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Kapitel 1

Es war ein warmer Sommerabend und die Innenstadt war gut besucht. In der Nähe eines großen Platzes standen ein paar Bänke, in der Nähe eines großen Springbrunnens. Die Skulptur, die darauf thronte, war ein gewaltiger Rabe, der seine Schwingen weit geöffnet hatte. Sein Schnabel war aufgerissen, als würde er unheilverkündend in die Lüfte steigen.
Zumindest empfand es Macy als solches. Sie betrachtete den Springbrunnen der sicher gut fünf Meter oder mehr maß und wartete auf ihre Freundin. Jenna war zuvor in einem der Läden verschwunden, die sich in Reih und Glied aneinanderreihten. Eigentlich hatte Macy keine Lust mehr, weiter zu Shoppen. Die letzte Shoppingtour mit Jenna war ihr noch immer im Gedächtnis. Es war knapp einen Monat her und sie hatte sich endlich mal wieder etwas gegönnt, hatte sich schöne Dinge gekauft und sich darin wirklich gefallen. Doch innerhalb eines Monats passte sie nicht mehr hinein. Sie hatte zugenommen. Sodass sie nicht mehr in die neue Garderobe passte.
Zuerst hatte sie sich zutiefst geschämt und wollte es Jenna nicht einmal erzählen. Doch als ihre beste Freundin sie gefragt hatte, warum sie nie die neuen Blusen oder Kleider anzog, hatte sie keine andere Wahl.
Macy hatte im letzten Jahr viel um die Ohren gehabt, was sie immensen Druck ausgesetzt hatte. Unter anderem hatte sie ihre Arbeit verloren, weshalb sie sich ihr Studium zur Anwältin nicht mehr leisten konnte und dies auf unbestimmte Zeit pausieren musste. Denn eine Arbeit zu finden war für sie momentan wirklich schwer. Die Stadt, in der sie lebte, war sehr ländlich, zählte vielleicht sechs oder siebentausend Einwohner. Und die Jobs, meistens Stellen als Bedienung, hatten ihr abgesagt. Und nun hatte sie nur noch ihr Erspartes, mit dem sie das restliche Jahr überbrücken musste.
Gerade als Macy sich umdrehte, sah sie Jenna aus dem Geschäft auf sie zu kommen. Mit einem dicken Grinsen im Gesicht.
„Ich denke ich werde mich ab jetzt nur noch Schnäppchenkönigen nennen.“, verkündete sie stolz. Während die jungen Frauen weiter durch die Einkaufspassage gingen, zeigte Jenna ihr, was sie alles ergattern konnte.
„Natürlich, werde ich wohl dafür ausmisten müssen.“ Jenna war noch immer ganz im Shoppingwahn, als sie langsam die belebten Wege verließen und in einer Gegend ankamen in der Kneipen und Bars anzutreffen waren. Hier und da auch ein Par Geschäfte für Dekoration, Autoteile oder auch für Kleidung. Allerdings, so wie Macy auffiel, viel spezifischer. Sie sah Kutten Tücher und Taschen, die aussahen, als würden sie entweder zu einem Fahrrad gehören oder einem Motorrad. Sie tippte auf Letzteres.
„Was genau wollen wir hier noch gleich?“, fragte sie daher etwas skeptisch. Jenna schenkte ihr einen tadelnden Blick.
„Ich muss doch diese eine Hose umtauschen. Die ist zu groß.“ Macy verdrehte die Augen. Jenna machte ein Studium im Modedesign und hatte es sich deshalb zu Lebensaufgabe gemacht, mit jedem Modetrend mitzugehen. Sie hatte stets das Bedürfnis, so schön und neu gekleidet zu sein, wie es ihr möglich war. Und da ihre Eltern sie unterstützten, ging ihr die ‚Möglichkeit‘ fast nie aus. Anders als bei Macy. Ihre Mutter war zu ihrer großen Liebe nach England ausgewandert und nun war Macy allein. Sie hatte keine Geschwister und ihren leiblichen Vater kannte sie nicht.
„Oh Mist!“, fluchte Jenna, als sie den Laden, den sie ansteuerten, fast erreicht hatten. Dabei sah sie auf ihre Armbanduhr und blieb abrupt stehen.
„Was ist?“ Macy zog die Augenbrauen nach oben und wartete, während sich auf dem Gesicht ihrer Freundin ein Drama abzuspielen schien.
„Ich habe vergessen, wie spät es ist. Adam wartet schon auf mich.“ Sie gestikulierte wild und wie zur Bestätigung klingelte ihr Handy.
„Könntest du die Hose für mich zurück geben?“ Macy hatte weder Lust, die Hose für sie zurückzugeben, noch dass sie dafür einspringen sollte, weil Jennas Freund schon drängelte. Trotzdem nickte sie, nahm die Hose und den Kaufbeleg an sich und wurde in eine kurze Umarmung gezogen.
„Wir sehen uns am Wochenende!“ Jenna ging winkend davon und nahm endlich den Anruf entgegen.
Etwas vor den Kopf gestoßen stand Macy zuerst da. Sie sah Jenna nach, die immer kleiner wurde, bis sie um eine Ecke bog und komplett verschwand. Macy atmete durch, drehte sich um und stand direkt vor dem kleinen Laden. Dieser wirkte von außen weniger wie ein Kleidungsgeschäft, eher wie eine Kneipe oder ein Restaurant. Doch als sie näher heranging, erblickte sie zu ihrer Rechten Schaufensterpuppen. Diese trugen jedoch überwiegend dunkle Shirts, Hosen und Westen. Hier und da ein paar Blusen und Röcke. Am Eingang befanden sich links und rechts jeweils eine Tür. Die Rechte führte allem Anschein nach, ins Geschäft und die linke hatte ein Schild, das in einem dunkelblau leuchtete. Nightbreakers.
Vermutlich eine Kneipe irgendwelcher Gruppen. Eine Bikergruppe, was schon allein die Läden in direkter Nähe vermuten ließen.
Eine Klingel ertönte, als sie durch die rechte Tür ging. Der Verkaufsraum war ziemlich übersichtlich. Es stach nicht heraus, in seiner Größe oder besonderer Farbwahl. Eher war es der Tresen, der in einem massiven Holz den Kassenbereich bildete. Es wirkte beinahe als sie das Holz des Tresens genau an Ort und Stelle aus dem Boden gewachsen. Er fiel auf, dabei war er wohl das Schlichteste im Raum.
Macy ging auf den Tresen zu und suchte dabei mit den Augen den Verkaufsraum nach jemanden ab. Doch sie war allein. Vorne am Eingang hatte jedoch nichts gehangen, kein Geschlossen-Schild, gar nichts.
Doch plötzlich öffnete sich rechts hinter dem Tresen eine Tür, die mit der hölzernen Wand verschmolz. Daraus trat ein ziemlich großer Kerl. Er war eine imposante Erscheinung und machte Macy direkt in der ersten Sekunde unsicher.
Er trug ein schwarzes Shirt und eine ebenso dunkle Jeans. Die Körperstellen, die nicht bedeckt waren, gaben Tattoos preis. Die Symbole, Bilder oder was auch immer ihm unter die Haut gestochen war, konnte sie nicht richtig erkennen. Doch eine Sache war noch erstaunlicher als seine Erscheinung ohnehin. Und das waren seine Augen. Sie waren stahlgrau und leuchteten sie beinahe an.
„Hallo.“, brachte Macy heraus und wollte sich am liebsten gleich ohrfeigen. Sie klang genauso nervös, wie sie sich fühlte.
Warum noch gleich, hatte sie Jenna diese Aufgabe abgenommen? Schließlich wusste sie, dass sie nicht sonderlich gesellig war, geschweige denn war ihre Anwesenheit überhaupt erwünscht. Macy schluckte und verdrängte die Gedanken, die sich in ihrem Kopf auftürmen wollten.
„Ich wollte diese Hose zurück geben.“, redete sie einfach weiter. Doch schon währenddessen kam ihr ein Gedanke, der sie noch nervöser machte.
Die Hose gehörte weder ihr, noch würde sie in diese je im Leben passen. Und darauf würde der Kerl jeden Moment auch kommen.
Macy stützte sich auf dem Tresen ab, in der Hoffnung, es würde lässig aussehen.
„Das ist schade.“, sagte der großgewachsene Kerl und kam dabei auf Macy zu. Er blieb jedoch nicht, wie erwartet hinter dem Tresen stehen, sondern ging an diesem vorbei.
„Doch da kann ich Ihnen leider nicht helfen. Mir gehört der Laden nicht.“ Seine Stimme war tief und sorgten dafür, das die feinen Härchen in Macys Nacken sich aufstellten. Sie hatte noch nie einen solchen Mann gesehen. Er wirkte verboten, sogar ein wenig gefährlich und dann diese Augen.
Ihr gegenüber hob eine Augenbraue, als sie nichts sagte, was Macy die Hitze ins Gesicht trieb.
„Aber Sie-.“, begann sie und wies auf die Tür, aus der er zuvorgekommen war.
„Ich werde Lan bescheid sagen.“ Der Fremde stiefelte einfach weiter an Macy vorbei, auf eine große Tür zu, die sich die ganze Zeit in ihrem Rücken befunden hatte. Diese hatte sie allem Anschein nach übersehen.
„Übrigens.“, richtete er sich noch einmal an sie und lächelte schief.
„Ich bin Grey und du?“ Verdattert sammelte sie ihre Gedanken und brauchte zwei Sekunden, bevor ihr, ihr eigener Name wieder einfiel.
„Macy.“, antwortet sie und versuchte sich ebenfalls an einem Lächeln. Vermutlich hielt er sie für eine totale Idiotin!
„Macy.“, wiederholte Grey. Ihren Namen aus seinem Mund zu hören klang fast schon verboten. Macys Herz geriet immer wieder ins Stolpern. Und sie fühlte sich plötzlich beinahe einsam, als Grey durch die große Tür verschwand. Für den Bruchteil eines Augenblicks war Musik und Stimme zu ihr herübergedrungen.
Anscheinen befand sich auf der anderen Seite wirklich eine Bar.

Als die Tür sich erneut öffnete, trat nicht Grey zu ihr. Und Macy schollt sich selbst dafür, dass sie es im Stillen gehofft hatte.
„Sie wollen etwas zurück geben?“ Der Mann der ihr nun gegenüber trat trug ebenfalls ein dunkles Shirt und eine dunkelblaue Jeans. Über seinem Shirt hatte er eine Kutte. Als er an ihr vorbeiging, konnte sie Nightbreakers auf seiner Kutte stand. Die Schrift des Namens verlief in einem Bogen über den Rücken und darunter war ein Rabe abgebildet, der dem am Springbrunnen ziemlich ähnlich sah.
„Ähm, ja, sie ist zu klein.“ Macy log, denn eigentlich war sie zu groß, zumindest für Jenna, die mit Sicherheit keine Probleme mit ihrer Figur hatte. Doch sie wollte weder zugeben, dass es nicht ihre war. Noch wollte sie den Anschein erwecken, dass sie sich über ihr Gewicht anlog.
Der Mann seufzte. Dann nahm er Macy die Hose und den Kaufbeleg ab und gab etwas in die Kasse ein.
„Das ist wirklich schade.“, sagte er und sah sich die Hose, die zu allem übel auch noch eine kurze Shorts war, noch einmal an.
„Eigentlich hatten wir schon geschlossen.“ Macy schnürrte es den Magen ab, bei seinen Worten.
„Das wusste ich nicht, an der Tür hing kein Schild.“ Ein Lächeln bildete sich auf den Lippen ihres Gegenübers und er nickte.
„Ist schon in Ordnung, ich hatte vergessen es aufzuhängen. Heute ist Greys Geburtstag, daher war alles etwas chaotisch.“ Macy fühlte sich schlecht. Sie war anscheinend in eine Geburtstagsfeier hinein gestolpert und hatte gestört.
„Das tut mir leid. Ich werde auch gleich wieder verschwinden.“ Ihr Gegenüber blickte auf und sein Blick schien sie zu analysieren. Dann jedoch lachte er auf und mit einem Klingeln öffnete sich die Kasse.
Er nahm Geld heraus und überreichte es ihr.
„Grey hat mich gebeten, Sie zu fragen, ob Sie vielleicht noch für eine Weile blieben wollen.“ Das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht. Und abermals stolperte Macys Herz.
„Aber ich kenne niemanden und niemand mich.“ Sie erhielt ein Nicken und der Mann kam wieder hervor und stellte sich vor sie. Als er ihr die Hand reichte, konnte sie ihn nur verwundert anstarren.
„Landon Berry. Und du bist Macy, hat Grey mir schon erzählt.“ Sprachlos nahm Macy Landons Hand und schüttelte sie.
„Freut mich.“, stammelte sie, weshalb Landon wieder lachte.
„Nenn mich einfach Lan. Steck dein Geld weg und dann folge mir.“ Lan ging voraus, zu der Tür, hinter der zuvor Grey verschwunden war und durch welcher er gekommen war.
Macy tat, was er sagte, verstaute das Geld und schob ihr Portemonnaie in ihre Handtasche.
„Wenn es dir nichts ausmacht, kannst du deine Tasche hier lassen, ich werde auch abschließen.“ Lan wirkte freundlich, doch Macy wollte sich nicht zu schnell täuschen lassen und schüttelte den Kopf unsicher.
„Keine Sorge, wenn etwas verschwindet, du weiß meinen Namen und wo ich arbeite.“ Macy schmunzelte, denn irgendwie schaffte Lan es, dadurch sie aus der Reserve zu locken.
„Gut.“ Sie stellte ihre Tasche hinter den Tresen und folgte dann Landon durch die Tür.
Zuerst sah sie nur ein paar Tische. An einigen waren Stühle, andere waren Stehtische. Rechts von ihr befand sich eine Bar. Mit ein paar Schritten in den Raum hinein sah sie, dass es eine Eckbar war, die größer war, als zuerst gedacht. Und bei genauerer Betrachtung erkannte sie, dass das Holz, aus dem die Bar bestand, das gleiche sein musste, wie im Verkaufsraum. Macy blickte zurück und sah, dass das Holz ganz einfach nur durch die Wand abgetrennt worden war.
Es war laut, Musik dröhnte aus Boxen.
Lan wies sie an ihm zu folgen und sie entfernten sich etwas von den Boxen. Als sie nach rechts abbogen, wo der Raum größer wurde und die Bar weiter ging, machte Macy eine Tanzfläche aus, auf der sich einige Paare befanden.
Sie tanzten, nicht Traditionelles, eher etwas wilder, wie in einer Diskothek. Aber ihr gefiel es auf Anhieb, auch wenn sie nicht den Drang verspürte, sich ihnen anzuschließen. Das jedoch schlug Landon ihr keine zwei Sekunden später vor.
„Tanzen ist nicht so meine Stärke.“, erwiderte sie deshalb. Landon führte sie dann einen Tisch mit zwei Stühlen heran.
Die Bar war ziemlich voll, Stimmen drangen hier und da an ihre Ohren. Jedoch war die Musik so laut, dass Macy nichts verstehen konnte.
Auf dem Weg zu dem Tisch mussten sie sich den restlichen Weg etwas erkämpfen, da die Feiernden immer enger beieinanderstanden.
Macy fühlte sich mit jedem Schritt unwohler in ihrer Haut. Das alles wurde nur durch die Feierlaune, die sie ansteckte, abgemildert. Und irgendwie hoffte sie, sie würde noch die Gelegenheit bekommen Grey zu gratulieren.
Als sie endlich am Tisch saß, verabschiedete sich Landon von ihr.
„Jetzt sollte ich das Schild vielleicht wirklich aufhängen, sonst verierrt sich noch der nächste zu uns.“ Er grinste sie breit an und ließ sie dann allein.

