Thomas Mann, die Buddenbrocks und die Deutschstunde von Siegfried Lenz zählten zu meinen Lieblingsbüchern.
Da Thomas Mann in dem Jahr starb, als ich geboren wurde, hatte ich natürlich keine Aussichten, ihn persönlich kennen zu lernen. (Vielleicht in einem anderen Leben?)
Aber Siegfried Lenz lebte, und lebt immer noch. Damals kam er, das war etwa 1973, in unsere Stadt um dort aus seinem aktuellen Buch zu lesen. Diese Veranstaltung wurde von der Buchhandlung Boltze initiiert. Über die Jahre hatte sich zwischen den Eigentümern der Buchhandlung und Herrn Lenz eine Freundschaft entwickelt. Er kam dann noch einige Male nach Mönchengladbach um zu lesen.
Selbst im Glauben verankert, einmal Schriftsteller zu werden, war er mein großes Vorbild und ich bewunderte ihn als Autor und als Mensch. Eigentlich wusste ich ja gar nichts über den Menschen Lenz, außer den Fakten, die durch die Presse bekannt waren. Er war verheiratet, rauchte Pfeife, natürlich ein markantes Utensil eines Schrifstellers, lebte in Hamburg, zufälligerweise meine Lieblingsstadt, und hielt sich oft in seinem Feriendomizil in Dänemark auf. In meiner Phantasie reifte er zu einem bewundernswerten, geistig über alles und jedem schwebenden Autor.
Nun gut, an dem Abend studierte ich jede Gestik und Mimik von ihm während der Lesung, sog dies in mir auf im Glauben, dass von dieser Aura etwas auf meine schriftstellerische Laufbahn abfärben würde.
Nach der Lesung ging es in, für einen erlesenen Kreis, in die Privatwohnung der Buchändlerinnen.
Da meine Eltern dazu zählten, konnte ich mich der Gruppe anschließen. Ich muss zugeben, dass es schon ein erhabenes Gefühl war, während sich der "Normalleser" mit einem Autogramm in dem neuen Buch begnügen musste.
So traf sich die Gruppe, meine Eltern, ein weiteres Ehepaar, die zwei Buchhändlerinnen, der Verleger , Siegfried Lenz und ich in dem Wohnzimmer, um miteinander zu plaudern.
Herr Lenz zeigte dabei seine Qualitäten, amüsante Episoden zu erzählen und auch sein hanseatischer Humor war nicht zu überhören. Zu dieser Zeit war ich ausgesprochen schüchtern, traute mich nicht an den Gesprächen teilzunehmen, beschränkte mich also darauf, zuzuhören.
Mein Vater hatte hingegen keinerlei Berührungsängste, sondern forderte Siegfried Lenz auf, doch in das neue Buch eine Widmung für seine Tochter zu schreiben. Mein Gott war mir das peinlich, im Nachhinein war ich aber trotzdem stolz darauf.
Es folgten wie gesagt noch weitere Leseabende und dann kam der Punkt, wo ich enttäuscht feststellen musste, dass Siegfried Lenz ein ganz normaler Mensch ist. Er erzählte nämlich; dass er, als er das erste Mal in Mönchengladbach gelesen hatte und dann sein erstes größeres Gehalt erhielt, sofort gegenüber in den Laden gegangen ist und dort einen Pelzmantel für seine Frau erworben hat.
Da fiel mein unfehlbares Bild von ihm krachend in sich zusammen. Einen Pelzmantel!!!! Unvorstellbar! Nein, das konnte ich bei besten Willen nicht verzeihen.
Da war ich mit meiner Bewunderung wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet.
Die Bücher lese ich weiterhin und sympathisch ist mir Siegfried Lenz auch heute noch, aber die schwärmerische Bewunderung ist passé.
Texte: Petra Kania
Tag der Veröffentlichung: 03.07.2014
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