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Willibald aus dem Wald


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illibald Friedrich war Förster mit Leib und Seele. Er schätzte die Ruhe der Natur und die Freiheit bei der Arbeit. In der großen Stadt, hätte er es nie aushalten können. Sein Anblick hätte wohl dort auch Gespött und Gelächter ausgelöst. Der kleine, untersetzte Mann mit dem langen, grauen Vollbart, wackelte nämlich im Gang, wie eine Ente. Sein schütteres Haupthaar verbarg er unter einer dunkle Batschkappe, ohne die man ihn nie sah. Der runde Bauch hielt die Hosenträger, die seine stets viel zu kurzen Beinkleider daran hinderten an ihm herab zu rutschen. Jedoch die ausgetretenen Lederstiefel, waren von feiner Art – mit Fransen am Schaft - und hatten ihm schon manche Jahre auf seinen Wegen begleitet. Sie waren daher viel zu schade, um schon außer Dienst gestellt zu werden und bess're hatten sich bis heute ohnehin nicht finden lassen.

Seine Revier war der Wald, hoch oben zwischen Wernborn und Eschbach im Taunus. Dort lebte er, in einem alten, abgelegenen Hof, am Rande des Ortes. Die meisten Wirtschaftsgebäude der Kate waren mittlerweile verfallen, aber den ein oder anderen Stall, betrieb er noch weiter. Sein Haupthaus war - so wie die meisten Häuser hier - auf einem Fundament aus Tonschiefersteinen und dem harten Quarzit des Taunus gemauert. Wild geformte Schnecken und Seespinnen aus der Urzeit, waren in den roh behauenen Felsenbrocken, zu Stein erstarrt. Das einstöckige Gebäude darauf, war mit Lehm und Fachwerk erbaut. Wann genau, das wusste hier keiner. Ein paar hundert Jahre werden es wohl gewesen sein. Der kleine Garten dahinter und der gepflasterte Hof davor, jedenfalls waren wild und zugewuchert.

Das niedrige, schmiedeeiserne Tor, welches, alt und verrostet, als Pforte des umgebenden Lattenzaunes - dem dieser Titel , ob seines morschen Zustandes wahrlich nicht zustand! - quietsche fröhlich, wenn man es bemühte, tat aber immer noch seinen Dienst.

Etwas weiter im Ort, schmiegten sich die wenigen Häuser an die Wände der flachen Schlucht und sammelten sich in der Ortsmitte in einer Senke. Hie und da ragten Felsen aus dem harten Untergrund hervor. Ein Spaten kam hier keinen fußbreit tief!


Dies wussten die örtlichen Bauern nur zu gut, die Jahr aufs Jahr versuchten, der kargen, dünnen Erdschicht über dem wild verworfenen Schiefermassiv des Taunus eine Frucht abzuringen. Es war nicht leicht, und so mancher litt in der Vergangenheit großen Hunger oder musste gar auswandern.

Ein Rundgang in dem kleinen Dorf war - ob der steilen, engen Gassen - beschwerlich und daher nicht jedermann´s Sache. Die Bauernhäuser im Tal schienen wie bunt gewürfelt, denn kein einziges glich dem anderen. So waren die alten Katen dicht an dicht, hoch gebaut als wollten sie sich gegenseitig stützen. Dies , denn der nutzbare Baugrund war seit jeher knapp. So standen sie gedrängt, wie die mächtigen Tannen des Forstes, die versuchen, sich gegenseitig das Licht der Sonne streitig zu machen.

Wenn Willibald durch den Ort spazierte, um seiner Arbeit nachzugehen oder dem Schuster seine Aufwartung zu machen, pfiff er ein fröhliches Lied oder versuchte sich - sogar ganz respektabel - im lauthalsen Singen. Über seiner Schulter ruhte stets die Axt oder die Schippe. Seine abgewetzte, lederne Tasche mit den belegten Broten hing ihm dabei an einem Riemen über der anderen.

