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Jürgen Köhler
Aufsatzhefte eines Mittelmäßigen

Alle Rechte liegen beim Autor
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Gewidmet der Mittelmäßigkeit



Natürlich ist Bedeutendes,
was die menschliche Gesellschaft weiter gebracht hat,
immer Überdurchschnittliches gewesen.

Aber das Mittelmäßige hat das erreichte Niveau gehalten
und gefestigt,
hat dafür gesorgt,
dass nach den Mühen der Berge auch die der Ebene gemeistert werden.

Nur das Mittelmäßige
hat das Überleben der Menschheit im Alltag gesichert.

Seit Brecht die Frage des lesenden Arbeiters formulierte hatte,
dass man nicht nach den Königen fragen wird,
sondern nach den gewöhnlichen, kleinen Leuten,
welches das Große schufen,
seit ich die fünf Bände von Jürgen Kusczynski
über ‚Die Geschichte des Alltags des deutschen Volkes’ gelesen habe,
und seit ich festgestellt hatte,
daß ein Unternehmen oder eine Dienststelle
unersetzlich und fast ausschließlich
durch die 2. und 3. Leitungsebene
beherrscht und existenziell gesichert wird,
weiß ich um diese mit nichts zu ersetzende Mittelmäßigkeit.

Das Mittelmäßige
steht naturgemäß kaum in Mittelpunkt des allgemeinen Interesses
und ist doch die Existenzgrundlage der Menschheit.

Für mich bedeutet hier Mittelmäßigkeit
das statistische Mittelmaß, das Gebräuchliche und Normale.
Also der Arbeiter und Angestellte,
der Kleinunternehmer und unbedeutende Künstler ……
Es pendelt
zwischen täglichem Heldentum und täglichem Versagen.
Es kann also zeitweise überdurchschnittlich wie unterdurchschnittlich,
sowohl passiv – reaktionär als auch revolutionär –aktiv,
berechenbar und unberechenbar, geringgeschätzt oder gefürchtet sein.
Die herrschende Macht vertraut und misstraut
dieser eigentlichen Macht.
Aus ihrer Sicht mit Recht.


Aufsätze eines Mittelmäßigen
zu Philosophie, Politik, Geschichte,
Gesellschafts-Kritik und -Visionen,
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Heft 1

Ein Pyjama für 7,90 Euro




nach einem Tagebucheintrag vom Donnerstag, 13.10.2005


Als man nach der Wende den Dresdner Schlachthof für damals noch über 1.000.000 Einwohner (einschl. Einzugsgebiet) stilllegte, hat sich wohl kaum jemand dafür interessiert, wer das liebe Vieh für die Versorgung der Landeshauptstadt nun schlachtet. Und wo. Sicherlich wird das Vieh nun an eine zentrale Fabrik in westlicher Richtung gekarrt, wo dies billiger als bei uns in fleischige Nahrungsmittel verwandelt werden kann.
Es wird billiger sein, aber um welchen Preis für die Tiere?

Als nach der Wende tausende Unternehmen pleite gingen, weil wir dem Preis- und Qualitätsdruck aus dem Westteil Deutschlands nicht gewachsen waren, dachten wir noch, daß sei eben die gesündere Wirtschaft dort und unserer in jeder Weise überlegen. Man kauft nun mal dort, wo es billig und preiswert ist. Aber wer dachte daran, um welchen Preis für die Menschen hier?

Denn es fragt niemand, warum etwas so billig ist. Logisch ist es doch, daß man sich mit dem Erwerb von etwas sehr Billigem in der Regel an einem Verbrechen beteiligt. Irgendeine Verletzung der Menschen-, Natur- oder Tierrechte, irgendeine Erpressung, Nötigung, Ausbeutung wird schon der Grund sein, daß es so preiswert daherkommt. Da will man doch die Hintergründe überhaupt nicht wissen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Das ist genau die Denkart, nach der zum Beispiel ungehindert millionenweise die Juden enteignet und vernichtet werden konnten.
*


Erna brachte von Aldi einen dunkelblauen, weiß abgesetzten Schlafanzug für Erwin mit.
„Hat 7,90 Euro gekostet. - Ist doch billig?“
„Ja, ich weiß, Aldi ist ein gutes Unternehmen. Zeigt den Konkurrenten, wo es lang geht und was alles so möglich ist.“

