Grauenvolle Kindheit

„Ich hab' die Nase endgültig voll! Die Schule ist kacke und ich will da nicht mehr hin, Mama! Sie sind so gemein zu mir", tobte Melanie lautstark, kaum, dass sie zur Tür hereinkam.

Sie fand ihre Mutter in der Küche vor, die dabei war, das Essen zuzubereiten.

Während sie sich etwas zum Trinken aus dem Kühlschrank nahm, hinterfragte Melanie: „Hörst du mir überhaupt zu?"

Ihre Mutter wandte sich zu ihr um und meinte lächelnd: „Erst einmal guten Tag, mein Schatz! Und ja, ich hör' dir zu! Du bist ja nicht zu überhören!"

Dann schmunzelte sie auch noch und ließ sich neben ihrer Tochter auf dem Stuhl nieder.

Melanie fragte hoffnungsvoll: „Und? Darf ich?"

Jedoch kam die Antwort: „Nein! Damit lässt du deine Mitschüler siegen und das ist es doch, was sie wollen! Du schaffst das schon!"

Melanie starrte ihre Mutter an und schnaubte. Ihr stank es gewaltig, von der ganzen Klasse gemieden zu werden, als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Sie durfte sich ja nicht einmal zur Wehr setzen! Mit Worten war sie bisher kein bisschen weitergekommen. Ihre Mitschüler wollten nichts mit ihr zu tun haben und das traf Melanie hart.

Wütend und frustriert zugleich, schnauzte sie nun ihre Mutter an: „Ach ja, und wie? Du und Papa, ihr seid doch Schuld, dass sie mir den Rücken kehren! Außer doof in der Schule zu sitzen und den Lehrern zuzuhören, dass ich ja gute Noten schreibe, darf ich doch nichts. Und warum? Weil ihr von der Schulleitung verlangt habt, mich vom Sportunterricht auszuschließen. Deswegen schließen mich meine Mitschüler jetzt auch von allem anderen aus."

Melanie wusste, dass sie nun ungerecht war. Ihre Eltern taten das alles doch nur zu ihrem Wohlergehen. Immerhin gab es drei Mädchen, die sich nicht vor ihr fürchteten. Wenn sie aber sah, wie viele Freunde andere in ihrem Alter hatten, war das eine magere Ausbeute. Trotzdem wollte sie in diesem Augenblick den aufgestauten Frust ablassen. Ihre Mutter musste dafür eben herhalten.

„Jetzt ist aber gut, Melanie. Was ist nur heute mit dir los? Du weißt genau, weswegen wir das tun mussten", wurde sie sogleich gemaßregelt.

Sicher wusste sie es. Doch musste ihr das gefallen? Würde ihre Mutter anders entscheiden, wenn sie wüsste, dass sie sich seit ihrem Eintritt in die Schule das ein oder andere Mal anhören musste, sie sei ein Krüppel? Wollte sie soweit gehen?

Nein, das wollte sie nicht, sonst hätte sie es ihren Eltern längst anvertraut. Sie sorgten sich ohnehin schon genug um sie.

Ihre Mutter rückte nun näher neben sie, trank einen Schluck Saft aus ihrem Glas und sagte, indem sie sich ihre Hand griff: „Schatz, wir haben dir nie gesagt, dass es leicht sein würde. Was aber hättest du an unserer Stelle getan, wenn du wüsstest, dass dein Kind herzkrank ist? Für uns ist das auch nicht leicht! Wie oft haben dein Vater und ich uns abends noch unterhalten und uns gefragt, ob es nicht besser wäre, dich privat unterrichten zu lassen. Doch du musst einsehen, dass du dann umso einsamer geworden wärst."

 

Melanie überlegte, wie es wäre. Sie und ein Privatlehrer im Haus ihrer Eltern, abgeschottet von anderen Gleichaltrigen? Sie musste zugeben, dass es nicht die Lösung ihres Problems gewesen wäre.

Sie sah ihre Mutter an, drückte ihre Hand und antwortete: „Du hast Recht, Mama! Ich hätte dann nicht einmal Jill, Danny und Lisa kennengelernt. Dennoch tut es weh, in den Augen der anderen Schüler ein Außenseiter zu sein."

