Eine teuflische Liebe
Herzogliches Liebes- und Ehedrama
Historischer Roman von Bettina Szrama
Inhalt
Zwei Intrigantinnen
Eine Liebe am hessischen Hof
Allerlei Hofgetratsche
Eine Hochzeit mit Hindernissen
Verirrungen einer Ehe
Das Mordkomplott
Der Tod des Kurfürsten
Schikanen und teuflische Anklagen
Die Gefangene vom Calenberg
Die Flucht
Epilog
Nachwort
Dieses Buch ist ein Roman, und alle darin geschilderten Ereignisse sind frei erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, auch wenn einige von ihnen nicht der Fantasie der Autorin entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.
Da ich in meinem Roman Originalnamen verwendet habe, kommt es mitunter zu Doppelnamen. Daher werden im Folgenden die Hauptpersonen aufgeführt.
Handelnde Personen:
Sidonia, Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg,
geborene Herzogin von Sachsen
Herzog Erich von Braunschweig-Lüneburg
Margarethe von Knigge,
Sidonias Hofmeisterin und Haupthexenopfer
Ritter Jojst von Leveste
Sohn der Hofmeisterin
Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg,
Erichs Mutter
Katharina von Sachsen,
Sidonias Mutter,
Kurfürst Moritz von Sachsen,
Sidonias Bruder
August von Sachsen,
späterer Kurfürst, Sidonias Bruder
Landgraf Philipp von Hessen,
Sidonias Onkel
Gräfin Elisabeth von Rochlitz,
Sidonias Tante
Agnes von Hessen,
Philipps Tochter, Gemahlin von Moritz
Katharina von Weldam,
Erichs Geliebte
Herzog Heinrich II. von Braunschweig Wolfenbüttel
nach seinem Tod, Sohn Herzog Julius von Braunschweig Wolfenbüttel
Nebenfiguren:
Anna von Hessen
Karl V. Kaiser des Heiligen römischen Reiches,
später sein Sohn Maximilian
Zwergin Eva von Dassel,
Hofnärrin und Intrigantin
Profoss Hans Spannier,
gedungener Mörder
Herr von Beust,
Sidonias Anwalt
Anna von Reden,
Hofdame, Hexenopfer
Katharina Dux,
Hofdame, Hexenopfer
Barbara Hartleb,
Hofdame, Hexenopfer
Emil Dux,
Burgherr und Hauptmann von Calvörde
Johann Hartleb,
Amtmann von Burg Lauenau Ehemann und Hofangestellter
Ritter Curd von Reden,
Ehemann und Hofangestellter
Maria de Vigo, Mitwisserin eines Mordkomplotts
…Unnd darbey durch vertraute Kundschaft berichtet wurdenn, das die Witwe vonn Braunschweig Ir gemuet des heyratshalbenn mit unser Dochter zuendern, furhette, wie sie dan solchs mit allerley unnachparlichen und unfreuntlichenn hendeln guter massen zuverstehenn gegebenn…
(Landgraf Phillipp an Moritz von Sachsen).
1544
An diesem herrlichen sonnigen Pfingstsonntag im Juni herrschte am Kasseler Hof des Landgrafen Philipp von Hessen der helle Aufruhr, denn die Verlobung zwischen seiner Tochter Anna und dem Junker Erich von Calenberg-Göttingen stand bevor.
Es war eine für jene Zeit und diesen Stand typische Verbindung, die man vorzugsweise aus politischem Kalkül und nicht aus romantischen Gefühlen schloss.
In ganz Hessen bis nach Wolfenbüttel erzählte man sich diese große Neuigkeit. Eigentlich war Erich im Kindesalter der zweiten Tochter Agnes als Ehemann zugesprochen worden, doch Moritz von Sachsen, der Sohn Herzog Heinrichs, eines der wirkungsmächtigsten reformierten Wettiner, verliebte sich bei einem Besuch bei Philipp in die hübsche Agnes.
Zunächst tolerierten seine Eltern die Verbindung. Doch auf Grund des bei Hof bekannten lockeren Lebenswandels des Landgrafen sagten sie die Verlobung wieder ab.
