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Jürgen Köhler
Aufsatzhefte eines Mittelmäßigen

Alle Rechte liegen beim Autor
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Gewidmet der Mittelmäßigkeit

Natürlich ist Bedeutendes,
was die menschliche Gesellschaft weiter gebracht hat,
immer Überdurchschnittliches gewesen.

Aber das Mittelmäßige hat das erreichte Niveau gehalten
und gefestigt,
hat dafür gesorgt,
dass nach den Mühen der Berge auch die der Ebene gemeistert werden.

Nur das Mittelmäßige
hat das Überleben der Menschheit im Alltag gesichert.

Seit Brecht die Frage des lesenden Arbeiters formulierte hatte,
dass man nicht nach den Königen fragen wird,
sondern nach den gewöhnlichen, kleinen Leuten,
welches das Große schufen,
seit ich die fünf Bände von Jürgen Kusczynski
über ‚Die Geschichte des Alltags des deutschen Volkes’ gelesen habe,
und seit ich festgestellt hatte,
daß ein Unternehmen oder eine Dienststelle
unersetzlich und fast ausschließlich
durch die 2. und 3. Leitungsebene
beherrscht und existenziell gesichert wird,
weiß ich um diese mit nichts zu ersetzende Mittelmäßigkeit.

Das Mittelmäßige
steht naturgemäß kaum in Mittelpunkt des allgemeinen Interesses
und ist doch die Existenzgrundlage der Menschheit.

Für mich bedeutet hier Mittelmäßigkeit
das statistische Mittelmaß, das Gebräuchliche und Normale.
Also der Arbeiter und Angestellte,
der Kleinunternehmer und unbedeutende Künstler ……
Es pendelt
zwischen täglichem Heldentum und täglichem Versagen.
Es kann also zeitweise überdurchschnittlich wie unterdurchschnittlich,
sowohl passiv – reaktionär als auch revolutionär –aktiv,
berechenbar und unberechenbar, geringgeschätzt oder gefürchtet sein.
Die herrschende Macht vertraut und misstraut
dieser eigentlichen Macht.
Aus ihrer Sicht mit Recht.




Aufsätze eines Mittelmäßigen
zu Philosophie, Politik, Geschichte, Gesellschaftskritik und -visionen


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Heft 2
Die Herstellung eines Dings
hat 1 ¤ gekostet…




Nehmen wir an
die Herstellung irgend eines Dings hat 1 Euro gekostet.
Und das sei gerecht.

Wir können später noch darüber nachdenken,
wie viele Kosten auch hier bereits enthalten sind,
die Du eigentlich überhaupt nicht
bezahlen würdest,
wenn Du sie kennen tätest.
Zum Beispiel wird von den Steuern,
die das Unternehmen abgeben muß,
die Bundeswehr und Rüstung finanziert,
die man doch eigentlich abschaffen sollte.

Der Händler, von dem Du das Ding kaufst,
gibt es für 2,60 ¤ ab.

Aus der Sicht unserer Gesellschaft,
wird das als normal angesehen.
Und Du nimmst es auch als äußerst knapp kalkuliert wahr.


Denn der Händler will ja an seinem Handel
10% - das sind 0,10 ¤ verdienen.

Und der Verkäufer braucht für seine Selbstkosten
(Miete, Energie, Lohn, Hilfsmaterial u.dgl.)
0,30 ¤ in bar.
Das ist doch alles noch vertretbar.

Aber jetzt kommen Kosten,
die Du bezahlen musst,
obwohl Du unter Umständen darauf verzichten könntes,
würdest Du dazu gefragt.

Da er das Ding immer vorrätig haben muß,
wird ein bestimmter Teil davon leider
durch Überlagerung und Alterung unbrauchbar.
Nur damit im Geschäft immer Überfluss gezeigt werden kann,
müssen ständig 15% unbrauchbar gewordene Waren
vernichtet werden.
Der Kunde will das so.
Also Dirzuliebe nochmals 0,15 ¤ drauf.

Dann möchte der Kunde ein breites Angebot.
Deshalb werden die Dinger,
die es zwar hier in bester Qualität auch gibt,
zusätzlich aus Frankreich und Bayern und noch vielen weiteren Ländern
herangeschafft.
Mit Schiff-Flugzeug-Eisenbahn-Lkw. Für 0,40 ¤ je Ding.

Nun hast Du die Qual der Wahl zwischen
lauter Dingen mit vielen versteckten Fehlern
und vielen unausgereiften Fortschritten.
Ein optimales Ding ist durch das Urheberrecht,
in Verbindung mit dem Kostendruck der Anbieter,
kaum machbar.

Jeder entwickelt irgendetwas dazu
und lässt irgendetwas weg.
So umgeht der Hersteller
die Lizenzgebühren für Bewährtes.
Und Du bezahlst
die Erfindung des Rades zum x-ten Mal.
Und auch
die damit notwendigen Gewährleistungskosten,

Aber dieser Blödsinn
ist bereits in dem einen Euro enthalten.

Trotzdem bist Du als Kunde noch nicht bereit,
das Ding zu kaufen.
Also hat man sich eine Verpackung einfallen lassen,
die das Ding größer und wertvoller erscheinen lässt,
als es ist.
Zum Trost hat dieselbe den grünen Pfeil.
Das wird Dich wieder besänftigen.
Leider kostet es Dich 15% gleich 0,15 ¤.

Nun setzt der Händler Annoncen in die Zeitung,
bringt gar Werbespotts ins Fernsehen
und denkt sich noch vieles andere aus,
wie Werbegeschenke und Gewinnspiele.
Auch gibt er Spenden an gerade die Partei,
die Du niemals wählen würdest.
Das alles musst Du natürlich mit bezahlen.
Und das ergibt schon wieder 0,40 ¤ Mehrkosten.

