zurück. Ja, ich gab ihn jetzt auch einfach irgendeinen Spitznamen, zwar ist „Kel“ nicht sehr kreativ, aber das war mir egal. Er wartete noch, bis mir die Haustür aufgemacht wurde und fuhr dann langsam weg. Ich merkte, wie er mich noch dabei beobachtete, als ich ins Haus ging. Mir war das so peinlich. Mich hatte noch nie ein Junge so gestreichelt. Meine Büchertasche wurde in die Ecke gefetzt und ich ging wieder in unseren Garten, setzte mich auf den Felsen wie am Vortag.
Der Teich glitzerte im Abendrot, an der Seite des Teiches befanden sich einige hübsche Steine, die als Rand für ihn dienten. Im Wasser schwammen ein paar Fische und Teichpflanzen herum. Ich bürstete meine Haare, dachte dabei nach und schaute in den Himmel, wie die Sonne unterging. Das Abendrot war einfach wunderschön. Ich hörte die Schritte von Hina und kurz darauf saß sie auch schon neben mir.
„Kekse?“, fragte sie mit ruhiger Stimme. Sie hatte einfach eine so angenehme, beruhigende Stimme. Ohne etwas zu sagen, griff ich zu und nahm einige Kekse.
„Wie war dein Date?“
„Mutter!“, schrie ich, „das war kein Date… Das war ein Treffen. Ich habe ihn heute kennen gelernt, er ist echt nett und ein Gentleman.“
„Das klingt gut und wann möchtest du ihn uns vorstellen?“, fragte sie.
„Oh Mann, du bist so neugierig. Ich habe ihn doch erst kennen gelernt!“, zickte ich etwas.
„Ja, okay, okay. Ich geh dann mal wieder rein. Geh nicht so spät ins Bett und vergiss deine Hausaufgaben nicht.“, tadelte Hina.
Nun hatte ich endlich mal einige Minuten um über alles nachzudenken… Über Kelvin, über die komischen Ereignisse von heute Morgen. Ob die zwei Lästertanten wieder kamen? Wie war das überhaupt geschehen? Es konnte ja Zufall sein, dass sie einfach gehen mussten, aber warum haben sie dann ihren Mund zugehalten? Und warum sagte mir der Lehrer die Lösungen für die eine Aufgabe? Morgen versuchte ich mal weiter… diese „Fähigkeit“ zu benutzen. Aber so was gibt es nicht, das ist nicht möglich. Oder etwa doch? Und Kelvin? Was ist mit dem, warum hat er mich einfach zum Essen eingeladen, obwohl er mich nicht kennt? Naja, er meinte, er findet mich süß. Aber, ach Mann. Der ganze Tag war voll komisch! Ich hörte auf, weiter nachzudenken und stand auf. Ich putzte meine Zähne, wusch mich, machte meine Englischhausaufgaben und legte mich dann ins Bett um zu schlafen.

