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Oh du fröhliche ...

Ich hasse Weihnachten. Jedes Jahr das gleiche Theater – wochenlang renne ich gestresst durch völlig überfüllte Geschäfte, um Leuten, mit denen ich zuletzt zu Ostern ein Wort gewechselt habe, etwas zu kaufen, das elfeinhalb Monate im Ladenregal lag und keinen Abnehmer gefunden hat. Bis ich kam. Nur um meinerseits lauter Rumstehchen geschenkt zu bekommen, die postwendend im Keller landen - von Menschen, die ich am liebsten von hinten sehe.

Dieses Jahr, das habe ich beschlossen, mache ich alles anders! Dieses Jahr mache ich es mir Weihnachten gemütlich, vor allem aber werde ich die schon seit August im Supermarkt zart dahinschmelzenden Schokonikoläuse und Printen bis zur letzten Minute ignorieren und frühestens am Heiligen Abend damit anfangen, den Kalorienbomben den Weg zu meinen Hüften zu weisen. Wenn überhaupt. Vielleicht esse ich an Weihnachten auch nur rohe Kohlrabi.
Weihnachtsbaum? Geschenkt! Ich werde am 24. Dezember einen Mistelzweig aufhängen und darauf warten, dass mich jemand darunter küsst. Jemand, der nicht so aussieht wie mein Mann, wenn möglich. Warum nicht mal andere Traditionen ausprobieren?
Ich werde mich dieses Jahr nicht mit Anderen um den vermeintlich schönsten Nordmann streiten, nur um zu Hause festzustellen, dass der leider auch nicht aussieht wie Alexander Skarsgard (wer den Schweden nicht kennt - die Bildersuche im Internet hilft) und die ganze Schlepperei mitsamt zerstochener Arme nicht wert ist.

Mein Mann ist gekränkt. „Keine Gans dieses Jahr?“, schmollt er, und ich tippe mir bedeutungsvoll an die Stirn. Jedes Jahr habe ich stundenlang in der Küche gestanden und einen riesigen Vogel gestopft, Rotkohl geschnibbelt und Klöße geformt. Nur damit die Baggage die Mahlzeit innerhalb von drei Minuten verschlingt, um endlich zur Bescherung übergehen zu können.
„Dieses Jahr gibt‘s kalte Küche“, verkünde ich. „Würstchen und Kartoffelsalat. Das muss reichen.“
Die Kinder freuen sich, ein Brot kann man auch beim Geschenke auspacken essen. Sofort vernichte ich auch diesen kühnen Traum. „Geschenke gibt‘s dieses Jahr auch keine. Ich werde Geld spenden, an das Essener Tierheim und an die Essener Tafel.“
Lange Gesichter sind die Folge, ich ergehe mich in ausschweifenden Erklärungen über Nächstenliebe und den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes, dabei steigere ich mich wutschäumend in eine Hasstirade über den ungebremsten Kapitalismus, der uns neben diversen Wirtschaftskrisen und tollwütigen Bankern auch solche Errungenschaften wie 3D-Fernseher und Handys, die mit einem reden, obwohl niemand dran ist, gebracht hat. Woraufhin meiner ältesten Tochter einfällt, dass sie sich doch dringend genau so ein Handy wünscht zu Weihnachten, was einen Bach von Krokodilstränen zur Folge hat.
Ich bleibe hart. Es gibt auch keinen Adventskranz dieses Jahr, da bleibt wenigstens meine Lieblingstischdecke von hässlichen Wachsflecken verschont. Adventskalender? Also bitte, das ist doch was für Kleinkinder! Meine Kinder sind groß und können hoffentlich auch ohne so was von 1 bis 24 zählen!

Der Dezember ist wirklich entspannt. Grinsend beobachte ich die hektischen Menschen, die sich durch enge Gänge in Kaufhäusern und Geschäften quälen, mit panischen Schweißperlen auf der Stirn. Ob Tante Inge sich über das T-Shirt für ihren Mops freut? Natürlich, falls der Silvester überhaupt überlebt.
Ist der digitale Bilderrahmen nicht perfekt für Oma Gabi? Keine Frage, er wird ein sehr ruhiges Dasein fristen, weil Oma Gabi nicht mal in der Lage ist, ihn einzuschalten, geschweige denn, Fotos darauf zu bekommen. Immerhin kann sie sich darin spiegeln, das ist ja auch was.
Haha, lache ich fröhlich. Ich mache mir gar keine Sorgen dieses Jahr. Ich werde auch keine Weihnachtsplätzchen backen. Für das Gematsche in der Küche sind die Kinder zum Glück zu groß, und dem Bauch meines Mannes tut es ja nur gut, wenn er statt Keksen dieses Jahr gesunde Möhren mit Kräuterdipp knabbert vorm Fernseher. Die passen eh besser zum Feierabendbier.

