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Die Stadt glitzerte, wie an jedem Abend, ganz so als wäre nichts geschehen.
Und so war es ja auch.
Als ob sich die Leuchtreklamen, die Strassenlampen und die hunderttausend anderen grossen und kleinen Lichter dafür interessieren würden, dass seine Welt heute Abend aufgehört hatte, sich zu drehen!
Denn genau so empfand er es.
Die Welt stand still für ihn und obwohl er mitten in dem grellen Lichtermeer einer warmen Sommernacht unterwegs war, umgeben von fröhlichen Menschen, war er doch ganz allein.
In seinem Inneren stritten Wut und Selbstmitleid um die Vorherrschaft und er war so versunken in die Stimmen in seinem Kopf, die sich gegenseitig zu überschreien versuchten, dass er taub und blind war für alles um sich herum.
Wie hatte Bo das nur tun können?
Wie hatte er ignorieren können, was er, Lasse mühevoll hergerichtet hatte, um diesen Tag, diesen besonderen Tag mit ihm zu feiern?
Ein ganz besonderer Abend hatte es werden sollen.
War es doch heute genau auf den Tag drei Jahre her, dass sie sich kennengelernt hatten!
Weil er Bo so sehr liebte, hatte er ein besonders gutes Dinner vorbereitet, indisch, weil das Bo´s Lieblingsessen war. Er hatte die Wohnung geputzt, gekocht, den Tisch gedeckt, Musik ausgesucht und das Bett frisch bezogen.
Und die ganze Zeit hatte er sich Bos Gesicht vorgestellt, wenn er ihn beim Nachhausekommen damit überraschte. Wie er sich freuen würde, wie sie gemeinsam essen würden, bei Musik und Kerzenschein und natürlich wie der Nachtisch aussehen würde, später im Schlafzimmer ...
Dann sass er frisch geduscht und in seinen besten Kleidern am Tisch und wartete.
Normalerweise kam Bo gegen sieben Uhr abends heim, doch heute war um neun Uhr immer noch nichts von ihm zu sehen.
Als Lasse versuchte, ihn über sein Handy zu erreichen, war es abgeschaltet.
Wie ein gereizter Tiger lief er nun durch die Wohnung um seiner aufsteigenden Verärgerung Herr zu werden.
Um halb zehn klapperte endlich der Schlüssel in der Haustür und gleich darauf schob sich Bo ins Zimmer.
Erstaunt schaute er auf das Arrangement aus kaltem Essen, heruntergebrannten Kerzen und einem in Tränen der Wut aufgelösten Lasse.
„Was ist denn hier los?“ kam seine erstaunte Frage.
Eine Antwort bekam er nicht, dafür wurde ihm ein wütendes „Wo warst du?“ entgegengeschleudert.
Seine Erklärung, dass er Überstunden hatte machen müssen und anschliessend noch mit Kollegen in einer Bar gewesen war, goss das sprichwörtliche Öl in Lasses schwelende Glut.
Keine fünf Minuten später waren sie in einen heftigen Streit verwickelt und weitere fünf Minuten darauf stürmte Lasse türenknallend aus der Wohnung.
Er achtete nicht darauf, wohin er ging, war nur mit seinem eigenen zornerfüllten Schmerz beschäftigt.
Natürlich wusste er, dass Bo kein Romantiker war und solchen Dingen wie Geburtstagen, Jahrestagen und Ähnlichem keine übermässige Bedeutung beimass.
Aber trotzdem - musste er ausgerechnet heute mit Kollegen ausgehen?
Wütend kickte er eine leere Getränkedose aus dem Weg.
Eine Drama-Queen

hatte Bo ihn genannt. Lasse hatte sich dafür mit einem unsensiblen

Mistkerl

bedankt. Beides nicht zum ersten Mal.
Gelegentlich flogen ganz ordentlich die Fetzen zwischen ihnen.
Für gewöhnlich lief es darauf hinaus, dass Lasse weinend wegrannte und wenn er sich wieder beruhigt hatte, bat er Bo reumütig um Verzeihung.
Er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen wäre zwischen ihnen. Er entschuldigte sich und Bo verzieh ihm jedesmal grossmütig.
Aber diesmal nicht!