Er will es jedoch, da er Rentner ist und Zeit und Muse hat, genauer wissen. Schon bald hat er das Buch, was er sucht ( ‚Wem gehört die Republik‘ von 2003 (Rüdiger Liedtke / Eichborn-Verlag)). Seine Frau hat in der Küche zu tun. Die beiden sind gewohnt, daß sie sich durch die offene Küchentür unterhalten.
„Erna, höre mal, was hier über Aldi steht.“
Erna klappert mit dem Geschirr und versteht Garnichts.
Trotzdem liest Erwin ihr vor, daß die Familie Albrecht, der das Aldi-Imperium in Deutschland mit über 3.700 Läden und im Ausland mit 1.300 Filialen gehört, einen Umsatz von 30 Milliarden Euro je Jahr, über 15 % Marktanteil an Nahrungs- und Genußmitteln hat und daß sie zu den reichsten Familien in Europa gehört. Eine Eigenart, über die nicht gesprochen wird: Aldi gilt als die publizitätsfeindlichste Firma der Bundesrepublik. Die beiden Brüder Albrecht lassen keinerlei Informationen an die Öffentlichkeit, selbst Angaben zum Umsatz basieren nur auf einer Schätzung.. Lt. der Pressesprecherin von Aldi ‚Spekulation ist ‚ein Grundsatz unseres Unternehmens. Keine Auskünfte!‘ Es gibt keine gewerkschaftliche Mitbestimmung, ‚Aldi-Filialen sind Lagerräume mit einer Kasse‘, heißt es an anderer Stelle. Lagerräume, mit sehr wenig und mit geringbezahltem Personal.
„Jetzt weißt du, wie die das machen.“
Erna ruft „Redest Du mit mir?“
Erwin winkt ab und murmelt enttäuscht, „ach, laß es bleiben,“

*

Zur gleichen Zeit findet in der Aldi-Zentrale Nord irgend so eine unbedeutende Routine-Verhandlung mit einem indischen Lieferanten statt. Es geht auch hier um nochmals so eine günstige Lieferung von Herren-Pyjamas. Das Protokoll wird von einer jungen, noch nicht eingearbeiteten Assistentin geschrieben und hat folgenden Wortlaut:

Nachdem sich beide Partner mehrfach voreinander, mit gekreuzten Armen über der Brust, verbeugt haben, vergewissern sie sich, daß es ihnen gut geht und das Wetter
besser sein könnte. Mit einer besonderen Zeremonie nehmen beide Partner umständlich, mit vielen Höflichkeiten, Platz.
Dem Inder wird Kaffe oder Tee angeboten.
„Tee habe ich bei mir zu Hause genügend,“ sagt er in perfektem Deutsch, „ich würde einen Kognak wählen.“
Nun wird ein Servierwagen mit alkoholischen Getränken angefordert. Bis er eintrifft, schweigen beide Partner. Dann nimmt der Inder einen großen Schluck.

Ein Hüsteln von beiden Seiten und die Verhandlung beginnt.

Aldi (schroff, bestimmend):
„Wir müssen sie bitten, den Preis für die genannte Position Pyjamas von 6 Euro auf 5,50 Euro je Stck. zu reduzieren, sonst können wir ihnen die Ware nicht mehr abnehmen.“

Händler aus Indien (erschrocken):
„Das geht nicht - wirklich nicht. Sie wissen, daß wir vor zwei Jahren von 10 Euro je Stck. ausgegangen waren und ich inzwischen meine Zulieferer bereits um 40% gekürzt habe. Mein Gewinn beträgt gegenwärtig noch 0,005 Euro je Stck.. Und ich finde keine Hersteller, die mir noch etwas unter 5,95 Euro liefern könnten. Inzwischen haben die Investoren und Lizenzgeber bei allen 30 Zuliefern die Bedingungen angezogen. Wir müssen jetzt die Kredite nach den international gestiegenen Zinssätzen zurückzahlen. Furchtbar. Wir wissen noch nicht, wie wir das auffangen sollen.“

Aldi:
„Ja – ja. Es tut uns leid. Die Globalisierung verlangt von uns allen Opfer. Auch unsere Kosten in Deutschland sind durch höhere Transport-, Lohn-, Energie- und Mietkosten um 20 % gestiegen. Trotzdem halten unsere Konkurrenten ihre Preise stabil. Wir sind also gezwungen, die Einkaufspreise zu senken, sonst können wir der Konkurrenz nicht mehr standhalten. Wenn Sie uns nicht entgegen kommen können, müssen wir uns in diesem Fall nach einem anderen Partner umsehen. Vietnam – China – Wir wollen es nicht, aber wir sind gezwungen …“

Händler aus Indien
„Sehen sie, sie werden diese Ware nirgends billiger als bei mir bekommen. In so einem Pyjama steckt eine Menge Arbeit drin.
Bitte lassen sie es mich einmal darstellen.“

Aldi: (Will etwas sagen, macht nur eine Handbewegung und verzieht sein Gesicht zu einer Grimmasse, die andeutet, daß es ihn nicht interessiert. Aber wenn es denn sein muß, soll er eben reden. Dabei beobachtet er den Inder mißachtend von der Seite her.)

