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Das musste ein Alptraum sein! Ein verdammt mieser Alptraum! - Also könnte ich jetzt bitte aufwachen?
Ich kniff die Augen zusammen und zwickte mich in den Unterarm, da wo die Haut am empfindlichsten ist.
Aber es passierte nichts. Ich lag immer noch mit runtergezogener Hose auf dem schmutzigen Boden der Jungentoilette und die vier grössten Rowdys der Schule standen immer noch lachend und feixend um mich herum.
Und vor allen Dingen fotografierte Kai, der Anführer der Vier immer noch mein bestes Stück – mein NACKTES bestes Stück.
Ich bemerkte das Blitzlicht seiner Handykamera sogar durch meine geschlossenen Lider.
Wie hatte ich nur in so eine Lage geraten können?
„Blöde Frage,“ schimpfte ich mich selbst, „wie wohl? So wie du immer in solche Situationen gerätst!“
Ich war eben keine Sportskanone, ich war kleiner als die meisten anderen Jungs meines Alters und mein bebrilltes Gesicht schien auf jeden Raufbold eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben. Mit 17 Jahren, im letzten Jahr vor dem Abschluss, hatte ich den grössten Teil meiner Schulzeit damit verbracht, möglichst unauffällig zu sein, um genau solchen Dingen wie dem hier aus dem Weg zu gehen.
Leider war meiner Strategie nicht immer Erfolg beschieden.
Wenn ich Glück hatte, nahm man mir nur mein Essensgeld ab. Wenn ich Pech hatte, lief es so oder so ähnlich wie jetzt. Allerdings wurde ich praktisch nie verprügelt. Man fand wohl, dass es keinen besonderen Spass machte, ein Weichei wie mich zu verhauen, das schon nach den ersten Treffern k.o. ging.
Auch heute hatte ich versucht, möglichst unbemerkt nach der letzten Stunde aus dem Gebäude zu schlüpfen, bevor Kai und seine Kumpane auf mich aufmerksam wurden und beschlossen noch ein bisschen Spass zu haben. Doch gerade als ich zur Tür hinaus wollte, packte mich eine harte Hand am Kragen und hielt mich zurück. „Sascha!“ hörte ich eine mir leider nur zu bekannte Stimme und zog automatisch den Kopf ein wie eine Schildkröte. „Bleib´ doch mal einen Moment hier!“ Ich drehte mich um und sah nach oben.
Kai war locker zwei Köpfe grösser als ich und breitschultrig wie ein erwachsener Mann. Er spielte in der schuleigenen Eishockey-Mannschaft und war dort wie überall gefürchtet – genau wie seine drei besten Freunde Jonas, Timo und Mischa.
„Was willst du?“ Ich bemühte mich meine Stimme fest klingen zu lassen, allerdings mit wenig Erfolg.
Kai schaute abschätzig auf mich herunter. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und sah seine Freunde an, die rund um mich her Stellung bezogen hatten. „Nichts Besonderes eigentlich.“ sagte er grinsend. „Um ganz genau zu sein, brauche ich deine Hilfe, Sascha!“ Jetzt schaute er mich wieder an und sein Blick gefiel mir ganz und gar nicht. Er brauchte meine Hilfe? Das konnte nichts Gutes bedeuten!
„Wobei denn?“ brachte ich hervor und ärgerte mich, dass meine Stimme so piepsig klang.
„Das“ Jonas und Timo hakten mich links und rechts unter und begannen mich aus dem Gebäude zu schieben, „zeigen wir dir an einem etwas … privateren Ort.“
Sie hatten mich in die Jungentoilette geschleppt und während mich Jonas und Timo weiter festhielten, zog mir Mischa mit einem Ruck die Hose samt Unterhose herunter. Dann stiessen sie mich zu Boden und Kai holte sein Handy heraus. Gleich darauf begann er mich unter dem Gelächter der Anderen zu fotografieren.
Was sollte das jetzt? Was hatte dieser miese Typ vor?
Ich wagte nicht, mich zu wehren und blieb am Boden, bis er fertig war.
Schliesslich bedeutete er mir aufzustehen und mich wieder anzuziehen. Als ich damit fertig war und in der Hoffnung aufsah, dass sie mich jetzt gehen liessen, stellte ich jedoch fest, dass sie mir den Ausgang versperrten.
Kai legte mir den Arm um die Schulter und hielt mir das Display seines Handys vors Gesicht. Darauf zeigte er mir in rascher Folge ein paar der Fotos die er gerade gemacht hatte.
Ich errötete bis unter die Haarwurzeln, denn er hatte nicht nur Ganzkörperaufnahmen von mir gemacht, sondern auch eine Grossaufnahme von meinem Ding und eine von meinem Gesicht. Trotzdem konnte ich mir noch keinen Reim darauf machen, was das sollte. Fragend sah ich zu ihm hoch.
Ein amüsiertes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Kommen wir zum Geschäft, Sascha!“
Geschäft?
Aber er redete schon weiter. „Ich habe mir in den Jahren an dieser Schule einen gewissen Status erarbeitet, wie du sicher weisst.“ Er begann auf seinem Handy herumzutippen. „Und ich denke nicht daran, mir den wegnehmen zu lassen. Ich bin nun mal daran gewöhnt, dass ich kriege, was ich will. Und ich lasse nicht zu, dass sich das ändert.
Wie es der Zufall will, habe ich ein Auge auf eins der Mädchen aus dem Handball-Team geworfen. Also habe ich die Gentleman-Tour bei ihr abgezogen, du weisst schon, Blumen, Kino, romantisches Geschwätz, der ganze Scheiss eben. Vorgestern sah es dann aus, als könnte ich bei ihr landen, aber leider ist die Chica etwas eigenwillig.
Ich war also gerade dabei, sie zu … überzeugen, da ist mir dieser Typ hier“ er hielt mir erneut das Display vor die Nase, „sauber in die Parade gefahren. Er hat mich überrascht und mir tatsächlich ein Ding verpasst, siehst du?“
Er deutete mit dem Zeigefinger auf einen kleinen Bluterguss an seiner linken Wange.
Aha, also daher rührte die Verletzung! Die hatte heute schon zu wilden Spekulationen geführt. Besonders die Mädchen hatten mit wüsten Vermutungen nur so um sich geworfen. Aber selbstverständlich hatte ihn niemand direkt gefragt....
Ich konzentrierte mich auf das Bild in seinem Handy.
Ja, den Typen kannte ich vom Sehen. Ein grosser, blonder Junge. Er war neu an der Schule und ich hatte ihm an seinem ersten Tag den Weg zur Cafeteria erklärt. Er hatte mir erklärt, dass es sein erster Tag war und sich freundlich für meine Hilfe bedankt. Seither hatte ich ihn ein paar Mal im Unterricht gesehen, wenn wir gemeinsam Kurse hatten. Jedesmal hatte er grüssend in meine Richtung genickt, aber miteinander geredet hatten wir nicht mehr.
Er schien clever zu sein, jedenfalls war er genau wie ich im Matheleistungskurs. Im Gegensatz zu mir war er aber ganz offensichtlich kein Schwächling, sondern wirkte sportlich und trainiert.
„Diesem Neuen muss glaube ich mal jemand zeigen, wie es hier so läuft und wer hier den Ton angibt!“ redete Kai jetzt weiter. „Eigentlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt, ihm mal eine richtige Abreibung zu verpassen, aber ehrlich gesagt, das reicht mir nicht! Dieser arrogante Schnösel muss lernen, wer hier die Regeln aufstellt und zwar gleich richtig! Und da, mein lieber Sascha, kommst du ins Spiel!“ Er steckte sein Handy ein, baute sich vor mir auf und nahm mir die Brille ab. Er reichte sie an einen seiner Kumpels weiter und fuhr mir prüfend mit der Hand über die Wange und das Kinn. Ich zuckte zurück. Was sollte denn das jetzt werden?
Kai schnaubte verächtlich. „Genau wie ich mir gedacht habe, glatt wie ein Kinderpopo! Hast du dich überhaupt schon mal rasiert in deinem Leben?“ Die Anderen lachten gröhlend und ich wurde natürlich wieder rot. „Aber“ fuhr er fort, „das ist völlig in Ordnung so. Echten Bartwuchs zu überdecken, wäre ziemlich schwierig. So wird es glaubhafter!“
Ich starrte ihn an wie ein Kaninchen die Schlange – voller ängstlicher Faszination.
Doch ich verstand immer noch nicht, was er von mir wollte.
„Also, um auf den Punkt zu kommen – wenn du nicht willst, dass diese netten Bildchen von dir im Internet landen, dann wirst du folgendes tun: Du kommst heute abend um sechs Uhr zu mir nach Hause und da machen wir aus dir eine Frau!“ Ich blinzelte. Was? Eine Frau? Wie...?
Er lachte und sagte:“Keine Panik, dir steht keine Operation bevor! Du bist klein und siehst eh´ schon fast aus wie ein Mädchen. Mit einer Perücke, den richtigen Klamotten und ein bisschen Schminke wird keiner mehr den Unterschied merken. Und wenn das geschafft ist, wirst du dem Bistro einen Besuch abstatten, in dem dieser Lackaffe jobbt. Mach´ dich mit ihm bekannt, spiel´ deine weiblichen Reize aus!“
Bei diesen Worten prusteten seine Freunde erneut los.
„Das wirst du dann jeden Tag tun, solange bis er anbeisst. Und wenn er dann mit dir ausgeht, wirst du dich von ihm küssen lassen und dabei die Perücke abnehmen! Das wird dann einer von uns fotografieren, denn auch wenn du uns nicht siehst, sei versichert, Einer ist immer in der Nähe! Und am nächsten Tag“ er breitete die Arme aus, „gibt es im Internet ein neues Video zu bestaunen!“
Als mir klar wurde, was er da von mir verlangte, wurde mir heiß und kalt zugleich.
Ich sollte mich als Mädchen verkleiden und diesen Jungen um den Finger wickeln?
Ich sollte mit ihm ausgehen und ihn schliesslich sogar küssen?
Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Bitte, Kai, ich mach´ alles was du willst, aber nicht das! Sowas kann ich nicht! Und ich weiss doch auch gar nicht, wie man jemanden um den Finger wickelt!“
Aber meine Bitten stiessen auf taube Ohren. Kai wedelte mit seinem Handy vor meinem Gesicht und sagte mit drohender Miene: „Du hast mich gehört! Entweder bist du um sechs Uhr bei mir, oder ich stelle noch heute deine Bilder ins Netz!“ Damit setzte er mir meine Brille wieder auf und verliess zusammen mit seinen Kumpanen den Waschraum. Ich hörte ihr Gelächter und ihre lauten Stimmen, wie sie langsam verklangen, als sie das Gelände verliessen.
Ich dagegen musste mich erst mal setzen. Der Fussboden war zwar dreckig, aber das war mir im Augenblick egal.
Ich hatte keine Kraft mehr in den Beinen und in meinem Kopf ging alles wild durcheinander.
Das war ja ein schöner Schlamassel, in den ich da reingeraten war! Was sollte ich denn jetzt machen?
Wenn ich nicht mitspielte, landeten die Aufnahmen, die Kai eben von mir gemacht hatte im Internet. Wie ich ihn kannte, würde er sie vermutlich höchstpersönlich an die eine oder andere Adresse weiterleiten, nur um ganz sicher zu gehen, dass sie sich auch ja hier an der Schule verbreiteten. Dann würde ich mich hier nicht mehr sehen lassen können. Ich vergrub das Gesicht in meinen verschränkten Armen. Die Alternative war, zu tun, was er von mir verlangte.
Aber das konnte doch nur schiefgehen! Ich wirkte zwar nicht besonders männlich, aber als Mädchen ging ich auf Dauer garantiert nicht durch, selbst mit anderer Kleidung, Schminke und Perücke! Soviel stand mal fest.
Und wenn der Typ dann merkte, dass er einen Jungen vor sich hatte? Ich mochte mir seine Reaktion nicht mal vorstellen! Ganz egal, ob er es gleich merkte, oder wirklich erst bei einem … Kuss … ! Obwohl – wenn es tatsächlich soweit kam, dass er mich küsste, würde er dann nicht noch wütender sein, als wenn er es vorher merkte?
Davon war wohl auszugehen! Ob er mich dann wohl schlagen würde? Ich raufte mir die Haare.
Aber selbst, wenn Kais Plan aufging, landete ich zwar nicht nackt im Internet, aber dafür in Frauenkleidern!
So oder so – ich steckte wirklich knietief in der Scheisse!

Wie ich den restlichen Nachmittag hinter mich brachte, weiss ich beim besten Willen nicht mehr. Auf jeden Fall machte ich mich um halb sechs brav auf den Weg zu Kais Elternhaus. Ich sah keine andere Lösung.
Wir kamen aus völlig verschiedenen Welten. Ich lebte mit meiner geschiedenen Mutter zwar nicht in einem der anonymen Wohnblocks die am östlichen Stadtrand hässliche, schmutziggraue Viertel bildeten, sondern in einem kleinen Häuschen in der Nähe des Stadtparks. Allerdings nur deshalb, weil meine Mutter es vor drei Jahren beim Tod ihrer eigenen Mutter geerbt hatte. Vorher hatten auch wir eine Wohnung in einem der Blocks gehabt.
Kais Vater sass in der Chefetage einer ortsansässigen Pharmafirma und verdiente ordentlich. Dementsprechend befand sich das Haus der Familie – oder sollte ich besser sagen die Villa? - in der besten Wohngegend unserer Stadt.
Südlicher Ortsrand, Hanglage, unverbaubarer Fernblick – muss ich noch mehr sagen?
Auch wenn Kai nun nicht unbedingt zu meinen Freunden zählte – nicht dass es da sowas wie Freunde wirklich gegeben hätte – wusste ich natürlich, wo er wohnte, so wie fast alle an der Schule.
Seine Familie gehörte in unserer Stadt schliesslich zu den höchsten Kreisen. Die war jedem ein Begriff, genau
wie der schneeweisse Prachtbau, in dem sie residierte.
Genau genommen hatte ich mich schon manchmal gefragt, wieso Kai eigentlich auf unserer stinknormalen Schule war. Gingen Leute wie er nicht eigentlich auf irgendwelche exklusiven Internate?
Wäre das der Fall gewesen, hätte ich jedenfalls vor ihm meine Ruhe gehabt.
So jedoch stieg ich um kurz vor sechs die geschwungene Treppe seines Elternhauses hinauf und läutete an der Tür.
Es dauerte einen Moment, bis mir geöffnet wurde, und ich hoffte schon beinahe, ich könnte einfach wieder gehen, weil niemand zuhause war. Doch da schwang das imposante Portal plötzlich auf und Kai grinste mir entgegen. „Du bist pünktlich!“ stellte er fest. „Das ist gut! Lass´ uns gleich anfangen!“
Er packte mich am Arm und zog mich hinter sich her, durch eine geräumige Eingangshalle, eine breite Treppe hinauf, einen gewundenen Gang entlang und zuletzt durch eine Tür. Dahinter befand sich ein grosses Wohnzimmer, komplett eingerichtet mit einer stylischen Sitzgarnitur, einer teuren Stereoanlage und einem riesigen Plasmafernseher an einer Wand. Die übrigen Wände waren mit Wimpeln, Plaketten und Urkunden von Sportwettkämpfen und Eishockeyturnieren gepflastert. Sogar ein paar gekreuzte Schläger waren dabei.
Das war also Kais Zimmer? Oder besser gesagt, sein WOHNzimmer, denn ein Bett oder sowas war nirgends zu sehen. Aber klar, dachte ich dann, als ich die beiden Türen an der gegenüberliegenden Wand bemerkte.
Er hatte bestimmt ein gesondertes Schlafzimmer und garantiert auch ein eigenes Bad.
Auf der Sitzgarnitur lümmelten sich Timo und Mischa und sahen mir feixend entgegen. Kai warf sich in einen Sessel und musterte mich. „Wieso hast du deine Brille nicht auf?“ wollte er wissen.
Naja,“ bemühte ich mich um eine Erklärung und wurde wieder mal rot, „die Brille brauche ich nur in der Schule. Ich bin leicht kurzsichtig und bekomme sonst Kopfschmerzen. Aber wenn ich nicht gerade lese oder schreibe, brauche ich sie eigentlich nicht.“
Er nahm meine Erklärung zur Kenntnis und nickte. „Na, umso besser!“ In diesem Augenblick hallte erneut die Türglocke durchs Haus. „Das ist bestimmt Jonas! Na los,“ bedeutete er Timo, „geh´ aufmachen!“ Der Angesprochene erhob sich widerspruchslos und trabte davon. „Und du“ Kai wies auf mich, „ziehst dich schon mal aus.“
Ich zögerte. „Kai, bitte, muss das denn wirklich sein?“ „Hä?“er musterte mich ungläubig. „Naja,“ ich senkte den Blick, „normalerweise würdest du ihn doch einfach verprügeln nach so einer Sache. Warum jetzt so ein Aufwand?“
Ich zitterte innerlich vor seiner Reaktion und wagte nicht zu ihm aufzusehen, als er ganz dicht an mich herankam. Stattdessen hielt ich den Blick auf meine Schuhe gerichtet. „Ich dachte, ich hätte es dir schon heute nachmittag erklärt. “ hörte ich ihn sagen und wagte es, ein wenig von der angehaltenen Luft entweichen zu lassen.
„Der Typ hat die Frechheit besessen, mich zu demütigen und das vor einem Mädchen. Für den ist eine Tracht Prügel viel zu wenig. Wenn ich mit ihm fertig bin, wird er bestimmt nicht mehr so arrogant grinsen, wenn er mich sieht. Abgesehen davon,“ fuhr er fort und rieb sich das Kinn, „wird es ein gutes Beispiel für andere abgeben, was passiert, wenn man mich reizt.“ Er packte mich am Arm und schleuderte mich auf das Sofa. „Und nun mach´ endlich! Wir haben schon genug Zeit verplempert!“
Mit zitternden Händen streifte ich mir das Sweatshirt über den Kopf und liess es zu Boden fallen. Dann knöpfte ich meine Jeans auf und streifte sie ab. Als nächstes folgten die Socken und dann stand ich in der Unterhose vor Kai und Mischa und schämte mich in Grund und Boden.
Kai ging mit abschätzender Miene um mich herum und nickte begeistert.
„Perfekt!“ jubelte er. „Genau was wir brauchen!“
Da öffnete sich die Tür zum Gang erneut und Timo und Jonas kamen herein. Jonas trug zwei Plastiktüten, die er jetzt auf den Boden stellte. „Hey, habt ihr etwa schon angefangen?“ protestierte er, als handelte es sich um einen Mordsspass, den er auf keinen Fall verpassen wollte.
„Beruhig´ dich!“ brachte Kai ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen. „Ohne den Kram den du mitgebracht hast, können wir doch eh´ nicht loslegen!“ Er bückte sich und inspizierte den Inhalt der ersten Tüte.
„Was hast du gemacht? Den Schrank deiner Schwester leer geräumt, oder was?“
„Quatsch, die hat so viel von dem Zeug, die merkt doch gar nicht, dass was fehlt. Und selbst wenn würde sie doch nie vermuten, dass ich es genommen habe!“
Kai hatte inzwischen eine Perücke mit langen, blonden Haaren hervorgezogen und glättete die Strähnen. „Fühlt sich wie echt an.“ meinte er.„Ist wohl auch echtes Haar.“ sagte Jonas.
„Und wieso hat deine Schwester eine Perücke?“ Jonas schob seine Hände in seine Hosentaschen. „Ach, was weiss ich denn, was in den Weibern vorgeht, dass sie auf solchen Kram abfahren. Das ist ja nicht ihre Einzige! Die fliegen in allen Farben und Formen bei ihr rum. Aber die hier hat sie schon ewig nicht mehr getragen, deshalb hab ich gedacht, die vermisst sie am wenigsten.“
Kai schürzte die Lippen. „Die ist perfekt!“ Er erhob sich. „So und jetzt werden wir aus diesem Bürschchen hier mal eine Frau machen!“