Am Ende dieses Beispiels kalkuliert der Händler noch ein,
dass Du vielleicht einen Rabatt aushandeln könntest
und dass ein Streik ausbricht,
der auch Unkosten mit sich bringt.
Und schwupp sind noch einmal 0,10 ¤ draufgeschlagen.


Und so entstehen Mehrkosten,
die Du zu finanzieren hast,
falls Du das Dingsda erwerben willst.
Zieht man also vom Kaufpreis
die darin enthaltenen Kosten ab für nicht notwendige
Mehrfachentwicklung, Mängelabstellung, Transportkosten,
für übertriebene Verpackung, Werbung und Vorratshaltung
sowie erlogene Rabattabpolsterung,

dann hat das Ding also einen Wert für Dich von etwa 1,4 ¤
statt des stolzen Freundschaftspreises von 2,6 ¤.
Du bezahltest also für 1,20 ¤ = 120 % Leistungen,
auf die du eigentlich verzichten solltest / könntest / möchtest,
aber mit bezahlen musst.


Das schafft zwar Arbeit und Brot für viele Menschen.
Aber es ist gesellschaftlich gesehen
eine sinnlose Arbeit,
denn nicht nur Du hast eigentlich
kein zwingendes Interesse an den Mehrkosten,
würdest Du einigermaßen bescheidener Leben.

Aber Du fühlst dich genötigt,
das Wohlstandsspielchen mitzuspielen.

Und da wanderst Du denn
durch die überquellenden Geschäfte,
genießt die verlogene Werbung,
wählst aus nach der überzeugendsten Verpackung,
freust Dich über den erhandelten Rabatt,
nimmst dankbar die Leistung eines Sponsors entgegen,
kommst Dir so unendlich geliebt und verwöhnt vor,
von gerade Demjenigen,
der Dir soeben erst das Geld dazu
aus der Tasche gezogen hat.


So leben Viele
von Deinem Geld
und einige davon haben größere Gewinne dabei.

Und das ist Dein Lohn:
du fühlst Dich in einem scheinbaren Luxus geborgen.
Aber eigentlich
hast Du nur Nachteile davon.

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Dann sitzt Du abends
vor der Röhre,
und ärgerst Dich
über die Häufigkeit, Aufdringlichkeit und Verlogenheit
der Werbung,
weil sie Dich überhaupt nicht interessiert
und nur aufregt
und
- Du glaubst es jedenfalls –
auch nicht beeinflusst.

In der Zeitung, im Internet … und überall
suchst Du lange nach dem Ding,
denn die Werbung klotzt Dich schamlos aus jeder Ecke an.
Unablässig musst Du Obacht geben,
dass Du oder Deine Kinder nicht aus versehen
die Werbung als objektiv, wahr und hilfreich ansehen,
in einem ungewollten Vertrag landen
oder den getarnten Text einer Werbung
für eine neue, wissenschaftlich bewiesene
Errungenschaft halten,
auf die Du keinesfalls verzichten solltest.


Du verfluchst den reichlichen Abfall,
der mit der überdimensionierten Verpackung,
den Gebrauchsanweisungen in x Sprachen dieser Welt
und der täglichen Briefkastenwerbung
ständig entsorgt sein will.

Dann stehst Du im Stau,
weil Du mit Deinem Geld
so viele fleißige Kraftfahrer beschäftigst.
Um Dein Dingsda aus Bayern und
die Werbeflut aus dem Druckhaus
von Irgendwo hier her zu karren
und um Deinen bei Dir
und Deinem Händler entstandenen Abfall
wieder abzutransportieren:
deshalb stehst Du im Stau.
Wegen Dir selbst stehst Du im Stau.


Damit man die Staus bekämpfen kann,
durch neue Autobahnen,
die an deinem stillen Haus vorbeiführen,
erhöht der Staat auch Deine Kraftfahrzeugabgaben.
Und Du hast all dies selbst verursacht!

Nimm all die blödsinnigen Wahlplakate und -Slogen,
sie geben Dir nichts -Du brauchst sie nicht.
Trotzdem gewinnen gerade diejenigen Parteien,
die diese Irrsinnsschraube
in unserer heutigen Gesellschaft
immer höher schrauben.
Dazu hilft Deine,
in allen gekauften Artikeln
anteilig mit finanzierte Spende.

Aber Du lässt es Dir nicht anmerken.
Nein, Du verdrängst es einfach.

Die Hauptsache, kein Sozialismus wieder!


Denn du lebst nur ein einziges Mal.
Und deshalb soll es Spaß machen,
das bisschen Leben.


Doch merkst Du nicht,
je mehr Du dem Spaß nachjagst,
umso weniger Spaß hast Du wirklich?

Spaß verhält sich oft zum Ernst und zur Traurigkeit,
wie die Lichtseite eines Körpers zu seinem Schatten.

Es scheint eine Gleichgewichtsformel zu geben:
für ‚Soundso viel Spaß = soundso viel Traurigkeit’ notwendig.
Das heißt:
Damit Du Deinen Spaß hast,
müssen soundso Viele für Dich leiden.
Ihr Leiden sollte eigentlich ein Unbehagen bei Dir erzeugen
und daraus wächst langsam ein Ärger über die Verhältnisse.
Ärger ist bekanntlich der Feind jeglichen Spaßes.
Und hier beginnt die Spaß-Leiden-Spirale,
die kein gutes Ende haben kann.

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Tag der Veröffentlichung: 13.10.2009

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