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1. Kapitel

 

Laura parkte ihren Wagen in der Garage ihres Elternhauses und blickte auf ihre Armbanduhr. Es war später geworden, als beabsichtigt und sie musste sich beeilen. Ausgerechnet heute hatte sie in der Kanzlei 'CL Firm' viel zu tun gehabt, in der sie seit ihrer Ausbildung zur Anwaltsgehilfin für ihren Chef Cogan Law arbeitete. Ihre Freundin Sandra würde gleich eintreffen, um zu sehen, wie weit sie mit ihren Recherchen war.

Rasch lief sie durch den Seiteneingang ins Innere des Hauses und eilte die Treppe nach oben in ihr Reich. Im Flur ließ sie ihre Handtasche und den Wagenschlüssel auf der antiken Kommode zurück und begab sich sogleich ins Wohnzimmer. Auf dem kleinen Tischchen stand wie immer ihr Laptop. Trotz ihrer sechsundzwanzig Jahre fühlte Laura sich im Haus ihrer Eltern wohl und finanziell kam es ihr sogar zugute. Denn nur so konnte sie den größten Teil ihres Geldes für ihren Traum zurücklegen. Und dieser sollte sich nun bald erfüllen. Vier lange Jahre hatten Sandra und sie darauf sparen müssen. Doch jetzt dauerte es nur noch zwei Wochen, bis zu ihrem gemeinsamen, vierwöchigen Trip nach Texas.

Sie ließ den Laptop hochfahren und schlüpfte währenddessen in bequeme Kleidung. Danach rief sie die Datei unter dem Namen ´Traumland´ auf und überprüfte noch schnell die letzten Eintragungen, wobei sie dachte: Ja, so müsste es gehen.

 

Laura war schon sehr gespannt, was ihre Freundin dazu sagen würde. Vorsichtshalber machte sie noch einmal einen Kostencheck, um später keine bösen Überraschungen zu erleben. Sandra verdiente schon recht gut als Fotografin im 'Woodsid´s Photographie Studio'. Doch wenn man ein Faible für Calvin Klein, Viktorias und Udo sonst wer Modemarken hatte, konnte es schon mal knapp werden. Weil sie aber wie Geschwister zusammen aufgewachsen waren, verstanden sie sich trotz der unterschiedlichen Einstellungen bestens. Wie sollte es auch anders sein, bei Eltern, die selbst seit Jahrzehnten befreundet waren? Nur eben mit dem Unterschied, dass diese Spring Hill niemals verlassen würden. Dort waren sie geboren und würden auch sterben, wie ihre Mutter sich einmal ausgedrückt hatte. Die Freundinnen aber waren abenteuerlustiger.

Doch nicht nur die Abenteuerlust trieb Laura an. Mit dieser Reise wollte sie sich einen langersehnten Traum erfüllen und ein weiteres Buch schreiben. Sie beabsichtigte, sich nun an eine Wild-West Geschichte zu wagen. Diese Reise sollte ihr dafür als Recherche dienen.

Dieser Wunsch hatte seine Wurzeln in ihrer Kinderzeit. Als ihre Großeltern noch lebten, verbrachte Laura all ihre Ferien auf deren Rinderfarm. Dort hatte sie ein Pony besessen und zusammen mit anderen Kindern aus der Umgebung Cowboy und Indianer gespielt und hin und wieder aus Spaß die Kühe zusammengetrieben. Und ihre Großmutter hatte ihr auch immer wieder mit ihrer wundervollen, warmen Stimme, ihre geliebten Bücher vorgelesen.

Bis ins Teenager-Alter liebte Laura Kinderbücher jeder Art und hatte diese geradezu verschlungen. Vor einigen Jahren hatte sie daher den Entschluss gefasst, selbst ein Kinderbuch zu schreiben. Aber niemals hatte sie damit gerechnet, dass ihr Buch; 'Mr. Hase und Miss Igel', gleich so ein Erfolg werden würde. Das hatte sie im wahrsten Sinne umgeworfen. So war es nicht verwunderlich, dass sie sich jetzt an ein größeres und anspruchsvolleres Buch wagen wollte.

 

Durch das Klingeln an der Haustür wurde sie aus ihren Gedanken gerissen und rief erfreut aus: „Das muss Sandra sein! Pünktlich auf die Minute.“

„Komm nach oben! Ich bin dort“, ließ sie ihre Freundin durch die Sprechanlage wissen.

„Okay!“, vernahm sie Sandras Antwort.

Als sie oben ankam, begrüßten sie sich wie immer mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange.

„Na, Süße? Wie war dein Tag?“, erkundigte sich Sandra.

„Anstrengend! Und deiner?“

Ihre Freundin antwortete mit einem Schmunzeln: „Oh, wunderbar! Du glaubst nicht, wen ich heute vor die Linse bekommen habe.“

Laura grinste und ließ es sich nicht nehmen, zu sagen: „Lass mich raten! John Wayne?”

Sandra fuhr auf diesen Westernhelden total ab. Und weil Laura das wusste, zog sie sie gerne mal damit auf. Sie interessierten sich jedoch beide für Western, deshalb sollte ihr Buch in Texas, dem typischen Westerngebiet spielen.

Schon kam es mit einem Seufzen: „Schön wär´s!“, bevor Sandra weiter erzählte: „Ich war heute im Central Park, um ein paar Aufnahmen von der neu gestalteten Anlage zu machen. Und wer läuft mir über den Weg? Charly! Und zwar nicht alleine. Ein Blondinchen war bei ihm und sie hielten Händchen.“

Sie grinste vor Schadenfreude, aber Laura meinte: „Oh je! Arme Antonia! Hat sie doch schon wieder Pech mit einem Mann.“

Sie hatte wirklich Mitleid mit ihr. Auch wenn Antonia, die mit Charly zusammen war, hochnäsig und arrogant war.

