Kurzgeschichte
„Die Geschäfte des Monsieur Bernard“
von
M.A.Buth
2011
Beitrag zum Kurzgeschichten Wettbewerb
August 2011
Edition Bookrix
Die Geschäfte des Monsieur Bernard
„Es kommt etwas über das Meer“
Der Garcon des Chez Roger, kniff die Augen zusammen, legte eine Hand auf die mächtigen Brauen und lenkte den Blick hinweg, über die Takelage der Schiffe im Hafen, hinaus in die dunkle See.
„Da draußen braut sich was zusammen, Monsieur“
Das Tablett in seiner Rechten balancierend, deutete er auf das Wolkengebilde, das wie ein Gespinst schwarzer Watte, am Horizont in langen Fäden auf das aufgepeitschte Meer hinab langte.
Der kleine rundliche Mann, dessen Füße kaum vom Stuhl auf den Boden reichten, schüttete sich etwas Zucker, aus einem Kristallglasstreuer, in den Café au lait.
„Mag sein, mag sein“, erwiderte er gelangweilt und dachte wohl dabei: Was stört´s mich? Ich habe ja ein Dach über dem Kopf, vermutlich im Gegensatz zu dir armen Trottel .
Ein Windstoß fegte über den Marseiller Hafen und entführte die reich bestickte Serviette, des kleinen und wackligen Tisches, elegant in einem handstreichartigen Coup.
Die beiden sahen ihr nach, wurden Zeugen, wie der himmlische Dieb sich auch noch des Toupets eines älteren Herrn bemächtigte und mit seiner Beute in Richtung der Rue de Bannières entfloh.
„Ich hole Ihnen sofort eine neue“, murmelte der Kellner noch, dessen Heimat sicherlich ein kleines marokkanisches Bergdorf gewesen sein dürfte, und wand sich dann zum Gehen.
Monsieur Bernard hingegen, wendete sich an diesem Montag wieder dem Müßiggang und seiner damit einhergehenden Lieblingsbeschäftigung während der Mittagspause zu: Dem spöttischen Philosophieren über die gescheiterten Existenzen und gesellschaftlichen Versagern, die sich an der Kaimauer direkt vor ihm, in entwürdigender Weise, für ein paar Francs zum Gespött machten.
Er, der es als Sohn eines einfachen Schneiders aus Peypin, mit klugen Geschäften an den Börsen der Welt, zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hatte, ergötze sich an den lumpigen Gestalten aus aller Welt, die sich dort in der Kunst der „Unterhaltung“ versuchten, um dem vorbei hastenden Passanten, für allerlei Unfug, ein wenig Geld aus den Taschen zu erbetteln.
Hin und wieder überkam ihm die Großzügigkeit, wenn er doch arg mitgenommene Zeitgenossen zu derlei Tun veranlasst sah und er schritt zur Tat und gab – nun, was gab er denn ?
Ein altes chinesisches Sprichwort besagte: „Gib einem Mann einen Fisch und er wird für einen Tag satt, lehre ihm aber das Fischen und sein Tisch wird nie mehr leer sein.“
So öffnete er sein großes Herz, den Armen und Ausgestoßenen und gab gute Ratschläge, die – wenn sie denn nur beherzigt würden – dem so Beglückten, Wohlstand und Erfolg sichern würden.
Es lag in der Natur der Dinge, dass einige – aufgrund mangelnder sprachlicher und geistiger Fähigkeiten und einem gehören Maß Ignoranz - sie wohl bis ans Ende ihrer Tage weder würden verstehen noch umsetzen können. Nun, dies war gottgegeben und nicht die Sorge eines Mannes wie ihm. Einem der handelte, statt nur zu reden und die Dinge beim Namen nannte.
In seinem kleinen Buch notierte er denn auch jede geführte Konversation und machte sich Notizen, wie er denn nun die Zukunft des so freizügig beratenen schätzte. Einen Stern für die, bei denen ein Leuchten in den Augen erglimmte – da war er sich sicher, das gute Werk würde wohl verstanden und bald schon Wirkung zeigen. Einen Pilz für die, bei denen man nicht wusste ob es nun berauschen würde, was sie hier gelernt, oder sie des nachts über die Kaimauer ins kalte Meer springen würden, gewiss, dass es ihnen nie vergönnt sein würde, sich derartig sich an der Erleuchtung zu bereichern.
Ein Kreuz – nun ja – für die hoffnungslosen Fälle. Die, denen man beim besten Willen nicht mehr helfen konnte. Die dem Alkohol verfallen, der Hurerei, dem fruchtlosen Glücksspiel, der Kunst oder der dümmlichen Liebe. Ihr Blick war leer, die Augen zu schwarzen Höhlen gefallen, sie hatten sich ihr Schicksal selbst gesucht und waren ihm darin ergeben.
Mit Solchen gab er sich nicht lange ab. Sie würden die wahre Kunst des Lebens nie verstehen.