Ich gehe nicht einmal auf den Weihnachtsmarkt. Neben Glühweinbuden und viel zu fettigem Backfisch oder Reibekuchen glänzt der ja sowieso nur mit Buden billiger Händler, die kitschigen Ramsch an die alkoholgetränkten Frierenden verkaufen, den sie in normaler Kulisse niemals losgeworden wären.
Außerdem ist es dieses Jahr auch viel zu warm für Weihnachtsmarkt, da kommt man ja gar nicht in Stimmung! Ende November scheint die Sonne, und dank meiner neuen Hitzewellen kann ich sogar im T-Shirt durch die Stadt flanieren. Ha! Danke, Petrus, für diese Unterstützung meines Weihnachtsignorierplans!

Eigentlich ist es gar nicht so schwierig. Unsere türkischen Mitbürger feiern ja auch nicht Weihnachten, und ich kann nicht umhin, dem netten türkischen Pizzabäcker von schräg gegenüber verschwörerisch zuzuzwinkern, als er verstohlen einen Alibiweihnachtsstern ins Fenster stellt. Und was ist mit den Juden, den Buddhisten, den Hinduisten? Ich kann ja nicht die einzige sein, der das Tamtam im Dezember auf den Keks geht.

Der Heilige Abend naht. Ich hänge wie geplant den Mistelzweig in der Tür auf, den ich nach stundenlanger Suche bei einer Floristin in Borbeck gefunden habe. Mein Mann schmollt und spricht den ganzen Tag kein Wort mit mir. Die Kinder haben sich in ihren Zimmern vergraben und sehen fern, die Große telefoniert lautstark mit einer Freundin und beklagt sich darüber, dass ihre Mutter, die wohl dank der Wechseljahre komplett durchdreht, ihr alle Weihnachtserinnerungen aus der Kindheit zerstört.
Im Radio läuft Last christmas, also lege ich eine CD von meiner Ältesten ein und höre entnervendes HipHop, während ich die Pellkartoffeln schäle. Das Essen ist in einer Viertelstunde zubereitet, und ich habe noch den ganzen Tag Zeit, mich zu entspannen und besinnlich zu fühlen. Ach, was für eine gute Idee das war, dieses Jahr nicht mitzumachen beim Weihnachtszirkus!
Draußen wird es dunkel und die Straße leert sich. Die Kirchenglocken läuten zur Andacht, die ich dieses Jahr auch nicht besuchen werde. Meine neuen Ausgehklamotten kann ich auch woanders zur Schau stellen. Stattdessen lese ich ausnahmsweise die Gala, sonst schaffe ich es immer nur, mir die Bilder anzugucken, und genieße die freie Zeit.
Beim Abendessen ist es still am Tisch. Die Kinder sind noch immer beleidigt, und mein Mann schaufelt lustlos die kalten Würstchen in sich rein, während er sehnsüchtige Blicke auf den leeren Backofen wirft.

„Bescherung!“, sagt er dann, nachdem alle mit stoischer Ruhe gegessen haben, und ich sehe irritiert auf.
„Wir haben doch gesagt ...“, fange ich an, doch mein Göttergatte grinst und winkt uns ins Wohnzimmer. Da steht ein Tannenbaum, geschmückt mit roten und goldenen Kugeln, die ich noch gar nicht kenne. Ich reiße den Mund auf und will schimpfen, aber die Kinder klatschen in die Hände und umarmen uns.
„Ich hab doch gewusst, dass ihr nur Witze gemacht habt!“, ruft die Kleine und stürzt sich auf zwei verpackte Geschenke, die ihren Namen tragen. Mit rotem Kopf lasse ich mich aufs Sofa fallen, dann drückt mein Mann mir ein Glas Sekt in die Hand.
„Frohe Weihnachten“, sagt er und überreicht mir ein sehr kleines Päckchen, liebevoll verpackt und mit einer Schleife versehen.
„Danke, danke, danke!“, ruft die Kleine und presst mir heiße Lippen auf die Wange, das hat sie schon lange nicht mehr gemacht, ist ja sonst peinlich in dem Alter. „Das habe ich mir sooo gewünscht!“
Staunend sehe ich, dass mein Mann ihr tatsächlich eins von diesen kleinen Musikabspielgeräten gekauft hat, das so klein ist, dass ich es in meiner Lidschattendose verstecken könnte. „Ich liebe euch!“, kreischt die Große, als sie tatsächlich das Handy, das reden kann, auspackt und mit glänzenden Augen im Wohnzimmer herumhüpft. Und ich?

Ja, ich öffne das kleine Päckchen meines Mannes. Darin ist eine winzige Kristallfigur eines bekannten österreichischen Kristallherstellers, ein kleiner Engel, der mich anlacht und mich daran erinnert, dass ich diese Dinger tatsächlich als junge Frau mal gesammelt habe.
Dann gehe ich in den Keller und hole die Weihnachtskekse rauf, die ich heimlich gebacken habe. Weihnachten ist doch ganz schön ...

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Texte: Alle Rechte liegen beim Autor!
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2011

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