Kapitel 1
~Vertieft in ihrem Buch bemerkte sie nicht, den Unbekannten, der sich langsam im Schutz des dunklen Zimmers von hinten näherte, in der Hand ein dünner Draht, den er langsam spannte, bereit für den Moment, in dem er ihn nutzen würde. Sie, indes, beschlich ein Unbehagen, doch fand sie keine Erklärung für dieses Gefühl. Stattdessen schalt sie sich für ihr Benehmen und las weiter in ihrem Buch im warmen Licht zweier Kerzen, unwissend, dass sie in Gefahr schwebte. Sie blättert eine Seite weiter…~
„Dreh dich um! Dreh dich endlich um. Ist die blöd, oder was?“ Cover verfiel dem Krimi gnadenlos. Schon seit zwei Tagen ließ sie sich von der Spannung ihrer Lektüre fesseln, immer wieder von Faszination und Grauen ergriffen, während ihre Augen und Lippen die Worte förmlich aufsaugten und jedes Verbrechen verfolgten, darauf wartend, dass der Held endlich eingriff und den Mörder stellte.
„Ah, Mann! Wo bleibt der Officer?“ Doch eigentlich war die Frage überflüssig. Einige Seiten zuvor hatte sie schon gelesen, dass er einen Verdächtigen verfolgte. Ihr Herz pulsierte vor Aufregung und Zorn. Der Held schien nie da zu sein, wenn man ihn brauchte, oder kam zu spät.
Für einen Moment verzog sich ihre Miene zu einer genervten Grimasse, als das Telefon klingelte, schien es ihr doch der denkbar schlechteste Augenblick für ein Telefonat. Vor allem schien ihr die Zeit unpassend. Kurz nach Mitternacht, Geisterstunde, dennoch legte sie ihr Lesezeichen in das Buch, dann zur Seite, bevor sie etwas genervt nach dem Hörer griff und ein „Vaughan?“ in die Sprechmuschel hineinsprach. „Cover? Gut, dass ich dich erreiche. Ich wollte dich nach dem Thema unserer Hausarbeit fragen. Morgen ist doch Abgabetermin und ich habe noch gar nichts!“ „Dann brauchst du erst gar nicht anfangen, Rachel. In einer Nacht ist es nicht machbar.“ „Komm schon. Mit etwas Hilfestellung---" „Nein.“ „Cover, bitte!“ „Rach, du hattest einen Monat Zeit. Und ehrlich gesagt habe ich auch keine Lust. Das Teil umfasst 25 Seiten und noch mal gehe ich das nicht durch!“ „25? Cover, ich bin geliefert?!“ Die Stimme am anderen Ende des Apparats klang nun weinerlich. „Ja, das bist du. Eindeutig.“ Sie kannte das bereits. Es war ja nicht das erste Mal, dass sie ihre Hausarbeiten nicht fertig brachte. Und normalerweise hätte Cover ihrer Freundin geholfen, doch schon vor einiger Zeit, hat sie sich das abgewöhnt. Sie schien sich zu sehr darauf zu verlassen.
„Es ist spät. Wir sehen uns morgen, Rachel.“ „Bis morgen… .“ Doch ihre Stimme klang nun geknickt. Sie legte den Hörer auf die Gabel und setzte sich wieder in ihren Sessel, das Buch in die Hand genommen, begann sie nun das vorletzte Kapitel.
„Aber Professor… .“ „Rachel, das ist nun das zweite Mal infolge. Du kannst nicht erwarten, dass ich jedem, der mal wenig Zeit hat, Aufschub gewähre. Jeder einzelne Student hier in meinen Vorlesungen verzichtet auf einige seiner Hobbies, um die Hausarbeiten fristgerecht abzugeben! Nein. Ich lehne ab, Rachel. Es gibt keinen späteren Abgabetermin für dich. Wenn du keine Arbeit zum Vorlegen hast, muss ich mir das notieren und in deine Benotung einfließen lassen.“
Rachel schien völlig am Ende. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck ging sie aus dem Hörsaal hinaus, wo Cover auf sie wartete. „Und?“ Cover blickte sie fast schon fixierend an.