Monsieur Bernards Blick wanderte über die bunte Truppe, von denen ihm einige Gesichter bereits bekannt waren. Da gab es den Clown, der weiß getüncht, vergebens auf die nörgelnden Kinder von neureichen Eltern lauerte, wie eine tückische Spinne im Netz. Mit seinen lächerlichen Grimassen versuchte er doch tatsächlich das Herz der Dummen zu erweichen. Sein Blick jedoch war starr und leer, so dass das Kreuz flink in das kleine Büchlein eingezeichnet war und Monsieur Bernard sich hoffnungsvolleren Aspiranten zuwandt.
Der Trinker dort neben ihm, der auf dem Boden sitzend nur den Hut und das Pappschild, als Bettelstaffage vorweisen konnte, der hatte mehr Potential, als ein anderer – ungebildeter Mensch – ihm zutrauen würde. Bernard hatte ihm geraten, den Schnaps in eine Arzneiflasche zu füllen, mit einem weißen Kreuz zu bemalen und auf dem Schild „Veteran des großen Krieges, auf dem Weg nach Hause“ zu schreiben. Immerhin schienen die Einnahmen dadurch gestiegen zu sein, was einer der besten Beweise für Monsieur Bernards Fähigkeiten war, die Dinge erfolgreich zu gestalten.
Pierre, da hinten, der kleine schmächtige Junge, das war wohl eines seiner Meisterwerke. Er sammelte aus Abfalleimern oder von den Tischen der Cafés, gelesene Zeitungen und verkaufte sie als neue. Dass es manchmal auch die vom Vortage waren, konnte man der Unschuldsmiene nicht ansehen. Und überhaupt, war es doch die Sache eines Kunden, die Ware zu prüfen!
Ein Zubrot verdiente er sich jedoch dank Monsieur Bernards Genialität mittlerweile, indem er den solitären Herren, gegen ein Trinkgeld die Schlafstätte der rothaarigen Hure Michelle zusteckte, die - wenn sie tagsüber ihren Rausch ausschlief - besonders günstig ihre Liebesdienste anbot, da sie dafür ja nicht ( so wie nachts am Hafen) aus ihrem lumpigen Quartier in die nasse Kälte heraus musste.
Was den Zeitungsjungen anging, war Bernard sich sicher: Dieses kleine, nicht einmal 12 Jahre alte Filou, würde es noch einmal weit bringen. Dann säße der ehemalige Schüler nachts beim Zählen über den Scheinen, würde inne halten, nach oben blicken und sagen: „Dieser Bernard, was war das doch für ein Fuchs!“
Die Brust des kleinen runden Mannes spannte sich straff und ließ dabei die Hosenträger unter der feinen Weste fast platzen, so sehr erfüllte ihn sein Meisterwerk mit Stolz.
Neben all dem Gewimmel der anderen schmutzigen Zigeuner, Clochards und Lebenskünstler, die der Erwähnung hier nicht wert waren, stach heute ein Neuankömmling im Kabinett des menschlichen Grauens hervor.
Dort hinten an der siebten Mole saß ein schmächtiger Mann auf den Knien, die Füße nach außen gespreizt und hantierte mit einer Malkreide auf dem rauen Pflaster herum.
Bernard nahm sich vor, den Fremden in seiner Schulklasse des Lebens genauer zu inspizieren, stand auf, verfluchte den dummen Kellner, der noch immer keine Serviette zum Abwischen des Mundes herbei gebracht hatte und verließ zur Strafe das Café, nicht jedoch ohne seine Missbilligung dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass heute – wieder einmal – keine Klimpern von Münzen den Rand der Untertasse zum Klingen brachte.
„Wer seine Arbeit so schlecht macht, wie dieser Schafshirte, muss eben noch Lehrgeld mitbringen“. Sprach´s, wischte sich den braunen Streifen am Mund mit dem blütenweißen Tischtuch ab und schlenderte dann genüsslich an der Parade der Gescheiterten vorbei, hin zu dem Neuen.
Lässig, die Anzugjacke über den Arm gelegt, die Kravatte ob des schwülen Wetters gelockert, baute er sich vor dem am Boden knienden auf, steckte die Daumen keck durch die Hosenträger, wippte auf den Schuhspitzen und streckte seinen Bauch noch mehr hervor als sonst.
Der Pflastermaler kritzelte vertieft herum, beachtete ihn nicht und es bedurfte schon einige Verrenkungen des neugierigen Betrachters, um die Aufmerksamkeit des „Künstlers“ zu erwecken.
„Monsieur machen wohl in Kunst?“ fragte er mit einem Anflug von Häme, von oben herab und trotz der Haltung stetig wippend.
Der Blick des Malers wandte sich nach oben und mit einem Ausdruck des Erschreckens fuhr seine Hand in die Richtung von Bernard.
„Um Gottes Willen, treten Sie bitte nicht drauf, Monsieur! Legen Sie das Geld einfach auf dorthin, wo die anderen Münzen und Scheine bereits liegen“
Bernard war verblüfft, ob der Frechheit des verlausten Bordsteinartisten, fasste sich jedoch schnell und bemühte sich amüsiert zu wirken und seinem Groll nicht nach außen zu tragen.