„Ist sie doch selbst schuld! So egozentrisch, wie sie ist“, meinte Sandra erbost. Sie konnte Antonia nicht leiden.

„Sei nicht so hart mit ihr, Sandra. Sie klammert halt ein bisschen.“

„Ein bisschen? Na ja! Wie dem auch sei. Mir passiert so etwas nicht. So, nun lass mich mal sehen, welche Ziele du dir in Texas ausgesucht hast.“

Laura schüttelte lächelnd den Kopf und konterte: „Wie sollte dir das auch passieren, wenn du nur mit den Männern spielst?“

Dafür hatte ihre Freundin allerdings nur ein Grinsen übrig.

 

Während Sandra sich neben ihr auf der Couch niederließ, begann Laura schon, ihr die Fotos über die drei Städte zu zeigen, die sie für ihren Trip ausgewählt hatte. Da ihre Freundin den Grund der Reise kannte, hatte sie Laura die Route aussuchen lassen. Dafür war Laura ihr sehr dankbar. Trotzdem wollte sie damit auch ihr einen unvergesslichen Urlaub bescheren.

Oh, Mann, dachte sie in dem Moment. Wenn Sandra wüsste, dass sie in meiner Geschichte der Protagonist sein wird, in der … Keine Ahnung, was sie davon halten würde.

Jedoch wollte Laura ihr unbedingt diese Geschichte aus Dank für ihre jahrelange und bedingungslose Freundschaft widmen. Denn Sandra war es gewesen, bei der sie stets eine Schulter zum Ausweinen gefunden hatte. Sei es wegen einer missglückten Arbeit in der Schule, ihre Zweifel, was ihr Aussehen betraf, oder ihrer Unsicherheit bei den Jungs. Stets war ihre Freundin für sie da gewesen. Sie hatte sie getröstet, wenn eine Verabredung geplatzt war, und sie bei Allem wieder aufgebaut.

Als Laura ihr nun die Fotos der Hotels in San Antonio und El Paso zeigte, die sich zentrumsnah befanden, war Sandra davon sehr angetan. Dann zeigte sie ihr auch noch Bilder von der Umgebung. Ihre Freundin seufzte verzückt auf, da wusste Laura, dass sie damit auch ihren Geschmack getroffen hatte. Das machte sie natürlich mächtig stolz.

Ihr eigentliches Begehren, warum Laura gerade Texas ausgewählt hatte, folgte nun in Form der nächsten Fotos. Das Faszinierendste erwartete sie in Amarillo. Dort würden sie auf einer Ranch verweilen. Laura war schon jetzt verliebt in sie.

Wie sich schnell herausstellte, schienen die Fotos nicht nur ihr, sondern auch Sandra unheimlich gut zu gefallen. Innerlich triumphierte Laura vor Freude.

„Laura, du bist echt klasse! Ich hätte es nicht besser machen können. Es ist einfach perfekt!“

„Findest du? Weißt du … Ich dachte mir, wenn wir nur vier Wochen Zeit haben, sollten es Städte sein, die von der Entfernung her nicht allzu weit auseinander liegen.“

„Richtig! Denn ich bin der Meinung, dass wir mindestens sieben Tage pro Stadt benötigen werden, um genügend zu erleben“, zwinkerte ihr Sandra darauf zu.

Laura verdrehte die Augen. Sie konnte sich denken, worauf ihre Freundin anspielte.

„Wie dem auch sei. Hier noch der Kostencheck! Wir können es uns einigermaßen gutgehen lassen. Unser Budget ist gar nicht so mickrig“, meinte sie daraufhin aber nur. Was ihre Freundin zum Schmunzeln brachte.

„Das wäre tragisch! Warum sollen wir knausern, wenn es uns gefällt? Wir haben beide seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht.“

Wo sie recht hat, hat sie recht, dachte Laura. Und diese Reise sollte für sie beide die Schönste ihres Lebens werden. Daher nickte sie bestätigend.

Sie besprachen, was sie noch für die Reise benötigen würden. Sandra wollte natürlich, wie sollte es auch anders sein, genug Schuhe mitnehmen. Man könne ja nie wissen, was einen dort erwarten würde, argumentierte sie.

Darauf antwortete Laura nur: „Wie du meinst! Ich für meinen Teil denke vielmehr an ausreichende Kleidung. Und vor allem Sonnencreme und Insektenschutz.“

„Das natürlich auch! Doch einen Haufen Kleider? Süße, dort kann man sich sicher schöne und günstige Kleidung kaufen. Wohingegen Schuhe ein Fall für sich sind.“

Wieder einmal hatte Sandra darin nicht unrecht. Als es für ihre Freundin Zeit zum Aufbruch wurde, verabschiedeten sie sich nach ihrem Ritual und Laura begleitete sie nach unten. Sie würde ihren Eltern dann gleich die genauen Reiseziele präsentieren, damit diese aufhören konnten, sich unnötige Sorgen zu machen.

 

„Hallo Mom, hey Dad”, begrüßte Laura unten ihre Eltern, als sie zu ihnen auf die Terrasse trat.

„Hallo Liebes! War das nicht Sandra, die ich gerade gehört habe?“

Laura gab beiden einen Kuss auf die Wange, ehe sie ihrer Mutter antwortete: „Ja! Wir haben unsere Reise besprochen und nun festgelegt. Sandra muss morgen sehr früh raus. Sie hat einen Termin zum Fotoshooting und lässt sich daher entschuldigen.“

Ihre Mutter nickte und bat sie, sich zu ihnen zu setzen.

„Weißt du, mein Schatz? Ich weiß zwar, dass du erwachsen bist, dennoch mache ich mir Sorgen. Texas ist so weit weg!“

Nicht schon wieder, dachte Laura und seufzte innerlich auf. Ihr Vater stoppte ihre Mutter.