Die frechen Kinder im Ort spotteten oft über ihn. Sie konnten ja auch schneller rennen als er, mit seinen kurzen Watschelbeinen. Dann wurde sein kleines Gesicht rot vor Zorn, und gelegentlich setzte er einem dieser Strolche nach, oder warf ihm einen Erdklumpen hinterher.

Da er pünktlich, ordentlich und zuverlässig war, schätzen ihn die Bewohner des kleinen Ortes und er war in jedem Haus stets willkommen. Dann reichte man dem guten Geist des örtlichen Forstes, deftiges Essen und kühles Bier und zur Kaffeezeit eine schmackhafte Zigarre. Auf seinen Stuhl legte man diskret ein weiches, dickes Kissen, damit er nicht auf einer Höhe mit den Kindern des Hauses speisen musste.

Brauchte man gut abgelagertes Holz für den Kamin, oder einen gewilderten Hasen zum Fest, so musste man den Willibald gut kennen und konnte dann auf ihn zählen.

In einem kleinen Stall, hinter dem Wohnhaus hielt er heimlich immer ein paar Frischlinge, welche er zu großen Wildsauen heranzog und vom Metzger nachts schwarz schlachten ließ. Die Pilze und Kräuter, die er ihnen fütterte, ließen ihre dunklen Schinken besonders schmackhaft werden, so dass selbst der Herr Oberamtsrat aus Usingen und ein Doktor aus Homburg sich nicht zu fein waren, für jedes Schlachtfest, eine gute Portion zu reservieren.

Mit der alten Flinte, schoss er auch die Tauben vom Dach, oder die Ratten im Heuschober. Das aber durfte der Hermann, der Jäger, nicht wissen! Oder aber, er wollte es nicht..

Die Mutter war früh nach dem Krieg an Schwindsucht gestorben, daher wuchs der Bub beim Vater auf. Ein Ebenbild desselben, fürwahr! Auch er ernährte die Familie, mit dem was der Wald hergab; sei´s das Brennholz oder das Wildbret.

So lebten seine Vorfahren wohl schon seit Generationen im Ort. Jedenfalls konnte keiner sich erinnern, dass ein Verwandter von ihm, je woanders geboren wurde oder gelebt hätte.

Nun war der Vater schon viele Jahre tot, der Willibald selbst schon im fortgeschrittenen Alter, und die Rente zum Greifen nahe.

Ging es ihm schlecht, lag er mit einer Grippe nieder oder hatte sich wieder einmal den Daumen beim Arbeiten gequetscht, half ihm die alte Liesel vom Hof nebenan, einen kurzen Fußmarsch entfernt. Die war schon fast blind und taub, ein Mütterchen, gebeugt auf einem Stock, aber für den Willi hatte sie immer einen Teller am Tisch gedeckt.

Da saß der kleine Mann dann, wippte mit den Beinen, während ihm die Nachbarin eine kräftige Kartoffelsuppe auftischte oder ihm Eier mit Speck reichte. Zum Dank – obwohl es keinen Dank erforderte ! - half der Willi ihr im Haus wo es nur ging.

Der kleine Hof der Liesel war alt – 400 Jahre sagte man - windschief und es zog an allen Ecken und Enden. Immer war etwas kaputt und zu richten. Mal war es das Wasser, das nicht lief oder kalt war, mal der alte Ölofen der keine Wärme spendete.

Der Fremde


Heute war einer der Tage, an dem Willibald in den Wald hinaus ging, um dem Bach an einer alten Eiche, nach Forellen zu wildern und auch sonst nach dem Rechten in seinem Revier zu schauen. Der Juni hatte endlich ein paar Regengüsse gebracht, die der Natur auf die Sprünge halfen und es allenorten sprießen und gedeihen ließen. Auf den Waldwegen, krabbelten Heerscharen an Junikäfern auf der Suche nach leckeren Pferdeäpfeln entlang.

