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Kapitel 13 – Fürst Eriks hohe Halle

Ascha:
m nächsten Morgen war Ascha als erstes auf, der Hunger hatte sie geweckt. Sie fühlte sich viel besser, ihre Augen leuchteten wieder, auch in ihre Wangen war die Farbe zurückgekehrt – und es war nicht das Grün des Vortags. Sie verspürte unbändigen Hunger. Aber sie musste nicht lange warten, auch die anderen erwachten bald und Stan verteilte die letzten vom Vortag übrig gebliebenen Reste der mitgenommenen Vorräte. Das trockene Brot war völlig mit Salzwasser durchweicht, aber sie schlang es doch gierig hinunter, dem getrockneten Fisch hatte das Meerwasser zum Glück nicht geschadet.
Nach dem Mahl schaute Ascha zu, wie sich Wilfrith zuerst um Dietrichs Wunde kümmerte, doch die hatte sich nicht wesentlich verändert. Der Mönch sah das nun als ein gutes Zeichen an. Immerhin kein Eiter, und die Wundränder hielten fest zusammen. Dann wandte er sich seinem nächsten Patienten und damit ihren eigenen Füßen zu. Die erzwungene Erholungspause und das Salzwasser hatten offenbar gut getan und Wilfrith legte keinen neuen Verband an
Vlad, Wilfrith, Burwido und Bosćij nahmen nun die Riemen auf, um die letzte Etappe ihrer Bootsfahrt zu beginnen. Stan stand wie immer am Ruder und beobachtete den Strom vor ihnen genau. Der Lauf der Slia änderte sich mit der Zeit. Ständig entstanden neue Arme und Sandbänke, die oft nur durch eine Änderung des Wellenmusters oder kleine Wirbel im Wasser erkennbar waren. Bald hinter Maasholm wurde das Fahrwasser enger und der Fluss schlängelte sich in Richtung Süden und später Südwesten. Die Ufer wurden von Schilf gesäumt, in dieser Jahreszeit war es großteils ganz braun und gelb. Zwischendrin stand immer wieder etwas Rohr und die dunklen Kolben schwankten im Wind auf und ab. Einige Eiderenten und sogar ein paar Schwäne zeigten sich und am Himmel lachten wieder die unvermeidlichen Möwen.
Zweimal setzte das Boot auf einer flachen Sandbank auf, die Stan nicht hatte kommen sehen. Das erste Mal mussten Stans Söhne und Burwido und Vlad ins Wasser, um das Fahrzeug wieder frei zu schieben. Das zweite Mal gelang es ihnen, das kleine Boot mit den Riemen freizustaken. Ascha beobachtet die Ruderer bei ihrer Arbeit. Der junge Burwido schien nicht nur furchtlos in Kampf und Moor, sondern auch beim Rudern stellte er sich genauso geschickt an wie die jungen Wagrier. Und kein Wunder, dass er furchtlos war. Wenn sich seine schlanke, aber doch kräftige Gestalt anspannte, um das Boot frei zu bekommen, glaubte sie sofort, dass er keinen Grund haben musste, sich vor irgendetwas zu fürchten. Sie fühlte ein seltsames Kribbeln in der Magengegend, er stellte tatsächlich eine ernste Gefahr für sie dar, und wenn es so weiter ging, tappte sie sehenden Auges hinein!
Ascha biss sich auf die Unterlippe und wendete ihren Blick energisch dem langsam vorbeiziehenden Ufer zu, aber sie ertappte sich immer wieder dabei, wie ihre Augen nach den kräftigen Händen suchten, die den vorderen Steuerbordriemen fest im Griff hielten.

Wilfrith:
Sie passierten mehrere kleine Ortschaften, aber niemand schien sich für sie zu interessieren. Offenbar war der letzte Raubzug der Wagrier an dieser Küste schon eine Weile her, oder man sah in dem kleinen, einsamen Boot einfach keine Bedrohung. Kurz vor Mittag schließlich teilte sich der Flusslauf in zwei breite Arme und vor ihnen schien eine Insel die Weiterfahrt zu blockieren. Doch diesmal hielt Stan sicherer Hand im Norden an der Insel vorbei und ließ sich durch den anderen Seitenarm nicht verunsichern. Direkt hinter der Insel weitete sich der Fluss zu einem großen See.
„Endlich, die große Breite“, kommentierte Stan. „Das ist der erste Teil des Slia-Sees, oder des Sees der Dänen, wie wir ihn nennen.“ Wilfrith hatte von Bischof Rimbert schon davon gehört, und von der sagenhaft reichen Stadt Haithabu, aber dass es ihn selbst einmal bis hierhin verschlagen sollte, hatte er nie und nimmer gedacht. Nach einer weiteren guten halben Stunde wurde der See durch eine Halbinsel am Nordufer eingeschnürt um gleich dahinter noch einen See zu bilden.
„Die kleine Breite“, ließ Stan sich erneut vernehmen. Von hier konnten sie am West-Ende des nächsten Gewässers, das Stan als Haithabuer Noor vorstellte, endlich die Stadt Haithabu am Ufer liegen sehen. Eine derartig große Stadt hatte Wilfrith noch nie gesehen, die Berichte, die sie gehört hatten, waren nicht übertrieben!
Haithabu wurde von einer halbkreisförmigen Mauer eingeschlossen, die etwa so hoch war wie die in Starigard. Haithabu lag allerdings nicht auf einem Hügel, so dass die Mauer innen fast genauso steil abfiel wie außen. Oben war sie mit einer etwas weniger als mannshohen Palisade gekrönt. Die offene Seite des Halbkreises wurde vom Ufer des Haithabuer Noors gebildet. Eine stabile hölzerne Mole verlängerte die Befestigung in das Noor hinaus.
Stan musterte fachmännisch die Schiffe im Haithabuer Hafen und erläuterte bereitwillig die verschiedenen Typen.
„Dort vorn liegen drei Knorren, kleinere und breitere Handelsschiffe der Dänen von etwa 20 Schritten Länge und sechs Schritten Breite im Wasser. Daneben seht ihr eine eine Karvi, ein kleines schnelles Küstenschiff mit niedrigem Freibord und etwa 30 Schritten Länge. Sehr viel weniger Schiffe als bei meinen bisherigen Besuchen im Sommer. Dafür könnt ihr dort noch zwei weitere Knorren und drei Langschiffe an Land sehen, die mit den dicken Persennings aus gewachstem Wolltuch. Die haben sicher 40 Schritten Länge und Riemenlöchern für 50 Ruderer an jeder Seite!“
Beim Näherkommen sah man, dass das hinterste der Langschiffe die beiden anderen sogar noch deutlich an Größe übertraf. Es mochte wohl an die 60 Schritte lang sein und hatte einen hohen Freibord. Es fasste 300 oder mehr Krieger, und bot ihnen durch die hohen Seiten im Kampf auf See, Schiff gegen Schiff, entscheidende Vorteile.
„Das muss der große Drache Fürst Eriks von Haithabu sein!“, rief Stan begeistert. „Wie eine Burg auf dem Wasser“, kam der Seemann ins Schwärmen.

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Tag der Veröffentlichung: 27.01.2011

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