Cover


Einen endlosen Moment lang schien die Welt still zu stehen, doch dann schlug der einsetzende Tumult über mir zusammen wie eine gigantische Woge.
Ich stand da wie gelähmt und starrte hinüber zu der Stelle, wo Niklas reglos im weiß überstäubten Sand lag. Nils an meiner Seite sagte etwas zu mir, doch ich hörte nichts. Alles in mir drängte mich, hinüber zu rennen, neben Niklas auf die Knie zu gehen, ihn anzufassen, mich zu vergewissern, dass er lebte … aber ich stand wie angewachsen an meinem Platz.
Stattdessen sah ich, wie meine Mutter sich unter dem Zaun hindurchbückte und rasch zu dem Liegenden rannte, um den sich bereits in den wenigen Augenblicken seit seinem Sturz eine Menge Leute geschart hatten. Mit ruhiger Autorität erteilte sie Anweisungen, und gleich darauf zückte einer der Umstehenden ein Handy und wählte – vermutlich den Notruf.
Jetzt erschien auch Niklas` Vater auf der Bildfläche, und meine Mutter hob den Kopf.
„Ist zufällig ein Arzt hier?“ rief sie, doch offensichtlich war das nicht der Fall.
Etwas berührte mich am Arm, und als ich mich umwandte, sah ich in Nils` Gesicht.
„Hey!“ sagte er beklommen. „Du musst weiteratmen! Arno, Du bist weiß wie ein Laken!“ Dabei stand in seinen Augen die gleiche Angst, die auch ich fühlte.
Mein Vater trat neben mich, und wir beobachteten gemeinsam, wie meine Mutter Niklas in die stabile Seitenlage brachte und ihn dann mit der Decke zudeckte, die einer der Umstehenden gebracht hatte.
Wo blieb denn nur der Rettungswagen?
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich endlich ein Martinshorn, leise und weit entfernt, welches sich aber rasch näherte. Und als dann endlich die Rettungsassistenten und der Notarzt im Laufschritt auf dem Reitplatz auftauchten ging plötzlich alles rasend schnell – zumindest schien es mir so.
Innerhalb kürzester Zeit lag Niklas auf einer Trage und war an eine Infusion angeschlossen. Noch während die Trage angehoben wurde, bewegte er sich jedoch auf einmal und öffnete blinzelnd die Augen. Im nächsten Augenblick machte er eine ruckartige Bewegung mit dem Oberkörper und gab alles von sich, was er im Magen hatte.
Die Helfer stellten die Trage wieder ab, und meine Mutter eilte an Niklas` Seite. Sie stützte ihn und hielt seinen Kopf, was gar nicht so einfach war, immerhin war er auf der Trage angeschnallt.
Nun ist es wahrlich kein schöner Anblick, wenn sich jemand die Seele aus dem Leib kübelt, trotzdem fühlte ich in dem Moment eine unglaubliche Erleichterung: Wer so kotzen konnte, war jedenfalls definitiv am Leben!
Als der erste Schwall draußen war, setzten sich die Sanitäter wieder in Bewegung, begleitet von meiner Mutter und natürlich auch Niklas` Eltern. Automatisch folgte ich dem kleinen Zug ebenfalls, und auch Nils blieb an meiner Seite.
Am Tor folgte ein kurzer Disput, und schließlich kletterte Niklas` Mutter mit in den Rettungswagen. Gleich darauf schlug dessen rückwärtige Tür zu, und das Gefährt setzte sich in Bewegung.
Ich starrte hinterher unfähig, wieder zurück zum Turnierplatz zu gehen. Alles in mir zog mich mit Gewalt zu Niklas. Ich wollte zu ihm, mich vergewissern, dass es ihm gut ging, dass ihm nichts Ernstes fehlte, und mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen bei der Vorstellung, was noch alles passieren konnte.
Meine Eltern hatten mich schon mehrmals angesprochen, doch nur langsam und allmählich sickerte diese Tatsache in mein Bewusstsein.
„Was?“ Ich drehte den Kopf, und mein Vater verzog das Gesicht. „Warum nicht gleich

?“ fragte er und schüttelte den Kopf, kassierte aber sofort einen Rippenstoß von meiner Mutter.
„Nun sei doch nicht so!“ meinte sie ein wenig ungehalten. „Du siehst doch, dass ihn das ziemlich mitgenommen hat.“ Etwas leiser, aber immer noch so laut, dass ich es verstand, auch wenn das sicher nicht beabsichtigt war, fügte sie hinzu: „Immerhin ist Nils noch nicht so lange tot! Hab´ doch mal ein bisschen Verständnis, ja? Er hat das doch alles noch gar nicht verdaut!“
Der besagte Nils stand derweil für sie unsichtbar neben mir und schwieg, warf mir nur einen ernsten Blick zu, und ich sah die Angst und die Sorge um Niklas die darin standen und meine eigenen Gefühle widerspiegelten.
„Sorry, Arno, aber ich kann nicht hier bleiben! Ich sehe nach, wie es Niklas geht, okay?“ meinte er, und ich nickte leicht. Er sollte ruhig gehen, da war mir wenigstens ein bisschen leichter ums Herz, denn so bestand doch zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass ich in absehbarer Zeit erfahren würde, wie es um Niklas stand. Nur Sekundenbruchteile später war Nils verschwunden, und ich atmete tief durch.
Mein Vater nickte gerade ergeben, nachdem meine Mutter, von mir unbeachtet, halblaut auf ihn eingeredet hatte. „Ja, Du hast ja recht! Schon gut!“ sagte er, und mit einem Blick zu mir: „Wie ist es, sollen wir zurück zum Turnier gehen?“
Ich glotzte ihn verständnislos an – das war mit Abstand das Letzte, was ich jetzt tun wollte! Wieder schaltete meine Mutter sich ein. „Oder möchtest Du lieber nach Hause?“
Das wollte ich genausowenig – es gab eigentlich nur einen Ort, wo ich gerade sein wollte: bei Niklas!
Ich schluckte, und mein Mund war trocken, als ich schließlich bat: „Können wir nicht ins Krankenhaus fahren? Ich möchte wissen, ob mit Niklas alles in Ordnung ist!“
Einen Augenblick schwiegen meine Eltern – vermutlich überrascht, denn ich kannte Niklas ja kaum, doch dann nickte meine Mutter und fasste meinen Vater am Arm.
„Klar, Arno. Komm`!“ Sie zog meinen Vater mit sich, und so saßen wir kurz darauf wieder in unserem Auto.
Während der Fahrt zur Klinik sah ich stumm aus dem Fenster, und mein Magen war ein harter, kalter Knoten. Die Angst um Niklas hatte wieder voll zugeschlagen.
Nur gut, dass meine Mutter wohl dachte, ich sei noch traumatisiert durch Nils` Tod und wollte deshalb ins Krankenhaus fahren. In meiner Verfassung war ich mir nicht sicher, ob ich mich bei irgendwelchen Nachfragen oder Diskussionen nicht verplappert hätte …
Meine Gedanken zogen unsinnige Bahnen.
Was würden meine Eltern wohl sagen, wenn sie wüssten, dass ich mich in einen Jungen verliebt hatte?
Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, dass sie ausflippten, dafür waren sie doch eigentlich viel zu liberal eingestellt, aber trotzdem war die Vorstellung, es ihnen zu gestehen unangenehm.
Als die Klinik in Sicht kam, schob ich diese Überlegungen beiseite und konnte es kaum erwarten, aus dem Auto zu steigen.
Das erwies sich als gar nicht so einfach, denn es war Sonntag, und offenbar hatte sich eine komplette Großstadt verschworen, ausgerechnet an diesem Nachmittag in Scharen das Krankenhaus heimzusuchen und sämtliche verfügbaren Parkplätze zu belegen!
Es dauerte fast zehn Minuten, bis wir auf dem am weitesten von den Gebäuden entfernten Parkdeck noch eine Lücke ausmachten, und erleichtert ließ mein Vater den Wagen hineinrollen.
Es war ein ziemliches Stück Weg vom Parkplatz bis zur Klinik, und ich machte große Schritte, denen meine Eltern kaum folgen konnten. In der Lobby angekommen, sah ich mich um und versuchte mich zu orientieren. Hier war ich noch nie vorher gewesen und hatte daher keine Ahnung, wohin ich mich wenden musste.
Wo kamen denn die Rettungswagen an?
Meine Mutter kam zu mir - ein wenig außer Puste - und deutete auf eine Art Schalter, der mitten in der riesigen Halle platziert war. Dort saßen zwei Männer, von denen einer gerade telefonierte, während der andere vor einem Computerbildschirm saß und etwas eintippte.
„Das ist die Information.“ sagte meine Mutter. „Lass´ uns da hingehen und nachfragen. Ich schätze zwar, dass Niklas noch in der Notaufnahme ist, aber da werden sie es genau wissen, wenn seine Daten schon im Computer sind.“
Zielstrebig steuerte sie den Tresen des Informationsschalters an, und als ich kurz nach ihr dort anlangte, hatte sie ihr Anliegen bereits vorgebracht, sodass der eine Pförtner bereits im Datennetz der Klinik nach Niklas suchte.
Einen Moment später hellte sich sein Gesicht auf, und er wandte sich an meine Mutter.
„Nach dem, was hier steht, ist er tatsächlich noch im Notfallbereich. Wollen Sie dorthin?“
Meine Mutter sah kurz zu mir, und dann nickten wir unisono, worauf der Pförtner die Hand ausstreckte und in eine Ecke der Eingangshalle wies.
„Nehmen Sie den Fahrstuhl 3 und fahren Sie runter ins Stockwerk -2. Wenn sie dann aus dem Treppenhaus kommen, gehen Sie rechts. Ab da ist es ausgeschildert.“
Wir bedankten uns und steuerten den Lift an, wobei ich mich suchend umsah, denn ich konnte meinen Vater nirgends entdecken.
„Wo ist Papa?“ wollte ich wissen, und meine Mutter antwortete ohne mich anzusehen. „Er wartet draußen auf uns. Er hat gemeint, wir müssten ja nicht alle hier reinstürmen, sonst bekäme Niklas und auch seine Mutter womöglich einen falschen Eindruck von uns, von wegen aufdringlich und so. Aber wenn Du mich fragst,“ sie grinste ein wenig, „dann hat nur seine Angst vor Ärzten wieder zugeschlagen.“
Nun war es an mir zu staunen. „Papa hat Angst vor Ärzten?“
Sie nickte. „Yupp. Und vor Krankenhäusern.“
„Seit wann denn das? Davon weiß ich ja gar nichts!“
Erneut grinste sie und erwiderte: „Ja, klar, das ist ihm ja auch furchtbar peinlich! Was glaubst Du denn, warum immer nur ich mit Dir zum Arzt gegangen bin, wenn was war? Aber immerhin haben wir uns so kennengelernt.“
„Was? Wie?“ Ich verstand nur Bahnhof.
„Naja,“ sie wedelte mit dem Arm, „er kam eines Tages zu uns in die Praxis, mit einer schwer entzündeten Wunde am Fuß. Wegen seiner Phobie hatte er den Arztbesuch immer wieder vor sich her geschoben, und nun stand er kurz vor einer Sepsis. Natürlich musste der Fuß aufgeschnitten werden. Als der Arzt dann ins Sprechzimmer kam, wo ich ihn schon vorbereitet hatte, schlotterte er vor Panik am ganzen Körper, und als er das Skalpell sah, wurde er glatt ohnmächtig!“ Sie gluckste leise. „Ich glaube, das war der Moment, wo ich mich in ihn verliebte.“
Ich sah sie von der Seite an und konnte kaum fassen, was ich da hörte. Mein Vater, der starke Held meiner Kindertage, war aus Angst vor einem Arzt ohnmächtig geworden!?