Der Specht hämmerte in der Ferne, ein paar freche Mücken summten ihm um den Kopf und stachen in Arme und Beine. Trotzdem war der Waldmann zufrieden mit dem Tag und dem Leben an sich. Mit einem fröhlichen Lied auf den Lippen, schritt er seines Weges, die Axt auf der Schulter und die Flinte, vor den Blicken des neugierigen Jäger´s, im Rucksack versteckt. Es war schon später Nachmittag und er eilte sich, denn er wusste dass für einen Mann seiner Größe, eine tragende Wildsau zur Dämmerungszeit, eine gefährliche Begegnung war.

Um Zeit zu sparen, entschied er sich dann, eine Abkürzung zu nehmen und den Waldweg zu verlassen. Auf einem ehemaligen , schmalen Waldarbeiterpfad, der wohl schon seit dutzenden Jahren nicht mehr in Gebrauch war, stieg er auf und ab, wobei er stets darauf achtete, ob es wohl Beeren, Pilze oder ähnliches Brauchbares am Wegesrand gab. An einem schroffen Aufschluss bei Maibach machte er Rast. Er setzte sich auf ein Mooskissen, auf der Spitze des Felsen, breitete sein Tuch mit den Broten und der Trinkflasche aus und hielt eine ordentliche Mahlzeit.

Wie er da so schmatzte und schlabberte, vernahm er gut fünfzig Fuß unterhalb der Felsklippe auf der er saß, Geräusche.

Erst zaghaft dann deutlich, war das Rauschen von Blättern zu vernehmen, so wie wenn jemand umher geht oder etwas schweres über den Waldboden zieht.

Und richtig, er konnte eine Gestalt erblicken - in einem dunklen Umhang – die einen Leinensack hinter sich her zog.


Der Fremde sah ihn nicht, wie er da oben auf seinem Felsen trohnte. Es wäre auch schwer gewesen, den kleinen Mann inmitten all des Grüns auszumachen.

Der Jäger war es nicht, soviel schien schon mal klar -vielleicht ein Wilderer, mit einem Reh? Was ging´s ihn an? Willi kaute gemächlich weiter, er war nicht die Sorte, die sich um anderer Leute Angelegenheiten kümmerte. Trotzdem erweckte das Geschehen seine Neugier und da er nichts Besseres zu tun hatte, beobachtete er was unter ihm geschah.

Da plötzlich, hielt der Unbekannte in Wurfweite an. Er hob die Kapuze leicht an und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und tatsächlich! Es rührte sich etwas, in dem alten, grauen Leinensack!

Der dunkel gekleidete Mann, brach daraufhin sofort seine Erfrischung ab und lief ein paar Schritte, die Blicke auf den Boden gerichtet umher. Als er scheinbar gefunden hatte, wonach er gesucht, bückte er sich und hob einen kräftigen, armlangen Ast vom Boden auf. Den nahm er dann, wiegte ihn prüfend in der Hand, begutachtete ihn und begab sich dann zu dem Ort an dem er den Leinensack abgelegt hatte. Dort angekommen, begann sodann mit der Kraft beider Hände, auf denselben zu schlagen und zu dreschen.

Aus dem, so geschundenen Bündel, drang jetzt mit jedem Schlag das erbärmliche Wimmern und Wehklagen wie das eine kleinen Kindes.

Willi spuckte das Brot in seinem Mund aus und fluchte. So etwas machte doch kein Mensch! Was ging hier vor sich?

Das Weinen und Jammern verstärkte sich, es wurde lauter, das Heulen und Winseln immer jämmerlicher.

Ein lang gezogenes Schluchzen und Weinen hallte durch den Wald, nur unterbrochen von dem Knallen der Asthiebe und dem, was sich wie das Krachen von Knochen anhörte.

Der Mann schlug und schlug wie wild mit aller Kraft. Das Wehklagen seines Opfers, schien ihn nicht zu stören. Nur, als der Ast dann endlich brach, kam er kurz zur Ruhe. Er keuchte vor Anstrengung, stützte sich an einen Baum und warf den Rest des Astes mit einer weitläufigen Bewegung in den Wald.

Aus dem Leinensack, drang jetzt nur noch ein weinerliches Jaulen. Ein Flehen, ein erbärmliches Wimmern, wie das Bitten um Gnade.