Händler aus Indien (sich überwindend, seine Chance nutzend):
„Der Pyjama ist aus einer extra behandelten und verfeinerten Baumwolle.
Die Baumwolle wurde angepflanzt, bis zur Fruchtausbringung betreut, die Frucht wurde gepflückt, die Rohbaumwolle aufgeladen und in eine Fabrik gefahren, dort abgeladen, gereinigt und chemisch behandelt.
Dann wieder Aufladen, Transport und Abladen in der Spinnerei, einen Faden spinnen und Aufspulen.
Danach Aufladen, Transport und Abladen in der Färberei, dort ist bereits durch fleißige Hände im aufwendigen Prozeß die getestete, waschfeste, für Körperkontakt unbedenkliche Farbe hergestellt worden.
Es folgen Färben, Trocknen und Aufladen.
Transport und Abladen in der Weberei, Webmaschinen wurden entwickelt, an die Weberei verkauft, müssen abgeschrieben und gewartet werden.
Die Garnspindeln mußten hergestellt, an die Weberei geliefert und dort in die Maschine eingelegt werden.
Nächste Station: den Stoff weben, auf Ballen wickeln und aufladen, Transport, Abladen in der Schneiderei.
Dort hat Jemand bereits eine Zeit zuvor an einem Entwurf für ein Pyjama, an dem Schnitt und einem Muster gearbeitet. Man legt den Stoff auf den Zuschnitt-Tisch, schneidet zu und transportiert die zugeschnittenen Teile zur Näherei.
Aufwendige Näharbeit aus zwei Stofffarben, einschl. Knopflöcher herstellen, Knöpfe annähen.
Dann geh es in die Plätterei.
Inzwischen wurde eine Verpackung vorbereitet. Vom Erdöl fördern bis zur chemischen Aufspaltung und Herstellung der Folie, Entwurf der Folientexte, Aufdruck auf die Verpackung.
Nun also der Transport des Pyjama zur Endfertigung. Das ist das fachgerechte Zusammenlegen, in die Verpackung stecken, in Pakete einbringen und Aufladen, Transport zum Lager. Abladen, Lagern, Aufladen, Transport einige zigtausend Kilometer nach Deutschland frei Hafen.“

Aldi: (fällt ins Wort)
„Und bei uns noch:
Aufladen, Abholung vom Hafen und Abladen im Zwischenlager.
Zwischenlagerung, Aufladen, Transport zur Aldi-Filiale.
Abladen, Auspreisen, Werbung, die Verkaufsstelle sauber halten, bis sich ein Käufer findet.
Verkaufen.
Abrechnung.
Nicht abgesetzte Ware entsorgen.
Miete und Unterhaltung für den Verkaufsraum –
Sie sehen, wir könnten genau so eine Rechnung aufmachen. Aber was bringt das. Der Preis muß trotzdem runter.“

Händler aus Indien:
„Sehen sie, junger Mann. Das sind über 30 Zulieferer, Da bleibt um Durchschnitt für jede Leistung 20 Cent je Stck.
Von China bekommen sie niemals etwas Billigeres. Dort ist Kinderarbeit verboten. Bei uns jedoch werden alle möglichen Hilfs- und Nebenarbeiten bereits von Kindern ausgeführt. Da liegen wir weit unter einem Dollar je Tag und Kind. Alle anderen Arbeiterinnen liegen auch etwas unter dem einen Dollar. Das sind nicht einmal 0,75 Euro je Tag! Nur die Vorarbeiter haben etwas mehr. Und wir haben die modernsten Technologien!“

Aldi:
„Ist ja schon gut. Mehr müssen wir nicht über ihre Lage sprechen. Ich weiß doch Bescheid. Habe noch einen Termin Deshalb jetzt mal kurz und bündig: Wir bleiben bei 5,60 Euro. Wir sind ja schließlich keine Unmenschen. Ich nehme an, sie bleiben mit uns im Geschäft?“

Händler aus Indien: (verschlägt es die Sprache, aber er nickt dann doch noch kam merklich mit dem Kopf.)

