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„Wo waaarst du denn die ganze Zeit?“
„Auf dem Klo“
„Solange?“
„Ich mußte einmal nachdenken“, kam es schüchtern zurück.
„Und das kannst du wohl nur auf dem Örtchen?“
„Du wirst lachen – ja.“
„Was soll ich da groß lachen. In einer Stunde kommt der Besuch und auf dich ist wieder kein Verlaß!“
„Wieso, ich habe meinen Teil erledigt, den ich übernommen habe.“
„Du siehst doch aber, dass ich es kaum schaffe. Brichst dir keinen ab, wenn du einmal etwas mehr machst, als nur das Übliche.“
Pause. Er kümmerte sich um den Abwasch.
„Ich merke schon. Du suchst Streit.“ Dabei kniff er ihr zart ins Hinterteil.
„Nee, nicht Streit, sondern jemanden, der mir hilft,“ das klang schon versöhnlicher. Sie wußte ja, dass er sie nicht im Stich lassen würde. Niemals. Man muß ihm nur hin und wieder etwas nachhelfen.
Als der Besuch gegangen war, setzten sich Beide in ihre Couchecke und dachten: geschafft. Dann sinnierten sie noch etwas über die vergangen Stunden.
„Ich glaube, den hat es hier gefallen.“
„Ich denke auch.“
„Das war lange überfällig, dass wir die zu uns eingeladen haben. Ich glaube, die haben nur darauf gewartet. Besonders die Frau – die hatte ich unterschätzt. Hatte es auch nicht leicht in ihrem Leben. Drei Mal Fehlgeburten und nun stehen sie alleine da. Das sind wirklich liebenswerte Menschen.“
„Naja, liebenswert… Man kann mit ihnen auskommen. Ein Mal im Jahr, das reicht mir. Mit ihm war doch kein vernünftiges Gespräch anzufangen.“
„Ich fand es schön, dass einmal nicht über Politik gesprochen wurde!“
„Der Familienquatsch geht mir auf den Wecker. Das weißt du. Aber wenn es sein muß, dann … man kann es eben nicht ändern. Wir brauchen die Leute vielleicht auch einmal. Was wissen wir, wie es weitergeht.“
Nach einer Weile fragt sie: „Über was hattest denn du heute so lange nachgedacht?“
Seine Frau macht gern solche Gedankensprünge. Über was soll ich denn nachgedacht haben, grübelt er. „Ich denke viel wenn der Tag lang ist,“ kam es ausweichend.
„Na, nun sag schon – auf dem Klo…“
„Ach so. Ja, darüber müssen wir unbedingt einmal sprechen.“
Er setzte sich umständlich zu einem längeren Gespräch zurecht. Aus dem Radio ertönten wieder einmal die letzten Akkorde Beethovens 9. Sinfonie.
„Also, du weißt doch, dass ich mit meiner neuen Geschäftsidee nicht richtig weiterkomme.“
„Der Kreistag hat unseren Antrag abgelehnt. Das weiß ich.“
„Wenn du hier keine Beziehungen hast, kommst du nicht vom Fleck. Wie zu DDR-Zeiten. Das war für die Mangelwirtschaft wohl typisch. Umso mehr bin ich erstaunt, dass dies auch für die Überflußgesellschaft gilt. Und warum? Weil auch hier Mangel herrscht. Mangel an Absatz.“
Sie strickte und hörte ihm dabei offensichtlich zu. Da er stets etwas umständlich, wie ihr schien, seine Gedanken vortrug, hatte sie genügend Zeit, neben dem Zählen der Maschen und Vergleich mit dem Strickmuster, seinen Vortrag zu verfolgen. Jetzt macht sie plötzlich eine deutliche Handbewegung, dass er schweigen soll. Aufmerksam lauschte sie auf den Radiosprecher.
Ihm war es nicht besonders aufgefallen, dass die Musik zu Ende und eine Nachricht durchgegeben wurde. Er beherrschte, besser als die meisten Frauen, sich auf Wesentliches zu konzentrieren und Nebengeräusche weitgehend auszuschalten.
„Um was geht es denn hier?“
„Sei still“, war die nervöse Antwort.
Er bekam keinen sinnvollen Zusammenhang mehr mit und wartete, bis sie ihm den Inhalt erklären würde.