„Nix, und. Er hat mir keinen Aufschub gegeben.“ Cover grinste und ihr Ausdruck schien förmlich zu sagen: Ich-hab-es-dir-gesagt. „Hör auf mich so anzuschauen, Cover. Ich hab’s kapiert, okay.“ Cover zuckte mit den Schultern. Sie schaute noch einmal ihre Freundin von der Seite an, die mit ihren blondierten Haaren, deren Spitzen rot gefärbt waren, nicht wie die typische Studentin für das Fach ‚Kriminalpsychologie’ aussah. Eigentlich galt das auch für sie selbst. Aber sie hielt sich schon immer für einen Ausnahmetyp. Ihre Interessen, Hobbies und ihr Geschmack waren schon immer für ihre Umgebung recht seltsam. Vor allem ihre Schlangenliebe stieß auf Verständnislosigkeit und Unbehagen. „Hey, es kommt die nächste Hausarbeit. Dann musst du dich dran halten.“ Rachel rollte mit den Augen. „Schon gut, Miss Perfect. Nicht jeder hat Freizeit bis zum Abwinken.” „Rach, nicht jeder kann so etwas verschieben, wegen eines gewissen Robert, der ständig Partys zu feiern scheint.“
„Hey. Die warn sauwichtig.“ „Wie du meinst. Aber vielleicht überlegst du dir ja, einige dieser sauwichtigen
Partys mal sausen zu lassen und reichst alle Hausarbeiten ungefragt nach.“ „Er will sie nicht. Cover, er will nichts nachgereicht bekommen.“ „Und wenn schon. Er kann dir nicht verbieten, den Versuch zu starten. Wer weiß, vielleicht beeindruckst du ihn so.“ „Oh bitte. Wie soll ich zwei Hausarbeiten fertig stellen?"
„Bei der Letzten helfe ich dir. Den REst machst du alleine."
Rachel überlegte angestrengt. „Ich kann doch nicht… .“ „Rach!“ „Schon gut. Dann muss ich halt einige Termine absagen.“ Rachels Unwillen war sofort zu spüren. „Ich muss los, Cover. Ich treffe mich noch mit Robert.“ Schnell fügte sie noch hinzu. „Ich werde ihm auch bei dieser Gelegenheit sagen, dass ich demnächst wenig Zeit habe und die Hausarbeiten machen muss.“ „Und für die Klausur nächste Woche lernen.“ „Klausur?“ Auf Rachels Gesicht tauchte Panik auf. „Ja. Der Termin stand schon seit einigen Monaten fest. Du weißt schon, diese Listen am Aushang.“ „Oh, Scheiße!“ ---
„Bethony! Dein Lover ist da!!!“ Ihre Mutter war immer taktlos. Sie wusste nie, wann sie ein wenig…freundlicher sein sollte. „Ja, Mom…ich komme!“ Sie konnte darüber nur die Augen rollen. Immer musste sie so superpeinlich sein. „Soah.“ Bethony strich sich noch eine Strähne ihres mokkabraunen Haares aus dem Gesicht, stand vor ihrem neuen Freund und lächelte ein wenig schüchtern und entschuldigend. „Wir können gehen, Brian. Mom, es könnte ein wenig spät werden, ja?“ „22 Uhr und nicht länger.“ Und damit schloss sie die Tür hinter ihrer Tochter.
Doch es wurde spät und später. Und Bethonys Mutter, Mrs. Winterbreath, wanderte im Wohnzimmer hin und her, immer wieder auf die Uhr blickend, die inzwischen halb zwei anzeigte. Das anfänglich wütende Gesicht wurde mehr und mehr von sorgenvollen Furchen durchzogen.
Sie hatte mit einer halben, vielleicht einstündigen Verspätung ihrer Tochter gerechnet, doch selbst sie kam nicht derartig zu Spät. Langsame Schritte führten sie zum Fenster, der Blick nach draußen gerichtet, die Stirn in nachdenkliche Falten gelegt, die Haut blass, aber es war keine Bewegung zu erkennen.