Willi war empört: Wer war dieser Mann und was hatte er in seinem Sack verborgen? Welche arme Kreatur wurde von diesem Unhold hier zu Tode gequält? War es Tier oder Mensch? Gar ein Kind?

Kaum hatte sich die erste Erschöpfung bei dem Fremden gelegt, da erhob sich dieser und er schien erneut den Boden nach einem Knüppel abzusuchen. Den ein oder anderen nahm er bereits zur Hand und prüfte ihn auf seine Festigkeit.

Das war nun zu viel, für den Förster Willibald Friedrich!

„Den stell ich zur Rede“,beschied er sich selbst erbost. Dann sprang Willi auf, nahm seinen sieben Sachen und eilte die Felsklippe an einer gut zugänglichen Stelle hinunter.

Er rutschte und rollte über den glatten, feuchten Fels. Schnitt sich gar an mancher scharfen Tonschieferspalte die Hände blutig auf, doch das war ihm nun gleich.

Unten angekommen, war der Fremde nur noch wenige Meter von ihm entfernt. Mittlerweile hatte er einen neuen Knüppel gefunden. Auch den prüfte er nun sorgfältig auf Festigkeit, bevor er ihn wieder mit aller Wucht gegen die arme Kreatur in seinem Sack einsetzen wollte.

Gerade, als der Kaputzenmann zum erneuten Schlag ausholte rief Willi: “Hallo, wer da?“

Der Fremde erstarrte in seiner Bewegung und drehte sich dann langsam um.

„Was machen Sie da?“, fragte Willi,“Hören Sie sofort auf!“

Er versuchte, das Gesicht des Fremden zu erkennen, doch blendete ihn der Schein, der untergehende Sonne. So konnte er nur die Silhouette des Kapuzenmannes erkennen, wie sie sich umrahmt von den letzten hellen Strahlen des Tageslichts, bedrohlich vor ihm aufrichtete.

Der Fremde hielt den Knüppel immer noch, mit beiden Händen, hoch über den Kopf erhoben.

„Sie verstehen nicht“, sagte er grimmig mit tiefer Stimme. „Es muss sein“

„Garnix muss hier sein“, sagte der Willi, unbeirrt, mit fester Stimme.

“Ich bin hier der Förster und bei mir gibt’s so Sauereien nicht.“

Willi ging an dem Fremden, der gut zwei Köpfe größer war als er vorbei, hin zu dem Sack.

„Was ist denn da drin?“, fragte er und deutete auf das zuckende Bündel auf dem Boden.

Der Fremde antwortete nicht. Stattdessen wiederholte er was er zuvor gesagt hatte: “Es muss sein..“

Willi kniete nieder, nahm sein Jagdmesser in die eine und einen Zipfel des Leinensacks in die andere Hand. Als er sich anschickte, den Sack aufzuschneiden, setzte der Unbekannte sich unvermittelt in Bewegung und rannte mit einem lautem Schrei auf ihn zu. Mit beiden Händen den Prügel wie ein Schwert erhoben - stürmte er, wie ein Berserker, auf Willi zu. Den überraschten Waldmann, traf er dann in vollem Lauf und mit ungeheurer Kraft in die Seite. Mit dem ganzen Gewicht seines Körpers, rammte er den kleinen Mann zur Seite. Durch die Wucht des Aufpralls, wurde Willi wie ein Ball quer über die Lichtung geschleudert. Am Stamm eines Tannenbaumes, endete sein Ausflug jäh und schmerzhaft.

Doch damit nicht genug. Der dunkle Unbekannte begann nun ihn mit dem Knüppel zu malträtieren. Er schlug nach Willibald der – noch halb benommen – versuchte den Streichen und Hieben, so gut wie möglich auszuweichen. Das Messer, war in einem hohen Bogen, weit von ihm geflogen und ließ sich- beim besten Willen - zwischen all den Blättern und Ästen des Waldbodens, nicht ausmachen.