Die Stimmung war gut und ausgelassen, sodass Macy sich ein wenig um sah. Es gab eine kleine Bühne, auf der sogar eine Gitarre und ein Schlagzeug standen. Allerdings fand sie, dass beides aussah, als wäre es kaum genutzt worden.
Die Gäste hatten alle ähnliche Kleidung an. Dunkel, einige mit Kutten und Westen. Und viele von ihnen hatten Tattoos.
Bei einer Frau mit langem schwarzen Haar, das zu einem geflochtenen Zopf gebunden war, blitzte immer wieder etwas von ihrem Körperschmuck hervor. Alles in allem fand Macy, das sie fehl am Platz war. Nicht nur, dass sie ganz anders gekleidet. Auch die Stimmung, die zwar auf sie übersprang, war ihr ziemlich fremd. Sie sah ein paar Männer miteinander scherzen und zwei von ihnen lieferten sich ein Gerangel. Doch das Lachen, das von den Frauen und Männer zu ihr herüber drang signalisierte, freundschaftliche Ausgelassenheit.
Seufzend wendete Macy ihnen den Rücken zu. Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Niemand nahm Notiz von ihr, was jedoch sehr wahrscheinlich der Anzahl der Anwesenden geschuldet war. Und doch schüchterten die Frauen sie ein.
Ihr innerer Schweinehund war dabei Anlauf zu nehmen und sie wieder einmal niederzuringen. Denn die Frauen waren gutaussehend und hatten eine wirklich tolle Figur. Natürlich gab es hier und da auch welche, die etwas Kurviger waren. Doch Macy sah auch ihr tatsächliches Alter. Und das überstieg ihres um einiges.
„Du bist ja noch da.“, erklang eine tiefe Stimme neben ihr. Verwundert wendete Macy den Blick zu dem Ankömmling. Grey.
„Ja, Landon hat gesagt, du hättest gefragt.“ Verunsichert sah Macy, wie sich auf Greys Gesicht ein Grinsen bildete, das ihr beinahe Schnappatmung bereitete. Wieso fand sie diesen fremden Kerl nur so toll? Sie kannte ihn doch gar nicht.
„Hat Lan das?“, fragte er. Ihr Herzschlag setzte aus?
„Wenn ich nicht- also ich wollte nicht stören. Er meinte nur-“
„Ganz ruhig, war nur ein kleiner Spaß. Möchtest du eventuell mit mir tanzen?“ Aufgrund des Themenwechsels konnte Macy ihren Gegenüber, der sich mit einer Hand auf den Tisch stützte und mit der anderen auf der Lehne ihres Stuhls, erst nur sprachlos ansehen.
„Ich kann nicht tanzen.“, gab sie jedoch zu bedenken und schob sich eine verirrte Strähne, ihres braunen Haares hinters Ohr.
„Tut mir wirklich leid aber heute akzeptiere ich kein Nein.“ Grey schenkte ihr abermals ein Lächeln, ergriff ihre Hand, die unruhig auf ihrem Bein gelegen hatte. Macy durchzuckte es wie ein Blitzschlag. Doch Grey wirkte weiterhin ganz entspannt, als er sie vom Stuhl auf die Beine zog und zur Tanzfläche herüber. Es war keine richtige Tanzfläche, aber die freie Fläche wurde dafür genutzt.
Macy sah sich um, hier und da stieß sie leicht gegen die anderen, die kaum Notiz von ihr nahmen.
Grey blieb stehen und zog Macy zu sich heran. Sie waren sich deutlich näher und sie konnte einmal sogar sein Atem an ihrer Stirn spüren. Sofort stieg ihr sein Geruch in die Nase. Herb, würzig und frisch. Etwas dass sie gleich ruhiger werden ließ. Auch wenn ihr Herz und ihr Verstand gegeneinander arbeiteten.
Grey nahm eine ihrer Hände in seine und die andere legte er Macy auf die Taille. Diese zuckte unter dieser unerwarteten Berührung zusammen.
Grey reagierte nicht darauf, dennoch zog Macy etwas den Kopf ein. Sie war angespannt wie ein Flitzebogen und ihre Kehle war staubtrocken.
Grey begann mit ihr einen klassischen Tanz, der zu der Musik aus den Boxen überhaupt nicht passte. Er war mehr als einen Kopf größer als Macy, weshalb sie auf seine Brust starrte und versuchte ihm nicht auf die Füße zu treten.
„Nicht so angespannt, Nutz die Zeit in der niemand weiß wer du bist.“, sagte Grey und hatte sich zu ihr vorgebreugt. Sein Atem striff ihr Ohr und ein Schauer überlief sie, wie eine Welle.
„Heute Abend kannst du die schüchterne Macy draußen warten lassen.“ Seine Stimme kitzelte ihr Ohr und sie blickte auf in seine stahlgrauen Augen. Dann nickte sie.
Sie tanzten eine Weile und irgendwann waren sie dazu übergegangen genauso ohne richtiges Ziel, wie die anderen zu tanzen.
Macy blendete aus, dass sie sich unsicher gefühlt hatte. Den Auch wenn Grey immer noch ein kribbeliges Gefühl in ihr auslöste und sie sich von ihm angezogen fühlte, schaffte er es ihr diese Unsicherheiten zu nehmen, die in ihr schlummerten.

Erstaunt stellte sie nach einer Ewigkeit fest, dass sie womöglich das erste mal in ihre Leben richtig Alkohol trank. Grey und sie waren ab und zu an die Bar verschwunden und hatten zusammen mit seinen Freunden ein paar Bier oder auch einen Shot getrunken.
Die Stimmung war ausgelassen und Macy fühlte sich unglaublich gut. Sie versuchte die ganze Zeit Greys Nähe zu suchen und er schien nicht weniger an ihr interessiert zu sein.
Lan, den sie schon kannte, stellte ihr, zusammen mit Grey, noch ein paar andere Leute vor.
Josie, die nur Jo genannt werden wollte, war Landons Freundin. Dann gab es noch Adam, Cassie, Graham und James. Einige von ihnen waren älter, sogar älter als Landon, waren jedoch genauso gut drauf wie der Rest.
Alles in allem fühlte Macy sich gut in der Gruppe. Vor allem aber in Greys Nähe.
Doch irgendwann musste alles enden und die Feier wurde, je später es wurde, immer ruhiger.
Die meisten waren schon gegangen.
„Hat mich gefreut dich kennenzulernen.“, sagte Jo an Macy gerichtet und zwinkerte ihr zu. Mit einem Winken verabschiedeten sie und Lan sich von ihnen.
Es waren nur noch sie, Grey und Graham da, wobei Letzterer hinter der Bar aufräumte.
„Wir sehen uns Graham.“, verkündete Grey und zog die ratlose Macy hinter sich her. Er legte einen Arm um ihre Schulter, was wie schon oft an diesem Abend eine kleine Schockwelle durch ihren Körper jagte.
Die beiden gelangten zurück in Landons Geschäft und Macy schnappte sich ihre Handtasche. Grey lehnte derweil am Tresen und sah sie mit unleserlichem Blick an.
Schüchtern schenkte sie ihm ein Lächeln, das er erwiderte.
„Ziemlich verrückter Abend.“ Macy nickte auf seine Worte, hängte sich die Tasche über die Schulter und ließ sich von Grey zu Ladentür begleiten.
„Ja, sehr verrückt. Aber schön.“ Es war schon dunkel, stockfinster sogar, daher konnte Grey nicht sehen, dass Macy das Blut in die Wangen schoss.
An der kühlen Nachtluft zog Grey die Tür hinter ihnen zu und schloss ab.
„Bist du mit deinem Auto hier?“, fragte Grey, als er sich wieder zu ihr umdrehte. Die Angesprochene nickte irritiert, bevor sie sich selbst beim Lügen erwischte.
„Steht nicht weit von hier.“ Grey nickte schlicht, richtete sein Shirt und zusammen gingen sie die wenigen Stufen hinab. Davor blieben beide einen Moment stehen, bevor Grey eine Hand auf Macy Schulter legte.
„Freut mich wirklich, dass du heute mitgefeiert hast.“, sagte er und lächelte. Selbst in der Dunkelheit regte dies etwas in ihr.
„Naja, man lernt als Kind zwar, niemals mit Fremden mitzugehen. Aber eigentlich bin ich froh, dass ich es doch getan habe.“ Grey lachte über ihre Worte.
„Nun, alles gute zum Geburtstag.“ Das Lächeln blieb fest auf Greys Zügen und Macy wusste kaum, wohin sie sehen sollte, so aufgeregt machte sie allein seine leichte Berührung an ihrer Schulter.
„Der ist schon wieder vorbei.“ Bei seiner Erwiderung blickte er kurz auf sein Handy, das eilig wieder in seiner Hosentasche verschwand.
„Aber wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mir trotzdem gerne etwas von dir wünschen.“ Macy konnte selbst in der Finsternis sein strahlende Lächeln sehen. Was wohl aber auch dem Umstand geschuldet war, dass sie einander so nahe standen.
„Gerne.“, sagte sie und hoffte, das gute Gefühl, das er ihr bescherte, würde nicht so schnell verfliegen.
Statt jedoch seinen Wunsch in Worten zu formulieren, blickten seine Augen sie fest an, während er sich ihr weiter näherte. Sein Gesicht kam ihrem so nahe, dass sie seinen Atem auf ihrem spürte.
Macy zuckte etwas zurück, von neuer Unsicherheit überschwemmt. Die Gefühle prasselten auf sie ein und sie wusste kaum noch, wo ihr der Kopf stand.
„Ganz ruhig.“, sagte Grey, seine Stimme, so dicht, dass ihr Körper mit Gänsehaut darauf reagierte.
Dann berührten sich ihre Lippen. Zuerst war es ein beinahe keuscher Kuss, als wäre es ein seichtes Kennenlernen und erkunden. In Macy tat sich etwas, als würde ein Feuerwerk in ihr explodieren. Ihr Verstand sagte ihr zwar, dass es dumm war, sich von einem beinahe Fremden küssen zu lassen. Doch sie hatte es sich nie so schön ausgemahlt. Denn es war ihr erster Kuss.
Sie seufzte an Greys Lippen. Daraufhin grinste er an ihren Lippen, bevor er sie an der Taille näher zu sich zog und der Kuss an.
Macy merkte, trotz ihrer Unerfahrenheit, dass der Kuss eine ganze bestimmte Richtung einschlug. Und als würde Grey es ebenfalls spüren, löste er den Kuss auf. Jedoch lehnte er seine Stirn gegen ihre.
„Wieso warst du gerade heute genau hier?“, fragte er und es klang, als würde diese Frage keine Antwort bedürfen. Dennoch tat Macy es.
„Weil meine Freundin Jenna keine Zeit hatte, ihre Hose selbst zurückzugeben.“ Grey lachte kurz, zog Macy wieder zu sich heran und schenkte ihr einen letzten, langen Kuss, bevor er sie wieder freigab. So standen sie sich gegenüber und Macy wusste nicht, was sie tun sollte.
„Die Frage ist jetzt nur, für wen von uns, der Kuss ein Geschenk war.“ Sie spürte zwar wieder die Hitze in ihrem Gesicht, doch der Alkohol den sie heute zusammen mit Grey und seinen Freunden getrunken hatte, machte es fast nebensächlich. Ihr schwirrte der Kopf. Doch ob es vom Alkohol oder von Grey Kuss kam, wusste sie nicht zu entscheiden. Vielleicht auch beides.
„Es ist schon spät, du solltest nach Hause. Nachts lungern hier zwielichtige Gestalten herum.“, sagte Grey dann plötzlich ernster. Irritiert nickte Macy und schenkte ihm noch ein Lächeln.
„Danke für den Abend, das Tanzen und- alles.“ Sie war immer noch etwas überwältigt von allem. Ein Nicken ihres Gegenüber zog sie zurück aus den Gedanken.
„Ich danke dir. Es war wirklich schön. Gute Nacht Macy.“ Macy erwiderte es, wendete sich dann schweren Herzens ab. Denn es fühlte sich an, wie ein Abschied für immer.
„Macy?“, rief ich Grey hinterher, als sie bereits einige Schritte gegangen war. Sie drehte sich zu ihm um und konnte ihn nur noch ausmachen, da das entfernte Licht eine Straßenlaterne auf ihn fiel.
„Glaubst du an das Schicksal?“, fragte er und selbst auf diese Entfernung und in der Dunkelheit, glaubte Macy, dass seine stahlgrauen Augen leuchteten.
„Ja, das tue ich.“ Sie antwortete ehrlich. Auch wenn für sie der Beweis einer schicksalhaften Macht, nie wirklich gut gewesen war.
„Und du?“, wollte sie dann wissen, um diese Gedanken abzuschütteln.
„Seit heute schon.“

Kapitel 2

 

„Tut mir leid, wir sind im Moment eher überbesetzt durch die Erstsemester.“, sagte die junge Frau hinter dem Tresen und wischte gerade mit einem Putzlappen darüber. Macy ließ die Schultern hängen. Es war die fünfte Absage an diesem Tag. Nichts schien zu funktionieren.
Erst war irgendwie ihr Wecker nicht angesprungen und sie hatte eine Stunde verschlafen. Das hatte dafür gesorgt, dass sie natürlich zu spät war, um noch irgendein Job für die Semesterferien ergattern zu können.
„Alles klar, danke trotzdem.“ Sie konnte nichts anderes tun als es hinzunehmen und den Rückzug anzutreten.
„Versuch es eine Straße weiter, in der Buchhandlung.“ Nickend nahm sie das Angebot der Bedienung entgegen. So verließ sie das Restaurant und hielt davor inne.
Dass sie bereits in der Buchhandlung nachgefragt hatte, hatte sie natürlich für sich behalten. Und allmählich gingen ihr die Ideen aus. Nicht nur die, sondern nach erneuter Rechnung wurde ihr klar, dass sie nicht das ganze restliche Jahr mit ihrem Ersparten überbrücken konnte. Sie musste schließlich irgendwie über die Runden kommen. Ihr Auto, das bereits seit drei Wochen vor ihrem Elternhaus stand und dringend eine Reparatur nötig hatte, war ebenfalls etwas, das ein Loch in ihre Ersparnisse fressen würde. Natürlich könnte sie ihre Mutter nach Geld fragen, denn ihr und ihrem neuen Freund ging es sehr gut in England. Doch auch das wollte Macy nicht.
Sie atmete tief durch und machte sich dann auf den Weg nach Hause. Heute war sie schon lange unterwegs und sie war bereits so niedergeschlagen, dass sie nicht mehr den Mut hatte, weiter zu machen.

