Cover

Mein Wecker klingelt. Was, schon 9 Uhr? Strecken. Ab ins Bad. Zähne putzen. Der Mann im Spielgel blickt mich verständnislos und müde an. Ich lächele ihm zu und er lächelt zurück, doch sein Lächeln wirkt gequält. Na warte, jetzt bekommst du eine Ladung Wasser ins Gesicht. Die Kälte katapultiert ihn und somit auch mich schlagartig zurück ins Leben. Auf geht's zum Kühlschrank, da sind ja meine Freude die Karotten, waschen,schälen und nagend zurück in mein Esswohnschlafzimmer. Was steht denn heute auf dem Plan: 11 Uhr Körpertraining, dann Sprechen und zu guter letzt Singen. Naja, wenigstens konnte ich heute mal wieder ausschlafen. Sweat 9 o´clock.
Moment, irgend etwas stimmt nicht. Es ist wie dieses Gefühl, das ich habe, wenn ich nachts durch eine unbeleuchtete Gasse laufe und sich in meinem Rücken auf einmal eine Gruppe finsterer Gestalten bemerkbar macht. Beobachtet mich vielleicht einer meiner Nachbarn? In den Fensterreihen des gegenüberliegenden Gebäudes sehe ich einige von ihnen, sie frühstücken, schlurfen verschlafen am Fenster vorbei oder sehen verträumt hinaus, aber niemand scheint mich im Geringsten zu beachten. Ich mache trotzdem mal die Vorhänge zu. Nein, das war es nicht, das Gefühl will einfach nicht vergehen. Ok, ich schau mal in der Küche nach. Nichts, alles wie immer. Es ist sogar so, als verließe mich das Gefühl, sobald ich nicht mehr im großen Zimmer bin. Langsam wird mir das ein bisschen unheimlich! Ok, also zurück ins Hauptzimmer. Das Bett steht wie immer in der Ecke, mein Bettzeug auf ihm ist zerkrumpelt und zu einem Stoffball zusammengeschrumpft, aber das ist normal. Das Bücherregal starrt mich mit seinen hunderten eckigen Türen zu anderen Welten an, aber auch das ist nichts, was mich irgendwie erschrecken könnte. Mein Monitor wogt und vibriert in bunten Farben zur Musik, ich liebe diesen Bildschirmschoner. Der Computer selbst surrt leise, das CD-Laufwerk hat irgendeinen Fehler und so röhrt es alle paar Sekunden missmutig auf, jault einen Moment und verstummt dann wieder. Aber halt, was war das? Dieses seltsame Schnurren und Klopfen. Es scheint aus dem Schrank zu kommen. Jetzt ganz ruhig, nur nichts anmerken lassen. Irgendwo hier auf der Schreibtischplatte muß doch etwas liegen, was ich als improvisierte Waffe benutzen kann. Eine Kugelschreiber, nun gut, besser als nichts, ich werde ihn im Notfall wie einen Dolch benutzen können, aber jetzt erst einmal nichts anmerken lassen. Ganz locker, keine Aufmerksamkeit erregen. Keine Panik, da ist die Schranktür. Jetzt ganz schnell: Kuli in Anschlag, meine geballten Faust ist schon ganz blutleer, und drei, zwei, eins, Tür auf.
Was ist das? Ich hatte mit einem Einbrecher im schlimmsten und im besten Fall mit einem heruntergefallenen Bügel gerechnet. Aber das hier ist völlig unmöglich. Da ist nichts. Keine Kleider, keine Bügel, keine Bretter und das schlimmste, auch keine Rückwand. An ihrer Stelle ist, ja was ist das, eben NICHTS. Als hätte jemand ein Stück aus meiner Wohnung einfach herausgeschnitten. Was soll ich nur tun? Meine Augen brennen, da sie verzweifelt versuchen, etwas zu fokussieren, aber da ist nichts. Ich will hier weg, aber die Angst vor diesem Nichts ist wie eine Betäubung. Ich bin wie versteinert, ich kann nicht eimal den albernen Kuli runternehmen. Ok, konzentriere dich, es muss eine logische Erklärung geben. Was ist das? Wie kommt es in meinen Schrank? Ich sollte ein Photo machen, damit man mich nicht für verrückt hält. Aber halt, was wird auf dem Photo zu sehen sein, wenn man "Nichts" damit aufnimmt. Wahrscheinlich nur ein weiße Stelle, an der das Photopapier durchscheint. So gesehen könnte "Nichts" jede beliebige Farbe annehmen. Konzentriere dich! Niemand würde mir glauben, wenn ich ihm eine leeres Photo zeige.
Moment, das kann doch nicht wahr sein, bilde ich mir das ein, oder breitet sich das Nichts immer weiter aus? Kein Zweifel, das Nichts im Schrank vergrößert sich. Jetzt ist schon die halbe Zimmerecke verschwunden. Ich muss sofort um Hilfe rufen! Aber halt, was soll ich denn sagen: "Hilfe da ist nichts in meinem Zimmer!" oder vielleicht sollte ich einfach schreien. Nein, niemand interessiert sich in der Stadt für Schreie, es könnte ein Fernseher sein, ein Radio, oder einfach ein Streit. Wahrscheinlich würde es keinem Menschen auffallen, wenn sich jetzt mein Zimmer ganz in Nichts auflösen würde, oder im schlimmsten Falle sogar ich selbst. Wie lange würde es dauern, bis mich jemand vermisst? Und wenn er oder sie mich nicht finden kann, da ich dann nur noch ein Teil vom Nichts wäre, würde sie oder er dann weiter suchen. Ich sollte aufhören, so viel nachzudenken und etwas tun! Verdammt, zu spät. Das Nichts hat die Tür erreicht, ich bin gefangen, eingeschlossen vom Nichts.
Das ist dann wohl mein Ende. So hätte ich mir den Tod nie vorgestellt, ich werde mich einfach in nichts auflösen. Aber halt, was passiert, wenn sich danach das Nichts über mein Zimmer hinaus, über meine Wohnung hinaus, über das Haus hinaus, über die Nachbarschaft hinaus, über die Stadt hinaus ausbreiten würde? Wieviel Nichts müsste entstehen, bis die Menschen merken, wie wertvoll alles auf dieser Welt ist.
Plötzlich höre ich einen schrecklichen Schrei, was oder wer war das? Moment, das war ich! Ich schnappe nach Luft und richte mich kerzengrade in meinem Bett auf, den Blick zum Schrank gerichtet, alles ist wieder da, nichts fehlt.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle die gerne ihr Leben erforschen.

Nächste Seite
Seite 1 /