Eine knappe Stunde später starrte ich ungläubig auf mein Spiegelbild. Das sollte ich sein?
Mir starrte ein zartes Geschöpf mit langen blonden Haaren entgegen, einem Hauch Make up im schmalen Gesicht, kleinen Brüsten und grossen blauen Augen. Zwar war es mir erspart geblieben, ein Kleid oder Rock tragen zu müssen, doch die Jeans hatte einen ungewohnten Schnitt und war im Schritt etwas knapp. Darüber trug ich ein T-Shirt mit dem Label eines bekannten Sportartikelherstellers, darüber eine pastellfarbene Sweatjacke und meine Füsse steckten in hellen Riemchensandalen mit leichtem Absatz. Da ich logischerweise keine echten Brüste hatte, musste ich einen BH tragen, der mit Watte ausgestopft wurde.
Timo hatte nicht nur die Kleidung ausgesucht, er hatte auch ein erstaunliches Geschick bewiesen, als es um das Auflegen von Lidschatten, Rouge und Lippenstift bewiesen. Er hatte mir gezeigt, wie ich es machen musste, denn an den nächsten Abenden sollte ich mich ja selbst zurechtmachen. Sein Können war auch seinen Freunden aufgefallen und auf eine diesbezügliche Frage von Jonas hatte er uns erklärt, dass er im Beauty-Salon seiner Mutter ja oft genug zugesehen habe, wie sie fremde Frauen schminkte.
Richtig, fiel mir ein, seiner Mutter gehörte der angesagteste Kosmetiktempel der ganzen Stadt.
Seine Kumpel starrten ihn skeptisch an und er wurde ärgerlich. „Freut euch doch lieber, dass ich das kann. Was würdet ihr denn jetzt machen, wenn es nicht so wäre?“
Kai legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm. „Ist ja gut! Hast ja recht! Und ehrlich gesagt,“ er musterte mich von oben bis unten mit einem Blick, unter dem ich mich wand, „wenn ich nicht wüsste, dass Sascha da drin steckt, würde ich vielleicht sogar selbst mal mein Glück versuchen. Oder was meint ihr? Er ist doch zuckersüss!“
Alle Vier begannen schallend zu lachen und beglückwünschten sich gegenseitig.
Aber schliesslich fasste Kai mich am Arm und schob mich in Richtung Tür. Meine Kleider hatten sie in die eine Tüte gesteckt und drückten sie mir in die Hand. „Damit du nachher nicht nochmal herkommen musst.“ sagte Mischa grinsend.
Und schon zogen sie mich aus dem Raum, führten mich die Treppe hinunter und dann nach draussen.
Es war inzwischen nach sieben Uhr und es wurde allmählich dunkel. Auch wenn es tagsüber schon angenehm warm war, hatten wir doch erst April und die Abendkühle liess mich kurz erschauern.
Da Kai schon volljährig war, besass er einen Führerschein. Dementsprechend steuerten wir die Garage an und stiegen in eine der Nobelkarossen, die dort abgestellt waren. Der Gegenwert der Fahrzeuge die ich dort stehen sah hätte locker ausgereicht, den Lebensunterhalt für meine Mutter und mich ein Jahr lang zu bestreiten. Ich kam aber nicht dazu, mir die Autos genauer anzusehen, denn ich wurde unsanft in einen silbernen 3er BMW geschubst, dessen Motor bereits lief und kaum waren alle drinnen, setzte Kai den Wagen aus der Garage und lenkte ihn die Auffahrt hinunter und auf die Strasse.
Die Fahrt in die Stadt dauerte kaum zehn Minuten, doch eingepfercht zwischen Mischa und Jonas mit ihren abfällig grinsenden Gesichtern kam mir diese kurze Zeitspanne fast wie eine Ewigkeit vor.
Die Jeans zwickte mich im Schritt und die Watte in dem BH juckte fürchterlich, doch ich wagte nicht, mich zu kratzen.
Dann endlich erreichten wir einen Parkplatz und Kai stellte den Wagen ab. Gleich darauf stand ich zusammen mit Mischa draussen auf dem Asphalt und Kai beugte sich aus dem Seitenfenster. „Also, pass auf, Alter. Ich fahre jetzt wieder nach Hause und du bleibst an unserer Süssen dran.“ Er grinste in meine Richutng. „Lass´ ihn als Ersten reingehen und warte ein bisschen, bis du ihm folgst. Aber rede nicht mit ihm, hörst du. Tu am besten so, als ob du ihn gar nicht kennst. Nachher kommst du dann noch mal zu mir und erzählst mir, wie es gelaufen ist. Und du,“ er sah mich an und deutete mit dem Finger auf mich, „kommst nicht auf dumme Gedanken, verstanden? Lächle einfach und sei süss. Das wirst du ja wohl noch hinkriegen, oder?“ Das Fenster surrte hoch und der BMW fuhr davon.
Ich starrte ihm hinterher, bis Mischa mich in die Seite stiess und mit dem Kopf eine Bewegung zur anderen Seite des Parkplatzes machte. Ich sah hin und schluckte.
Da drüben war ein nettes kleines Bistro, das ich vom Sehen kannte. Dort arbeitete er also?
„Na los, geh´ schon rüber. Hast du Geld dabei?“ Ich schüttelte den Kopf und umklammerte die Tragetasche mit meinen Kleidern. Er schnaubte genervt und kramte dann einen Zehn-Euro-Schein aus seiner Hosentasche. Den reichte er mir und scheuchte mich dann ungeduldig zum Bistro.
Meine Beine fühlten sich seltsam hölzern an, als ich über den Parkplatz ging und die Tür des Bistros immer näher kam. Es waren noch eine ganze Menge Leute unterwegs und ich hatte das Gefühl, sie könnten allesamt durch
meine Kleidung sehen und erkennen, dass ich ein Junge in Mädchensachen war.
Trotzdem gelangte ich unbehelligt zu dem Bistro, drückte die Glastür auf und trat ein. Ich war noch nie hier drin gewesen und sah mich zuerst einmal um. Es waren nur wenige Gäste anwesend, aber darüber war ich eigentlich ganz froh.
Die Einrichtung war in hellen Farben gehalten. Kleine weisse Tische mit passenden Stühlen standen im Raum verteilt, dazwischen viele grosse Grünpflanzen und an der Decke ein riesiger Ventilator, der aber nicht eingeschaltet war. Die Wände waren mit einer Art Sackleinwand bespannt und mit gerahmten Postern von tropischen Inseln, Wäldern oder Wüstenlandschaften dekoriert. Aus mehreren Wandlautsprechern kam gedämpfte Radiomusik und im Hintergrund sah ich eine ebenfalls weiss gestrichene Bar, auf der das übliche Gerät herumstand. Dahinter befand sich eine Tür, die vermutlich in die Küche führte.
Die öffnete sich jetzt und mein zukünftiges Opfer tauchte auf. Er trug einen Teller in jeder Hand und brachte sie rasch an einen Tisch, wo ein junges Pärchen sass und in ein angeregtes Gespräch vertieft war.
Er sah anders aus, als in der Schule, trug ein weisses Hemd und eine knöchellange rote Schürze.
Als er sich jetzt von dem Pärchen abwendete, fiel sein Blick auf mich und er lächelte. Er kam ein paar Schritte näher und fragte freundlich:“Willst du nicht erst mal reinkommen?“ Ich wurde rot, denn er hatte recht. Ich stand schon die ganze Zeit wie eine Landpomeranze in der Tür und traute mich nicht vorwärts und nicht rückwärts.
Ich liess mich also schnell an einem freien Tisch nieder und da stand er auch schon neben mir und reichte mir die Speisekarte. „Möchtest du erst mal auf die Karte schauen, oder kann ich dir schon irgendwas bringen?“ wollte er wissen. „Äähm, ...ich hätte gern ein Mineralwasser.“ Er nickte lächelnd und verschwand. Wenige Minuten später stand das Mineralwasser vor mir und dankbar nahm ich einen Schluck.
Genau in dem Moment öffnete sich die Tür erneut und Mischa kam herein. Er fläzte sich ohne Umschweife an einen Tisch nicht weit von mir und bestellte sich einen Latte Macchiato.
Ich war nervös. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich hatte keine Ahnung, wie Mädchen einen Jungen auf sich aufmerksam machten. Vor meinem geistigen Auge sah ich dabei immer so einen „Fesche-Lola-Verschnitt“, der mit laszivem Augenaufschlag auf einem Barhocker sass und den Rock hochzog. Aber sowas konnte ich doch nicht machen und das nicht nur, weil ich keinen Rock anhatte!
Was hatte Kai gesagt? Lächle und sei süss!
Verdammt – ich war nicht süss! Aber wenn ich nicht wollte, dass meine Nacktfotos im Netz landeten, musste ich mir schon ein bisschen Mühe geben!
Ich sah also immer wieder in seine Richtung und lächelte. Ich lächelte, bis mir die Mundwinkel wehtaten!
Aber irgendwie schien das nicht das Richtige zu sein, denn er wirkte eher irritiert als angetan.
Nach einer Weile bestellte ich mir noch einen Saft, doch auch der hielt nicht ewig und nach einer Stunde machte mir Mischa ein unauffälliges Zeichen, dass wir gehen sollten. Ich bezahlte, erhob mich und stakste in den ungewohnten Schuhen nach draussen.
Mischa folgte mir kurz danach und hielt mich auf dem Parkplatz zurück. Er schüttelte den Kopf. „Mann, du hast echt nur Brei in der Rübe, Sascha! Das kann doch nicht so schwer sein, was wir von dir wollen! Du brauchst doch nur ein bisschen nett lächeln und flirten! Kriegst du nicht mal das auf die Reihe?“ Er kam zu mir und versetzte mir einen Stoss. Dann streckte er die Hand aus. „Gib´ mir das restliche Geld wieder, los!“ Ich griff in die Tasche und wollte das Geld herausholen. Da liess mich ein Ruf innehalten.
Ich schaute hoch und sah wie jemand aus dem Bistro und über die Strasse gerannt kam. Es dauerte einen Moment, bis ich ihn erkannte, denn er hatte die Schürze abgelegt und trug eine helle Jacke.
Mischa erkannte ihn auch und wandte sich ab, um rasch wegzulaufen. Vorher zischte er mir noch zu:“Sieht so aus, als bekämst du noch eine Chance! Vermassel´ es also nicht nochmal!“ Dann sprintete er davon und gleich darauf war der Andere bei mir.
„Hat er dir was getan?“ wollte er wissen und fasste mich an der Schulter. „Ähm, nein, hat er nicht!“ brachte ich stockend hervor. „Dann ist es ja gut.“ meinte er zufrieden. „Ich hab´ gerade meine Jacke angezogen, da hab´ ich gesehen, wie er dich geschubst hat. Kennst du ihn?“ „Nö....Flüchtig.“ Ich lächelte nervös.
Jetzt reichte er mir die Hand. „Ich heisse übrigens Daniel. Und du?“ Ich erstarrte. Wie hiess ich eigentlich?
Mein Hirn schien völlig leer zu sein in diesem Moment. „Wie ich heisse?“ stotterte ich, um Zeit zu gewinnen.
„Sa … „ Mist, mir fiel nichts ein. Da fiel mein Blick auf eine Litfaßsäule, auf der das Konzert einer bekannten deutschen Popsängerin angekündigt wurde und „Bingo!“ hatte ich meinen Namen.
„Sarah!“ platzte ich erleichtert heraus. „Sarah?“ Ich nickte heftig. „Hübscher Name. Aber du bist ja auch hübsch! Da passt es.“ meinte er lächelnd. Ich sah errötend zu ihm auf. Er fand mich hübsch? Oh Mann!
„Wohnst du weit von hier?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, nur ein paar Strassen weiter.“ „Dann begleite ich dich. Falls dieser Typ hier noch irgendwo rumlungert.“setzte er hinzu.
Wir machten uns auf den Weg und er begann mich auszufragen. Konnte es tatsächlich sein, dass er Gefallen an „Sarah“ fand? „Gehst du auch hier zur Schule?“ wollte er wissen. „Nein.“ ich überlegte – Mensch, das Ganze lief ja auf regelrechte Hirnakrobatik hinaus. Ständig musste ich mir was ausdenken. „Ich bin auf der XXX in M.“
„Schade.“ meinte er. „Wenn du hier zur Schule gehen würdest, wären wir uns da ja vielleicht mal über den Weg gelaufen.“ Wir bogen inzwischen in unsere Strasse ein und ich konnte unser Häuschen schon sehen.
„Aber vielleicht kommst du ja mal wieder ins Bistro? Ich arbeite die ganze Woche da, jeden Abend ausser am Wochenende, von fünf bis acht Uhr abends.“ Er lächelte mich an und ich nickte mit brennenden Wangen.
„Also dann, Sarah. Hoffentlich bis bald!“ Er drehte sich um und ging den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Nach ein paar Metern drehte er sich um und hob noch einmal grüssend die Hand. Dann bog er um die Ecke und war verschwunden.
Jetzt raschelte es auf der anderen Strassenseite im Gebüsch. Dort begann der Stadtpark und ein dichter Grüngürtel reichte bis an die Strasse heran. Als ich hinsah, wurden die Äste auseinandergebogen und Mischa kam zum Vorschein.
Er kam zu mir herüber und meinte:“Na also, geht doch! Dann weisst du ja, wo du die nächsten Abende verbringst.“ Er lachte meckernd. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und liess mich stehen.
Ich sah ihm nach und fühlte mich elend. Ich wollte nicht bei dieser Intrige mitmachen. Ich wollte Daniel nicht verarschen, aber was blieb mir anderes übrig. Ich wusste, ich würde es nicht verkraften, wenn die ganze Schule mich nackt im Internet begaffte und mich auslachte.
Langsam zog ich mir die Perücke vom Kopf und stapfte auf unser Grundstück. Hinten im Garten stand ein kleines Gartenhäuschen. Da drinnen zog ich mich um und wischte mir mit einem Lappen die Schminke aus dem Gesicht. Erst dann trat ich durch die Haustür und begrüsste meine Mutter. Sie arbeitete als Altenpflegerin und hatte eine anstrengende Schicht hinter sich, das konnte ich ihrem müden Gesicht ansehen. Ich nahm sie kurz in den Arm und drückte sie. „Hallo Mama!“ Sie erwiderte die Umarmung. „Hallo Sascha! Hast du Hunger?“ Ich schüttelte den Kopf. Genau genommen bezweifelte ich stark, dass ich überhaupt jemals wieder etwas essen konnte.
„Ich hab´ in der Stadt ´ne Pizza gegessen.“ flunkerte ich. „Ich geh´ mich duschen und dann muss ich noch für ´ne Klausur lernen. Geh´ ruhig schon ins Bett, wenn du müde bist. Ich versprech´ dir, dass ich um zwölf im Bett bin, okay?“ Sie musterte mich einen Augenblick lang, dann lächelte sie und nickte. „Okay, Sascha.“ Sie fuhr mir mit der Hand durchs Haar. „Ich bin froh, dass du so ein vernünftiger Junge bist. Ich müsste mir eigentlich viel mehr Zeit für dich nehmen, ich weiss.“ Ich lächelte ihr beruhigend zu und sagte:“Quatsch! Ich weiss doch wie viel du arbeitest, Mama!“ Sie hob die Hand und winkte ab. „Geschenkt! Trotzdem – ich weiss ja praktisch nichts darüber, wie du deine Tage verbringst. Klar, in deinem Alter ist das schon sowas wie normal, aber ich habe das Gefühl, ich lasse dich mit all deinen Sorgen und Problemen allein! Das tut mir leid, Sascha!“
Als sie das sagte, fiel mir wieder der Schlamassel ein, in dem ich gerade steckte. Das war allerdings ein Problem.
Aber das letzte was ich wollte war, darüber mit meiner Mutter zu sprechen!!!
Damit sie mein Gesicht nicht sehen sollte, nahm ich sie nochmals in den Arm und murmelte:“Mach´ dir keine Sorgen, Mama. Mir geht’s gut!“
Dann löste ich mich aus ihren Armen, schnappte mir meine Tragetasche und huschte schnell die Treppe hinauf.
Die Tüte verstaute ich ganz hinten in meinem Schrank und ging dann duschen.
Die Sache mit der Klausur war natürlich gelogen, also warf ich mich nach der Dusche auf mein Bett und zog mir die Decke über den Kopf.
Daniels Gesicht stand mir vor Augen. Wie er Sarah

angelächelt hatte und sich ganz offensichtlich auf ein Wiedersehen freute! Gott – was sollte ich nur machen?


Am nächsten Abend hatte meine Mutter Spätschicht, was bedeutete, dass sie nicht vor 22 Uhr zuhause sein würde. Ich konnte mich also in meinem eigenen Zimmer umziehen. Mit dem Make up hatte ich etwas Mühe, doch schliesslich war ich mit dem Ergebnis einigermassen zufrieden, auch wenn das Ganze sparsamer ausgefallen war, als am Vortag.
Kai war heute in der Schule auf mich zu gekommen und hatte sich mit dem Verlauf des vergangenen Abends zufrieden gezeigt. Bevor er wieder abgezogen war, hatte er mir noch gesagt, dass er um 19 Uhr bei mir zuhause sein und Jonas mitbringen würde. Der sollte diesmal in meiner Nähe bleiben.
Später begegnete ich Daniel im Matheleistungskurs und konnte nicht verhindern, dass ich knallrot wurde, als er grüssend in meine Richtung nickte. Glücklicherweise schien er es nicht zu bemerken.
Um kurz vor 19 Uhr schellte es und ich ging zur Tür. Kai stand draussen und musterte mich, als ich öffnete, dann schüttelte er den Kopf. „Nee, Mann, das geht so nicht!“ Ich sah an mir herunter und verstand nicht, was er auszusetzen hatte.
„Warum nicht?“ Doch da schoben mich die Beiden schon zurück ins Haus.
Jonas hatte wieder eine Tüte dabei und Kai nahm sie ihm ab und suchte darin herum. Schliesslich förderte er ein kurzärmeliges Shirt mit diagonalen Streifen in Neonfarben zutage. Er musterte es kurz und hielt es mir dann hin. „Hier, zieh´ das an.“ forderte er. „Die Sachen in der Tüte bleiben ab sofort hier, damit du wechseln kannst. Oder glaubst du ein echtes Mädchen würde die gleichen Sachen zweimal hintereinander anziehen? Erst recht, wenn sie einen Typen beeindrucken will?“
Er wühlte erneut in der Tasche. Gleich darauf brachte er noch eine Halskette und ein dazu passendes Armband zum Vorschein.
Nachdem ich das Oberteil gewechselt und die beiden Schmuckstücke angelegt hatte, nickte Kai zufrieden und meinte:“Schon besser. So kannst du gehen.“ Ich brachte noch schnell die Tüte mit den Klamotten nach oben, versteckte sie bei der anderen und lief rasch wieder nach unten.
Kai instruierte Jonas noch einletztes Mal und ging dann. Ich zog mir wieder die Sweatjacke über und verliess ebenfalls das Haus.
Bevor ich auf die Strasse trat, schaute ich mich vorsichtig nach allen Seiten um, denn das Letzte, was ich wollte war irgendwelchen Nachbarn in die Hände zu laufen.
Glücklicherweise war niemand zu sehen und etwas erleichtert machte ich mich auf den Weg.
Jonas folgte mir in einigen Metern Entfernung und als ich das Bistro erreichte, drückte er sich in einen Hauseingang, während ich die Glastür aufschob und den Gastraum betrat.
Daniel stand hinter der Bar und machte gerade einen Espresso, als ich hereinkam. Er sah auf und lächelte erfreut, als er mich erkannte.
Warum wurde ich jetzt verlegen?
Ich lächelte zurück und setzte mich mit geröteten Wangen an einen freien Tisch. Gleich darauf war er an meinem Tisch und nahm meine Bestellung auf. Ich entschied mich für einen Cappuccino und es dauerte nur wenige Minuten, bis die dampfende Tasse vor mir stand.
Heute Abend war es Daniel der mich pausenlos anzulächeln schien und als nach einer halben Stunde plötzlich niemand mehr im Bistro war ausser uns beiden, kam er zu mir herüber und setzte sich an meinen Tisch.
Als er da so nah bei mir sass, schoss mir das Blut ins Gesicht und ich wagte kaum ihn anzusehen. Mein Herz schlug einen raschen Trommelwirbel und meine Hände zitterten so, dass ich sie unter der Tischplatte versteckte.
Daniel stützte sich auf beide Ellbogen und sah mich lächelnd an. „Schön, dass du gekommen bist, Sarah!“ sagte er. „Ich hatte schon befürchtet, ich wäre etwas zu aufdringlich gewesen und deshalb würdest du dich nicht mehr sehen lassen.“ Nervös lachte ich. „Aber nein, du warst doch nicht aufdringlich.“
Ich erinnerte mich an unser Zusammentreffen auf dem Parkplatz am gestrigen Abend. „Du hast mich doch gerettet, weisst du nicht mehr?“
Ich bemühte mich um ein Lächeln, das als süss gelten konnte.
Sein eigenes Lächeln blieb, also schien es zu funktionieren. Dafür wirkte er ein bisschen verlegen, fuhr sich mit einer Hand durch sein Blondhaar, dass es zerzaust vom Kopf abstand und meinte: „Sag´ nicht sowas! Soviel war da ja auch nicht. Der Typ ist immerhin sofort abgehauen. Also musste ich doch gar nichts weiter machen. Was wollte der eigentlich von dir?“
Jetzt wurde er ernst. Ich überlegte. Was konnte ich ihm antworten? „Naja, ...“ begann ich zögernd. Dann beschloss ich es mit der Wahrheit zu versuchen – einem klitzekleinen Teil der Wahrheit ….
„Er hat Geld verlangt.“ sagte ich und Daniels Augenbrauen schossen in die Höhe. „Geld?“ Ich nickte.
„Hmmm.“ machte er mit gerunzelter Stirn. „Das ist ´ne ernste Sache. Meinst du nicht, du solltest das bei der Polizei anzeigen? Wenn du möchtest, komme ich auch als Zeuge mit.“
Ich erschrak. Um Himmels willen, das fehlte mir noch!
Ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein, nein! Es ist ja nichts passiert. Und das Geld hat er auch nicht gekriegt!“
Daniel sah nicht überzeugt aus, aber zu meinem Glück öffnete sich jetzt die Tür zur Küche und er wurde gerufen.
Als er sich erhob lächelte er wieder und meinte noch rasch:“Wie ist es, magst du noch ein bisschen bleiben? Ich habe um acht Feierabend. Sollen wir dann noch woanders hingehen?“
Ich verschluckte mich fast an meinem Cappuccino.
Wir sahen uns heute doch erst zum zweiten Mal! Hatte er etwa tatsächlich schon angebissen

? Ich bemühte mich ihn freudig anzustrahlen und nickte. „Ja, gern!“ Das schien ihn mächtig zu freuen und er zog grinsend ab Richtung Küche.
Zwanzig Minuten später hatte er die Schürze ausgezogen, sich von seiner Chefin verabschiedet und stand mit aufforderndem Lächeln an meinem Tisch. „Wollen wir?“ fragte er und ich erhob mich.
Als wir vor der Tür standen überlegte er kurz.
„Wo möchtest du gern hingehen, Sarah?“ fragte er mich, doch ich war abgelenkt, denn meine Augen wurden von dem Hauseingang angezogen, in dem sich, wie ich wusste, mein Schatten verbarg. Ich konnte ihn nicht sehen, zweifelte aber nicht daran, dass er da war. „Sarah? Was ist?“ Daniel folgte meinem Blick und war irritiert. Ich riss mich zusammen und löste meinen Blick von dem höhlenartigen Eingangsbereich.
„Nichts! Gar nichts! Was hast du gesagt?“ Er schaute Gott sei Dank wieder zu mir. „Ich hab´ gefragt, wo du gern hingehen möchtest.“
Was sollte ich jetzt sagen? Ich ging so gut wie nie aus, kannte also die Lokalitäten in der Stadt kaum. Ich zuckte etwas hilflos die Schultern. „Keine Ahnung. Ich gehe nur sehr selten aus.“
Er hob lächelnd die Augenbrauen. „Echt?“ Er dachte kurz nach. „Dann lass uns ins J.D. gehen. Das ist nicht weit von hier. Aber vielleicht bist du ja schon mal dran vorbei gekommen? Immerhin wohnst du ja nicht weit weg.“
Ich nickte wieder. „J.D. - ist das nicht dieser Fifties-Laden?“ Er nickte. „Genau. Warst du da schon mal drin?“
„Nein. Bin nur dran vorbei gekommen, wie du gesagt hast.“
Während dieser Unterhaltung hatten wir uns schon auf den Weg gemacht und kurz darauf betraten wir das 50er Jahre-Burger-Restaurant J.D.. Das gesamte Lokal war im bunten Plastiklook der 50er Jahre gehalten, bis hin zur Arbeitskleidung der Angestellten und der Musik die aus den Lautsprechern dudelte. Die langgezogene Theke war hellblau und hatte breite verchromte Zierstreifen. Die Tische waren entlang der Fensterfront aufgestellt und wurden von Sitzbänken mit Kunststoffbezug - ebenfalls in hellblau – eingerahmt. An den Wänden hingen Bilder von Kinostars der 50er Jahre, allen voran natürlich James Dean, von dem das Lokal seinen Namen hatte.
Als es vor ein paar Jahren eröffnet wurde, waren die 50er gerade total in und die Bude jeden Abend brechend voll. Inzwischen hatte sich der Rummel gelegt und obwohl der Laden immer noch gut lief, fand man problemlos einen Platz und konnte sich unterhalten, ohne die Stimme heben zu müssen.
Daniel und ich setzten uns gegenüber und er griff nach der laminierten Speisekarte. „Möchtest du was essen?“ fragte er mich. Ich verneinte. Wie sollte ich in meiner Lage sowas wie Hunger haben?
Er winkte der Bedienung und bestellte für sich eine Cola. Ich tat es ihm gleich und dann sassen wir wieder allein an unserem Tisch. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ausserdem bemerkte ich, dass er das Kinn in die Hand gestützt hatte und mich aufmerksam betrachtete.
Was war los? Hatte er was gemerkt?
Ich rutschte unruhig hin und her. Schliesslich hielt ich es nicht mehr aus.
„Was ist?“ fragte ich beklommen. Er lächelte. „Eigentlich nichts. Ich frag´ mich nur gerade, ob ich dich schon mal irgendwo getroffen habe? Irgendwie kommt mir dein Gesicht total bekannt vor.“
Oh Gott! Mein Gesicht kam ihm bekannt vor! Oh Gott, oh Gott, oh Gott!!
Ich musste was tun, ihn von diesem Gedanken ablenken!
Ich lächelte und meine Lippen fühlten sich spröde an als ich sagte: „Daran würde ich mich bestimmt erinnern!“
Das wirkte, er erwiderte mein Lächeln und lehnte sich zurück. „Ja, da hast du wohl recht. Daran würde ich mich garantiert auch erinnern.“ sagte er mit bedeutungsvollem Blick.
Uaah! Das gab´s ja nicht! Sarah

gefiel ihm offenbar wirklich!!
Meine Wangen glühten!
Die Bedienung brachte unsere Getränke und dankbar nahm ich einen grossen Schluck.
„Also, du gehst auf die XXX? Wie ist es da eigentlich so? Ich bin ja noch nicht lange hier an der Schule und meine Eltern haben eine Zeitlang überlegt, ob sie mich nicht auch auf der XXX anmelden sollten. Mir war das eigentlich egal, aber jetzt ärgere ich mich schon ein bisschen, dass ich hier zur Schule gehe und nicht in M..“ Er lächelte wieder.
Mann, ging der immer so ran?
Aber gut, wenn das so weiterlief, hatte ich die ganze Sache ja vielleicht bald hinter mir. Zwar würden mich dann alle als Mädchen verkleidet im Internet sehen, aber wenigstens hatte dieses Versteckspiel hier ein Ende.
Allerdings wäre Daniel dann wohl nicht mehr so freundlich zu mir, ganz im Gegenteil.
Als mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, war ich plötzlich traurig.
Daniel war nett und er war freundlich zu mir. Ich wollte nicht, dass sich das änderte.
„Blödmann!“ schimpfte ich mich im nächsten Moment. „Nicht zu dir ist er so nett, sondern zu Sarah