„Geld, mein Lieber kann ich für solch mangelhaften Bemühungen, den Kunden – und betrachten Sie mich bitte als solchen – nicht zu verstehen, leider keines erübrigen“
„Sei´s drum“, entgegnete der von ihm nun abgewandte Maestro unbeirrt,“Ich brauche Ihr Geld nicht. Davon habe ich bereits genug.“
„Das nimmt mich Wunder.“, tönte Bernard zurück, trotzig, wie ein abgewiesener Liebhaber, „So sind Sie wohl ein reicher Durchreisender, der nur der Malerei frönt und sein Leben den schönen Künsten gewidmet hat?“
Der Angesprochene macht sich nicht einmal die Mühe, auf den Spott zu antworten, sondern arbeitete vertieft an seinem Kunstwerk herum und schien Bernard nicht einmal mehr wahrzunehmen.
Der Anzug dieses Bettlers wirkte wie von guter Qualität, wenngleich er eine Reinigung und Pressur dringend bedurft hätte. Vermutlich hatte er ihn einem der betrunkenen Touristen im Rausch abgeschwatzt. Der Blick in die vielsagenden Augen enttäuschte: Da waren sie wieder, die leeren Höhlen, die von zerbrochenen Existenzen und hoffnungslosen Irrläufern kündeten. Monsieur Bernard seufzte. Hier würde er keine guten Taten vollbringen können.
„Ich verstehe etwas davon – von den schönen Künsten meine ich...
Ach, wie ungeschickt von mir: Ich vergaß mich vorzustellen. Bernard ist mein Name. Emile Bernard, Großhändler aus der wunderschönen Stadt Marseille. Erfolgreich, nebenbei bemerkt. Nun, von Kunst verstehe ich, wie gesagt, etwas. Man kennt mich hier am Marseiller Hafen und mein philanthropisches Wirken hat sich schon für so Manchen in klingender Münze ausgezahlt. Würde es Ihnen Mühe bereiten, mir Ihr Werk näher zu bringen? Meine ehrliche Kritik steht Ihnen offen.“
„Nein danke, das brauche ich nicht“, entgegnete der Angesprochene kurz angebunden und kehrte sich erneut dem Gemälde zu.
Bernard jedoch ließ sich nicht beirren: Derlei Ignoranz war ihm von Seinesgleichen nur wohl vertraut. Sie würden das Glück nicht erkennen, wenn es an ihre Tür klopfte, selbst wenn es sich zuvor per Telegramm und Blumenstrauß angekündigt hätte.
„Nun, Monsieur“, fuhr er in sanftem Ton fort,“ das erachte ich nun geradezu als eine sportliche Herausforderung, wenn nicht gar als Beleidigung meines guten Willens! Wissen Sie was?
Ich werde Ihnen meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit trotzdem schenken und Ihnen den künstlerischen Wert ihres Werkes unisono mitteilen.“
„Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Monsieur, aber treten Sie nicht auf das Gemälde“
„Gemälde“ war wohl etwas übertrieben, um als Begriff für die stümperhafte Krakelei gelten zu können, die sich dort am Boden vor ihm ausbreitete.
Es zeigte die schiefe, wie von Kinderhand gezeichnete Ansicht eines Mannes, der mit viel gutem Willen als das Konterfei des lumpigen Straßenkünstlers gelten konnte.
„Schauen Sie Monsieur Strassenmaler, es liegt mir am Herzen, dass Menschen wie Sie nicht ewig, auf derlei Broterwerb angewiesen sind. Sie sind doch ein Mann in den besten Jahren. Wirken mir durchaus vernünftig und wenn sie sich einmal rasieren, waschen und den arg zerknitterten Anzug arrangieren lassen, könnte ich mir vorstellen, dass sich doch noch ein würdevoller Lebensunterhalt erzielen ließe.“
„Meinen Sie ?“
„Durchaus! Als ich Sie zunächst oberflächlich betrachtete, hätte ich sie fast für einen der Bankangestellten der BNP halten können, der mir freitags immer so freundlich die neusten Aktienkurse aus den Vereinigten Staaten übermittelt.“
„Sie meinen Monsieur Leclerc?“
„Genau“, entfuhr es Bernard erstaunt,“kennen Sie ihn etwa?“
„Nur zu gut.
Ich bin dieser Henri Leclerc und arbeitete in der Wertpapierabteilung der hiesigen BNP Paribas, gleich hier an der Rue Docteur Denis Avirienos“
Bernard war zutiefst geschockt, erlangte aber unverzüglich die Contenance zurück. Das gute alte Notizbuch war keinesfalls obsolet geworden. Gerade die Schwachen, die Faulen, diejenigen, die alles nur ererbt hatten, die Dummen ( die das unverdiente Glück verließ ) oder die Verliebten – sie waren es, die für die vielen Kreuze im Büchlein sorgten und offensichtlich war Monsieur Leclerc unter diese Gruppe der hoffnungslosen Fälle geraten. Es lag ihm fern, nach der Ursache des Niedergangs im Hause Leclerc zu forschen – es waren immer dieselben weinerlichen Fabeln - aber das Wissen darum war für ihn Grund genug, das freundliche Gespräch zu beenden. Zeitverschwenden, das konnte man auch in einer netten Bar, hier in der Nähe, mit ein paar Gläsern Absinth, dazu brauchte es keine Lügengeschichten von gefallenen Versagern.