An ihrem Elternhaus, das sie allein bewohnte, stand wie ein schlechtes Omen ihr Cadillac Cimarron. Der Wagen war nicht nur mehr als doppelt so alt wie Macy, der Motor sprang nicht mehr an und er war das Letzte, das übrig geblieben war von ihrem Vater. Diesen hatte sie nie kennengelernt, zumindest konnte sie sich nicht an ihn erinnern. Er war einfach verschwunden, als sie gerade drei Jahre alt gewesen war. Seitdem war sie und ihre Mum allein zurechtgekommen. Und jetzt war nicht mal mehr ihre Mutter da. Diese war zu ihrem Freund Liam nach London gezogen.
Seufzend schloss Macy auf. Ihre Stimmung war auf dem Tiefpunkt angelangt. Die Tür schmiss sie hinter sich wieder ins Schloss und blieb dann an Ort und Stelle stehen. Der Knall, der ertönte als die Tür ins Schloss fiel, hallte im Haus wider, was Macy nur mehr bestätigte, dass sie allein war.
Jenna ginge es finanziell gut und sie studierte weiter. Ihre Eltern würden auch niemals zulassen, dass ihre Tochter in einer WG lebte. Nein, Jenna wohnte in einer eigenen kleinen Wohnung. Zumindest erzählte Jenna ihr immer, wie klein sie diese fand. Und dabei war diese für eine Person allein riesig.
Macy streifte sich ihre Schuhe von den Füßen und schlürfte dann zum Sofa im Wohnzimmer herüber. Sie schaffte es gerade noch dort hin, bis sie sich fallen ließ, in die Polster fiel und hemmungslos anfing zu weinen.
Es war so ungerecht. Ihre Mitstudenten hatten kaum die Probleme, mit denen sich Macy herumschlug. Das jedoch lag vielleicht daran, dass die University of Law meistens nur Gutbetuchte zuließ. Da ihre Mutter früher bei einem Anwalt gearbeitet hatte, mit dem sie sich gut verstand und dieser an der Uni unterrichtete, hatten sie es geschafft, dass Macy diese Uni besuchen konnte.
Doch ihr Studium war bis auf weiteres auf Eis gelegt. Sie konnte es nicht mehr bezahlen. Doch wenn sie bis Mitte des nächsten Jahres keine Lösung für ihre Probleme gefunden hatte, würden die ersten beiden Semester, die sie bereits absolviert hatte umsonst gewesen sein. Und das wären ebenso Kosten, die sie unnötig gehabt hatte.
Das Klingeln ihres Handys riss Macy aus ihrem Selbstmitleid und sie zog die Nase hoch, bevor sie abnahm.
„Ja?“
„Macy, hast du noch geschlafen? Du klingst nicht gut.“ Jenna am anderen Ende klang, als wäre sie überaus erschrocken.
„Nein ich habe nicht geschlafen, mir gehts nicht so gut.“, erwiderte Macy und versuchte, dabei nicht so verweint zu klingen, wie sie womöglich aussah.
„Naja, dann ist es vielleicht keine schlechte Idee, dass ich gleich vorbei komme. Du hast ja das Geld für die Hose zurück bekommen, oder?“ Und noch viel mehr als das hatte sie an dem Abend bekommen, weil sie Jennas Hose zurückgebracht hatte.
„Ja.“ War jedoch ihre schlichte Antwort.
„Dann bis gleich.“ Jenna hatte aufgelegt und erschöpft legte Macy das Handy auf den Tisch vor dem Sofa.
Wenn Jenna sagte, sie würde vorbei kommen, dauerte es meistens nicht lang, bis sie vor der Tür stand. Deshalb raffte Macy sich auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und marschierte dann ins Bad, um die Spuren ihrer Verzweiflung zu vertuschen.

Als Jenna dann da war, hatte Macy sich etwas hergerichtet und ihre Traurigkeit hinter einer kleinen Schicht Make-up versteckt. Sie saß zusammen mit Jenna und einer Tasse Tee im Wohnzimmer und hörte ihrer Freundin dabei zu, was für sie im nächsten Semester anstehen würde.
„Mrs. Willson hat uns gebeten uns etwas zu überlegen, was vielleicht das Interesse einiger Unternehmen auf uns ziehen könnte.“, sagte sie. Ihre braunen Augen schimmerten dabei, als sie an die Situation zurückdachte.
Macy nahm einen Schluck aus ihrer Tasse und versuchte, ihrer Freundin zuzuhören. Doch an diesem Tag fiel ihr beinahe sogar das Atmen schwer.
„Wo bist du mit deinen Gedanken Macy?“ Jenna, der es wohl nun ebenfalls auffiel, hielt in ihrer Erzählung inne.
„Nichts wichtiges.“, winkte sie jedoch ab.
„Du siehst sehr schelcht aus, hast du überhaupt geschlafen? Was ist gestern passiert? Du bist so aufgekratzt und kannst nicht mal still sitzen.“ Es klang, wie Vorwürfe doch Macy wusste, dass Jenna sich wirklich Sorgen machte. Und allein durch ihre Frage trieb sie den gestrigen Abend an die Oberfläche. Den ganzen Tag hatte sie ihn gekonnt verdrängt. Doch jetzt war alles wieder da und auch ihre Emotionen schienen überzukochen. So sehr dass Macy an sich halten musste, nicht wieder in Tränen auszubrechen. Jenna stand von dem Sessel, in dem sie saß auf und setzte sich neben ihre Freundin, um sie in eine Umarmung zu ziehen.
Der Knoten löste sich und Macy weinte, denn sie hatte kaum mehr die Macht, ihren Gefühlen einhalt zu gebieten.
„Hat dir jemand etwas getan?“, wollte Jenna wissen. Doch sie wusste nicht, dass es weniger an dem Abend in der Bar lag, als dass ihre finanziellen Sorgen sie zu erdrücken schienen. Trotzdem wollte sie Jenna vom Gestriegenabend erzählen und von Grey und seinen Freunden. Vor allem aber von ihm.
„Das Geschäft grenzt an eine Bar.“, begann sie also. Jenna nickte wissend und tätschelte Macy weiter den Rücken. Es war genau das, was Macy jetzt brauchte, jemanden der sie tröstete und mit dem sie reden konnte.
„Naja ich bin dort jemanden begegnet, den ich fälschlicherweise für den Inhaber des Ladens hielt. Doch er war es nicht. Nachdem jedoch der Besitzer kam und die Hose zurück nahm, lud man mich ein mitzufeiern.“ Jenna rückte etwas ab, damit sie ihrer Freundin in die Augen sehen konnte.
„Was war das denn für eine Party?“ Das entlockte Macy dann doch ein Schmunzeln. Eine Party ohne Jenna? Das war unvorstellbar.
„Derjenige den ich für den Ladenbesitzer hielt hatte Geburtstag.“ Nun schien ihre Freundin zu verstehen, dennoch wechselte das Verständnis zu irritiert.
„Du hast echt mit denen gefeiert? Ist das nicht eine Bikerbar?“ Jenna zog die Augenbrauen zusammen. Doch Macy dachte in diesem Moment nur an diese stahlgrauen Augen und an den Kuss.
„Du hast jemanden kennengelernt.“, schlussfolgerte deshalb ihr Gegenüber.
Macy grinste ertappt.
„Er heißt Grey.“
Nachdem Macy ihr ausführlich erklärt hatte, was auf der Party passiert war, gelangten sie langsam an das Ende des Abends.
„Hat er dich nach Hause gebracht?“ Das dies die Frage war, die Jenna als Erstes in den Sinn kam, brachte Macy zum Lachen. Sie hielt sich nach wenigen Sekunden den Bauch, schüttelte jedoch den Kopf.
„Nein aber er hat mich geküsst.“ Danach war Jenna baff. Nach dieser Offenbarung geriet Macy in einen Redefluss und brachte endlich zum Ausdruck, das Grey ihr voll und ganz, an nur einem Abend, den Kopf verdreht hatte. Und während ihre Freundin lauschte, wurde es immer später. Über all ihre Sorgen zerbrach sie sich für diesen Augenblick nicht mehr den Kopf und war voller freudiger Aufregung.
„Wann seht ihr euch wieder?“, fragte Jenna nach einer gefühlten Ewigkeit. Diese Frage war simpel, dennoch verpasste sie ihrer Freude einen Dämpfer.
„Ich weiß nicht, schließlich kennen wir uns nicht wirklich und ich glaube nicht dass ich in dieser Bar noch etwas zusuchen habe.“ Das ließ Jenna nicht auf sich sitzen und schüttelte energisch den Kopf.
„Nichts da, du lässt dir diesen Typen bestimmt nicht entwischen. Er hatte ganz offensichtlich Interesse an dir.“
„Ja aber er hatte auch offensichtlich einiges getrunken.“, erwiderte Macy. Doch auch dieses Argument ließ ihr Gegenüber nicht gelten. Und so entschied Jenna kurzerhand, dass sie am Wochenende dafür sorgen würde, das Macy herausgeputzt in diese Bar gehen würde, um Grey ‚aufzureißen‘.

Gesagt getan. Am Freitagabend kam Jenna nach ihrer letzten Lesung direkt zu Macy nach Hause. Sie hatte allerlei Dinge in ihrem Auto, das ihre Wirkung im Bereich für Mode, Make-up und Co. nur noch verstärkte. Zumindest fand Macy, dass Jenna in ihrer Rolle aufzugehen schien. Nachdem sie einen Koffer mit Schminkutensilien ins Wohnzimmer verfrachtet hatte, folgte noch eine Tasche, mit Macy bisher fremden Inhalt. Denn zu ihrem Ärger wollte ihre beste Freundin den Inhalt noch geheim halten. Nach einer Tasse Kaffee setzte Macy sich dann wieder zu ihrer Freundin. Denn den Koffeinkick brauchte sie. Sie hatte in den letzten Tagen nicht gut geschlafen. Doch sie hatte es geschafft, erfolgreich ihre Sorgen zu verdrängen. Dass das jedoch gut war, wagte, sie zu bezweifeln.
Jenna hatte zwei Stühle aus dem Esszimmer geholt. Auf einen hatte sie Macy gedrängt und auf dem anderen nahm sie platz. Mit Cremes, Make-up und Pinseln in verschiedenen Größen bewaffnet, ging sie ans Werk.
„Ist das wirklich nötig?“, fragte Macy nach einer Weile. Ihr tat der Nacken weh vom Stillhalten. Immer wieder hatte ihr Gegenüber sie dazu angehalten, sich ja nicht zu bewegen.
„Natürlich, ich denke nicht das du in Schlabberhose und Pulli hin willst.“ Damit schien Jenna das Thema abzuhaken. Doch Macy nicht.
„Ich war beim letzten Mal auch nicht aufgetakelt. So erkennt er mich ja gar nicht.“ Pikiert hielt Jenna inne und streifte sich ihre dunklen Haare zurück.
„Ich verkleide dich doch nicht als jemanden, der du nicht bist Süße. Ich hebe doch nur deine Schönheit hervor!“, sagte sie und sah ihre Freundin dabei tadelnd an. Diese rümpfte die Nase. Denn zu der schönen Sorte Mensch zählte sie sicherlich nicht. Sie hatte ein paar Kilo zu viel, hatte nicht so schöne lange Haare wie Jenna. Ihre eigenen gingen ihr ein Stück über die Schultern und waren lockig. Doch leider nicht die schöne Sorte Locken. Nein, es waren eher Wellen, wodurch ihre Haare sich jeden Morgen vor dem Kämmen anfühlten und aussahen wie ein Vogelnest.
Trotzdem hielt Macy danach den Mund und ließ Jennas Programm über sich ergehen, bis sie zufrieden war. Und als genau dies eintraf, holte ihre beste Freundin die sagenumwobene Tasche hervor.
Heraus zog sie eine schwarze Bluse und eine ebenso schwarze Jeans. Beides sah wirklich gut aus. Aber vermutlich war es auch teuer gewesen.
„Bitte sag mir, dass du kein Geld für mich ausgegeben hast.“, flehte Macy und strich sich nervös über die Stirn. Jenna dagegen hob eine Augenbraue.
„Wieso sollte ich für meine beste Freundin kein Geld ausgeben?“ Macy fielen ziemlich viele Gründe ein, wieso sie es nicht tun sollte. Zum einen, weil sie nicht das Gefühl vermittelt haben wollte, dass sie sich so teure Dinge nicht leisten konnte, in ihrer Situation. Zum anderen aber auch, war ihr ohnehin dieser Aufriss um diesen Abend unangenehm genug. Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen war nun also, das man ihr Kleidung gekauft hatte, die sie nicht bezahlen konnte. Und damit sollte sie sich zufriedengeben.
„Danke.“, antwortete sie jedoch gegen ihren Verstand. Denn eine Stimme sagte ihr, dass sie Jenna, trotzdessen, das sie nicht darum gebeten hatte, danken musste. Sie war in den letzten Tagen immer für sie da gewesen, wenn es ihr schlecht gegangen war. Immer hatte sie ihr zugehört und versucht, ihr Rat zugeben.