Aldi:
„Dann unterschreibe ich hier den vorbereiteten Vertrag. Ich ändere nur den Preis. Für die übrigen Vereinbarungen (Liefertermin, Lieferumfang, Lieferanschrift u.dgl.) gibt es keine Änderungen.“

Der indische Partner unterschreibt ebenfalls.
Man trennt sich schnell, aber mit den gewohnten Höflichkeiten, als hätte man die beste Partnerschaft fortgesetzt. „Und viele Grüße an ihre Frau Gemahlin!“

*

Als der Chef das Protokoll liest, läßt er sofort die Protokollantin kommen.
„Haben sie dieses Portokoll gemacht?“
„Ja, Herr …“
„Menschenskind, wer hat ihnen denn so einen Blödsinn beigebracht! Den ganz Mist von ‚verbeugen sich mit gekreuzten Armen‘ oder ‚Aldi will etwas sagen, macht aber nur eine Handbewegung..‘ fliegt raus. Gehört in kein Protokoll. Hier hat nur drin zu stehen: ‚der indische Partner erklärt sich bereit, den Preis um 0,40 Euro je Hemd…“
„Pyjama..“, verbessert ihn die Auszubildende.
„Wenn sie alles besser wissen, warum schreiben sie dann so einen Unsinn?“
„Ich habe doch nicht Hemd geschrieb...“
„Mensch, hauen sie ab und bringen sie mir den Verhandlungsführer der Beratung. Dem werd ich was erzählen, mir so ein Machwerk vorzulegen. Wer war es doch gleich?“
„Ihr Sohn, Herr …“
„Na, dann hat das auch bis Morgen Zeit.“ Der Chef war plötzlich ganz leise geworden und nach seiner ärgerlichen Handbewegung zu urteilen, war es für die Protokollantin ratsam, den Raum unverzüglich zu verlassen.

*
Der indische Händler hat es indes schwer, in seine Heimat zurückgekehrt, den Vertrag bei seinen Leuten durchzusetzen. Er gab die notwendigen Instruktionen an seine Leiter und sagte gleich, daß er keinerlei Diskussion duldet.
Auf die Frage, wie der Preis denn nochmals gesenkt werden soll, schrie er „durch Einsparungen!“
„Und wo soll noch eingespart werden? Schließlich stellten wir ja erst vor Tagen unsere gesamte Produktion auf den Kopf und haben keine Möglichkeit mehr gefunden.“
„Wir haben ja schließlich 30 Zulieferer. Denen nehmen wir das nötige Kleingeld ab. ‚So wie mir – so ich dir‘, würden sie in Deutschland sagen.“
Für den Augenblick schien das Problem damit gelöst.

Gegenüber seinem Sohn läßt er dann abends seinen ganzen Ärger ab:
„Ja, die Deutschen – die Europäer – die ganze Brut nehmen unsere globalen Sklavendienste zugunsten ihres Wohlstands gedankenlos, ohne besondere Scham und ohne wenigstens ein wenig Dankbarkeit zu zeigen, skrupellos entgegen. Die sind die Herrenklasse, wie Hitler sich das schon auch so gedacht hatte. Wir sind in ihren Augen minderwertige Wesen. Sie sagen, sie hätten ihren Faschismus überwunden? Aber warum behandeln sie uns dann nicht gleichberechtigt und fair?“
Der Sohn haut in die gleiche Kerbe:
„Jede Sekunde ihres Lebens liefern wir ihnen solcherart von uns erzwungene ‚Geschenke‘. Und sie tun noch so, als wenn sie uns eine Wohltat erweisen, weil wir durch sie Arbeit haben.
Unsere Menschen verzichten denen zuliebe auf das, wie die im Überfluß haben und als Lebensnotwendig-Normal ansehen: Bildung und Gesundheitsvorsorge, ein Auto, eine Wohnung mit fließend Wasser und Abwasser sowie einer Heizung, ein WC mit Bad, eine Waschmaschine mit Wäscheschleuder und Wäschetrockner, einen Kühlschrank und einen Geschirrspüler sowie eine Klimaanlage auf Arbeit, eine Kinderbetreuung während der Arbeitszeit, exzellente Einkaufs- und Dienstleistungsmöglichkeiten usw. Unsere Menschen trinken verseuchtes, abgekochtes Wasser, Essen einseitig und geschmacksarm. Kurz, sie leben in solcher Armut, dass sie mit 45 Jahren sterben.“
Der Vater fügt sarkastisch hinzu: „Nach einer 12 stündigen Arbeitszeit könnten unsre sowieso nichts mit dergleichen Luxus, wie die ihn haben, anfangen. So denken jedenfalls offenbar die christlichen Wohltäter über uns.
Aber auch das wird eines Tags Geschichte sein. Die traurige, schamvolle Geschichte der ausgeplünderten Völker der Dritten Welt.“

