Bevor bei mir die Symptome begannen, hatte ich noch nie von der Meniere´schen Krankheit
gehört.
Im November 2002, nach einem harten Jahr, hatte ich den ersten akuten Hörsturz, der aber zunächst nicht als solcher erkannt wurde. Erst zwei Wochen später stellte der HNO-Arzt die Diagnose. Er meinte, das Ganze sei stressbedingt und das wunderte mich nicht wirklich.
Im Januar war unser drittes Kind zur Welt gekommen, im Februar erfolgte der erste Spatenstich für unser neues Haus und im Oktober zogen wir schon um.
In den ersten Wochen nach unserem Einzug mussten wir dann nicht nur mit den üblichen Begleiterscheinungen eines Wohnungswechsels fertig werden, sondern auch noch mit zwei Runden einer heftigen Virus-Erkrankung, bevor alle drei Kinder und ich uns schliesslich mit Windpocken ins Bett legten.
Drei kleine, kranke Kinder (die älteste war gerade sechs Jahre alt) halten einen ganz schön auf Trab, wie alle Eltern wissen und so sass ich eines Abends mit Hörstörungen und leichtem Schwindelgefühl im Wohnzimmer.
Der HNO-Arzt schickte mich zur Diagnostik in die Klinik und dort fiel dann zum ersten Mal der Begriff
Morbus Meniere
als Verdachtsdiagnose.
Was ich darunter zu verstehen hatte, wurde recht verschwommen erklärt, aber da ich bis auf das leicht eingeschränkte Hörvermögen meines linken Ohres keine Beschwerden mehr hatte, fragte ich auch nicht weiter nach.
Dann herrschte zunächst fünf Jahre lang Ruhe und ich hatte die ganze Sache schon vergessen, als es im Sommer 2007 plötzlich richtig losging.
Im Juli wurde ich eines Nachts wach und war im ersten Moment überzeugt, ich hätte einen Herzinfarkt oder etwas Ähnliches. Zwar verspürte ich keinerlei Schmerzen, dafür war ich schweissgebadet, mir war übel, schwindlig und ich konnte die Zahlen auf meinem Radiowecker nicht entziffern.
Schwankend wie ein Betrunkener tastete ich mich ins Wohnzimmer und sass dort, bis es wieder besser wurde.
Am nächsten Morgen, bei Tageslicht sah die Sache nicht mehr so bedrohlich aus und ich wollte sie schon abtun.
Doch es folgten weitere Anfälle.
Wie aus heiterem Himmel schien sich dann plötzlich alles zu drehen und ich musste mich irgendwo festhalten, um nicht zu fallen. Manchmal war der Spuk nach ein paar Minuten vorbei, aber immer öfter dauerten die Anfälle immer länger.
Weil es dabei in meinem linken Ohr jedesmal regelrecht dröhnte, fiel mir mein erster Hörsturz wieder ein und ich fragte mich, ob diese seltsame Krankheit damit zu tun haben könnte.
Ich liess mich erneut in der HNO-Klinik untersuchen und da wurde die Diagnose bestätigt. Man sagte mir auch gleich, dass man die Krankheit eigentlich nicht heilen könnte und dass ich in Zukunft besser kein Auto mehr fahren sollte.
So stand ich nach Abschluss der Konsultation ziemlich geplättet auf der Strasse vor dem Krankenhaus und war ratlos.
Man hatte mir erklärt, dass es bei einem akuten Anfall zu einem Einriss einer Membran im Innenohr kommt. Diese Membran trennt normalerweise zwei flüssigkeitsgefüllte Räume, von denen der Eine kaliumreiche, der Andere kaliumarme Lymphe enthält. Durch den Riss vermischen sich die beiden Flüssigkeiten und die Kaliumionen der angereicherten Lymphe reizen die Flimmerhärchen des Gleichgewichtsorgans. Dadurch kommt es zu akutem Drehschwindel und unwillkürlichen Augenbewegungen. Man ist nicht in der Lage zu fokussieren und verliert die Orientierung. Durch den Schwindel treten noch vegetative Symptome, wie Schweissausbruch und Übelkeit bis hin zum Erbrechen auf. Je nachdem wie gross der Einriss ist, kann die Schwere des Anfalls von kaum spürbar bis katastrophal reichen.