„Ich habe dich für deine Stärke immer bewundert, mein Schatz, denn damit hast du auch uns gestärkt. Es sind doch nur noch drei Jahre, Kind! Dann hast du dein Abitur und dir stehen viele Türen für deinen beruflichen Werdegang offen."

Melanie lächelte. „Wobei ich mir immer noch nicht sicher bin, was ich werden möchte. Nur kein Lehrer, das steht jetzt fest!"

Sie umarmten sich, Melanie entschuldigte sich noch wegen den bösen Worten, ehe sie ihre Mutter das Mittagessen weiter kochen ließ und nach oben in ihr Zimmer ging.

Dort angekommen, zog sie sich um und fing mit ihren Hausaufgaben an. Trotz der Umstände, war sie eine gute Schülerin, das war sie ihren Eltern schuldig.

Seit dem Tag ihrer Geburt verging kein Tag, an dem sie sich nicht um das Leben ihrer Tochter sorgen mussten.

All ihre Hoffnungen steckten sie in die Ärzte, die ihnen damals versichert hatten, ihr Loch im Herzen könnte mit ihrem Wachstum zuwachsen. Das war nicht eingetroffen, da sie in den ersten vier Jahren kaum an Größe gewann, für ihr Alter sich sogar stets unterhalb der Wachstumskurve befand. Erst als sie fünf war, machte sie einen gewaltigen Schuss, was zur Folge hatte, dass zum einen das Loch im Herzen blieb, zum anderen, dass sie nicht den Kindergarten besuchen konnte.

Der einzige Trost für ihre Eltern war, dass das Loch nicht größer wurde. Trotzdem wurde ihnen von den Ärzten geraten, Melanie keinen Sport treiben zu lassen. Sie durfte nicht einmal, wie andere Kinder, auf dem Spielplatz toben.

Auch später in der Schule dufte sie weder an Wandertagen, noch am Schwimmunterricht oder am Turnen teilnehmen. Melanie fühlte sich deswegen nicht dazugehörig, was ihre Mitschüler sie auch spüren ließen.

Warum nahm sie es nicht so, wie es war? Immerhin hatte sie ihre drei Freundinnen und diese Freundschaft hielt schon 2 Jahre.

„Melanie, das Essen ist fertig", rief ihre Mutter von unten.

Melanie sprang sogleich auf und begab sich auf den Weg in die Küche. Ihr Magen knurrte schon seit einer Stunde und für Lasagne, die es heute gab, würde sie morden.

 

Niemand war zu sehen, außer ihnen beiden.

Sie setzte sich zu ihrer Mutter an den Tisch und fragte: „Wo sind Sandra und Lars? Und Benno habe ich auch noch nicht gesehen!"

Dass ihr Vater bei der Arbeit war und erst am Nachmittag nach Hause kommen würde, wusste sie. Ihre Geschwister und den Hund vermisste sie aber, denn sie erinnerte sich nicht, etwas gesagt bekommen zu haben.

„Sandra arbeitet heute zur Probe im Salon und Lars hat Benno auf eine Klassenwanderung mitgenommen", meinte ihre Mutter daraufhin.

„Warum weiß ich das nicht?"

„Ich habe selbst nicht mehr daran gedacht, Schatz. Lars musste mich heute Morgen daran erinnern und nur gut, dass ich noch genug im Kühlschrank hatte, um ihm ein ordentliches Lunchpaket mitzugeben."

Melanies ältere Schwester wollte Friseuse werden und war auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Lars, der Jüngste, besuchte die vierte Klasse.

Melanie hatte längst aufgegeben, sich darüber zu beschweren. Ihre Geschwister waren, im Gegensatz zu ihr, gesund und durften alles tun, was ihnen gefiel. Wenn es auch nur um so etwas Profanes ging, wie an einem Wandertag mitzuwirken. Benno war zwar ihr Hund, aber so hatte wenigstens er seinen Spaß. Dass Lars ihn mitnahm war gut, denn sie selbst konnte nie so mit ihm toben, wie ein junger Hund es benötigte.

„Das ist prima, umso mehr bleibt für mich übrig", antwortete sie ihrer Mutter daher mit einem neckischen Grinsen.

Zusammen aßen sie und unterhielten sich noch ein bisschen über die Schule und ihr Problem damit. Im Großen und Ganzen hatte Melanie nie Geheimnisse mit sich herumgetragen, bloß die erniedrigenden Worte ihrer Mitschüler behielt sie für sich.