Längst war die kleine idyllische Straße in der sie wohnten, von der Stille der Nacht umschlungen. Mrs. Winterbreath biss sich auf die Lippen.
Fürchterliche Bilder schossen ihr in den Kopf. Die letzen Zeitungsberichte kamen ihr in den Sinn, Vergewaltigungnen, Mord und Entführungen, schürten die Angst mehr und mehr.
Längst hegte sie den Verdacht, ihrer Tochter könnte doch was passiert sein. Doch vollkommen verloren hatte sie die Hoffnung nicht.
Eine Alkoholkontrolle?
Wurden sie vielleicht am Ende von der Polizei eingesammelt, um sich einer Kontrolle zu unterziehen? Oder sie hatte vergessen sie anzurufen, um Bescheid zu sagen, dass sie woanders übernachtete? Bei Cover? Obwohl---sie waren nicht sonderlich eng befreundet.
Harriet? Hatte sie sich nicht mit ihr zerstritten?
Rachel---aber die war meistens bei ihrem Freund. Vielleicht war ihr Kind doch mit ihrem Lover gegangen.
Sie war schließlich volljährig, Studentin. Doch je mehr sie sich hineinsteigerte, desto abwegiger wurden die Ideen.
Illusionen, die sie an die Hoffnung klammern ließen, sie würde noch kommen. Vielleicht sogar erst am nächsten Morgen.
Sie wandte sich vom Fenster ab, blickte auf die kleine Uhr, tickend verstrich die Zeit. Viertel vor drei. Und es hatte sich noch nichts getan. Mrs. Winterbreath entschied sich einen Kaffee zu machen. Vielleicht würde er sie ein wenig mehr beruhigen. Sie hantierte gerade an der Kaffeemaschine, da hörte sie ein Klicken an der Tür.
Also, doch! Sie würde ihr eine gehörige Standpauke halten. Was glaubte sie eigentlich, wer sie war? Sie in solcher Angst zurück zu lassen. Nicht einmal anzurufen! Mrs. Winterbreath rauschte energischen Schrittes aus der Küche bereit ein Donnerwetter zur nächtlichen Stunde loszulassen. Die Nachbarn waren ihr gerade vollkommen gleichgültig.
„BETHONY MARIE WINTERBREATH!!!“, ertönte die wütende Stimme in der häuslichen Stille.
~Ein erstickter Schrei durchbrach die Ruhe, das Buch fiel polternd zu Boden, während sich die Hände zittrig an den Draht zerren, voll Überlebensdrang. Doch er erhöhte den Druck nur weiter. Es gefiel ihm. Sie wehrte sich. Dabei war es doch schon von vorneherein klar, dass sie sterben würde. Aber sie konnte ruhig weitermachen. Es befriedigte ihn, ließ ihn jauchzen. Ein warmes Kribbeln erfüllte seinen Körper, während er langsam spürte, dass sie müde, sich nicht mehr wehren würde und dann, ja dann würde sie langsam zusammensinken, die letzten Atemzüge machen. Aber…scheinbar war sie zäher als die anderen. Naja. Sie war ja auch Reporterin. Die waren immer zäher als alle anderen. Ein einzelner Schuss fiel und er blickte nur fassungslos auf seine Brust. Das war falsch. Das gehörte doch gar nicht hierhin. Sein Spiel kam durcheinander. Vollkommen durcheinander. Den Draht ließ er los, sackte in sich zusammen, während die junge Reporterin sich nach Luft ringend an den Hals fasste. Ihr Herz schlug heftig, die dunkelbraunen Augen suchten den Retter und erblickten ihn. „Officer…!“, die Stimme flach und kraftlos. Es war der Officer. Er hatte sie gerettet. Und den Mörder von East- Valley gefasst. „Schon gut, Miss.“ Seine Augen hefteten sich fassungslos auf den am Boden liegenden. Er röchelte noch. Sein eigener Partner. Sein Partner war der Mörder. Der Schlächter. Er hatte ihn in die Irre geführt. Immer wieder. Er griff zu seinem Funkgerät und gab einen Funkspruch an seine Kollegen. Zumindest war jetzt…~
Das Telefon klingelte und Cover seufzte tief auf. Schon wieder, während sie ihren Krimi las. Zumindest war sie fast fertig. Die letzten 20 Seiten würde sie in einem Ruck durchziehen. Langsam aber wurde das zur Gewohnheit. Ihr Blick heftete sich auf die Uhr, die halb acht zeigte.