Das alles wirbelte in meinem Kopf durcheinander und ich war einigermassen verunsichert.
Kein Auto mehr fahren? - Wir leben auf dem Land und die öffentlichen Verkehrsanbindungen sind denkbar schlecht. Ausserdem (wer Kinder hat, wird es kennen) – was sollte mit ausserschulischen Aktivitäten der Kinder werden, mit Besuchen bei Freunden, wie sollte ich einkaufen und, und, und...?
Mein Mann würde mir sicher abnehmen, was er konnte, aber da er für gewöhnlich von morgens sieben Uhr bis abends 19 Uhr ausser Haus war, war das keine wirkliche Alternative.
Ich fuhr also weiter Auto, beugte mich mit einem mulmigen Gefühl der schlichten Notwendigkeit.
Ein paar Mal erwischte es mich dann auch unterwegs, aber nie so schlimm, dass es zu einem Unfall gekommen wäre, da hatte ich Glück.
Mein Morbus Meniere
verhielt sich allerdings auch lange ziemlich friedlich.
Zwar hatte ich im ungefähren Drei-Monats-Rhythmus für eine Dauer von etwa acht Wochen mehrmals wöchentlich Anfälle, aber die waren anfangs mehr lästig, als dass sie eine wirkliche Beeinträchtigung gewesen wären.
Von Mitte 2008 an aber wurde es richtig schlimm. Die Anfälle kamen immer öfter, sie waren stärker und anfallsfreie Intervalle gab es nicht mehr. Es gab Tage, an denen ich fast nur auf dem Sofa lag und versuchte, mich möglichst wenig zu bewegen, denn jede auch noch so leichte Drehung des Kopfes bewirkte neuerliche Übelkeit.
Zwar hatte ich von meinem Arzt dämpfende und übelkeitshemmende Medikamente bekommen, aber trotzdem dauerte es oft Stunden, bis ich in der Lage war, allein aufzustehen.
Im Mai 2009 lag mein Rekord bei vier Anfällen pro Tag.
Ich traute mich kaum noch aus dem Haus, an irgendwelche Aktivitäten mit der Familie oder Freunden war kaum noch zu denken und ich hatte das Gefühl, für meine Familie nur noch eine Last zu sein.
Weihnachten hatte mein Mann mir noch eine Reise nach Rom geschenkt, die ich mit einer Freundin machen wollte und die ich mir sehr gewünscht hatte.
Schweren Herzens musste ich sie absagen und war dann an einem Punkt angelangt, wo ich mir ernsthaft überlegte, meinem Leben ein Ende zu machen.
Ich sah keine Perspektive mehr, hatte man mir doch gesagt, dass die Krankheit entweder von selbst zum Stillstand kommen würde, oder die Anfälle bis an mein Lebensende weitergehen würden.
Die einzigen Behandlungsmöglichkeiten, egal ob operativ oder konservativ liefen immer auf eine Zerstörung des Geleichgewichtsorgans auf der betroffenen Seite hinaus.
Da die Krankheit aber in immerhin 30% der Fälle irgendwann beidseitig wird, wollte ich das nicht. Ich war noch keine vierzig Jahre alt und was hätte ich gemacht, wenn das zweite Ohr ebenfalls erkrankt wäre und ich bereits auf der anderen Seite keine Gleichgewichtsfunktion mehr gehabt hätte?
Dann fand ich durch Zufall im Internet die Seite eines Meniere-Patienten, der in Frankfurt eine nicht anerkannte Therapie gemacht hatte und dadurch seit 10 Jahren beschwerdefrei war.