Nachdem sie nun die Bluse, die Hose und sogar Ballerinas in der passenden Farbe von Jenna verpasst bekommen hatte, war ihre Frisur dran gewesen.
Doch bei dieser hatte ihre Freundin sich damit begnügt, sie leicht hochzustecken. Denn laut ihren Worten sah sie ansonsten aus wie ein ‚Vogelflughafen‘.
Und nun waren sie da, bogen gerade um die Ecke, in eine Seitenstraße ein. Es war bereits dunkel und nur noch wenige Straßenlaternen spendeten Licht. Ansonsten hätte man sich sicherlich in der Dunkelheit verloren.
„Vielleicht ist er gar nicht da.“, versuchte Macy mit jedem weiteren Schritt das Unvermeidbare abzuwenden. Doch ihre Freundin hielt sie eisern fest und lächelte gutmütig.
„Er wird sicherlich da sein. Und ich habe mich erkundigt, diese Bar ist nicht nur für diesen geheimnisvollen Grey und seine Freunde da.“, verkündete sie und sie erreichten die beiden Türen.
„Sie haben für Gäste geöffnet. Manchmal spielt sogar eine Band.“ Die Stufen waren für Macys Geschmack zu wenige. Sie wäre lieber eine Treppe mit hundert Stufen hinauf gelaufen, als sich dieser Situation auszusetzen.
„Er hat mich zwar geküsst aber wir kennen uns doch gar nicht.“ Macy hörte ein Lachen neben sich.
„Das Süße, ist der Sinn hinter dem Kennenlernen. Außerdem hat er anscheinend einen ziemlichen Eindruck hinterlassen. Sieh dich an.“ Bei diesen Worten lagen Jennas Augen direkt auf ihr.
„Du strahlst schon allein dann, wenn man nur Greys Namen erwähnt.“ Das konnte sie nicht abstreiten, denn auch wenn die Nacht, in der er sie geküsst hatte, schon sechs Tage her war, so war die Erinnerung daran so präsent, als wäre sie erst vor wenigen Stunden erschaffen worden.
„Und wieso kommst du nicht mit?“ Jenna drückte sie kurz an sich und küsste ihre Wange.
„Mach dir nicht so viele Gedanken, es wird schon alles gut gehen. Und du erzählst mir morgen wie es war.“ Die beiden standen direkt vor der Tür. Von draußen hörte man bereits Musik und ein Gewirr aus Stimmen.
„Nightbreakers?“ Jenna hob pikiert eine Augenbraue und sah dann zu Macy herüber.
„Sind also wirklich Biker?“ Macy nickte schlicht, denn im Grunde war ihr das egal. Sie wusste nur, dass sie die Menschen, die sie kennengelernt hatte, freundlich fand und man sie ebenso aufgenommen hatte.
„Danke für deine Hilfe Jenna, ich melde mich.“ Macy überkam ein Drang, endlich hinein zu gehen. Und ihre Freundin schien den Wink zu verstehen. Sie umarmten sich, wobei Macy sie fest an sich drückte.
„Aber sei vorsichtig.“, sagte Jenna, als sie bereits die Stufen wieder hinuntergegangen war und Macy zuzwinkerte.
„Das wird sicher nicht passieren.“ Diese verdrehte die Augen und streckte ihrer Freundin die Zunge raus.
„Das hast du sicher auch über den Kuss gedacht. Als schnapp ihn dir!“ Die beiden lächelten sich noch einmal an, bevor Jenna von dannen zog.
Als Macy wieder allein war, wendete sie sich zur Tür um und atmete einige Sekunden immer wieder tief ein und aus.
„Du schaffst dass, er fand dich auch toll.“, redete sie sich selbst ein. Sie brauchte Bestärkung, denn sonst hätte sie wohl nie im Leben die Tür geöffnet.
Im Innern der Bar war viel los, deutlich mehr als beim letzten Mal. Macy sah sich neben der Bar mit einem Problem konfrontiert: Nicht nur, dass es wirklich unglaublich laut war, es war vor allem sehr voll und die Gäste standen alle so dicht beieinander, dass sie kaum vorbei kam. Sie musste sich hindurch kämpfen, wie durch einen Dschungel, doch bald erreichte sie den Tisch, an dem sie vor sechs Tagen bereits gesessen hatte. Dieser war zu ihrem Glück frei. Doch der Blick auf die Tanzfläche war dies kaum. Sie ließ ihren Blick dennoch schweifen und entdeckte Graham hinter der Bar. Mit ihm hatte sie zwar nicht sonderlich viel gesprochen, dennoch war er ihr, wie die meisten, sehr sympathisch gewesen.
„Hey Graham, erinnerst du dich noch an mich?“ Macy musste fast schreien, da sie sich selbst kaum verstand, so laut war es. Doch Graham sah auf, von der Bierflasche, die er gerade öffnete und sah sie einige Sekunden nachdenklich an. Graham war schon ende vierzig sein schwarzes, kurzes Haar hatte schon hier und da ein paar graue Strähnen. Sein Dreitagebart ließ ihn noch älter aussehen.
„Macy. Wie könnte man dich vergessen.“ Er grinste sie schief an und hielt ihr die Flasche hin.
„War eigentlich für mich selbst, kannste aber haben.“ Macy lächelte glücklich, als sie ihm die Flasche abnahm.
„Hast du Grey gesehen?“ Graham nickte nur zur Tanzfläche hinüber. Mit einem kleinen Winken verabschiedete Macy sich und drängelte sich zwischen den Menschen hindurch. Die meisten waren älter als sie. Einige sogar deutlich älter, so in Grahams Alter vielleicht. Doch die Stimmung war ausgelassen, hier und da lachten ein paar und Macy fühlte sich wohl, inmitten des Trubels. Denn genau hier, zwischen so vielen Menschen, fiel sie nicht auf. Dafür fiel Grey jedoch umso mehr auf. Seine stahlgrauen Augen, die von Macys Entfernung zu Tanzfläche hinüber strahlten. Sie war sich sicher, sie würde diese Augen unter tausenden erkennen. Sie freute sich überschwänglich, ihn zu sehen. Ihr Herz stolperte, nur um danach im doppelten Tempo weiter zu schlagen.
Doch nur Sekunden später fühlte es sich an, als würde sich eine Hand um ihr Herz legen und fest zudrücken. Sie blieb ruckartig stehen, nur noch zwei oder drei Schritte von der Tanzfläche entfernt und betrachtete mit Entsetztem Blick das tanzende Paar auf der Fläche. Grey wirbelte eine junge Frau herum, die dabei ein wunderschönes Lächeln auf den Lippen hatte. Ihr Haar war lang, schwarz und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihre Figur schlank und umschmeichelt durch einen Rock und ein enganliegendes Top.
Macy glaubte, ihr Inneres würde in wenigen Augenblicken komplett zu Eis gefroren sein. So sehr schockierte sie dieser Anblick. Und Grey, dessen Lachen man bis zu ihr hören konnte, setzte dem Ganzen die Kirsche auf.
Wie aus dem Nichts schien es, als das Lied zu Ende war und Greys Augen auf Macy fielen. Das versetzte sie in so einen Schock, dass sie sich wieder rührte, das Bier auf einem der Tische abstellte und so schnell sie konnte, das Weite suchte.
Wut über sich selbst breitete sich in ihr aus. Wieso nur hatte sie auf Jenna gehört? Grey war am Abend, als er sie geküsst hatte wahrscheinlich schon ziemlich betrunken gewesen. Außerdem kannten sie einander doch gar nicht, bis auf den Namen des jeweils anderen.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Vor allem wenn er so eine schöne Frau an seiner Seite hatte?
„Du bist so eine Idiotin!“, tadelte Macy sich selbst und hatte den Ausgang fast erreicht. Im hinteren Bereich waren nicht mehr so viel Leute zusammen gedrängt, sodass ihr Weg weniger beschwerlich war.
„Macy!“, ertönte dann Greys Stimme hinter ihr. Wie von der Tarantel gestochen wurde ihr Gang schneller und sie schlüpfte durch den Ausgang. Doch sie hatte nicht einmal die Hälfte der Stufen hinab geschafft, als sie am Arm gepackt und herumgerissen wurde. Mit großen Augen blickte sie hinauf in Greys Gesicht, dem sein Ärger offensichtlich anzusehen war.
„Was tust du hier?“, fragte er. Macy versetzte es einen Stich, denn die Frage konnte sie nicht beantworten. Doch es bestätigte auch, dass sie allem Anschein nach nicht erwünscht war.
„Ich-“, sagte sie, war aber nicht direkt im Stande den Satz zu Ende zu führen.
„Ich weiß auch nicht, ich gehe besser wieder.“ Sie wollte sich losreißen, doch Grey Griff war eisern und schmerzte sogar ein bisschen. Dennoch versuchte sie, sich nicht anmerken zu lassen, dass zu ihrer Enttäuschung auch noch leichte Angst mitschwang.
„Es tut mir leid.“ Grey schien von ihren Worten total überrascht zu sein und ließ sie endlich los.
„Ich hätte nicht kommen sollen.“ Sie drehte sich um und nahm die letzten Stufen, bis Grey sie wieder herumdrehte und an beiden Armen festhielt.
„Hättest du nicht, es kann gefährlich sein, hier um diese Zeit.“ Macy schlug seine Hände endlich weg und ging auf Abstand zu ihm. Sie war wütend, jedoch nicht nur auf sich.
„Ich gehe jetzt.“, sagte sie bestimmt und ging ein paar Schritte rückwärts, ohne das Grey sich regte.
„Hast du dein Auto hier?“ Sie wusste, sie sollte nicht lügen, doch ihr Ärger und ihre Enttäuschung waren groß genug, damit ihr dies im Moment egal war.
Als Macy dabei war sich umzudrehen, redete Grey endlich wieder. Auch wenn seine Worte ihr zusetzten.
„Du hast wohl zu viel in den Kuss hinein interpretiert.“ Sie hielt den Atem an und war stehen geblieben.
Sie hatte es gewusst ...
„Das war dumm von mir. Hätte ich vorher nachgedacht, hätte ich mir ziemlich viel dieser Demütigung erspart. Aber jetzt kenne ich ja dein Beuteschema. Gute Nacht Grey.“ Selbst seinen Namen auszusprechen tat ihr unglaublich weh. Und sie wusste, wenn sie jetzt nicht schleunigst verschwinden würde, könnte sie die Tränen, die bereits in ihren Augen brannten, nicht länger zurückhalten.
„Ich habe kein Beuteschema.“ Macy war bereits ein gutes Stück gegangen, um Abstand zu Grey zu gewinnen. Sie hätte ihrem Verstand vertrauen sollen und nicht herkommen dürfen.
Sie hörte seine Schritte hinter sich, die immer näher kamen, doch ihre Angst war verflogen, wie ihr Ärger. Nun war sie wieder Macy, das arme Mädchen, das sich selbst kaum leiden konnte.
„Macy bitte bleib stehen.“ Sie wirbelte herum, sodass er fast in sie hinein lief.
„Was hast du gemeint, als du mich gefragt hast, ob ich das Schicksal glaube?“ Es breitet sich eine zunehmend unangenehmer werdende Stille über ihnen aus. Grey wollte nicht darauf antworten.
„Weißt du was ich gehofft habe das du damit meinst?“ Macy versteckte nicht, wie tief sie verletzt war. Sie wusste, dass sie allem Anschein nach einfach naiv gewesen war. Trotzdem hatte er mit ihren Gefühlen gespielt. Und sie war hoffnungslos in einen Fremden verknallt, der nicht das Gleiche empfand.
Sein Blick wurde aufgrund ihrer zweiten Frage weniger verbissen, wurde sogar weicher.
„Ich habe gehofft dass du mich so toll findest, wie ich dich. Das ich vielleicht du Spaß mit mir hattest und sogar den Gedanken, mich kennenzulernen um zusehen, was daraus wird.“ Grey trat einen Schritt näher.
„Hör zu, ich mag dich, doch ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre, wenn wir uns kennenlernen würden.“, erwiderte er. Macy fühlte sich vor den kopfgestoßen. Sie konnte ihn nur sprachlos ansehen, bevor sie ihre Stimme wieder fand.
„Vollidiot!“, schimpfte sie, drehte auf dem Absatz um und stapfte davon.
Sie war wieder so wütend, auf sich selbst und auf Grey, weil er mit ihr gespielt hatte. Und Grey ließ sie gehen. Ohnehin wäre es sinnlos gewesen. Macy war bereits jetzt am Boden zerstört. Als sie an der Straße ankam, warf sie einen Blick über die Schulter, doch Grey war nicht mehr da.
Enttäuscht richtete sie ihren Blick wieder nach vorne und rief ein Taxi.

Kapitel 3

 

Die Tage vergingen und aus einem Tag wurde eine Woche. Macy hatte Jennas Versuche, sie aufzumuntern, ignoriert, so gut sie konnte. Denn ihre letzte Begegnung mit Grey ließ sie nicht mehr los. Sie kämpfte dagegen an, vergeblich. Sie wusste, es war naiv, so leicht für jemanden ins Schwärmen zu geraten. Doch wäre es nur das gewesen, hätte es sich vielleicht nach diesen paar Tagen gelegt. Und vielleicht wäre es ihr dann weniger nahe gegangen. Doch sie schlief schlecht und zu ihren größten Problemen, die sie bereits ohne ihn gehabt hatte, kam nun, dass sein Gesicht sie verfolgte, wenn sie die Augen schloss.
Seufzend legte sie ihr Handy zur Seite. Sie rieb sich über die müden Augen und dachte nach. Die ganze Woche hatte sie damit zugebracht, einen Job zu finden. Irgendetwas. Doch auch das schien aussichtslos zu sein. Sie hatte bereits ein Telefonat mit ihrer Mutter geführt, das mehr als unbequem gewesen war. Denn sie hatte die Info darüber erhalten, dass Macys Studium auf Eis gelegt war. Sie dankte wirklich allem, dass sie es geschafft hatte, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass sie nur eine Pause brauchte. Nur das ihre Mutter nun verlangte, dass Macy spätestens in zwei Monaten weiter studierte, wenn die Semesterferien vorbei waren.
Macys Handy vibrierte und sie nahm den Anruf an.
„Hey Jenna.“, sagte sie und stützte ihr Kind auf einer Handfläche ab.
„Ich habe gute Neuigkeiten. Ich schicke dir gleich eine Nummer und du rufst dort an. Denen fehlt nämlich eine Bedinung.“ Etwas perplex, da ihre Freundin direkt mit der Tür ins Haus fiel, atmete Macy erst einmal durch, bevor sie wieder sprechen konnte.
„Danke?“ Sie hörte Jenna lachen, die gute Laune ihrer Freundin steckte sie etwas an.
„Nein wirklich Jenna, du bist meine Rettung.“ Jenna spielte es etwas herunter, doch Macy war glücklich. Sie hatte den Job zwar noch nicht sicher, aber sie würde sich Mühe geben, damit sie ihn bekam.
„Ich komme gegen vier zu dir. Ich nehme dich heute mal mit.“, sprach Jenna irgendwann weiter, als wäre nun alles Wichtige besprochen. Wahrscheinlich war es das auch. Denn sie hatte Jenna, ebenso wenig wie ihrer Mutter, von ihren Problemen erzählt. Daher vermutete Macy, dass ihre Mutter sich bei Jenna gemeldet hatte und diese ihre Schlüsse gezogen hatte. Natürlich direkt die Richtigen.
„Wohin?“ Jenna ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort und Macy hörte, dass sie anscheinend beschäftigt war. Es klapperte etwas und in der Leitung knackte es.
„Zum Training.“

Irgendwann hatte Macy es endlich hinter sich gebracht und Jennas Redeschwall war abgeebbt.
Nun drehte sie ihr Handy in den Händen und überlegte. Sie wusste, dass Jenna einen Barbesitzer davon erzählt hatte, dass sie Arbeit suchte. Doch irgendwie war es nun so zum Greifen nahe, dass sie sich kaum wagte, diesen Anruf wirklich zu tätigen. Doch sie riss sich zusammen, sammelte ihren Mut und wählte die Nummer, die ihre Freundin ihr gegeben hatte.
„Hudson?“, meldete sich eine tiefe Männerstimme.
„Guten Tag, mein Name ist Macy Young und, man sagte mir Sie suchen eine Bedinung führ ihre Bar.“, erwiderte sie daher, klang auch aufgeregt und hatte diese Worte wohl eher herunter gerattert. Stille entstand und sie hörte den Mann in der Leitung sogar seufzen. Macy hielt den Atem an, vielleicht war die Stelle schon vergeben.
„Macy.“, sagte der Mann dann. Und allmählich fiel bei ihr der Groschen. Spätestens dann, als er weiter redete.
„Ich bins Graham. Wusste nicht dass das Mädel von dir gesprochen hat.“ Etwas enttäuscht über diese Worte, erwiderte Macy nichts.
„Aber gerade weil du es bist, stelle ich dich natürlich gerne ein. Wenn du heute schon Zeit hättest, kannst um neun Uhr hier sein.“
Erleichtert fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen und ihr entkam ein kurzes Lachen.
„Danke Graham, ich werde da sein.“ Als sie sich voneinander verabschiedet hatten, war Macy überglücklich. Endlich hatte sie eine Anstellung gefunden. Und sie würde alles tun, damit sie diese behalten würde. Vielleicht könnte sie bald wirklich mit ihrem Studium weiter machen.
Doch nach wenigen Minuten, indem sie sich ausmalte, was es für positive Aspekte hatte, fiel ihr etwas ein, dass sie die ganze Zeit nicht bedacht hatte.
Grey würde da sein, ganz sicher. Doch sie konnte nicht davon abhängig machen, ob sie den Job machte. Sie brachte ihn und Graham war ihr so entgegengekommen. Also würde sie einfach versuchen, Grey zu vergessen, und was geschehen war. Ohnehin war es ihr wie ein unerreichbarer Traum vorgekommen das gerade jemand, wie Grey sie geküsst hatte. Sie war ... nun ja, eben Macy.