„Luna, lass gut sein! Unsere Tochter ist mittlerweile sechsundzwanzig Jahre alt und könnte längst verheiratet und Mutter vieler Kinder sein. Du musst endlich lernen, sie loszulassen.“

Laura war ihrem Vater dankbar für seine Unterstützung, auch wenn sie bei seiner Begründung wieder einmal errötete. Sie wusste aber, dass die Eltern nur ihr Glück wollten. Gerade weil sie ein Einzelkind war.

Schon seit einiger Zeit versuchten ihre Eltern, sie mit allen ledigen Männern hier in Spring Hill zu verkuppeln. Dabei gingen sie allerdings nicht besonders geschickt vor. Denn fast in jedem zweiten Monat veranstalteten ihre und Sandras Eltern gemeinsam ein Grillfest. Und immer war ein anderer Junggeselle da und musste hoffen, dass Laura Interesse an ihm zeigte. Worauf die Eltern nur zu lauern schienen, damit sie endlich Großeltern werden konnten. Doch Laura hatte derzeit absolut keine Lust mehr auf eine Beziehung.

Laura umarmte ihre Mutter und lächelte ihren Vater dankbar an.

„Das ist schon in Ordnung, Mom. Aber Dad hat recht. Ich bin schon groß und kann auf mich selbst aufpassen. Was soll mir auch schon geschehen? Ich habe doch Sandra dabei.“

Das würde helfen, ihre Mutter zu beruhigen. Und in der Tat nickte diese zufrieden.

Prompt erzählte sie die alte Kamelle: „Auch wahr! Als Sandra geboren wurde und heranwuchs, habe ich Mona gefragt, ob sie sich sicher sei, dass sie ein Mädchen ist.“

Ihre Mutter kicherte und ihr Vater schüttelte schmunzelnd den Kopf. Diese Geschichten kannten alle nur zu Genüge. Angeblich war Sandra damals wild und unbändig wie ein Junge gewesen. Was Laura nie so gesehen hatte. Zumindest nicht immer. Doch manchmal, wenn ein Junge sie oder Sandra gehänselt hatte, fing er sich von ihrer Freundin halt Prügel ein. Dieser hatte es dann auch verdient. In Lauras Augen war ihre Freundin einfach eine Frau, die sich behaupten konnte. Ganz anders als sie selbst. Sie war eher die Unsichere, Zurückhaltende und die Ängstlichere von ihnen. Dass ihre Freundin sie stets in Schutz genommen hatte, würde Laura ihr niemals vergessen. Selbst ihre Mutter nicht, weil sie so auf dem Laufenden blieb. Denn Luna – Lauras Mutter - wusste dadurch immer über alles Bescheid. Das war definitiv ein Nachteil, wenn beide Elternpaare gut miteinander befreundet waren. Dies begriffen Sandra und sie aber erst, als sie alt genug waren. Oder vielmehr, als sie mit ihren Flausen anfingen.

Laura berichtete ihren Eltern nun in allen Einzelheiten ihre Reiseroute. Während ihrer Abwesenheit wollten diese, zusammen mit Sandras Eltern, eine Kreuzfahrt machen. Damit wären sie, nach Aussage von Lauras Vater, von ihren Sorgen um die Töchter abgelenkt. Was die Freundinnen auch gut hießen. Noch bis Mitternacht saß sie mit ihren Eltern zusammen und zeigte auch ihnen die Fotos. Ihre detaillierte Schilderung der Reise, die selbst ihre Garderobe mit einschloss, beruhigte ihre Mutter sehr, genau wie Laura es gehofft hatte. Als sie gähnen musste, wünschte sie ihren Eltern mit einem Kuss auf die Wange eine gute Nacht und begab sich nach oben in ihre Wohnung. Mit einem wohligen Seufzen kuschelte sie sich kurz darauf in die Kissen. Noch zwei Wochen, dachte sie und fiel in einen tiefen Schlaf.

 

***

Thomas Cedros wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Er und sein engster Vertrauter, Lanz Willer, verbrachten schon den ganzen Morgen auf der westlichen Seite des Weidelandes, die zu seiner Ranch gehörte. Dort musste die Einzäunung repariert werden. Santos, dieser verfluchte Bulle, hatte es mal wieder geschafft, einige Zäune niederzureißen, nur um die Kühe aufzumischen.

Seit nunmehr sechs Jahren leitete Thomas die 'Cedros Ranch'. Genauer gesagt, seit dem Tod seiner Eltern. Auch wenn Tom, wie er von allen seit Kindesbeinen an genannt wurde, die Ranch liebte … An solchen Tagen fragte er sich, warum er das alles mit seinen zweiunddreißig Jahren auf sich nahm.

„Das dürfte reichen! So schnell gelingt es Santos nicht mehr, hier auszubrechen. Dieser verflixte Bulle …“, wetterte Lanz neben ihm.

Tom verstand ihn. Trotzdem wussten beide, dass Santos durch seine Gene und hohe Fruchtbarkeit unverzichtbar für die Rinderranch war.

Vor noch nicht allzu langer Zeit hatte er einen anderen Bullen besessen, den Tom trotz seiner guten Erbanlagen in einer schrecklichen Nacht erschossen hatte. Bei dieser Erinnerung spürte er wieder diesen dumpfen Schmerz in seiner Brust. Nicht viele wussten alle Einzelheiten der Tragödie.

Er verdrängte den Gedanken daran und wandte sich Lanz zu. In dessen Gesicht konnte er erkennen, dass auch er sich gerade an dieses Geschehen erinnerte.

„So ist es!“, stimmte Tom ihm zu. „Diese Verstärkung wird ihn aufhalten. Ansonsten bekommt er, bei den Ampere, die durch den Stromdraht fließen, so eine gehuscht, dass ihm Hören und Sehen vergeht.“ Danach meinte er: „Lass uns jetzt erst zurück reiten. Wilma hat sicher schon das Essen fertig. Ich habe einen Bärenhunger. Später können wir dann noch an der südlichen Seite die Pferde zusammentreiben.“

„Da sage ich nicht nein!“ Lanz lachte und schon machten sie sich auf den Rückweg zur Ranch.