Die nächsten Tage verstrichen wie nichts. Der Schulalltag war wie immer. Die Mädchen, die ich – sozusagen – von der Schule verbannt hatte, kamen auch nicht wieder. Irgendwann stellte sich heraus, dass sie die Schule gewechselt hatten. Der Grund war unbekannt. Nach einiger Zeit recherchieren, fand ich leider nicht viel heraus. Nur irgendwelche Spinner haben Einträge in einigen Foren hinterlassen, aber diese brachten mich kaum weiter.
Die Pausen verbrachte ich jeden Tag mit Laura und Kelvin. Wir wurden die drei besten Freunde und es verlief einfach alles klasse. Kelvin und ich waren aber nicht zusammen, wir waren auch einfach eben nur Freunde.
Doch eines Tages, musste ich alleine nach Hause gehen. An dem Tag unternahm ich etwas mit Laura, sie musste aber dann schnell nach Hause, da sie einen Anruf bekam. Irgendwas war mit ihrem Hund. Er war schon älter und sie erzählte seit längerer Zeit über ihn. Einmal fing sie sogar das Weinen an. Ich hoffte nur, dass es ihrem Hund gut ging. Also zeigte ich Verständnis und schickte sie schleunigst nach Hause. Es war schon dunkel und weit nach 20 Uhr.
„Hey Kleine“, rief ein Kerl mir zu, „komm doch mal rüber.“ Ich ignorierte die Rufe. Wie aus dem Nichts stand aber dann jemand vor mir. Die sollten mich nicht nerven. Ich hatte schon genug um die Ohren und machte mir eher Gedanken um Laura.
„Hey, bleib doch mal hier, Süße.“
Der Perversling nahm mein Kinn in die Hand. Ich schaute ihn böse an. Aber im Inneren zitterte ich, ich wollte es ihnen nur nicht zeigen.
„Arschloch“, murmelte ich. „Was hast du gesagt?!“, wollte der Angesprochene wissen, „Arschloch?“ Er schlug mich, dabei sank ich langsam zu Boden, auf alle Vieren.
>>Penner!<<, dachte ich wutentbrannt.
Von der Seite spürte ich einen kräftigen Tritt. Ich fing an Blut zu spucken.
„WAS ZUR HÖLLE WOLLT IHR VON MIR?!“, schrie ich sie an.
Sie lachten pervers. Mir lief es einfach nur eiskalt den Rücken runter.
„Eigentlich wollten wir nur Spaß, aber da du ja so ein böses, kleines Mädchen bist, bestrafen wir dich eben.“
Ich biss die Zähne zusammen, als ich einen weiteren Tritt kassierte. Immer wieder und wieder, spürte ich wie sie zutraten, zudem merkte ich wie mir die warme rote Flüssigkeit aus dem Mund floss. Ich konnte mich nicht mal mehr fragen, was das sollte, warum sie das taten. Das waren eben Menschen. Auf einmal griff der eine hinten an meinem T-Shirt und zog mich hoch. Das Blut lief mir aus dem Mund und salzige Tränen brannten auf meiner wunden Wange. Ich sah nur sein ekelhaftes Grinsen, bevor meine Sicht langsam verschwamm und mir schwarz vor den Augen wurde. Der Kerl warf meinen Körper wieder auf den Boden zurück und die zwei Typen liefen gechillt weg, lachten, als ob nichts passiert wäre und einer von ihnen einfach einen guten Witz erzählt hatte.

Als ich wieder aufwachte, befand ich mich auf der Rücksitzbank eines Autos. Ich betete zu Gott – obwohl ich nicht gläubig war – dass ich nicht in dem Auto von diesen Schweinen war. Als ich dann, das Innere des Wagens richtig erkannte und längere schwarze Haare sah, wusste ich wer es war. Ich lächelte etwas vor Erleichterung.
„Kelvin…“, stotterte ich kraftlos, „warum…?“
Er wusste genau was ich sagen wollte und gab mir sofort Antwort:
„Deine Mutter hat sich Sorgen gemacht und mich angerufen. Erst fuhr sie mich an, warum ich dich noch nicht nach Hause gebracht habe, aber ich erklärte ihr, dass du eigentlich mit Laura unterwegs warst. Ich machte mich sofort auf die Suche nach dir. Jetzt fragst du dich wohl, woher sie meine Nummer hat. Tja Laura ist eine Quasselstrippe, das sollte als Antwort genügen.“
Ich merkte an seinem Tonfall, wie er innerlich kochte, es aber unterdrückte. Der Schwarzhaarige wollte mich nicht noch mehr unnötig belasten. An einer Seitenstraße hielt er kurz an, stieg aus und machte die hintere Tür auf, sein Blick lag auf mir. Er kniete sich vor mir, beziehungsweise vor dem Auto. Eine Hand legte er auf meinen Kopf und streichelte meine Haare.
„Es tut mir so leid, dass ich nicht da war. Ab sofort werde ich immer auf dich aufpassen.“, ich hörte wie zittrig seine Stimme war. „Wer hat dir das angetan?“
„I-ich weiß es nicht, Kel“, ich hatte meine Augen geschlossen und genoss die Streicheleinheiten von ihm. Mit meiner Hand fuhr ich zu seiner anderen, die mich nicht streichelte und hielt sie ganz fest.
„Ich bin so froh… so froh, dass du da bist. Aber bitte, bring mich nach Hause. Meine Mutter…“
Er ließ von mir ab und stieg wieder auf die Fahrerseite ein. Zu Hause angekommen nahm er mich behutsam auf seine Arme. Meine Augen waren geschlossen und ich bekam nur die Hälfte mit, zum Beispiel wie meine Mama schreiend aus dem Haus rannte. Er trug mich zu meinem Bett und legte mich hinein. Meine Mutter kam mit einem Waschlappen und ein Eimer Wasser und tupfte mir das Blut aus dem Gesicht. Sie schickte Kelvin aus dem Zimmer, damit sie mich umziehen konnte. Als das geschafft war, rief sie ihn wieder herein. Hina sagte noch irgendwas zu ihm, bevor sie aus dem Zimmer ging. Ich glaube das war so etwas wie… „Pass auf sie auf, du kannst hier schlafen.“ Oder so. Seine Hand hielt meine fest und er schlief an der Bettkante vor mir ein.