„Der Wulff, der …“
„Ich weiß schon, der ehemalige Schnäppchenjäger-Bundespräsident…“
„Ja, der. Der ist ins Kloster gegangen. Vorübergehend, heißt es.“
„Und wegen dem gescheiterten Wullf unterbrichst du mich hier in meinen Ausführungen?“
Beide kennen sich zu gut und müssen nun herzlich darüber lachen. Ohne beleidigt zu sein, setzt er seine Gedanken fort, indem er die Sache nun auf den Punkt bringt:
„Ich werde in die CDU eintreten!“
„Was wirst du?“
„In die CDU eintreten!“
„Aber du bist doch gar nicht kirchlich, nicht christlich. Glaubst an keinen Gott oder sowas. Die nehmen dich doch überhaupt nicht.“
„Doch, ich habe schon einmal vorsichtig im Internet recherchiert. Die nehmen Jeden.“
„Was, Jeden? Das wundert mich aber sehr.“
„Glaubst du im Ernst, die CDU/CSU-Politiker sind Christen? Das ist alles nur Getue. Die haben es faustdick hinter den Ohren. Die sind die führende Kraft im Lande. Wie damals die SED. Da gibt es fast keine Unterschiede. Parteidisziplin und so, alles wie gehabt. Nur das hier nicht das Politbüro den Ton angibt, sondern die Sponsoren.“
„Und dort willste hin?“
„Ja, man muß dort dabei sein, wo die Musik spielt. Dort wo etwas Wesentliches entschieden wird. Solange die CDU/CSU noch die Mehrheiten haben, verlohnt es sich, dort mitzumischen.“
„Aber wie soll das gut gehen. Einen Haken wird die Sache schon haben. Ich glaube nicht, dass die dich nehmen.“
„Oh ja, die nehmen Jeden. Höre einmal, was hier steht
Auf die Frage ‚Muss ich Mitglied einer Kirche sein, um Mitglied der CDU werden zu können?‘ geben sie auf ihrer Homepage folgende Antwort:
‚Nein, die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche oder einer anderen religiösen Glaubensrichtung ist nicht Voraussetzung. Grundlage der Politik der CDU ist aber das christliche Verständnis vom Menschen und seine Verantwortung vor Gott. Daraus leiten sich die Erkenntnisse um die Fehlbarkeit des Menschen, um die Grenzen politischen Handelns und um die besondere Verantwortung für die Schöpfung ab. Alle, die diese Werte teilen, sind uns herzlich willkommen, unabhängig von ihrer Einstellung zur Religion.‘
Wenn ich die Bedingungen einmal auseinander nehme, dann sieht das so aus:
Erstens: Ein ‚christliches Verständnis vom Menschen‘ soll ich haben. Das haben Die doch auch nicht. Warum also gerade ich? Man sieht, es geht auch ohne das christliche Verständnis.“
„Du machst es dir ja sehr leicht. Weißt du überhaupt, was ein ‚christliches Verständnis vom Menschen‘ ist?“
„Ich denke mir…“
„Nicht was du denkst, wissen mußt du es!“
„Ich muß Garnichts wissen. Ich muß es glauben. Und glauben ist kein Wissen.
Also zweitens: ‚eine Verantwortung vor Gott‘. Was ist das schon, wenn es sowieso keinen Gott gibt. Oder hat man je etwas davon gemerkt in ..“
„Versündige dich nicht. Hochmut kommt vor dem Fall. Ob es keinen Gott gibt, bestimmst du am allerwenigsten.“
„Dann setzte das Wort Gott für etwas ein, was es wert ist, davor Respekt zu haben und Verantwortung wahrzunehmen.“
„Und das wäre?“
„Das ‚wäre‘ nicht, das ‚ist‘ das Universum. Das sind die Mutter Erde, ihre Reichtümer auf und in ihr, die Natur, die Evolution, die Menschheit als die größte Leistung, die aus Zufall, Chaos und Gesetzmäßigkeit der Entwicklung hervorgegangen ist.“
„Einverstanden.“
„Also eine Verantwortung gegenüber dem, was ich auch Gott nennen könnte, habe ich doch allemal.
Drittens: ‚die Erkenntnisse um die Fehlbarkeit des Menschen‘, die habe ich doch auch. Ich finde es allerdings ein starkes Stück, dass die CDU nur Leute aufnimmt, die sich darüber im Klaren sind, dass sie fehlbar sind, also Fehler machen, daß Fehler machen menschlich, gesund, normal ist. Es ist nicht das unbedingt Vermeidbare, sondern das immer Verzeihliche, was jedem jederzeit passieren kann. Wie soll so eine Truppe regierungsfähig sein? Könnte man solchen Ingenieuren die Entwicklung und den Bau eines Flugzeuges anvertrauen? Nein. Aber über das Schicksal eines Volkes entscheiden, das traut man denen zu...“
„Vielleicht irrst du dich in der Auslegung. Sicher ist der Mensch fehlerhaft. Aber ist das seine dominierende Eigenschaft, die als Auswahlkriterium für einen christlichen Charakter heranzuziehen ist?“
„Dieser Satz und Gedankengang steht auch im Grundsatzdokument der CDU ganz zentral und vornan. Deshalb dürfen die Christen auch schwören ‚so wahr mir Gott helfe‘. Also ‚ich bin fehlerhaft, aber wenn mir Gott hilft, könnte es schon noch alles gut gehen.‘
„Und bei so einer Truppe willst du anheuern?“
„Was bleibt mir übrig, wenn ich nicht im Mittelmaß verdämmern will.