 

Nachdem die Pferde versorgt waren, gingen sie ins Haus. Tom wollte sich bei dieser Hitze aber erst noch eine erfrischende Dusche gönnen.

„Lass dir nicht zu viel Zeit. Das Essen ist in zehn Minuten fertig!“, rief Wilma ihm hinterher.

Er schmunzelte und rief zurück: „Zu Befehl, du Sklaventreiberin.“

Er mochte Wilmas etwas herrische Art. Im Grunde war sie aber herzallerliebst. Nur sollte das keiner bemerken. Ihrer Meinung nach würden ihr sonst die Cowboys, die für Cedros arbeiten, auf der Nase herumtanzen.

Tom musste grinsen. Dieser Frau würde man nie ihre sechzig Jahre geben, geschweige denn ansehen. Auch Lanz nicht seine dreiundsechzig. Schon mehr als dreißig Jahre lebten und arbeiteten sie für seine Familie. Seine Eltern hatten sie damals eingestellt, als Lanz seinen Job verloren hatte, und sie mit nichts auf der Straße landeten. Die beiden waren für Tom und seine Geschwister zu einer Art Ersatzeltern geworden. Seine unverzichtbare und gute Perle Wilma war zudem eine Meisterköchin.

Unter der Dusche musste er wieder an den Unfall seiner Eltern denken. Trotz der vergangenen Jahre schmerzte Tom ihr Tod immer noch sehr. Sie hatten sich spätabends auf dem Heimweg von einer Viehauktion befunden. Ein betrunkener Autofahrer hatte sie frontal erfasst. Der Wagen war mit der Beifahrerseite gegen einen Baum geprallt und dann in die steile Schlucht neben der Straße gestürzt. Beide waren sofort tot gewesen. Sie wurden erst am nächsten Tag gefunden. Zwei Tage später fasste man den Unfallverursacher. Bei der Vernehmung hatte dieser angegeben, er könne sich an nichts erinnern. Er war auf dem Geburtstag eines Kumpels gewesen und habe wohl zu viel getrunken.

Wegen dieser Geschichte hatte man ihn wegen verminderter Schuldfähigkeit nur für ein paar Jahre aus dem Verkehr gezogen. Für Tom, seine Geschwister, Wilma und Lanz, und alle Freunde und Bekannte seiner Eltern nicht lange genug. Aber selbst, wenn der Kerl lebenslänglich bekommen hätte ... Nichts könnte ihnen ihre Eltern wieder zurückbringen. Viel zu früh waren diese von ihnen gegangen.

Zum Glück hatte sein Vater ihn schon längst in die Leitung der Ranch mit eingebunden. Obwohl er nicht der Älteste der Geschwister war, stand schon früh fest, dass Tom einmal sein Nachfolger sein würde. Alle drei Kinder liebten die Ranch, doch Tom war als einziger an der Bewirtschaftung interessiert. Der ältere, Paul, war ein sehr erfolgreicher Architekt in San Antonio geworden. Dort hatte er auch seine große Liebe Diane kennengelernt. Sie war seine Sekretärin gewesen und hatte sich schnell in ihn verliebt. Vor zwei Jahren hatten die beiden geheiratet. Und Toms jüngere Schwester Maya war schon jetzt, mit siebenundzwanzig Jahren, eine gefragte Modedesignerin. Seit Neuestem war sie mit Rolf, dem Einkäufer des Warenhauses Billing verlobt. Er vergötterte Maya, was die beiden Brüder genau wussten.

 

Als Tom sich dem Esszimmer näherte, hörte er schon das angeregte Geplauder seiner Männer. Er nahm wie immer an der Stirnseite des großen Tisches Platz. Wilma hatte sich heute wieder selbst übertroffen. Es gab Schmorbraten mit Klößen und Rotkraut. Das Mittagessen nahmen sie stets gemeinsam mit seinen Leuten ein, um ihr die Arbeit zu erleichtern.

„Hallo, Leute!“, begrüßte er seine vier Männer Nick OMally, Owen Kingston, Kiran Mallon und den jüngsten, Jerry Porter. Alle waren gute Cowboys und für ihn unverzichtbar.

„Hallo, Boss!“, antwortete Owen ihm, der älteste der Truppe. Die anderen nickten ihm mit vollen Mündern zu.

„Wir sind mit der Ostseite fertig. Koppeln sind in Ordnung, die Wassertränken gefüllt und Heuraufen erneuert. Nach dem Essen werden Nick und Kiran sich noch die Nordseite ansehen, wenn es dir recht ist.“

Tom bedankte sich und meinte jedoch: „Mir wäre die Südseite heute lieber. Dafür bräuchte ich euch alle. Das andere kann auch noch bis morgen warten. Wir sollten anfangen, die Fohlen von den Stuten zu trennen, damit wir schnellstmöglich mit dem Brandmarken anfangen können.“

Owen stimmte ihm zu. Dann besprachen sie die restlichen Arbeiten für die Woche. Lanz wollte auch noch die Hengste auf eine andere Weide umstellen lassen. Mittlerweile war es März und bis Mai mussten sie mit dem Großteil der Frühjahrsarbeiten durch sein. Denn dann begann wieder der Betrieb mit den Feriengästen. Wilma hatte ihm dies empfohlen, nachdem seine Eltern schon damit beginnen wollten. Der zusätzliche Verdienst würde der Ranch guttun und in Amarillo gab es ohnehin zu wenige Pensionen für die Touristen.

Sie hatte Recht behalten, trotz Toms anfänglicher Skepsis. Schon im ersten Jahr waren die Unterkünfte komplett ausgebucht gewesen, so dass sie die Ranch um einige Quartiere erweitern ließen. Für die kommenden Jahre wollten sie zusätzlich auch ein anspruchsvolles Unterhaltungsprogramm anbieten. Und im September kam auch noch die Heuernte hinzu, was den Arbeitsaufwand ebenfalls erhöhen würde.