„Vaughan?“ „Cover? Ich bins Rachel. Weißt du schon das Neueste? Voll krass! Und dabei hätte ich wetten können, dass so etwas hier nicht passieren könnte. Ich meine, hier in diesem verschlafenen Städchen. Weisst du, man liest ja so was eigentlich…“ „Was Rach? Und, bitte, halte dich kurz.“ „Cover. Du kennst doch diese Bethony. Bethony Winterbreath. Die mit den silberblonden Haaren, wo ich immer gesagt habe, dass sie wie ein…“ „RACH!“ „Ihre Mutter wurde heute Morgen ermordet aufgefunden.“
Cover verstummte. „Cover? Bist du noch dran?“ „Ja. Wie geht es ihr?“ „Wem? Sie ist ja tot. Die wird ja bestimmt nicht….“ „Rach…Bethony, ich meine Bethony!“ Die lange Leitung ihrer Freundin ging ihr langsam auf die Nerven. Jetzt war auch das Fehlen dieser Musterstudentin logisch. Nachvollziehbar. „Ach so…der geht es entsprechend. Weißt du, die hat die Nacht bei Brian verbracht. Du weißt doch noch, der Typ, den ich so süß fand, bevor ich Robert…" -KLICK- "Cover? ...Cover?“ Aber sie hatte schon aufgelegt. Die Ausführungen gingen ihr jetzt langsam auf die Nerven. Sie konnte nie einfach in einem Schluck alles erzählen. Nein. Sie musste stets ausschweifen auf Dieses und Jenes. Cover ging auf das Terrarium zu, beobachtete ihre Schlange Morpheus, die sich in eleganten Windungen darin bewegte und ihre Besitzerin aus rubinroten Augen beobachtete. Bethonys Mutter wurde ermordet. Sie überlegte, ob sie anrufen und ihr Beileid erklären sollte. Anderseits, hatte sie nie wirklich mit ihr etwas zu tun gehabt. Vielleicht würde ihr das seltsam vorkommen. Würde das Gefühl haben, Cover wäre sensationsgierig. Unschlüssig hielt Cover das Telefon in der Hand. Vielleicht später.
„Nein, nicht zu Hause…ich…ich sollte, aber ich…ich war aber bei meinem Freund…habe bei ihm übernachtet.“ Sie schluckte heftig. Die Polizei hielt sie schon seit einigen Stunden auf der Zentrale fest. „Was sollen diese Fragen?“ Bethonys Stimme zitterte. Und seit sie hier war, stellten sie ihr die komischsten Fragen. Langsam hegte sie den Verdacht, dass sie für die Mörderin gehalten wurde. „Ich würde…ich…ich möchte endlich nach Hause…“ Wieso antwortete ihr keiner. „Miss Winterbreath, ich möchte sie noch einmal fragen…“ Der Detective hatte noch gar nicht angefangen, als sie einfach aufstand. „Sir, ich…ich kann nicht mehr. Wieso lassen sie mich nicht in Ruhe? Meine Mom ist tot und sie fragen mich immer wieder dieselben Dinge. Wieso suchen sie nicht den Mörder? Wieso verschwenden sie stattdessen Zeit und befassen sich mit mir?“ Kaum die letzten Worte ausgesprochen, als sie fast zeitgleich die Tür aufriss und hinauslief.
