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Wer kennt sie nicht, all die lustigen Klischeefiguren: die böse Schwiegermutter, die frechen Gören, und nicht zuletzt die kluge, weise Oma, die in jeder Situation einen klugen Rat auf Lager hat und mit Lebensklugheit und einem milden Lächeln immer eine Stütze für Kinder und Enkel darstellt.
So weit, so schön – aber ich möchte wetten, es gibt genauso oft das genaue Gegenteil, nämlich die Oma, die jederzeit ungebeten Ratschläge erteilt, überzeugt von deren Unfehlbarkeit und eine tägliche Belastungsprobe für die Nerven der geplagten Familie.
Ich spreche aus Erfahrung, und wenn auch meine Kinder inzwischen das Windelalter seit Jahren hinter sich gelassen haben, werde ich selbst noch immer gelegentlich mit milder Herablassung bis Tadel behandelt, als wäre ich ein dummes Kind. In früheren Jahren resultierten daraus handfeste Auseinandersetzungen, heute dagegen halte ich einfach den Mund und denke mir meinen Teil. Ich habe die 40 hinter mir gelassen, und meine Zeit ist mir zu schade, um gegen Mauern anzurennen, die ich ohnehin nicht mehr einreißen werde.
Ich schaffe es sogar (meistens) mich nicht aufzuregen!
In meiner angeheirateten Familie kursieren bis heute Beispiele für diese Plage als „Running Gags“, und mittlerweile kann ich sogar selbst darüber schmunzeln. Nur in der jeweiligen Situation fand ich es alles andere als lustig.
Unvergessen ist zum Beispiel die Episode, als unser erstes Kind im Alter von wenigen Monaten plötzlich immer häufiger das Essen verweigerte, indem es den Kopf mit fest zusammengepressten Lippen zur Seite drehte.
Ersteltern fehlt bekanntlich die Gelassenheit im Umgang mit solchen Situationen, und so waren auch wir besorgt, ob dem Kind denn auch nichts fehle.
Oma jedoch wusste sofort, was los war: die Ernährung war schuld!
Wer hatte denn schon je davon gehört, dass man ein Kind mit Muttermilch und Babynahrung großziehen konnte? (Damals prägte sie in unserer Familie das Wort „Kälberstarter“ für die aus Pulver angerührte Babymilch!) Nein, da gehörte doch was Anständiges ins Fläschchen – Schmelzflocken! Damit hatte sie mich schließlich auch groß gekriegt – und wie!!
Damit endlich Ruhe war, und vielleicht auch in der schwachen Hoffnung, das Kind möge endlich wieder so essen wie vorher, wurden schließlich Schmelzflocken gekauft und nach großmütterlicher Anweisung aufgekocht. Dann kam der Pamps ins Fläschchen, und dies wurde dem armen, mangelernährten Kind angeboten.
Und hat man Worte? Die guten Schmelzflocken wurden tasächlich – verweigert!
Mein Kind sah mich nur ungläubig an, als es die ersten Kleckse davon auf der Zunge hatte und spuckte alles im hohen Bogen von sich. Fortan waren Schmelzflocke ein „No Go“ für das Kleine und die Oma war überzeugt, dass das arme Ding bereits verdorben war.
Sie rang die Hände – wie sollte denn bloß aus diesem bedauernswerten Wurm was werden?
Nun – wenn ich „das Wurm“ heute, fast 16 Jahre später ansehe, muss ich sagen, aus ihm ist in der Tat was geworden, und das ganz ohne Schmelzflocken!
Oder – ein anderes Beispiel: das besagte Wurm hatte sich im Alter von knapp zwei Jahren angewöhnt jede Nacht zu Mama und Papa ins Bett gekrochen zu kommen.
Natürlich wusste die Oma auch hier, was der Grund war: Das Bett von dem armen Kind war schlichtweg zu kalt! Trotz Schaffell, Nestchen etc. war es zu kalt! Da war es doch nicht verwunderlich, dass das Wurm des nächtens aus einem ungastlichen Lager floh und ein bisschen Wärme suchte?
Natürlich war ich irgendwann mit meiner Nervenkraft am Ende. Das Bettchen wurde in eine Kuscheloase verwandelt, mittels warmer Wäsche, Thermo-Einlage und einer Wärmflasche pro Abend.
Was soll ich sagen? Das Kind kam trotzdem zu uns ins Bett, und zwar solange, bis ein Geschwisterchen geboren wurde, dessen nächtliche Versorgung anfangs zwar interessant war, dann aber wohl als störend für den eigenen Nachtschlaf empfunden wurde. Ab da wurde das eigene Gitterbett zur bevorzugten Kuschelzone.
Diese Liste ließe sich noch fortsetzen, aber ich denke, das Muster ist klargeworden.
Ungezählt sind auch die Tiraden darüber, dass die heutigen jungen Leute von nichts mehr eine Ahnung haben, was wirklich wichtig ist im Leben! Und natürlich auch die Predigten, was das denn ist, „das Wichtige im Leben“.
Überhaupt gibt es fast nichts, wofür sie keine Lösung parat hat, angefangen von den richtigen Erziehungsmethoden bis hin zur Arbeitlosenquote. Denn wenn die jungen Frauen zuhause bei ihren Kindern blieben, anstatt arbeiten zu gehen, hätten nicht nur die Männer genug Arbeit, sondern dann gäbe es auch keine Jugendkriminalität, denn dann würden die Kinder nicht sich selbst überlassen auf der Straße groß.
Außerdem wäre dann die ganze Diskussion über Krippenplätze und Kinderbetreuung überflüssig.
Auf meine Frage, wovon dann die Frauen im Alter leben sollen, bekomme ich für gewöhnlich keine vernünftige Antwort. Abgesehen davon erinnere ich sie auch manchmal, wenn der Schalk mich piekt, daran, wie sie mir früher in den Ohren gelegen hat, ich soll mir einen guten Beruf suchen, damit ich nicht später einmal von einem Mann abhängig bin …
Auch darauf antwortet sie eher ungehalten und undeutlich.
Was zur Zeit ein ganz besonderer Dorn in ihrem Fleisch ist, sind junge Frauen mit Familie, die man des öfteren in unserer Gegend beim morgendlichen Nordic Walking sieht. Ihr ist unverständlich, dass die sich nicht einfach mit ihrem Haushalt und ihren Kindern beschäftigen, wenn sie so viel freie Zeit haben.
Letztens habe ich sie damit überrascht, dass auch ich gelegentlich walke und dass es mir nicht nur Spaß macht, sondern auch gut tut. Das hat ihr glatt die Sprache verschlagen.
Was für eine angenehme Erfahrung...!

Impressum

Bildmaterialien: Cover:220909_R_K_B_by_S. Hofschlaeger_p
Tag der Veröffentlichung: 04.02.2012

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