Tom gab seiner guten Perle einen Wangenkuss und bedankte sich für ihr vorzügliches Mahl. Wie immer, wenn er ihr schmeichelte, bekam sie rosige Wangen, knuffte ihn in die Rippen und meinte: „Wie oft soll ich es dir noch sagen? Spare dir dein Süßholzgeraspel für eine passende Frau auf, du Schwerenöter!“

Er zwinkerte ihr zu und sagte, dass er niemals so eine treue Seele, wie sie es sei, finden würde. Was ihm ein nicht allzu damenhaftes Schnauben von ihr einbrachte, und von den Anderen ein unterdrücktes Lachen.

 

In den nächsten Tagen kamen sie mit der Arbeit gut voran. Abends machte Tom dann die Büroarbeit. Seine Männer amüsierten sich entweder in der nahen Stadt oder pokerten zusammen. Und Lanz und Wilma genossen die Ruhe in ihrer Blockhütte.

Tom verabscheute diese leeren Abende, an denen er alleine war.

Allein! Wie er das Wort hasste. Alles war in ihm gestorben. Er hatte sich eine Familie gewünscht, so wie er es von seinen Eltern her kannte. Doch dieser Traum war auf schreckliche Weise zerstört worden. Es war ja nicht seine Schuld gewesen. Oder doch?

Trotz seiner Vorsätze hatte er sich mit einer Urlauberin eingelassen. Er hatte sich sogar ernsthaft in sie verliebt. Doch es hatte ein bitteres Ende genommen an diesem Tag, an dem er seinen Bullen erschießen musste.

„Schluss jetzt“, rief er sich zur Ordnung. „Du wirst auch damit fertig werden.“

Er erhob sich von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch, löschte beim Hinausgehen das Licht und ging ins Bett.

 

 

 

2. Kapitel

 

Endlich war es soweit. Ihre Fahrt nach Texas begann.

„Habt ihr auch wirklich nichts vergessen?“

Sandra, Laura und beide Elternpaare standen vor dem Pickup, den sie gerade für ihre Reise beluden.

Sie hoben die letzten Gepäckstücke auf die Ladefläche und sicherten diese mit Gurten. Getränke und Nahrung befanden sich in zwei großen Kühlboxen im Wageninneren.

„Ja! Ihr habt doch selbst mitgeholfen“, gaben beide an ihre Eltern zurück und kicherten wie Teenager. Manchmal konnten Mütter richtige Glucken sein.

„Okay! Dann sehen wir uns also in vier Wochen wieder. Und passt bloß auf euch auf. Hört ihr?“, kam es dieses Mal von Mona - Sandras Mutter.

Lauras Blick auf die Väter ließ sie schmunzeln. Beide verdrehten sie nur die Augen. Was nicht hieß, dass sie sich nicht um die Mädchen sorgen würden. Doch sie waren nun wirklich keine Kinder mehr. Sandra mit ihren achtundzwanzig und sie mit ihren sechsundzwanzig Jahren, könnten selbst schon Mütter sein. Würden sie sich dann auch zu Glucken entwickeln? Der Gedanke war erschreckend.

„So, ihr Lieben! Jetzt müssen wir aber los. Genießt eure Kreuzfahrt und kommt wohlbehalten zurück. Und hört auf, euch Sorgen zu machen! Wir sehen uns alle in vier Wochen, hier an dieser Stelle wieder!“, kam es von ihrer Freundin.

Bevor ihre Mütter in Tränen ausbrechen konnten, verabschiedeten sie sich schnell mit einer innigen Umarmung und einem Kuss, und stiegen in den Pickup. Sandra hatte sich angeboten, die erste Strecke zu fahren. Später würden sie dann wechseln.

Der Motor sprang an. Mit lautem Hupen und einem letzten Winken fuhren sie los.

„Gott sei Dank! Ich dachte schon, wir würden gar nicht mehr wegkommen“, stöhnte Sandra auf, worauf sie beide lachen mussten. Überschwänglich riefen sie aus: „Texas, wir kommen!“

 

„Hast du auch den Laptop und genug Notizblöcke für deine Recherchen dabei?“, brach Sandra die Stille. Sie waren schon eine Stunde unterwegs und genossen die Ruhe.

„Sicher doch!“

„Aber dass du mir bloß nicht den ganzen Tag mit Schreiben verbringst.“

„Nein, keine Angst! Ich will unseren Urlaub ja selbst genießen. Daher habe ich mir vorgenommen, meine Notizen auf abends zu verlegen, bevor ich schlafen gehe. Eine Stunde am Tag wirst du mir dafür doch zur Verfügung stellen?“, fragte Laura schmunzelnd.

Ihre Freundin gab durch ein Nicken ihr Einverständnis.

Laura lehnte sich entspannt zurück und genoss den Fahrtwind. Es war noch sehr früh und daher nicht zu heiß. Um die Vorfreude zu steigern, schob sie eine CD mit Westernsongs ein. Keiner brauchte zu sprechen. Jede hing ihren Gedanken nach.

 

„Soll ich jetzt das Steuer übernehmen?“

Ihre Freundin fuhr schon seit Stunden, wohingegen Laura in süße Träume gefallen war. Die letzte Nacht hatte sie vor Nervosität kein Auge zugetan.

Nun fühlte sie sich ein wenig schuldig. „Komm schon! Lass mich auch mal fahren!“

Sandra sah sie an und lächelte wissend. „Du hast doch nur wieder ein schlechtes Gewissen. Im Ernst, Laura, es ist in Ordnung! Ich bin noch nicht müde. In einer Stunde erreichen wir die Raststätte auf deiner Karte. Dann stärken wir uns und danach tauschen wir die Plätze.“

„Okay, wie du willst! Dann sehe ich mir mal an, wie wir weiter fahren.“

Sie nahm ihren Routenplan und verzeichnete die Strecke.