Zudem hatten Versager eine Tendenz zur Ansteckung, wenn man es auch für weit hergeholt halten mag, Erfolg steckt an sagt man. Misserfolg dann aber auch, sagte Monsieur Bernard und er war recht stolz auf diese von ihm geprägte Lebensweisheit.
„Nun, wenn das so ist...“ Bernard zog sich langsam zurück, wandte sich zum Gehen.
„Warten Sie Monsieur! Gehen Sie noch nicht!“
Jetzt auch das noch - Bernard hasste es , wenn sich die armseligen Gestalten hoffnungsvoll an ihn wie den wiederauferstandenen Jesus hielten, ihm die Hosenbeine umklammerten, sich gar über den Boden schleifen ließen, manchmal nur für ein paar Centimes – die er ihnen dann doch nicht gab.
Er machte eine abwehrende Handbewegung, “Verzeihen Sie bester Leclerc, aber wenn es für mich ein Prinzip gibt - dessen Einhaltung mehr bedeutet als das flüchtige Glück einer wohltätigen Spende - dann ist es kein Geld an Subjekte wie Sie es sind zu verschwenden. Sie müssen in ihrer Krise wachsen, daraus lernen, neue Kraft schöpfen und vor allem: Neue Fähigkeiten erwerben!“
Mit dieser Ansprache hatte Bernard es wieder einmal geschafft, einem Menschen, der die Orientierung im Dickicht der Widrigkeiten des Lebens – auch Schicksal genannt – zu geben. Mehr als jede Münze, würden diese Worte dem Empfänger den Schlüssel zu einem wahren Schatz des Glücks und des Erfolgs verschaffen.
Die Augen des gescheiterten Bankangestellten erfüllte mit einem Male ein Leuchten wie aus tausend Kerzen und einem dutzend Sonnen zugleich.
„Monsieur Bernard - Sie sind der Richtige!“, strahlte er den vor ihm stehenden kleinen Mann glücklich an, hob dabei die Hände als ob es der heilige Messias selbst wäre, der sich ihm soeben offenbart hätte.
Das schmeichelte dem davonschleichenden Ratgeber natürlich und mit Genugtuung stellte er fest, dass es eben doch eine Frage der Klasse einer Person war, ob sie die Wohltaten, die er verteilte, als solche zu würdigen wusste.
„Ihre Wertschätzung ehrt mich, liebster Leclerc“, säuselte er beglückt auf den am Boden knienden herab, dann jedoch beeilte er sich, wieder zur väterlichen Strenge zurück zu finden, die den Erfolg seiner Lehren ausmachte: „Dennoch – Geld gibt es keins von mir. Nicht einen rostigen, verbogenen Centimes!“
„Ja!“, stimmte ihm der Maler zu, “So hatte ich mir das auch gedacht – wenngleich..“, er schien zu überlegen, als ob da ein Konflikt bestünde, „Monsieur Bernard – ich muss darauf bestehen!“
„Bestehen?“ Bernard nahm die Unverfrorenheit belustigt zur Kenntnis. Hatte er sich in dem Schüler getäuscht?
„Nun ja. Sie sind ein Geschäftsmann Monsieur, so wie ich ein Bankier bin..“
„..Waren!“, unterbrach ihn Bernard und fragte sich mittlerweile, ob er den Moment für den Rückzug nicht bereits verpasst hatte.
„War. Nun gut. Dennoch schlage ich Ihnen ein Geschäft vor, Bernard.“
„Was haben Sie mir denn in ihrem Zustand vorzuschlagen Leclerc?“,spottete dieser zurück.
„Sehen Sie das Geld hier?“, der Straßenmaler, der einst der Banker Leclerc gewesen war, zeigte auf eine lederne Tasche neben ihm, auf der sich eine stattliche Anzahl Geldmünzen befanden. Es waren auch durchaus einige Scheine dabei, was das Interesse in Bernard erweckte und ihn zu der Frage veranlasste: „Wie lautet denn ihr Vorschlag?“
Leclerc richtete sich zum erstem Mal auf, klopfte sich den Staub aus der Kleidung und trat an Bernard heran.
Jetzt erst erkannte dieser, die vielfältigen, merkwürdigen Verletzungen an dessen Körper. Insbesondere die Haut war von bunten Flecken übersät, manche Finger schienen wie gebrochen und schief verheilt. Das Gesicht war von Abschürfungen gezeichnet, die an Verbrennungen oder Verätzungen durch Säuren erinnerten.
