Jürgen Köhler
Die „Ja, aber …“-Serie
/ Einer hat immer das letzte Wort
Ost-West-Gespräche
Die zum Teil fiktiven und doch wahrheitsgemäßen Aufzeichnungen eines Mittelmäßigen
über die Zeit der DDR und danach.
Alle Rechte beim Autor / 2009
Jürgen Köhler
Der dankbare Ossi
und seine gespaltene Seele
Das Selbstgespräch eines Optimisten
Ja:
Wir können sehr zufrieden sein
Wir, die wir das Privileg haben, in einem der Wohl-standsländer zu leben, haben allen Grund, uns am Leben zu freuen.
Besonders uns, den ehemaligen Bürgern des sozialistischen Weltsystems, ist der immense Fortschritt, der uns nun in der sozialen Marktwirtschaft umgibt, dankbar bewußt. Inzwischen ist zum Wohlstand der 80er Jahre der technische Fortschritt der Jahrhundertwende dazugekommen. Computer, Internet und Handys haben unseren Alltag zusätzlich in nie erwartetem Umfang verändert.
Wie schnell wir uns doch an alles gewöhnt haben.
Es ist so viel zur Selbstverständlichkeit geworden und hat unser Sein neu geformt.
Wir fühlen uns wohl in der intakten Infrastruktur unserer Städte.
Das umfassende Angebot an Waren und Dienstleistungen verleiht uns das Gefühl, alles haben zu können, wenn wir nur wollen.
Wollen und Können liegt zwar mitunter sehr weit auseinander. Aber wenn wir diszipliniert, einsatzbereit und fleißig sind, uns unterordnen können und genügend vertrauensselig bleiben, werden wir immer eine Arbeit und damit unser Auskommen haben.
Und wenn unser Arbeitgeber uns nicht mehr gebrauchen oder bezahlen kann, fängt uns ja eine soziale Hängematte auf. Weil das so ist, verscheuchen wir die Möglichkeit eines sozialen Abstiegs und genießen den Tag.
Das einzige Negative, was wir uns zumuten, ist die Abendschau im Fernsehen, die uns ganz kurz und vorsichtig damit bekannt macht, daß weit weg von uns Kriege und Naturkatastrophen Unglück verbreiten und daß sich unsere Regierung um unsere Zukunft sorgt. Vertrauen in unsere Führung ist unser selbst gewähltes Ruhekissen. Es ist nicht leicht in der Welt. Es gibt soviel Böses. Aber wir sind stark. Unser Staat wird es so richten, daß die Gefahren von uns fern gehalten werden und es uns weiterhin gut geht.
Unser Leitungswasser soll gesünder sein als manches Mineralwasser aus der Flasche.
Die Fäkalienentsorgung ist so perfekt, daß man in unseren Flüssen wieder baden kann.
Energie ist in vielfältiger Form überall parat.
Unsere Automaten heizen und kühlen wo immer man sie benötigt. Im Winter sitzen wir im Boulevardcafe unter einem Heizschirm und im Sommer im klimatisierten Räumen.
Unsere Autos ein einziges technisches Wunderwerk.
Die Straßen und Autobahnen im Bestzustand.
Eisenbahnen und Flugzeuge schnell, bequem, sicher. Ferne Länder sind kurzfristig und von Jedermann erreichbar.
Das Gesundheitswesen garantiert schon bald eine 100 jährige Lebenserwartung.
Kultur und Unterhaltung ist so vielseitig, wie noch niemals zuvor.
Unsere Betten sind allergiefrei und durch Knopfdruck in jede beliebige Lage verstellbar.
Unsere Speisen und Getränke von einer unerschöpflichen Vielzahl.
Die Kleidung unendlich variantenreich.
Die Häuser erstrahlen, als wären sie soeben frisch saniert worden.
Und in all dem Reichtum überzeugt uns die Werbung, daß es noch viel, viel mehr gibt, was auf uns wartet.