„Sobald wir die Raststätte erreicht haben, sind es noch circa vier Stunden bis zu unserem ersten Ziel. Das heißt …“ Sie sah auf ihre Uhr und sagte: „Wir kommen um neunzehn Uhr in San Antonio an.“

„Prima! Dann ruf doch nachher gleich im Hotel an und gib es ihnen durch.

Auf der Raststätte rief Laura im Alano Plaza Hotel an und gab die Uhrzeit ihrer Ankunft bekannt. Sie wollte, dass alles reibungslos klappte.

 

„Ich denke, ich probiere den Hamburger. Dazu Pommes und Salat. Was meinst du?“

Sie saßen in der Imbissstube der Raststätte und Laura trank gerade eine kühle Coke, als ihre Freundin von der Speisekarte aufsah.

„Ich weiß nicht. Sieht nicht gerade appetitlich aus“, gab sie ihr nach einem Blick auf die Bedienung, die gerade mit einem ähnlichen Essen für einen Kunden aus der Küche kam, zu verstehen.

„Ach was! Ich habe Hunger und so schlimm kann es nicht sein.“

„Wie du meinst! Ich wage mich nur an den Chefsalat heran.“

Ihre Freundin grinste sie nur amüsiert an und zuckte die Schultern. Sie hielt nicht viel davon, sich mit zu viel Grünzeug, wie sie es nannte, zu ernähren.

Laura wollte von den Pfunden, die sie sich über die Weihnachtsfeiertage angefuttert hatte, runterkommen. Obwohl sie mit ihrer durchschnittlichen Größe und knapp sechzig Kilo durchaus nicht zu dick war. Doch darin hatte sie wohl immer noch ein paar Komplexe.

Als Schulkind war sie ein Pummelchen gewesen und deswegen oftmals gehänselt worden. Sie hatte es nur mit sehr viel Schweiß und Disziplin geschafft, sich von den überschüssigen Pfunden zu verabschieden. Ihre ganze Ernährung musste sie dafür komplett umstellen. Kein zu fettes Essen, dafür mehr Obst und Gemüse und nur sehr wenig Kohlenhydrate. Vor allem keine spätabendlichen Knabbereien mehr.

 

Während sie auf das Essen warteten und Sandra sich mit ihrem Handy beschäftigte, verblieben Lauras Gedanken in der Vergangenheit. Mit siebzehn hatte sie angefangen, sich für Jungen zu interessieren. Zu dieser Zeit hatte sie noch geglaubt, zu dick zu sein und das kaschieren zu können, indem sie sich regelrecht aufgetakelt hatte. Was natürlich mehr schlecht als recht war. Sandra hatte ihr dann geholfen, sich geschmackvoll und ihrer Figur entsprechend zu kleiden. Von ihrer Freundin hatte Laura auch gelernt, wie man sich adrett und vor allem dezent schminkte. Dabei hatte sie noch gratis ein paar Tipps zum Umgang mit dem männlichen Geschlecht geliefert bekommen. Bald darauf hatte sie beim Abschlussball im College mit dem Quarterback der Footballliga, Jan Foller, ihr erstes Rendezvous gehabt.

Laura war sehr stolz darauf gewesen, denn er war der Schwarm vieler Mädchen. Es war jedoch ein Desaster geworden. Jan hatte sie wie vereinbart von zu Hause abgeholt. Leider war sie aber nie auf dem Ball angekommen. Eine Wagenpanne und sein daraufhin abscheuliches Verhalten hatten dem Abend ein jähes Ende gebracht.

Damals hatte ihr Selbstbewusstsein einen großen Knacks bekommen. Zum Glück war Sandra für sie dagewesen. Laura war nämlich nicht nach Hause, sondern zu ihr gegangen. Und als sie Sandra weinend alles berichtet hatte, war diese mit ihr auf den Ball gefahren und hatte Jan dort vor all seinen Freunden zur Minna gemacht.

 

„Erde an Laura! Bist du schon in Gedanken an deinem neuen Buch?“, hörte sie Sandra plötzlich, und wurde so aus ihren unliebsamen Erinnerungen gerissen.

„Äh, ein bisschen“, log sie. Eine Notlüge ist ja keine echte Lüge, entschuldigte sie sich selbst.

„Du bleibst doch dabei, dass du deine Notizen für dein neues Buch abends machst?“

„Sandra, ich habe mich doch nur gerade gefragt, womit ich bei meinem Buch beginne.“

„Wie meinst du das?“, wollte ihre Freundin wissen.

„Na, ob ich mit der Abreise oder erst mit der Ankunft in San Antonio beginnen soll.“

„Ach so! Wenn du mich fragst, so würde ich mit der Abreise beginnen. Dein neues Buch könnte sich so wie deine Lebensgeschichte anhören. Wäre bestimmt sehr interessant“, kam es nun amüsiert von Sandra.

Oder deine, ging es Laura sogleich durch den Kopf. Das war gar keine so schlechte Idee. Ihre Gedanken liefen sofort auf Hochtouren und in ihrem Kopf nahm die Geschichte schon Gestalt an. Mit Bekanntschaften würde ihre Freundin mit Sicherheit keine Probleme haben. Sandra hatte schon immer die Männer angezogen, wie das Licht die Fliegen. Daher konnte sie ja auch sehr wählerisch sein. Laura würde also genug Stoff zum Schreiben bekommen.

Ein schelmisches Grinsen huschte über ihr Gesicht. „Da ist etwas dran, Sandra! Aber wie versprochen, werde ich unseren Urlaub genießen und meine Notizen am Abend machen. Daran halte ich mich. Denn für mich soll damit ja auch ein neuer Lebensabschnitt beginnen.“

„Danke dir! Du wirst sehen, wir werden uns beide prächtig amüsieren“, kam die Antwort und Sandra drückte kurz ihre Hand. Dann aßen sie zu Ende und tranken zum Abschluss noch einen Kaffee.