!“
Ja, das stimmte wohl.
„Wie es auf unsere Schule ist?“ hörte ich mich sagen. „Ich schätze nicht viel anders als auf jeder anderen Schule auch.“ Ich hörte selbst, wie abweisend ich auf einmal klang. Deshalb beeilte ich mich zu fragen: „Aber wie ist das denn mit dir? Du bist noch nicht lange hier, sagst du? Wo bist du denn vorher gewesen?“
Er runzelte ganz kurz die Stirn. Es war ihm offenbar nicht entgangen, dass meine Frage ein Ablenkungsmanöver darstellte, aber er antwortete ohne Zögern.
„In Berlin. Meine Familie ist vorigen Monat hergezogen. Mein Vater arbeitet in der Werbebranche und seine alte Firma hat Konkurs gemacht. Er hat dann hier in der Stadt einen neuen Job gefunden.“
„Berlin?“ Ich riss die Augen auf. „Das ist dann aber eine ganz schöne Umstellung für dich, oder? Ich meine, Berlin und dagegen das hier!“
Ich machte eine ausladende Geste mit der Hand und er lächelte endlich wieder. „Naja, es ist schon ungewohnt, stimmt. Andererseits …“ er zögerte schmunzelnd, „...hätte ich dich in Berlin nie getroffen!“
Ich wurde wieder rot.
Moment, freute ich mich jetzt etwa, dass er das sagte?
Ich starrte auf die Tischplatte. „Ich weiss, das klingt jetzt wie eine total abgedroschene Anmache, Sarah, aber ich meine es wirklich so, wie ich es sage. Das kannst du mir ruhig glauben! Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe und ich würde mich freuen, wenn es dir genauso ginge!“
Ich hob den Blick und sah, dass sein Gesicht bei diesen Worten völlig ernst war.
Verstohlen musterte ich ihn und stellte zum ersten Mal bewusst fest, dass er gut aussah. Seine Augen waren von einem hellen Haselnussbraun, die Nase schmal, aber kräftig und gerade und seine Oberlippe hatte einen sinnlichen Schwung, der förmlich zum Küssen einlud …
Halt – Moment! Was waren denn das für Gedanken? Ich war doch Sascha, nicht Sarah

! Ging ich schon so in meiner Rolle auf?
Ich riss mich in die Wirklichkeit zurück und konzentrierte mich wieder auf unsere Unterhaltung.
„Hättest du Lust am Samstag mit mir auszugehen?“ fragte er gerade. „Ins Kino vielleicht, oder Tanzen? Was meinst du?“
„Lieber ins Kino!“ beeilte ich mich zu antworten. „Tanzen ist nicht so mein Ding!“
Er nickte. „Okay. Dann also Kino. Ich hol´ dich so gegen halb acht ab, ja?“
WAS

?
„Nein!!“ Sein erstaunter Blick sagte mir, dass ich wohl etwas zu heftig reagierte. Verzweifelt suchte ich nach Worten. „Ich meine ...“ Was meinte ich denn? „Ich... bin Samstag mit einer Freundin verabredet. Wie wäre es, wenn wir uns vor dem Kino treffen?“
Würde er sich darauf einlassen?
Erleichtert sah ich, wie er nickte. „Ja, schätze, das ist auch in Ordnung.“ Wieder lächelte er. „Also am Samstag um halb acht vor dem Kino. Ich freu´ mich schon drauf!“
Wir tranken unsere Gläser aus und bezahlten. Als wir das J.D. verliessen hielt er mir die Tür auf. Da ich nach Hause wollte, bot er mir erneut seine Begleitung an und ich lehnte nicht ab.
Unterwegs sprachen wir über unsere Interessen und ich erfuhr, dass er Kampfsport machte. In Berlin war er sogar in einem Kendo-Club gewesen, aber hier gab es so etwas leider nicht, weshalb er sich noch auf der Suche nach einem geeigneten Ersatz befand.
„Und was machst du so, wenn du nicht in der Schule bist?“ wollte er wissen.
„Naja, ich lese viel. Hauptsächlich über Astronomie und Astrophysik, aber auch mal Science fiction. Ich habe auch ein Teleskop und wenn es nicht zu bewölkt ist, bin ich nachts oft auf unserem Balkon und schaue in die Sterne. Oder manchmal beobachte ich damit auch einfach nur die Vögel im Park.“ Er sah mich überrascht an. „Im Ernst jetzt?“ Ich erwiderte seinen Blick. „Ja, klar. Wieso denn nicht?“
Er zuckte lachend die Schultern. „Ich weiss auch nicht. Ist ein bisschen ungewöhnlich. Irgendwie erwartet man so ein Hobby nicht von einem Mädchen, oder?“
Ich zuckte zusammen. Da hatte er recht. Ich hatte gar nicht mehr daran gedacht, welche Rolle ich hier spielte.
Hektisch suchte ich nach einer Erwiderung, doch mir fiel nichts ein.
Da hörte ich, wie er sagte: „Aber das passt irgendwie zu dir. Das zeigt, dass du nicht nur hübsch bist, sondern auch was auf dem Kasten hast, weisst du? Das gefällt mir, Sarah!“ Wieder stieg mir das Blut in die Wangen.
Inzwischen waren wir bei mir zuhause angekommen. Wie erwartet, war das Haus noch dunkel, meine Mutter also noch nicht von der Arbeit zurück.
Etwas befangen standen wir vor dem Gartentor. „Also dann … vielen Dank fürs nach Hause bringen.“ sagte ich und er lächelte. „Gern geschehen. Vielen Dank für den netten Abend, Sarah.“
Er wurde ernst und einen Moment lang dachte ich, er wollte noch etwas sagen. Doch dann hob er nur die Hand und fuhr mir damit flüchtig über die Wange. Ich hatte das Gefühl, der Erdboden müsste sich öffnen und mich verschlingen. Wo er mich berührte, schien meine Haut in Flammen aufzugehen und mein Herz überschlug sich fast in meiner Brust.
Würde er noch weiter gehen?
Doch er liess die Hand wieder sinken, lächelte erneut und sagte:“Bis Samstag dann!“
„Bis Samstag.“ hörte ich mich sagen, dann drehte er sich um und ging eilig davon. Diesmal drehte er sich nicht um und als er um die Strassenecke gebogen und ausser Sicht war, kam Jonas aus dem Gebüsch. Er grinste übers ganze Gesicht und musterte mich von oben bis unten.
„Sieh an, sieh an!“ lachte er. „Der Typ steht ja wirklich auf dich! Vielleicht ist ja am Samstag schon der grosse Tag, was meinst du?“
Ich antwortete nicht, starrte ihn nur an und nach einem Moment liefen mir zwei dicke Tränen über die Wangen.
Jonas verdrehte die Augen. „Oh Mann, du bist vielleicht erbärmlich!“ Er wandte sich zum Gehen. Über die Schulter rief er mir noch zu:“Dann bis Samstag, Süsse!“ Lachend ging er davon.
Ich dagegen stand noch eine ganze Weile regungslos vor der Gartenpforte, bis ich mich endlich aufraffen konnte, zum Gartenhäuschen zu gehen. Mechanisch zog ich mich um und wischte mir die Schminke vom Gesicht.
Dann betrat ich das Haus und versteckte die Mädchenkleider. Als nächstes ging ich ins Bad, duschte mich und stand dann lange vor dem Spiegel. Ich brachte mein Gesicht ganz dicht vor das Glas und betrachtete mich.
Was sah Daniel, wenn er mich anschaute? Und was sah ich, wenn ich in sein Gesicht blickte?
Er mochte Sarah

, dessen war ich mir jetzt ganz sicher. Aber Sarah

existierte in Wirklichkeit gar nicht.
Und ich, Sascha, mochte ich Daniel? Klar, immerhin war er ein netter Kerl.
Aber … war das alles?
Ich konnte immer noch fühlen, wo seine Hand mich berührt hatte. Wieso brachte mich das so aus der Fassung?
„Na, ist ja auch nicht gerade was alltägliches von einem anderen Jungen auf diese Art berührt zu werden, oder?“
beruhigte ich mich selbst.
Ich hob meine eigene Hand und legte sie auf die Stelle, wo seine Finger mich sanft gestreift hatten.
Im nächsten Augenblick rief ich mich zur Ordnung. „Jetzt komm´ mal wieder runter! Samstag gehst du mit ihm ins Kino und vielleicht ist die ganze Sache dann schon ausgestanden!“
Ich ging in mein Zimmer und kroch in mein Bett, obwohl es noch nicht mal 22 Uhr war. Doch ich konnte lange Zeit nicht einschlafen, ständig sah ich sein Gesicht vor mir und konnte nicht aufhören mich mit einem Ziehen im Magen zu fragen, wie es sich wohl anfühlen würde, ihn zu küssen.


Es war vermutlich weit nach Mitternacht gewesen, als ich endlich eingeschlafen war. Ich hatte gehört, wie meine Mutter nach Hause kam, hatte ihre Schritte auf der Treppe bemerkt und mich schlafend gestellt, als sie in mein Zimmer schaute. Kurz darauf rauschte die Dusche, dann klickte die Tür zu ihrem Schlafzimmer und es wurde still, bis auf das Knacken der alten Holzbalken unseres Hauses.
Alle diese Geräusche waren vertraut, ich hatte sie schon oft wahrgenommen und eigentlich hätten sie etwas Beruhigendes haben und Geborgenheit ausstrahlen müssen. Stattdessen stieg in meiner Brust ein Gefühl der Verlorenheit auf, so als gehörte ich nicht mehr hierher, als wäre ich ein Fremder im eigenen Zuhause.
Ich war in meiner Schulzeit viel gehänselt worden, auch gemobbt und ich hatte mich oft schlecht gefühlt deswegen.
Es war auch eine schlimme Zeit gewesen, als mein Vater von heute auf morgen beschloss, dass seine Familie ein Klotz am Bein war und uns sang- und klanglos verliess.
Aber ein Gefühl wie dieses kannte ich bisher nicht.
Ich fühlte mich, als wäre ich das Letzte.
Weil ich Angst um meinen eigenen Arsch hatte, half ich mit, Daniel auf so eine miese Art reinzulegen!
Dabei war er so ein netter Kerl. Und wenn er Kai mal gezeigt hatte, dass nicht immer alles nur nach seinem Kopf ging – umso besser!
Wenn ich also auch nur ein Fünkchen Mumm in den Knochen hätte, würde ich Kai morgen sagen, dass er die ganze Sache vergessen konnte und Daniel nie wieder als Sarah

treffen.
Aber wenn ich tief in mich hineinhorchte, musste ich zugeben, dass ich – Sascha – Daniel wiedersehen wollte.
Ich musste mir eingestehen, dass ich ihn mochte. Ich wollte in seiner Nähe sein, mit ihm reden und lachen.
Er war der Erste seit langem, der sich wirklich mit mir unterhalten hatte, der mich nicht auslachte oder sich über mich lustig machte.
Der Haken an der Sache war nur der, dass er ja eigentlich keine Ahnung hatte, wer ich wirklich war. Für ihn war ich Sarah

und sie

mochte er, mit ihr

hatte er gesprochen.
Sarah, nicht Sascha.
Für Sascha, den Langweiler würde er so wie alle anderen auch, keinen zweiten Blick übrig haben. Das war mir klar. Wenn ich ihn also wiedersehen wollte, musste ich meine Rolle weiter spielen.
Nur Kais Plan, der musste irgendwie verhindert werden. Ich musste mir unbedingt was einfallen lassen!
An diesem Punkt meiner Überlegungen war ich dann endlich in den Schlaf geglitten.
Am nächsten Morgen war ich wie gerädert und da meine Mutter schon zur Arbeit gegangen war und nicht den Zusatzwecker spielen konnte, kam ich buchstäblich auf den letzten Drücker in der Schule an.
In der ersten Doppelstunde hatte ich ausgerechnet Mathe und als ich kurz nach dem Läuten in die Klasse kam,
war nur noch ein einziger Platz frei. Ich beeilte mich hinzukommen und blieb dann wie erstarrt stehen, denn der freie Platz lag genau neben Daniel. Da konnte ich mich doch unmöglich hinsetzen!
Doch da kam schon der Lehrer in den Raum und gab mir als Erstes zu verstehen, dass ich endlich Platz nehmen sollte.
Ich rutschte also mit hochrotem Gesicht neben Daniel und versuchte jeglichen Blickkontakt zu vermeiden. Konzentrieren konnte ich mich freilich in dieser Stunde nicht, so dicht bei ihm und als ich dann an der Tafel etwas vorrechnen sollte, hatte ich einen totalen Blackout.
Ich starrte auf die Zahlen und Symbole, mit denen ich sonst so gern jonglierte, die mir aber jetzt ungefähr genau soviel sagten wie ägyptische Hieroglyphen.
Schliesslich erlöste mich der Lehrer, gab die Aufgabe an einen anderen Schüler weiter und ich schlich zurück an meinen Platz.
Daniel sah mir mit gerunzelter Stirn entgegen, sagte aber nichts bis der Unterricht zu Ende war.
Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich flüchten, aber er wartete nicht ab, bis ich alles eingepackt hatte, sondern sprach mich an, sobald das Läuten ertönte.
„Sag´ mal, geht’s dir irgendwie nicht gut heute?“ Ich sah ihn nicht an, sondern räumte weiter in meiner Tasche herum, obwohl es da längst nichts mehr zu räumen gab.
„Was?“ Etwas Klügeres fiel mir nicht ein …
„Ob es dir nicht gut geht hab´ ich gefragt!“
„Wie kommst du darauf?“ Er beugte sich zu mir.
„Du bist sonst Einer der Besten im Kurs. Das da vorhin an der Tafel sah dir gar nicht ähnlich. Ausserdem bist du so rot im Gesicht. Hast du Fieber?“
Ich wich vor ihm zurück.
„Nö, ich hab´ kein Fieber,“ nuschelte ich „ich hab´ nur schlecht geschlafen.“
Eine Antwort wartete ich gar nicht mehr ab, sondern hängte mir meine Tasche um, sprang auf und verliess den Raum, so schnell es ging.
Mein Herz schlug zum zerspringen und ich spürte wieder überdeutlich meine Wange, die Daniel am Vorabend berührt hatte. Mir war, als könnten mir alle ansehen, was ich fühlte und ich blieb nicht stehen, bis ich den Trakt für Naturwissenschaften erreicht hatte, wo ich in der nächsten Stunde Physik hatte.
Aber – wie heisst es so schön – Shit happens! Und natürlich, kaum erreichte ich die Treppe, die hinauf zum Gebäude führte, kamen Kai und seine Spiessgesellen um die Ecke und hielten auf mich zu.
Ich machte den sinnlosen Versuch, ihnen auszuweichen, aber natürlich waren sie schneller als ich und umringten mich feixend.
„Was willst du?“ Trotzig sah ich Kai ins Gesicht.
Der wandte sich mit gespielter Überraschung an seine Freunde: „Was sagt man dazu? Kann es sein, dass unser kleiner Süsser mich nicht mehr mag?“
Die anderen lachten. Kai aber schob sich die Fäuste in die Hosentaschen und musterte mich von oben bis unten.
Sein Gesicht wurde ernst, als er sagte: „Ich hab´ schon von Jonas gehört, wie es gestern abend gelaufen ist. Respekt! Hätte nicht gedacht, dass es so fix geht mit euch beiden. Aber ist ja auch kein Wunder, so mädchenhaft wie du bist!“ Alle Vier prusteten los. „Also nur zu! Ich wünsch´ dir viel Spass morgen Abend. Nur vergiss eins nicht: Dein Arsch gehört mir bis diese Sache vorbei ist! Und wenn du versuchst mich reinzulegen, geht’s dir schlecht!“ Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um. „Ach ja, eins noch! Morgen Abend komme ich selbst! Das grosse Finale kann ich mir doch nicht entgehen lassen!“
Mir wurde schlecht. Unter dem Gelächter der vier Raufbolde taumelte ich zum Treppengeländer und legte mein ohnehin spärliches Frühstück mit Schwung ins Gebüsch.
Das erheiterte die Kerle noch mehr, doch plötzlich verstummten sie und stiessen sich gegenseitig in die Rippen. Ich wischte mir über den Mund und sah auf.
Oh nein! Da kam tatsächlich Daniel den gleichen Weg entlang wie ich vor ein paar Minuten! Das durfte doch nicht wahr sein!
Prompt hob sich mein Magen noch einmal, aber ausser etwas Schleim und Galle kam nichts mehr. Dafür begann es in meinen Ohren zu summen und ich musste mich am Treppengeländer festhalten um nicht zu fallen.
Jetzt hatte er mich entdeckt und beschleunigte seine Schritte.
Ich musste hier weg! So erbärmlich sollte er mich nicht sehen!
Aber kaum löste ich die Hände von der Geländerstange, begann sich alles zu drehen und ich fasste rasch wieder danach. Die vier Rowdies schlenderten gemütlich davon, liessen sich aber Zeit und blieben in einiger Entfernung stehen, um nur ja nichts zu verpassen.
Daniel erfasste die Lage mit einem Blick, eilte zu mir und legte mir die Hand auf die Schulter. „Wusste ich´s doch, dass mit dir was nicht stimmt!“ meinte er und löste meine schweissfeuchten Finger vom Handlauf. Da ich wusste, dass mir dann sofort wieder schwindlig werden würde, wehrte ich mich dagegen, doch er beruhigte mich und half mir, mich auf den Boden zu setzen.
„Ist ja gut, keine Panik! Setz´ dich hierhin und beug´ den Kopf zwischen die Knie. Ja, genau so!“
Mit geschickten Fingern tastete er an meinem Handgelenk nach dem Puls und sah dabei auf seine Armbanduhr.
„104.“ sagte er schliesslich und liess meine Hand los. „Hä?“ Ich sah hoch. „Du hast einen Puls von 104. Das ist ziemlich hoch. Dein Kreislauf ist gerade total im Keller würde ich sagen.“
Benommen starrte ich ihn an. Das Summen in meinen Ohren war zwar noch da, war aber schon viel leiser geworden.
„Woher willst du das wissen?“ Die Antwort erstaunte mich. „In meiner alten Schule war ich Schulsanitäter. Wir hatten da öfters mal Mädchen mit Kreislaufproblemen.“
Na, toll! Mädchen mit Kreislaufproblemen! Ich war also wirklich mädchenhaft!
„Eigentlich wäre es besser, wenn du dich irgendwo hinlegen könntest.“ fuhr er fort. „Ich könnte dir helfen ins Sekretariat zu gehen. Da gibt es einen Erste-Hilfe-Raum mit einer Liege.“ Auffordernd sah er mich an.
Rasch riskierte ich einen Blick zu Kai und seinen Kumpels. Die standen immer noch da und starrten neugierig zu uns herüber. Daniel folgte meinem Blick und schnaubte geringschätzig.
„Machst du dir Gedanken, weil die alles gesehen haben? Mann, vergiss die! Die sind es nicht wert, dass du dir ihretwegen Sorgen machst. Lauter Arschlöcher!“
In diesem Augenblick schrillte die Schulglocke, die dritte Stunde begann. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass Bewegung in die Vierergruppe kam. Widerwillig räumten sie das Feld und gingen zum Unterricht.
Auch ich hätte jetzt eigentlich im Physiksaal sitzen sollen, aber in dieser Verfassung war daran nicht zu denken.
Ich rappelte mich also mit Daniels Hilfe auf und liess mich von ihm zum Sekretariatsgebäude bringen, oder besser schleppen. Dort durfte ich mich im Erste-Hilfe-Raum hinlegen und er holte sogar noch einen Schaumstoffkeil von einem der Schränke herunter, um meine Füsse damit hochzulegen.
Dann setzte er sich auf einen Stuhl und holte Collegeblock und Stift aus seiner Schultasche.
Wollte er jetzt hier bei mir sitzen bleiben, oder was?
Es sah ganz danach aus. Ergeben schloss ich die Augen. Mir blieb heute auch nichts erspart, oder?
Seine Anwesenheit allein reichte schon aus, damit mein Puls sich konstant im roten Bereich hielt.
Verdammt, was war denn los?
Nach einer Weile übermannte mich trotzdem der Schlaf. Knappe vier Stunden Nachtruhe waren eben definitiv zu wenig.
Ich schreckte erst hoch, als mich jemand behutsam anstupste.
Ich setzte mich ruckartig auf und starrte direkt in Daniels Gesicht. Er lachte leise.
„Hey, sachte! Willst du mal was trinken?“ Er hielt mir ein Glas mit brauner Limonade hin, Cola dem Geruch nach.
Zweifelnd sah ich ihn an, aber er machte eine auffordernde Bewegung mit dem Glas.
„Dein Puls ist runter auf 72 und du hast auch wieder eine normale Gesichtsfarbe. Dein Kreislauf hat sich also wieder berappelt. Aber dein Frühstück hast du dir ja wohl vorhin nochmal durch den Kopf gehen lassen. Also wäre es vielleicht keine schlechte Idee, deinen Blutzuckerspiegel ein bisschen mit Cola aufzupeppen. Und das Koffein wird dich zusätzlich aufmuntern. Also trink´ ruhig.“
Ich nahm ihm das Glas ab und trank in grossen Schlucken.
„Nicht zu schnell!“ mahnte er.
Als das Glas leer war, musste ich einen Rülpser unterdrücken und sah verlegen zu ihm. Er schien es aber gar nicht gemerkt zu haben. Stattdessen nahm er mir das Glas ab und stellte es beiseite. Seine Finger berührten dabei meine Hand und ich fühlte, wie sich mein Puls wieder beschleunigte.
„Wie lange hab´ ich denn geschlafen?“ wollte ich wissen.
„Nicht so lange. Vielleicht eine halbe Stunde. Setz´ dich jetzt mal langsam auf.“ verlangte er. Ich tat es und als ich sass, musterte er mich kritisch. Schliesslich nickte er zufrieden. „Scheint wieder okay zu sein. Willst du zum Unterricht zurück oder lieber nach Hause?“
Ich zuckte die Achseln. „Ich weiss nicht so recht. Vielleicht ist es besser, wenn ich nach Hause gehe.“
Er nickte. „Könnte sein. Kann dich jemand abholen oder soll ich dich begleiten?“
Waah! Das fehlte noch! Dann wüsste er, dass ich im gleichen Haus wohnte wie Sarah!
„N...nein, lass´ mal. Ich rufe meine Mutter an und lass´ mich von ihr abholen. Du hast schon genug Unterricht versäumt wegen mir.“ Ich konnte ihn nicht ansehen, bei dieser Lüge, denn natürlich würde ich meine Mutter nicht anrufen und stattdessen den Bus nehmen.
„Ach, das ist schon in Ordnung.“ hörte ich ihn sagen. Dann reichte er mir meine Schultertasche und gemeinsam verliessen wir den Raum.
„Ich geh´ dann mal vorne ins Sekretariat zum telefonieren.“ sagte ich und er sah mich erstaunt an.
„Hast du kein Handy?“ Ich schüttelte verlegen den Kopf.
Ein Handy für mich war ein Luxus, den meine Mutter und ich uns bei ihrem kleinen Gehalt nicht leisten konnten. Zwar hatte sie eins, ein Prepaidhandy, damit ich sie im Notfall immer irgendwie erreichen konnte, doch als Altenpflegerin verdiente sie nicht die Welt und wenn das Häuschen, in dem wir wohnten auch uns gehörte, hatte es vor unserem Einzug doch dringend renoviert werden müssen und das hatte unsere Rücklagen restlos aufgezehrt. Da mein Vater sich ausserdem seit jeher seinen Unterhaltspflichten für mich, seinen Sohn entzog, lebten wir also allein von ihrem Gehalt. Dazu kam, dass wir wegen der schlechten Nahverkehrsanbindung zum Arbeitsplatz meiner Mutter ein Auto hatten anschaffen müssen.
Natürlich keinen Neuwagen, sondern einen Gebrauchten, der seine besten Jahre eindeutig hinter sich hatte und unser Budget ausser mit Spritkosten und Versicherung auch noch mit regelmässigen Werkstattbesuchen belastete. Für ein zweites Handy oder etwas Ähnliches blieb da kein Spielraum.
„Soll ich dir meins kurz leihen?“ bot er an, aber ich lehnte dankend ab.
So trennten wir uns also vor der Tür zum eigentlichen Sekretariat und verlegen bedankte ich mich noch einmal für seine Hilfe. Aber er lachte nur fröhlich und meinte:“Keine Ursache, Mann! Dann also bis nächste Woche und komm´ gut heim!“
Ich winkte ihm und tat, als wollte ich ins Sekretariat gehen, blieb aber vor der Tür stehen und sah ihm nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Ein paar Minuten wartete ich zur Sicherheit noch und verliess dann das Schulgelände durch einen Nebeneingang. Ich begegnete niemandem, denn die vierte Stunde hatte begonnen und so gut wie alle Schüler waren in ihren Klassenräumen.
Mir war immer noch ein bisschen flau im Magen, aber dank der Cola und der frischen Luft, die mir jetzt um die Nase wehte, brachte ich den Weg zur nächsten Bushaltestelle problemlos hinter mich.
Zwanzig Minuten später stieg ich in der Nähe unseres Hauses aus dem Bus und weitere fünf Minuten später schloss ich die Haustür auf.
Ich liess die Schultertasche fallen, ging ins Wohnzimmer und liess mich schwer auf das Sofa fallen.
Mit beiden Händen rieb ich mir über das Gesicht und legte dann den Kopf mit geschlossenen Augen auf der Rückenlehne ab.
Oh Mann! Was für ein Tag! Der hatte mich mal wieder restlos davon überzeugt, dass Gott ein unverbesserlicher Sadist sein musste – gesetzt den Fall, es gab ihn überhaupt! Hatte es denn ausgerechnet Daniel sein müssen, der mich da aufsammelte, wie ich mir gerade die Seele aus dem Leib kotzte?
Ich war fix und fertig, deshalb rappelte ich mich nach einer Weile hoch und stapfte die Treppe hinauf in mein Zimmer.
Ich liess mich so wie ich war aufs Bett fallen, rollte mich zusammen und zog die Decke über mich. Keine Zwei Minuten später schlief ich tief und fest und wurde erst wieder wach, als meine Mutter mich zum Abendessen weckte.