Aber wenn ich so darüber nachdachte, fielen mir jetzt im Rückblick doch hier und da gewisse Kleinigkeiten auf, bei denen ich mir nie etwas gedacht hatte, die die Geschichte meiner Mutter jedoch untermauerten.
Während dieser kurzen Unterhaltung waren wir in den Fahrstuhl gestiegen und abwärts gefahren. Mit einem misstönenden „Pläng!“ stoppte der Lift, und wir stiegen aus.
Kaum waren wir aus dem Treppenhaus heraus, fanden wir uns in einem fensterlosen, elend langen Gang wieder, dessen mintgrün gestrichene Betonwände nicht wirklich mit dem dunkelbraunen Kunststoffbelag auf dem Boden harmonierte und der von in die Decke eingelassenen und mit lamellenartigen Gittern abgedeckten Neonröhren erleuchtet wurde.
Wie uns der Pförtner gesagt hatte, wandten wir uns nach rechts und weit vorne, wo sich das Ende des Flurs abzeichnete, fiel ein Streifen Tageslicht durch eine breite Glasfront ein.
Das Krankenhaus war in einen Hang hinein gebaut, sodass man auf der einen Seite des Gebäudes ebenerdig in die Eingangshalle treten konnte, dann aber, zwei Stockwerke tiefer auf der anderen ebenfalls ebenerdig dasselbe wieder verlassen konnte.
Dort lag die Notaufnahme mit der Zufahrt für die Krankenwagen, wo tagtäglich unzählige Patienten durchgeschleust wurden. Sie wurden per Rettungswagen gebracht, oder kamen per eigenem Pkw, mussten notfallmäßig behandelt werden, oder hatten einen Termin in einer der zahlreichen Spezialsprechstunden, die dort ebenfalls angeboten wurden. Immerhin war es die größte Klinik im Landkreis, und selbst von weit her kamen Patienten, beispielsweise wegen einer Herzoperation. Das wusste sogar ich, denn manchmal redete meine Mutter davon, deren Chef auch recht oft Patienten an dieses Krankenhaus überwies.
Sie liebte ihre Arbeit eben und war mit Leib und Seele dabei. Und oft genug konnte sie erst abschalten, wenn sie sich Frust, Kummer und Stress von der Seele geredet hatte.
Als wir in der Notaufnahme ankamen, herrschte dort hektische Betriebsamkeit.
Ich war selber noch nie dort gewesen und sah mich um, in der Hoffnung Niklas oder wenigstens seine Mutter irgendwo zu sehen, doch das war zunächst vergebens.
Links hinter der hydraulischen Tür, durch die wir eintraten, lagen fünf weitere Türen, im Abstand von jeweils etwa zwei Metern, durchnummeriert und allesamt geschlossen. Auf der anderen Seite blickte man in einen offenen Wartebereich, wo eine Menge Leute saßen und mäßig interessiert aufsahen, als meine Mutter und ich hereinkamen. Ein ganzes Stück den Flur hinunter lag der Aufnahmeschalter, hinter dem gerade eine Schwester mit Papieren hantierte, während sie gleichzeitig telefonierte.
Meine Mutter steuerte sofort darauf zu und ließ sich auch von dem genervten Gesichtsausdruck der Schwester nicht abschrecken, sondern sprach sie an, sobald diese den Hörer aufgelegt hatte.
Während ich mit einem Ohr zuhörte, ließ ich den Blick weiter schweifen, noch immer in der blödsinnigen Hoffnung, ich hätte Niklas nur übersehen.
Ich sah ihn trotzdem nicht, dafür war plötzlich Nils an meiner Seite. Er bedeutete mir, ich solle mit ihm kommen, und ich ließ mich von ihm um die nächste Ecke dirigieren.
Dort waren wir allein, und so bestürmte ich ihn in der nächsten Sekunde mit Fragen: „Wo ist er? Geht’s ihm gut? Was sagen die Ärzte?“
Nils machte eine beschwichtigende Geste, und ich zwang mich still zu sein und ihm zuzuhören. Das Gespräch meiner Mutter mit der Schwester würde nicht ewig dauern, und dann hatte ich erst mal keine Gelegenheit mehr, meine Fragen zu stellen.
„Zu Frage eins: Er wird gerade geröntgt.“ antwortete Nils. „Zu zwei: es geht ihm ganz gut. Er hat anscheinend Glück gehabt und ist mit einer Gehirnerschütterung davongekommen. Der Helm hat Schlimmeres verhindert. Trotzdem machen sie eine Röntgenuntersuchung, um sicher zu gehen. Und die Ärzte möchten ihn gern eine Nacht lang hier behalten, um ihn zu überwachen. Wenn´s ihm morgen immer noch gut geht, kann er wieder nach Hause!“
Ich war so erleichtert, dass mir fast die Knie weich wurden. Es ging ihm gut – Gott sei Dank!
Doch da kam schon meine Mutter um die Ecke und hielt Ausschau nach mir.
„Arno? Ach, hier bist Du! Also, pass´ auf ...“ Was sie mir dann erzählte, deckte sich im Wesentlichen mit dem, was Nils mir bereits gesagt hatte, und als sie fertig war, schaute sie mich fragend an.
„Also? Was machen wir jetzt?“ wollte sie wissen. „Willst Du hier warten, oder sollen wir gehen?“
Ich senkte den Blick zu Boden und erwiderte leise: „Können wir noch warten? Ich möchte ihn unbedingt sehen und mich vergewissern, dass alles in Ordnung ist.“
Ich konnte spüren, wie mir dabei die Röte ins Gesicht schoss, aber wenn meine Mutter dieses Ansinnen für seltsam hielt, so zeigte sie es jedenfalls nicht.
Sie nickte vielmehr und wies auf den Wartebereich. „Dann sollten wir uns aber hinsetzen, meinst Du nicht? Es kann noch eine Weile dauern, bis er zurückkommt.“
Das war dann auch tatsächlich der Fall, denn eine knappe Stunde später saßen wir noch immer da. Nils war wieder verschwunden, und ich vermutete, dass er sich in Niklas` Nähe aufhielt. Ich beneidete ihn fast ein bisschen, immerhin konnte er bei ihm sein und ich nicht.
Draußen wurde es allmählich dunkel, meine Mutter hatte bereits per Handy meinen Vater informiert und ihn gebeten, in der klinikseigenen Cafeteria auf uns zu warten. Blieb nur zu hoffen, dass er seine Krankenhaus-Phobie soweit überwinden konnte, denn sonst würde das für ihn eine reichlich frostige Angelegenheit werden.
Aber eigentlich interessierte mich das in diesem Moment nicht die Bohne. Meine Gedanken waren bei Niklas, und je länger ich untätig herumsaß, desto wildere Kapriolen schlug meine Fantasie, sodass ich irgendwann aufstand und hin und her zu gehen begann, weil es mich nicht mehr auf meinem Sitz hielt. Im Geiste malte ich mir schon wieder die furchtbarsten Horrorszenarien aus und steigerte mich in eine irrationale Besorgnis hinein, die in keinem Verhältnis zu den gegebenen Tatsachen stand.
Meine Mutter dagegen saß entspannt da und blätterte sich durch den Stapel zerlesener Klatsch- und Tratschzeitungen, die man in so gut wie jedem Wartezimmer findet. Nur manchmal blinzelte sie zu mir hinüber, sagte aber nichts.
Jedesmal wenn die Hydrauliktür zum Gang sich öffnete, sah ich erwartungsvoll auf, nur um immer wieder enttäuscht zu werden.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, wurde ein Kliniksbett hereingeschoben und darin lag – noch reichlich blass um die Nase – Niklas!
Mein Herz machte einen Satz, und am liebsten wäre ich sofort zu ihm gestürzt. Aber ich beherrschte mich noch gerade eben, auch wenn meine Erleichterung bestimmt mehr als deutlich zu sehen war.
Ein Pfleger schob das Bett, Niklas` Mutter ging hinterdrein, und als Letzter folgte Nils. Er lächelte in meine Richtung und machte eine auffordernde Geste, ich sollte herüberkommen. Das Bett wurde ein Stück weiter unten im Flur abgestellt, und der Pfleger nahm einen großen, braunen Umschlag vom Fußende, bevor er in einem der Behandlungsräume verschwand.
Meine Beine wollten mir kaum gehorchen, als ich mich in Bewegung setzte, doch da schob sich schon meine Mutter an mir vorbei. Sie trat direkt an Niklas` Bett und lächelte.
„Hallo Niklas! Schön zu sehen, dass Dir anscheinend nichts Ernstes fehlt! Wie fühlst Du Dich denn?“
Er verzog das Gesicht und meinte: „Naja, es ging mir schon besser, aber ich schätze, ich habe echt Glück gehabt!“
Jetzt mischte sich auch seine Mutter ein und reichte meiner lächelnd die Hand.
„Sie haben sich doch nach dem Sturz um ihn gekümmert, nicht wahr? Vielen Dank!“
Inzwischen war ich auch angelangt und stand nun stumm und reichlich blöde da. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und der Blick, mit dem mich Niklas bedachte, war auch nicht dazu geeignet, meine Kommunikationsfähigkeiten aus der Reserve zu locken.
Er wirkte abschätzend, kühl, fast schon feindselig, und so sagte ich schließlich überhaupt nichts.
Unsere Mütter redeten dafür umso mehr, aber irgendwann schien ihnen einzufallen, dass wir auch noch da waren.
Frau Werner wandte sich plötzlich an mich und streckte auch mir die Hand hin.
„Ach, entschuldige bitte! Ich wollte nicht unhöflich sein, ich bin nur noch ein bisschen durcheinander! Du bist Arno, oder?“ Ich ergriff die dargebotene Rechte und nickte höflich. „Mein Mann hat mir schon von Dir erzählt! Das ist sehr nett von Dir, dass Du Dir solche Sorgen um Niklas machst! Aber Du kannst beruhigt sein, das Röntgen hat nichts Besorgniserregendes ergeben. Er hat wirklich nur eine Gehirnerschütterung.“ Sie lächelte und sah kurz zu ihrem Sohn.
„Da werden für ihn die Weihnachtsferien eben schon ein paar Tage früher anfangen!“
Ich bewegte meine Mundwinkel nach oben und hoffte, dass es passte und nicht zu künstlich wirkte. Noch immer spürte ich Niklas` bohrenden Blick, der mich lähmte und mir den Mund versiegelte.
„Magst Du auch Pferde?“ fragte seine Mutter da plötzlich und brachte mich damit völlig aus dem Konzept.
Was sollte ich auch darauf antworten? Bisher waren Pferde für mich einfach nur irgendwelche großen Tiere mit vier Beinen gewesen, die meistens auf Wiesen herumstanden und Gras kauten, mehr nicht. Ich zuckte also hilflos die Achseln und war meiner Mutter überaus dankbar, als sie mir beisprang.
„Ich glaube, Arno hatte noch keine Gelegenheit sich zu entscheiden, ob er Pferde mag oder nicht. Wir wohnen in der Stadt, und da hat er noch keinen Kontakt zu vielen Tieren gehabt. Das höchste der Gefühle ist in unserer Wohngegend mal ein Hund oder eine Katze, verstehen sie?“
Frau Werner lächelte und nickte verständnisvoll. Dann wandte sie sich wieder an mich.
„Also, wenn Du möchtest, komm´ doch in den Ferien ab und zu vorbei. Wer weiß, vielleicht machen wir ja doch noch einen Pferdenarren aus Dir!“
Nun – die Zossen konnten mir meinethalben gestohlen bleiben, aber das war ja fast so gut, wie ein Sechser im Lotto! Eine solche Einladung bedeutete, dass ich zukünftig keine Entschuldigung mehr zu suchen brauchte, wenn ich Niklas sehen wollte!