Am nächsten Tag klopfte meine Mutter an der Tür an und wir wachten beide auf. Mir ging es eigentlich schon etwas besser. Ich hatte einige blaue Flecke an meinem Brustkorb, Bauch und im Gesicht. Kelvin sah mich an, ich nickte.
„Ja?“, fragte er.
Hina kam herein.
„Ich habe euch beide in der Schule krank gemeldet.“, berichtete sie.
„H..hast du ihnen erzählt was passiert ist?“, stotterte ich.
„Ja. Sie machen sich auch Sorgen und verstanden, warum ihr beide heute nicht in die Schule könnt… Ich habe Frühstück gemacht. Wollt ihr hier oben essen oder unten?“
Fragend schauten mich die beiden an.
„Wir kommen runter.“
Sie nickte bloß und ging wieder. Vorsichtig stieg ich mit einem Fuß nach dem anderen aus meinem Bett.
„Geht’s?“, wollte mein bester Freund wissen.
„Ja, passt schon“, bejahte ich. Er stand neben mir und passte ganz genau auf, dass ich nicht irgendwie zusammensackte. Der Schwarzhaarige reichte mir seine Hand, die ich dankend annahm. Hand in Hand liefen wir achtsam die Treppe hinunter zu meiner Mutter an den Frühstückstisch. Ich wusste genau, dass sie mich dort ausfragen würde.

So war es dann auch.
„Geht es dir besser, Mina?“
Ich bejahte mit einem „hmm“ und biss dabei in mein Marmeladenbrot hinein.
Kelvin aß Cornflakes.
„Möchtest du darüber reden…“, wollte die Braunhaarige wissen.
Ich schüttelte den Kopf und aß weiter. Nachdem Frühstück half Kelvin meiner Mutter noch in der Küche und ich saß draußen am Teich. Leise weinte ich, als ich weiter über die Situation nachdachte. Erst fand ich mein Glück, Kelvin als neuen Freund und eine Gabe, über die ich immer noch nichts Weiteres herausgefunden hatte. Aber danach, wurde ich gleich wieder bestraft. Die einzige Frage die ich mir da stellte war, warum? Das Leben ist wirklich wie eine Achterbahn, wie alle immer sagen. Sobald man ein Hoch hat, folgt sofort danach ein Tief. Aber warum ist das so? Darf man nicht einfach mal glücklich leben? Man hat doch sowieso nur ein Leben, also warum muss man sich jeden Tag mit irgendetwas rumärgern? Warum machen sich die Menschen das Leben einfach gegenseitig unnötig schwer? Warum arbeiten und schuften wir jeden Tag, wenn doch am Ende eh alles bedeutungslos war? Wir sind doch nur ein kleiner Teil von etwas ganz Großem… Oh Mann, in letzter Zeit stellte ich mir wirklich zu viele Fragen. Glücklicherweise unterbrach Kelvin meine Gedanken mit einem Räuspern. Er setzte sich neben mich. Inzwischen fühlte mich auch etwas in der Lage über die Geschehnisse zu sprechen. Ich teilte ihm auch noch mit, dass er es bitte so meiner Mutter erzählen soll, da ich es ungern zwei Mal erzählen möchte.
„Bestimmt sehe ich jetzt total lächerlich aus mit einer blauen Wange, oder?“, sagte ich lächerlich und erwartete keine Antwort.
„Nein, du bist so hübsch wie immer, Coco“, widersprach der Schwarzhaarige mir.
„Jaja.“, meinte ich nur ungläubig.

Die nächsten Tage verbrachten wir damit, mich abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. Laura, Kelvin und Hina wollten mich einfach nicht so traurig sehen. Sie unternahmen total viel mit mir. Aber ich konnte das Geschehene einfach nicht verarbeiten. Jedoch versteckte ich es vor den anderen sehr gut, so dass sie dachten, dass es mir schon viel viel besser ging. Meine äußerlichen Wunden verschwanden nach und nach, aber die Narben in meiner Seele, werden wohl für immer bleiben.