Sie war müde. Wirklich müde, aber keinen schien das zu interessieren. In einer einzigen Nacht hatte sie ihre Mutter verloren, ihre Mutter. Sie war die Einzige gewesen, die sie noch hatte.
Wieso? Wieso war sie nicht wie versprochen um 22 Uhr nach Hause gekommen? Wieso hatte sie sich von Brian überreden lassen zu ihm zu gehen? Der Kloß, der ihr schon seit dem frühen Morgen den Hals verschnürt hatte, löste sich wie ein Knoten. Die Tränen fielen heiß, in sachtem Rinnsal über die Wangen zum Kinn, ein heftiger Schluchzer nahm sie in Besitz. Der ganze Schmerz, den sie bis dahin tapfer zurückgehalten und hintergeschluckt hatte, übermannte sie, schien sie fast zu Boden zu werfen. Sie musste sich krümmen, mitten auf der Straße, unbeachtet von den anderen vorbeilaufenden Menschen. Die dunklen Wolken am Himmel, die schon den ganzen Tag für eine trübe Stimmung gesorgt hatten, ergossen sich fast urplötzlich... strömend fielen die Tropfen auf sie.
Sie kam sich vor, wie im falschen Film. ~Wie passend. ~, dachte sie bitter.
Der Himmel ergoss sich über sie, aber sie glaubte nicht daran, dass er mit ihr trauerte. Genauso gefühllos, wie all die anderen. Wie ihre Kommilitonen. Keiner hatte sich die Mühe gemacht sie anzurufen. Nach ihr zu fagen. Von der Polizei zu holen. Niemand interessierte es, wie sehr sie gerade litt. Alles kalt und hohl.
Und der Regen war der beste Beweis. Er fiel auf sie, durchnässte sie, kalt und gefühllos. Sie raffte sich langsam auf, wischte sich quer übers Gesicht, eigentlich überflüssig, der Regen machte die Mühe sich die Augen zu trocknen zunichte.
Sie bewegte sich nur langsam, gebückt, drängte sich durch die Menschen nach Hause. Die Last der Schuld ruhte auf ihren Schultern.
Graue, bewegliche Statuen, die sich an ihr vorbeidrängten. Nach hause, nur nach Hause.
„Hey, Cover, bist du da?“ Rachel Baines klopfte laut und kräftig an der Tür. Einige Nachbarn streckten gereizt und müde ihren Kopf aus der Wohnungstür, nur um einige Beschimpfungen auszusprechen und wieder in die Wohnung hineinzuschlurfen.
Aber rAchel interessierte das nicht. Sie war vollkommen aus der Fassung. Noch nie war sie derartig aufgeregt und verängstigt wie jetzt.
„COVER!!!“ Genannte riss die Tür wütend auf.
„Sag mal…spinnst du? Weißt du eigentlich wie spät es ist?“ Sie stand in Pyjama und abstehenden Haaren an der Tür, blickte auf das verrückte, zitternde Wesen vor sich. Hatte sie etwas Drogen genommen?
„Halb vier, Rach! Halb VIER!“ Sie war angesäuert. Es war noch tiefe Nacht und sie hätte noch so schön weiter schlafen können.
„Cover, bitte…Bethony…die Bethony…von letztens…du weißt schon…ihre Mom wurde ermordet aufgefunden. Sie ist auch tot! Richtig tot!“
Cover blickte ihre Freundin an, als ob sie eine fremde Sprache spräche.
„Tot?“ „Ja, tot. Ich bin gerade dort vorbei gekommen, und sie wurde da gerade rausgetragen. Die Polizei hat mich ausgefragt. Voll gruselig. Und….Cover…“ Sie blickte zum ersten Mal seit sie angekommen war nicht aufgeregt, sondern bestürzt. „Der Cop war voll eklig. Der hat angefangen zu erzählen, wie sie getötet wurde. Mir ist voll schlecht geworden.“
Cover nahm ihre Freundin in den Arm und zog sie zu sich rein.