Fast wäre mir die untere Gesichtshälfte abgefallen, so breit war mein Grinsen, doch Niklas versetzte mir im nächsten Augenblick mit seiner Reaktion einen Dämpfer:
„Also, soweit es mich betrifft, braucht Arno nicht unbedingt zu kommen!“ sagte er mit finsterem Blick. Seine Mutter war schockiert und fuhr zu ihm herum.
„Niklas! Was ist denn los mit Dir? Warum bist Du so unhöflich? Und das, nachdem sich Arnos Mutter so um Dich gekümmert hat, nachdem Du gestürzt bist! Und nun haben sie sich sogar die Mühe gemacht hierher zu fahren, nur um zu sehen, wie es Dir geht!“
Er zuckte nur die Schultern, ohne hoch zu sehen, und ich fühlte mich bemüßigt zu erwidern: „Keine Sorge, Frau Werner, das ist schon in Ordnung! Wenn Niklas es nicht will, dann komme ich selbstverständlich nicht!“
Es tat weh, das zu sagen, aber hey? Es wäre ja auch zu schön gewesen, oder?
Doch Frau Werner schüttelte vehement den Kopf. „Ach was, das meint er doch gar nicht so! Nicht wahr, Niklas? Er hat nur einen ziemlichen Bums auf den Kopf gekriegt, das ist alles! Also lass´ Dich davon nicht beeindrucken und komm´ ruhig, hörst Du?“
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zu einem der Behandlungsräume, und der Pfleger von vorhin erschien im Türrahmen. Er wandte sich Niklas` Bett zu und erklärte, dass der Arzt Niklas jetzt noch einmal sehen wollte.
Das war dann unser Stichwort, und meine Mutter und ich verabschiedeten uns.
Nils, der die ganze Zeit schweigend daneben gestanden hatte, trottete hinter uns her, noch immer ungewöhnlich still. Doch eigentlich war mir das gerade sehr recht, zu sehr war ich noch damit beschäftigt, mir einen Reim auf Niklas` plötzliche Feindseligkeit zu machen.
Okay, uns als Freunde zu bezeichnen wäre nun wirklich übertrieben gewesen, aber musste er so tun, als wäre ich ein gesuchter Schwerverbrecher?
In der Eingangshalle trafen wir wieder mit meinem Vater zusammen, und gemeinsam machten wir uns auf den Heimweg. Natürlich wollte er auch wissen, wie es um Niklas stand, doch ich konnte mich nicht aufraffen, ihm erschöpfende Auskunft zu geben. Ich wollte nur noch nach Hause, in meinem Zimmer verschwinden und alles und jeden aussperren.
Abgesehen von Nils natürlich – wie sollte ich den auch bitte schön aussperren?
Er war in der Halle plötzlich verschwunden, und mir war klar, dass er vermutlich zuhause auf mich warten würde.
Aber ich täuschte mich.
Nachdem wir daheim angekommen waren, entfernte ich mich so bald wie möglich unter dem Vorwand, ich sei müde und stieg die Treppe hinauf zu meinem Zimmer, mich innerlich wappnend gegen die unweigerliche Quasselattacke von Nils.
Doch als ich tief durchatmend meine Tür aufdrückte, fand ich das Zimmer verlassen.
Nils war nicht da.
Seufzend warf ich mich aufs Bett, überzeugt dort mindestens für die nächsten fünfzig Jahre liegenbleiben zu wollen. Müde schloss ich die Augen, aber dann sah ich nur Niklas` finsteres Gesicht vor mir und riss sie wieder auf. Was hatte ich ihm denn bloß getan? Na gut, da war noch immer die Sache mit dem Kuss, die irgendwie zwischen uns stand, aber ich hatte eigentlich gedacht, das wäre abgehakt. Und abgesehen davon, so kalt und ablehnend wie am heutigen Tag war er mir gegenüber noch nie gewesen, außer damals, als er mit der Mistforke auf mich losgegangen war!
Ich kam zu keinem Ergebnis, und allmählich ging es mir doch auf die Nerven, dass Nils nicht da war.
Wo steckte er denn bloß?
Ich wälzte mich noch eine Weile auf meinem Bett herum, doch irgendwann schlief ich ein.


Als ich aufwachte, war es mitten in der Nacht. Mir war kalt, weil ich ohne Decke geschlafen hatte, und ich war desorientiert, denn normalerweise schlief ich durch bis zum Morgen.
Ganz automatisch wanderte mein Blick durch den Raum, in der Erwartung, Nils irgendwo zu sehen, doch diesmal war alles dunkel und still und – leer. Ich war allein.
Plötzlich hellwach setzte ich mich auf und rieb mir das Gesicht, während ich überlegte.
Wo konnte er sein? Niklas war im Krankenhaus, also war er bestimmt nicht bei ihm, oder? Andererseits …
Meine Blase drückte, und ich rappelte mich vom Bett hoch. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf meinen Radiowecker – halb drei.
Während ich ins Bad tappte, kam mir der Gedanke, dass Nils möglicherweise unten im Erdgeschoss war, und kaum war ich fertig, schlich ich leise die Treppe hinunter. Ich schaute in alle Räume, doch nirgends war eine Spur von ihm zu sehen.
Ich überlegte. Was konnte ich tun? Nun – genau genommen nichts. Außer Niklas wusste niemand von Nils´ geisterhafter Präsenz, und der war im Moment für mich unerreichbar. Also blieb mir wohl nichts anderes übrig, als wieder ins Bett zu gehen und abzuwarten, ob Nils am Morgen wieder da war.
Ich stapfte daher wieder nach oben, streifte meine Kleider aus und den Schlafanzug an, kroch unter meine Bettdecke und mummelte mich hinein.
Leider hatte ich es geschafft und mich so richtig wach gemacht, mit meinem treppauf-, treppablaufen. Dementsprechend lag ich nun schlaflos im Bett und wälzte mich grübelnd herum.
Niklas kam mir wieder in den Sinn und der kalte Tonfall, in dem er sich meine Besuche verbeten hatte. Vielleicht sollte ich seinem Willen entsprechen und ihn einfach nie wiedersehen?
Der Gedanke schmerzte, und ich krampfte die Finger ins Bettzeug. Wenn doch nur Nils hier wäre! Mit ihm hätte ich darüber reden können! So langsam wurde ich wütend auf ihn, dass er so einfach verschwunden war, ohne zu sagen wohin.
Das letzte Mal, als ich auf die Uhr schaute, war um kurz nach fünf Uhr früh. Danach döste ich tatsächlich noch einmal ein und als mein Wecker klingelte, fuhr ich aus dem Schlaf, als wäre neben mir eine Bombe hochgegangen. Ich fühlte mich, wie eine dieser Comicfiguren, die mit zerrauften Haaren und weit aufgerissenen Augen dasitzen, nachdem man sie hochgescheucht hat, und vermutlich sah ich auch genauso aus.
Kurze Zeit später torkelte ich einigermaßen wach die Treppe hinunter und setzte mich an den Frühstückstisch. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, irgendetwas stimmte nicht, und als ich den Löffel in mein Müsli tauchte, fiel mir auch ein was: Nils war noch immer nicht zurück!
Verdammt! Wo steckte der Typ?


Der Schultag rauschte an mir vorbei, wie eine Kakophonie an durcheinander geschmierten Tönen und Farben. In meinen Kopf herrschte Chaos. Meine Sorge um Nils und die Konfusion in die Niklas mich gestürzt hatte, mischten sich zu einem zähen Gedankenbrei, dem ich nicht entkommen konnte und der mich daran hinderte, mich auf den Unterricht zu konzentrieren.
Ich war froh, als die letzte Stunde endlich vorbei war, und kaum hatte es geläutet, stob ich aus dem Unterrichtsraum, um so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Nils war doch jetzt bestimmt wieder da?
Ich rannte die kurze Strecke bis zu meinem Zuhause, stürmte durch die Haustür, sah mich kurz um und rannte dann die Treppe hinauf in mein Zimmer.
Aber der Raum empfing mich so leer, wie ich ihn am Morgen verlassen hatte.
Einen Augenblick stand ich reglos da, dann schleuderte ich wütend meine Schultasche gegen die nächste Wand.
„Verdammte Scheiße! Nils! Wo bist Du?“
Ich bekam keine Antwort und ließ mich schwer auf mein Bett fallen.
War er etwa doch bei Niklas?
Einen kurzen Moment lang spürte ich einen Stich in der Brust und brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass es Eifersucht war, was sich da breit machte.
War sein ganzes Gerede über Freundschaft und so weiter doch nur hohles Geschwätz gewesen? Versuchte er es jetzt auszunutzen, dass Niklas nicht zur Schule ging und versuchte sich bei ihm einzuschmeicheln? Er war doch gestern auf dem Rückweg von der Notaufnahme die ganze Zeit so schweigsam gewesen. Hatte er sich da seinen Plan zurechtgelegt, um Niklas doch noch für sich zu gewinnen?
Auf der einen Seite war mir klar, dass ich mich gerade in vollkommen abstruse Vorstellungen hineinsteigerte, gleichzeitig kam ich jedoch nicht dagegen an, und meine Laune sank wie ein Stein dem absoluten Tiefpunkt entgegen.
Ich überlegte, was ich tun konnte. Ob Niklas schon wieder zuhause war?
Kurz entschlossen ging ich nach unten, entnahm dem Schreibtisch meines Vaters das Telefonbuch und blätterte es auf.
Tatsächlich fand ich einen Eintrag für einen „Pferdehof Werner“ in Bendorf und griff nach dem Telefon.
Nachdem ich gewählt hatte, klingelte es eine ganze Weile, und ich dachte schon, es sei niemand zuhause. Doch als ich gerade auflegen wollte, meldete sich eine Frauenstimme, die ein wenig barsch und abgehetzt klang.
„Werner!?“ Es war offenbar Niklas` Mutter.
„Ähm ... Hier ist Arno!“ Ich hatte mir gar keine Gedanken gemacht, was ich sagen sollte, darum stotterte ich jetzt ein wenig unbeholfen herum. „Ich wollte fragen … Niklas …. ich meine – ist er schon...?“
Sie verstand offenbar auch so, was ich wollte, denn sie unterbrach mich: „Du willst sicher wissen, ob Niklas schon aus dem Krankenhaus entlassen wurde, oder? Entschuldige, wenn ich ein bisschen kurz angebunden bin, aber um ehrlich zu sein, kommen wir gerade aus der Klinik. Wir haben ihn abgeholt, also – ja, er ist zuhause. Wenn Du möchtest, komm´ doch vorbei! Dann kann er Dir alles selbst erzählen, ja?“
Ich fühlte mich ein bisschen überfahren, trotzdem war ich natürlich auch froh, dass ihr diese Einladung so einfach von den Lippen gekommen war. Ich beeilte mich also, dankend zuzusagen und legte dann auf.
Keine halbe Stunde später saß ich im Bus und war auf dem Weg nach Bendorf.


Mit mächtigem Herzklopfen und weichen Knien läutete ich schließlich an der Tür des Werner´schen Wohnhauses, und kurz darauf wurde mir von Niklas` Vater geöffnet. Er lächelte, als er mich sah und schüttelte mir die Hand.