Am letzten Schultag vor den heißersehnten Pfingstferien verbrachten Kelvin und ich einen total schönen Tag in der Stadt miteinander. Wir gingen zusammen Eis essen, ich zerrte ihn mit in Kleidergeschäfte und er kaufte mir in einem Schmuckladen eine Kette. Besser gesagt, ein Medaillon. Darin konnte ich ein Foto aufbewahren. Auf der äußeren Klappe, waren zwei Engelsflügel abgebildet. Sie gefiel mir sehr gut.
Nachdem wir das Schmuckstück gekauft hatten, schleppte ich ihn mit in die nächste Fotokabine und wir machten ein total süßes Foto von uns. Auf dem Bild gab ich Kelvin einen Kuss auf die Wange und er schaute nur verliebt zur Seite zu mir und grinste. Aus der Büchertasche packte ich meine Schere aus, schnitt es sofort zurecht und legte es in das silberne Medaillon. Diesmal war ich wieder wirklich sehr glücklich. Das war eigentlich ein Ausnahmezustand von mir, doch seit ich Kelvin hatte, ging es mir besser. Um 18 Uhr fuhr mich mein bester Freund wieder nach Hause. Während der Fahrt, fragte ich mich selbst, wann ich es ihn endlich sagen soll, dass ich mich ihn in verliebt hatte. Ob er wohl genauso fühlte? Ich schaute zu ihm rüber. Leider weiß ich das nicht, er ist für mich einfach unberechenbar.
„Also, wir sehen uns dann nach den Ferien wieder“, sagte ich, als wir vor meinem Haus ankamen, und wollte gerade aussteigen, jedoch packte er mich am Arm und hielt mich fest. Zur Hälfte war ich schon ausgestiegen und drehte mich fragend etwas um, damit ich ihn anschauen konnte.
„Hast du in den Ferien schon etwas vor?“
Erstmals fiel mir auf, wie wohlklingend und tief doch seine Stimme klang.
Ich klang vermutlich etwas unsicher:
„Naja, etwas schon… warum? Hattest du etwas vor?“
Er nickte.
„Ich wollte mit dir am Mittwoch etwas unternehmen.“
„Ich denke das wird gehen“, lächelte ich, dann stieg ich ganz aus, knallte etwas leichter wieder die Türe zu, als beim ersten Mal und ging ins Haus. Nach kurzer Zeit bekam ich dann eine SMS. Auf dem Display stand schon: „Kel“. Ich musste lächeln und klappte das Handy auf.

„Dann hole ich dich am Mittwoch um 15 Uhr ab,
damit wir etwas unternehmen können.
Ich hab dich lieb, Coco.
Kel :)“



Eilig antwortete ich ihm.


„Alles klar! :D Kommt Laura auch mit? <3
Ich hab dich auch lieb.
Coco“



Ich musste nicht mal zwei Minuten warten, da kam auch schon wieder von ihm eine Antwort:

„Eigentlich wollte ich etwas mit dir
alleine unternehmen. :(
Aber wenn du möchtest, dass sie mitkommt
dann ist mir das auch Recht.“



Ich lächelte, als ich seine SMS las.

„Also ist das so etwas wie ein Date? ._.“



Pling…!

„Und wenn ja…?“



Ich fing an zu lächeln, ein Date also? Hoffentlich meint er das auch wirklich ernst. Das wäre doch einfach zu schön. Vielleicht mag er mich ja genau so sehr wie ich ihn? Nach fünf Minuten, angestrengt nachdenken, was ich hierauf nun antworten sollte, versuchte ich locker zu reagieren und scherzte:

„Dann muss ich mal schauen,
was ich anziehen werde! ;)“



Die Antwort von ihm dauerte jetzt etwas, aber es kam eine:

„Haha =) dann bin ich ja mal gespannt!
Ich freue mich auf Mittwoch.
Bis dann.“



~~~ Fortsetzung folgt ~~~


FanArts



Minako by Awouh
Mehr von Awouh: www.awouh-scribbles.tumblr.com

Impressum

Bildmaterialien: larafairie-stock.deviantart.com
Tag der Veröffentlichung: 29.03.2012

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