Sie hatte tatsächlich angefangen zu weinen. Ihr Körper schüttelte sich unter ihren Tränen. „Cover…ich…ich…hab voll Angst gehabt. Und ich glaube jetzt…dass…dass sie von Anfang an getötet werden sollte. Ich…ich meine es ist nur ein Tag her…nur ein Tag“
Rachel kuschelte sich an ihre Freundin, wollte gar nicht mehr losgelassen werden. Sie hatte gestern erst über die Mutter gesprochen und sich nicht einmal dafür interessiert. Im Gegenteil, sie war auch noch so blöde und hat über ihre Haare und ihren Freund gelästert.
„Komm…setzt dich Rach. Ich hol dir was zum Trinken.“ Sie zog sie ganz sanft mit sich zu ihrer Couch, drückte sie drauf und ging hinüber zur Küche, die sich ebenfalls in ihrem Wohnzimmer befand. Aber nun konnte sie sich zumindest erklären, wieso ihre Telefonate am Abend fruchtlos geblieben waren. Es hatte immer wieder geklingelt, aber niemand war rangegangen. Und ihre Handy schaltete immer wieder auf die Mailbox. Cover hatte sich dabei gedacht, dass Bethony nur in Ruhe gelassen werden wollte.
Doch jetzt schien die Lage eine andere, schrecklichere zu sein.
„Was hat der Typ gesagt…dieser Cop?“ Sie wollte eigentlich nicht das Ganze wieder aufwühlen, doch auch sie war voller Neugierde, morbide und unanagemessen, aber sie wollte wissen, was geschehen war, wie es geschehen war.
Erst gestern Morgen wurde Bethonys Mutter tot aufgefunden, mit einem Draht erwürgt. Die Zeitung hatte es überall gebracht, vor allem, weil der Draht das Markenzeichen eines seit langem gesuchten Serienmörders ist.
Der Kaffee war endlich fertig, Instantpulver, eine Kaffeemaschine besaß sie nicht, und trug zwei Tassen rüber zu Rachel, eine davon übergab sie ihr, die andere hielt sie in ihren Händen, beschnupperte das heiße Getränk, dass sie schon jetzt ein wenig wohler fühlen ließ. „Sie haben den Leichensack noch offen gehabt, Cover. Ich hab das Ding gesehen. An ihrem Hals. Der Draht. Genau wie bei ihrer Mutter, wie in der Zeitung beschrieben. Ein Draht.“
Sie verzog ihr Gesicht. Scheinbar dachte sie an die Ausführungen des befragenden Polizisten. „Ist gut. Trink lieber was, Rach.“ Sie strich ihr lieb über den Kopf. Sie wäre wohl zusammengeklappt, hätte sie das gesehen. Schon beim letzten Mal, als sie zum Anatomiesaal gegangen waren, war ihr schwarz vor Augen geworden, als sich der Professor neben der fertig obduzierten Leiche gestellt und über den Tod gesprochen hatte. Sie fand das Abartig. Nur lesen konnte sie solche Ausführungen mit Faszination.
„Und…dann dieser Cop. Ey…voll eklig. Cover der hat mich ausgefragt, so als ob ich nicht rein zufällig dort vorbeigekommen wäre. Was aber so war. Ich war auf dem Weg zum Studentenheim und der hat mich voll ausgequetscht. Fast ne halbe Stunde lang und immer wieder die gleichen Dinge, als ob ich Bethony ermordet hätte.“
Die letzten Worte verließen ihre Lippen vollkommen erschreckt. „Das…macht mir Angst. Der sah nicht sehr überzeugt aus.“ „Keine Sorge, Rach. Er kann dir nichts anhängen, was du nicht getan hast.“ Sie drückte sie an sich. „Du übernachtest heute hier. Komm!“ Der Kaffee war nicht wirklich ausgetrunken, blieb halb voll auf dem Tisch stehen.
Aber wirklich schlafen konnte sie nicht. Immer wieder wälzte sie sich von einer Seite zur anderen und versuchte die Bilder aus ihrem Kopf wegzubekommen.