Allerdings hatten sie nicht mit Moritz Starrsinn gerechnet, der seine Auserwählte über alle Verbote hinweg heiratete. Weder die politischen Drohungen seiner Mutter Katharina, noch der Vorschlag seines altersschwachen Vormundes, ein katholisches Fräulein in Böhmen zu heiraten, hinderten ihn daran. Mit seiner eigensinnigen Gattenwahl bewies der angehende Erbe des albertinischen Reiches Sachsen nur seine Unbeugsamkeit, was zur Folge hatte, dass er sich mit seiner Familie entzweite.
Dem geprellten Erich hingegen bot der hessische Hof, als Friedenspfad, die zweite Tochter Anna an. Obwohl es seiner Mutter egal war, welche Tochter des Hauses Hessen ihr Sohn heiratete, ließ sich die Witwe Erichs des I. von Braunschweig Lüneburg trotzdem den Spaß etwas kosten und kassierte von Philipp eine ordentliche Abfindung für die Schmach. Die resolute Lutheranerin hatte es gerade geschafft, ihren Alleinregentanspruch gegen die katholischen Herzöge ihrer Nachbarländer durchzusetzen, und wollte nun ihren, unter der Vormundschaft des hessischen Landgrafen stehenden Sohnes, ihren Ansprüchen gemäß verheiraten. Also spielte die ehrgeizige Witwe mit und ging zum äußerlichen Schein auf das Eheangebot ein. Insgeheim aber liebäugelte sie mit einer weitaus vorteilhafteren Partie für ihren Erich. Schließlich brauchte Elisabeth ganz dringend für ihre politischen und reformatorischen Pläne neue Verbündete, am besten welche, die eine enge Beziehung zum kaiserlichen Hof in Wien pflegten, so wie das Haus Sachsen.
Diesbezüglich hatte sie von der noch unverheirateten Tochter Herzog Heinrichs, Sidonia, gehört. Da die sächsische Adlige ebenfalls zu den Verlobungs-feierlichkeiten geladen war, konzentrierte sie sich nun auf eine Verbindung ihres Sohnes mit einer Tochter aus dem Geschlecht der Wettiner. Lediglich der Ehevertrag mit der Landgrafentochter Anna stand ihren Vorstellungen noch im Wege. Dass Erich erst sechzehn Jahre zählte, schien sie weniger zu stören. Noch weniger scherte es sie, dass Erichs Zukünftige zehn Jahre älter als er war. Von ihrem Sohn forderte Elisabeth Gehorsam und machte sich wenig Gedanken darüber, ob diese immer aufrichtig gemeint waren. Sie benutzte ihn und duldete keinen Widerspruch, ging es um ihre Religiosität und ihr Machtbestreben. Ganz in diesem Sinne hatte sie kürzlich bei einem Besuch auf Schloss Lichtenberg Sidonias Mutter, Katharina kennengelernt und dem Wink des Schicksals folgend, in der sächsischen Fürstin eine gleichgesinnte Verbündete entdeckt.
Diese beiden gleichaltrigen, resoluten und im Intrigieren geübten Witwen begaben sich nun gemeinsam, mit einem Aufgebot an Gefolge als wollten sie die Welt aus den Angeln heben, an den hessischen Hof, wobei sie einen perfiden mit Nadeln gespickten Hochzeitsplan für ihre Kinder schmiedeten, ohne die menschlichen und politischen Verwirrungen mit in Betracht zu ziehen, die sie damit auslösten.
Die Sonne war schon am Sinken als die herzogliche Karawane mit ihren sechsspännigen Kutschen, ihren Gepäckwagen, ihren Lasttieren, ihren berittenen Lakaien und Leibwächtern das westliche Tor des Landgrafenschlosses erreichten. Doch die Hoffnungen auf ein warmes Essen und ein sauberes Bett erfüllten sich nicht. Denn vor der mächtigen Ringmauer wurden die Kutschen von der Festungswache zum Halten gezwungen. Den Ärger über die Unterbrechung bekam als Erstes die Abordnung der Bürgerschaft zu spüren, die nun an die, von der beschwerlichen Reise, stark verschmutzten, Wagen herantraten, um den hohen Gästen ihre Ehrerbietung zu bezeugen.
Herzogin Elisabeth verscheuchte die Abgeordneten von der Kutsche, wie man lästige Hunde verscheucht, und warf einen besorgten Blick durch das Fenster auf den ausgefahrenen, wie frisch gepflügten Steinweg. Offenbar hatten erst vor kurzem unzählige Wagen und Reiter ihn benutzt.