schwor er sich - ebenfalls nicht zum ersten Mal.
Diesmal würde er Bo zeigen, dass er nicht auf ihn angewiesen war. Vielleicht würden ihm dann die Augen dafür geöffnet, wie gut er es an Lasses Seite hatte!
Oder bedeutete ihm ihre Beziehung wirklich so wenig?
Lasse blieb stehen und sah sich um.
Er war in der Innenstadt gelandet, nicht weit entfernt von ihrer beider Lieblingsclub Adam

und er beschloss spontan, dorthin zu gehen und sich zu amüsieren.
Keine zehn Minuten später war er bereits auf der Tanzfläche.
Es war fast halb elf und es war ein Wochentag, trotzdem war der Club gut besucht und Lasse stürzte sich ins Gewühl. Er genoss es, sich dem Rausch der Musik hinzugeben und seinen Körper im Rhythmus der hämmernden Beats zu bewegen. Er begrüsste es, wenn fremde Körper ihn berührten, mochte es absichtlich oder zufällig sein. Er tanzte sich all seine Wut und seinen Schmerz von der Seele und verliess die Tanzfläche nur, um an der Bar einen Drink zu nehmen oder auf die Toilette zu gehen. Immer wieder geschah es, dass andere Männer sich ihm näherten und ihn auf sich aufmerksam zu machen suchten, doch er lächelte nur vielsagend und blieb für sich, genoss das Spiel mit Blicken und Gesten, ohne wirklich darauf einzugehen.
Dieses Gefühl des Begehrtseins streichelte seine wunde Seele und hob seine Stimmung.
Als er daran dachte, was Bo dazu sagen würde, wenn er ihn so sah, warf er übermütig den Kopf in den Nacken und lachte.
Und dann waren da plötzlich ein paar Hände, die ihn von hinten an den Hüften fassten und gegen einen festen, muskulösen Körper zogen.
Lasse drehte sich nicht um, sondern liess sich von den schlanken, aber kräftigen Fingern führen. Gemeinsam bewegten sie ihre Körper und es dauerte nicht lange, bis die Atmosphäre zwischen ihm und seinem unbekannten Hintermann sich aufzuheizen begann.
Die Hände auf seinen Hüften schoben sich langsam ein Stück weiter nach vorn, schickten kleine Wellen der Erregung durch Lasses Körper und er liess es sich gefallen, bis das Lied zu Ende war.
Dann drehte er sich um und nahm zum ersten Mal den Mann in Augenschein, der ihm gerade ziemlich eindeutig zu verstehen gegeben hatte, dass er an ihm interessiert war.
Die sensiblen Hände hatten nicht zuviel versprochen. Er war gross und schlank, dunkle, gewellte Haare waren glatt aus der Stirn gekämmt und im Nacken zusammengefasst, nur ein paar einzelne Strähnen hatten sich beim Tanzen gelöst und hingen ihm in die Stirn. Die Farbe seiner Augen war bei der schummrigen Beleuchtung nicht zu erkennen, wohl aber die kräftige, gerade Nase und der sinnlich geschwungene Mund, um den jetzt ein wissendes Lächeln spielte.
Lasse wusste, dass er sich ebenfalls nicht zu verstecken brauchte und hier fand er es im anerkennenden Blick seines Gegenübers bestätigt.
In stummem Einverständnis verliessen sie die Tanzfläche und gingen zur Bar. Nachdem jeder einen Drink vor sich stehen hatte, stellten sie sich einander vor, jedoch nur mit den Vornamen,
denn sie beide spürten, dass mehr nicht nötig sein würde, egal wie der Abend endete.
Ansonsten sprachen sie wenig, liessen Blicke und Gesten für sich sprechen, bis die Luft zwischen ihnen knisterte wie an einem schwülen Sommertag, kurz bevor ein Gewitter losbrach.
Sie wussten beide, was kommen würde und als der Dunkelhaarige kurze Zeit später vom Barhocker glitt und Lasses Hand ergriff, folgte er ihm bereitwillig.
Ohne Protest liess er sich von ihm nach draussen ziehen, in einen schwach beleuchteten Hinterhof und dort in eine dunkle Ecke.
Er wehrte sich nicht, als er an die Wand gedrängt wurde, ein Mund von seinem Besitz ergriff und heisse Hände begierig unter seine Kleider fuhren.
Er stöhnte auf, als eine feuchte Zunge eine Spur über seinen Hals zu seiner Kehle zog und seine Nippel von zupfenden Fingerspitzen gereizt wurden.