Sie kauerte benommen auf dem Bett, den sie mit ihrer Freundin Cover teilte. Eine kriechende Leere hatte sich in ihr breit gemacht, schien sie von innen heraus zu zerfressen, wie eine eklige Made, die sich an einer Leiche vergnüglich verging. Rachel blickte aus dem Fenster in die Dämmerung, die sie auf eine melancholische Art und Weise tröstete.
Ein neuer Tag. In vielen Romanen war er als gutes Zeichen zu deuten und trotzdem hatte sie das untrügliche Gefühl, dass es gerade erst angefangen hatte. Eine Art Vorahnung, wie man sie manchmal vor den Ergebnissen einer Klausur hatte, nur schien diese Vorahnung weitaus dunkler und beängstigender. Cover drehte sich auf die andere Seite, sie spürt, dass sie wach war, eine Person ihr ganz nah und doch fern. Fern von ihren Ängsten, Gedanken und Alpträumen.
Sie hatte nichts erlebt, sie konnte sich nur das Ausmaß ungefähr vorstellen und selbst das war nicht vergleichbar mit dem, was sie erlebt hatte. Ein kurzes Niesen riss sie aus ihren Gedanken. Fast schon überrascht blickte sie um sich, registrierte das Zimmer, das Schlafzimmer ihrer Freundin, bevor sie wieder ihren Kopf senkte, in die Dreck vergrub und sich an die einzelnen Dinge Stunden zuvor erinnerte.
~Der Polizist.~, schoss es ihr in den Kopf.
Er hatte sie verdächtig. Das konnte sie seinen Worten entnehmen. Allein die Tatsache, dass er fragte, wo sie zuvor gewesen war, hatte sie auf den Gedanken kommen lassen.
Kein Polizist fragte das einfach so, ohne konkret einen Verdacht zu haben.
Wieso war sie eigentlich bei ihm
gewesen?
Wieso war sie nicht im Studentenheim geblieben? In ihrem Zimmer? Trotz der lauten Partymusik neben an? Robert hatte sie zu sich eingeladen. Mit einem Candle-Light-Dinner überrascht. Er war furchtbar in sie verliebt und gestern hatte er ihr das gezeigt…gesagt…und sie spüren lassen. Sie selbst war auch verliebt. Deshalb war es nur zu verständlich, dass sie bei ihm die Nacht verbringen wollte.
Wieso war sie dann weggegangen? Die Sonne erhob sich langsam im Horizont, hinter einem fahlen Wolkenschleier, der das Licht kalt und hart erscheinen ließ.
Die Schatten im Zimmer wurden kleiner, der Raum wirkte größer. Und, wie als ob das Licht ihr die Erinnerungen zurückbrachte, begann sie den gestrigen Tag zu rekonstruieren.
Sie hatten es sich gemütlich gemacht. Sogar gemeinsam geduscht. Ein unglaubliches Kribbeln spürte sie im Bauch bei diesem Gedanken, wunderschön war es gewesen. Und dann später…der Ring.
Sie hatte vor Überraschung die Flucht ergriffen. Er hatte ihr einen Antrag gemacht. Er hatte sie tatsächlich gefragt, ob sie seine Frau werden wollte. Und…sie hatte sie Flucht ergriffen.
Nachts.
Und kam am Tatort vorbei.
Bethony. ---
Heiße Tränen kullerten hinab, hinterließen Streifen auf ihrer Wange. Wieso hatte sie nicht ja gesagt? Sie liebte ihn doch. Stattdessen war sie abgehauen, ohne ein Wort und geriet auch noch an die Polizei. Wurde verdächtigt.
„Rach….“ Cover drehte sich um, hatte sich ihrer Freundin zugewandt und bemerkte nun, dass sie weinte. bitterlich weinte. Sie richtete sich auf und nahm sie sofort in den Arm. Es wird alles gut, Rach. Wirlich. Es wird alles gut."
Texte: Cover und sosntige Illustrationen sind vom Autor erstellt.
Tag der Veröffentlichung: 27.03.2011
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