„Dutzende Brücken und Bergstraßen haben unsere Pferde hierauf bewältigt und nun verlangt man von uns, so kurz vor unserem Ziel, anzuhalten“, schimpfte sie vor sich hin. „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, uns in diesem Schmutz warten zu lassen!“
Die ihr gegenübersitzende Katharina sah von ihrer Bibel auf und versuchte sie zu besänftigen: „Geduldet Euch, liebste Freundin. Gleich werdet Ihr vom Ausblick über das hessische Bergland für alle Entbehrungen dieser Reise entschädigt werden. Wenn Euch das nicht genügt, stellt Euch einfach die herrlichen Teppiche im Schlosssaal vor oder die edlen Tonfliesen in der Kirche, von denen Eure Füße bald verwöhnt werden. Sicher ist es nur ein Versehen von Philipp, dass man uns warten lässt“, entschuldigte sie den Landgrafen. „Denkt an etwas Schönes und freut Euch lieber auf die Verlobung Eures Sohnes mit Anna, der Tochter unseres gemeinsamen Freundes. Eine bessere Partie, mit einem bedeutenderen protestantischen Fürsten als Philipp, werdet Ihr nirgendwo finden.“
Die Hoffnung, dass sich das Gesicht der Braunschweigerin aufhellte, und ihr bislang etwas bissiger Humor zurückkehrte, mit dem sie Katharina die Reise über unterhalten hatte, erfüllte sich nicht.
„Euer Wort in Gottes Ohr“, antwortete Elisabeth, deren Nerven zum Zerreißen gespannt waren. „Ihr habt gut reden. Soweit ich weiß, seid Ihr auch nicht gerade gut auf den Landgrafen zu sprechen.“
Katharina etwas pikiert über den hingeworfenen Brocken, wendete sich leicht verstimmt wieder ihrer Lektüre zu. War das die Dankbarkeit dafür, dass sie die Herzogin, nach ihrem Wagensturz in der Felswand, in ihrer Kutsche aufgenommen hatte?
Elisabeth dagegen hatte allen Grund, ärgerlich zu sein, lief ihr doch langsam die Zeit davon. Ungehalten über den unvorhergesehenen Halt steckte sie ihren Kopf durch das Wagenfenster, um nach ihrem Sohn Ausschau zu halten. Der junge Erich hatte der unbequemeren Kutschfahrt sein Pferd vorgezogen und führte den Tross an. Sie entdeckte ihn zwischen den Vorreitern an seiner strengen, spanischen Kleidung, womit er der Welt seine Treue gegenüber seinem neuen Gönner, dem Kaiser, kundtat, was ihr schon wieder Kopfzerbrechen bereitete. Denn Elisabeth war sich nicht mehr sicher, ob ihr Erich unter diesem Einfluss Luthers Lehre treu bleiben würde. Zumal er mit dem gleichaltrigen Kaisersohn Philipp, dem derzeitigen Anwärter auf die spanische Krone, befreundet war. Von ihren Informanten wusste sie, dass Erich vorhatte, mit einem Söldnerheer unter kaiserlicher Flagge, gegen die protestantischen Landesfürsten von Kursachsen und Hessen zu ziehen. Diesen Unsinn hatte ihm sicher der Kaiserspross Philipp eingeredet. Sie fand, dass Erich noch viel zu jung war, um die Tragweite einer solchen kriegerischen Handlung zu erkennen. Bevor er sich ihrem Einfluss noch weiter entzog, brauchte sie unbedingt Hilfe. Diese erhoffte sie sich von dem aufstrebenden Moritz. Der sächsische Herzog, auf den das Heilige Römische Reich große Hoffnungen setzte, schien ihr am geeignetsten, ihrem noch ungefestigten Sohn die Stütze zu geben, die er für seine Zukunft als regierender Herzog brauchte.
Sich weit aus dem Fenster lehnend, mit einer Hand am Fenstervorhang festhaltend, versuchte Elisabeth Erich auf sich aufmerksam zu machen, als ein Mönch aus einer Gruppe der städtischen Bürgerschaft an die herzogliche Kutsche herangeschoben wurde. Ungehalten durch die Störung herrschte sie ihn an: „Kann Er nicht aus dem Weg gehen, Ungehöriger! Weiß er nicht, wem er vor sich hat?“ Sie hielt ihn für einen Bettelmönch, doch als der vermeintliche Störenfried sich aus seiner Verbeugung aufrichtete und ihr das Gesicht zuwandte, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen.