Nehmen wir noch die vierte Bedingung: ‚die Grenzen politischen Handelns‘. Von was für Grenzen reden die da? Entweder meinen die noch einmal ihre Fehlbarkeit oder die meinen, die Abhängigkeit von den politischen Kräften, die wirklich bestimmend sind. Ich denke da an die anderen Parteien. Das ist normal. Aber es geht wohl besonders um die Diktatur des Kapitals, der Multis und Lobbys u.a.. Wenn ich mich also damit abfinden kann, dass andere, demokratisch nicht dazu Berechtigte, das Sagen haben, dann bin ich bei der CDU willkommen. Ist das nicht eigentlich furchtbar? Aber was bleibt mir auch anders übrig, in einem Staat, der angeblich eine demokratischer, sozialer Rechtsstaat ist, hat gegenwärtig keine andere Alternative.“
„Und das wars also? Und schon bist du ein Christdemokrat?“
„Ja, fast. Die ist noch fünftens: ‚die besondere Verantwortung für die Schöpfung‘. Die habe ich allemal. Wenn ich auch als Schöpfer nicht den lieben Gott der Christenmenschen sehe.“
„Also, tatsächlich, die würden dich aufnehmen. Und was zahlst du für Monatsbeiträge?“
„Das kann ich selbst einschätzen, steht da. Zwischen 10 und 15 ¤. Sicher wird nach und nach ein moralischer Druck ausgeübt, dass ich die obere Grenze angebe. Aber das halten wir doch ab.“
„Meinen Segen hast du, wenn du das unbedingt für notwendig achtest.“
„Ja, das tue ich.“
*
Seine Familie nahm die neue Botschaft gemischt auf.
Von seinem Sohn, der eine christliche Bilderbuchfamilie führte, hatte er eigentliche bedingungslose Zustimmung und Unterstützung erwartet. Doch dies schätze er völlig falsch ein.
„Vater, du standest doch eher der SPD oder den Grünen nahe und bist auch kein gläubiger Mensch. Wie kommst du auf die Idee, bei der CDU anzuheuern, die du doch bisher meines Wissens nicht einmal bei Wahlen unterstützt hast?.“
„Ich denke einfach praktisch. Sieh einmal, auf der Homepage der CDU steht
VERPASSEN SIE DER CDU IHRE HANDSCHRIFT. Das ist doch anregend und überzeugend dafür, dort in meinem Sinne Veränderungen einzubringen. Schließlich leben wir in einer Demokratie. Wo wir nicht sind, sind die anderen. Wenn ich dort bei der CDU agiere, verdränge ich einen anderen, der vielleicht etwas von mir völlig gegensätzliches vertreten würde.“
„Ich habe in den Lebenserinnerungen meines Schwiegerpapas ähnliche Sätze gelesen, die er sich zu Herzen genommen hatte, als er in die SED eintrat. Und was ist herausgekommen? Denkst du, die warten auf dich und deine ehrenhafte Meinung und verändern ihre Handschrift? In welche Richtung eigentlich sollen die sich verändern?“
„Die sollen mich unterstützen, dass ich meinen Antrag auf die Garagengenehmigung im Kreistag durchbekomme.“
„Das ist ja etwas kleinkariert von dir gedacht.“
„Etwas, das ist sehr schonend ausgedrückt. Es ist opportunistisch.“, rief seine Tochter empört dazwischen. Also auch die hatte er gegen sich.
„Mein Entschluß steht fest. Ich stelle das hier nicht zur Diskussion. Ich habe euch nur als meine Familie informiert. Ich tue es für euch. Dass es euch einmal besser geht.“
„Sehr großzügig von dir, aber ich kann da verzichten.“
„Ich auch“,
Der Enkelsohn Hans, der im vorbeigehen mitbekam, um was es ging, warf nur die zwei Sätze in die Diskussion ein: „Was soll das Parteiengezänk. Die Zukunft wird sowieso von uns auf der Straße entschieden!“ Sprachs und verschwand wieder.

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Texte: bei Jürgen Köhler
Bildmaterialien: bei Jürgen Köhler
Tag der Veröffentlichung: 12.04.2012

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