Inzwischen war ich mehr als hungrig, und meine Mutter hatte Spaghetti Carbonara gekocht, mein Lieblingsessen.
Aber irgendwie konnte ich der Mahlzeit trotzdem keine rechte Begeisterung entgegenbringen, sondern hatte vielmehr das Gefühl, ich würde eingeweichte Pappe kauen.
Meine Gedanken waren permanent mit dem morgigen Abend beschäftigt.
Sollte ich das wirlich machen?
Mit Daniel ins Kino gehen?
Riskieren, dass er womöglich versuchte, Sarah

zu küssen?
… Und wieso zum Teufel, bekam ich bei dieser Vorstellung feuchte Hände und ein Ziehen im Bauch?
Aarrghh!
Ich schüttelte den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben. Es war doch wohl eher angebracht, mir zu überlegen, wie ich Kai daran hindern konnte, seinen niederträchtigen Plan auszuführen!
Ich zerbrach mir den Kopf und kam doch auf keine Lösung.
Dafür wurde meine Mutter aufmerksam.
Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie mich schon eine Weile musterte. Deshalb schrak ich regelrecht zusammen, als sie mir plötzlich eine Hand auf die Stirn legte. So heftig war mein Zusammenzucken, dass mein Saftglas vom Tisch gefegt wurde und auf dem Boden in tausend Scherben zersprang.
„Sascha!“ Meine Mutter war zurückgefahren und sah abwechselnd auf die Sauerei auf dem Fussboden und zu mir. „Sag´ mal, mit dir stimmt doch was nicht! Bist du krank?“ Wieder berührte sie prüfend mein Gesicht.
„Mir geht’s gut, Mama.“ versuchte ich ihr auszuweichen. Doch sie liess sich nicht so leicht abwimmeln.
„Erzähl´ mir keinen vom Pferd, mein Junge! Ich kenn´ dich doch. Sonst wenn ich Spaghetti Carbonara koche, stürzt du dich drauf wie blöde und heute rührst du in deinem Teller rum, als hätte ich dir Froschlaich serviert!
Ausserdem hab´ ich noch nie erlebt, dass du den ganzen Nachmittag verschläfst, ausser wenn du krank bist. Also - bist du krank?“
„Nein. Ich bin nicht krank. Ich hatte heute morgen ein bisschen Probleme mit dem Kreislauf, sonst nichts. Ehrlich!“
„Hast du Schwierigkeiten in der Schule? Mit einem Lehrer oder Mitschülern?“
„Nein, Mama! Alles bestens, wirklich!“
Innerlich brannte ich vor Scham über meine neuerliche Lüge, aber ich konnte ihr die Wahrheit nicht sagen.
Ich schämte mich zu sehr – vor meiner eigenen Mutter!
Die lehnte sich plötzlich im Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich an, als wäre ihr ein Gedanke gekommen.
„Was?“ fragte ich nervös und wollte mich schon erheben, um unter dem Vorwand, die Sauerei aufzuwischen, ihrem Blick zu entkommen. Aber ihre Antwort bewirkte, dass ich mich prompt wieder auf meinen Stuhl fallen liess.
Sie stützte ihre Ellbogen auf den Tisch und sagte:“Naja, ich habe mich nur plötzlich gefragt, ob du vielleicht verliebt bist und deshalb so neben dir stehst.“
Ich starrte sie entgeistert an. „Mama!“ war alles was mir dazu einfiel.
Sie lachte ein bisschen. „Was denn? Du bist immerhin 17 Jahre alt und ich habe bei dir noch nie irgendwas davon bemerkt, dass du dich für ein Mädchen interessierst! Deshalb habe ich auch keine Ahnung, wie sich Verliebtheit speziell bei dir auswirkt. Aber wenn du weder krank bist, noch Probleme mit Lehrern oder Mitschülern dahinterstecken und du trotzdem unter Appetitlosigkeit und Kreislaufproblemen leidest, liegt für mich der Schluss nahe, dass es was mit Liebe zu tun haben könnte.“
Mir schoss das Blut ins Gesicht und sie lächelte verschmitzt. „Na, scheinbar liege ich gar nicht so ganz falsch.“ meinte sie. Dann stand sie auf und machte sich daran, vorsichtig die Scherben vom Boden aufzusammeln.
Ich dagegen sass da, wie vom Donner gerührt.
Was meine Mutter da eben gesagt hatte, hallte in meinem Kopf wider wie ein Echo.
Verliebt? VERLIEBT? VERLIEBT?


Heilige Scheisse! War ich etwa in Daniel …. verliebt?
Das konnte nicht sein, das war unmöglich, oder?
Ich war doch nicht schwul!... Oder etwa doch?
Ich versuchte, mich daran zu erinnern ob ich schon mal für ein Mädchen geschwärmt hatte, aber mir fiel nur Bettina ein und da war ich im Kindergarten gewesen. Das zählte also eher nicht.
Hatte ich deshalb so ein komisches Gefühl im Bauch, wenn ich ihn sah?
Stand ich also echt auf ….Jungs?
Ich merkte, wie mir der Schweiss ausbrach und sich eine leichte Übelkeit in meinem Magen breitmachte.
Meine Mutter hatte inzwischen die Scherben und Saftreste beseitigt und setzte sich wieder an den Tisch. Sie warf einen Blick in meine Richtung und fasste nach meiner Hand.
„Also, soweit es mich betrifft, habe ich kein Problem damit.“ nahm sie den Faden wieder auf. „Wenn du irgendwann drüber reden willst, höre ich dir gern zu, okay?“
„Okay.“ murmelte ich und dachte dabei, was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, welche Gedanken mir gerade durch den Kopf gingen.
Der Appetit war mir endgültig vergangen. Ich schob den Teller zurück und stand auf.
„Ich muss noch Hausaufgaben machen.“ schob ich vor und verliess schnell die Küche. „Okay. Kommst du nachher noch mal runter? Zum Fernsehen oder so?“ Ich schüttelte den Kopf ohne sie anzusehen. „Nein. Ich geh´ gleich ins Bett.“
„Na, dann schlaf´ gut, mein Junge.“ „Nacht.“
Ich spürte ihre Blicke in meinem Rücken, bis sich die Küchentür hinter mir schloss.
Während ich die Treppe hinaufstieg, kreisten meine Gedanken weiter um Daniel und meine Gefühle für ihn.
Mann, wenn ich wirklich in ihn verliebt war, dann war es die blödeste Idee überhaupt, am nächsten Abend als Sarah

mit ihm ins Kino zu gehen! Ich war mir ziemlich sicher, dass sie ihm gefiel und fast verspürte ich so etwas wie Eifersucht auf die Kunstfigur, die ich zwangsweise ins Leben gerufen hatte.
In meinem Zimmer setzte ich mich aufs Bett und stützte den Kopf in beide Hände.
Was sollte ich nur machen? Was war richtig?
Ich liess mich hintenüber fallen und stiess die Luft aus.
Eigentlich konnte ich nur eins tun – Daniel reinen Wein einschenken und die Folgen tragen.
Aber wenn ich das tat, würde er sicher nichts mehr von mir wissen wollen.
Und dieser Gedanke machte mich mehr als traurig. Wenigstens befreundet sein wollte ich mit ihm!
(An irgendetwas, was darüber hinausging wagte ich gar nicht zu denken. Das wäre ja auch völlig zwecklos, denn er stand definitiv nicht auf Jungs, soviel hatte ich inzwischen gemerkt.)
Doch je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass ich keine andere Wahl hatte. Ich entschloss mich also nach langem Grübeln dazu, mich am nächsten Abend als Sarah

mit ihm zu treffen. Aber ich würde nicht mit ihm ins Kino gehen, sondern ihm sofort die Wahrheit sagen. Auch wenn Kai in der Nähe war!
Ich hatte zwar das Gefühl, meine Eingeweide würden sich verknoten, wenn ich daran dachte, aber irgendwie war ich auch erleichtert, dass die ganze Sache ein Ende fand.
Aufseufzend stemmte ich mich von der Matratze hoch und ging unter die Dusche. Das heisse Wasser tat gut und ich konzentrierte mich ganz auf die Körperhygiene, um ungebetene Gedanken gar nicht erst zuzulassen.
Als ich danach im Bett lag, griff ich mir eins meiner Lieblingsbücher, Der Wüstenplanet

, um nicht weiter zu grübeln und womöglich meinen eigenen Entschluss wieder umzustossen.
Es wirkte auch einigermassen und als ich merkte, wie die Buchstaben vor meinen Augen zu verschwimmen begannen, machte ich das Licht aus und glitt rasch in den Schlaf.

Als ich am nächsten Morgen aufstand, schien bereits die Sonne in mein Zimmer. Am Himmel zogen fedrige, weisse Wölkchen langsam dahin und die Vögel sangen in den Bäumen des Parks, den ich von meinem Zimmer aus überblicken konnte.
Ich zog mich rasch an und ging dann hinunter in die Küche. Auf dem Tisch stand ein einzelnes Gedeck und auf dem Teller lag ein Zettel. Ich griff danach und erkannte die Handschrift meiner Mutter:
„Guten Morgen, Schlafmütze! Ich bin einkaufen gefahren. Ausserdem hat mein Chef angerufen, ich muss für eine kranke Kollegin einspringen und ihre Spätschicht übernehmen. Im Kühlschrank stehen noch Spaghetti von gestern, falls Du inzwischen wieder Appetit hast. Kuss, Mama“


Wider Willen musste ich ein bisschen grinsen. Das war typisch meine Mutter. Wenn sie etwas wissen wollte und ich nicht darüber redete, machte sie solange Andeutungen, bis ich ihr von selbst alles erzählte.
Aber diesmal würden ihr alle ihre Andeutungen nichts nützen.
Diese Geschichte würde mein Geheimnis bleiben.
Ich liess den Zettel auf den Tisch sinken und machte mir ein Marmeladenbrot. Damit in der Hand ging ich wieder die Treppe hinauf und auf den kleinen Balkon, der sich dort befand und vom Flur der oberen Etage aus betreten werden konnte.
Da er überdacht war und zudem windgeschützt, stand dort mein Teleskop. Ich hatte es vor Jahren zum Geburtstag bekommen und hütete es wie einen Schatz.
Ich warf einen Blick zu den Bäumen des Parks auf der anderen Strassenseite und sah, dass eine Menge Vögel in den Zweigen herumhüpften. Rasch stopfte ich mir den Rest des Brotes auf einmal in den Mund und wischte meine Hände an der Hose ab. Dann stellte ich mich an mein Teleskop, schaute hindurch und begleitete in der nächsten Stunde unzählige Piepmätze bei ihren munteren Eskapaden in den Baumwipfeln.
Aber schliesslich hatte ich genug davon und ging wieder in mein Zimmer.
Eigentlich wollte ich meine Nase endlich mal wieder in die Schulbücher stecken, war das doch in den letzten Tagen immer irgendwie zu kurz gekommen. Doch rasch merkte ich, dass meine Gedanken wieder abschweiften. Nachdem ich eine Seite meines Mathelehrbuchs dann zum dritten Mal gelesen hatte und trotzdem nicht wusste, was dort stand, klappte ich es resigniert zu und rieb mir über die Augen.
Ich drehte mich auf meinem Stuhl vom Schreibtisch weg und plötzlich fiel mir auf, dass mein Zimmer dringend einen Frühjahrsputz nötig hatte.
Normalerweise konnte ich ganz gut leben ohne zu putzen und war froh, wenn meine Mutter, sobald das Chaos zu gross wurde, den Scheuerlappen schwang. Aber jetzt schien es auf einmal nichts Wichtigeres zu geben, als einen ordentlichen Frühjahrsputz. Das würde mich hoffentlich daran hindern, zuviel nachzudenken!
Zwei Stunden später blitzte mein Zimmer vor Sauberkeit. Ich hatte sogar das Fenster geputzt und mein Bett frisch bezogen!
Zufrieden sah ich auf die Uhr – es war kurz nach zwei Uhr nachmittags. Noch über fünf Stunden also, bis ich mich mit Daniel traf …. Verflixt, irgendwie musste ich mich ablenken!
Entschlossen eilte ich ins Bad und fand bei einem kurzen Kontrollblick, dass ich hier auch gleich saubermachen konnte, wenn ich schon mal dabei war.
Um es kurz zu machen, ich putzte nicht nur das Badezimmer, sondern auch noch die Küche und das Wohnzimmer, alles inclusive der Fenster! Und schliesslich musste auch noch der Kühlschrank samt Eisfach dran glauben.
Meine Mutter würde sich fragen, was in mich gefahren war, wenn sie heimkam!
Als ich dann mit allem fertig war, zeigte die Uhr kurz nach sechs und es wurde Zeit, zu duschen und mich umzuziehen, damit ich pünktlich zum Kino kam.
Diesmal musste ich meine Kleidung allein aussuchen und war mir verdammt unsicher.
Was zog ein Mädchen an, wenn es ein Date hatte?
Na, klar – was Hübsches, logo!
Bloss, was war denn was Hübsches

?
Ich entschied mich schliesslich für ein schwarzes Shirt, dessen leicht ausgestellte Ärmel an den Ellbogen endeten und das vorne einen dezenten Glitzereffekt aufwies. Dazu wieder die Halskette vom letzten Mal. Ausserdem fischte ich noch ein zweites Paar Schuhe aus der einen Tüte. Im Gegensatz zu den hellen Riemchensandalen, die ich bisher als Sarah

an den Füssen gehabt hatte, waren sie schwarz und flach.
Wie nannte man die noch gleich? Ballerinas, oder? ...War ja auch egal.
Als nächstes trug ich das Make up auf und zuletzt stülpte ich mir noch die Perücke über und kämmte die langen blonden Strähnen durch.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel atmete ich tief durch und wandte mich dann zum Gehen.

Ich war eine Viertelstunde vor der ausgemachten Zeit vor dem Eingang des Kino-Centers, aber ich sah Daniel schon von weitem. Er war auch zu früh – hiess das, er freute sich auf unser Date?
Vergiss es!

“ ermahnte ich mich. „Das ist kein

Date! Du wirst ihm die

Wahrheit sagen und zwar gleich!

Dann kann er sauer

werden, dir vielleicht

sogar eine reinhauen und die

Sache ist gegessen!


Automatisch suchten meine Augen die Umgebung ab, aber ich konnte Kai noch nirgends entdecken.
Dafür hatte Daniel mich bemerkt und kam lächelnd auf mich zu.
In meinem Bauch startete eine ganze Fliegerstaffel und das Blut stieg mir in die Wangen.
„Hallo Sarah! Schön, dass du gekommen bist!“
„Hallo!“ In meinem Hals steckte ein dicker Kloss.
Daniel freute sich so sehr, mich zu sehen („Sarah! Er freut sich Sarah zu sehen, du

Depp!

“), allein der Gedanke, ihn gleich mit einer so hässlichen Wahrheit zu konfrontieren, tat schon weh.
Ich holte tief Luft, um mit meiner Erklärung anzusetzen, da rempelte mich jemand von hinten an.
„Hey! Kannst du nicht aufpassen?“ Daniel hatte mich blitzschnell abgefangen und blitzte jemanden an, der sich hinter mir befand. Ich drehte mich um und starrte genau in Kais grinsendes Gesicht.
„Sorry, Mann!“ antwortete er, schenkte mir einen vielsagenden Blick und ging weiter.
„Hast du dir weh getan?“ fragte Daniel mich besorgt. Ich verneinte und sah Kai hinterher.
Das entging auch Daniel nicht und er runzelte leicht die Stirn. „Kennst du den Typen?“ „Nein, nein!“ beeilte ich mich zu versichern. „Da hast du auch nichts verpasst, glaub´ mir.“ meinte er. „Der ist nämlich an meiner Schule und neulich hab´ ich ihn doch tatsächlich dabei überrascht, wie er eins der Mädchen aus unserem Handballteam fast vergewaltigt hat! Stell´ dir das mal vor! Ich musste ihm erst eine reinhauen, bevor er sie in Ruhe gelassen hat! Ich glaub´ seitdem ist er schlecht auf mich zu sprechen.“ Er grinste schief und ich dachte nur „Wenn du wüsstest wie schlecht!