Zusammen mit Jenna erreichte Macy die Einrichtung, in der Jenna trainierte. Was es spezifisch war, hatte diese bisher totgeschwiegen.
Doch als sie eintraten, erschrak Macy etwas, denn sie sah einen Bereich, der mit Matten ausgelegt war. Doch nicht das war das Schockierendste daran. Sondern eher, dass dieser Bereich nicht einfach aus Matten bestand. Es war eher ein Podest umringt von Stricken. Ganz eindeutig ein Ring. Nur für was hatte Macy fast angst zu fragen.
„Jenna, bitte.“, flehte sie daher, ein weiteres Mal. Und dieses Mal schien ihre Freundin ein Einsehen zu haben.
„Es ist ein Club für Kickboxen. Meine Mum hat Sorge dass ich so ganz allein überfallen werde.“ Jenna und sie kamen auf eine Gruppe zu, bestehend aus überwiegend jungen Männern und zwei weiteren Frauen. Ein weiterer, älterer Mann kam dazu.
„Hallo Jenna.“, sagte er, als die beiden zur Gruppe stießen.
„Wen hast du da denn mitgebracht?“ Macy fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Vielleicht lag es daran, dass ihre Sporthose zu klein war und deshalb ziemlich an den Beinen spannte. Doch wahrscheinlich eher, dass sie das Gefühl hatte, das hässliche Entlein zu sein, nur das aus ihr kein Schwan wachsen würde.
„Das ist Macy, meine Freundin, sie würde sich das Trainig heute gerne anschauen.“ Der Ältere kam auf die beiden zu und reichte der total aufgeregten Macy die Hand.
„Willkommen Macy. Mein Name ist Rodney Ponce aber Rod reich völlig.“ Er schüttelte ihre Hand und seine Ruhe fand den Weg langsam zu Macy. Er drückte noch einmal ihre Hand, bevor er sie wieder freigab.
„Die anderen bitte schon einmal warm machen!“ Wie geheißen, setzten sich die anderen Anwesenden in Bewegung und joggten locker um den Ring herum. Natürlich in großen Bahnen.
„Du brauchst dir keine Sorgen machen. Das Training macht Spaß.“, wendete sich Rod wieder an sie. Macys Augen blieben an Jenna geheftet, die locker ihre Bahnen lief.
„Außerdem kann man so lernen seine Ängste und Unsicherheiten abzulegen.“ Macy hörte aufmerksam zu, auch wenn ihre etwas flau dabei wurde, dass das Training sicherlich körperlich wurde. Nicht weil man im Kickboxen zuschlug. Sie wollte sich nicht zum Affen machen. Und sie fragte sich, in was ihre Freundin sie schon wieder hinein manövriert hatte.
„Wenn es dir nichts ausmacht, kannst du dich ebenfalls warm laufen.“ Macy bekam nur ein schwaches Nicken und ein halbes Lächeln zustande. Dann setzte sie sich verunsichert in Bewegung und joggte wohl das erste Mal wieder, seit Jahren.


Nach dem Training war Macy so ausgepowert und verschwitzt gewesen. Deshalb war sie froh, dass ihr erster Weg zuhause sie unter die Dusche geführt hatte. Ihr hatte zwar so ziemlich sämtliche Muskeln wehgetan. Auch wenn sie immer gedacht hatte, dass sie keine besaß.
Doch jetzt stand sie vor Grahams Bar, es war Viertel vor neun und sie wurde aufgeregt. Es war komisch, nicht mehr hier her zu kommen, um vielleicht einer der Feiernden zu sein. Der Abend an Greys Geburtstag kam ihr ohnehin vor, als wäre es Ewigkeiten her.
Sie ließ sich nicht die Möglichkeit, in Gedanken etwaige Horrorszenarien durchzugehen, und öffnete direkt die Tür. Ihr kam ein Schwall von Alkohol entgegen. Hier und da auch ein Parfum. Das eine angenehm, das andere eindeutig zu blumig. Sie sah sich nicht weiter um, konnte allerdings schon so ausmachen, das einiges los war. Jedoch etwas weniger als beim letzten Mal. Beim letzten Mal hatten die meisten auch Kleider getragen und auch die Männer waren hier und da ganz gut zurechtgemacht gewesen. Anders als jetzt. Nicht das jemand der Anwesenden schlecht angezogen war. Es war nur sehr ungewohnt für Macy. Denn bei den meisten sah sie im Vorbeigehen, dass sie Kutten trugen oder einfach schwarze Shirts, die trotzdem Aufnäher hatten.
Hier und da las sie den Schriftzug Nightbreakers oder Ravens.
„Macy, da bist du ja.“ Graham kam ihr freudestrahlend entgegen.
„Hey.“ Macy ließ sich kurz von ihm, mit einem Arm umarmen. Es hatte etwas Väterliches.
„Gut dass du heute schon konntest. Heut ist zwar nicht viel los aber wie das unter Bikern so ist, gibts immer mal wieder was zu feiern.“ Er redete mit ihr, als wüsste sie über etwas Bescheid, dass sich ihr nicht erschloss.
„Wieso, hat wieder jemand Geburtstag?“ Graham hielt in der Bewegung inne und wendete sich ihr zu, mit großen Augen.
„Aber klar, der Boss persönlich.“ Macy nickte unsicher und folgte Graham dann. Sie wusste nicht, wen genau er mit Boss meinte, doch sie wollte auch nicht weiter nachfragen. Sie war Graham dankbar, dass er ihr Arbeit gab. Alles andere ging sie nichts an.
„Also, wenn jemand etwas will, kriegt er’s“ Graham zuckte die Schultern, als würde er jemandem gerade das Lesen beibringen. Macy hörte aufmerksam zu und ließ sich von ihrem neuen Chef zeigen, wie man den Zapfhahn benutzte und wo Gläser standen. Alles, was sie wissen musste, wenn sie eine Hilfe und kein Klotz am Bein sein wollte.
„Und auch wenn ich das ungern sage aber die Toiletten müssten später auch mal sauber gemacht werden. Keine schöne Arbeit aber vielleicht sollten wir uns die Arbeit teilen. Du heute, ich morgen.“, schlug er nach einer Weile vor und Macy nickte eifrig. Er hatte recht. Keine tolle Arbeit aber notwendig.
Nachdem er ihr alles erzählt und gezeigt hatte, was wichtig sein konnte, ließ er sie am anderen Ende der Bar allein.
Wie aufs Stichwort ging es dann los. Die Ersten wollte nur ein einfaches Bier. Es blieb auch dabei, vorerst.
Macy war eine Weile damit beschäftig, die Leute zu bedienen, von denen sie niemanden erkannte. Allerdings hatte sie am Abend von Greys Geburtstag auch nur eine Handvoll Leute kennengelernt.
Macy hörte Gespräche, Lachen und die Stimmung war heiter.
„Oh, wir kennen uns doch.“, ertönte eine Stimme von oben. Macy hatte sicher gerade gebückt, um frische Gläser wegzustellen. Als sie wieder hochkam, sah sie sich einer Frau gegenüber.
„Jo, hey.“, sagte sie unbeholfen und lächelte.
„Oh du bist doch die Kleine von Grey, oder?“ Macy klopfte das Herz plötzlich bis zum Hals.
„Nein eigentlich-“
„Das wäre wirklich toll, wenn es mit euch hält. Nach dem Tod seiner Schwester, hat er wirklich etwas Glück verdient.“, redete Jo weiter und schien kaum Notiz von Macys schwachen Protest zunehmen.
„Grey und ich sind nicht zusammen.“, schaffte Macy es dann doch, auszusprechen. Es fiel ihr unglaublich schwer. Denn die Erinnerung an das letzte Gespräch mit ihm verwandelte ihr Herz immer noch in eine sterbende Flamme.
„Nicht? Der arme Kerl.“ Einen Augenblick lang musste Macy schlucken und sie konnte Jo nur sprachlos ansehen, bevor sie sich wieder sammelte.
„Jo, nicht er ist das Opfer, sondern ich.“ Ihr Gegenüber runzelte erstaunt die Stirn.
„Er hat mich abblitzen lassen, nicht umgekehrt. Keine Ahnung, was er euch vielleicht erzählt hat.“ Jo nahm diese Information auf und nickte.
„Er hat nichts erzählt. Am Abend jedoch hatte er seid langem wirklich wieder gute Laune. Und als wir dachten, du hättest ihm keine Chance gegeben, wirkte er zu Tode betrübt.“ Jo setzte sich endlich an die Bar und ließ ihren Blick schweifen.
„Wenn ihr nicht- Wieso bist du dann hier?“ Macy beschlich allmählich das Gefühl, das hier nicht alles mit rechten Dingen zuging. Graham und jetzt auch Jo redeten, als würde ein Außenstehender wie sie einfach nicht hier her gehören, wenn sie nicht näher mit jemanden von ihnen bekannt waren.
„Ich arbeite hier und helfe Graham.“ Jo schob sich ihre schulterlangen Haare zurück und lehnte sich etwas weiter über die Bar.
„Grey kann eine ziemlich harte Schale haben. Aber er ist es wert, also gib bitte nicht auf.“ Macy starrte Jo einfach nur an. Sie war wütend. Auf Jo, obwohl sie für alles am wenigsten konnte und es nur gut mit ihr meinte. Deshalb versuchte sie, diesen Ärger hinunterzuschlucken, und nickte.
„Leider gibt es da keine Versuche mehr. Er hat mir unmissverständlich Klar gemacht, das ich etwas falsch interpretiert habe.“ Jo’s Gesichtszüge schienen ihr entglitten zu sein. Denn sie wirkte beinahe entsetzt.
„Okay, geht mich auch nichts an. Tut mir leid.“, sagte sie dann, doch Macy beschlich das Gefühl, dass sie eigentlich noch viel mehr hatte sagen wollen.
„Bekomme ich zwei Bier?“ Nickend wandte Macy sich ab und überreichte Jo nach wenigen Augenblicken das Bier.
„Danke und schön das du hier bist.“ Sie zwinkerte Macy noch zu bevor sie in der Menge verschwand. Macy hatte nicht nur den Ärger hinunterschlucken müssen. Die Erinnerung an Grey wirkte präsenter als sonst, beinahe übermächtig. So sehr, dass es sich für sie anfühlte, als wäre, der Kuss und seine verletzenden Worte erst vor wenigen Moment geschehen.
„Alles in Ordnung Kleines?“ Graham war wieder gekommen. So wie es an dem Teil seiner Bar aussah, waren die meisten für den Moment bedient.
„Ja klar.“, log Macy, der die Tränen bereits in den Augen stachen. Sie drehte ihm den Rücken zu und atmete tief durch. Trotz dass ihr alle so wohlgesonnen waren, hatte sie tierische Angst, es würde ihnen bald reichen.
„Du siehst niedergeschlagen aus.“ Graham tätschelte Macy den Rücken, wie ein Vater seiner Tochter, weshalb sie seinen Blick auffing.
„Hab mich kurz mit Jo über Grey unterhalten. Privates Zeug, das hier sicher nichts zu suchen hat.“ Graham lächelte milde und trat dann einen Schritt zurück.
„Falls du reden möchtest, komm ruhig zu mir.“ Von der anderen Seite der Bar hörte man bereits neue Bestellungen. Graham nickte noch einmal, bevor er wieder seiner Arbeit nachkam.
Macy machte sich währenddessen daran, ein paar Gläser zu spülen und leere Flaschen zu ersetzen. Sie kam gut voran und irgendwann beschlich sie das Gefühl, das Graham ihr die Arbeit abzunehmen schien. Immer wieder nahm er Bestellungen entgegen, die eigentlich an sie gerichtet waren. Doch sie ließ ihn machen, denn wenn er sich so besser fühlte, wollte sie ihm den Glauben lassen, dass es auch ihr half.
Es wurde verschiedenste Musikrichtungen gespielt. Manche mochte Macy, andere eher weniger. Doch ihr gefiel die Stimmung im Allgemeinen sehr. Zumindest bis zu einem gewissen Moment.
Jemand drängte sich durch die Leute, die in direkter Nähe zur Bar standen, und lehnte sich weit über die Bar.
„Was tust du hier?“, empfing sie eine wenig heiter klingende Stimme. Macy wusste bereits, wer vor ihr stand, ohne ihn zusehen.
„Grey.“, sagte sie und stellte gerade die restlichen Gläser zurück. Sie wollte sich nicht anmerken lassen, dass gerade ein Gefühlschaos in ihr ausbrach. Sie spürte, wie ihre Hände zitterten, und stützte sich daher an der Bar ab, damit er es nicht sehen konnte. Sein Blick wurde wütend, als sie nicht antwortete.
„Grey, ich arbeite, siehst du doch!“, gab sie dann schnippisch zurück und drehte ihm den Rücken zu, um ein Bier hervorzuholen. Sie öffnete den Deckel, wendete sich wieder zu Grey und stellte die Flasche fester als gewollt vor ihm ab.
„Also nimm dir etwas zu trinken, feier oder was auch immer und lass mich weiter arbeiten.“ Sie hörte ihn schnauben. Er legte seine Finger über ihre Hand, die immer noch um die Flasche lagen, und zog sie ein Stück zu sich.
„Du hättest zuhause bleiben sollen. Kleine Mädchen haben hier nichts zu suchen.“ Macy erwiderte seinen Blick. Diese stahlgrauen Augen machten sie noch immer ganz benommen. Doch seine Ausstrahlung hatte in diesem Moment etwas Furchteinflößendes.
„Manche Menschen auf diesem Planeten müssen arbeiten, um sich über Wasser zu halten.“, bluffte sie zurück und entriss ihm ihre Hand. Sie schob die Flasche weiter zu ihm herüber und lehnte sich dann etwas von ihm weg. Macy versuchte, sich nicht einschüchtern zu lassen.
„Was hast du Jo erzählt über das zwischen uns?“ Er war voll von angestauter Wut, das war Grey ganz klar anzusehen. Nur verstand sie einfach nicht, wieso gerade sie der Auslöser dafür sein sollte.
„Die Wahrheit.“ Sie richtete ihren Blick auf das Glas in ihren Händen. Dieses hatte sie noch nicht zurückgestellt und drehte es nun, um ihre nervösen Finger zu beschäftigen.
„Dass ich abgeblitzt bin, bei dir. Nicht mehr und nicht weniger.“ Sie konnte nichts dagegen tun, dass sie sich niedergeschlagen anhörte. Denn genau das empfand sie. Das und pure Verletzlichkeit. Er hatte sie verletzt, mit ihr gespielt. Wieder schnaubte er.
„Ich verstehe nicht, wieso du am Abend deines Geburtstages so nett zu mir warst, mit mir geflirtet hast und mich dann geküsst hast. Ich bin dir doch eh scheißegal, also lass mich gefälligst in Ruhe!“ Erstaunt richtete Grey sich zu seiner vollen Größe auf und blickte sie stumm an. Macy hielt seinem Blick nur kurz stand, denn sie war erneut verletzt. Er hatte ihr in dieser einen Nacht, mit dem Kuss etwas vermittelt, das sich anfühlte, wie nach Hause kommen. Aber sie hatte sich getäuscht. Sie wendete ihm endgültig den Rücken zu. Nur in der Glaswand der Bar konnte sie sehen, wie er nach einigen Augenblicken den Rückzug antrat und verschwand. Doch er hatte die miesen Gefühle da gelassen.