So entwickelte sich ein verzweifelter und ungleicher Kampf, wobei schnell klar wurde, das Willi gegen diesen Gegner keinen Bestand haben würde. Die Kräfte des kleinen Waldhüters ließen bald nach. Obwohl er flink war und sich darauf verstand, den Attacken behände auszuweichen, schien der Angreifer über unerschöpfliche Reserven zu verfügen. Da sich also sein Blatt nicht wenden wollte, blieb ihm nur eines um sein Leben zu schützen: Der Griff nach hinten, in seinen Rucksack. Dorthin, wo die kurze, alte Flinte steckte.

Der so oft geübte Handgriff saß, und innerhalb kürzester Zeit lag Willi zwar auf dem Boden, hatte aber sein Gewehr im Anschlag. Er spannte den Hahn der rostigen Flinte, richtete sie auf den Angreifer und rief dann keuchend dem tobenden Knüppelschwinger zu: “Halt! Noch einen Schritt und ich schieße!“

Er war sich sicher, dass auch ein kleiner Mann, der jedoch eine Flinte bei sich führte, genauso viel Eindruck hinterließ, wie solch groß gebauter Kerl mit einer Keule in der Hand.

Doch diesen Rasenden beeindruckte es nicht - oder nahm es nicht wahr - denn er schenkte der Aufforderung keinerlei Beachtung. Stattdessen drosch er weiter, wie ein Tollwütiger, auf Willibald ein. Der war nun schon vielfach verletzt. Er blutete aus mehreren Wunden und sein Schädel pochte wie wild. Er fürchtete nun endgültig um sein Leben.

So visierte er den unheimlichen Fremden an, krümmte den Finger am Abzug der Flinte, und drückte einmal ab.

Eine heiße Zunge aus glühenden Funken, flammte aus seinem Lauf. Zugleich gellte der laute Schussknall der Waffe durch den Wald, gefolgt von dem trockenen Echo des Widerhalls, das mehrfach an den mächtigen Felsen um sie herum, hin und her prallte. Dichter, grauer Rauch vom Schwarzpulver, vernebelte dem Betrachter jegliche Sicht.

Der Schuss ging direkt ins Herz, die Kugel trat am Rücken aus. Sein Umhang beulte sich am Schulterblatt spitz aus und Blut spritze in einem Strahl an einen Baumstamm hinter ihm. Der Fremde fiel um nach vorn, landete auf dem Schützen und war augenblicklich tot.

Entkräftet und geprügelt wie ein Hund, verlor Willi das Bewusstsein. Die Schläge mit dem Knüppel, hatten ihm doch arg zugesetzt. So lag er eine Weile regungslos auf dem Boden der Waldlichtung, und die Nacht brach über ihn herein.

*

Der Mond stand als messerscharfe Sichel am Himmel und warf sein spärliches Licht durch die Tannen, die die Lichtung umgaben.Ein Gruppe Rehe ästen ganz in der Nähe. Die Augen immer auf die leblosen Körper am Boden gerichtet. Hin und wieder kamen kleine Waldbewohner hervor und liefen mit respektvollem Abstand - aber neugierig - um sie herum.Sie schlichen auf leisen Sohlen weiter durch die Nacht, und gingen ihren Geschäften nach.

Als Willi dann im Delirium stöhnte, erschrak eines der Rehe und blitzartig suchten sie alle, unter dem Knacken der Äste das Weite.

Er hatte nun die Augen geöffnet, den Blick starr nach oben, gegen den tiefschwarzen Himmel gerichtet.Die Sterne über ihm leuchteten klar und fast kam es ihm vor, als hätten sie sich zu einem heimlichen Mitternachtsfest versammelt. Blass schimmernde Glühwürmchen umtanzten seinen Kopf, in einem furiosen Ballett, aus blaugrünem Licht. Fast mitleidig schienen sie ihn zu bestaunen. Oder lachten sie den armen Tropf gar aus?