Laut sagte ich aber:“Daniel, ich würde gerne was mit dir besprechen. Können wir vielleicht woanders hingehen?“
Er musterte mich verwundert:“Ich dachte, wir wollten ins Kino?“ Verlegen lächelnd holte er zwei Karten aus seiner Jackentasche. „Ich hab´ die Karten schon gekauft. Avatar – Aufbruch nach Pandora! Ich dachte, der könnte dir gefallen und wenn ich die Karten nicht gleich gekauft hätte, hätten wir keine mehr gekriegt.“
Ich starrte ihn an. Was sollte ich jetzt machen?
Schliesslich gab ich mir einen Ruck. „Okay, lass´ uns den Film ansehen! Reden können wir hinterher auch noch.“
Wir betraten das Foyer des Kino-Centers und holten uns als Erstes eine grosse Portion Popcorn.
Dann stiegen wir in den gläsernen Aufzug, der uns in den zweiten Stock brachte. In dem Saal, in den wir wollten war schon Einlass und kurz darauf sassen wir in den gemütlichen Sesseln einer Zweierloge, dicht nebeneinander.
Daniels Nähe machte mich furchtbar nervös, ausserdem war ich wütend auf mich selbst, weil ich mich so einfach von meinem Vorhaben hatte abbringen lassen. Daher konnte ich mich überhaupt nicht auf eine Unterhaltung konzentrieren. Aber zum Glück dauerte es nicht lange, bis die Beleuchtung erlosch und die Leinwand zum Leben erwachte.
Natürlich wurde die erste halbe Stunde nur Werbung gezeigt und der Geräuschpegel in dem vollbesetzten Saal sank nur wenig. Auch Daniel und ich unterhielten uns und kommentierten die verschiedenen Spots, die gezeigt wurden. Fast hätte es ein normaler Kinobesuch sein können, hätte nur mein Herz nicht so schnell geschlagen und wären meine Hände nicht so feucht und zittrig gewesen. Ich traute mich kaum, in die Popcorntüte zu greifen, es hätte ja sein können, dass ich dabei versehentlich Daniels Finger berührt hätte!
Endlich war die Werbung vorbei und der Film begann.
Grandiose, traumhaft schöne Bilder entfalteten sich da vor unseren Augen, doch ich konnte mich nicht auf die Handlung konzentrieren. Die Augen starr nach vorne gerichtet, war ich mir überdeutlich Daniels Anwesenheit dicht neben mir bewusst. Ich registrierte jede Bewegung von ihm und jeden Atemzug und was sich inzwischen auf der Leinwand abspielte trat in den Hintergrund.
Irgendwann merkte ich, dass Daniel ganz dicht an mich heranrückte. Und im nächsten Augenblick fasste er vorsichtig nach meiner Hand.
Seine Finger waren kühl und etwas feucht – hiess das er war auch aufgeregt?
Ich wusste, ich hätte die Hand wegziehen müssen, aber es fühlte sich so schön an, dass ich es nicht fertigbrachte.
Kurz darauf löste er seine Finger wieder von meinen und legte seinen Arm um meine Schulter.
Ich erstarrte augenblicklich zur Salzsäule. Noch immer wagte ich es nicht, den Blick von der Kinoleinwand zu lösen.
„Sarah...“ Leise flüsterte Daniel den Namen. Weil ich ihn immer noch nicht ansah, fasste er nach meinem Kinn und drehte mein Gesicht zu sich.
Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an und ganz behutsam berührten seine Lippen meinen Mund.
Es war unglaublich …
Seine Lippen waren weich und warm. Ganz sanft küsste er mich, einmal, zweimal, ein drittes Mal.
Zarte, federleichte Küsse waren das, und mit jedem einzelnen schwand mein guter Vorsatz ein bisschen mehr dahin, bis ich ihm entgegenkam, ihm die Lippen anbot und mir wünschte, er würde ewig so weitermachen.
Ich schloss die Augen, mein Körper entspannte sich und als er das spürte, liess er seine Zunge in meinen Mund schlüpfen.
Ich hatte noch nie in meinem Leben geküsst und liess mich deshalb von ihm führen, liess seine Zunge meinen Mund erforschen und erwiderte seinen Kuss.
Doch plötzlich stand Kais grinsendes Gesicht vor meinem geistigen Auge. Das ernüchterte mich und abrupt machte ich mich los.
Daniel sah mich irritiert an. „Was ist?“
Aber ich konnte ihm nicht antworten. Ich sprang auf, schnappte nach meiner Jacke und rannte wie von Furien gehetzt aus dem Saal.
„Sarah! Was hast du denn? Warte doch!“ hörte ich Daniel hinter mir her rufen, ungeachtet der Tatsache, dass sich die Köpfe der anderen Kinobesucher reihenweise zu uns herumdrehten. Doch ich blieb nicht stehen und sah auch nicht zurück. Meine Augen brannten und mein Gesicht fühlte sich heiß an, als ich die schwere Tür aufstiess und zur Treppe rannte.
Wie hatte ich das nur tun können? Ich war so ein Vollidiot! Hatte ich mir nicht fest vorgenommen, Daniel die Wahrheit zu sagen? Stattdessen liess ich es zu, dass er Sarah

küsste! Und es gefiel mir auch noch! Ich wusste nicht, was ich schlimmer finden sollte!
Nur am Rande bemerkte ich, dass mir Tränen übers Gesicht liefen und wischte sie zornig weg. Zwei und drei Stufen auf einmal nehmend legte ich den Weg ins Foyer zurück und prallte mit einem Pärchen zusammen, das gerade, in eine Unterhaltung vertieft, gemächlich die Stufen erklomm. Der Inhalt ihrer Colabecher ergoss sich über die Beiden und über die Vorderseite meines Shirts, die Riesentüte Popcorn, die sie dabei gehabt hatten, flog im hohen Bogen durch die Luft und verteilte goldene, gepoppte Maiskörner in alle Richtungen.
„Hey!“
Ich blieb nicht stehen, nuschelte nur im Laufen eine Entschuldigung und sprintete Richtung Ausgang. Aus dem Augenwinkel sah ich Kai gegenüber vom Treppenaufgang sitzen. Er schaute hoch, als ich angerannt kam und sprang auf die Füsse.
Aber ich achtete nicht weiter auf ihn und hielt ungebremst auf die breite Eingangsfront zu. Gleich darauf war ich draussen und sog in tiefen, hastigen Zügen die kühle Abendluft ein, während ich mich umsah und zu entscheiden versuchte, wohin ich laufen sollte.
Ich war kein Sportler und nicht besonders ausdauernd, also suchte ich nach einer Möglichkeit, schnell unsichtbar zu werden, denn Daniel würde mir garantiert folgen und in meiner jetzigen Verfassung fühlte ich mich dem nicht gewachsen.
Und ausserdem war da noch Kai. Der würde sich mit Sicherheit fragen, was los war und mir vermutlich auch hinterher kommen.
Vielleicht hundert Meter entfernt entdeckte ich eine Gasse. Soviel ich wusste, führte sie in den Hinterhof eines leerstehenden Ladens. In meiner Lage schien sie mir perfekt um abzutauchen und ich flitzte los.
Gleich darauf tauchte ich aus dem hellen Licht der Strassenbeleuchtung in das dämmrige Halbdunkel und verlangsamte meine Schritte, um nicht über irgendetwas zu stolpern.
Leider boten weder das kurze Stück Gasse noch der eigentliche Hinterhof, in den sie mündete sonderlich viele Versteckmöglichkeiten. Ich sah nur kahle Häuserwände und ein paar Müllcontainer, die so dicht an der Hauswand standen, dass an ein Dahinterkriechen nicht zu denken war.
Ich schaute mich gerade noch ein bisschen ratlos um, da hörte ich, wie jemand angerannt kam und als ich mich umdrehte, sah ich gegen den hellen Lichtschein der Strasse einen breitschultrigen Schatten, der in die Gasse einbog.
Kein Zweifel, das war Kai.
Er brauchte nur einen kurzen Moment, um sich an das Dämmerdunkel das hier herrschte zu gewöhnen und dann hatte er mich auch schon entdeckt. Eilig kam er auf mich zu.
„Verdammt, Sascha,“ schimpfte er, „was soll denn die Scheisse? Rennst wie vom wilden Affen gebissen aus dem Kino! Was war denn los?“ Jetzt war er nah genug um mein Gesicht zu erkennen.
„Wie siehst du denn aus? Hast du geheult?“ Er stutzte. „Sag´ bloss, der hat dich im Kino schon geküsst?“
Ich antwortete nicht, aber das brauchte ich auch nicht, mein Blick sprach wohl Bände.
Das schien ihn ungeheuer zu amüsieren, denn er warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
„Wer hätte gedacht, dass du so eine Wirkung auf diesen Typen hast? An dir ist ja glatt ´ne Tunte verloren gegangen!“ Er lachte und schien sich gar nicht mehr beruhigen zu können. Aber schliesslich wurde er doch wieder ernst und sagte dann:“Okay, hör zu – er hat dich also schon einmal geküsst. Das heisst ja nicht, dass er es nicht nochmal tut. Geh´ einfach zurück zum Kino. Denk´ dir was aus, sag´ dir wäre schlecht geworden oder was auch immer. Ich bleib´ an dir dran und mit deinem neuentdeckten Charme wird es dir sicher nicht schwerfallen, ihn aus der Reserve zu locken. Nur lass dich diesmal gefälligst ausserhalb des Saales küssen, kapiert? Und dann – klick! - hab´ ich ihn!“
Er fasste nach meinem Arm und wollte mich Richtung Strasse schieben, aber ich widersetzte mich.
„Was?“ fragte er ungeduldig. Ich versuchte meinen Arm zu befreien und stemmte die Füsse auf den Boden.
„Ich mach´ da nicht mehr mit! Ich helf´ dir nicht, Daniel reinzulegen!“ Sein Griff um meinen Arm verstärkte sich. Er fasste auch mit der anderen Hand zu und zog mich dicht an sich heran. „Wie war das?“ zischte er gefährlich leise. „Ich hab´ mich wohl verhört! Wiederhol´ das doch nochmal, wenn du dich traust!“
Ich hatte furchtbare Angst, aber jetzt, wo es einmal heraus war, gab es kein Zurück mehr.
„Ich mach´ das nicht mehr! Egal was du sagst oder tust! Ich mach´ es nicht mehr!“
Ich hatte es laut herausgeschrien und kämpfte verzweifelt darum loszukommen, aber sein Griff war eisenhart. Er schüttelte mich wütend, dann warf er mich auf den Boden und hockte sich rittlings über mich. Ängstlich riss ich die Arme hoch und da schlug er mir auch schon ins Gesicht, dass meine Ohren nur so klingelten.
Patsch! „Egal was ich tue?“ Patsch! „Ganz egal, was ich mache?“ Patsch! „Auch wenn ich deine Bilder ins Netz stelle?“ Patsch, Patsch!
„Hör sofort auf!“ schrie plötzlich jemand von der Strasse her.
Kai hielt inne und spähte in die Richtung, aus der der Ruf kam. Ich konnte nichts sehen, weil sein Körper mir die Sicht versperrte.
Ich hörte rasche Schritte, die näher kamen, dann wurde Kai plötzlich gepackt und von mir herunter gezerrt.
„Lass´ sie sofort in Ruhe!“ knurrte eine Stimme, die ich als Daniels erkannte. Ich richtete mich halb auf und sah, wie er mit der Faust ausholte, um Kai einen Schlag zu verpassen. Der aber fing unvermittelt an zu lachen und Daniel liess die Hand irritiert ein Stück sinken.
„Sarah? Geht’s dir gut?“ fragte er als nächstes, mit einem kurzen Blick zu mir. Ich nickte stumm. Darauf lachte Kai noch mehr und Daniel zog verwirrt die Brauen zusammen.
„Hast du sie noch alle?“ wollte er wissen, liess ihn aber nicht los.
Schliesslich wedelte Kai atemlos mit der Hand, holte tief Luft und sagte, immer noch feixend:“Entschuldige, ich finde es nur so wahnsinnig komisch, dass du so auf Sascha abfährst!“
Daniel sah zu mir und dann wieder zu Kai:“Was für einen Sascha?“
Kai kicherte schon wieder und zeigte mit dem Finger auf mich. „Na den da! Sag´ bloss, du hast ihn echt für ein Mädchen gehalten?“ In gespielter Bestürzung schlug er die Hand vor den Mund und rief:“Du wirst ihn doch hoffentlich nicht geküsst haben?“
Selbst im Dunkel der Gasse war zu erkennen, dass Daniel die Farbe wechselte.
Kai bekam einen neuerlichen Lachanfall und ich hockte mit brennenden Wangen auf dem Boden und sah hilflos zu Daniel hoch, während mir pausenlos die Tränen übers Gesicht strömten.
„Ist das wahr?“wollte er wissen.
Was sollte ich da sagen? Ich nickte, fasste in die lange, blonde Mähne und zog mir die Perücke vom Kopf.
Daniel taumelte einen Schritt rückwärts.
„Du bist das! Deshalb kam mir dein Gesicht so bekannt vor! Nur die Brille fehlt.“ stammelte er.
Dann drehte er sich um und ging mit seltsam hölzernen Schritten davon.
Ich liess den Kopf hängen.
Jetzt war alles vorbei.
Kai würde meine Nacktfotos ins Internet stellen und Daniel wollte nichts mehr von mir wissen! Es fühlte sich an, als blickte ich auf die rauchenden Trümmer meines Lebens.
Nachdem Kai sich endlich beruhigt hatte, wischte er sich die Lachtränen aus den Augen und baute sich vor mir auf. „Tja, was soll ich sagen, Sascha!? Ich hab´ selten in meinem Leben soviel Spass gehabt, wie mit dir heute Abend. Auch wenn es nicht so gelaufen ist, wie abgesprochen, denke ich, der gute Daniel wird in der nächsten Zeit ein bisschen weniger vorlaut sein.“ Er lachte erneut auf und meinte dann:“Ausserdem glaubi ich, ich werde immer noch lachen, wenn ich nachher vor meinem PC sitze und deine Bilder hochlade. Ich kann´s kaum erwarten, den Anderen davon zu erzählen!“
Er steckte die Hände in die Hosentaschen, drehte sich um und ging gut gelaunt Richtung Strasse. Dann drehte er sich noch einmal um und rief:“Die Klamotten kannst du gewaschen mit in die Schule bringen, klar?“ Ich sagte nichts und blieb einfach sitzen. In mir war alles hohl, leer und wund. Es fühlte sich an, als würde jemand mit Sandpapier über die Innenseite meines Brustkorbes reiben.
Ich vergrub das Gesicht in den Händen.
Was sollte denn jetzt werden? Ich hatte es gründlich vermasselt, soviel war klar.
Wenn ich am Montag wieder zur Schule ging, kannte bestimmt schon mindestens die halbe Schülerschaft die Bilder, die Kai von mir geschossen hatte. Und Daniel? Wie sollte ich ihm je wieder gegenübertreten?
Irgendwann rappelte ich mich auf, stopfte die Perücke in meine Jacke und machte mich auf den Weg nach Hause.
Ich sah nicht rechts und nicht links, als ich die Strasse entlangschlurfte. Ich bemerkte zwar, wie mich angesichts meines Aussehens so mancher erstaunte oder auch irritierte Blick traf, aber es war mir in diesem Moment herzlich egal.
Mein Leben war sowieso zu Ende …
Irgendwann war ich zuhause angekommen und da meine Mutter noch nicht zurück war, trottete ich so wie ich war ins Haus und stellte mich als Erstes unter die Dusche.
Danach zog ich einen Jogginganzug an und stopfte Sarah´s

Kleider und Perücke in die Tüten zurück. Anschliessend löschte ich das Licht und liess mich erschöpft aufs Bett fallen.
Irgendwann ging die Haustür und schnell zog ich die Bettdecke über mich.
Wie schon unzählige Male in meinem Leben, hörte ich kurz darauf die Schritte meiner Mutter auf der Treppe und schloss die Augen, als meine Türklinke quietschte. Ich bemühte mich, möglichst gleichmässig zu atmen und einen Augenblick später wurde die Tür behutsam wieder geschlossen. Nachdem meine Mutter dann geduscht hatte und in ihrem Schlafzimmer verschwunden war, wurde es wieder still im Haus.
Ich liess die Augen zu und versuchte einzuschlafen. Wenigstens für ein paar Stunden wollte ich vergessen, was passiert war, aber obwohl sich mein Körper bleischwer anfühlte, ging es in meinem Kopf wild durcheinander. Die Bilder des Abends blitzten wie Szenen aus einem Alptraum ständig vor meinem geistigen Auge auf.
Und immer wieder erinnerte ich mich an das Gefühl von Daniels Mund auf meinen Lippen...
Ich wälzte mich hin und her, fand aber keine Ruhe. Schliesslich gab ich es auf, warf die Decke beiseite und stieg wieder aus dem Bett. Die Leuchtziffern meines Weckers zeigten kurz vor Mitternacht.
Ich machte kein Licht, denn meine Augen waren inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt und ausserdem fiel sanftes Mondlicht durchs Fenster und übergoss alles mit einem milchigen Schimmer. Ich sah kurz hinaus – der Himmel schien weitgehend wolkenlos zu sein.
Vielleicht sollte ich mal wieder in die Sterne sehen? Das lenkte mich doch eigentlich immer ganz gut ab. Und möglicherweise würde ich mich dadurch so weit beruhigen, dass ich schlafen konnte.
Leise öffnete ich meine Tür und tappte möglichst geräuschlos durch den Flur zur Balkontür. Ganz langsam drehte ich den Riegel und liess sie aufschwingen. Dann huschte ich hinaus und zog sie hinter mir wieder zu.
Die Nacht war lau und da ich ja anstelle meines Pyjamas den Jogginganzug trug, fror ich nicht. Ich wendete mich meinem Teleskop zu und wollte gerade durchsehen, als ich ein leises Geräusch von der Strasse her hörte. Es klang, als ob sich jemand räusperte.
Vorsichtig spähte ich über die Brüstung, sah aber niemanden. Ich glaubte schon, ich hätte es mir eingebildet, da hörte ich leise meinen Namen rufen.
„Sascha!“
Ich schrak zusammen und sah nochmals über das Geländer. Und tatsächlich – da unten stand jemand an der Gartenpforte. Und nicht bloss irgendjemand, es war Daniel! Seine blonden Haare leuchteten im Mondschein und er blickte zu mir hinauf.
Als er sah, dass ich ihn bemerkt hatte, öffnete er das kleine Tor und kam in unseren Vorgarten, bis er fast direkt unter dem Balkon stand. Er sah hoch und rief leise:“Komm´ runter, ich will mit dir reden!“ Obwohl er sich bemühte nicht laut zu rufen, merkte ich, dass er wütend war. Er hatte ja auch allen Grund dazu.
Ich zögerte. „Willst du mich schlagen?“ flüsterte ich zurück. Er schüttelte den Kopf. „Ich werde dich nicht schlagen, aber zumindest bist du mir eine Erklärung schuldig, meinst du nicht?“
Ich atmete tief durch.
War das eine gute Idee, jetzt mit ihm zu sprechen? Ich war ja immer noch völlig aufgewühlt, von den Geschehnissen des frühen Abends.
Andererseits hatte er eine Erklärung verdient und zwar vor Montag, wenn wir uns alle in der Schule wiedersahen.
„Also, was ist jetzt?“ hörte ich seine verärgerte Stimme von unten. „Kommst du runter oder muss ich klingeln?“
Ich erschrak. „Nein, ist schon gut. Ich komme runter!“ beeilte ich mich ihm zu versichern.
So schnell es mir möglich war, flitzte ich leise die Treppe hinab, schlüpfte in ein Paar Turnschuhe und öffnete die Haustür.
Er stand direkt davor und als ich heraustrat, machte er eine Bewegung mit dem Kopf in Richtung Park und meinte:“Lass´ uns da drüben hingehen. Da sind wir ungestört und es hört uns keiner.“ Ohne meine Antwort abzuwarten, machte er kehrt und verliess mit langen Schritten das Grundstück.
Ich beeilte mich ihm zu folgen und kurz darauf tauchten wir in das schattengesprenkelte Halbdunkel des mondbeschienen Stadtparks.
Daniel steuerte zielstrebig eine Bank an und setzte sich wortlos darauf. Schüchtern nahm ich neben ihm Platz und liess den Kopf hängen.
„Also, ich höre!“ sagte Daniel mit einer so eisigen Stimme, wie ich sie ihm nie zugetraut hätte.
Reflexartig zog ich die Schultern hoch und sagte:“Ich weiss, ich hätte das nicht machen dürfen. Es tut mir leid. Aber Kai hat Fotos von mir gemacht und gedroht, er stellt sie ins Internet, wo sie alle sehen können. Dann hat er verlangt, ich sollte mich mit dir treffen. Er wollte, dass ich mich von dir küssen lasse, damit er das auch fotografieren und ins Netz stellen kann um dich zu demütigen. Ich hab´ da keinen Ausweg gesehen. Nur deshalb hab´ ich mich drauf eingelassen.“
„Fotos? Was für Fotos?“ Seine Stimme klang nicht mehr ganz so eisig.
„Er und seine Kumpels haben mich in der Toilette festgehalten und mir die Hose runtergezogen....“
Ich konnte nicht mehr weiterreden. Mein Gesicht brannte vor Scham und Tränen stiegen mir in die Augen.
„Du meinst, die haben dich nackt fotografiert? Oder war es noch schlimmer?“ Jetzt klang er wieder fast wie der Daniel, den ich kannte.
„Nein. Nur nackt.“
Ganz leise antwortete ich und wartete danach bang auf seine Reaktion, ohne ihn anzusehen.
Eine ganze Weile lang sagte er gar nichts. Dann atmete er hörbar aus und sagte:“Danke, dass du es mir erklärt hast. Weisst du, als du dir die Perücke abgenommen hast, war ich erst mal wie vor den Kopf geschlagen. Ich bin wie ferngesteuert nach Hause gelaufen. Aber ich hab´ nicht kapiert, was eigentlich los war. Ich meine, ich kenn´ dich noch nicht so gut, aber diese ganze Geschichte schien irgendwie gar nicht zu dir zu passen! Und ich hab´ mich gefragt, warum du so was machst! Ich wollte morgen nochmal mit dir reden, aber als ich dann im Bett lag, konnte ich nicht schlafen. Es hat mir einfach keine Ruhe gelassen. Deshalb bin ich wieder aufgestanden und hergekommen.“ Er machte eine kurze Pause. „Und jetzt bin ich echt froh, dass ich das gemacht habe.“ Ich wagte einen Blick in sein Gesicht.
Er sah mich ernst an, wirkte aber nicht mehr wütend. „Du bist schlieslich genauso Opfer wie ich.“ ergänzte er.
Ich war erleichtert. Selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht erwartet, dass Daniel jemals wieder mit mir sprechen würde. Und jetzt das!
Ich nickte und fragte ihn:“Und was wirst du jetzt machen?“
Er zuckte die Schultern und sagte:“Ich weiss noch nicht. Aber diesem Typen müsste wirklich mal jemand zeigen, wo der Hammer hängt, findest du nicht?“ „Ja!“ pflichtete ich ihm beinahe inbrünstig bei. „Aber wie soll das gehen?“ fragte ich resigniert.
„Mir fällt schon was ein, keine Sorge!“ Daniel stiess grimmig die Luft aus.
Doch dann stellte er mir eine Frage, die mich erneut völlig aus dem Gleichgewicht brachte.
„Eine Sache noch, Sascha,“ er zögerte, „ich hab´ dich heute abend geküsst, weil ich dich für Sarah gehalten habe.
Aber du hast dich nicht nur küssen lassen, du hast meinen Kuss auch…. naja, erwidert. Stehst du also auf Jungs?“
Ich wurde knallrot und wusste nicht, wo ich hinsehen sollte.
Da war sie, die gefürchtete Frage, die ich mir selbst in der letzten Zeit schon so oft gestellt hatte, nur kam sie diesmal von jemand anderem.
Hilflos hob ich die Schultern. „Ich weiss nicht. Ich hab´ mir da noch nie Gedanken drüber gemacht, bevor ich dich getroffen hab´.“
Er überlegte. „Also, mit anderen Worten, du stehst auf mich

?“ Er lächelte ein bisschen bei diesen Worten.
Was sollte das denn jetzt? Wollte er sich über mich lustig machen?
„Warum fragst du mich das? Findest du das hier lustig?“ fuhr ich ihn an und stand auf. „Dann geh´ ich lieber.“
Ich wandte mich ab, doch er war ebenfalls aufgestanden und hielt mich am Arm fest.
„Warte! Tut mir leid!“
Ich machte eine unwillige Bewegung, um ihn abzuschütteln.
„Lass´ mich los!“
Weil er es nicht tat, machte ich einen Schritt auf ihn zu und wollte meine andere Hand dazu benutzen, seine Finger von meinem Ärmel zu lösen. Im gleichen Augenblick machte er einen Schritt auf mich zu und infolgedessen fand ich mich plötzlich viel zu dicht vor ihm wieder.
Einen Moment lang starrten wir uns an, dann liess er mich los, trat einen Schritt zurück und murmelte:“Tut mir leid, Sascha. Ich muss jetzt los, bevor zuhause noch jemand merkt, dass ich nicht da bin.“
Und schon drehte er sich um und ging davon.
Eine Weile lang starrte ich ihm noch wie betäubt hinterher, während mein Herz Purzelbäume schlug, denn in diesem Moment war mir klar geworden, dass meine Mutter recht gehabt hatte: Ich war rettungslos und bis über beide Ohren in Daniel verliebt!