Die äußere Erscheinung war abstoßend und Bernard zögerte mit diesem Mann Geschäfte zu machen, wenn dies die Gefahr ansteckender, tropische Krankheiten in sich barg.
„Seien Sie unbesorgt.“, beruhigte ihn der Mann, der scheinbar diese Gedanken erriet und sich wohl seiner üblen Verfassung bewusst war, “Ich hatte nur ein paar schlechte Nächte auf dem Asphalt hier, aber das ist jetzt vorbei.“
Dann erklärte er sein Angebot und mit jedem Augenblick kam mehr Leuchten in seine Augen zurück.
„Ich möchte mit Ihnen eine Wette abschließen. Dies erfordert allerdings, dass ich Sie zeichne und Sie mich dafür bezahlen.
Zwei Franc wären mir in ihrem Fall – da wir uns ja gut kennen – genug.
Ich zeichne Sie hier in voller Statur auf das Pflaster mit meiner magischen Kreide. Dann werden wir beide Bilder, Ihres und meines miteinander vergleichen. Das Bild, das Ihnen besser gefällt, da es den Gezeichneten besser trifft, hat gewonnen. Ist es mein Abbild, dann behalte ich die zwei Franc und wir sind quitt. Ist es Ihr Bild, dass Sie ansprechender finden, bekommen Sie all mein Geld, das dort liegt. Die zwei Franc aber, die behalte ich in jedem Fall als Lohn für meine Kunst.
Er ist nicht nur ein Fall für die Heilsarmee, nein auch die Nervenheilanstalt wird sich dieses Trottels annehmen
, dachte Bernard und schüttelte innerlich sein Haupt.
Er will mich so schlecht zeichnen, dass mir scheinbar nichts anders bleibt, als sein armseliges Gekrakel als das besser Portrait zu bewerten.
Ich denke gar nicht daran mir diesen hübschen klimpernden Haufen Geld entgehen zu lassen. In jedem Fall werde ich das Gemälde, das mich zeigt als das bessere befinden.
„Noch etwas Monsieur:Während ich sie zeichne, werde ich Ihnen erzählen wie es dazu kam, dass ich zu einem Clochard , einem Pflastermaler wurde, der hier auf dem Trottoir übernachtet und Sie müssen sich meine Geschichte anhören. Wie klingt das?“
Er öffnete die Arme weit, wie zu einer Einladung und sah Monsieur Bernard erwartungsvoll an. Wie er so dastand, zerlumpt und verdreckt im teuren Stoff, war Mitleid das Einzige, was Bernard für den armen Trottel empfinden konnte.
Aussprechen wollte er sich also, war bereit seine gesamten Tageseinnahmen einem Passanten zu verramschen, für ein flüchtige, vergängliche Gespräch, von dem er sich Befreiung erhoffte.
Welch ein Narr!
Natürlich willigte Monsieur Bernard ein, sah es gar als gute Lehrstück, dem Lumpen Bankier die mühsam errungenen Dukaten abzunehmen, um ihm in der kalten Nacht gewahr werden zu lassen, dass man so keine Geschäfte machen kann und er wegen solcher Dummheiten aus der Bank verjagt worden war.
Das Leuchten in den Augen hatte ihm signalisiert, dass der Prozess der Erkenntnis durchaus fortgeschritten war, nun musste jedoch die schmerzhafte Lehrstunde folgen.
Zum ersten Mal in seinem Leben, nahm er einen Franc, für einen der Taugenichtse vom Hafen, aus der Geldbörse und überreichte ihn schweren Herzens, jedoch mit erwartungsvollem Blick auf den Haufen Münzen und Scheine gerichtet, an den Maler.
„Ein Franc, mehr gibt es dafür nicht“
„Aber Monsieur Bernard“, jammerte der Maler weinerlich,, doch beeilte sich, als Bernard den Franc bereits wieder in die Tasche stecken wollte, sein Einverständnis zu zusichern.
So ließ der sich dann einen bequemen Hocker aus einem der Cafés herbeischaffen, paffte eine alte Zigarre, den Blick auf den immer dunkler werdenden Himmel über dem Meer gewandt und gewährte dem geschwätzigen Leclerc die gewünschte Audienz.
Der kniete nun vor ihm und malte als wenn der Teufel ihn ritt, mit schnellem Strich und weit ausholenden Bewegungen, warf vor Aufregung die Kreiden durcheinander, murmelte wirres Zeug und war bald in die „Arbeit“ vertieft.
Den Blick auf sein neuerliches Werk ersparte Bernard sich, stattdessen sorgte er sich um sein rechtzeitiges Zurückkommen in das Büro an der Rue Bir Hakeim und so wanderte sein Blick vielfach vom Meer zur Taschenuhr, die in der Weste steckte und wieder zurück.
„Leclerc, wie lange noch?“, fragte er mürrisch als sich die Glut der Zigarre bereits fast dem Ende des Stumpens näherte.
„Sofort, sofort“, beeilte sich dieser ihn zu beruhigen, begann sodann jedoch seine avisierte Leidensgeschichte zu erzählen, was Bernard einen unüberhörbaren Seufzer des Bedauerns mit sich selbst entlockte.
