Mutterglück? Was verstehe ich darunter?
Rosarote Glückseligkeit? Das Schweben auf Wolke sieben? Das Verschließen meiner Augen vor der manchmal doch nicht so rosigen Realität?
Mitnichten....
Paradoxerweise sind die Momente, in denen ich am deutlichsten spüre, wie wichtig mir meine Kinder sind, wie sehr ich sie liebe, ausgerechnet die, wo sie mich an meine Grenzen bringen, egal ob körperlich, seelisch oder sonst wie.
Typisch ist zum Beispiel folgende Situation:
Es ist Spätnachmittag. Mein Sohn ist vor kurzem aus der Schule gekommen, seine Antworten auf meine Fragen nach seinem Schultag waren einsilbig.
Da klingelt das Telefon.
Als ich abhebe tönt die Stimme seiner Klassenlehrerin aus dem Hörer, die mir mitteilt, dass er bereits vor einer Woche eine schlechte Zensur bekommen hat, bis jetzt aber weder eine elterliche Unterschrift, noch eine Berichtigung vorgelegt hat.
Im ersten Moment bin ich geschockt, traurig, ärgerlich, frustriert, enttäuscht....
Ein Wirrwarr an Gefühlen erfüllt mich und ich weiß zunächst gar nicht, was ich tun oder sagen soll und verstehe einfach nicht, warum er mir nicht so viel Vertrauen entgegenbringen kann, dass er so etwas erzählt.
Ich stelle ihn zur Rede, und er steht vor mir, wie das berühmte Häuflein Unglück, beschämt, verlegen, die Tränen laufen ihm übers Gesicht.
Und dann erinnere ich mich plötzlich wieder an den Tag, als mich meine Gynäkologin anrief, um mir mitzuteilen, dass meine Blutwerte nicht in Ordnung waren und sie mich bereits am nächsten Tag für eine Fruchtwasserpunktion in der Klinik angemeldet hatte, weil der Verdacht auf Trisomie 21 bestehe, auch als Down-Syndrom oder im Volksmund als „Mongolismus“ bekannt.
Das war nachmittags um 16.30 Uhr und um 8.30 Uhr am nächsten Morgen, nach einer unruhigen Nacht, saß ich in der Beratungsstelle, um zusammen mit meinem Mann das obligatorische Aufklärungs- und Empfehlungsgespräch über mich ergehen zu lassen.
Als ich etwa zwei Stunden später auf der Behandlungsliege Platz nahm und mit sterilen Tüchern abgedeckt wurde, begrüßte mich der punktierende Arzt mit Mundschutz, sodass ich nicht einmal sein Gesicht sehen konnte und mit der Frage, ob ich denn auch bereit sei, im Falle eines „schlechten“ Ergebnisses eine Schwangerschaftsunterbrechung durchführen zu lassen. Seine Begründung dafür war schlicht und ergreifend: „Sonst brauchen wir das hier ja gar nicht zu machen.“
Mit anderen Worten – nachdem ich vor nicht einmal 24 Stunden aus dem hormongesteuerten Schwangerschafts-Glückstaumel ins Nichts gestürzt war, sollte ich nun eine Entscheidung über Leben und Tod für mein ungeborenes Kind treffen!...?
Natürlich war ich zunächst sprachlos.
Da der Arzt auf einer Antwort beharrte, wand ich mich irgendwie aus der Affäre.
Ich hatte mich ja selbst noch gar nicht sortiert, da aber meine Schwangerschaft bereits recht weit fortgeschritten war, blieb auch eigentlich keine Zeit mehr, um lange zu überlegen, oder mir Bedenkzeit auszubitten. Ein eventueller Schwangerschaftsabbruch ist ja nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt legal.
Außerdem wollte ich ja nichts mehr, als die Garantie, dass meinem Kind nichts fehlte...
Aber eigentlich mochte ich an so etwas gar nicht denken.
Im Kinderzimmer stand die Wickelkommode bereit, in ihren Fächern lagen schon die Erstlingsgarnituren, und die große Schwester war auch schon ganz aufgeregt, von Omas, Opas usw. gar nicht zu reden.
Nach dem Eingriff dauerte es noch einmal 14 Tage, bis das Ergebnis feststand: ein gesunder Junge.
In diesen zwei Wochen gab es so manche Tränen, lange Gespräche und viel Angst.
Wir waren einer Entscheidung keinen Schritt näher, als der erlösende Anruf kam.
Doch auch die weitere Schwangerschaft verlief nicht komplikationslos. Ich bekam einen Schwangerschaftsdiabetes, das Kind wuchs mehr als normal und kam schließlich mit 62cm und knapp 4500g per Kaiserschnitt zur Welt.
Natürlich war der Moment, wo ich ihn das erste Mal sehen und halten konnte, einer der schönsten Momente meines Lebens, und oft genug, wenn er mich an den Rand der Weißglut bringt, muss ich wieder daran denken, wie ich dieses kleine Bündel Mensch zum ersten Mal nicht nur spüren, sondern auch betrachten und anfassen konnte.
Ich glaube, so gut wie jede Mutter wird das bestätigen, dass dieser Moment etwas Magisches an sich hat.
Man platzt fast vor Liebe zu diesem kleinen Geschöpf und verspricht ihm die Sterne vom Himmel, weil einem das Herz einfach überläuft.
Natürlich hält einen das nicht davon ab, sich über ganz alltägliche Dinge aufzuregen, wenn sie älter werden und aus dem süßen kleinen Fratz ein eigensinniges, bockiges Kleinkind wird, oder ein mürrischer Teenager, beileibe nícht!
Aber wie oben beschrieben sind es doch immer wieder diese Erinnerungen, die einen überfallen, wenn man gerade am wenigsten damit rechnet und die einem das Herz wieder öffnen, die sagen: es ist alles halb so wild, wichtig ist doch zuallererst, dass sie gesund und am Leben sind. Alles Andere wird sich schon finden.
Und – Mütter – Hand aufs Herz: Es wäre doch langweilig, wenn unsere Kinder immer nur still und brav in der Ecke sitzen und stets aufs Wort gehorchen würden, oder?
Mal abgesehen davon, dass es auch für die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit wichtig ist, sich mit uns auseinander zu setzen, sich an uns zu reiben und eigene Wege zu finden, anstatt immer nur ungefragt das zu übernehmen, was wir vorleben.
So gesehen ist Mutterglück nie völlig ungetrübt.
Anfangs sind es kleine Sorgen, die uns groß erscheinen (Isst das Kind genug? Warum ist der Po schon wieder wund? Ach Gott, die Zähne kommen!), später werden sie größer (Welcher Kindergarten, welche Schule ist die Richtige? Wie feiern wir den nächsten Kindergeburtstag?)
und irgendwann sind es „richtige“ Sorgen (Was, wenn er/sie dieses Jahr sitzenbleibt? Warum interessiert er/sie sich nicht endlich mal für die Zukunft?).
In jedem Lebensabschnitt sorgen wir uns um unseren Nachwuchs und tun dies vermutlich auch noch, wenn wir 80 sind und unsere Kinder längst auf eigenen Füßen stehen.
Gebraucht zu werden und dabei zu sehen, wie das, was man gesät hat, wächst und Früchte trägt, vielleicht ist das das eigentliche Mutterglück?
Vielleicht kann ich das beantworten, wenn ich 80 bin?
Texte: Cover:
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Tag der Veröffentlichung: 31.05.2011
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