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Als ich vor einiger Zeit ein bekanntes deutsches Nachrichtenmagazin aufschlug, war ich nicht im mindesten gefasst auf das, was mir da entgegenkam: Die „Tigermutter“!
Da es vielleicht doch noch einige unter uns gibt, die nicht wissen, was oder besser wer das ist, sei die Erklärung angefügt, dass diese Tigermutter eine amerikanische Juraprofessorin ist, welche chinesische Wurzeln hat, wie ihr Name – Amy Chua – nahelegt.
Sie hat in Harvard studiert und ist Mutter zweier Töchter.
Vor kurzem nun hat sie einen Erziehungsratgeber herausgebracht, der den schönen Titel trägt „Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ und der in den USA in Schallgeschwindigkeit in die Bestsellerlisten aufgestiegen ist.
Worum geht es nun in diesem Buch?
Frau Chua beschreibt dort, mit welchen Methoden sie ihre Kinder dazu gebracht hat, erfolgreich zu sein.
Das klingt noch harmlos, aber wenn man mal etwas weiter liest, überkommt einen das kalte Grausen – mich zumindest!
Aber urteilen Sie selbst:
Als eine ihrer Töchter ihr eine selbst gebastelte Geburtstagskarte überreicht, verweigert die Mutter deren Annahme und verlangt eine Neue, da sie als Mutter doch wohl „etwas Besseres verdient“ habe....

Eins der Mädchen soll nach dem Willen der Mutter Klavier spielen lernen. Sie hat keine Lust und wirft die Noten irgendwann in die Ecke. Frau Chua verweigert der Tochter daraufhin das Abendessen, nimmt ihr die Puppen und Stofftiere weg und droht, diese zu verbrennen. Sie stellt in Aussicht, dass in den nächsten Jahren weder Geburtstags- noch Weihnachtsgeschenke zu erwarten sind und Ähnliches mehr.
Die Tochter setzt sich schließlich ans Klavier und hat das Stück am nächsten Tag fehlerfrei eingeübt....

Frau Chua lässt ihre Kinder niemals bei Freunden übernachten ….

Als eine der Töchter bei einem Literaturwettbewerb Zweite wird, sagt ihre Mutter zu ihr: „Blamiere mich nie wieder so!“ ….

Diese Aufzählung ließe sich noch weiter fortsetzen, aber ich denke, das ist nicht nötig – die Tendenz ist auch so klar zu erkennen: Die Kinder der Familie Chua kamen in den Genuss eines elterlichen Bootcamps!
Was mich erschreckt, ist die Tatsache, dass dieses Buch sich (auch hierzulande) offenbar verkauft, wie geschnitten Brot, und auch wenn die Autorin mittlerweile (wie ich finde reichlich unglaubwürdig) zurückrudert, nachdem ihr Kritik entgegenschlägt, gibt es doch genügend Menschen, die ihre Methoden begeistert aufnehmen und meinen, unsere Kinder seien in Zukunft nur „wettbewerbsfähig“, wenn wir diese „chinesische Erziehung“ nachahmen – allen voran Thilo Sarrazin...
Hätten diese Leute recht, würde das ja bedeuten, dass schon alle diejenigen aus vorangegangenen Generationen, die nicht so erzogen sind, jämmerliche Versager sind, oder?

(Wie war das denn bei Ihnen, Herr Sarrazin?)