„Nun Monsieur Bernard, Alles begann letzten Freitag.
Ich schlenderte in meiner Mittagspause am Kai entlang. Die schöne warme Sommersonne, wärmte mich vorzüglich und ich nahm mit Entzücken, die schwache Geschlecht wahr, wie es bei diesem Wetter doch herrlich aufreizend in durchsichtigen Chiffonblusen, kurzen Röcken - die meine Phantasie anregten - und gewagten Decollteés, seine Kreise in der Stadt zog. Ich suchte die Gedanken zu verdrängen, kaufte mir eine Zeitung und setzte mich in eines der Cafés hier am Hafen.
Als ich sie aufschlug, um darin die neusten Kurse der Werpapiere und Rohstoffe zu studieren, musste ich feststellen, dass dieser Lump von Zeitungsjunge mir eine alte Ausgabe verkauft hatte. Ich eilte sofort zu seinem Verkaufsstand, er versuchte zu flüchten, jedoch erwischte ich ihn unweit der Rue Bir Hakeim – fast vor ihrem Büro übrigens, Monsieur - wo er in einer der vielen Hauseingänge Zuflucht gesucht hatte.
Gerade, als ich dem frechen Betrüger die Ohren lang ziehen wollte, lockte er mich als Entschädigung mit einem verlockenden Angebot der rothaarige Dirne Michelle – Ihnen vielleicht kein Begriff – zu einem Schäferstündchen zur Mittagszeit.
Als ich von dort erleichtert zurück zum Café spazierte, entdeckte ich eben an dieser Stelle, an der wir uns hier befinden, einen fremdländischen Mann, der an einem Pflasterbild malte. Ich fragte ihn, was er sich denn davon erhoffe, da sein Kunst wohl eher armselig sei und wohl niemand bereit sei, für derartigen Schund - auch nur aus Mitleid – etwas Kleingeld springen zu lassen.
Wir kamen ins Gespräch und der zerlumpte mauretanische Künstler erklärte mir, er wolle mich malen. Es solle nur einen Franc kosten und er würde mir im Gegenzug die Zeitung von der nächsten Woche beschaffen. Ich lachte ihn zunächst aus, dann aber erklärte mir, er sei bis vor wenigen Tagen Druckergehilfe bei einer großen Zeitung gewesen und es wäre eine Tatsache, dass sämtliche Aktienkurse bereits eine Woche früher vorlägen, aber aus technischen Gründen erst mit Verspätung abgedruckt werden könnten. Er zeigte mir gar ein Exemplar, das er in einer ledernen Tasche mit sich führte und das ich, beim besten Willen, nicht als Fälschung überführen konnte. Das Ganze klang glaubwürdig und erschien mir ein gutes Geschäft. Wenn ich die Kurse eine Woche vor meinen Kunden hätte, könnte ich ausgezeichnete Geschäfte damit machen, sie für viel Geld weiter verkaufen, oder anderen Nutzen daraus ziehen.
Also zahlte ich den Franc und ließ mich darauf ein. Während er mich nun auf das Pflaster malte, erklärte er mir, das es etwas besonderes mit dem Bild auf sich habe. Das Gemälde dürfe nicht verschmutzt oder gar zerstört werden. Jede Veränderung, jede Beschädigung übertrage sich auf denjenigen, den es zeige. Es sei wie ein Fluch. Er sagte mir das zuvor, damit ich immer noch meine Einwilligung zurückziehen könne. Wenn das Bild von mir fertig sei, wäre es allerdings vorbei, er wäre frei, würde sein Bild wegwischen und ich müsste an seiner Stelle jemanden finden, der sich zeichnen ließe.
Damit jedoch nicht genug. Folgende Bedingung gab er mir auf den Weg: Es muss ein Mensch sein, der herzlos und geldgierig ist. Du musst ihn dazu überreden dir mindestens auch noch einen Franc zu zahlen, damit er sich selbst ins Unglück begibt und sich dem Fluch unterwirft. Du darfst nicht lügen und musst ihm vor der Fertigstellung alles über den Fluch und was er anrichtet erzählen. Nur dann wirst du selbst befreit sein.
Ich lachte ihn aus. Welch ein Unfug! Wer glaubt denn schon solch eine Räuberpistole? Also ließ ich ihn das Kreidebild fertig stellen und siehe da: Es war perfekt. Er überreichte mir das Probeexemplar einer Zeitung der nächsten Woche und wir waren uns handelseinig. Dann verwischte er sein Bild und rannte davon. Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Das war am Freitag Mittag. Da die Sonne so schön schien, kehrte ich auf dem Absatz um und ging erneut zu der Rothaarigen. Wir waren gerade dabei, zur Tat zu schreiten, da durchfuhr mich ein furchtbarer Schmerz im Bauch und auch an den Fingern. Ich schrie und krümmte mich, doch die entsetzlichen Verletzungen, die sich plötzlich überall auf meiner Haut und an den Gliedmaßen auftaten, wollten sich einfach nicht bessern. So schleppte ich mich nach Hause, trank den Rest des Tages chinesischen, grünen Tee und legte mich in das Bett zum Schlafen. Am nächsten Tag durchfuhren mich immer wieder unvermittelt stechende Schmerzen, die wie Hiebe auf mich nieder gingen. Ich beschloss den Doktor aufzusuchen, kleidete mich mühsam an und verließ das Haus. Aus einem Gefühl heraus wollte ich mich davon überzeugen, dass ich mir nicht eine ansteckende Infektion von dem verlotterten Straßenmaler geholt hatte, so machte ich den kurzen Umweg über den Hafen hier. Nun vielleicht dachte ich auch insgeheim an die Rothaarige, jedenfalls als ich hier ankam, war der Maler nirgendwo zu erblicken.