 

Einige Zeit später begaben sie sich auf die Weiterfahrt. Diesmal fuhr Laura und Sandra konnte sich ausruhen. Anfangs schmiedeten sie zusammen Pläne für ihren Urlaub. Dann schlief Sandra fest ein. Damit bekam Laura genug Zeit, ihr bisheriges Leben zu durchforsten. Auch wenn sie es eigentlich gar nicht wollte, doch seufzend ließ sie es zu. Vielleicht half es ihr ja sogar, damit abzuschließen. Und dann könnte sie endlich diesen Urlaub genießen.

Ja, dieser unwiderstehliche Mike! Ihr zweiter und folgenschwerster Fehltritt. Sie war dreiundzwanzig gewesen und hatte endlich etwas mehr Selbstvertrauen besessen. Ihr guter Job hatte ihr dabei sehr geholfen. Und dann hatte sie Mike kennengelernt. Er war zwei Jahre älter gewesen als sie und sehr attraktiv. Auch für ihn schien keine andere Frau zu existieren. Er hatte nur Augen für sie gehabt. Immer wieder hatte er Laura durch wundervolle, fast betörende Gesten zu verstehen gegeben, wie viel sie ihm bedeutete. Schon nach drei Monaten hatte er ihr in einem Restaurant bei romantischem Kerzenlicht einen Heiratsantrag gemacht. Obwohl sie noch nicht intim miteinander gewesen waren! Wer würde sich schon damit einverstanden erklären, bis zur Hochzeitsnacht auf Intimität zu warten, wenn ihm nichts an der Frau liegen würde? Laura hatte sich wie auf einer Wolke schwebend gefühlt, hatte ihm jedes Wort geglaubt. Also hatte sie ja gesagt.

Wie blind sie doch gewesen war! Zwei Monate später hatte sie dann mit ihrem Vater vor dem Altar gestanden und vergeblich auf ihren Bräutigam gewartet. Irgendwann hatte sie sich mit der Tatsache abfinden müssen, von ihm versetzt worden zu sein.

Laura hätte auf ihre Eltern hören sollen, die gemeint hatten, sie solle nichts überstürzen. Aber sie, blind und blöd, wie sie gewesen war, wollte nicht warten. Für sie war es damals das Schwierigste gewesen, sich bei den Gästen zu entschuldigen. Wenn nicht ihre Eltern und Sandra an ihrer Seite gewesen wären, hätte sie diese Demütigung niemals ertragen und wäre vor den nächsten Bus gelaufen.

Einige Tage später hatte sie von einer Freundin erfahren, dass Mike sich schon seit längerer Zeit mit einer anderen Frau getroffen hatte. Sie sei aber davon ausgegangen, dass es sich um eine Arbeitskollegin von ihm handeln würde. Dies war der zweite Schock gewesen. Laura hatte sich die größten Vorwürfe gemacht, sich die Schuld daran gegeben, bis Sandra mit ihr hart ins Gericht gegangen war.

Der dritte Schock war dann weitere drei Tage später gekommen. Ein Anruf ihrer Bank. Die letzte Buchung hatte nicht vorgenommen werden können, da ihr Dispo erschöpft gewesen war. Ein großes, vierstelliges Minus hatte ihr Konto belastet. Nur mit der Hilfe ihrer Eltern hatte es schnell ausgeglichen werden können. Aus Scham hatte Laura dann das Konto gelöscht und sogar die Bank gewechselt. Die Gewissheit, Mike habe nicht sie, sondern nur ihr Geld haben wollen, hatte ihr Selbstbewusstsein endgültig zerstört. Wenn Laura nicht in dieser Zeit einen Psychologen, Sandra und ihre Eltern an ihrer Seite gehabt hätte … Wer weiß, wie es dann mit ihr ausgegangen wäre? Seither vergrub sie sich regelrecht in ihrer Arbeit, sehr zum Bedauern ihrer Familie und Freunde.

Durch ein Hupen hinter ihr wurde sie abrupt in die Wirklichkeit geholt. Sandra war dadurch erwacht. Laura war entgangen, dass die Ampel, an der sie standen, wieder auf grün umgesprungen war. Wirklich erschreckend war dieser Rückblick gewesen! Kein Wunder, dass ihre Eltern sich um sie sorgten.

 

Sie fanden ihr Hotel auf Anhieb. Es war nicht nur eines der Schönsten, sondern noch dazu gar nicht mal so teuer. Von dort aus konnten sie sogar die Innenstadt zu Fuß erreichen.

Wie Laura genau wusste, bedeutete dies, dass sie von einem Bekleidungsgeschäft zum anderen ziehen würden. Sandra liebte Einkaufsbummel über alles, im Gegensatz zu ihr selbst. Laura wollte ihr die Freude aber nicht nehmen. Sie selbst konnte die Zeit immerhin nutzen, indem sie die Verkäuferinnen oder Kunden über die Stadt und das Leben hier ausfragte. Denn sie wollte ja so viel wie möglich für ihr angehendes Buch recherchieren. Und nur das Beste würde sie dann ausfiltern und darin aufnehmen.

Kurz darauf teilte Sandra ihr auch noch mit, dass sie jeden Abend ausgehen wolle, vielleicht sogar in eine Disco. Es würden also nicht nur aufregende, sondern auch stressige sieben Tage werden. Bei dem Gedanken seufzte Laura auf. Sie kannte ihre Freundin nur zu gut. So war Sandra eben. Energiegeladen und kein bisschen scheu. Unternehmungslustig und manchmal sogar etwas draufgängerisch.

Wieder entfuhr Laura ein Seufzer. Wenn ich doch nur halb so sein könnte, wie sie, dachte sie. Aber unterschiedlicher konnten sie beide gar nicht sein.