Kapitel 4

 

Macy verharrte in der Position und starrte auf die Glaswand. Doch Grey war wieder verschwunden. Sie hatte also wirklich recht. Sie verstand nur nicht, warum er sie so verarscht hatte. Sie kämpfte mit den Tränen und schluckte schwer, als Graham an ihrer Seite auftauchte.
„Alles klar Kleines?“, fragte er und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Es tut mir leid, dass ich für so viel Unruhe sorge. Ich brauche diesen Job, wirklich.“ Die Tränen waren fast die Sieger eines unerbittlichen Kampfes, doch noch hatte sie die Oberhand.
„Alles gut. Vielleicht bentötigen die Toiletten jetzt doch eher eine Reinigung. Dann kommen die Gemüter wieder runter.“ Macy konnte sich natürlich Besseres vorstellen, doch sie nahm es dennoch dankend an. Wenn sie nicht direkt hinter der Bar stand und Gefahr lief Grey erneut zu begegnen, hatte sie eine Chance, sich zu beruhigen.
So machte sie sich dann nach kurzer Zeit auf den Weg, um die Toiletten zu reinigen.
Als sie in die Gästetoilette trat, war sie zuerst ein wenig verwundert. Sie wusste nicht wieso, aber irgendwie hatte sie damit gerechnet, dass es dreckig war. Doch das war es nicht. Zumindest nicht so schlimm. Ein paar Wasserflecken am Spiegel, zu ihrer Rechten. Das Waschbecken hatte ebenfalls ein paar Flecken und Seifenreste. Und von einem Papiertuchspender lag der halbe Inhalt auf dem Boden, komplett Nass. Ansonsten war der Boden sauber. Macy begutachtete die drei Kabinen. Auch diese waren verwunderlicherweise nicht so schmutzig. Eigentlich gar nicht, wenn sie ehrlich war. Aber Sanitäranlagen mussten immer saubergehalten werden. Zumindest hatte Graham ihr das so gesagt. ‚Sonst machen mir irgendwelche Bürohengste die Bar dicht‘, hatte er gesagt. Seufzend füllte sie etwas Wasser in den Eimer, den sie von ihm bekommen hatte, und fand das Putzmittel, wie angekündigt, im Schränkchen unter dem Waschbecken.
Macy biss sich auf die Lippe, als sie sich an dem Wasser zuerst die Hände verbrannte. Sie hatte es zu heiß eingestellt. Doch dann machte sie sich an die Arbeit und versuchte, dabei an nichts zu denken.

Sie hatte bereits den Spiegel und das Waschbecken gereinigt. Auch die matschigen Tücher waren im Müll verschwunden, der bereits zusammengebunden neben der Tür stand. Auch die beiden ersten Kabinen waren wieder sauber. Bei der letzten wischte sie gerade die letzten Armaturen ab und richtete sich auf, als sie etwas vor der Tür hörte.
Es war entweder lauter, als die Feier in der Bar, oder so nah, dass sie es deshalb hörte. Denn sie konnte immer noch die Musik hören und das sehr deutlich.
Macy war fertig, kippte das Wasser ab und stellte dann den Eimer in die Kammer, links neben der ersten Kabine. Dort fand sie, bei kurzer Betrachtung, auch so manch anderes Reinigungutensil.
Wieder ertönten laute Stimmen vor der Toilettentür und etwas verunsichert steuerte Macy, bewaffnet mit dem Müllsack, die Tür an. Sie schob sie auf und sah in vielleicht zwei oder drei Metern Entfernung Graham und Grey stehen.
„Ich habe dir gesagt, du sollst sie nach Hause schicken, sie hat hier nichts verloren.“, knurrte Grey den Älteren an. Dieser sah sein Gegenüber gelassen an.
„Du hättest sie sehen sollen Grey. Sie ist total durcheiander und verletzt wegen dir. Du hast dich verhalten wie ein Arschloch.“ Erstaunt blieb Macy stehen und bedachte Graham mit einem Blick. Dass er für sie Partei ergriff, hätte sie nicht gedacht.
Das Gespräch der Männer endete, als sie Macys Anwesenheit bemerkten.
„Ich-“, setzte sie an und kämpfte mit ihren Gefühlen, die sie niederzuringen schienen.
„Ich war schneller fertig als gedacht.“ Mit eiligen Schritten ging sie an beiden vorbei. Sie war froh, dass sie die Bar kurz verlassen konnte.
Draußen steuerte sie wie mechanisch die Mülltonnen an und versenkte den Müllsack darin. Dann blieb sie davor stehen und atmete ein und wieder aus. Wieder und wieder. Doch es brachte nichts. Die ersten Tränen quollen aus ihren Augen und liefen über ihre Wangen. Leise schluchzte sie und wischte sich über das Gesicht.
Macy zückte ihr Handy und wählte Jennas Nummer. Sie brauchte jemanden zum Reden. Außerdem war es an der Zeit, ihrer Freundin zu erzählen, dass Grey sie nicht sehen wollte.
Es klingelte, lange, bevor der Anrufbeantworter ansprang.
„Hey, hier ist Jenna, hinterlass mir einfach was.“ Piep.
„Hey Jenna, ich bins. Ich habe gedacht, wir könnten reden. Melde dich, wenn du Zeit hast. Hab dich lieb.“
Sie beendete das Gespräch und steckte das Handy wieder ein. Mit den Händen wischte sie sich die Tränen vom Gesicht. Allmählich hatte sie sich wieder im Griff. Ihr war egal, wie sie vielleicht aussehen würde, in der Bar war das Licht ohnehin so gedimmt, das man sicher nichts sehen konnte. Und hinzu kam, dass Macy das Glück besaß, dass man ihr einen Heulkrampf nicht ansah. Anders als bei Jenna, die immer einen Kopf bekam, wie eine Tomate.
Also trat Macy den Rückweg an und redete sich selbst gut zu. Vielleicht sollte sie Grey einfach sagen, dass sie es akzeptierte, dass er kein Interesse hatte. Das stimmte zwar nicht so ganz, denn wie sollte sie es nur so schnell verarbeiten?
Gerade trat sie ins Innere der Bar, als sie mit jemandem zusammenstieß.
Ein großer Mann mit dunkelbraunen Haaren und blauen Augen sah auf sie hinunter. Er trug wie die anderen eine Kutte mit Aufnähern und Schriftzügen. Er hatte einen gepflegten Dreitagebart.
„Entschuldigung, ich habe nicht aufgepasst, wohin ich gehe.“, sagte sie eingeschüchtert und machte sofort Platz. Macy konnte hinter dem Mann Grey erkennen, der nicht wütend wirkte, eher erschrocken oder schockiert. Graham war nicht zusehen.
„Kein Problem, Macy.“ Die Angesprochene erwiderte den Blick des Mannes und hob die Brauen.
„Woher kennen Sie meinen Namen?“ Grey kam auf die beiden zu, blieb jedoch in einem größeren Abstand stehen. Macy konnte seine Angespanntheit regelrecht spüren.
„Nun, ich kenne deine Mutter. Rose.“ Macy konnte gerade verhindern, dass ihr der Mund aufklappte. Grey hatte sich anscheinend endlich entschieden und tauchte nun neben dem Unbekannten auf.
„Und Sie sind?“ Grey sah sie warnend an, doch sie ignorierte ihn. Sie hatte nicht das Gefühl, das der Fremde sonderlich gefährlich war.
„Elijah Pierce, freut mich dich kennenzulernen.“ Er reichte ihr die Hand und sie nahm sie an. Mehr aus Freundlichkeit, denn sie war ein wenig verunsichert, das Grey sich so merkwürdig verhielt. Sie hatte immer wieder das Gefühl, dass seine Gesten sie aufhalten sollten. Nur wegen was, wusste sie nicht.
„Wie verirrt sich denn jemand wie du hier her?“, fragte Elijah und bedachte sie mit einem eindringlichen Blick.
„Grey und ich haben uns vor kurzem kennengelernt.“ Macy sah beinahe, wie Grey die Farbe aus dem Gesicht wich. Elijah sah das erste Mal über die Schulter und genau zu ihm herüber.
„Ach?“, erwiderte er und Grey setzte ein Lächeln auf, das ihm gleichauf wieder entglitt. Macy staunte beinahe darüber, dass Grey, der durch seine Erscheinung wirklich furchteinflößend wirken konnte, unter Elijahs Blick zu schrumpfen schien.
„Nur flüchtig.“, antwortete er dann. Und allmählich ging Macy ein Licht auf. Elijah war der Boss.
„Ich wollte Ihnen noch alles gute Wünschen Elijah, Graham erzählte, dass sie Geburtstag haben.“ Damit erlangte sie seine Aufmerksamkeit zurück. Auch wenn sie nicht verstand, warum sie Grey aus der Misere geholfen hatte. Ganz zu schweigen davon, was hier überhaupt los war.
„Danke.“ Elijah grinste und nickte dann.
„Und um die Frage genauer zu beantworten, Grey und ich kennen uns nur flüchtig. Ich habe mich um eine Stelle bevorben und Graham hat mich genommen. Ich müsste dann auch weiter arbeiten.“ Sie verabschiedete sich von Elijah und ging an ihm vorbei.
„Du bist natürlich immer Herzlich Willkommen, Macy.“ Macy hörte seine Worte und ging auch an Grey vorbei, ohne ihn anzusehen. Sie hatte für den Moment erst einmal genug.

An der Bar wurde es langsam übersichtlicher und Graham hatte sich auf einen Stuhl hinter der Bar gesetzt.
„Graham?“ Der Ältere sah sie an und wirkte müde.
„Ich habe gerade Elijah kennengelernt.“, sagte sie und Graham begann zu grinsen.
„Er hat nicht so viel Muskeln wie Grey ist aber einschüchternd auf seine Weise.“ Ohne dass sie mehr erzählt hatte, schien er seine Schlüsse zu ziehen.
„Und wieso war es Grey so unangenehm, dass Elijah weiß, das er und ich uns kennen?“ Das Grinsen auf Grahams Gesicht verschwand und wich einer nachdenklichen Miene.
„Das wirst du ihn selbst fragen müssen.“ Schulterzuckend nahm Graham sich ein Bier und trank einen kräftigen Schluck davon.
„Auch eins?“, fragte er dann. Grey tauchte an der Bar auf und blickte sie mit einer Miene an, die sie nicht entschlüsseln konnte.
„Können wir reden?“ Macy schnalzte mit der Zunge. Ihr Herz schlug zwar in ihrer Brust um die Wette, dennoch ließ sie sich nichts anmerken.
„Nein danke.“ Dann wandte sie sich an Graham.
„Ist es in Ordnung, wenn ich schon Feierabend mache?“ Sie kam sich zwar ziemlich dreist vor, dennoch hoffte sie, dass er es verstand. Er nickte, als er die Flasche abgesetzt hatte.
„Montag um die gleiche Zeit?“ Nun nickte sie, verabschiedete sich und verließ die Bar. Sie konnte spüren, das Grey ihr folgte.
„Macy, warte verdammt.“ Er war ihr wirklich gefolgt. Doch sie blieb nicht stehen und wartete, sondern ging schnurstracks weiter.
„Lass mich in Ruhe Grey.“, erwiderte sie schlicht darauf. Und sie war stolz auf sich selbst, dass sie stark klang. Als würde ihr all das nichts ausmachen. Auch wenn genau das Gegenteil der Fall war.
Nach einigen Metern hatte er sie jedoch eingeholt und hielt sie am Arm zurück. Reflexartig holte Macy aus und wollte ihm eine verpassen. Doch er war schneller und fing ihr Handgelenk ab. Statt Ärger konnte sie Belustigung in seinen Augen sehen.
„Wusste nicht das du schlagfertig bist, wortwörtlich.“ Er lachte kurz, dass wie ein Vibrieren durch ihren Körper fuhr. Seine Berührung machte all ihre Stärke mit einem Mal zunichte. Als hätte sie diese nie besessen.
„Du bist ein riesen Arschloch Grey!“ Sie versuchte sich, aus seinem Griff zu winden, erreichte jedoch nichts, außer dass er sie noch fester hielt. Scham kam in ihr auf. Weil sie ihn beinahe geschlagen hätte und weil er ohne Anstrengung dafür sorgen konnte, dass sie beinahe bewegungsunfähig war. Und sie war natürlich immer noch tief getroffen davon, dass er sie so Derbe von sich gestoßen hatte. Ihr Blick lief an ihr hinab, denn sie vermutete weshalb.
Allein der Gedanke, dass das der Grund für sein Verhalten sein könnte, brach ihr das Herz.
„Wir kennen uns doch kaum Macy.“, sagte er, ganz offensichtlich spürte oder sah er ihren Gemütszustand.
„Das ist das Prinzip von Kennenlernen. Aber ich habs verstanden Grey. Wenn du mir also den letzten Rest meiner Würde lassen würdest, wäre ich dir echt dankbar.“ Wieder versuchte sie sich, von seinem Griff zu lösen. Wieder vergebens.
„Lass mich dich nach Hause bringen.“, bat er schließlich. Macy ergab sich und nickte nur.