 

 

 

Das dumme 16. Lebensjahr

Melanie saß mit ihren Freundinnen in der Eisdiele, als Lisa meinte: „Was würdet ihr davon halten, wenn wir am Samstag bei mir eine Party geben? Meine Eltern sind bei meiner Oma und wir hätten sturmfreie Bude."

Gerade aß Melanie mit Genuss ihr Spaghetti-Eis, als sie das hörte.

Sofort fragte Jill: „Wen möchtest du denn dazu alles einladen? Soll es eine reine Mädchen-Party werden?"

Lisa winkte mit einer Geste ab, grinste und meinte: „Ach, Quatsch, das macht doch nur halb so viel Spaß! Ich dachte mir, wir könnten dazu Pia, Wendy, Benny, Sascha, Tom und Ralf einladen."

Jede von ihnen wusste, dass Lisa auf Ralf stand. Wieso aber wollte sie Pia und Wendy dabeihaben? Wendy war eine Zicke und liebte es, einem stets einen Strich durch die Rechnung zu machen, wenn sie von deren Interesse mitbekam. Und Pia, die durch einen Umzug erst vor einem halben Jahr zu ihnen in die Klasse gekommen war, war extrem schüchtern. Lange mussten sie nicht auf eine Antwort warten. Danny, die wohl die gleichen Gedanken hegte, sprach sie nämlich darauf an. Am Ende gab sie Lisa noch zu bedenken, dass sie damit Gefahr laufen würde, dass Wendy ihr Ralf ausspannen könnte.

Lisa grinste noch breiter und zwinkerte ihnen zu. „Tja, da kommt sie etwas zu spät, denn Ralf und ich sind uns schon näher gekommen, als ihr denkt."

Augenblicklich verschluckte Melanie sich an ihrem Eis. Sie musste erst einmal mit dem Husten aufhören, ehe sie bei ihrer Freundin nachhakte: „Was soll das heißen? Du hattest doch nicht etwa Sex mit ihm?"

Darauf folgten nur ein Schulterzucken und ein noch frecheres Grinsen. Während Melanie nun dasaß und Lisa anstarrte, als wären ihr Hörner gewachsen, fingen Jill und Danny an zu lachen. Sicher, sie waren keine kleinen Teenies mehr, doch Sex haben mit einem Mann mit gerade einmal sechszehn Jahren? Lisa traute sich was und es kam noch dicker.

Danny ließ sie nun kichernd wissen: „Glückwunsch, Lisa! Ich bin bisher über Petting nicht hinausgekommen!"

„Was?", kam es von Jill und ihr gleichzeitig.

Halte jetzt bloß die Klappe, dachte Melanie sich sofort. Lass Jill nachhaken und verhalte dich ganz normal.

Dass Melanie ihre Sexualität schon entdeckt hatte, behielt sie lieber für sich. Ihre Freundinnen würden sie, nachdem sie nun diese Sachen gehört hatte, eh nur auslachen. Bei ihrer Entdeckung war nämlich kein Mann im Spiel gewesen, sondern nur sie selbst in ihrem Bett.

„Es war einer aus der Oberstufe, doch er ist längst Geschichte", antwortete Danny gerade.

„Und ich dachte, du hättest ein Auge auf Tom geworfen! Hab' ich da was verpasst?", fragte Lisa.

Lächelnd schüttelte Danny ihren Lockenkopf. „Nein, das ist noch so! Das andere ist vor seiner Zeit gewesen."

„Aber … Aber du schwärmst doch schon seit langem für ihn", stotterte Lisa. „Liegt dein Abenteuer weit zurück oder war es kurz davor?"

Melanie hörte nur zu.

„Um genau zu sein, vier Wochen davor", antwortete Danny.

Melanie rechnete schnell nach. Somit war ihre Freundin noch keine sechzehn gewesen, als sie mit ihm intim war. Und sie selbst hatte sich hinterher geschämt und unter der Dusche abgeschrubbt. Darin konnte sie wohl Pia die Hand geben, denn die war genauso verklemmt.

„Und du sagst nichts dazu?", wandte sich Lisa nun mit der Frage an sie.

Melanie zuckte nur mit den Schultern und antwortete: „Es kann doch jeder machen, was er will! Es ist deine Sache!"