Wolkenlos spannte sich der Himmel über ihm, wie ein schwarzes Tuch, durchsetzt mit funkelnden Planeten wie glitzernden Edelsteine. Es gab keine Zahl, die hätte beschreiben können wie viele dieser Sterne man dort erblicke. In klaren Nächten wie diesen, an dunklen Orten wie jenem, da erst wurde ihm die schiere Menge an leuchtenden Himmelskörpern gewahr. Wie Sandkörner an einem Strand, so viele schienen es ihm zu sein. Manche klein und dicht aneinander gedrängt, andere wiederum, majestätisch, mit hellem Schein kamen scheinbar einsam daher. Doch erblickt das Auge bei genauem Hinsehen, dass auch dieser nahe Koloss einen ganzen Reigen von Begleitern um sich scharrt, die nur durch die Leuchtkraft des Giganten allein, verblassen und zurücktreten. Mancher merkwürdige Erscheinung wanderten heute Nacht über den Zenit und oder war es Tag? Im All, gab es Tag und Nacht ja nicht, nur für den hier, auf der Erde, machte es einen Unterschied, ob die Sonne schien oder sich hinter der Erdkugel versteckte.

Eigentlich, dachte sich da Willibald, Eigentlich ist es die Nacht, wo wir etwas sehen und nicht der Tag. Denn am Tag, da blendet der gleißende Schein der Sonne und schränkt den Blick uns ein, bis höchstens hin zum Horizont. Aber nachts, wenn alles dunkel wird herum, dann erst können wir sehen, wo wir eigentlich sind. Dann hellt sich der Nebel auf, den wir Licht nennen, der Schleier der Farbe, all die kleinen Dinge, die uns zu Füßen liegen und stehen. Wenn es doch nur noch dunkler wäre, dann könnten wir noch mehr sehen und verstehen wo wir sind.

Sind auch wir blind, die Augen verschlossen ? Tapsen ungeschickt durch die Welt und wissen nicht den Deut was um uns herum ist? Steht auch vor uns einer mit dem Messer und überlegt ob er es uns ersparen soll, ein solch armseliges Dasein zu führen? Ein kurzes Leben mit Schmerz und Leid, ohne wahrzunehmen was das Wesen der Dinge ist, die uns umgeben?

Eine große Sternschnuppe raste in einem flachen Bogen über den Wald. Fast zum Greifen nah, so schien es! Sie erhellte die Lichtung im Vorbeiflug kurz wie eine fehlgeleitete Leuchtkugel. Dann zerplatze sie in einem hellen Schein, fiel wie eine weiß glühende Perlenkette mit einem letzten Aufglimmen und leisten Knistern ins Dunkel der Nacht. Gab es dieses Schauspiel nur nachts? Wohl kaum. Mag sein, dass man tags auf einer Bank ruht oder im Garten die Radieschen rupft und keine fünf Fuß daneben schlägt der Meteorit ein! Man könnte tot sein oder zumindest zu Tode erschrocken, wenn man es sähe.

Da begann der Himmel sich zu färben und ein leuchten von Rot und violett, zartem grüne und blassem Blaue erschien mit einem Male. Wie Schlangen ragten die Lichter gewunden und gezackt vom höchsten Punkt bis fast zum Horizont hinab.

„So schön murmelte“, der Schlafende mit den offenen Augen ihnen zu. Und es war im gewiss, dass er nie davon berichten könnte, vom was er sah und wie es ihm erschien. Die Worte es zu beschreiben, wären nicht zu finden und ungläubige Verwirrung wäre alles was er bewirken könnte. Ein Ding dass man sehen, aber weder begreifen noch beschreiben könnte. Selbst ein Bild davon wäre nichts, was dem Rechnung trüge was sich hier zutrug. Die leuchtenden Fahnen des Himmels wogen sich sanft wie von einem Winde bewegt, jedoch dort oben wo sie waren, da gab es solchen sicher nicht. Sie wechselten die Töne der Farben und auch den Schimmer, so schien es ihm als ob eine Tänzern mit weiten, bunt schillernden Schleiern ihre Kreise still im Himmel zog und doch: Im nächsten Augenblick wie Blitze die zu Eis erstarrt, dann wieder wie die Wellen eines kolorierten Meers, die an die schwarze Küste branden, erloschen sie still und leise. So wie sie gekommen waren in einem letzten, sanften Glimmen in der Schwärze der Nacht.