Sie war gezwungen ihm zurück zu folgen, zur Bar. Davor jedoch bog er nach links in eine Gasse ein, die schmal war, sodass die beiden nur hintereinandergehen konnten. Doch auch dass hielt Grey nicht davon ab, ihr Handgelenk weiter festzuhalten. Ihr wurde ein wenig unwohl dabei, durch so eine dunkle Gasse gehen zu müssen.
„Du musst mich nicht nach Hause bringen.“, versuchte sie ihn doch noch davon abzubringen. Er hatte seinen Standpunkt klar gemacht. Doch er ließ sie dennoch nicht zur Ruhe kommen.
Er erwiderte auf ihre Worte nichts und sie erreichten das Ende der Gasse. Diese mündete in einer Größeren, mit einer Straße, die auf die Hauptstraße führte. Hier befanden sich nur ein paar Lagerhallen und ein Parkplatz, auf dem ausschließlich Motorräder standen.
„Bitte sag mir, dass du ein Auto hast und keines dieser Monster fährst.“, flehte Macy und schaffte es endlich, seinem Griff zu entkommen.
„Wieso, angst?“ Sie sah Grey nur von der Seite, doch er schien sich darüber zu amüsieren.
„Nicht nur aber ja.“ Sie hätte gerne auch noch hinzugefügt, dass sie Angst hatte, dass sie vielleicht zu schwer für das Teil war. Doch sie schollt sich sogleich selbst. Sie übertrieb maßlos. Deshalb behielt sie diese Bedenken auch für sich. Grey ließ sich geschmeidig auf dem Motorrad nieder und klopfte dann hinter sich auf den Sitz. Macy kam zwar näher, machte aber keine Anstalten, sich hinter ihn zusetzen. Sie wägte ab, ob sie es riskieren konnte. Schließlich wusste sie nicht, ob er ein guter Fahrer war.
„Ich fahre Motrrad, seit ich einundzwanzig bin.“ Macy lachte auf und schlug sich dann die Hand vor den Mund, als ihr bewusst wurde, dass sie keine Ahnung hatte, wie alt er war. Er hatte zwar Geburtstag gefeiert, sie wusste aber nicht den Wievielten.
„Ich bin sechsundzwanzig.“ Macy klappte hinter ihrer Hand der Mund auf. Doch sie fasste sich schnell und nahm den Helm entgegen, den Grey unten aus einer Satteltasche geholt hatte.
„Nicht das wir uns verletzen.“, scherzte er und zog sich seinen eigenen Helm auf. Macy ignorierte seine Worte. Das lag aber eher daran, dass sie noch darüber nachdachte, dass er ein Stück älter war als sie. Das hatte sie nicht gedacht.
Sie schlüpfte in den Helm und hielt sich an Greys Schulter fest, als sie sich hinter ihm auf das Ungetüm setzte.
„Ich weiß, dass du erst neunzehn bist.“, hörte sie dann gedämpft von vorne. Sie saß stocksteif hinter ihm und war wütend und traurig zugleich. Sie glaubte, dass es vielleicht das Alter war, das ihn abgeschreckt hatte. Oder nicht nur das.
Grey griff nach hinten und umfasste ihre Hände. Als er sie hatte, zog er sie mit nach vorn und legte sie sich um den Bauch.
„Fest halten, dann passiert nichts, versprochen.“ Sie konnte seiner Stimme keinerlei Regung entnehmen. Zum einen, weil sie gedämpft durch den Helm war und zum anderen, weil sie sein Gesicht auch nicht sehen konnte.
Ihre Finger krallten sich in seiner Kutte fest und sie rückte etwas näher an ihn heran. Leicht konnte sie das Vibrieren seiner Brust fühlen, als er lachte.
„Bereit?“, fragte er.
„Immer.“, erwiderte Macy und versuchte, ihm ganz einfach zu vertrauen. Sie wollte ihm vertrauen.
Grey startete den Motor und das Gefährt unter ihnen erzitterte, bevor er losfuhr. Macys Griff wurde fester und sie spürte wieder das Vibrieren seiner Brust. Wenn er wüsste, dass sie noch nie auf einem Motorrad gesessen hatte, würde er das alles vielleicht weniger unterhaltsam finden.
Die Straßen zogen an ihnen vorbei, sodass die Straßenlaternen zu einem weißen Schimmer verschwammen. Die Menschen, die um die Uhrzeit noch draußen unterwegs waren, waren nur noch als Schatten wahrzunehmen, so schnell fuhren sie an ihnen vorbei.
Nach den ersten paar Minuten beruhigte sich Macys Gemüt wieder und ihr Herz schlug zwar immer noch schnell in ihrer Brust. Das jedoch lag weniger an der Geschwindigkeit, oder der Angst davor, auf so einem Monstrum zu sterben. Eher daran, dass sie Grey so nahe war, ohne dass er etwas dagegen hatte. Sie verdrängte für den Moment die negativen Gedanken und lehnte ihren Kopf seitlich an seinen Rücken. Selbst seine Kutte strahlte diesen herben Geruch aus und sie genoss es, in seiner Nähe zu sein. Zu früh, würde es sich wieder ändern.
Als sie die Augen schloss, konzentrierte sie sich ausschließlich auf ihn. Seine Wärme, die er ausstrahlte und wie geborgen sie sich fühlte.
Irgendwann wurde das Motorrad langsamer, bis es komplett zum stehen kam und Grey den Motor abschaltete. Macy reagierte verspätet und löste sich daher hastig von ihm. Grey warf daraufhin einen Blick über die Schulter und grinste sie an.
„Alles in Ordnung?“ Macy nickte und ihre Wangen wurden vor Scham ganz heiß.
„Klar.“ Sie zog sich den Helm vom Kopf und sah sich um. Sie waren wirklich vor ihrem Elternhaus. Das Motorrad hatte er vor ihrem Wagen geparkt. Macy war die Erste, die vom Motorrad stieg. Grey nahm ihr den Helm ab, verstaute diesen und seinen hängte er an den Lenker, bevor er ebenfalls aufstand.
„Will ich wissen, woher du weißt, wo ich wohne?“, fragte Macy in die Nacht hinein. Sie wunderte bereits, dass Grey überhaupt noch hier war. Dieser ging an ihr vorbei und betrachtete ihren Wagen.
„Wahrscheinlich nicht.“, erwiderte er und Macy verdrehte die Augen.
„Natürlich.“ Sie sagte es mehr zu sich, dennoch grinste ihr Gegenüber sie frech an.
„Darf ich?“ Grey tippte auf die Motorhaube des Wagens. Als sie ihr Einverständnis gab, öffnete er diese gleich. Er zückte sein Handy und schaltete die Taschenlampe an, um besser sehen zu können.
Da Macy sich vorkam, wie bestellt und nicht abgeholt, trat sie neben ihn und er drückte ihr einfach das Handy in die Hand.
„Halt mal kurz.“ Mit gerunzelter Stirn tat sie, was er sagte und sah ihm dabei zu, was er machte. Er fummelte etwas im Motorraum herum. Einmal verschwand er sogar zu seinem Motorrad und kam mit einem aufklappbaren Lederbeutel wieder.
Er schraubte hier und da herum, bis er plötzlich etwas in der Hand hielt. Genau das gleiche Ding befand sich auch in dem Lederbeutel. Nur sah es nicht so abgenutzt aus, wie das aus ihrem Wagen.
„Ist das eine Zündkerze?“ Greys Blick traf sie und er lächelte.
„Schlaues Mädchen.“, erwiderte er und tauschte die Gebrauchte gegen die aus dem Beutel aus.
„Setz‘ dich ans Steuer und versuch die Karre zu starten.“
„Hey!“, pikierte Macy, als sie seiner Bitte jedoch nachkam. Die legte ihm das Handy in die Hand, fummelte ihren Schlüsselbund aus der Hosentasche und stieg ins Auto ein.
„Es ist nun mal ne Karre. Und eine alte.“, versicherte Grey ihr. Sie wollte dies lediglich mit einem Augenrollen quittieren, rang sich aber doch eine Antwort ab.
„Der Wagen gehörte meinem Vater, zumindest behauptet meine Mutter das.“ Sie hörte ein Seufzen.
Als der Schlüssel im Zündschloss steckte und sie versuchte, den Motor zu starten tat sich nichts, wie immer.
„Ich glaube nicht dass das Problem-“
„Versuch es noch mal.“ Grey schloss die Motorhaube, er war sie also ganz sicher, dass er das Problem behoben hatte.
Macy versuchte erneut, den Motor zu starten, doch wieder passierte nichts. Greys Blick jedoch, der sie durch die Scheibe traf, ließ nicht zu, dass sie aufgab. Beim dritten Mal funktionierte es und der Motor heulte kurz auf. Ein dickes Grinsen breite sich auf Macys Gesicht auf. Sie schaltete den Motor aus und stieg aus dem Auto. Nachdem sie abschloss, ging sie auf Grey zu und umarmte ihn ungefragt. Sie war überglücklich, dass der Wagen ihres Vaters wieder funktionierte.
„Immer Ruhig, junge Ladie.“, lachte Grey und hielt sie ebenfalls fest. Sie genoss seine Erwiderung, auch wenn ihr wieder die Hitze in die Wangen schoss. Deshalb löste sie sich schnell wieder und trat einen Schritt zurück.
„Tut mir leid. Es ist nur, der Wagen ist alles was ich von meinem Vater habe. Und ich dachte ich muss ihn verschrotten.“ Nervös wischte Macy sich eine Strähne hinter das Ohr und sah dann auf.
Grey grinste sie immer noch an, zog sie plötzlich zu sich und küsste sie.
Ihre erste Reaktion war, die Augen aufzureißen, bevor sie begriff, was passierte. Sie schlang die Arme um seinen Nacken. Das stellte sich als schwierig heraus, da er ein ganzes Stück größer war als sie. Als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, funktionierte es. Grey umfasste sie stärker, sodass ihre Füße kaum noch den Boden berührten. Unangenehm hingen negative Gedanken in ihrem Hinterkopf. Zogen sich wie Nebel um den Moment. Sie riss sich von Grey los, löste den Kuss, bis er sie endlich losließ.
„Ich hätte dich nicht einfach küssen sollen.“ Grey fuhr sich mit der Hand durch die Haare und blickte sie schuldbewusst an. Sie nickte, auch wenn sie anderer Meinung war als er.
„Zumindest nicht, wenn du mir ständig sagst, dass ich abhauen soll und ich nichts bei euch zusuchen habe.“ Sie ließ die Schultern hängen. Denn die Hand, die so gern ihr Herz quälte, legte ihre eisigen Finger wieder darum. Sie war verletzt und Tränen stiegen ihr in die Augen. Macy versuchte nicht, sie zu verstecken, auch wenn sie sich im gleichen Atemzug dafür schämte.
„Ist es, weil ich zu jung bin?“ Grey schob die Augenbrauen zusammen, sodass sich eine steile Furche dazwischen entstand.
„Nein, das würde mich niemals stören, die paar Jahre.“ Die dunklen Gedanken nahmen langsam überhand und sie nickte erst stumm. Sie wusste nicht, ob sie sagen sollte, was sie dachte.
„Nun, dann ist es wohl gut, das es niemand sehen kann, wenn wir uns küssen.“ Eine Träne gewann den Kampf, die jedoch energisch weggewischt wurde.
„Ich sehe halt nicht aus, wie Jo oder eine der anderen.“
„Hey.“ Grey griff nach ihrem Arm, als sie sich umdrehen wollte. Mit großen Augen sah sie ihn an.
„Ich finde dich toll, okay? Aber ich habe meine Gründe und ich wünschte, du würdest es verstehen.“ Er sah sie gequält an, was ihrem gebrochenen Herzen noch mehr zusetzte. Macy riss sich los und flüchtete beinahe in Richtung ihres Elternhauses.
„Halte dich von Elijah fern Macy, bitte.“ Die Angesprochene warf einen Blick über die Schulter und sah ihn verständnislos an.
„Wieso, bekommt der Biker sonst Hausarrest?“ Kopfschüttelnd schloss sie auf und ging hinein.

Kapitel 5

 

„Hey, hier ist Jenna, hinterlass mir einfach was.“ Piep
Wütend warf Macy ihr Handy aufs Sofa und fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht.
„Das kann doch nicht wahr sein Jenna!“, fluchte sie und ließ sich auf das Sofa fallen.
Schon seit zwei Tagen versuchte Macy vergeblich ihre beste Freundin zu erreichen. Es ging immer der Anrufbeantworter ran und sie hatte schon unzählige Nachrichten hinterlassen. Nichts hatte geholfen.
Macy warf einen Blick auf die Uhr. Nicht mehr lang und ihre Schicht in der Bar würde beginnen. Eigentlich hatte sie in Erwägung gezogen, nicht zu gehen und nach Jenna zusehen. Doch dann war es sicherlich auch mit Grahams Gutmütigkeit zu Ende. Und sie war auf das Geld angewiesen.
Sie stand auf und verschwand im Bad, um sich fertig zu machen.

Im Flur durchsuchte sie gerade ihre Tasche nach ihrem Handy, bis das Klingeln aus dem Wohnzimmer daran erinnerte, dass sie es dort gelassen hatte. Mit schlurfenden Schritten durchschritt sie den Raum, klaubte das Handy vom Sofa und sah auf das Display. Eine neue Nachricht. Von Jenna.
Eilig öffnete Macy die Nachricht und schluckte schwer, als sie die beiden Sätze las, die darin standen.
Es tut mir leid. Ich habe dich auch lieb.
Nicht mehr und nicht weniger. Doch es reichte aus, damit sich ihre Brust zusammenschnürte.
Wie benommen wählte sie Adams Nummer, in der Hoffnung, dass zumindest er wusste, wo seine Freundin war.
„Hallo?“ Macy schluckte schwer und sie hatte Probleme, Worte zu finden.
„Hey Adam, ich bins Macy, ich kann seit Tagen Jenna nicht erreichen. Was ist passiert?“ Adam am anderen Ende der Leitung schnaubte.
„Das du es wagst dich erst jetzt zu melden. Niemand hatte deine Nummer!“, knurrte er ins Handy. Macys Härchen im Nacken stellten sich auf und ihr wurde unglaublich schlecht.
„Jenna ist vor zwei Tagen spurlos verschwunden, die Polizei sucht nach ihr. Und das nur weil sie dir helfen wollte.“ Damit legte er auf und ließ Macy komplett verstört zurück. Sie starrte vor sich ins Nichts und versuchte, zu verarbeiten, was Adam ihr gerade erzählt hatte. Seit zwei Tagen. Das bedeutete, dass sie vermutlich schon verschwunden war, als Macy sie das erste Mal nicht erreicht hatte. Doch was hatte es mit der Nachricht auf sich? Und was meinte Adam? Welche Hilfe?
Und da ging Macy ein Licht auf. Jenna hatte dafür gesorgt, dass sie den Job in der Bar bekam. Das konnte nur bedeuten, dass Graham der Letzte war, der Jenna gesehen hatte. Sie musste umgehend mit ihm sprechen!