Dank unseres nächtlichen Gesprächs brachte ich den Sonntag etwas besser hinter mich, als ich ursprünglich gedacht hatte. Zwar graute mir immer noch davor, am Montag den grinsenden Gesichtern und der Häme all derer zu begegnen, die am Wochenende bereits meine Nacktfotos im Internet gesehen hatten, aber zumindest war ich mit Daniel ins Reine gekommen. Über meine Gefühle für ihn dachte ich lieber gar nicht erst weiter nach. Ich hatte sie zwar für mich akzeptiert, aber ich wusste ja, dass er sie nie erwidern würde. Also war es besser, sie tief in mir wegzusperren und mich einfach darüber zu freuen, dass er den Kontakt mit mir nicht abgebrochen hatte.
Trotzdem wäre ich am nächsten Morgen am liebsten im Bett geblieben.
Aber mir war ja klar, dass das Unvermeidliche damit nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben worden wäre.
Also machte ich mich wie immer um halb acht Uhr früh auf den Weg zum Unterricht.
In der ersten Doppelstunde stand wieder einmal Mathematik auf dem Stundenplan.
Mit gesenktem Blick eilte ich über das Gelände, denn ich wollte gar nicht sehen, wer von all denen, die mir da entgegenkamen, plötzlich anfing zu grinsen oder anzügliche Gesten zu machen.
Nichtsdestotrotz fühlte es sich an wie ein Spiessrutenlauf, bis ich mich im Klassenzimmer auf einen freien Platz fallen lassen konnte.
Ich sass noch nicht lange, da bauten sich zwei meiner Mitschüler vor mir auf.
Grinsend lehnte sich der Eine zu mir hinab und meinte:“Hey, Sascha, sag´ mal, was nimmst du denn so für eine Stunde? Ich such´ nämlich noch ein Geschenk für meine Oma und sowas wie dich vernascht die zum Frühstück!“
Die Beiden wollten sich ausschütten vor Lachen und erregten damit auch die Aufmerksamkeit der Anderen, die jetzt gemächlich hereinströmten. Ein paar davon kamen herüber und wollten natürlich auch wissen, was die Zwei so wahnsinnig lustig fanden.
Der Sprecher holte daraufhin sein Handy aus der Hosentasche, drückte ein paar Tasten und hielt es in die Runde.
Gedämpftes Kichern wurde laut und ein paar Pfiffe schallten aus der sich ständig vergrössernden Gruppe. Wieder und wieder musste er die Bilder vorführen und das Handy ging unter lautem Gejohle von Hand zu Hand.
Ich sass derweil mit gesenktem, hochrotem Kopf auf meinem Stuhl und wagte nicht aufzusehen.
Plötzlich teilte sich die Gruppe und eine Schultasche wurde auf den Tisch vor mir gestellt. Etwas erschrocken schaute ich hoch und begegnete Daniels Blick.
Er sah lässig in die Runde und setzte sich demonstrativ auf den Stuhl neben mir. Einen Moment lang herrschte Schweigen.
„Hey, Daniel,“ wandte sich dann einer aus der Menge an ihn, „weisst du eigentlich, neben wen du dich da gesetzt hast?“
„Ich denke schon.“ antwortete er ruhig.
„Ja? Na, dann zieh´ dir das hier mal rein!“ Und damit hielt er ihm das Handy vor die Nase.
Ich machte mich auf meinem Stuhl so klein wie möglich und wenn ich noch roter geworden wäre, hätte ich vermutlich Blut geschwitzt.
Daniel griff nach dem Handy, betrachtete das Bild und reichte es ihm dann unbeeindruckt zurück.
„Sowas kann jedes Schulkind mit Photoshop in fünf Minuten zusammenbasteln. Wenn du mich fragst ist das ´ne Fälschung und noch nicht mal ´ne gute!“
Unter den Umstehenden machte sich Verunsicherung breit. Gemurmel wurde laut. Der Eigentümer des Handys starrte mit gerunzelter Stirn auf das Bild. „Meinst du echt?“
Daniel zuckte beiläufig die Schultern. „Klar, Mann. Mein Vater ist in der Werbebranche. Der arbeitet ständig mit solchen Bildbearbeitungsprogrammen. Mit der Zeit kriegst du einen Blick dafür. Das da“ er ruckte mit dem Kopf in Richtung auf das Mobiltelefon, „ist ´ne billige Montage!“
In diesem Moment kam der Mathelehrer durch die Tür. Rasch zerstreute sich die Menge und alle strebten auf ihre Plätze. Dankbar sah ich zu Daniel hoch. Der lächelte mir kurz zu und mein Herz setzte einen Schlag aus.
Doch dann begann der Unterricht und wir mussten uns auf den Stoff konzentrieren.
Als die Doppelstunde vorbei war und allgemeiner Aufbruch herrschte, nutzte Daniel den wachsenden Geräuschpegel um kurz mit mir zu reden, bevor wir beide zu unseren nächsten Unterrichtsstunden mussten.
„Hast du heute irgendwann mal Zeit? Ich würde gerne noch was mit dir besprechen, wegen Kai.“
„Ich hab´ in der vierten Stunde eine Freistunde.“
Er überlegte. „Da hab´ ich eigentlich Physik, aber ich schätze, das kann ich mal ausfallen lassen. Was hältst du davon, wenn wir uns in der Mensa treffen?“
Ich nickte. „Geht klar. Übrigens,“ setzte ich leise hinzu, „danke wegen vorhin! Das war ziemlich genial!“
„Keine Ursache!“ Er grinste. „Warte mal, bis du hörst, was ich mit dir besprechen will! Aber sag´ mal,“ fuhr er fort, „hattest du nicht gesagt, dass Kai die Bilder als Druckmittel benutzt hat, damit du tust, was er will? Und das hast du doch gemacht, dachte ich. Warum hat er sie denn jetzt doch ins Netz gestellt?“
Ich sah zu Boden. „Naja, aus seiner Sicht hab´ ich mich ja nicht an die Abmachung gehalten. Er wollte ein Foto von uns beiden beim Küssen. Dabei sollte ich mir dann die Perücke abnehmen. Und das hat er nicht gekriegt.“
Daniel nickte versonnen. „Der Typ ist echt ein krankes Arschloch!“ sagte er dann.
Inzwischen hatten wir unsere Sachen fertig eingepackt und schlenderten gemeinsam zur Tür, wo wir uns trennten.
„Also, Sascha, bis nachher!“
„Ja, bis nachher.“
Wieder sah ich mit Herzklopfen hinter ihm her, aber nur ganz kurz, immerhin waren wir hier in der Schule.
Was er wohl so Wichtiges mit mir besprechen wollte?
Wegen Kai, hatte er gesagt. Ob ihm tatsächlich eine Möglichkeit eingefallen war, wie wir diesem selbstzufriedenen Schnösel heimzahlen konnten, was er mit uns gemacht hatte?
Aber gut, in der vierten Stunde würde ich es erfahren.

Die Mensa war noch nicht sehr voll, als ich um kurz vor elf Uhr die gläserne Schwingtür aufschob und mit Blicken den grossen, langgestreckten Raum absuchte.
Ich entdeckte Daniel an einem der Fenstertische und eilte zu ihm. Er hatte einen Kaffee vor sich stehen und lächelte erfreut, als ich mich ihm gegenübersetzte. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Schnellhefter, mit der Rückseite nach oben.
„Also, da bin ich.“ sagte ich betont forsch um meine Verlegenheit zu überspielen. „Was gibt es?“
Ohne ein Wort schob er mir den Hefter zu. „Schau erst mal da rein.“
Ich griff danach, schlug die erste Seite auf und begann zu lesen. Gleich darauf schoss mir das Blut ins Gesicht, ich klappte den Hefter zu und starrte Daniel erschrocken an.
Der amüsierte sich etwas über meine Reaktion und meinte:“Was denn? Lies doch erst mal weiter!“
Ich sah unauffällig über meine Schulter, doch zum Glück war der Tisch hinter mir frei.
„Das sind ja lauter Kontaktanzeigen von Homosexuellen!“ zischte ich halblaut.
Was hatte er vor? Wollte er sich über mich lustig machen?
Daniel nickte grinsend.
„Stimmt genau. Aber hast du auch gelesen, was das für Kontakte sind, die da gesucht werden?“
Zögerlich schlug ich die Mappe wieder auf und blätterte weiter. Nachdem ich ein paar Seiten überflogen hatte, war mir klar: Hier ging es nur um Eines – um Sex!
„Woher hast du das?“
Er zuckte die Achseln und lehnte sich nach vorn. „Woher wohl? Aus dem Internet natürlich!“ Ich starrte auf die Anzeigen. Viele waren mit Bildern versehen, die den Kontaktsuchenden in mehr oder weniger eindeutigen Posen zeigten. Einige sogar mit freiem Oberkörper.
„Aha. Und was hast du damit vor?“
Ich schloss den Hefter und legte ihn – wieder mit der Rückseite nach oben – zurück auf den Tisch.
„Damit kommen wir zu meinem genialen Plan!“
Daniel wurde eifrig und senkte die Stimme. „Also, pass auf! Kai und ich haben heute zusammen Schwimmen. Anschliessend wird natürlich geduscht.“
Er machte eine Pause und sah mich an, ob ich schon verstand, worauf er hinauswollte. Mich beschlich eine Ahnung und ich riss die Augen auf.
Daniel sah meine Reaktion, ein triumphierendes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und er griff in seine Tasche. Als er die Hand wieder hervorzog, hielt er ein Mobiltelefon.
„Diesmal bin ich derjenige der Fotos macht! Und schon heute Abend findet sich Kai in einer für ihn völlig ungewohnten Lage – als Pin-up für Schwule! Ich hab´ mir übrigens auch seine Handynummer besorgt. Franziska, du weisst schon, dieses Mädchen aus dem Handballteam, war da sehr entgegenkommend!“
Er kicherte übermütig.
„Und dann werde ich, genau wie Kai, dem Einen oder Anderen einen Hinweis zuspielen! Mal sehen, wie ihm das schmeckt!“
Ich war hin und her gerissen. „Das wird Kai bestimmt nicht auf sich sitzen lassen! Was, wenn er die Polizei einschaltet?“
Daniel schüttelte den Kopf.
„Das tut er nicht! Überleg´ doch mal – ein Typ mit einem solchen Ego wie seinem! Wenn er einen offiziellen Fall daraus macht, wird die Sache doch zumindest hier an der Schule ziemlich breitgetreten. Mit anderen Worten, selbst diejenigen, die die Annonce bis dahin noch nicht gesehen haben, erfahren davon. Stell´ dir mal das Gelächter vor? Glaubst du, das würde er riskieren? Im Leben nicht!!“
Ich war noch nicht ganz überzeugt, aber Daniel beruhigte mich. „Wenn er begreift, dass ich dahinterstecke, wird er sich hüten, mich irgendwo hinzuhängen, denn dann müsste er in Kauf nehmen, dass ich auch auspacke und erzähle, was er gemacht hat. Das wird er nicht riskieren wollen, ganz egal, ob es um die Sache mit Franziska geht oder um die Geschichte mit uns. Ich schätze, er wird höchstens versuchen, mich allein zu erwischen und ordentlich zu vermöbeln.“
Als er meinen erschrockenen Blick sah, hob er beschwichtigend die Hand. „Keine Angst, mit dem werde ich schon fertig.“
„Und wenn die anderen Drei auch mitmachen?“ „Dann komme ich auch irgendwie klar!“
Zumindest letzteres war mehr als fraglich und ich wollte ihm das gerade sagen, da veränderte sich sein Gesichtsausdruck und er liess mit einem schnellen Griff den Hefter vom Tisch verschwinden.
Dabei richtete er seinen Blick auf irgendetwas hinter mir, sagte aber als ich mich umwenden wollte:“Dreh´ dich jetzt nicht um, Sascha. Kai und seine Kumpel sind gerade reingekommen. Sie kommen hier rüber. Ganz ruhig!“ beschwichtigte er mich, als ich zusammenzuckte.
Da tauchten die Vier schon neben uns auf. Kai sah überrascht von mir zu Daniel und meinte höhnisch:“Na, was sagt man dazu? Ihr redet ja noch miteinander? Nach allem was passiert ist?“ Grinsend drehte er sich zu seinen Freunden um und die lachten hämisch. „Aber vielleicht belasst ihr es ja gar nicht beim Reden, wie? Sag´ mal, Daniel, küsst der Kleine vielleicht so gut, dass es dir egal ist, ob er einen Schwanz hat? Aber naja, der ist ja auch so mickrig, der fällt eh´ kaum auf! Das können wir ja jetzt auch alle sehen.“ Er hatte absichtlich so laut gesprochen, dass die Umsitzenden es mitbekamen und neugierig die Köpfe drehten. Er holte sein Handy aus der Tasche und tippte darauf herum.
Daniel sah gelassen zu ihm auf und antwortete ebenso laut:“Du musst ja nicht gleich von dir auf andere schliessen, Kai. Ausserdem kenne ich die Bilder schon und ich kann nur nochmal wiederholen, was ich heute früh dazu gesagt habe: Das ist nur eine plumpe Fotomontage und sonst nichts.
Aber wenn du sie selbst gemacht hast, muss ich dir wohl trotzdem gratulieren. Ich hätte gar nicht gedacht, dass du mit einem PC und einem Bildbearbeitungsprogramm umgehen kannst. Immerhin erfordert das ein Mindestmass an Intelligenz. Hätte ich dir echt nicht zugetraut.“
Mir stand vor Staunen der Mund offen und an ein paar Tischen in der Nähe wurde gekichert. Das entging auch Kai nicht und vor Wut lief er rot an. Mit verkniffenem Gesicht kam er noch näher, legte die Hände auf die Tischplatte und beugte sich zu Daniel.
„Du hältst dich wohl für besonders schlau, du Penner!? Aber ich warne dich: Komm´ mir in Zukunft nicht mehr in die Quere, sonst geht es dir schlecht! Hast du das verstanden?“
Er wartete allerdings keine Antwort ab, sondern drehte sich um und stürmte hinaus, gefolgt von seinen Freunden.
Ich merkte erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte und liess sie mit hörbarem Aufseufzen entweichen.
Daniel griff nach seiner Kaffeetasse und trank den Rest, der noch darin war. Dann setzte er die Tasse ab und sah mich an.
„Gut, damit wären die Fronten abgesteckt, schätze ich. Aber ich wollte noch was mit dir bereden, Sascha.“
Er sprach ganz ruhig, als hätte die Begegnung eben überhaupt nicht stattgefunden. Ich sah ihn stumm an.
Was kam denn jetzt noch?
„Als die Vier dich in die Toilette gezerrt haben, um die Fotos zu machen, hast du dich da überhaupt nicht gewehrt?“
Ich schüttelte den Kopf. „Gegen die Vier? Guck´ mich doch an! Sehe ich aus, als hätte ich eine Chance gegen die?“
Er musterte mich und sagte:“Genau da liegt dein Problem, Sascha! Du gibst auf, bevor du es überhaupt versucht hast! Dir fehlt Selbstvertrauen, sonst nichts. Man muss kein Muskelprotz sein, um einem Gegner zu schaden!
Was hältst du davon, wenn ich dir ein paar Tricks zur Selbstverteidigung beibringe?“
Ich sass wie erstarrt da. „Tricks?... Mir?.... Du?“ Er lachte.
„Deswegen darfst du ruhig weiter in ganzen Sätzen sprechen! - Klar, wieso nicht?“
„Glaub´ mir,“ wehrte ich ab, „das willst du dir nicht antun!“
„Doch. Hätte ich es dir sonst angeboten?“
Mein Gesicht wirkte wohl noch immer alles andere als begeistert, denn er fing an auf mich einzureden.
„Stell´ dir das nicht so schwierig vor, Sascha! In Berlin habe ich in meinem Kampfsportverein bei solchen Kursen mitgeholfen. Und die meisten Teilnehmer waren Mädchen. Untrainierte Mädchen! Und die haben es auch geschafft. Also los, gib´ dir einen Ruck! Es wird nicht lange dauern, glaub´ mir! In einer Woche hast du die Grundlagen drauf!“
Er war so begeistert von seiner Idee, wie hätte ich da ablehnen können? Ausserdem flüsterte mir mein innerer Schweinehund zu, dass ich auf die Weise öfter mit Daniel zusammen sein konnte.
Ich gab mich also geschlagen und stimmte zu.
„Super!“ Daniel strahlte mich an, dass mir fast das Herz stehen blieb. „Sollen wir gleich heute Abend anfangen?“
Ich nickte stumm. „Gut, dann komm´ ich zu dir, sobald ich Kais Kontaktanzeige aufgegeben habe!“
Er grinste über das ganze Gesicht und stand dann auf.
Ich musste auch zu meiner nächsten Stunde und so verliessen wir gemeinsam die Mensa. Wir verabschiedeten uns kurz und dann trennten sich unsere Wege.

Wir sahen uns erst am späten Nachmittag wieder. Ich sass noch an meinen Hausaufgaben, als es klingelte.
Rasch lief ich die Treppe hinunter, aber meine Mutter hatte schon geöffnet. Da sie Daniel nicht kannte, hatte sie ihn noch nicht hereingebeten. Sie hörte mich kommen und drehte sich zu mir um.
„Sascha, hier ist jemand für dich.“ sagte sie und ich nickte.
„Ja, ich weiss, Mama. Das ist Daniel. Wir sind im gleichen Mathekurs. Er will mir Selbstverteidigung beibringen.“
Sie zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Selbstverteidigung? Hast du das denn nötig?“
Ich druckste herum, bis Daniel mir zu Hilfe kam.
„Im Moment nicht, aber Sascha hat mir erzählt, dass er in der Vergangenheit ein paar Mal ziemlich übel gemobbt worden ist. Ich habe bis vor kurzem geholfen Kurse in Selbstverteidigung abzuhalten und dachte mir, es würde Sascha etwas mehr Selbstvertrauen geben, wenn er weiss, dass er sich verteidigen kann.“
„Kurse? Hier in der Stadt?“ Meine Mutter wirkte skeptisch.
„Nein. In Berlin. Ich bin erst vor kurzem hergezogen. Mein Vater hat hier eine neue Arbeit gefunden, deshalb sind wir von Berlin hierher gezogen.“
„Ach so. Tja, das mit dem Mobbing stimmt leider. Und ein bisschen mehr Selbstvertrauen täte Sascha sicher gut, da hast du recht. Aber komm´ doch erst mal rein. Ach, entschuldige, ich duze dich einfach so!“meinte sie dann verlegen.
Daniel winkte ab. „Nein, nein! Ist schon in Ordnung. Wenn ich gesiezt werde, ist das immer ganz komisch!“
Er kam herein und meine Mutter verschwand wieder in der Küche, während ich etwas verlegen im Flur stand, während er seine Jacke auszog.
„Wo sollen wir üben?“ wollte er wissen.
„Vielleicht in meinem Zimmer? Oder brauchen wir viel Platz?“ Er schüttelte den Kopf.
„Nö, eigentlich nicht. Zumindest noch nicht. Heute will ich dir erst mal ein paar Grundlagen beibringen.“
Wir stiegen also die Treppe wieder hinauf und betraten mein Zimmer. Ich war froh, dass ich es vor ein paar Tagen so gründlich geputzt hatte, denn Daniels Gegenwart machte mich schon nervös genug, auch ohne dass ich mir Gedanken über Essensreste und schmutzige Wäsche machen musste, die unerwartet irgendwo auftauchen könnten.
Nachdem sich die Tür hinter uns geschlossen hatte, holte er jedoch zuerst sein Handy aus der Tasche, drückte ein paar Tasten und hielt mir das Display vors Gesicht.
Zwar war das Bild nur klein, aber Kai war trotzdem deutlich zu erkennen. Sein Oberkörper war nackt und er fuhr sich mit einer Hand übers nasse Haar. Darunter stand der Text: „Hallo, ich bin Kai! Ich bin noch unerfahren in der Männerliebe und suche deshalb einen zärtlichen, erfahrenen Partner, der mir alles beibringt. Ruf´ mich an, wenn Du glaubst, Du wärst der richtige für mich.

“ Dann folgte eine Handynummer.
Mir wurde heiß bis unter die Haarwurzeln. Daniel hatte es also tatsächlich getan! „Und er hat nicht gemerkt, dass du ihn fotografiert hast?“ Er schüttelte den Kopf.
„Ich hab´ den Hinweis schon gestreut!“ sagte er grinsend.
„Ich weiss nicht,“ erwiderte ich zögernd,“mir ist nicht ganz wohl bei der Sache!“
„Ach, komm´, du hast doch gar nichts damit zu tun! Keiner wird was von dir wollen!“ versuchte er mich zu beruhigen.
„Das meine ich nicht! Ich mach´ mir Sorgen um dich!“
Aber er winkte ab und meinte:“Da mach´ dir mal keine Gedanken. Das passt schon. Jetzt lass´ uns lieber anfangen." Er sah sich um. "Vielleicht wäre es besser, wenn wir das Bett wegrücken. Dann haben wir mehr
Bewegungsfreiheit.“
Mit Daniels Hilfe schob ich also mein Bett an eine andere Wand und danach meinte er, der Platz sei ausreichend.
In der nächsten Stunde erfuhr ich einiges über Körperspannung, Atemtechniken und die Grundregeln der Selbstverteidigung. Anschliessend demonstrierte er mir ein paar Griffe und Schläge, um mir zu zeigen, dass es mich nicht überfordern würde. Ich bemühte mich, alles was er mir zeigte nachzumachen und er meinte schliesslich:“Man merkt zwar, dass du nicht trainiert bist, aber du bist gar nicht so ungeschickt. Und du lernst schnell, das muss ich dir lassen!“
Sein Lob spornte mich mächtig an und als meine Mutter einige Zeit später anklopfte, um zu fragen, ob wir zu Abend essen wollten, war ich zwar reichlich fertig, hatte mir aber tatsächlich schon ein paar kleine Tricks angeeignet.
Es gab Lasagne und Salat und da wir beide hungrig waren, langten wir tüchtig zu. Beim Essen unterhielt Daniel sich angeregt mit meiner Mutter und ich registrierte erleichtert, dass sie ihn zu mögen schien.
Als wir uns anschliessend verabschiedeten, sagte er:“Vielleicht ist es das Beste, wenn wir das nächste Mal bei mir üben, da ist mehr Platz. Vielleicht gleich morgen nach der Schule? Morgen abend hab´ ich keine Zeit. Ich werde vielleicht in den Karate-Club eintreten, da will ich morgen mal beim Training zusehen.“
Ich nickte. „Okay.“ Er öffnete die Haustür. „Dann also bis morgen.“
„Ja, bis morgen.“ Er hob noch einmal kurz die Hand zum Gruß und schon war er verschwunden.

