Man sollte zu Gedichten keine Erklärungen abgeben.
Wenn aber ein historischer Hinweis das poetische Verständnis vertiefen kann, so soll es in Gottes Namen geschehen.
Ich habe mit großer Faszination über die Existenz einer Bibliothek gelesen, die ein Hamburger Wissenschaftler gegründet hat.
Sein Vater, der reiche Bankier Warburg, versprach dem Bruder des Wissenschaftlers, dass der das gesamte Erbe allein erhalten sollte, wenn er sich verpflichte, seinem Bruder Aby ohne Einschränkung zu gestatten, dass dieser von dem ererbten Vermögen jedes Buch dieser Welt für seine Bibliothek anschaffen könnte.
Abi Warburg baute die Bibliothek nach einem von ihm entwickelten Prinzip auf, indem es um den geistigen Bezug von Worten und Bildern geht und nannte es IKONOGRAFIE.
Die Bibliothek kam wie alles Geistige im aufkommenden Faschismus in Gefahr, man entschloss sich daher, sie im Jahre 1934 per Schiff nach London zu evakuieren, wo sie heut noch mit Weltruf existiert.
Mich faszinierte diese Geschichte derart, dass ich beschloss, in Form eines Studiums die Sache tiefer zu begreifen, was aber schlicht an meiner Trägheit scheiterte.
Nun ist 1934 auch mein Geburtsjahr.
Und während ich die Gleichzeitigkeit vor Augen hatte, indem mein Leben und ein geistiges Gut bedroht in einem fragilen Behälter durch die Welt getragen werden, fasste ich diese Tatbestände zu einem Gedicht zusammen, das der bloßen wissenschaftlichen Beziehung von Wort und Bild die leibliche Dimension hinzufügt, ohne die am Ende gar nichts geht.
Ikonographie
Während der Bauch
Eines Schiffes
Tausende kostbarer Bände
Unruhig nach London trägt
Gut geordnet und sicher vertäut
Trägt am Rande des Reiches
Eine junge Frau
Schwarzhaarig und leicht hinkend
Ihr Kind im Leib
Meiner Geschichte entgegen
Die ebenso vergeblich erscheint
Wie das Bemühen
Um eine Zuordnung von
Worten zu Bildern zu Worten.
Tag der Veröffentlichung: 11.12.2011
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