Laura selbst war viel zu zurückhaltend und übervorsichtig. Sie konnte nicht so einfach über die Enttäuschungen und Demütigungen hinwegsehen und ihr Leben in vollen Zügen genießen. Dazu saß der Schmerz, trotz der langen Zeit, immer noch viel zu tief. Für eine junge Frau wie sie waren zwei Niederlagen eine zu viel gewesen.

„Ich werde es schaffen!“, sagte sich Laura nach dem Einchecken im Badezimmer vor dem Spiegel laut vor. Und es war ihr Ernst damit. Es wurde höchste Zeit, nach vorne zu schauen und nicht mehr zurück. Sie war kein naives, junge Mädchen mehr. Und sie hatte wie jede Frau ein Recht auf Glück. Laura straffte die Schultern, sah sich selbst im Spiegel in die Augen und tat, was ihr der Psychologe immer wieder geraten hatte. „Du bist mehr wert!“, sprach sie aus. Dies wiederholte sie mehrmals, bis es ihr besser ging.

Nun hatte sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt und stellte wirklich fest, dass es nicht mehr so weh tat, wie noch vor zwei Jahren. Sollte doch Mike mit ihren Ersparnissen und dieser Frau, wo immer er jetzt auch steckte, glücklich sein. Für sie, Laura, war er gestorben.

 

***

Tom kam gerade aus der Dusche, als das Telefon läutete.

„Hallo?“, meldete er sich außer Atem. Wer rief ihn so spät abends an? Es war doch wohl nicht schon wieder etwas passiert? In den letzten zwei Wochen gab es das zu Genüge. Erst der Ausbruch seines Bullen, dann die falsche Brandmarkung der Fohlen und den Kampf mit den Hengsten, bei der Umsiedlung auf ein anderes Weideland. Nicht zuletzt der Unfall von einem seiner Cowboys. Der jüngste, Jerry, war von einem seiner schönsten Hengste abgeworfen worden, wobei er sich einige Rippenprellungen und einen Armbruch zugezogen hatte. Derartige Gefahren waren beim Einreiten der Tiere leider nicht auszuschließen.

„Grüß dich, kleiner Bruder!“, kam es aus der Leitung.

Paul! Warum rief er an? Tom bekam einen trockenen Hals, und er musste sich räuspern.

War etwas mit Diane, seiner Frau? Mit ihm selbst, oder gar mit Maya, ihrer jüngeren Schwester?

„Hallo Paul. Ist etwas passiert?“

Sein Bruder lachte herzlich. „Aber, aber! Kann ich nicht mal einfach so anrufen? Nur um zu fragen, wie es bei dir so läuft?“

Tom entspannte sich, ging mit dem Telefon ins Wohnzimmer und ließ sich auf dem Sessel nieder. „Sicher darfst du! Aber mal ehrlich. Um diese Zeit hast du noch nie angerufen.“

„Stimmt auch wieder. Aber ich war in den letzten Tagen sehr beschäftigt. Und da dachte ich mir, bevor ich wieder nicht dazu komme, rufe ich jetzt an. Du bist doch nicht anderweitig beschäftigt?“ Wieder lachte sein Bruder, ehe er weiter sprach: „Du weißt schon … Mit der holden Weiblichkeit?“

Tom verdrehte die Augen und schnaubte: „Haha, sehr lustig, du Komiker! Komm du mal nur für einen Monat auf die Ranch. Mal sehen, ob du dafür noch in der Lage wärst.“

Er kannte seinen Bruder und vor allem dessen Frau und ihre Absichten. Ständig gaben sie ihm mehr oder minder direkt zu verstehen, dass an seiner Seite eine Frau fehlte. Und da waren sie nicht die Einzigen. Er zählte in Gedanken auf: Wilma, Lanz, Owen, seine kleine Schwester und nicht zuletzt er selbst, was Tom ihnen aber nicht auf die Nase binden würde. Aber seit Kayla hatte ihn der Mut auf eine neue Beziehung verlassen.

Diane und Maya hatten Kayla von Anfang an nicht gemocht. Sie waren ihr gegenüber zwar freundlich gewesen, aber Tom hatte es durchaus bemerkt. Sie hatten geahnt, dass Kayla nicht für das Landleben geschaffen war, was sie ihm gegenüber jedoch erst nach einer Weile zugaben. Er wollte es jedoch nicht wahrhaben, denn er liebte Kayla. Sie war jung und erfrischend und brachte in sein eingefahrenes Leben ein wenig Schwung. Nach sechs Monaten musste er sich allerdings der Tatsache stellen, dass die beiden sie richtig eingeschätzt hatten.

„Bist du noch dran, Tom?“, hörte er seinen Bruder fragen.

Tom seufzte und zwang sich in die Gegenwart zurück. Er musste endlich nach vorne blicken und sein Leben wieder aufnehmen.

„T'schuldigung, bin wohl kurz geistig weggetreten“, redete er sich raus. „Also was gibt’s?“

„Da wir gerade das Thema Ranch hatten … Können wir für ein verlängertes Wochenende kommen? Sagen wir drei Tage?“, platzte Paul nun mit seiner Ankündigung heraus.

Da war also doch was. „Wusste ich es doch. Es ist etwas passiert!“

„Mensch, Tom, beruhige dich! Gar nichts ist passiert. Ich gönne mir nur ein paar Tage Urlaub, weil ich in letzter Zeit viel gearbeitet habe. Wenn du es genau wissen willst …“ Paul seufzte auf einmal und fauchte ihn an: „Du bist eine echte Spaßbremse! Also okay! Diane ist schwanger! Nach einem Jahr hat es nun endlich geklappt. Das war die Überraschung, die du

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Alle Rechte unterliegen der Autorin
Cover: Glaux
Lektorat: Anne Grasse
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2019
ISBN: 978-3-7487-1637-2

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