Ich ging zurück in die Küche, um meiner Mutter beim Abwasch zu helfen. Wortlos arbeiteten wir eine Weile Hand in Hand, doch schliesslich brach sie das Schweigen.
„Übrigens, vielen Dank für deine Putzorgie am Wochenende. Darüber habe ich mich wirklich gefreut. Aber ... gewundert hat es mich schon ein bisschen. Du putzt doch sonst nicht freiwillig?“ Fragend sah sie mich an.
„Och, ich dachte mir halt, es wäre mal nötig und sonst machst du das ja immer allein. Da war es doch nur fair, dass ich mal selber Hand angelegt habe, oder?“ flunkerte ich wild drauflos.
Jetzt war sie definitiv baff. „So kenne ich dich ja gar nicht, Sascha.“ meinte sie, musterte mich dann einen Moment und lächelte schliesslich. „Sieht so aus, als ob du langsam erwachsen wirst, was?“ Sie lachte und stiess mich in die Seite. „Oder liegt es vielleicht an der ominösen jungen Dame, die dich so aus der Ruhe bringt?“
Ich wurde rot und rang mir ein reichlich gezwungenes Lächeln ab.
Sie schaute mich noch einen Augenblick lang von der Seite an, als aber von mir nichts mehr kam, widmete sie sich wieder dem schmutzigen Geschirr. Nach ein paar Minuten nahm sie den Faden des Gesprächs wieder auf, wechselte aber das Thema.
„Dieser Daniel ist ja wirklich ein Netter.“
„Hmmm. Stimmt, er ist nett.“
„Und ihr seid zusammen im Physikkurs?“
„Mathe.“
„Ja, richtig, Mathe war es. Seid ihr Freunde?“
„So was Ähnliches.“
„So was Ähnliches? Was heisst denn das?“
„Mama, wir kennen uns erst kurz, okay? Daniel ist nett und ich wäre gern sein Freund, aber das entscheide ich nicht allein, das liegt auch an ihm, verstehst du? Vielleicht will er ja gar nicht mit mir befreundet sein, keine Ahnung!“
Am erstaunten Gesicht meiner Mutter erkannte ich, dass meine Lautstärke der Situation wohl nicht mehr ganz angemessen war. Ich wusste selbst nicht, weshalb ich so heftig reagierte. Ich senkte den Kopf und entschuldigte mich. „Tut mir leid, Mama. Ich wollte dich nicht anfahren.“
Sie überwand ihre Überraschung schnell und meinte lächelnd:“Ist schon gut, Sascha. Wir haben alle mal einen schlechten Tag.“
Den restlichen Abwasch erledigten wir schweigend.
Als wir endlich fertig waren, verzog ich mich unter einem Vorwand rasch in mein Zimmer. Dort rückte ich zuerst mein Bett an seinen alten Platz, warf mich darauf und verschränkte dann, auf dem Rücken liegend, die Hände unter dem Kopf.
Während draussen vor meinem Fenster langsam die Dämmerung niedersank, liess ich die Übungsstunde mit Daniel vor meinem geistigen Auge erneut ablaufen.
Ich spürte immer noch jeden Punkt meines Körpers, den er berührt hatte. Hitze schien in Wellen davon auszugehen. Ich schloss die Augen und erinnerte mich an das Gefühl, als seine Lippen warm und weich auf meinen gelegen hatten.
Einen Moment lang gab ich mich dem wohligen Schauer hin, der mich dabei überlief, doch dann riss ich mich mit Gewalt davon los.
Es hatte keinen Zweck, solchen Träumereien nachzuhängen.
Daniel war nun mal nicht schwul, er stand auf Mädchen und ich sollte besser versuchen, über meine Gefühle hinweg zu kommen, sonst konnte ich mir eine Freundschaft gleich abschminken, und mehr als das war nun mal nicht drin.
Ich erhob mich vom Bett und setzte mich wieder an meinen Schreibtisch. Meine Hausaufgaben und die Vorbereitung auf eine Klausur nahmen mich die nächsten Stunden so in Anspruch, dass ich völlig vergass auf die Uhr zu schauen. Erst als meine Mutter anklopfte und dann ins Zimmer kam, um mir Gute Nacht zu sagen, merkte ich, wie spät es schon war.
„Es ist gleich Mitternacht, Sascha. Meinst du nicht, du solltest langsam mal Schluss machen und ins Bett gehen? Nicht dass du morgen früh noch verschläfst. Ich hab´ Frühdienst und kann dich nicht wecken.“
Sie legte mir die Hand auf die Schulter und warf einen Blick in mein Physikbuch, welches aufgeschlagen vor mir lag. Mit gerunzelter Stirn überflog sie die erste Seite und meinte dann kopfschüttelnd:“Dass du diesen ganzen Kram verstehst, ist mir ein Rätsel. Aber naja, intelligenzmässig schlägst du halt mehr nach deinem Vater. Ich hab´s nur bis zur mittleren Reife gebracht.“
Das klang ein bisschen bedauernd und ich schlang die Arme um sie. „Dafür verdienst du aber im Muttersein eine Eins plus!“ Sie erwiderte meine Umarmung und einen kurzen Moment lang fühlte ich mich in ihrem Arm so geborgen und beschützt, wie zu der Zeit, als ich ein kleiner Junge war. Ich atmete ihren vertrauten Geruch ein und es schien, als gäbe es nichts auf der ganzen Welt, das mich verletzen konnte.
Dann löste sie ihre Arme von mir und die Illusion schwand.
Trotzdem fühlte ich mich irgendwie getröstet.
Als sie mein Zimmer verlassen hatte, klappte ich meine Bücher und Hefte zu und packte meine Schultasche für den nächsten Tag, während ich auf das Rauschen der Dusche horchte.
Nachdem es verstummt war, dauerte es nur noch ein paar Minuten, bis die Schlafzimmertür meiner Mutter zuschnappte und ich mich ebenfalls unter die Brause stellen konnte.
Eine Viertelstunde später war ich im Bett und auf dem Weg in den Tiefschlaf.

Am nächsten Tag begleitete ich Daniel wie abgesprochen nach Hause. Ich kannte sein Zuhause nicht und war dementsprechend neugierig. Da sein Vater in der Werbebranche tätig war, wohnten sie bestimmt in einem eigenen Haus.
Aber es gab ja auch exklusive Eigentumswohnungen, oder?
Ich wagte nicht zu fragen, denn ich wollte nicht aufdringlich erscheinen.
Wir unterhielten uns über alles Mögliche, während der Bus sich immer weiter vom Stadtzentrum entfernte. Als wir endlich ausstiegen, befanden wir uns am westlichen Stadtrand und konnten zwischen den Häusern sogar schon den Wald sehen, der unsere Stadt von zwei Seiten umgibt.
Daniel schulterte seine Tasche und zeigte gut gelaunt die Strasse entlang. „Da wohne ich.“ sagte er und ich sah in die Richtung, in die er deutete.
Die Strasse war eine Sackgasse mit einem Wendehammer an ihrem Ende. Zu beiden Seiten lagen hübsche gepflegte Häuser, zum Teil hinter Hecken verborgen. Hier und da stand eine Kinderschaukel oder Rutsche im Garten und man erkannte auf den ersten Blick, dass hier normale Durchschnittsfamilien lebten.
Genau hinter dem Wendehammer stand das beeindruckendste Haus der ganzen Strasse.
Ein niedriger Bungalow mit Walmdach und einer angebauten Garage. Die Fassade war mit hellen Klinkersteinen verkleidet und ein makellos gepflegter Vorgarten wurde von einem sauber gepflasterten Weg in zwei Hälften geteilt. Ein Baum von beeindruckender Grösse, an dessen Ästen sich gerade die ersten kleinen Blätter zeigten, stand auf der rechten Seite des Weges und links befand sich ein kleiner Teich.
Genau dieses Haus steuerte Daniel jetzt an, öffnete die schmiedeeiserne Gartenpforte und eilte zur Haustür.
Er sperrte auf und ich beeilte mich, ihm zu folgen.
Drinnen standen wir zunächst in einer geräumigen Diele, wo wir uns unserer Jacken und Schuhe entledigten. Zuletzt nahm ich noch meine Brille ab und steckte sie in den Ranzen. Beim Training würde sie ohnehin nur stören.
Dann sah ich mich neugierig um. Von der Diele aus führte eine breite Schiebetür nach links in einen grossen Wohnraum, in dem ich von der Tür aus einen riesigen Flachbildschirm und davor eine helle Couchgarnitur ausmachen konnte. Ausserdem säumten hohe, vollgestellte Bücherregale die Wände und auf dem terrakottafarbenen Steinfussboden lagen mehrere Teppiche mit geometrischen Mustern.
„Willst du erst was essen?“ riss mich Daniels Stimme aus meiner Betrachtung. Ich wandte mich zu ihm um und sah, dass er eine Tür auf der rechten Seite geöffnet hatte, die augenscheinlich in die Küche führte.
Ich ging hinter ihm her und fand mich gleich darauf in einem Raum wieder, der geradewegs aus einem „Schöner Wohnen“-Magazin zu stammen schien.
In der Mitte des grossen, lichtdurchfluteten Raumes stand ein riesiger, verchromter Küchenblock, der einen geradezu gigantischen Herd, Backofen und zwei Spülbecken enthielt und darüber war ein gleich grosses schwarzes Metallgestell angebracht, an dem unzählige Pfannen, Kasserolen, Siebe, Rührlöffel und so weiter hingen, griffbereit für denjenigen, der hier kochte.
An den umgebenden Wänden entlang zogen sich Einbauschränke, nur unterbrochen von einem riesigen Kühlschrank. Ausserdem gab es eine Mikrowelle, einen weiteren Backofen und eine Spülmaschine, alles in bequemer Griffhöhe angebracht und die Chromflächen auf Hochglanz poliert.
„Wow!“ entfuhr es mir und Daniel lachte. „Gut dass meine Mutter nicht da ist. Das wäre nämlich genau die Reaktion, die sie damit erzielen wollte. Dabei hat sie noch nie hier gekocht, seit wir hergezogen sind.“
Ich war überrascht. „Wieso nicht?“
Er zuckte die Achseln und öffnete den Kühlschrank. „Weil sie praktisch immer nur in ihrer Firma isst, genau wie mein Vater. Und ich gehe unter der Woche sowieso in die Mensa. Das war in Berlin auch schon so. Wenn wir mal Gäste haben, engagieren meine Eltern immer entweder ein Catering-Unternehmen oder einen Koch.“
Ich war beeindruckt. Das war eine Welt, die ich nicht kannte.
„Aha.“ Zu mehr war ich nicht imstande.
„Also – willst du nun was essen?“ Daniel zog den Kopf aus den Tiefen des Kühlschranks und sah mich fragend an.
Ich verneinte. In seiner Gegenwart zu essen gehörte immer noch zu den Dinge, die mir völlig undenkbar schienen. Womöglich hätte ich mich bekleckert oder sonstwie blamiert.
Daraufhin holte er zwei Getränkedosen heraus und warf mir eine davon zu.
Es war Cola und gleich darauf zischte es zweimal, als wir die Verschlüsse öffneten. Die kalte Limo tat gut und rasch hatten wir unsere Dosen geleert. Daniel zeigte mir den Mülleimer und meinte:„Sollen wir anfangen?“ Ich nickte. „Klar.“
Wir verliessen die Küche und gingen ans hintere Ende der Diele, die sich über die gesamte Länge des Hauses zog, bis zu einer abwärts führenden Treppe.
Als wir hinunterstiegen flammten an der Wand mehrere Lampen auf, die unseren Weg beleuchteten.
Unten angekommen standen wir in einem schmalen Flur, mit Laminat ausgelegt und die Wände weiss gestrichen. Zu beiden Seiten dieses Flures zweigten mehrere Türen ab. eine davon öffnete Daniel jetzt, betätigte einen Lichtschalter und trat ein. Ich folgte ihm und gleich darauf klappte mir die Kinnlade runter.
„Willkommen in meinem Dojo

!“ Daniel grinste und ich sah mich mit offenem Mund staunend um.
Natürlich hatte ich schon solche Orte gesehen, aber bisher eben nur im Film und nicht in Wirklichkeit.
Der Raum war gross, ich schätzte seine Länge auf etwa sieben und die Breite auf gute vier Meter.
Die Wände waren zum Teil mit hellem Holz verkleidet und zum Teil mit einer Fototapete, die eine fernöstliche Landschaft zeigte. Auf dem Boden lagen dicke Matten und an einer Schmalseite wurde die gesamte Wand von einem deckenhohen Spiegel eingenommen. Beleuchtet wurde das Dojo

von mehreren Reihen in die Decke eingelassener Halogenlampen, deren Licht hell, aber angenehm weich in den Raum fiel.
„Hier trainierst du also?“ fragte ich, nachdem ich alles in mich aufgenommen hatte und Daniel nickte.
„Hier in der Stadt gibt es keinen Kendo

-Club, deshalb werde ich meine Ausbildung wohl nicht weiter fortführen können. Aber ich mache ja auch noch Karate und wenn mir der Club hier zusagt, werde ich wenigstens damit weitermachen können. Trotzdem, ich übe noch fast täglich mit dem Shinai

.“
„Womit?“ Er lächelte.
„Ach, entschuldige. Das Shinai

ist mein Kendo

-Schwert. Weisst du eigentlich, was Kendo

ist?“ Ich überlegte. „Das ist doch dieser japanische Schwertkampf, oder? Ich hab´ das mal in einem Manga gesehen.“ Daniel nickte. „Ja, stimmt. Soll ich dir meine Ausrüstung mal zeigen?“
Ich war neugierig, deshalb nickte ich. In dem Manga, von dem ich gesprochen hatte, waren die Kendo

-Kämpfer unglaublich cool gewesen. Ich konnte es noch gar nicht fassen, dass ich so einen Schwertkämpfer jetzt in natura vor mir hatte.
Daniel öffnete einen Wandschrank, von dem mir vorher gar nicht aufgefallen war, dass erüberhaupt existierte und entnahm ihm eine grosse Tasche. Er kniete sich hin, öffnete sie und holte eine Art plissierten Hosenrock in Dunkelblau heraus.
„Das ist mein Hakama

und das,“ eine kurzärmelige Jacke, ebenfalls dunkelblau und offenbar aus einem dickeren, versteppten Gewebe folgte, „ist der KendoGi

.“ Als nächstes hielt er einen Kopfschutz mit Fechtmaske in den Händen - „Die Men

,“ - dann einen Rumpfschutz - „der Do

,“ - einen Hüftschutz - „der Tare

“ - und schliesslich noch ein paar schwere Handschuhe - „und das sind meine Kote

.“ Er legte alles sehr sorgfältig auf den Boden und als ich die Hand nach der Fechtmaske ausstreckte, hielt er mich zurück.
„Bitte fass das nicht an. Es gehört zu den Regeln des Kendo

die Ausrüstung anderer Kämpfer nicht zu berühren.“ Ich zog die Hand sofort wieder zurück und sah stattdessen zu, wie er noch einmal in den Schrank fasste und sein Schwert herausholte.
Ich hatte so etwas noch nie gesehen und bestaunte es ehrfürchtig, als er es mir auf beiden Händen präsentierte.
„Was ist das für ein Material?“ wollte ich wissen.
„Die „Klinge

“ besteht aus vier Bambuslamellen." erklärte er. "Hier unten, über dem Griff und oben an der Spitze werden sie von einer Lederhülle zusammengehalten, siehst du?“ Er deutete mit dem Finger auf die Stellen, die er meinte.
„Wie lang ist denn dieses …?“
Shinai

,“ ergänzte er lächelnd für mich. „Meins ist 1,20 m lang. Länger darf es auch nicht sein.“
„Und damit schlägt man den Gegner, oder wie?“ Ich war fasziniert.
„Ja, aber man haut nicht blindlings drauflos. Man muss eine von vier festgelegten Zonen treffen. Den Kopf, die Unterarme, den Rumpf oder die Kehle. Ausserdem geht es beim Kendo

nicht einfach nur darum, den Gegner zu besiegen. Es geht auch um eine geistige Ausbildung, um Charakterfestigkeit, Entschlossenheit und moralische Stärke. Was jeder Kämpfer zu erreichen versucht, ist die vollkommene Einheit von Körper, Geist und Schwert.“
Sein Gesicht war vollkommen ernst, als er mir das erklärte und ich begriff, dass er seine Gelassenheit, die er in den letzten Tagen so oft gezeigt hatte, wohl auch dieser geistigen Ausbildung verdankte.
„Und gibt es beim Kendo

auch Abstufungen, so wie beim Judo oder so? Ich meine, so eine Art Rangordnung?“
Er nickte. „Ja, gibt es. Hier in Deutschland unterscheidet man sechs Schülerstufen und acht Dans

und jede Stufe erreicht man durch eine Prüfung. Der Abstand zwischen den einzelnen Schülerprüfungen beträgt mindestens ein halbes Jahr. Erst danach fangen die eigentlichen Grade an. Das sind dann die Dans

. Die Prüfung zum ersten Dan

kann man frühestens ein Jahr nach der letzten Schülerprüfung ablegen.“ Sein Gesicht nahm einen leicht enttäuschten Ausdruck an und er fuhr mit den Fingern über sein Shinai

. „In einem halben Jahr hätte ich sie machen können.“ murmelte er leise. „Aber naja,“ fuhr er lauter fort, „ich kann es nicht ändern. Wer weiss, wo es mich hin verschlägt, wenn ich die Schule hinter mir habe. Dann bekomme ich vielleicht Gelegenheit, meine Ausbildung fortzusetzen.“ Er lächelte und begann, die Sachen wieder sorgfältig einzupacken.
Nachdem er alles im Wandschrank verstaut hatte, wandte er sich mir zu und meinte fröhlich:
„So und jetzt zeig´ mir mal, was du gestern gelernt hast.“ Kaum hatte er geendet, griff er mich auch schon an.
Darauf war ich völlig unvorbereitet und fand mich in Sekundenschnelle auf dem Boden wieder.
Etwas benommen setzte ich mich auf und sagte:“Tut mir leid, ich war nicht drauf gefasst.“
Er lachte, streckte mir die Hand hin und half mir auf.
„Okay, das war gemein von mir. Ich wollte dir ja beibringen, wie du dich verteidigst, wenn Kai und seine Kumpels dich angreifen. Und so einen Angriff aus dem Hinterhalt werden sie bei dir nicht für nötig halten.“
Ich sah verlegen zu Boden.
Klar, auch Daniel hatte kapiert, dass ich ein jämmerliches Weichei war. Warum hätte er mir sonst wohl seine Hilfe angeboten? Trotzdem versetzte es mir einen Stich, als er das sagte.
Ich bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen und seine nächste Attacke zu parieren.
Nach einer Viertelstunde stemmte er die Hände in die Hüften und nickte zufrieden:“Das klappt doch schon ganz gut. Machen wir also weiter, mit der nächsten Lektion. Nehmen wir mal an, jemand hat dich auf den Boden geworfen und hockt über dir. Wie befreist du dich?“
Er machte eine auffordernde Geste mit der Hand und ich legte mich hin. Er hockte sich rittlings über mich und packte mich am Kragen. „So. Was machst du jetzt? Irgendeine Idee?“ Er sah mich fragend an.
Ich starrte zu ihm hoch und lief langsam dunkelrot an. Ihn so dicht vor mir zu haben und dann auch noch in einer so doppeldeutigen Pose war zuviel für mein angespanntes Nervenkostüm.
Und ganz langsam veränderte sich auch Daniels Gesichtsausdruck. Ich konnte zusehen, wie seine Augen gross wurden und sich das Begreifen in ihnen abzeichnete.
Er schien mit sich zu kämpfen, schluckte, liess mich aber nicht los.
Tränen stiegen mir in die Augen und ich schämte mich furchtbar. Ich hob die Arme, um mein rotes Gesicht dahinter zu verstecken, doch er fing sie ein und presste sie auf die Matte.
Noch immer sagte keiner von uns ein Wort. Seine Augen hielten meinen Blick fest und dann senkte er ganz langsam sein Gesicht zu mir und küsste mich.
Ich lag da wie erstarrt, konnte gar nicht fassen, was mit mir passierte und fühlte die Wärme und Weichheit seiner Lippen auf meinem Mund wie etwas aus einem fernen Traum.
Seine Hände lösten sich von meinen Armen und umfassten mein Gesicht. Und als ich die Berührung seiner Finger spürte, wich die Erstarrung von mir, ich schloss die Augen und öffnete bereitwillig meine Lippen. Seine Zunge schob sich sanft aber beharrlich dazwischen und ich kam ihr mit meiner eigenen entgegen.
Gerade schien es, als könnten wir beide nicht genug bekommen, da riss er mit einem Ruck den Kopf hoch.
Ich öffnete die Augen und sah in sein entsetztes Gesicht.
Er sprang regelrecht von mir herunter, drehte mir den Rücken zu und rannte hinaus.
Ich setzte mich auf und blieb einen Moment lang sitzen, unfähig mich zu bewegen.
Wieso hatte das passieren müssen? Wieso hatte ich mich nicht unter Kontrolle gehabt?
Ich hätte Daniel nie merken lassen dürfen, wie es in mir aussah! Jetzt würde er wohl endgültig nichts mehr mit mir zu tun haben wollen!
Aber – wieso hatte er mich geküsst?
In meinem Kopf ging alles wild durcheinander.
Ich rappelte mich vom Boden hoch und verliess das Dojo.
Der Kellergang war leer und ich hörte nichts, was mir einen Hinweis gegeben hätte, wo Daniel sich befand.
Langsam stieg ich die Kellertreppe empor und sah mich um. Aber auch hier rührte sich nichts.
Ich durchquerte die Diele bis zu der Stelle, wo ich beim Betreten des Hauses meine Sachen zurückgelassen hatte.
Ich schlüpfte in meine Schuhe, zog meine Jacke über und griff nach meiner Schultasche.
Dann sah ich noch einmal zurück in die stille Diele, öffnete die Haustür und ging.
Fünfundvierzig Minuten später betrat ich mein Zuhause und begrüsste meine Mutter. Und als ich sie so da stehen sah, in unserer Küche, wie sie gerade das Abendessen vorbereitete, da war es um meine Beherrschung geschehen, ich fiel ihr um den Hals und weinte, wie ich seit Jahren nicht mehr geweint hatte, klammerte mich an sie und schluchzte, bis meine Kehle rauh und wund war. Und obwohl mein Ausbruch sie natürlich überraschte, hielt sie mich die ganze Zeit fest und wiegte mich sanft, genau wie früher, bis ich mich ausgeweint hatte und meine Brust sich hohl und leer anfühlte.
Erst dann fragte sie behutsam nach und da endlich brach alles aus mir heraus. Die ganze Geschichte, mit Kai und Sarah

, mit Daniel und unserem ersten Kuss im Kino und was danach passiert war. Unser nächtliches Gespräch im Park und wie ich begriffen hatte, welcher Art meine Gefühle für Daniel wirklich waren. Und natürlich, was sich heute in seinem Dojo

abgespielt hatte. Das Einzige, was ich ausliess, war die Sache mit der Kontaktanzeige für Kai, denn ich wollte nicht, dass er womöglich Ärger bekam.
Als ich fertig war, sass ich wie ein Häufchen Elend vor meiner armen Mutter, über die sich die ganze unglaubliche Geschichte ohne Vorwarnung ergossen hatte und die sichtlich Mühe hatte, alles zu begreifen.