„Arno! Schön, Dich zu sehen! Geh´ nur nach oben, Du weißt ja, wo Niklas` Zimmer ist, nicht wahr? Und lass´ Dich nicht von seiner schlechten Laune runterziehen, hörst Du? Keine Ahnung, welche Laus ihm über die Leber gelaufen ist, aber ich hoffe, Dein Auftauchen vertreibt sie!“
Er lachte, und ich versuchte ein Lächeln, das allerdings ein wenig schief ausfiel. Niklas war schlecht gelaunt? Hieß das etwa, Nils war bei ihm und ging ihm auf die Nerven?
Etwas beklommen stieg ich die Treppe nach oben und stand dann unschlüssig vor der geschlossenen Tür zu Niklas` Zimmer. Das Herz schlug mir bis in die Kehle hinauf, als ich endlich mit zitternden Händen anklopfte.
Von drinnen kam ein knurriges „Ja?“, und nach einem letzten tiefen Atemholen trat ich ein.
Halb hatte ich ja erwartet, Nils dort drinnen vorzufinden, aber ich sah mich getäuscht, Niklas war allein.
Er lag auf seinem Bett, voll bekleidet und mit einem Buch in der Hand. Offenbar hatte er nicht mit mir gerechnet, denn als er mich erkannte, wurde sein Gesicht finster und mürrisch.
„Arno?“ fragte er unterkühlt. „Was machst Du denn hier? Habe ich gestern nicht klar und deutlich gesagt, Du brauchst nicht zu kommen?“
Verlegen blieb ich an der Tür stehen und ließ die Schultern hängen. „Naja, … ich wollte nur … ich meine ...“ stotterte ich. Dann jedoch gab ich mir einen Ruck und riss mich zusammen.
„Ist Nils bei Dir?“ fragte ich so fest wie möglich, und einen Moment lang schimmerte ein Riss in Niklas` unnahbarer Fassade. Doch sofort hatte er sich wieder in der Gewalt. „Nils? Nein, wieso? Ist der nicht bei Dir?“ fragte er und schüttelte dann schnaubend den Kopf.
„Nicht dass ich Bedarf an seiner Anwesenheit hätte, um Himmels willen! Reicht mir schon gerade, dass Du hier bist, da muss der andere Spinner nicht auch noch herkommen!“
Seine Ablehnung verletzte mich, und ich fragte mich erneut, was ich ihm getan hatte, dass er mich so behandelte.
„Soll das ein Witz sein?“ fragte er, und mir wurde plötzlich klar, dass ich die Frage laut gestellt hatte.
„Hast Du schon vergessen, was passiert ist, als Du das letzte Mal hier warst? Mein Bedarf an sowas ist vorläufig gedeckt!“
Verlegen sah ich zu ihm hinüber, während mir die Röte ins Gesicht stieg. Zu meinem Erstaunen hatte auch Niklas` Gesicht eine zart rosa Tönung angenommen.
War ihm die Angelegenheit also so unangenehm?
Ein unbehagliches Schweigen entstand, und mitten hinein schrillte die Türklingel. Wir hörten leise Stimmen und gleich darauf leichtfüßige Schritte, die die Treppe hinaufgeeilt kamen.
Es klopfte, und im nächsten Moment schlüpfte eine schlanke Mädchengestalt ins Zimmer.
„Na sag´ mal, Niki?“ wurde der im Bett Liegende fröhlich begrüßt, „Was treibst Du denn, wenn ich mal nicht in der Nähe bin?“
Die Besucherin trat ans Bett und setzte sich völlig selbstverständlich auf die Kante desselben. Dann erst schien sie mich zu bemerken und lächelte auch mir zu. „Oh, Du hast Besuch? Hallo, ich bin Anna!“
Sie streckte mir die Hand entgegen, und ich ergriff sie automatisch, während ich ihre Besitzerin musterte.
Blonde Locken ringelten sich um ein schmales Gesicht mit zarten Zügen, und ein paar blaue Augen blitzten mit den weißen Zähnen um die Wette, als sie meinen Händedruck erwiderte.
Früher wäre ich Hals über Kopf auf diesen Typ Mädchen abgefahren, aber jetzt regte sich ein ganz anderes Gefühl in meiner Brust, das ich noch nicht zu benennen wagte.
So vertraut wie sie sich gab, bedeutete das, dass sie und Niklas …?
Ich mochte den Gedanken gar nicht zu Ende denken. Und mitten hinein klang plötzlich noch Niklas` Stimme: „Kein Problem, Anna. Arno wollte sowieso gerade gehen!“
Er warf mir einen eisigen Blick zu, und was blieb mir da anderes übrig? Ich ließ den Kopf hängen, murmelte einen Gruß und ging zur Tür.
„Ciao, Arno!“ rief Anna mir noch gut gelaunt nach und dann hörte ich sie sagen: „So, jetzt lass´ Dich aber erst mal richtig begrüßen!“ Neugierig was das wohl heißen mochte, drehte ich mich in der Tür noch einmal um und sah, wie sie Niklas in ihre Arme zog und er diese Geste ebenso erwiderte.
Das hatte eine Wirkung auf mich, wie der sprichwörtliche, kalte Guss. So war das also!
Niklas und Anna waren zumindest sehr vertraut miteinander, wenn nicht mehr.
Plötzlich hob Niklas den Kopf, und unsere Blicke kreuzten sich.
Und darin stand auf einmal etwas völlig anderes, als noch kurz zuvor. Nicht mehr diese kalte Ablehnung, sondern etwas, was ich nicht einordnen konnte, seine Augen aber in seltsamem Glanz schimmern ließ, bevor er sich rasch wieder abwandte.
Ich eilte nach unten und stürmte aus der Haustür, froh darüber, keinem seiner Eltern mehr begegnet zu sein.
Alles in mir war in wildem Aufruhr und in meiner Brust krampfte sich das Herz zusammen, wenn ich an Niklas und Anna dachte und daran, was wohl jetzt geschah, wo sie allein miteinander waren!
Und was war das für ein Blick gewesen, den er mir da zugeworfen hatte? Ich hatte beinahe geglaubt, er würde jeden Moment anfangen zu weinen, aber das war doch Blödsinn, oder?
Tief in meine Grübeleien versunken langte ich wieder bei der Bushaltestelle an. Glücklicherweise kam schon bald ein Bus, mit dem ich zurück in die Stadt fahren konnte. So war ich keine zwei Stunden nach meinem Aufbruch schon wieder zuhause und verfluchte mich, dass ich überhaupt losgefahren war. Wäre ich daheim geblieben, hätte ich mir einiges erspart! Andererseits, so überlegte ich, hatte ich jetzt etwas erfahren, was mir vielleicht helfen konnte, über meine Gefühle hinweg zu kommen: Ich wusste jetzt, dass es ein Mädchen gab, Anna, und es sah ganz danach aus, als wären sie und Niklas mehr als nur gute Freunde. Es gab also keinen Grund anzunehmen, Niklas könnte sich irgendwann auf die gleiche Weise für mich interessieren, wie ich für ihn. Da ich das jetzt wusste, konnte ich gleich damit anfangen, ihn mir aus dem Kopf zu schlagen!
… Plötzlich stieg eine heiße Welle in meiner Brust auf, drängte sich in meine Kehle und dann in Form eines erstickten Schluchzers über meine Lippen. Alle Kraft wich aus meinem Körper, und ich sank auf mein Bett. Tränen strömten mir übers Gesicht, und ich rollte mich zusammen wie ein Embryo, als könnte ich mich so vor dem Sturm schützen, der über mich hinwegfegte.
So wie jetzt hatte ich nicht mehr geweint, seit ich zehn Jahre alt gewesen war, nicht einmal nach Nils` Tod.
Und irgendwie weinte ich um alles, was seit diesem furchtbaren Tag passiert war: Um den Tod meines besten Freundes, meine gefühlsmäßige Achterbahnfahrt, Nils Verschwinden, und nicht zuletzt die Tatsache, dass ich meine gerade erst mühsam halbwegs akzeptierten Gefühle für Niklas wohl begraben musste, bevor überhaupt irgendetwas gelaufen war, was sich zu begraben lohnte!
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich leergeweint hatte, und paradoxerweise fühlte ich mich danach irgendwie leichter, so als hätte jede einzelne Träne ein messbares Gewicht besessen. Anschließend drehte ich mich auf den Rücken, verschränkte die Arme unter dem Kopf und starrte an die Zimmerdecke. Ich ließ jede Begegnung mit Niklas vor meinem geistigen Auge Revue passieren, gerade so, als wäre ich versessen darauf, Salz in meine offenen Wunden zu streuen.
Was war ich doch für ein Waschlappen! Was hatte ich denn erwartet? Dass Niklas mir schmachtend zu Füßen sank, nur weil ich ihm bei der Auseinandersetzung gegen die drei Raufbolde beigestanden hatte? Und genau genommen war ich das ja gar nicht gewesen, sondern Nils!
Egal, wie man die Sache betrachtete: es war Blödsinn, sich was vorzumachen – Niklas wollte nichts mit mir zu tun haben, also sollte ich das besser akzeptieren. Irgendwann würde ich schon drüber wegkommen und mich dann hoffentlich beim nächsten Mal wieder in ein Mädchen verlieben, wie es sich gehörte!
Was mir dann noch blieb, war die Ungewissheit wegen Nils. Wo mochte er nur stecken? Das entsprach doch so gar nicht seiner Art, sang- und klanglos zu verschwinden, oder?
Aber wenn er nicht hier bei mir und auch nicht bei Niklas war, wo konnte er denn noch sein? Ich zermarterte mir das Hirn, kam aber auf keinen grünen Zweig und schlief schließlich ein.
Im Traum fand ich mich allein in einer düsteren Nebellandschaft. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, weil ich nicht mal den Boden erkennen konnte. Ich hatte keine Ahnung, was vor mir lag, oder neben mir, denn ich sah nichts, außer den weichen, weißen Schwaden, die sich mir kalt aufs Gesicht legten, einen feuchten Film auf meiner Kleidung hinterließen und sich in Form winziger Tröpfchen an meinen Wimpern und Augenbrauen niederschlugen, sodass ich sie dauernd mit den Händen wegwischen musste, um wenigstens das bisschen Sicht, das mir geblieben war nicht zu verlieren.
Ich hatte schreckliche Angst, dass sich vor mir plötzlich ein Abgrund öffnen und ich hineinstürzen könnte, weil ich ihn nicht bemerkte. Mein eigener Atem klang hektisch und laut, und mein Rücken war schweißfeucht. Die erhobenen Hände vor mir ausgestreckt tastete ich mich im Schneckentempo vorwärts und wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war.
Plötzlich hörte ich eine leise Stimme. Jemand rief meinen Namen. Ob die Stimme aber nur deshalb so leise war, weil sie vom Nebel gedämpft wurde, oder ob der Rufer weit entfernt war, vermochte ich nicht zu sagen.
Ich blieb stehen, drehte mich im Kreis und horchte angestrengt, von wo die Stimme zu mir drang.
Sie kam mir bekannt vor, ich überlegte, und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen – oder besser von den Ohren? - das war doch Nils, der da rief!
„Arno!“ Das kam von links, und ich wandte mich in die entsprechende Richtung.
„Arno!“ Diesmal schien es von rechts zu kommen, und ich machte kehrt. Ein drittes Mal erklang mein Name und schien von irgendwo hinter mir gerufen zu werden. Verwirrt blieb ich stehen.
„Nils? Wo bist Du, Mann?“ rief ich, aber es blieb still.
Ängstlich, aber entschlossen tappte ich in die Richtung, von wo ich ihn das letzte Mal hatte rufen hören, doch wie um mich am Fortkommen zu hindern, zogen sich die Nebelschwaden um mich zusammen, begannen mich zu umwirbeln und schon bald wusste ich nicht mehr, ob ich noch auf dem richtigen Weg war. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, Panik machte sich breit, ich schwankte wild nach allen Seiten, und schließlich fuhr ich mit einem Aufschrei in die Höhe.