Erneut raste eine Sternschnuppe auf die Lichtung zu, zerplatze dann jedoch, wie ein bengalisches Feuerwerk, in alle Himmelsrichtungen, zerbrach in dutzende winzige Glühkügelchen, die rasch verloschen und es klang ihm fast, als ob gleich neben ihm eines der Trümmerstückchen aufschlug.

Willibald schrak auf und spürte dabei das Gewicht, das schmerzhaft auf seine Knochen lagerte. Panisch blickte er sich um, entdeckte den Toten auf sich liegen und versuchte dann hastig, sich des steifen Körpers, der auf ihm lastete, zu entledigen. Das fiel schwer, denn der Kerl war groß und kräftig. Sein Gewicht zwängte dem Förster zudem die Beine ein, die schon taub und kraftlos wurden. Als er es endlich geschafft hatte, die Leiche von sich zu rollen, stütze er sich verschwitzt auf die alte Flinte und keuchte schwer. Er hielt inne, sah sich um und fand ganz in der Nähe das Messer, das ihm der Angreifer aus der Hand geschlagen hatte, im Mondschein blitzen. Er nahm es auf - die Faust fest um den Griff aus Hirschhorn umschlossen - und ging zu dem Toten.

Viel erkennen konnte er nicht, wie er so über ihm stand.

Einen dunkler, knielanger Mantel mit einer großen Kapuze, verhüllten seine Erscheinung. Mit der Messerspitze schob er langsam den Stoff vom Gesicht. Da blickte er in das Antlitz eines Mannes, mittleren Alters, mit feinen Gesichtszügen und ordentlicher Rasur. Eigentlich passte der Umhang nicht zu seinem übrigen Bild. Dieser Wams war schäbig und alt, stellenweise zerrissen und fleckig.

Aber darunter, schien der Fremde teure Kleidung zu tragen, so wie man es vielleicht von einem Buchhalter oder einem Kaufmann erwarten würde. Wie ein Waldarbeiter oder Landwirt sah er jedenfalls nicht aus.

Er trug weiter nichts bei sich. Keine Papiere. Kein Geld – das Willi ohnehin nicht angerührt hätte - jedenfalls nichts, was einen Schluss zuließ, zu erfahren, wer dieser Mann wohl gewesen war und woher er kam.

Während er den Toten untersuchte, vernahm er plötzlich ein Wimmern aus der anderen Richtung.Willi wandte sich um, und sah den Sack, der es dem Fremden wert gewesen war, dafür zu sterben.

Er musste nun wissen,was sich darin befand. Vielleicht benötigte es seine Hilfe? Entschlossen ging er auf das Bündel zu, hockte sich hin und nahm das Messer zur Hilfe.

Vorsichtig schnitt die Kordel auf und öffnete den Sack zunächst ein wenig. In dessen Inneren rührte sich nun nichts mehr.Was hatte der Mann, mit dem Kapuzenumhang, versucht zu töten – oder wen? Da es dunkel war, tat er sich schwer zu erkennen, was sich nach und nach aus dem Bündel heraus schälte. Es schien etwas Weiches zu sein, was sich dort verbarg. Zunächst kam ein Büschel dichter schwarzer Haare zum Vorschein. Willibald erschrak und schlug den Stoff mit einer raschen Bewegung nun vollends zurück. In der Hand hielt er sein Messer - zum Kampf bereit - falls er erneut auf eine Überraschung stoßen würde. Es kam nicht dazu.

In dem alten Leinensack vor ihm..........(Ende der Leseprobe)

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Texte: Alle Rechte beim Verfasser copyright adrenalinemedia 2011 (c) Auszug aus dem Buch "Sonnennacht" erschienen bei Amazon http://www.amazon.de/gp/product/B005CQBQRI Für meine Kinder
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2012

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