Aber gut – vielleicht wurde es ja einfach mal Zeit, dass mir jemand die Augen öffnet, wie wenig ich doch tauge?!
Das hätte ich sonst gar nicht gemerkt …
Nur, wenn ich meine eigenen Kinder so sehe, die werden so gar nicht nach der Methode der „Tigermutter“ erzogen. Muss mich da das schlechte Gewissen packen, dass ich ihnen die Zukunft mit meiner Liebe und dem Eingehen auf ihr Bedürfnisse derart versaue?
Ist es denn noch nicht genug, womit sie sich schon im Kindesalter herumschlagen müssen?
Man denke doch nur mal an den Geniestreich unserer Bildungsminister – G8!
Stundenpläne, die aus allen Nähten platzen, Lernstoff, der im Turbotempo abgehandelt wird, Lehrer, die sich weigern, überfrachtete Lehrpläne zu entrümpeln, weil ja „alles wichtig“ ist und nicht zuletzt Schüler, die mit 13 Jahren – Hausaufgaben und Lernen für Klausuren etc. mit eingerechnet – ein größeres Stundenpensum haben, als ein erwachsener Fabrikarbeiter!
Gleichzeitig wird aber beklagt, dass die jungen Menschen kaum noch in Sportvereine oder Ähnliches eintreten...
Wenn ich die Stundenpläne meiner eigenen Kinder ansehe, frage ich mich – wann denn bitte?
Und meine älteste Tochter wird demnächst erst 15 ….
Natürlich gibt es in anderen europäischen Ländern schon das Abitur nach 12 Jahren, das ist ja auch grundsätzlich keine falsche Idee – woran es hierzulande hapert ist die vernünftige Umsetzung.
Dass es nicht funktionieren kann, wenn man den gesamten Lernstoff von der Unter- bis zur Oberstufe wie mit einem großen Stampfer einfach ein Jahr weiter nach unten drückt und ihn komprimiert, sollte doch eigentlich jedem einleuchten, der einen einigermaßen funktionierenden Verstand sein eigen nennt!
Oder ist es etwa im Sinne des Erfinders, wenn dank G8 z.B. Sechstklässler den Schimmelreiter lesen müssen, was deren Horizont doch in aller Regel um Meilen übersteigt? (Geschweige denn, dass das Buch sie im mindesten interessiert ...)
Viel wichtiger wäre es doch, unsere öffentlichen Schulen materialmäßig und personell besser auszustatten und das Bildungswesen bundeseinheitlich zu regeln!
Man verlangt heutzutage von Arbeitnehmern örtlich flexibel zu sein, doch wer Familie hat und dann beispielsweise von einem Bundesland ins andere umzieht, hat schon ein Problem, was die Suche nach einer geeigneten Schule für seine Kinder angeht, da die Lehrpläne mitunter grundverschieden sind.

Ein befreundeter Vater formulierte seinen Frust mir gegenüber einmal mit folgenden Worten:
„Es ist offenbar wichtiger, auf dem Mond Steine aufzuheben, als dafür zu sorgen, dass unsere Kinder in der Schule mit vernünftigem Material arbeiten und auf anständigem Mobiliar...“
Das klingt vielleicht übertrieben, aber wer mit Schulen hautnah zu tun hat, wird nicht abstreiten können, dass ein wahrer Kern darinsteckt!

Und nun sollen wir unsere Kinder auch noch nach dem Beispiel der „Tigermutter“ drillen, um sie fürs Leben fit zu machen!?
„Das Ziel ist immer die Eins, nicht die Eins minus!“.........?
Wohin soll uns das führen?
Sollen wir demnächst vielleicht auch noch einen vorgeburtlichen Intelligenztest durchführen lassen, um alles, was der gewünschten Norm nicht entspricht, gleich zu beseitigen?
Da stellen sich doch wohl nicht nur mir die Haare zu Berge?!

Liebe Frau Chua – nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Ihre Erziehung eine Form der Kindesmisshandlung darstellt, die ich genau wie jede andere rundweg ablehne!
Ich bin keine Tigermutter und ich bin stolz darauf!
Meine Kinder sollen wissen, dass ich sie um ihrer selbst willen liebe, und nicht wegen ihrer Leistungen!
Sie sollen erfahren, wie sich Freundschaft anfühlt und spüren, dass sie richtig sind, wie sie sind!
Sie sollen versagen dürfen und sich trotzdem gewiss sein, dass ich sie liebe!
Sie sollen Kinder sein dürfen, solange es noch geht – der sogenannte Ernst des Lebens holt sie schnell genug ein...

Impressum

Texte: Cover: 31655_R_by_Paul-Georg-Meister_pixelio.de.jpg
Tag der Veröffentlichung: 27.04.2011

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