Nur gut, dass in dem Moment noch weitere Gäste kamen und sich nach einem freien Platz umsahen. So entging Melanie einem Verhör, das wohl unweigerlich auf sie zugekommen wäre. Da sie ihr Eis längst aufgegessen hatten, erhoben sie sich und machten Platz für die Nächsten.

 

Statt nach Hause, gingen die drei Freundinnen allerdings in den Park, ihrem Treffpunkt seit eh und je. Lisa wollte noch mit ihnen über die Idee mit der Party sprechen.

Melanie war sich nicht sicher, ob ihre Eltern ihr das erlaubten. Wie würden sie darauf reagieren, wenn sie wüssten, dass dieses Mal Jungs mit von der Partie wären? Die wenigen Partys, die sie zuvor besucht hatte, waren bisher alle Mädchenabende gewesen. Darum hatte es sie auch schwer verblüfft, von ihren Freundinnen zu erfahren, dass sie mit einem Mann schon mehr oder weniger intim wurden. Wie es aussah, erzählten sie auch nicht sofort alles.

Diese Party würde nun ganz anders ablaufen und Melanie hatte bereits ein wenig Skrupel davor. Das ließ sie auch gleich ihre Freundinnen wissen.

„Dann sagen wir einfach, wir machen einen Mädelsabend. Wo ist das Problem?", meinte Jill unbekümmert.

„Wo das Problem ist? Mensch, Jill, es wäre gelogen und ich mag es gar nicht, meine Eltern anzulügen", konterte sie.

„Hey, jetzt bloß keinen Streit", sprang Lisa dazwischen. Melanie schnaubte.

„Menschenskind Mel, es wäre nur eine klitzekleine Lüge. Sollten sie es herausfinden, was ich nicht glaube, können wir immer noch sagen, sie wären plötzlich ungeladen aufgetaucht", beschwichtigte sie, eben nur mit einer noch dickeren Lüge.

Melanie schüttelte den Kopf und antwortete ihnen: „Nein! So wichtig ist mir diese Party nicht, dass ich das tun werde."

„Heißt das, du willst nicht dabei sein? Benny ist auch da", versuchte Lisa sie zu locken und es funktionierte, zumindest zum Teil.

„Doch, natürlich möchte ich das! Ihr könnt ja zu Hause sagen, was ihr wollt, aber ich werde meiner Mutter die Wahrheit sagen."

 

Seit geraumer Zeit hatte Melanie ein Auge auf Benny geworfen. Er war, wie die Anderen, in der Oberstufe. Allerdings trauten sich beide nicht, den jeweils anderen anzusprechen, wenn sie sich mit ihren Freundinnen auf dem Schulhof traf oder sie sich im Stadtpark aufhielten, wo auch die Jungs ihren Treffpunkt hatten.

Lisa, Danny und Jill warfen sich einen Blick zu, dann meinte Jill: „Okay, ganz wie du meinst! Jeder entscheidet das für sich. Ich für meinen Teil, halte lieber den Mund. Meine Mutter würde ja vielleicht noch „Ja“ sagen, aber mein Vater ganz sicher nicht."

„Mädels, wir sind doch keine zwölf mehr! Es kann doch nicht angehen, dass wir mit sechzehn nicht einmal Jungs auf unsere Party einladen können. Ich schließe mich Mel an. Meine Eltern sind nicht so spießig", schloss sich nun Danny ihrer Meinung an.

Somit stand es unentschieden. Heute noch wollten sie es mit ihren Eltern besprechen und es Jill und Lisa wissen lassen. Für den Fall, dass sie die Erlaubnis bekämen, hielten sie das kommende Wochenende fest und besprachen, wer was dazu beitragen sollte. Als auch dies erledigt war, gingen die Freundinnen ihrer Wege.

Danny und Melanie hatten den gleichen Weg, denn sie wohnten nur eine Straße entfernt. Danny nahm wieder das Thema von zuvor in der Eisdiele auf und versuchte, aus ihr etwas herauszubekommen. Doch Melanie war nicht dumm. Sie wusste, dass ihre Freundin ein starkes

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Unterliegt der Autorin
Bildmaterialien: Glaux
Lektorat: Misellie
Tag der Veröffentlichung: 03.03.2017
ISBN: 978-3-7438-1276-5

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Covergestaltung: Glaux Lektorat: Laura Misellie Diesen beiden Menschen einen ganz besonderen Dank!