Ich saß auf meinem Bett, vor dem Fenster war es dunkel geworden, und aus dem Erdgeschoss drang ein schrilles Klingeln an mein Ohr. Das Telefon!
Schlaftrunken rappelte ich mich auf, stolperte die Stufen hinunter und nahm den Hörer ab.
„Ja?“ Im nächsten Moment war ich so wach, wie man nur irgend sein konnte, denn es war Niklas!
„Arno? Bist Du das? Hier ist Niklas.“ Er klang nicht gerade so, als freue er sich, mit mir zu reden, und ich fragte mich schon, wieso in Gottes Namen er dann überhaupt anrief, aber dieses Rätsel wurde mit seinen nächsten Sätzen gelöst: „Meine Eltern wollen sich bei Euch für die Hilfe gestern bedanken. Sie möchten Euch für übermorgen Abend zum Essen einladen, wenn Ihr noch nichts anderes vorhabt.“
Er schwieg einen Moment, und auch ich wusste nichts Geistreiches beizusteuern. In meinem Kopf ging alles durcheinander, und schließlich sagte ich: „Das ist wirklich nicht nötig. Meine Mutter hätte das für jeden Anderen auch getan, also müsst Ihr Euch keine Umstände machen, wirklich nicht!“
Ich hörte, wie er am anderen Ende tief Atem holte, und dann erwiderte er: „Schon klar! Aber meine Eltern bestehen drauf! Ich könnte auch gut darauf verzichten, aber sie haben mir die Hölle heiß gemacht, weil Du heute so schnell wieder weg warst. Sie glauben, ich hätte Dich rausgeekelt. Jetzt meinen Sie, dieses Essen wäre eine gute Gelegenheit, unsere Missverständnisse auszuräumen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie möchten, dass Ihr übermorgen Abend gegen 19 Uhr kommt, natürlich nur, wenn Ihr Zeit habt?“ fügte er hoffnungsvoll hinzu, und ich machte mir keinerlei Illusionen über die Art der Hoffnung, die dahintersteckte. Er hoffte selbstverständlich, dass ich sagen würde, wir hätten keine Zeit, also beschloss ich, ihm den Gefallen zu tun. Ich wollte ihm meine Gegenwart nun wirklich nicht aufzwingen.
„Ähm, das tut mir leid. Sag´ Deinen Eltern doch bitte, dass es übermorgen nicht geht. Wir haben schon was anderes vor, sorry!“
Ich konnte seine Erleichterung förmlich durchs Telefon hören, und es versetzte mir einen neuerlichen Stich.
Ohne großes weiteres Geplänkel verabschiedeten wir uns, und ich legte auf. Anschließend stand ich noch eine Weile da, die Finger auf dem Telefonhörer und starrte ins Leere.
Das war vermutlich gerade das letzte Mal gewesen, dass ich mit Niklas gesprochen hatte...


Am nächsten Tag war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien, und Nils war noch immer nicht zurück. Nach dem Aufstehen fragte ich mich einen Augenblick lang allen Ernstes, ob ich mir vielleicht alles, was in den letzten Wochen geschehen war, einfach nur eingebildet hatte?
Der Unterricht endete am frühen Mittag, und als ich nach Hause kam, empfing mich meine Mutter mit einer merkwürdigen Miene. Ich kam nicht dazu, mich großartig zu fragen, warum sie so ein Gesicht machte, denn sie überfiel mich, kaum dass ich bei der Haustür drinnen war.
„Warum hast Du Niklas gesagt, wir hätten morgen Abend was vor?“
Ich war gerade dabei, mir die Schuhe auszuziehen und hielt mitten in der Bewegung inne. „Was?“
Etwas Besseres – oder Dümmeres? - fiel mir gerade nicht ein. „Woher weißt Du...?“ setzte ich an, verstummte dann aber. Das Blut war mir in den Kopf gestiegen, und die Hitze meines Gesichts ließ mich ahnen, dass ich gerade verdammt rot geworden war.
„Seine Mutter hat vorhin angerufen und es mir gesagt. Eigentlich wollte sie mit mir einen Alternativtermin für ein Abendessen ausmachen, weil wir ja morgen keine Zeit haben? Ich habe mich dann rausgeredet, von wegen, Du hättest da was verwechselt, und ich hoffe, sie hat es mir abgekauft. Das sind so nette Leute und ich dachte eigentlich, Du verstehst Dich gut mit Niklas? Du weißt doch ganz genau, dass wir nichts vorhaben! Wir haben doch neulich noch davon geredet, dass wir dieses Jahr alle zu Beginn Deiner Schulferien frei haben, weil Papa und ich Resturlaub nehmen müssen! Also wieso sagst Du dann sowas zu Niklas? Und das, nachdem Du Dich am Sonntag geradezu darum gerissen hast, ins Krankenhaus zu fahren und Dich zu vergewissern, dass es ihm gut geht?!“ Sie machte einen Schritt auf mich zu und legte mir die Hand auf den Arm.
„Arno, was ist los mit Dir? Du bist schon die ganze letzte Zeit so merkwürdig. Manchmal stehst Du regelrecht neben Dir! Ist es noch wegen Nils?“
Mit hängendem Kopf stand ich vor ihr, und plötzlich musste ich mit den Tränen kämpfen. Am liebsten hätte ich mich in ihren Arm geworfen und mir alles von der Seele geredet, aber im letzten Augenblick riss ich mich zusammen.
Wozu meiner Mutter so kurz vor Weihnachten einen Schock versetzen?
Es würde sowieso nie etwas daraus werden, und ich hoffte ja immer noch, dass es sich um eine Art vorübergehende Verirrung meinerseits gehandelt hatte, die bald wieder vorbei war.
Ich nickte also, sah ihr allerdings nicht in die Augen dabei und ließ mich von ihr umarmen.
„Ach, Junge!“ sagte sie und wuschelte mir durch die Haare, wie sie es früher immer gemacht hatte, wenn ich Trost suchte. „Das klingt jetzt vielleicht herzlos, aber glaub´ mir – es stimmt, wenn man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Nils war Dein bester Freund, deshalb darfst Du auch ruhig um ihn trauern! Du weißt, ich habe das neulich schon mal zu Dir gesagt: Friss nicht alles in Dich hinein! Es ist keine Schande um einen Freund zu weinen! Im Gegenteil! Deine Tränen sind wichtig, um das was passiert ist zu verarbeiten!
Und erst wenn Du es verarbeitet hast, kannst Du damit abschließen! Es wird Zeit, dass Du die Vergangenheit hinter Dir lässt! Das heißt ja nicht, dass Du Nils vergessen sollst – und das wirst Du auch nicht – aber wenn er hier wäre und Dich sehen könnte, würde er jetzt vermutlich das Gleiche sagen!“
Hätte ich mich nicht gerade so beschissen gefühlt, hätte ich vermutlich laut gelacht!
Bis vor zwei Tagen war Nils in meinem Leben noch höchst präsent gewesen, und ich bezweifelte, dass er solche Gedanken gehabt hatte …!
Trotzdem war ich meiner Mutter dankbar für ihren Trost und ihren Rat, der mir bewies, dass sie durchaus merkte, wie es mir ging. Das war ein gutes Gefühl, und so brachte ich tatsächlich ein schwaches Lächeln zustande, als ich ein weiteres Mal nickte und meinen Arm ebenfalls um ihre Schultern legte.
Sie drückte mich noch einmal an sich, dann schob sie mich ein Stück weg und sagte: „Was nun morgen Abend angeht – wir fahren selbstverständlich nach Bendorf, und Du kommst mit! Wir werden Werners auf keinen Fall vor den Kopf stoßen und hey? - Wenn Du Dich ein bisschen bemühst, könnte Dir der Abend sogar Spaß machen, glaubst Du nicht? Niklas und Du seid doch gleich alt! Ich bin sicher, Ihr werdet Euch gut unterhalten!“
Diesen Tonfall kannte ich, er bedeutete schlichtweg, dass sie eine unumstößliche Entscheidung getroffen hatte. Ich ergab mich also in mein Schicksal und nickte. „Ist ja schon gut!“ brummte ich, und sie lächelte.
„Hm. Wenn Du allerdings morgen Abend so ein Gesicht machst, ist es vielleicht doch besser, wir lassen Dich hier? Nicht, dass Du uns noch blamierst!“
Das war allerdings nicht ernst gemeint, soviel war mir klar, und ich verstand es auch mehr als Mahnung, mich nicht so miesepetrig zu präsentieren. Was blieb mir also übrig? Ich würde eben - wie Niklas es ausgedrückt hatte - gute Miene zum bösen Spiel machen müssen, irgendwie würde ich das schon hinkriegen. Es war ja nur ein Abend!


Als ich einen Tag später im Wagen meiner Eltern saß und wir uns Bendorf näherten, war ich mir da allerdings nicht mehr so sicher. Ich hatte mächtig Herzklopfen und ein heftiges Ziehen in der Magengegend, wenn ich daran dachte, dass ich gleich Niklas wiederbegegnen würde.
Verdammt! Ich hätte Kopfschmerzen vorschützen sollen, oder Maul-und-Klauen-Seuche, irgendwas halt, was mich auf jeden Fall daran hinderte das zu tun, was ich gerade tat – nämlich sehenden Auges in eine Katastrophe zu rennen!
Denn eine Katastrophe musste es werden, ganz sicher! Aber nun war ich auf dem Weg und es gab nichts mehr, was ich tun konnte, außer die Zähne zusammen zu beißen und darauf zu hoffen, dass der Abend schnell vorüber war.
Auf dem Reiterhof herrschte nur noch wenig Betrieb, als wir ausstiegen, fuhren gerade zwei Autos vom Hof, und aus den Ställen drangen nur wenige, gedämpfte Geräusche. Gerade als mein Vater den mitgebrachten Blumenstrauß und die Flasche Wein vom Rücksitz nahm, kam Herr Werner aus dem Stalltor. Er sah uns, kam auf uns zu und streckte als Erstes meiner Mutter lächelnd die Hand entgegen, danach begrüßte er meinen Vater und mich.
„Das ist aber schön, dass es doch noch geklappt hat! Bitte, kommen sie doch mit ins Haus! Ich gehe mich nur rasch duschen, und dann können wir sicher essen! Meine bessere Hälfte hat mich aus der Küche gescheucht, aber es riecht schon seit Stunden so gut, ich bin sicher, sie hat sich wieder selbst übertroffen! Sie genießt es immer, wenn sie mal Gelegenheit hat, sich am Herd auszutoben, denn sie kocht und backt leidenschaftlich gern. Nur hat sie leider selten Zeit dafür. Der Hof und ihre Arbeit, verstehen Sie?“
Unterdessen waren wir bei der Haustür angelangt, und Herr Werner zückte einen Schlüsselbund, schloss auf und geleitete uns nach drinnen.
Dort fand das Begrüßungsritual seine Fortsetzung, Niklas` Mutter tauchte aus der Küche auf, von wo es wirklich verdammt gut duftete, die Blumen und der Wein wurden überreicht und man tauschte Nettigkeiten aus. Währenddessen hielt ich verstohlen nach Niklas Ausschau, aber er ließ sich nicht blicken.
Schließlich wurden wir ins Wohnzimmer komplimentiert und gebeten, in der Sitzecke Platz zu nehmen. Gleich darauf verschwand Herr Werner noch einmal, nachdem er unsere Wünsche bezüglich Getränken erfragt hatte, und wir blieben allein zurück.
Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen, hinüber zu dem festliche gedeckten Esstisch und dem Weihnachtsbaum, der bereits geschmückt in einer Ecke des Raumes stand. Er war mit silbernen und weißen Kugeln, sowie Lametta und Silbersternen behangen, sodass er aus einiger Entfernung aussah, als wäre er mit Schnee überstäubt.
Bei uns zuhause wurde der Baum immer erst am Heiligen Abend geschmückt, und meine Eltern hatten eine deutliche Vorliebe für die Farben rot und gold. Trotzdem gefiel mir der Wernersche Baum, er wirkte schlicht und doch überaus feierlich und passte einfach perfekt in dieses rustikale Heim.
Ich war so vertieft in die Betrachtung des Baumes gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie Herr Werner mit den Getränken zurückgekehrt war. Erst als meine Mutter neben mir sich höflich bedankte, hob ich den Blick und starrte unvermutet direkt in Niklas` blaue Augen.
Er hielt mir mein Mineralwasser entgegen und wartete stumm, dass ich ihm das Glas abnahm, was ich auch umgehend tat. In seiner Miene konnte ich nicht lesen und beeilte mich, rasch woanders hin zu sehen.
Anschließend verließ er das Wohnzimmer wieder und ließ mich mit meinem Gedankenkarussell zurück.
Ich sah ihn erst wieder, als das Essen aufgetragen wurde, denn da legten er und sein Vater mit Hand an und schleppten Schüsseln mit Kartoffeln, Gemüse und Salat herein.
Bemüht, ihn nicht anzustarren tat ich es meinen Eltern gleich, stand auf und suchte mir einen Platz am Tisch, der hoffentlich möglichst weit von seinem entfernt lag. Doch da sah ich mich getäuscht, denn sein Vater neben mir sah plötzlich zu Niklas, stand noch einmal auf und meinte lächelnd zu seinem Sohn: „Weißt Du was? Setz´ Du Dich heute mal auf meinen Platz, hm? Dann sitzt Ihr Jungs doch wenigstens nebeneinander und könnt Euch unterhalten, wenn Euch das Geschwätz der Erwachsenen auf den Wecker geht!“
Er meinte es zweifellos gut, das ließ schon allein sein aufmunternder Blick ahnen, den er mir zuwarf, aber ich schwitzte während der gesamten Mahlzeit Blut und Wasser. Niklas schwieg eisern, und ich mochte ihn auch nicht ansprechen.
Meine Mutter hatte keine solchen Hemmungen – wieso auch? - und fragte ihn bald über alles mögliche aus, angefangen über sein körperliches Befinden nach dem Sturz, über die Schule, Hobbies und sogar über seine Pläne für die Zukunft. Er antwortete stets höflich und lächelte sogar gelegentlich, was mein inneres Gleichgewicht noch mehr ins Wanken brachte. So dicht bei ihm zu sein, seine Hand nur Zentimeter von meiner entfernt auf dem Tisch, das diente nicht gerade dazu, mich zu entspannen.
Aber ich machte natürlich überhaupt nichts.
Niklas war sowieso schon wütend genug auf mich, und abgesehen davon, war es bestimmt keine gute Idee, zwei Tage vor Weihnachten im Hause Werner für einen Eklat zu sorgen!
Heimlich warf ich immer wieder kurze Blicke auf die Standuhr, die in der Ecke vor sich hin tickte und seufzte jedesmal innerlich, wenn sich der Zeiger wieder nur um Minuten weiterbewegt hatte, anstatt um die von mir gefühlten Stunden.
Das Essen war wirklich hervorragend, zumindest vermutete ich das, denn ich war viel zu nervös, um viel zu schmecken. Vermutlich hätte man mir gequirlten Froschlaich vorsetzen können, und ich hätte es nicht mal gemerkt. Den gab es allerdings nicht, dafür aber einen köstlichen Krustenbraten, dazu Kartoffeln, Gemüse in einer rahmigen Soße mit leichter Weinnote und einen roten Blattsalat mit fruchtiger Vinaigrette.
Meine Eltern und die von Niklas schienen sich wunderbar zu unterhalten, bald wurde die zweite Flasche Wein geöffnet, und als meine Mutter mit einem Seitenblick auf meinen Vater meinte, das sei aber mehr als genug, schließlich müssten wir noch mit dem Auto nach Hause fahren, winkte Herr Werner großzügig mit der Hand ab und lud uns alle Drei kurzerhand zum Übernachten ein.
„Das heißt, wenn Sie nichts Dringendes vorhaben, morgen früh?“
Meine Eltern sahen sich überrascht an, und mein Vater meinte zögernd: „Ach, das ist wirklich nicht nötig! Wir wollen Ihnen doch keine Umstände machen!“
„Aber woher!“ mischte sich nun Frau Werner ein. „Das sind doch keine Umstände! Ein Gästezimmer steht immer bereit, falls mal mit einem Pferd was ist und der Eigentümer über Nacht bleiben möchte, und Arno kann doch in Niklas´ Zimmer schlafen! Niklas hat eine aufblasbare Zusatzmatratze und auch einen Schlafsack, das ist also kein Problem! Ich leihe Ihnen Nachtwäsche, und Arno kann von Niklas einen Pyjama anziehen. Genug neue Zahnbürsten sind auch im Haus, also – was meinen Sie?“
„Also, ich weiß nicht …?“ Noch schien meine Mutter nicht ganz überzeugt, doch da spielte Herr Werner seinen letzten Trumpf aus: „Sie haben doch letztens erzählt, dass sie als Mädchen so gern geritten wären! Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen, sozusagen als Danke Schön für Ihre Hilfe für Niklas, gratis Reitstunden gebe? Sie könnten es gleich morgen früh mal ausprobieren, und wenn sie glauben, dem gewachsen zu sein, steigen Sie in meinen Anfängerkurs ein? Wie wär´s?“
Die Augen meiner Mutter begannen zu glänzen, und ich sah, wie sie mit sich kämpfte. Sie wechselte einen Blick mit meinem Vater und der nickte nur. Ich saß währenddessen da wie erstarrt, und aus dem Augenwinkel sah ich, dass es Niklas nicht besser zu gehen schien. Die Begeisterung war uns beiden vermutlich ins Gesicht geschrieben, aber leider merkte das niemand, und falls doch, dann störte sich jedenfalls keiner daran.
Ich sollte hier bei Werners übernachten? Noch dazu in einem Zimmer mit Niklas?
Allein schon bei der Vorstellung wurde mir ganz blümerant. Aber die Erwachsenen hatten schon entschieden, und es war abgemacht. Noch einmal wurde Wein nachgeschenkt, die Gespräche plätscherten dahin und spülten über mich hinweg, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt. Ich musste sofort hier raus, sonst würde ich verrückt.
Von Niklas neben mir strahlte eine solche Eiseskälte aus, dass ich glaubte, sie körperlich spüren zu können, und ich stand hastig auf, ließ mir von Frau Werner den Weg zur Toilette erklären und verließ fluchtartig den Raum.
Natürlich hatte ich nicht vor, zur Toilette zu gehen, sondern nur einen Vorwand gesucht, um unauffällig verschwinden zu können.
Gleich darauf hatte ich mir in der Diele meine Daunenjacke geschnappt und schlüpfte leise aus der Haustür ins Freie.
Es war eine frostklare Nacht. Am Himmel standen Milliarden Sterne und schimmerten, der Mond war nur eine schmale Sichel, weit im Westen, und mein Atem stand als dichte, weiße Wolke vor meinem Mund, als ich einen abgrundtiefen Seufzer ausstieß.
Ich steckte die Hände in die Taschen und ging die Treppe hinunter auf den Hof. Mittlerweile stand nur noch unser Auto und das der Werners da, der Scheinwerfer über dem Stalltor war erloschen, und auch in den Ställen war alles dunkel und still. Mit hängendem Kopf trat ich ans Hoftor und lehnte mich mit dem Rücken an einen der Pfosten.
Den Kopf in den Nacken legend sah ich nach oben und suchte mit den Augen das Wintersternbild, den Orion, und gerade als ich ihn gefunden hatte, zischte eine Sternschnuppe für Sekundenbruchteile über den Himmel, bevor sie wieder erlosch.
Ich schloss die Augen und wünschte mir … ja, was? Was sollte ich mir wünschen? Dass Niklas nicht mehr so kalt zu mir war? Das wir Freunde werden konnten, oder sogar...?
Oder vielleicht einfach, dass Nils wieder da wäre?
Nicht als Geist, sondern als atmender, lachender, fühlender Mensch?
Ich wusste es nicht, aber beim Gedanken an Nils stiegen mir plötzlich die Tränen in die Augen.
Verdammt noch eins! Seit Neuestem hatte ich aber mehr als nah am Wasser gebaut?!
Vielleicht hatte meine Mutter doch recht, und ich musste jetzt endlich anfangen, den Verlust meines besten Freundes zu verarbeiten? Dadurch, dass er die ganze Zeit für andere unsichtbar in meiner Nähe gewesen war, hatte ich gar nicht so recht trauern können, und nun, wo er plötzlich verschwunden war, begann ich erst zu realisieren, was sein Tod bedeutete.
Ein Scharren erklang, und ich fuhr herum. Jemand kam aus Richtung des Hauses zum Tor herüber, und ich wischte mir rasch übers Gesicht. Das fehlte noch, dass meine Mutter mich jetzt hier heulend vorfand!
Ich hatte angenommen, dass sie es sein würde, denn für gewöhnlich hatte sie sehr feine Antennen dafür, wenn etwas nicht stimmte, doch als ich mich jetzt von dem Pfosten abstieß und mich umdrehte, war es Niklas` Umriss, der sich aus der Dunkelheit schälte.
Ich blieb überrascht stehen und wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte, doch er kam mir zuvor.
„Hier bist Du also!“ meinte er, klang zwar ernst, aber nicht mehr so kalt wie zwei Tage zuvor. „Meine Mutter meint, ich sollte mit Dir zusammen schon mal Dein Nachtlager einrichten. Als ich Dich im Haus nicht gefunden habe, ist mir aufgefallen, dass Deine Jacke fehlt, also dachte ich mir, Du bist vielleicht hier draußen irgendwo.“
fügte er als Erklärung an und schob ebenfalls seine Hände in die Taschen seines Anoraks.
Ich nickte und murmelte meine Zustimmung. Als er sich wortlos umwandte, um zurück ins Haus zu gehen, schob ich ein „Tut mir leid!“ nach, und er drehte sich überrascht um.
„Was tut Dir leid?“ Ich konnte sein Gesicht im Finstern nicht richtig erkennen, und darum wusste ich nicht, ob er sauer war, denn an seiner Stimme war es nicht auszumachen, also hob ich die Schultern und meinte leise: „Alles, glaub´ ich.“
Darauf blieb es eine Weile still. Irgendwo bellte ein Hund, und aus dem Stall drang ein gedämpftes Poltern.
Schließlich ergriff er wieder das Wort: „Lass´ uns ein Stück spazieren gehen, okay?“
Ohne eine Antwort abzuwarten trat er auf die Straße und marschierte los. Nach ein paar Metern blieb er stehen und sah zurück. „Was ist? Kommst Du?“
Mit gemischten Gefühlen folgte ich ihm, und er wartete, bis ich gleichauf mit ihm war. Beklommen wartete ich ab, ob und was er sagen würde, war gefasst auf Vorwürfe, doch stattdessen schwieg er einfach nur.
Der Boden unter unseren Füßen war hart gefroren, und weil wir auf dem Feldweg unterwegs waren, der nach ungefähr hundert Metern aus dem Dorf heraus führte, war das einzige Geräusch das Knirschen der gefrorenen Grashalme unter unseren Sohlen.