Wie in Trance legte er seine Hände um die Hüften des Anderen, umfasste seine Pobacken und zog ihn eng an sich heran. Dessen eine Hand verliess Lasses Brust, wanderte tiefer und schob sich in den Bund seiner Jeans.
Doch als die fremden Finger seinen sich aufrichtenden Penis berührten, erstarrte er plötzlich.
Was er gerade im Begriff war zu tun, war falsch, eindeutig falsch!
Dieser Mann hier war ein Fremder! Er wusste nichts über ihn!
Auf einmal sehnte er sich geradezu schmerzhaft nach Bo. Nach seiner tröstlichen Wärme und der Geborgenheit seiner Umarmung. Danach wie er sich durch die Haare fuhr und wie er die Brauen zusammenzog, wenn er sich konzentrierte. Aber auch nach seiner wortkargen Art und dem Chaos, welches er überall um sich verbreitete.
Hastig befreite er sich aus der Umarmung und machte sich los. Erstaunt sah der Fremde ihn an. „Was ist?“
„Tut mir leid.“ sagte er. „Ich kann das nicht machen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, liess er ihn stehen und sprintete los.
Er rannte fast den gesamten Weg zurück. Als er vor seinem Zuhause ankam, schaute er nach oben, suchte die Fenster ihrer gemeinsamen Wohnung. Sie waren noch hell erleuchtet. Einerseits erleichtert, andererseits leicht beklommen stieg er die Treppen hinauf und schloss leise die Tür auf.
Geräuschlos trat er in den kleinen Flur und horchte. Es war alles still. Langsam ging er weiter, öffnete die Tür zum Wohnzimmer und blieb auf der Schwelle stehen.
Bo sass auf dem Sofa und starrte auf ein gerahmtes Foto in seinen Händen. Als er Lasse kommen hörte, blickte er hoch, legte das Bild beiseite und stand auf.
„Lasse!“ sagte er, kam um den Tisch herum und riss ihn in seine Arme. „Es tut mir so leid, Lasse! Ich hab´ unseren Jahrestag vergessen! Bitte entschuldige!“
Lasse konnte nichts erwidern, denn ein dicker Kloss sass in seiner Kehle.
Bo hatte sich entschuldigt!
Er schlang seine Arme um ihn und schmiegte sich fest an Bos tröstliche Wärme. „Mir tut es auch leid! Ich hab´ nur an mich gedacht. Dabei hätte ich ja zumindest sagen können, dass du zeitig heimkommen sollst.“ Er vergrub das Gesicht an Bos Hals, bis dieser ihn ein wenig von sich wegschob um ihn zu küssen.
Nicht sanft und zärtlich, wie meistens, sondern wild und besitzergreifend. Als sie sich voneinander lösten, legte Bo seine Stirn gegen die von Lasse und sagte leise: „Immer wenn wir uns streiten und du dann wegläufst, habe ich wahnsinnige Angst, dass du nicht zurückkommst. Ich hab´ mir eben das Bild von unserem letzten Urlaub angeschaut, weisst du noch?“ Lasse nickte stumm. „Und dabei hab´ ich versucht mir vorzustellen, wie es wäre, wenn du mich verlässt, wenn ich dich mit meiner Art endgültig von mir wegtreibe.Und mir ist klargeworden, dass ich das nicht überleben würde. Du allein gibst mir die Kraft zu leben, Lasse! Du bist wie eine Droge für mich, wie ein Rausch, ich bin süchtig nach dir und kann nicht mehr ohne dich sein!“
Lasse brachte noch immer kein Wort heraus. Noch niemals zuvor hatte Bo etwas Vergleichbares gesagt, sprach er doch überhaupt wenig und besonders ungern über seine Gefühle.
Mit beiden Händen fasste Lasse sein Gesicht und küsste ihn, während Tränen über seine Wangen rollten und sich zwischen ihre Lippen stahlen, wo sie die Süsse ihres Kusses mit einem leicht salzigen Geschmack würzten.
Schliesslich fasste er Bo bei der Hand und zog ihn in Richtung Schlafzimmer. „Komm´!“ sagte er. „Schlaf´ deinen Drogenrausch mit mir aus!“
Draussen vor den Fenstern glitzerte die Stadt wie jede Nacht und die Welt drehte sich wieder.

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Tag der Veröffentlichung: 16.02.2011

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