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Lob des Alters



Tagebuch; Sonntag, 3.6.2007



Damit sich Niemand einer Illusion hingibt:
Altwerden ist günstigen Falls traurig
und schlimmsten Falls furchtbar.

Nur wenn man gesund bleibt,
nimmt man die Beschwerden des Alters gelassen.
Der allgemeine Verschleiß ist zwar erschwerend,
aber in diesem Fall als unabänderlich hinnehmbar.

Verschleiß zwingt zur Langsamkeit.
Langsamkeit vergrault die Mitmenschen
und führt zur Vereinsamung.
Wer will noch mit dir arbeiten
oder sich unterhalten,
wenn Bewegungen und Denken,
Hören und Sehen
mit der Hektik der Zeit nicht mehr schritthalten?


Die Uhr des Lebens tickt jetzt fühlbar.
Die Endlichkeit ist ständig bewußt.
Nachdem man sich mit dieser Gewissheit abgefunden hat,
gewinnt man noch ein Mal
das Gefühl etwas Wertvolles zu erfahren,
falls man Weise genug ist.

Aber nur Wenige sind Weise.

Denn
aus der Sicht des Abschiednehmens
wird man toleranter,
aus der Unfähigkeit zur Veränderung
gelassener.

Toleranz und Gelassenheit
lassen uns die Welt in neuem Lichte sehen.
Man erhebt sich über das Subjektive
und Parteiliche
und staunt, wie eine gewonnene Neutralität
die Sicht objektiviert.


Nun versteht man den Feind und den Freund
und weiß,
daß es so schnell keine Lösung geben wird.

Statt Haß und Patriotismus
setzt man auf Verstehen.
Verstehen heißt Zusammenhänge begreifen.
Wer begreift,
erkennt auch Lösungen.

Auch wenn man jung ist, könnte man so Weise sein.
Aber es ist wohl eher eine Ausnahme.

Wenn man Alt ist, fällt es leichter,
so Weise zu werden.

*


Man ahnt wie es weitergehen wird
mit der Menschheit.

Es wird völlig anders sein.

Anders sein, heißt nicht leichter sein.
Nicht freundlicher, sondern härter.

Nicht für immer,
aber für lange Zeit.

Und so beurteilt der Weise die sichtbare Veränderung:
den Verfall an Lebensqualität,
an Menschenrechten,
an ethischen Werten
mit Traurigkeit
und mit Nachsicht.


Die neuen Generationen können nichts dafür,
es ist die Zeit, die sie so werden läßt.
Denn zu viel irreparablen Schaden
haben wir ihnen hinterlassen.

*

Das Wertvollste am Alter
ist die gestiegene Erkenntnis.

Das Schlimmste am Alter
ist die gefühlte Ohnmacht.

Das Dümmste am Alter
ist sich dem Unabänderlichen hinzugeben.

Das Dringlichste im Alter
ist etwas von der Erkenntnis weiterzugeben.
Von der Erkenntnis, die wert ist
bei der Evolution
der menschlichen Gesellschaft
Berücksichtigung zu finden.

Das Alter so genutzt,
ist ein Lob wert.

*



Ein Lob ist gleichzusetzen mit Dankbarkeit.

So möchte ich noch danksagen,
daß ich alt werden durfte
und damit Zeit erhielt,
über mich und meine Welt
tiefer nachzudenken.

Auch, daß ich noch die Fähigkeit habe
zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken
und zu fühlen.
Und daß ich in der Lage bin
dies als Glück zu empfinden,
Familie, Natur, Kunst und mich
in einer Art genießen zu können,
wie ich es niemals zuvor geahnt habe.


Auch, daß ich nicht allein
und daß ich mit dem,
was ich zum Leben und Handeln benötige,
abgesichert bin.

Auch, daß ich mich meines Lebens
nicht allzu sehr schämen muß.

Dank, daß ich mich
mit Dingen und Sachverhalten beschäftigen kann,
was ich schon immer wollte
sowie
von denen ich bisher keine
oder zu wenig Ahnung hatte.




Und daß ich erahnen darf,
was hinter dem Begriff Gott eigentlich steckt:
die Aura des Universums;
das Geheimnis der Evolution;
die Hoffnung der Schwachen.

und das meine Aura Bestandteil ist
dieser göttlichen Kraft
und der am Ende begriffenen
Sinnlosigkeit
des ewigen Werdens und Vergehens.

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Texte: Copyright by Autor
Tag der Veröffentlichung: 04.10.2009

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