Natürlich gibt es viele Heilsversprechen, die Meniere
-Patienten das Geld aus der Tasche ziehen sollen, aber ich las mir die Seite trotzdem durch. Ich war soweit, dass ich fast nach jedem Strohhalm gegriffen hätte.
Danach recherchierte ich über die beschriebene Therapie, die sogenannte Labyrinthanästhesie (LA) und besprach mich schliesslich mit meinem Mann.
Die LA wird von keiner Krankenkasse bezahlt und kostet eine vierstellige Summe, also wollte die Sache gut überlegt werden.
Bei dem Eingriff wird unter lokaler Betäubung ein kleiner Einschnitt ins Trommelfell gemacht und durch diesen dann das komplette Innenohr mit einem Lokalanästhetikum gefüllt. Dadurch wird das gesamte Ohr und der angrenzende Bereich des Gesichts betäubt.
Was man damit erreichen will, ist zu vergleichen mit dem Neustart eines Computers, bei dem eine Fehlfunktion vorliegt.
Ich fand eine Reihe von Patientenberichten, die positiv waren und mir Mut machten, es auszuprobieren.
Im Sommer 2009 war ich dann für zwei Nächte in einer Klinik in Frankfurt und liess den Eingriff durchführen.
Der zuständige Professor setzte am Tag danach sämtliche Medikamente ersatzlos ab.
Innerhalb der nächsten vier Monate liessen die Anfälle tatsächlich kontinuierlich nach, sowohl in der Häufigkeit wie auch in der Stärke und ich konnte sogar mit meiner Familie eine Urlaubsreise machen.
Seit Anfang Dezember 2009 bin ich jetzt anfallsfrei und erobere mir mein Leben Stück für Stück wieder zurück.
Natürlich gibt es immer noch Dinge, die ich früher gern gemacht habe, und die ich mich schlichtweg nicht mehr traue, z.B. Fahrradfahren oder Schwimmen. Mein Gleichgewichtssinn ist genauso wie mein Hörvermögen auf der linken Seite fast völlig zerstört, wenn auch nicht durch die Therapie, sondern durch die Krankheit an sich, sodass ein Versuch mit dem Rad zu fahren kläglich scheiterte und was das Schwimmen angeht, habe ich einfach immer noch Angst, im Wasser einen neuerlichen Anfall zu erleiden und unterzugehen.
Ansonsten denke ich im Alltag nur noch selten an meine Krankheit, obwohl mir bewusst ist, dass es keine Garantie gibt, dass sie nicht zurückkommt oder die andere Seite befällt.
Das Schlimmste an der Meniere´schen Krankheit
sind auch nicht unbedingt die Anfälle an sich und wenn sie auch noch so heftig sind, sondern die Tatsache, dass man als Betroffener nie weiss, wann der Nächste kommt und wie heftig er ausfällt.
Die Angst vor dem Schwindel ist fast noch schlimmer als der Schwindel selbst.
Ich schreibe dies hier nicht auf, weil ich Aufmerksamkeit suche, sondern ich möchte hiermit anderen Betroffenen Mut machen, auch abseits der Schulmedizin Hilfe zu suchen. Ich habe in den letzten Jahren von einigen Betroffenen gehört, die genau wie ich die Erfahrung gemacht haben, dass über diese Krankheit noch viel zu wenig bekannt ist und daher selbst Fachärzte nicht über neue Therapieansätze informiert sind.
Wer ebenfalls unter Meniere
leidet und wissen möchte, wo ich mich habe behandeln lassen, kann sich gerne an mich wenden, ich gebe die entsprechenden Informationen selbstverständlich weiter.
Rückblickend kann ich nur sagen, hätte ich zu Beginn meiner Erkrankung von der Möglichkeit der LA gewusst, wäre mir vermutlich einiges erspart geblieben.
Texte: Cover by morbus-meniere.net
Tag der Veröffentlichung: 01.03.2011
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