Sie schwieg ziemlich lange und starrte vor sich hin, strich sich dann die Haare aus der Stirn und atmete tief durch.
„Also, dass muss ich erst mal verdauen, Sascha. Das ist ja eine Irrsinnsgeschichte, die du mir da aufgetischt hast!
Du hast dich also in Daniel … verliebt?“ Ungläubig sah sie mich an und ich nickte.
„Und dieser Kai hat dich gezwungen, als Mädchen verkleidet mit Daniel auszugehen, weil er ihn demütigen wollte, habe ich das richtig verstanden?“ Wieder nickte ich. „Und weil das nicht geklappt hat, hat er Nacktfotos von dir ins Internet gestellt?“ Ein drittes Nicken meinerseits.
Sie stand auf und fing an, in der Küche auf und ab zu gehen, während sie ihre Hände knetete.
„Das ist eine Straftat, das ist dir schon klar, oder?“ Jetzt blieb sie stehen und fasste die Lehne ihres Stuhls mit beiden Händen. „Das können wir so nicht stehen lassen, Sascha, das ist ein Fall für die Polizei!“
Mein Herzschlag beschleunigte sich, denn mir fiel ein, was Daniel gesagt hatte...
„Bitte, Mama,“ sagte ich deshalb, „können wir das nicht anders regeln? Wenn die Polizei an der Schule auftaucht und Fragen stellt, dann verbreiten sich die Bilder doch höchstens noch mehr, weil dann auch die aufmerksam werden, die vorher von nichts gewusst haben!“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich ärgerlich an. „Und wie sollen wir das regeln? Soll ich einfach hinnehmen, dass so ein arrogantes Söhnchen aus reichem Elternhaus Nacktfotos von dir macht und die dann via Internet verbreitet, nur weil er seinen Willen nicht gekriegt hat?“ So wütend hatte ich sie lange nicht erlebt.
Ich senkte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Aber mir reicht der Rummel, den es bisher deswegen gegeben hat, verstehst du das nicht?“
Sie kämpfte einen Moment lang sichtlich mit sich, dann legte sie ihre Arme um mich und fuhr mir tröstend über den Kopf. „Doch, das versteh´ ich, Sascha! Sogar sehr gut. Aber mir gefällt die Vorstellung nicht, dass Kai ungestraft davon kommt. Wenn du es nicht möchtest, werde ich natürlich nichts unternehmen. Aber versprich´ mir dafür wenigstens, dass du in Zukunft gleich zu mir kommst, wenn du in solchen oder ähnlichen Schwierigkeiten steckst, okay?“
Mir steckte schon wieder ein Kloss im Hals. Ich schluckte ihn hinunter, nickte und flüsterte:“Okay.“
„Aber jetzt zu der Sache mit Daniel...“ Sie zögerte und setzte sich. Als sie weiterredete, unterstrich sie ihre Worte mit ausladenden Gesten. Diese Eigenart von ihr kannte ich und es sagte mir, dass sie genauso nervös war wie ich.
„Also, du sagst, du hast dich in ihn verliebt, aber er steht auf Mädchen. Trotzdem hat er dich heute geküsst?“
Ich hob die Schultern. „Ja.“
„Und anschliessend ist er einfach rausgerannt?“
„Ja. Und nun weiss ich nicht, was ich machen soll. Ich frage mich dauernd, wen er da eigentlich geküsst hat, mich oder Sarah? Und was ist, wenn er jetzt nichts mehr mir zu tun haben will?“
Meine Mutter überlegte. Dann meinte sie:“Ich bin zwar kein Experte in Liebesdingen und ich habe Daniel ja auch nur ein Mal getroffen, das weisst du, aber so schätze ich ihn eigentlich nicht ein. Ich halte ihn für niemanden, der vor Problemen einfach wegläuft. Überleg´ mal – wäre er sonst nachts nochmal zu dir gekommen, um aus deinem Mund zu hören, was hinter der ganzen Sache steckt?“
Ich sah sie zweifelnd an und sie fuhr fort:“Der Kuss heute ging von ihm aus, hast du gesagt?“ Ich bejahte.
„Könnte es dann nicht sein, dass er einfach Zeit braucht? Um nachzudenken, um mit sich selbst ins Reine zu kommen? Du hast gesagt, er hat sich bisher nur für Mädchen interessiert. Da muss es für ihn selber ein ziemlicher Schock gewesen sein, dass er plötzlich dich – einen Jungen - geküsst hat. Ob dieser Kuss nun allerdings Sarah

galt oder dir, das kann ich dir nicht beantworten, aber du solltest ein bisschen Geduld haben. Ich bin sicher, Daniel wird früher oder später wieder mit dir reden. Gib´ ihm Zeit, Sascha! Und dir selber auch!“
Sie fasste nach meiner Hand und drückte sie. Dankbar schaute ich sie an, denn aus ihrem Mund klang das alles völlig einleuchtend. Vielleicht hatte sie ja recht! Ich würde eben warten und hoffen müssen, dass nicht alles verloren war.
Dann fiel mir aber noch etwas ein und ich fragte leise:“Ist es denn für dich kein Problem, dass ich mich in einen Jungen verliebt habe?“
Meine Mutter lächelte ein bisschen schief und sagte:“Eine ziemliche Überraschung ist es schon, das gebe ich zu. Und ich werde wohl auch noch eine Weile brauchen, um mich an den Gedanken zu gewöhnen, aber das ist ja nichts, was du dir selbst ausgesucht hast. Und es ändert auch gar nichts an der Tatsache, dass ich dich lieb habe. Du bist mein Sohn, Sascha! Alles was ich als deine Mutter mir wünsche ist das du glücklich wirst im Leben. Wie dieses Glück aussieht, das kannst du aber nur selbst entscheiden. “
Als sie das sagte, war ich auf einmal ungeheuer erleichtert. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich mich die ganze Zeit davor gefürchtet hatte, sie könnte enttäuscht sein, oder angeekelt, wenn ich ihr erzählte, wie es um mich stand. Dabei kannte ich sie doch und mir hätte klar sein müssen, dass sie mich so liebte, wie ich war, mit allem was dazugehörte!
Freudig schlang ich die Arme um ihren Hals und murmelte:“Danke, Mama! Du bist echt die beste Mutter die man haben kann!“
Sie lachte ein bisschen. „Ich werde dich dran erinnern, wenn du das nächste Mal stinkig bist, weil du aufräumen oder den Müll rausbringen sollst!“
Darüber musste ich auch lachen und damit war unser Gespräch vorerst beendet.
Ich trabte die Treppe hinauf ins Bad um zu duschen und meine Mutter wandte sich wieder der Zubereitung des Abendessens zu. Nach dem Essen half ich ihr noch beim Abwasch und setzte mich dann wie jeden Abend an meine Schularbeiten.
Das meine Mutter jetzt alles wusste, hatte mein Herz leichter werden lassen und so konnte ich mich unerwartet gut konzentrieren. Nach zwei Stunden hatte ich alles geschafft und ging noch einmal nach unten, um mit ihr fernzusehen. Wir zappten uns durch die Kanäle und blieben schliesslich bei „Hellboy

“ hängen.
Meine Mutter liebte diese Art Filme und für mich war er auch in Ordnung, hinderte er mich doch mit rasanter Action und aufwendigen Special Effects an unerwünschten Grübeleien.
Als der Film zu Ende war, konnte ich die Augen kaum noch offenhalten und meiner Mutter ging es ähnlich. Also schlurften wir beide nach oben, wünschten uns eine gute Nacht und legten uns schlafen.

Ich hatte mir zwar fest vorgenommen, Daniel Zeit zu geben, aber ich hatte mir nicht vorstellen können, dass es für mich die Hölle sein würde. Bereits am Ende des nächsten Tages war klar, dass er mir aus dem Weg ging.
Im Mathekurs setzte er sich so weit von mir weg, wie es nur ging und sah mich nicht ein einziges Mal an. Als der Unterricht vorbei war, schob er sich mit den Ersten aus dem Klassenraum und verschwand. Und auch, als wir uns zufällig in der Mensa begegneten, ignorierte er mich.
Ich hatte nichts anderes erwartet, trotzdem tat es weh.
Am liebsten hätte ich ihn angebettelt, dass er mir nicht böse sein sollte, aber ich biss mir auf die Lippen und ertrug seine Nichtbeachtung ohne ein Wort.
Der einzige kleine Lichtblick in diesen Tagen war Kai. Ich war in einigen Kursen mit ihm zusammen und schon bald fragte ich mich, ob Daniels Geniestreich erste Früchte trug.
Natürlich galt auch an unserer Schule, dass Handys im Unterricht abgeschaltet zu sein hatten und natürlich erachtete Kai es nicht für nötig, sich daran zu halten. Ich hatte selbst schon öfter beobachtet, wie er mitten in einer Unterrichtsstunde Textnachrichten verschickte und auch welche bekam.
Und heute sass er in der Deutschstunde in der Reihe vor mir und holte plötzlich sein Mobiltelefon aus der Tasche, warf einen Blick darauf, drückte ein paar Tasten und steckte es mit einer wütenden Geste wieder ein.
Dasselbe passierte noch zwei Mal und jedesmal reagierte er auf die gleiche Weise, nur dass er beim letzten Mal noch einen misstrauischen Blick in die Runde warf, nachdem er auf das Display gesehen hatte.
Ich musste ein bisschen grinsen. Wenn das tatsächlich Anrufe auf die Kontaktanzeige waren, kam er ja offenbar gut an!
Leider hatten wir in der nächsten Stunde getrennt Unterricht, sodass ich das Spielchen nicht weiter verfolgen konnte, aber zumindest sah ich noch, wie er seine Kumpel um sich scharte und ihnen mit wütenden Gebärden das Handy unter die Nase hielt.
Auch am nächsten und am übernächsten Tag strafte mich Daniel mit Nichtachtung.
Dafür schien Kai innerlich so unter Druck zu stehen, dass er fast platzte. Ob ihm inzwischen jemand gesteckt hatte, was los war? Seinem Gesichtsausdruck nach schon.
Als ich den Klassenraum betrat, in dem wir gemeinsam die letzte Doppelstunde des Tages hatten, sass er mit verschränkten Armen, umgeben von seinen Freunden auf seinem Pult und starrte mir mit einem Blick entgegen, bei dem es mir eiskalt über den Rücken rieselte. Das roch nach Ärger.
Die ganze Deutschstunde über konnte ich mich kaum konzentrieren, denn ich hatte Kais breiten Rücken vor mir und überlegte die ganze Zeit, wie ich es anstellen konnte, nach Schulschluss zu verschwinden, ohne dass er mich in die Finger bekam.
Aber das war natürlich vergeblich, denn kaum hatte es geläutet, standen die Vier vor mir und schleppten mich nach draussen.
Dort blieben sie mit mir in ihrer Mitte stehen, bis der Schülerstrom der aus dem Gebäude floss abgeebbt war. Dann packte mich Kai am Kragen und beugte sich zu mir.
„Also, Kleiner, du hörst mir jetzt mal ganz genau zu! Irgenjemand hat offenbar gedacht, es wäre witzig, in meinem Namen eine Kontaktanzeige auf einer Schwulenseite im Internet aufzugeben! Die halbe Schule hat sie wohl gesehen und ich kriege ständig perverse Angebote auf mein Handy! Wie du dir sicher denken kannst, finde ich das nicht im geringsten komisch und ich will jetzt von dir wissen, ob du was damit zu tun hast?“
Erschrocken starrte ich ihn an. „Ich? Wieso ich?“ piepste ich ängstlich.
„Ganz einfach, weil du das stärkste Motiv hast! Deshalb! Dein Freund, dieser Spinner ist doch so ein Kampfsportfreak. Der würde so eine Sache austragen wie ein Mann. Aber du feige Memme, zu dir passt das schon eher! Also, raus damit – warst du es?“
Ich starrte in Kais vor Wut verzerrtes Gesicht und begriff, dass es eigentlich völlig egal war ob ich Ja oder Nein sagte. Er war sich sicher, dass ich es getan hatte und wollte mich fertigmachen. Diesmal würde ich um eine Tracht Prügel nicht herumkommen.
Ich schloss also die Augen und nickte. „Ja. Du hast recht, ich war´s.“
Eigentlich erwartete ich, dass er sofort zuschlagen würde, doch er liess meinen Kragen los und erstaunt öffnete ich die Augen wieder.
Sein Gesicht hatte einen triumphierenden Ausdruck angenommen und seine Augen glitzerten gefährlich.
„Dachte ich´s mir doch.“ zischte er. „Aber das besprechen wir woanders. Hier ist es zu … öffentlich!“
Er wandte sich zum Gehen und die anderen Drei stiessen mich vorwärts. „Los, komm´!“
Ich erwartete, dass wir wieder die Toilette aufsuchen würden, doch zu meinem Erstaunen steuerte Kai die Sporthalle an.
Aber ich kapierte schnell, dass dieses Gebäude aus seiner Sicht natürlich perfekt geeignet war.
Jetzt, nach Unterrichtsende war dort niemand und weil die Halle etwas später am Nachmittag auch von ortsansässigen Vereinen genutzt wurde, war sie nicht abgeschlossen.
Nachdem wir drinnen waren, drängten die Drei mich rasch in eine der Umkleidekabinen und schleuderten mich dort an die Wand. Kai baute sich vor mir auf, sah einen Moment auf mich herab und schlug mir dann so hart ins Gesicht, dass meine Brille quer durch den Raum davonflog.
In diesem Moment hatte ich so grosse Angst, dass ich an keinen einzigen der Tricks dachte, die mir Daniel beigebracht hatte. Ich versuchte einfach nur, meinen Kopf zu schützen, als die nächsten Schläge auf mich einprasselten.
Doch das hinderte Kai nicht, er schlug mir einfach in die Magengrube, dass mir die Luft wegblieb.
Reflexartig presste ich die Hände auf meinen Bauch und so hatte seine Faust freie Bahn.
Der nächste Schlag liess meine Lippe aufplatzen und der folgende brachte meine Nase zum Bluten.
Kais Kumpel standen um uns herum und hatten die Hände in die Hosentaschen gesteckt. Sie wirkten eher gelangweilt, doch das änderte sich schlagartig, als plötzlich die Tür des Raumes aufgestossen wurde und krachend an die Wand flog.
Alle Vier sahen überrascht auf und auch ich blinzelte mühsam hinüber.
Im Türrahmen stand Daniel und in der Hand hielt er etwas, das ich als einen der Holzstäbe erkannte, die im Geräteraum herumlagen. Es handelte sich dabei um die Einzelteile einer Sprossenwand, die früher hier in der Halle an einer Mauer befestigt gewesen war und die bei Renovierungsarbeiten hatte weichen müssen. Eigentlich sollte sie irgendwann wieder montiert werden, aber bis jetzt war das nicht passiert.
Daniel hatte die Brauen finster zusammengezogen und musterte die vier Schläger mit einem kalten Blick.
„Wann lernt ihr es endlich mal, euch nicht an Schwächeren zu vergreifen?“ grollte er und hob den Knüppel mit beiden Händen.
„Halt´ dich gefälligst raus, du Wichser! Das hier geht dich nichts an.“ beschied ihn Kai. „Ich erteile dem Kleinen nur eine Lektion. Er muss lernen, keine Unwahrheiten über andere zu verbreiten. Erst recht nicht, wenn diese anderen stärker sind. Stimmt´s Leute?“ wandte er sich an seine Freunde. Die grinsten zustimmend und musterten Daniel geringschätzig. Was sollte er allein auch schon gegen sie vier ausrichten?
„Ich sag´s nur noch einmal!“ antwortete Daniel ungerührt. „Lass´ ihn in Ruhe!“
Mit raschen Schritten durchmass Kai den Raum und trat dicht an ihn heran. „Sonst was?“ wollte er höhnisch wissen und breitete in einer abfälligen Geste aus die Arme aus.
Statt einer Antwort versetzte Daniel ihm einen wohlgezielten Schlag vor die Brust, dass er zurücktaumelte.
Einen Augenblick lang schien die Zeit still zu stehen, doch dann ging alles blitzschnell.
Als die vier Schläger sich mit wütendem Geschrei auf ihn stürzten, wirbelte Daniel blitzschnell durch den Raum, teilte Schläge aus und duckte sich unter den heransausenden Fäusten weg, als koste ihn das alles nicht die geringste Mühe. Gegen die rohe Gewalt der Angreifer wirkte er regelrecht elegant, beinahe als tanze er durch den Raum und nach wenigen Minuten war schon alles vorbei.
Die vier Rowdys wälzten sich jammernd am Boden und Daniel kam zu mir und streckte mir die Hand hin um mir aufzuhelfen. Ich kam nur schwer auf die Beine und vermutlich sah ich furchtbar aus. Meine Nase blutete immer noch und meine Lippe war taub und dick geschwollen.
„Du bist ein Idiot, weisst du das?“ sagte Daniel zu mir, dann holte er aus dem Handtuchspender neben dem Waschbecken ein paar Papiertücher, hielt sie unter den Wasserhahn und reichte sie mir. „Wisch´ dir erst mal das Gesicht ab. Dann gehen wir in den Erste-Hilfe-Raum, das muss verbunden werden. Und ein Arzt sollte sich deine Lippe ansehen. Würde mich nicht wundern, wenn das genäht werden muss.“ Mit einer Geste schickte er mich zum Waschbecken und ich humpelte etwas krumm darauf zu, denn der Schlag in den Magen wirkte ebenfalls noch nach. Aus dem darüber hängenden Spiegel sah mir ein blutverschmiertes Schreckgespenst entgegen und ich bemühte mich, die gröbsten Spuren zu beseitigen. Währenddesssen sammelte Daniel meine Schultasche und meine Brille ein und nahm mich dann am Arm. In der Tür blieb er noch einmal stehen und sah zurück zu den am Boden liegenden Schlägern. „Übrigens, Kai, falls es dich noch interessiert, ich

habe die Annonce aufgegeben. Also lass´ Sascha gefälligst zufrieden!“
Damit verliess er endgültig die Umkleidekabine, hakte mich unter und brachte mich wortlos nach draussen.
Glücklicherweise begegnete uns auf dem Weg zum Erste-Hilfe-Raum keine Menschenseele und auch am Eingang zum Sekretariat kamen wir ungesehen vorbei.
Im Sanitätsraum liess ich mich erleichtert auf den Stuhl fallen, in dem er das letzte Mal gesessen hatte und sah ihm dabei zu, wie er sich in den Schränken zu schaffen machte.
„Danke.“ sagte ich im Versuch das Schweigen zwischen uns zu durchbrechen.
„Keine Ursache. Idioten helfe ich immer gern.“ sagte er ironisch.
„Woher hast du gewusst, was abging?“ fragte ich um den Gesprächsfaden nicht abreissen zu lassen.
Er hatte inzwischen ein paar Sachen auf ein kleines Tablett gestellt, kam damit zu mir und drückte es mir in die Hand. „Hier, halt´ das mal.“ sagte er und dann „Ich hab´ vor dem Gebäude auf dich gewartet, weil ich nochmal mit dir reden wollte. Aber dann haben diese Typen dich rausgezerrt. Da hab´ ich mich schnell hinter einen Busch gestellt und alles gehört.“
Er begann, meine Lippe mit Desinfektionslösung abzutupfen und ich sog zischend die Luft ein, weil es höllisch brannte. „Zum Glück haben sie mich nicht gesehen und dann bin ich euch gefolgt. Den Rest kennst du.“
Jetzt hatte er die Reinigung der Wunde beendet und klebte ein Pflaster darüber.
„Warum hast du gesagt, du

hättest die Anzeige ins Netz gestellt?“ Er klang verärgert und ich sah zu Boden.
„Du hast Kai doch selbst gesehen und gehört, der hätte mich so oder so verdroschen. Er war doch längst überzeugt davon, dass ich es war. Und so wärst du wenigstens aus dem Schneider gewesen.“
Einen Moment lang hockte er vor mir und starrte mich an, dann plötzlich legte er seine Hand in meinen Nacken und zog mich zu sich, bis meine Stirn an seiner lag.
„Du bist echt ein Blödmann!“ sagte er aufseufzend.
Ich wagte kaum zu atmen. Was geschah hier?
Mit der anderen Hand fuhr er sanft über meine geschwollene Lippe, dann löste er sich von mir und sah mich an.
„Ich hab´ dir neulich nachts im Park eine Frage gestellt, auf die ich noch keine Antwort bekommen habe.
Jetzt stelle ich sie dir nochmal: Stehst du auf mich, Sascha?“
Das Blut schoss mir ins Gesicht und ich wandte den Kopf zur Seite.
Behutsam legte er seine Finger an meine Wange und drehte ihn wieder zu sich. „Bitte sag´s mir. Ich hab´ dich geküsst und ich kann diesen Kuss einfach nicht mehr vergessen. Das hat mir zu schaffen gemacht, die letzten Tage, darum bin ich dir aus dem Weg gegangen. Erst hab´ ich mir einzureden versucht, dass ich immer noch Sarah

in dir gesehen habe und das es deswegen passiert ist. Aber ich hab´ schnell gemerkt, dass ich mir damit nur was vormache. Dass du derjenige bist, der mir nicht aus dem Kopf geht. Das musste ich erst mal auf die Reihe kriegen! Und ich wusste ja auch nicht, ob es dir mit mir genauso geht, oder nicht. Ich war so durcheinander! In dem Moment, als ich dich geküsst habe, da fühlte es sich für mich an, als ob du es auch wolltest. - Zumindest hab´ ich das gedacht. Aber vielleicht habe ich mir das ja auch nur eingebildet!
Danach war ich dann irgendwie total geschockt, deshalb bin ich einfach rausgerannt und als ich wieder zurückkam, warst du weg. Da dachte ich, du hättest es doch nicht gewollt und wärst sauer. Ich hab´ mich die ganze Zeit nicht getraut dich zu fragen, aber heute hatte ich mich endlich entschlossen, es rauszufinden. Deshalb wollte ich mit dir reden.“
Er machte eine kurze Pause bevor er fortfuhr.
„Ich hab´ keine Ahnung, wohin das hier führt, ich erlebe sowas zum ersten Mal, aber ich weiss jetzt, dass ich mit dir zusammen sein möchte. Das macht mir Angst, wenn ich ehrlich bin, aber ich will es unbedingt. Und deshalb muss ich es wissen – stehst du auf mich?“
Ich nickte mit glühendem Gesicht.
„Ja. Und ich hab´ auch Angst.“ Ich hob den Blick und begenete seinem.
„Aber wir brauchen nichts zu überstürzen, wir haben doch Zeit! Jede Menge Zeit! Lass´ es uns langsam angehen, okay?“
Daniel nickte und legte seine Arme um meinen Hals. Vorsichtig, um mir nicht weh zu tun, berührte er meinen Mund mit seinen Lippen.
„Ja,“ sagte er dann, „lass´ es uns langsam angehen!“


ENDE

Impressum

Texte: Cover: 460706_R_by_sabine-koriath_pixelio.de.jpg
Tag der Veröffentlichung: 14.02.2011

Alle Rechte vorbehalten

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