Sein Platz war verlassen und das Bild von mir bereits etwas verwittert. Ich betrachtete es genauer und stellte fest, dass genau an den Stellen, an denen ich diese unsäglichen Schmerzen verspürte, deutliche Fußabdrücke zu erkennen waren. Ich ärgerte mich nun darüber, dass ich für alle Welt sichtbar hier auf dem Pflaster des Kais verewigt war und holte weit aus, um mit meinem Schuh die Reste des Gemäldes wegzuwischen. In dem Augenblick jedoch, als meine Sohle auf das Portrait am Boden traf, erhielt ich einen Tritt wie der, des Hufes eines Pferdes. Meine rechte Gesichtshälfte brannte wie Feuer und die Haut schälte sich in großen Placken von Wangen und Stirn. Blut rann aus der schmerzenden Nase und selbst mein Kinn schwoll beängstigend an.
Als ich dann auf mein Ebenbild blickte, war an just diesen Stellen, die Kreide zu einem Brei der Farben verwischt und das Konterfei der schmerzende Hälfte des Gesichts bis zur Unkenntlichkeit verschmiert. So rannte ich zur Kaimauer und betrachtete mein Spiegelbild im trüben Wasser des Hafenbeckens. Entstellt und frisch verletzt war das Antlitz, das mir aus dem Spiegel des Wassers entgegen blickte. Konnte dies ein Zufall sein?
Unsicher ging ich zu dem Bild zurück. Diesmal nahm ich einen der Kreidestifte, die der Fremde in der überhasteten Flucht zurück gelassen hatte. Ich begann – so gut wie mir das eben gelingen konnte mit meinen bescheidenen künstlerischen Fähigkeiten - das ramponierte Werk auszubessern. Zu meinem Erstaunen, begannen die Wunden zwar zu verheilen, dennoch: Das Bild war nicht mehr wie vorher und hässliche Male blieben dort, wo sich Farbe gelöst und Spuren der Retusche verblieben. Ein weiteres Mal strich ich zur Probe, mit dem Finger eine Stelle der Malerei an. Sogleich durchfuhr es mich wie ein Blitz und ein hässliches Brandmal zierte mein rechtes Schlüsselbein, während mein teures Hemd in Fetzen hing.
Ich war verzweifelt, ungläubig und dennoch fest entschlossen, mich meinem Schicksal nicht zu ergeben. So entsann ich mich dessen, was mir der Fremde mit auf den Weg gegeben hatte. Ich musste einen Mensch finden, der herzlos ist und von der Gier nach dem Geld beseelt. Es musste gelingen, diesen Menschen zu überreden, mir trotz seiner Unfähigkeit, das Leid eines Anderen zu teilen, für meine miserablen Künste auch noch Geld zu bezahlen.
Viele Passanten kamen vorbei, sahen mich, das Bild und hatten Mitleid. Da legten sie mir still Münzen und Scheine auf die lederne Tasche, die ich für die Arbeit bei der Bank stets mit mir führte. Sie schenkten weder dem feinen Stoff des Anzuges noch meinem erbärmlichen Zustand Beachtung, sondern gaben mir vorurteilslos ihr Geld. So kauften sie die Last ihrer Seele frei, da zu denen zählten, die über ein solches Organ verfügten. Nur die herzlosen, die vorbeischlenderten und mich hier so sahen, wollten nichts für mich tun, außer schlauen Ratschlägen, Vorhaltungen und Herabwürdigungen meiner Person.
Nun ist alles anders, denn Sie sind nun da, Monsieur Bernard! Sie sind der Richtige. Sie sind reich, herzlos und trennen sich nie vom Geld. Ich jedoch brauche nicht ihr Vermögen – einen einzigen Franc davon, gewiss – doch mehr als dass, benötige ich ihre Seele und daher male ich sie hier auf das Pflaster. Ich male, wie ich noch nie in meinem Leben etwas gemalt habe. Jede Farbe, jeder Strich wird perfekt sein, denn ich will, dass Sie sich für Ihr Bild entscheiden und ich endlich frei bin, zu gehen wohin es mir beliebt.“
Monsieur Bernard hatte trotz seiner Abneigung gegenüber Jammergeschichten und dem überwiegend erfolgreichen Abwehren solcher Avancen, selten so einen Blödsinn gehört. Mal waren sie unsterblich in irgend eine Blonde aus Nizza verliebt, hatten das Haus im Casino von Monte Carlo verjubelt, oder ein Geist spukte ihnen im Kopf herum. Dieser Leclerc hatte etwas von alledem.