Als die letzten Häuser längst hinter uns in der Dunkelheit zurückgeblieben waren, fragte Niklas plötzlich: „Ist Nils eigentlich wieder aufgetaucht?“
Nun war es an mir, überrascht zu sein. „Nein. Keine Ahnung, wo er steckt. Aber manchmal fange ich an, mich zu fragen, ob ich mir das nicht nur eingebildet habe, das mit Nils als Geist, meine ich. Vielleicht bin ich – keine Ahnung – geisteskrank, oder sowas?“
Das sollte ein Scherz sein, doch er gab völlig ernst zurück: „Wenn Du geisteskrank bist, dann bin ich es wohl auch? Immerhin habe ich Nils auch gesehen und mit ihm gesprochen, und mir wäre neu, dass Geisteskrankheit ansteckend ist!“
Wieder schwiegen wir lange Minuten.
„Kann ich Dich was fragen?“ kam es auf einmal leise aus der Dunkelheit, und ich sah erstaunt zur Seite.
„Ja, klar. Was denn?“ erwiderte ich, erfreut über seine plötzliche Zugänglichkeit.
„Naja, Du weißt doch noch, an dem Tag, als ich Dich wegen Nils hergeholt habe?“
„Hmhm.“ Ich nickte.
„Da hat Nils doch Deinen Körper benutzt, um mich ...“ er brach ab, und mir schoss die Verlegenheitsröte ins Gesicht.
„Ja, ich weiß.“ nuschelte ich.
Neuerliches Schweigen folgte, aber ich spürte, dass Niklas mit seiner nächsten Frage kämpfte, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was jetzt kam. Endlich gab er sich einen Ruck und blieb stehen.
„Wie war das eigentlich für Dich? Dieser Kuss, meine ich?“
Täuschte ich mich, oder war sein Gesicht im schwachen Sternenlicht dunkler als vorher?
Ich kratzte mich am Kopf. Was sollte ich jetzt darauf antworten?
„Warum willst Du das wissen?“ konterte ich stattdessen mit einer Gegenfrage.
Ich sah, dass er mit gesenktem Blick die Achseln hob.
„Ich wüsste es eben gern.“
Ich atmete tief ein und aus und sah zurück Richtung Bendorf, als könnten mir die hell erleuchteten Fenster der Häuser sagen, was ich antworten sollte. Wieso fragte er mich das jetzt überhaupt? Was spielte es für ihn für eine Rolle, was ich bei diesem Kuss empfunden hatte?
„Naja, ...“ begann ich zögernd, „zuerst war ich wohl viel zu überrascht um irgendwas zu fühlen. Dann, … ich weiß nicht...“ Ich mochte mich nicht festlegen, nicht jetzt, hier und in Niklas´ Gegenwart.
„Als ich in der sechsten Klasse war,“ sagte Niklas plötzlich, „da haben sich so ein paar Blödmänner einen Spaß draus gemacht, mich als Schwuchtel zu hänseln.“ Er stockte, und ich merkte, dass es ihm schwerfiel, darüber zu reden. Daher schwieg ich und hütete mich, ihm zu verraten, dass ich die Geschichte, die jetzt vermutlich kam schon kannte.
„Eines Tages haben sie mich in der Schultoilette nackt ausgezogen und gefilmt. Es hat einen ziemlichen Skandal gegeben, und ich bin danach auf eine andere Schule gekommen. Ich erzähle Dir das, damit Du meine Reaktion an diesem Tag mit Nils verstehst! Außer mit meinen Eltern habe ich noch mit niemandem darüber geredet – abgesehen von Anna und jetzt Dir.“
Anna! Da war sie wieder.
Einen trügerischen Moment lang hatte ich sein Vertrauen genossen, und das Herz war mir aufgegangen, angesichts dieses Gefühls, doch prompt landete ich wieder sehr unsanft in der Realität.
„Ihr steht Euch wohl sehr nah? Du und Anna?“ hörte ich mich fragen, in einem lahmen Versuch, etwas mehr über das Verhältnis der Beiden zueinander heraus zu finden.
„Naja,“ er zuckte die Achseln, „wir kennen uns eben schon sehr lange. Sie reitet genauso gern wie ich und hat ein Pferd bei uns stehen. Wir sind uns wohl sehr ähnlich, jedenfalls kann ich mit ihr über alles reden, viel besser als mit sonst wem.“
Jedes Wort war ein Dolchstoß in mein waidwundes Herz, und schließlich konnte ich mich nicht mehr beherrschen.
„Seid Ihr zusammen?“ platzte ich heraus, und Niklas drehte in einer verwunderten Geste sein Gesicht in meine Richtung.
„Zusammen? Du meinst, ob wir …?“ Einen Moment stutzte er, dann schüttelte er vehement den Kopf.
„Ich und Anna? Nee, das ginge gar nicht! Ich glaube, das käme mir vor, als würde ich was mit meiner Schwester anfangen! Also, nein, wirklich nicht!“
Seine Entrüstung wirkte echt, und ich fühlte, wie mich Erleichterung durchströmte. Das machte mich mutig, und nun stellte ich meinerseits eine Frage: „Warum wolltest Du partout nicht, dass ich herkomme?“
Er antwortete nicht gleich, und als er es tat, war seine Stimme fast unhörbar.
„Weil …., weil ich ...“ wieder zögerte er, „Weil ich diesen verdammten Kuss nicht aus meinem Kopf kriege.“ stieß er schließlich hervor.
Er war wieder stehen geblieben und hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen. Ich war sprachlos.
Was war das? Er bekam den Kuss nicht aus dem Kopf? Bedeutete das etwa...?
Jetzt hör´ auf Dir was zusammen zu spinnen!

rief ich mich selbst zur Ordnung. Bei seiner Vorgeschichte war es nur normal, dass ihn die ganze Sache mehr als durcheinander brachte und es ihm schwer fiel, sie zu vergessen!
„Tut mir leid.“ murmelte ich, und er hob langsam den Kopf.
„Was tut Dir leid?“ wollte er wissen.
„Dass ich alles so kompliziert für Dich gemacht habe, schätze ich. Ich wollte Nils helfen, aber ich hatte ja keine Ahnung, wohin das führt! Hätte ich geahnt, dass ich ...“ Ups!
Hastig brach ich meinen Satz ab. Beinahe wäre mir etwas herausgerutscht, was besser niemals laut ausgesprochen wurde! Aber Niklas schien nichts gemerkt zu haben.
„Naja, das war ja nicht Deine Absicht, oder?" gab er zurück. "Ich meine, ich glaube nicht, dass Du mit dem Vorsatz hier raus gefahren bist, Nils Deinen Körper zu überlassen, damit er mich küsst!“
Seine Stimme klang seltsam, als er das sagte. Ich schaute zu ihm hinüber, doch das bisschen Helligkeit, das von den Sternen kam, reichte nicht aus, als dass ich sein Gesicht hätte deutlich erkennen können.
„Hey, alles okay?“
Er nickte, doch im nächsten Moment schniefte er und fuhr sich mit der Hand über die Augen.
„Scheiße!“ fluchte er unterdrückt, und ich erschrak.
Hatte ihn die ganze Geschichte so sehr mitgenommen? Ich fühlte mich schuldig, und gleichzeitig konnte ich mich kaum bremsen, Niklas in meine Arme zu ziehen um ihn zu trösten. Einzig der Gedanke, dass er das wohl kaum als tröstend empfinden und vermutlich dementsprechend reagieren würde, hielt mich davon ab.
„Was ist los? Kann ich was tun?“ fragte ich bedrückt.
Doch er schüttelte erneut den Kopf und machte eine abwehrende Handbewegung.
„Nein. Ist schon gut! Geht gleich wieder!“
Er rang um Fassung und meinte dann mit einem missglückten Lachen: „Jetzt wirke ich echt wie ´ne Schwuchtel, was? So wie ich hier rumheule!“
Ich antwortete lange nicht, und als er es merkte und mich fragend ansah, ging es endgültig mit mir durch.
„Weißt Du, Nils hat neulich zu mir gesagt, dass er auch immer Angst hatte, jemand könnte ihn für ´ne Schwuchtel halten. Er hat seine Gefühle für Dich verheimlicht und erst nach seinem Tod begriffen, dass es nun zu spät war.“ Ich machte eine Pause und sah Niklas ernst ins umschattete Gesicht, bevor ich weiterredete.
„Ich kann ihn verstehen. Dass er Angst gehabt hat, meine ich. Ich hab´ auch Angst, eine Scheißangst sogar! Seit Nils mich in diese ganze Sache reingezogen hat, hab´ ich mich verändert. So sehr verändert, dass ich manchmal morgens in den Spiegel sehe und nicht mehr sicher weiß, ob ich das bin! Aber ich will definitiv nicht eines Tages aufwachen und feststellen, dass ich aus Feigheit etwas verloren habe, was wunderschön hätte sein können!“
Ich lief zusammen mit meinem Mundwerk auf Autopilot, und plötzlich war es mir scheißegal, ob ich mich hier um Kopf und Kragen redete, oder nicht! Es musste endlich raus aus mir!
„Du sagst, Du kriegst den Kuss nicht mehr aus Deinem Kopf! Es tut mir leid, wenn Dich das so verstört hat! Es tut mir auch wahnsinnig leid, was diese bescheuerten Typen in Deiner alten Schule mit Dir gemacht haben! Aber ich kann diesen Kuss auch nicht vergessen! Ich würde es gern, das kannst Du mir glauben, denn ich sehe ja, wie sehr Dich das belastet, aber gleichzeitig möchte ich es auch nicht, denn dieser Kuss war das Schönste, was ich je erlebt habe! Du wolltest wissen, wie ich es empfunden habe – jetzt weißt Du es. Und jetzt kannst Du mich meinetwegen anschreien, schlagen oder zum Teufel jagen. Ich habe es Dir jedenfalls gesagt und das macht mich glücklich, egal was jetzt passiert!“
Ein wenig atemlos verstummte ich und drehte ihm den Rücken zu. Ich fühlte mich ein bisschen, als wäre ich ein Ballon, dem gerade die Luft ausgegangen war und wollte nicht sehen, wie er auf mein Geständnis reagierte.
Vermutlich würde er ohnehin gleich kehrtmachen und abhauen. Der Gedanke tat schon weh, aber gleichzeitig war ich froh, ihm gesagt zu haben, wie es um mich stand.
Ich horchte auf seine Schritte, die sich bestimmt gleich von mir entfernen würden, doch alles blieb still.
So still, dass ich mich umdrehte, in der Erwartung, Niklas hätte sich in Luft aufgelöst.
Aber er stand noch an der gleichen Stelle wie vorher, mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf.
„Du fandest den Kuss schön?“ wisperte er leise, und ich bejahte.
„Und Du?“ wagte ich zu fragen.
Er hob ein weiteres Mal die Schultern. „Weiß nicht.“ erwiderte er.
Niklas wirkte überhaupt nicht so, als würde er gleich weglaufen, und ich schöpfte ein klitzekleines bisschen Hoffnung. Zögernd machte ich einen Schritt auf ihn zu und registrierte mit jagendem Puls, dass er nicht zurückwich. Innerlich zitterte ich wie Espenlaub, und mein Mund war so trocken, dass ich die nächste Frage kaum herausbrachte: „Willst Du es vielleicht nochmal probieren? Nur um Dich zu entscheiden, wie Du es findest?“
Er schaute zu mir hoch, und in seinen Augen brach sich das Licht der Sterne. Er sagte nichts, blieb aber stehen, und ich machte noch einen Schritt nach vorn. Jetzt standen wir so dicht zusammen, dass ich den Kopf etwas senken musste, um ihn anzusehen, denn er war ein wenig kleiner als ich.