Ihre Knie waren zittrig und ihr Körper wurde von Nervosität und Angst schier überflutet. Ein klarer Gedanke kam nur schwer zustande. Sie stieg die Treppen der Bar hinauf und öffnete die Tür. Es war schon dunkel draußen und kaum noch etwas los.
Als sie ins Innere der Bar trat, fand sie hier ein ähnliches Bild. Sie erkannte Graham hinter der Bar. An einem Tisch saßen Grey, Landon und Elijah. Alle vier sahen zu Macy herüber, als sie eintrat. Sie fühlte sich unwohl unter den Blicken.
„Hallo.“, brachte sie heraus, doch ihre Augen suchten bereits Graham.
„Graham.“ Sie stürzte beinahe zur Bar herüber und der Ältere sah sie sorgenvoll an.
„Meine Freundin Jenna, sie war hier, richtig?“ Graham runzelte die Stirn und brauchte einige Sekunden, um die Frage zu verarbeiten.
„Ja, am Samstagmorgen.“
„Wie hat sie auf dich gewirkt?“ Graham rieb sich die Stirn und war von den Fragen überfordert.
„Ganz normal, sie war glücklich, weil sie dir helfen konnte.“, sagte Graham und legte Macy eine Hand auf ihre und drückte sie beruhigend.
„Macy, was ist los?“, schaltete sich Grey ein und stand auf. Auch die anderen beidem am Tisch erhoben sich.
Mit den schlimmsten Gedanken kämpfend presste Macy sich die Hand auf den Mund, um ja nicht zu schluchzen. Ihr Körper war so voller Angst, dass sie sich fühlte, sie würde platzen.
„Jenna ist seit zwei Tagen verschwunden. Heute habe ich eine Nachricht von ihr bekommen, dass es ihr leid tut.“ Elijah trat etwas näher an sie heran und hob beschwichtigend die Hände.
„Beruhig dich wieder. Wie wäre es denn, wenn du noch mal versuchst, sie anzurufen?“ Immer noch besorgt, nickte Macy und kam seinem Vorschlag nach. Sie wählte Jennas Nummer, doch es klingelte nicht einmal mehr und der Anrufbeantworter ging sofort ran.
„Es ist aus.“ Macy fasste sich verzweifelt an die Stirn und drehte den anderen kurz den Rücken zu. Sie wusste nicht wohin mit ihren Gefühlen und fühlte sich total überfordert. Grey erschien an ihrer Seite und legte eine Hand auf ihre Schulter.
„Ganz ruhig okay? Dafür gibt es sicher eine Erklärung.“ Seine stahlgrauen Augen sahen sie fest an und sie wollte ihm glauben. Glauben dass Jenna sich eine Auszeit genommen hatte. Doch das sah ihr nicht ähnlich und Macy hatte ein ganz schlechtes Bauchgefühl.
„Die gibt es.“, fuhr Graham dazwischen und seine Augen blieben auf Macy gerichtet.
„Was hast du mit Jo am Samstag besprochen?“ Alle Augen schnellten zu Macy, die unter den Blicken zu schrumpfen schien. Grey drückte ihre Schulter und nickte ihr dann zu. Doch dass das, was sie mit Jo besprochen hatte, ihn betraf, wusste er natürlich nicht. Und sie hätte es gerne dabei belassen. Aber es ging hier um ihre beste Freundin.
„Wir haben über Grey gesprochen. Sie sagte, er hätte nach dem Tod seiner Schwester wieder etwas Glück verdient.“ Neben ihr schnaubte Grey. Er ließ sie los und preschte dann plötzlich wie ein Stier nach vorn. Er packte Landon am Kragen, sodass dieser gegen den Balken an der Bar knallte.
„Du Schwein hast es ihr erzählt!“, schrie er ihn an. Macy beobachtete mit ängstlichen Augen das Geschehen und trat einen Schritt zurück. Sie verstand nicht, was hier vor sich ging. Elijah fasst Grey an der Schulter und zog ihn unbarmherzig zurück.
„Komm runter!“ Grey erdolchte Landon mit seinen Blicken und dieser hob nur abwehrend die Hände.
„Ich habe es ihr nicht erzählt, so wahr ich hier stehe Grey.“ Greys Blick blieb noch einige Sekunden auf ihn gerichtet, bevor er sich zu sammeln schien und wieder beruhigte.
„Jungs, ich glaube, wir haben unseren Maulwurf gefunden.“, erklärte Graham und klang fast fröhlich.
„Was ist hier los? Und was hat das mit Jenna zutun?“ Total verständnislos blickte Macy einen nach dem anderen an. Elijah Erbamte sicher ihrer und antwortet.
„Jo konnte das über Greys Schwester nicht wissen. Alles andere erfährst du, wenn es soweit ist.“ Seine Augen wechselten zu Grey und Landon herüber.
„Grey, du schnappst sie dir, wenn sie wiederkommt. Und Landon, du bereitest das Büro vor.“ Ein knappes Nicken von beiden war die Antwort, auch wenn Macy in Landons Blick ein Zögern entdeckte. Nach wenigen Sekunden setzte er sich in Bewegung und verschwand im hinteren Teil der Bar, durch eine Tür, die kaum zusehen war, da sie in der Wand eingelassen war.
Auch in Elijah kam Bewegung und er folgte Landon durch die Tür.
„Grey, was ist hier los?“ Macy hielt ihn am Arm fest und er sah sie nachdenklich an, bevor er antwortete.
„Das kann ich dir nicht erzählen, noch nicht.“ Er wandt sich aus ihrem Griff und wie es das verflixte Schicksal wollte, ging die Tür auf. Macy hörte hohe Absätze.
„Hallo zusammen. Habt ihr Lan gesehen?“, fragte Jo. Macy wagte nicht, sich umzudrehen. Die Stimmung, die in der Bar herrschte, war erschreckend und eiskalt.
Grey setzte ein Lächeln auf und ging auf Jo zu. Macy rang sich nun doch dazu durch, sich zu ihnen umzudrehen. Grey legte freundschaftlich einen Arm um Jo, die genauso verunsichert zu sein schien wie Macy selbst.
„Folg mir, ich bringe dich zu ihm.“ Er schob sie mit beinahe sanfter Bestimmtheit neben sich her.
„Ist etwas passiert Grey?“ Jo’s verunsicherter Blick wanderte von Graham zu Macy, als würde sie um Hilfe rufen. Macy ertrug das nicht weiter und flüchtete zu Graham hinter die Bar. Von dort aus sah sie zu, wie Grey Jo weiter zog, die sich mittlerweile wehrte.
„Eigentlich nicht. Du wirst uns nur erklären müssen, wieso du dass über meine Schwester weißt.“, antwortete Grey langsam und klang alleine deswegen umso bedrohlicher. Seine Worte schienen in ihr alle Befürchtungen wahr werden zu lassen. Ihre Versuche, sich aus seinem Griff zu winden, wurden energischer. Doch einen Wimpernschlag später griff Grey ihr ins Haar und riss so fest daran, dass sie den Kopf in den Nacken legen muss.
„Ich war nicht daran beteiligt, ich schwöre es.“ Hinter ihnen fiel die Tür wieder ins Schloss.

Am ganzen Leib zitternd, saß Macy auf einem Stuhl hinter der Bar. Graham kam gerade wieder und reichte ihr ein Glas Wasser. Sie nahm es dankend an, trank jedoch nur einen Schluck. Die ganzen Gefühle die auf sie niederregneten machten sie fast taub. Angst, Schock, Zweifel, Sorge. Sie wusste nicht ganz, welches Gefühl stärker war. Sie wusste nur, dass sie allein die Stille die in der Bar herrschte, erzittern ließ. Mit der größten Mühe versuchte sie das Erlebte zu verdrängen. Graham hatte sie in den vergangenen Minuten immer wieder gebeten, Ruhe zu bewahren.
„Sie werden ihr nicht weh tun oder?“, fragte sie. Und sie war sich sicher, dass sie sich ihre Frage auch selbst beantworten konnte. Wie Grey Jo gepackt hatte. Sie kannte ihn nicht und dennoch hatte sie sein Verhalten in eine Starre versetzt. Als sie sich wieder ein wenig beruhigt hatte, musste Graham alles daran setzen, dass sie nicht davon lief. Denn das nächste, dass sie danach fühlte, war ihr Fluchtinstinkt.
„Nicht wenn sie nicht müssen.“ Macy sah Graham verständnislos an.
„Das heißt im Klartext?“ Sie sah, wie ein leichtes Grinsen über sein Gesicht lief, bevor er sich räusperte.
„Wenn sie ihn alles erzählt, nicht.“ Macy stöhnte genervt und verzweifelt auf.
„Bitte sag mir einfach was hier los ist. Seit ihr so eine Kriminelle Bikergang? Muss ich mir Sorgen machen, dass ich auch so ende?“ Macy fragte sich, was das alles mit Jenna zutun haben sollte. Sie war schließlich der Grund, warum sie mit Graham hatte sprechen wollen.
„Hör zu Kleines. Kriminalität ist in dem Fall auslegungssache. Wir lassen die in Ruhe, die uns in Ruhe lassen. Ganz einfach. Und du musst dich jetzt zusammen reißen. Die ersten Gäste kommen.“ Graham hatte die ganze Zeit neben ihr gehockt und richtete sich nun auf. Macy reagierte automatisch und stand ebenfalls auf.

Nach und nach füllte sich die Bar. Zuerst hätte Macy es nicht geglaubt aber sie schaffte es, durch die Arbeit, kurzzeitig zu vergessen, was gerade um sie herum passierte.
„Wie lange besitzt du die Bar schon?“, fragte Macy Graham vorsichtig, als dieser etwas bei den Flaschen suchte. Er hielt kurz inne und gab ein Brummen von sich.
„Fünfunzwanzig Jahre, mehr oder weniger.“, grinste er und schnappte sich dann eine Flasche aus dem Regal, mit der er wieder verschwand. Er schenkte daraus zwei Gästen etwas in Pinchen ein. Macy wischte mit einem Lappen über die Bar, da einem Kunden zuvor das Glas umgekippt war.
„Du kommst mit.“, wendete sich plötzlich jemand an sie. Als Macy aufsah, stand Elijah vor ihr.
„Und du.“, wies er auf Graham.
„Packst das heute Abend auch sicher allein.“ Elijah wirkte ungeduldig und winkte sie zu sich. Eilig verabschiedete sie sich von Graham und folgte dann Elijah. Es war ziemlich eng, sodass Macy sich hier und da durchquetschen musste, um mit ihm Schritt zu halten. Er öffnete die Tür, durch die er, Lan und Grey verschwunden waren. Doch dahinter sah sie lediglich Grey, der sich auf einem Schreibtisch abstützte. Elijah legte ihr eine Hand auf den Rücken und schob sie hinein. Macy ließ es geschehen, denn ihre Gedanken überrumpelten sie. Sie war nicht dazu in der Lage, Grey anzusehen. Denn mit einem Mal hatte sie Angst, vor ihm.
„Setz dich.“ Elijah wies auf einen Stuhl, der neben Grey, vor dem Schreibtisch stand. Widerwillig ließ sie sich darauf nieder. Denn sie verspürte momentan alles andere, als den Drang, in Greys Nähe zu sein.
„Du brauchst dir keine Sorgen machen Macy, niemand hier wird dir etwas tun.“, sagte Elijah und erlangte ihre Aufmerksamkeit.
„Da bin ich nicht so sicher.“, erwiderte sie. Grey neben ihr schlug mit der Hand auf den Tisch, was ihr unglaublich laut vorkam und sie zusammen zucken ließ.
„Hör zu!“, sagte er dann und sah Macy an. Seine Zähne presste er kurz aufeinander. Alles in allem sah er sehr angespannt aus.
„Mein Schwester ist nicht einfach nur tot. Sie ist ermordet worden. Von jemanden den wir kennen. Und Jo hat mit demjenigen gemeinsame Sache gemacht.“
„Halt den Mund Grey!“, fuhr Elijah dazwischen. Macy verstand gar nichts mehr. Sie konnte dennoch Greys Ärger verstehen. Zumindest, wenn es denn die Wahrheit war. Seine Schwester war getötet worden? Schrecklich.
Grey neben ihr verspannte sich, erwiderte jedoch nichts auf Elijahs Worte und trat sogar zwei Schritte zurück.
„Es ist so.“ Elijah rieb sich die Stirn und wirkte hinter dem Schreibtisch wie ein Geschäftsmann. Wie ein Geschäftsmann mit Kutte.
„Du kannst heute Nacht nicht nach Hause.“
„Was? Natürlich kann ich das.“ Elijah knirschte mit den Zähnen, als Macy ihn unterbracht. Doch er bellte ihr nicht, wie Grey zuvor, irgendwelche Worte entgegen.
„Es ist gefährlich für dich Macy. Deine Freundin ist bereits verschwunden.“ Stirnrunzelnd versuchte sie, in seinem Gesicht zu ergründen, worauf er hinaus wollte. Was das alles mit Jenna zutun hatte.
„Diejenigen, die für das Verschwinden deiner Freundin verantwortlich sind, sind fälschlicherweise davon ausgegangen, dass du Jenna bist.“ Grey stützte sich auf Macys Stuhl ab. Seine Nähe jagte ihr einen kalten Schauer den Rücken hinunter.
„Wieso ich, was wollten die von mir? Lassen die Jenna jetzt in Ruhe?“ Elijah stand auf und kam um den Tisch herum, und positionierte sich an der Tür.
„Bitte verhalte dich einfach ruhig. Grey nimmt dich mit zu sich nach Hause. Morgen früh kannst du deine Mutter anrufen.“ Verständnislos starrte Macy Elijah an, als wäre er verrückt geworden.
„Sagt mir was los ist.“ Alles, was sie zuerst erhielt, war ein Kopfschütteln.
„Morgen früh rufst du deine Mutter an und fragst sie nach Elijah Pierce. Alles andere wird sich noch klären.“ Elijah nickte Grey zu, bevor er die Tür öffnete.
„Komm.“, sagte Grey stumpf. Und sie war selbst darüber verwundert aber Macy gehorchte, stand auf und folgte ihm. Erst in die Bar und dann hinaus an die Nachtluft.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.09.2022

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch widme ich meiner Schwägerin, da sie mir immer mit Rat und Tat zur Seite steht und mich in meinem Hobby unterstützt.

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