Bernard gähnte, „Sind wir jetzt fertig?“, dann stand er auf und betrachtete - nur anstandshalber - das Gemälde, das sich vor ihm auf dem Boden ausbreitete.
Der Künstler stand mit weit geöffneten Augen über sein Werk gebeugt und betrachtete sein Modell erwartungsvoll.
„Welches gefällt Ihnen nun besser? Ihr Portrait oder meines?“
Diese Leclerc war lustig, eigentlich stand die Antwort ja schon vorher fest, aber als Bernard die Pflastermalerei erblickte, was es um ihn geschehen.
„Leclerc! An Ihnen ist ja nun wirklich ein ganz großer Künstler verloren gegangen! Wie sie mich da getroffen haben. Fast möchte man meinen, sie wollten mir schmeicheln. Andererseits – es trifft mein Wesen nur allzu gut. Schade nur, dass es so vergänglich ist.“
Auf dem Gemälde sah man einen Bernard, der in einer Pose wie Napoleon Bonaparte selbst, an einen Sekretär gelehnt, stolz in prächtigem Gewand dem Betrachter, Macht, Wissen und Souveränität signalisierte.
Der kugelige Bauch, war einer steifen, weißen Weste gewichen, die die mit Orden geschmückte Brust umgarnte und den zutiefst maskulinen Blick mit dem ernsten Gesichtsausdruck noch mehr unterstrich. Die Hand, um einen reich verzierten Stock mit goldenem Knauf gelegt, die schwarzen, hohen Stiefel glänzend, mit wertvollen Intarsien bestückt. Das schüttere Haupthaar des Monsieur Bernard war hier wie zu einem Kranz aus Eichenlaub rund um den Kopf gewoben und verlieh dem Anblick noch mehr majestätische Würde.
Hier stand kein kleiner dicker Mann, hier hielt ein Imperator Hof.
„Wunderschön“, murmelte der Abgebildete, während Leclerc im Hintergrund zunächst zögernd, dann immer hastiger das eigene, alte verwischte Konterfei mit seinem Hemd wegfegte.
Er überließ dem Betrachter das Werk, auch die gesammelten Einnahmen der letzten Tage, nur den einen Franc den Bernard hierfür bezahlt hatte, hielt er fest wie zum Beweis in seiner Hand umklammert.
Wer wollte, konnte die zerlumpte Gestalt in der zerrissenen Kleidung aus edlem Stoff, die einmal Leclerc der Bankier gewesen war, davon rennen sehen. Die Augen im Schrecken geweitet, mit großen Sprüngen über Polder und hastigen Sätzen über die Straßen, der Innenstadt von Marseille entgegen.
Bernard jedoch, war noch immer wie gefangen, von dem Selbstbildnis auf den grauen Pflastersteinen an der Kaimauer des Hafens. Er kniete jetzt nieder, legte eine Hand über die Malerei, als ob prüfen wollte ob das Angesicht, das ihm dort entgegen sah lebte und ihn wahrnahm.
Das Bild war unsagbar schön, so schön, dass er sich dabei ertappte, Geld dafür zu zahlen zu wollen es besitzen zu dürfen.
„So ein Unfug. Es gehört mir ja bereits. Ich habe es gekauft. Dieser Narr hat es mir für einen Franc gefertigt. Den Klingelbeutel noch obendrauf.“
Er wagte es, das kostbare Bild an einer Stelle zu berühren um die Farbe der Kreide an seinen Fingern zu spüren, zu sehen. Doch just, als die Spitzen seiner Hand an der scheinbar unauffälligen Stelle den Boden berühren wollte, platschte der erste satte Tropfen des Gewitters auf das Bild.
Monsieur Bernard krümmte sich augenblicklich unter dem dumpfen Schmerz, dem ein brennendes Gefühl, wie das einer hochkonzentrierten Säure auf blanker Haut folgte.
Das tobende Prasseln, der plötzlich entfesselten Himmelsgewalten, übertönte die verzweifelten Schreie des Mannes , dessen Versuche sich schützend über dem verschwimmenden Konterfei zu breiten erfolglos blieben und überließ ihm dem gnadenlosen Zorn der Natur.
Während die Gaukler, die Passanten und die Frauen in den kurzen Röcken mit den durchsichtigen Blusen, vor dem wütenden Platzregen, in die Cafés rund um den Hafen flüchteten, die Kellner schnell die Tische räumten und Kinder sich die Nasen an den Scheiben plattdrückten, liefen Wasserströme, von Kreiden bunt gefärbt, über das Pflaster, sammelten sich an der Kaimauer, und flossen dann zurück, in die aufgepeitschte, dunkle See.
Tag der Veröffentlichung: 09.08.2011
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