Und plötzlich machte er etwas, womit ich nie im Leben gerechnet hätte: er schloss die Augen.
Mein Herz schien einen Schlag zu überspringen und jagte dann in gestrecktem Galopp, als gelte es einen Marathon zu gewinnen. Ich schluckte und gleich darauf machte ich auch die Augen zu, beugte mich noch ein bisschen weiter nach vorn und küsste ihn.
Es war vermutlich der unschuldigste Kuss, der jemals irgendwo auf der Welt getauscht wurde. Nur kurz berührten sich unsere geschlossenen Lippen und doch durchzuckte es mich, wie ein Stromschlag. Unsere Gesichter fuhren auseinander, wir öffneten die Augen, und ich konnte ihm ansehen, wie er mit sich kämpfte. Im nächsten Moment wurden wir aber wieder zueinander gezogen, als wäre Magnetismus im Spiel. Unsere Lippen trafen sich wieder und diesmal wollten wir beide mehr.
Keine Ahnung, wer als Erster den Mund öffnete und die Zunge ins Spiel brachte, aber das spielte auch keine Rolle, denn nur Augenblicke später standen wir engumschlungen auf dem nächtlichen, eiskalten Feldweg und küssten uns völlig selbstvergessen. Immer wieder lösten wir uns kurz voneinander, sahen uns beinahe ungläubig an und küssten uns dann erneut.
Endlich, nach einer Zeitspanne, die gleichzeitig eine Ewigkeit und ein Augenblick zu sein schien, trennten wir uns, und ich zog Niklas in meine Arme.
„Und?“ fragte ich leise. „Wie fandest Du es?“
Er schob sich ein Stück von mir weg und sah zur Seite. „Ja, ist ganz okay, glaub´ ich.“
Es war seiner Stimme anzuhören, dass es ihm peinlich war. Wenn ich jetzt etwas Falsches sagte, konnte ich alles kaputtmachen, soviel verstand ich.
„Also, ich fand es mehr als okay.“ sagte ich leise. „Ich fand es schön, wunderschön!“
Er sah mich an, und in seinen Augen glomm Misstrauen. „Meinst Du das ernst?“
Ich nickte, und er entspannte sich ein wenig.
„Ich fand es auch schön.“ gab er zu, und ich konnte nicht verhindern, dass sich ein breites Grinsen auf meine Züge legte. Am liebsten hätte ich ihn erneut in meine Arme gezogen und abgeküsst, aber mir war klar, dass ich ihn nicht bedrängen durfte.
„Hör zu, Arno!“ begann er. „Ich brauch´ Zeit! Ich kann das jetzt nicht so einfach entscheiden, verstehst Du? Ich glaube, ich empfinde sehr viel für Dich, auf jeden Fall ist das mehr als Freundschaft, aber ich kann mich nicht so einfach drauf einlassen. Ich meine, wir kennen uns kaum, und ich hab immer noch nicht so richtig kapiert, was da gerade mit mir passiert. Ich ...“
Er suchte nach Worten, und ich legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.
„Ist schon okay, Niklas! Ich versteh´ Dich gut! Wir brauchen nichts zu überstürzen, Du hast alle Zeit der Welt, in Ordnung?“
Ein wenig hilflos sah er mich an und nickte dann erleichtert. Anschließend sah er zum Dorf zurück und meinte: „Ich schätze, wir sollten mal so langsam zurückgehen, bevor unsere Eltern noch einen Suchtrupp losschicken, meinst Du nicht?“
Ich pflichtete ihm bei, und so nahmen wir den Rückweg wieder unter die Füße. Es war immer noch lausig kalt, aber irgendwie spürte ich das überhaupt nicht mehr. Mir war wohlig warm und ich schwelgte in der Erinnerung an das, was eben passiert war. Irgendwann fühlte ich, wie Niklas` Finger meine Hand streiften. Sie waren genauso warm wie meine und als sie sich ineinander verflochten dachte ich, ich müsste platzen vor Glück.
Als wir in die Nähe der Häuser kamen, ließen wir einander los, was für einen Moment ein Gefühl des Verlusts in meiner Brust wachrief. Doch nur kurz, denn bevor wir in den Lichtschein der ersten Straßenlampe eintauchten, blieb Niklas stehen, drängte sich an mich und drückte noch einmal kurz seinen Mund auf meine Lippen.
Gleich darauf wich er mit rotem Kopf wieder zurück und eilte dann weiter Richtung Reiterhof.


Wir schliefen beide nicht sehr viel in dieser Nacht. Niklas lag in seinem Bett und ich auf dem Fußboden davor, auf der aufblasbaren Matratze und in einem warmen Schlafsack. Wir redeten viel, und irgendwann rutschte Niklas bäuchlings an die Bettkante. Er streckte die Hand in meine Richtung, und mit klopfendem Herzen hielt ich sie fest, überzeugt davon, niemals wieder einschlafen zu können.
Irgendwann musste ich aber doch eingeschlafen sein, denn plötzlich fand ich mich wieder in meinem Nebeltraum von vor zwei Tagen.
Nils` Stimme rief meinen Namen, und ich tastete mich unsicher voran, genau wie beim letzten Mal. Wie beim ersten Mal begann der Nebel sich zu verdichten und zu wirbeln, doch gerade als ich erneut am Rande einer Panik stand, lichteten sich die Schwaden auf einmal, und ich erkannte, wo ich mich befand.
Es war der Friedhof, auf dem Nils begraben lag, und sein Grabhügel war nicht weit entfernt.
Obwohl noch Sekunden zuvor dichter Nebel geherrscht hatte, stand ich jetzt im strahlenden Sonnenschein, der sich in Myriaden funkelnder Eiskristalle brach, welche der Frost auf jede Oberfläche gezaubert hatte.
Ich sah mich um und da stand er – Nils!
Ich eilte auf ihn zu, und als ich bei ihm angelangt war, legte ich erleichtert die Arme um ihn. Er erwiderte die Geste und grinste dabei, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ihn etwas bedrückte.
„Wo bist Du gewesen? Ich hab´ mir solche Sorgen um Dich gemacht! Du kannst Doch nicht einfach so verschwinden, ohne ein Wort!“ sprudelte ich hervor, und er zog sich ein Stückchen zurück.
„Naja,“ er fuhr sich durchs Haar, was irgendwie merkwürdig aussah, dann schob er die Hände in die Taschen seiner Jeans, „so wie´s aussieht, habe ich meine Aufgabe erfüllt. Nicht unbedingt mit Glanz und Gloria, aber immerhin. Ich werde also jetzt weitergehen, Arno!“
Ich konnte nicht sofort einordnen, was er damit meinte und starrte ihn zunächst reichlich blöde an. Dann jedoch sickerte die Bedeutung dessen, was er gesagt hatte in mein Bewusstsein, und ich war geschockt.
„Jetzt schon? Das … das … das kann nicht sein! Ich meine, ich bin doch … wir sind doch noch nicht … !“
Ich spürte, wie mir die Tränen kamen. „Geh´ noch nicht, Nils, bitte! Wir sind doch Freunde! Lass´ mich nicht allein!“
Jetzt weinte ich richtig, die Tränen schienen mir förmlich aus den Augen zu schießen, meine Nase lief, und das Schluchzen schüttelte mich, wie der Sturm einen alten Baum schüttelt.
„Es tut mir leid, Arno, aber ich kann es nicht ändern! Meine Zeit ist um, und ehrlich gesagt, bin ich froh, dass mein Geisterdasein jetzt ein Ende hat! Nicht, weil es mir Spaß macht, Dir Schmerz zuzufügen, aber weil ich endlich dahin komme, wo ich jetzt hingehöre, verstehst Du? Ich bin auch nur noch hier, weil ich mich bei Dir bedanken will! Du bist echt ein wahrer Freund! Aber Du musst Dein Leben weiter leben und ich muss gehen!“
Er drückte mich an sich, wie er es zu Lebzeiten nie getan hatte.
„Und außerdem bist Du doch nicht allein, oder?“ fuhr er fort. Ich sah zu ihm hoch, und er grinste spitzbübisch übers ganze Gesicht. Das sah schon mehr nach Nils aus, und ich konnte nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern.
„Ja, da hast Du recht.“ schniefte ich, und in diesem Augenblich begann Nils sich von mir zu entfernen, als würde er von irgendwo angesaugt. Ich streckte die Hände nach ihm aus, konnte ihn aber nicht erreichen und das Verlustgefühl überfiel mich erneut mit ganzer Härte, ich weinte und wollte ihm folgen.
„Nils!“ hörte ich mich noch selbst rufen, und dann schreckte ich hoch, wusste nicht, wo ich war und ruderte wild und desorientiert mit den Armen, bis ich merkte, dass mich jemand hielt. Und nicht nur irgendjemand, nein, es war Niklas, der aus dem Bett geklettert war und die Arme um mich gelegt hatte.
Ich spürte Nässe auf meinen Wangen und begriff, dass ich nicht nur im Traum geweint hatte.
Langsam beruhigte ich mich, und dazu trug Niklas` Nähe nicht unerheblich bei.
Als mein Herzschlag wieder auf eine normalere Frequenz gesunken war fragte er: „Was war denn? Du hast plötzlich angefangen zu weinen und nach Nils gerufen! Hast Du schlecht geträumt?“
Ich brauchte noch einen Moment, um die Traumbilder zu sortieren, dann sah ich Niklas ins Gesicht und sagte: „Nils ist weg, und er kommt auch nicht wieder.“ Sein Blick wurde zweifelnd, also erzählte ich ihm, was ich geträumt hatte. Danach atmete er tief auf und schüttelte langsam den Kopf.
„Also, nimm´ mir das nicht übel, aber das ist echt typisch Nils. So ein dramatischer Abgang! Pff!“ sagte er. Dann wurde er nachdenklich und sein Blick ging ins Leere. "Aber gut, wenn er jetzt gehen kann, findest Du nicht?" Ich nickte und er reckte den Hals.
„Wie spät ist es denn eigentlich?“ fragte er, und wir schielten beide auf seinen Wecker. Der zeigte zwei Uhr früh an, und plötzlich wurde mir bewusst, dass wir beide auf meiner Matratze lagen, dicht aneinander geschmiegt.
Ihm schien der gleiche Gedanke gekommen zu sein, denn er wurde mit einem Mal rot und sah weg, machte aber keine Anstalten wieder in sein Bett zurückzukehren. Behutsam streckte ich die Hand aus, legte sie in seinen Nacken und zog ihn zu mir heran. Er widerstrebte nicht, und gleich darauf berührten sich unsere Lippen.
Er öffnete bereitwillig den Mund, und mir wurde schwindlig, als ich seine Zunge spürte.
„Weißt Du,“ flüsterte er in mein Ohr, als wir uns voneinander lösten und stattdessen in eine innige Umarmung fielen, „ich denke, Nils hat recht!“
„Womit?“ Ich hob das Gesicht und sah ihn fragend an.
„Na, damit dass Du nicht allein bist!“ Wieder wurde er rot, und ich drängte mich dichter an ihn.
„Du aber auch nicht!“ wisperte ich zurück, und wir blieben zusammen auf der Matratze liegen. Niklas zerrte seine Bettdecke vom Bett und deckte uns beide damit zu, wobei ich ja auch noch im Schlafsack steckte. So aneinandergekuschelt schliefen wir wieder ein, dem nächsten Morgen entgegen.
Noch wussten wir nicht, was die Zukunft für uns bereithielt, aber was es auch war, irgendwie hatte ich das Gefühl, alles wäre möglich, solange wir zusammen waren...

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /