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Aus Kapitel 3:

Kurz nach der Rückkehr aus Washington trat Johanna ihre neue Stelle bei der Krankenkasse an. Zum ersten Mal war sie sich sicher, von Anfang an wirklich richtig nette männliche und vor allem auch weibliche Kollegen und Vorgesetzte zu haben. Gleich von Anbeginn spürte sie, sie wurde integriert und man ließ sie überall hinein schnuppern.
Sie genoss es, endlich der Großstadt entflohen zu sein. Die ersten Abende zu Hause verbrachten sie ausschließlich in ihren eigenen vier Wänden. Endlich konnten sie sich nach Lust und Laune mit ihren Eltern oder Freunden verabreden. Endlich mussten sie nicht immer alle Termine auf das Wochenende schieben und konnten auch einmal während der Woche Verabredungen treffen und das ein oder andere Wochenende sogar ganz frei von irgendwelchen Verpflichtungen halten. Endlich waren beide vollends mit ihrer Situation glücklich. Endlich stimmte es im Beruf und endlich waren sie zu Hause. Ihre Situation schien nun wirklich perfekt und in Johanna wuchsen Zweifel, ob ihr beider Leben jetzt nicht zu perfekt sei. Ihre Vorahnung ob ihrer perfekten Lebenssituation schienen nicht unberechtigt, denn wenn auf etwas Verlass war, dann war es das Schicksal.
Bereits drei Wochen später, am 27. April, sollte sich ihr beider Leben erneut ändern – und zwar auf die drastischste Art, die man sich vorstellen kann. Der Supergau war eingetreten – der GAU, das größte anzunehmende Unheil! Bei Johanna wurde eine Krankheit diagnostiziert, die ihr und auch Bens Leben komplett aus den Angeln hob.

Heute – ein Jahr nach der Diagnose – saß Johanna im Arbeitszimmer und schaute gedankenverloren hinaus auf die Straße. Immer und immer wieder kam ihr das Erlebnis mit der geträumten Riesenspinne in den Sinn. Diese war ihr während ihres Honeymoon auf Hawaii eines Abends im Bett erschienen war. ‚Sollte dies bereits ein erstes Zeichen gewesen sein?‘ Sie erinnerte sich auch heute noch, also zwei Jahre später, ganz genau an diesen Vorfall. Daran wie sie damals begleitet von einem Schrei, der wie Ben ihr zu berichten wusste, durch Mark und Bein ging und die Hotelgäste in den umliegenden Zimmern zur nachtschlafenden Zeit aus dem Schlaf riss, aus dem Bett gesprungen war. Und auch daran, wie sie zitternd wie Espenlaub minutenlang auf dem Stuhl in einer Ecke des Hotelzimmers gekauert und immer wieder ängstlich auf das Bett gezeigt hatte.
Aber auch die Begegnung mit der alten Indianerin auf dem Washingtoner Flughafen, die sie so unablässig mit ihren dunklen Augen fixierte, kam ihr wieder und wieder in den Sinn. Sollte auch dies vielleicht ein weiteres Zeichen gewesen sein? Je länger sie im Nachhinein darüber nachdachte, desto sicherer war sie sich. ‚Sehet die Zeichen!‘

Von daher wuchs in ihr auch das Bedürfnis, sich wieder hinzusetzen und damit niederzuschreiben, was sie und ihr Ben in den letzten Monaten alles erlebt hatten. Ihr Ziel war es, egal was mit ihr auch noch passieren würde, ihre Geschichte für die Nachwelt – wer immer diese auch sein würde –festzuhalten.
„Wer schreibt, der bleibt“, ermunterte Benjamin seine Frau und kaufte ihr hierfür sogar einen neuen Computer. Auch er freute sich über Johannas Plan möglichst viele gemeinsame Erlebnisse, von denen ansonsten nur noch ihre Eltern und einige Freunde berichten könnten, in geschriebenen Zeilen festzuhalten. Nachkommen, denen sie ihre Storys hätten erzählen und die es dann wiederum ihren Kindern hätten weitergeben können, gab es nun einmal keine. Also würden mit dem Notieren der Ereignisse vergangener Tage, mal heiter, mal traurig, diese weiter existieren und die Legende von Sunshine und Benjamin erhalten bleiben.

Nachdem Johannas Motivation zunächst darin bestand, ihre gemeinsamen Erlebnisse mit Benjamin aufzuschreiben, trat nun eine ganz andere Intention in den Vordergrund. Ja, während Benjamin sich mit der Dokumentation ihrer Erlebnisse vor Johannas Krankheit beschäftigen wollte, konzentrierte sie sich nun darauf festzuhalten, was sie während ihrer Behandlungstortur, auf ihrem Weg wieder gesund zu werden, alles erlebte. „Wenn ich es schaffe alle meine literarischen Ergüsse zu einem Happyend zu bringen, dann versuche ich es einfach einmal damit, mein eigenes Buch zu veröffentlichen.“ Benjamin unterstützte sie in ihrem Vorhaben, hatten sie doch mittlerweile sehr viele Bücher ähnlicher Art gelesen und unheimlich viel aus ihnen gelernt. Gerade die Bücher der Autoren Eva-Maria Sanders und Carl Simonton, der zufälligerweise in Virginia Beach lebte, hatten sie förmlich verschlungen und avancierten bei Johanna zu ihrem täglichen Nachschlagewerk.
Aber auch Benjamin, der sich ebenso mit ihrer beider Schicksal auseinander setzte, ließ sich von den Büchern gefangen nehmen, gaben sie ihm doch jede Menge Informationen zur Krankheit selbst und vor allem über den Umgang mit dem kranken Partner. Alleine die Titel der Bücher Sanders’ ‚Leben‘ und ‚Freude‘ oder Simontons Buch ‚Auf dem Weg zur Besserung‘, klangen in seinen Ohren sehr motivierend. Beide versuchten sehr viel aus diesen und ähnlichen Lektüren zu lernen, wurde ihnen doch die neue unabänderliche Situation ohne Vorwarnung einfach von jetzt auf gleich aufgezwungen. Kein Briefing, kein Coaching für diesen Fall, nein, die Welt drehte sich mit einem Ruck und warf beide auf einen völlig neuen Weg. Doch die Bücher halfen ihnen zu erkennen, sie waren keine Einzelfälle. Erkennbare Parallelen zu den unzähligen Geschichten halfen ihnen mit dem Schlag, den das Schicksal ihnen erteilt hatte, besser fertig zu werden.
Bisher schien alles so perfekt. Benjamin klangen immer wieder Johannas Worte in den Ohren, mit denen sie noch vor einigen Wochen ihre Skepsis äußerte ob des völlig vollkommenen Lebens, das sie beide nun anscheinend führen dürften: „Du, Ben, jetzt hat alles so gut funktioniert, wie wir es uns immer erträumt hatten: Du bist hier vor Ort beschäftigt, ich habe ebenfalls einen Job in Hachenburg gefunden und wir können wieder in unserer kleinen Villa Kunterbunt leben. Ich weiß gar nicht, warum wir so viel Glück verdient haben. Es gibt so viele Menschen, denen es nicht annähernd so gut geht wie uns beiden. Du, da muss doch irgendwann einmal ein Dämpfer kommen, oder? Das ist doch alles viel zu perfekt!“ Dieser Dämpfer ließ nicht lange auf sich warten – noch nicht einmal vier Wochen!
Dieser Dämpfer, den das Schicksal den beiden aufzwang, konnte schlimmer nicht sein und änderte oder vielmehr bestimmte fortan ihr Leben. Dieser Dämpfer wachte morgens mit ihnen auf und ging abends mit ihnen zu Bett. So wurde dieser Dämpfer zum Hauptgegenstand ihres Lebens und letztendlich zum Motiv, das Johanna veranlasste, mit dem Entwurf ihres eigenen Buches zu beginnen.

Johanna saß am Schreibtisch. Der Computer summte monoton vor sich hin. Sie hatte sich eine Kerze angezündet und überlegte: ‚Wie fange ich nun an?‘ Das berühmte leere, weiße Blatt, das zu Beginn vor jedem Schriftsteller liegt, bereitete auch ihr Kopfschmerzen.
Am liebsten würde sie gleich mit all ihren Erkenntnissen anfangen, die sie gerade in den letzten Monaten hatte gewinnen dürfen. Doch der Leser müsste ja zunächst einmal erfahren, was ihr eigentlich passiert war, vor allem was die Autorin zu diesen abschließenden Feststellungen und überhaupt zum Schreiben dieses Buches bewegt hatte. Auf jeden Fall sollte es im zweiten Abschnitt ein motivierendes Buch werden, während sie im ersten Teil nicht drum herumkäme zu beschreiben, zu erzählen, wie sich alles zugetragen hatte, welch perfektes Leben sie und Benjamin bis dato geführt hatten und wie urplötzlich so etwas wie Unkraut in die traute Zweisamkeit hineingewachsen war.
Suchten ihre Finger zunächst noch nach einzelnen Buchstaben, um die Zeit bis zum nächsten Wort zu überbrücken, so bewegten sie sich nach und nach mit zunehmender Geschwindigkeit auf der Tastatur; vergleichbar mit Smetanas Musikmeisterwerk Die Moldau, das ebenfalls zaghaft die Töne eines einzelnen Instruments preisgibt, um sich dann schrittweise zur kompletten Orchesterintonation zu ergänzen.
Schließlich flogen ihre Finger wie von Geisterhand bewegt über die Tastatur. Letter um Letter fügte sich aneinander. Aus den einzelnen Zeichen entstand ein virtuelles Rinnsal, das sich allmählich auf den Weg begab, vielleicht einmal ein mächtiges – und vielleicht auch reißerisches – Werk zu werden. Sie begann mit einem Vorwort, einen Titel würde sie sich später überlegen:
Vorwort
Mit diesem Buch möchte ich allen danken, die an meine Gesundung glaubten und bereit waren, während meiner Krankheit für mich zu beten. Ein ganz besonderer Dank gilt natürlich meinem geliebten Mann Benjamin und meinen Eltern, die in dieser schweren Zeit zu mir gehalten haben.

Lange habe ich überlegt, ob ich dieses Buch überhaupt schreiben soll, doch die Erinnerung an diese schwere Zeit, die hinter mir liegt, würde mich ein Leben lang begleiten und danach verlangen, festgehalten zu werden. Ich habe mir den nötigen Ruck gegeben, den inneren Schweinehund überwunden und mit dieser Autobiografie angefangen.

Den wichtigsten Beweggrund meines Schreibens und die Erkenntnis, zu der ich nun nach einem schweren Jahr gelangt bin, möchte ich in wenigen Worten zusammengefasst diesem Buch voranstellen:
Es ist der Glaube!
Der Glaube an etwas, das unmöglich scheint.
Der Glaube, dass alles möglich ist,
wenn man es nur zulässt!

Dies ist die Quintessenz meines Lebens; mein Glaube an Gott. Katholisch getauft, zur Kommunion gegangen und nun auch ökumenisch verheiratet, so spielte diese Gottverbundenheit schon immer eine Rolle. Doch nun erst in den letzten Monaten durfte ich erkennen, wie wichtig und wertvoll der Glaube für mich werden sollte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 10.12.2010

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