*

Im internen Jahresergebnisbericht registrieren die Aldi-Eigentümer, die Brüder Albrecht (Karl 89 und Theo 87 Jahre), unglaublicher Weise immer noch eine Zunahme ihres gewaltigen, durch Billigprodukte entstandenen Vermögens. Trotz der Weltwirtschafts- und Finanzkrise der Jahre 2008 / 2009 ist ihr geschätztes Vermögen von 34 Milliarden Euro beinahe ohne Verluste geblieben und sie zählen aus einer Liste von 300 Personen immer noch als die vermögendsten Deutschen, gefolgt mit 10 Milliarden Euro vom 70 jährigen Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz. (lt. Manager-Magazin).

*

Erna und Erwin denken über all das nicht nach. Wenn überhaupt, dann so:

Wir dürfen den Brüdern Aldi und den anderen properen Unternehmern für ihre globale Geschäftsidee und die völkerverbindende, in den armen Ländern dieser Erde arbeitsplatzschaffende Umsetzung danken. Es ist dort eine ganze Armee von vornehmlich Arbeiterinnen, aber leider auch Kindern notwendig, daß der Preis für uns derart bleibt.
Es heißt, sie haben keine höheren Ansprüche, sind froh überhaupt Arbeit zu finden und sind deshalb dankbar, für dieses Arbeitsangebot von uns, für ihren geringen Lohn und für die harten Arbeitsbedingungen.

So hören und denken die Beiden beruhigend.

Ab und zu sieht Erna beim Durchschalten der Fernsehkanäle plötzlich ein Bild des Elends. Berichte aus fernen Regionen. Trotz unserer andauernden Entwicklungshilfe, so eine Armut! Und es erschüttert ihr christliches Herz. Sie hört, daß dies eine Naturkatastrophe oder die Mentalität einer korrupten Regierung oder ein Bürgerkrieg verursacht hat.
„Furchtbar“, entfährt es ihr, „die armen Menschen haben doch sowieso schon Nichts und nun noch das“.
Den Leuten sollte man helfen. Erna denkt an ihren überquellenden Kleiderschrank und daß Erwin zu dick geworden ist.
„Du, Erwin,“ ruft sie, „dir paßt doch der dunkelblaue Pyjama schon lange nicht mehr. Den könnten wir doch als Kleiderspende für die armen Leute geben.“
Doch Erwin meint:
„Kannste – kannste. --- Wenn man wüßte, daß er in die richtigen Hände kommt. Am Ende reißt sich den noch so ein schwarzer Chef unter den Nagel.“
„Trotzdem“, nuschelt Erna und steckte den Dunkelblauen schon in eine Plastetüte.
„Und weißte, Erna, was sollen die Schwarzen bei dieser Hitze dort mit einem Pyjama anfangen? Am Ende nimmt den dort ein Vorarbeiter als Tagesanzug.“
„Und wenn schon …“ Sie dreht den Beutel unsicher hin und her.
„Naja, dafür wäre mir der denn doch auch zu schade.“
Nimmt ihn und wirft ihn in den Mülleimer.

*
Am Sonntag drauf wählen Erna und Erwin dann die CDU in den Bundestag. „Weil die eine stabile Weiterführung der deutschen Erfolge in der Welt am ehesten garantieren.“ Ihre Meinung hat sich am Abend dann als mehrheitlich herausgestellt. Da wurden sie ganz stolz auf sich selbst, daß sie in dieser komplizierten Welt zu denen gehören, die sich nicht irre machen ließen und noch klar sehen. Sie haben ganz einfach das Richtige gewählt.
Erwin meinte zwar, sie hätten auch die FDP ankreuzen können. Da sind auch lauter solche vernünftige Leute drin.
Erna bestätigt es. Das sagt der Herr Pfarrer im vertrauten Kreis auch immer. Es sei leicht zu merken, sagt er:

Willst du in den Bundestag ziehn,
wähl nicht Links und auch nicht Grün.
Des Volkes Stimme, das bist Du.
Wähl FDP oder CDU!

Impressum

Texte: Copyright by Jürgen Köhler
Tag der Veröffentlichung: 08.10.2009

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