So empfindet jeder Stand der Gesellschaft seine Chancen zur Teilnahme an dem Glück dieser Welt, solange er realistisch die ihm gegeben Möglichkeiten in Demut berücksichtigt. Also nicht nach des Nächsten Hab und Gut, Weib und Kind und allem was Sein ist, giert. So leben Millionen und aber Millionen Menschen ihr zufriedenes Dasein.
Der Eine freut sich, wie es ist.
Der Andere glaubt, daß es für ihn bald besser wird.
Ein Weiterer ist so in den Kampf um seine Glückseligkeit eingebunden, daß er den Augenblick nicht recht genießen kann und sich auf später freut. Später, wenn er gesund bleibt, wird er das Versäumte in seinem Leben nachholen und all seine Konkurrenten um das große Glück, weit hinter sich lassen. Dinge studieren, die man schon immer wollte.
Der besondere Genuss am Leben ist die Selbstverwirklichung in einem kleinen Geschäft, in einer gehobenen Funktion, in einer mit Macht ausgestatteten Tätigkeit schlechthin. Oh wie das gut tut, über andere Menschen zu herrschen, Dinge und Geschehnisse zu beeinflussen, nützlich zu sein, zu helfen, Einfluß zu haben, respektiert, anerkannt, angehimmelt zu werden. Die freie Marktwirtschaft macht es möglich. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Überall ist Aufstieg und man ist selbst mittendrin.
Ein herrliches Gefühl, auf der richtigen Seite des Lebens zu stehen. Die alten Traditionen wahren und trotzdem den Fortschritt und die Möglichkeiten unserer Zeit zu nutzen. Zu den Siegern der Geschichte zu gehören – die christlichen, westlichen, freiheitlich-demokratischen, rechtsstaatlichen Werte zu achten sowie Freunde und Förderer unter den Gleichgesinnten, also in der Reihen der rechten-konservativen, liberalen und sozialdemokratischen Wähler zu haben.
Man hat seinen Pastor oder Psychologen, seinen Hausarzt und Anwalt, seinen Steuerberater und ist privilegiert bei allen wichtigen Dienstleistungsunternehmern.
Spaß haben, heißt die Devise.
Aber:
Dann bekommt man nach Feierabend ein Buch in die Hände oder eine Fernsehsendung ins Gehirn, die uns den Preis unseres Luxus, die Hintergründe unseres Wohlstandes und den Ernst unserer Lage klar macht. Und man spürt den Schmerz, den die Wahrheit in einem ehrlichen Menschenherz bewirken kann. Man möchte abschalten – es nicht wahr nehmen – verdrängen – vergessen – einfach weitermachen, solange es noch geht. Nichts ist unendlich. Genießen wir den Tag.
Der Ostdeutsche Wohlstand ist vom Westen importiert. Und der Westliche, wo kommt der her?
Denn wir ahnen mehr, als wir begreifen:
Unser Reichtum ruht in einem zerbrechlichen Gefäß.
Was uns so selbstverständlich, so uns zustehend, von uns selbst geschaffen und damit verdient überkommen scheint, ist es nicht. Zumindest nicht im vollen Maßen.
Unsere deutsche Gründlichkeit und Schaffenskraft mag einige Bedeutung haben.
Jedoch unser Herrenmenschendenken, unsere erbarmungslose Unternehmerart, unsere Duldung millionenfacher Ungerechtigkeiten und Menschenverachtungen, unser skrupelloser Umgang mit der Umwelt und Natur, unsere unredlichen, befreundeten Globalisten – dies und viel anderes klagt uns und unseren Wohlstand an.
Bist Du ein ehrlicher, mitfühlender - mitdenkender Mensch, willst Du Dich nicht weiter mitschuldig machen an den Verbrechen dieser Zeit – lebe bescheidener - nachdenklicher - bewußter - politisch aktiver.
Erkenne, auf welcher Seite Du stehen und handeln solltest.
Texte: Alle Rechte beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 22.10.2009
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