„Antonius Corvinus, mein Freund! Was führt meinen Superintendenten nach Hessen? Ist Euch mein Hof zu klein geworden, oder hat Gott andere Pläne mit Euch?“, entschlüpfte es ihr erfreut und zugleich erstaunt, wobei sie dem Mönch vor Freude über die Begegnung beide Hände zur Begrüßung aus dem Fenster reichte.
„Es ist doch nicht Philipps neue Universität, weswegen Ihr mir untreu werdet?“, scherzte sie und lachte herzlich dabei, während der Geistliche eifrig nickte und sich gegen das Gewühl und den Lärm lautstark behauptete: „O ja, Herzogin. Als ehemaliger Student zieht es Euren alten Magister zurück an den Ort seines Wirkens. Diesmal ist es Landgraf Philipps berühmte Bibliothek, die mich gerufen hat. Denn haltet Euch fest; ich bin eigens hierhergereist, um den großen Reformator Luther zu treffen. Freut Euch mit mir Herzogin, denn mit seiner Hilfe wird es mir möglich sein, die von Euch gewünschte Kirchenordnung für Euer Land zu verfassen. Da ich weiß, wie sehr Euch das Seelenheil Eures Volkes und der Frieden Eures Landes am Herzen liegen, ist eine neue Ordnung dringend von Nöten. Schließlich wird der Tag kommen, wo Gott die Rechnung für Eure Haushaltsführung von Euch fordern wird. Aber keine Bange Eure Hoheit, ich werde Euch nicht untreu, auch wenn ich zur Zeit Philips Berater bin. Übrigens, aus Eurem Sohn Erich, ist ein stattlicher junger Mann geworden. Welche Fürstentochter würde einem solchen Prachtkerl nicht gern ihre Hand reichen? Die schöne Anna kann sich glücklich schätzen ihn zu bekommen“, wechselte er das Thema und versuchte ihr zu schmeicheln, zog aber im gleichen Moment die Stirn kraus, als sei ihm etwas Wichtiges eingefallen und fügte mit ernster Miene hinzu: „Aber Sorgen bereitet mir, dass der junge Fürst seine Freundschaft mit unseren Widersachern aufrechterhält. Durch deren hohes Ansehen kann er leicht zum Abfall unserer Religion getrieben werden.“
Im gleichen Moment würgte er das Gespräch mit der Frage ab: „Wo ist Eure Equipage, Herzogin?“, den Blick erstaunt auf das sächsisch kurfürstliche Wappen an der Tür gerichtet.
„Ich habe keine eigene Kutsche mehr, mein Freund.“, winkte Elisabeth lachend ab. „Mein Wagen ist nur noch Brennholz und liegt jetzt in einer Felsspalte. Wäre Herzogin Katharina nicht gewesen und hätte mir nach dem Sturz einen Platz in ihrer Karosse angeboten, würde ich jetzt in der unbequemen Kutsche meiner Hofmeisterin reisen. Macht Euch um Erich keine Sorgen. Er wird immer Euer gehorsamer Schüler bleiben, solange ich lebe.“
„Dann danke ich unserem Schöpfer, dass er so sorgsam über Euer Wohl wacht. Denn ich sehe, dass Ihr unverletzt seid und bei bester Gesundheit“, stellte der Geistliche erleichtert fest und ergriff abermals die Hände, die er inzwischen losgelassen hatte. In diesem Moment wurden sie durch eine Gruppe Reiter getrennt und der Magister vom anstürmenden Pöbel, wie von einer aufschäumenden Woge, von ihr weggerissen.
Elisabeth folgte dem verschwindenden Mönch mit den Augen, und rief ihm hinterher, die Hände vor dem Mund zu einem Trichter geformt: „Richtet dem Reformator Luther meine Grüße aus, wenn Ihr ihm das nächste Mal begegnet, und sagt ihm, dass ich mich für seine Dienste mit meinem berühmten Schafskäse und meinen Maulbeerblättern bei ihm bedanken werde!“
Ihre Worte verloren sich im Getöse der anfahrenden Räder und lautem Geschrei der Kutscher und Begleitoffiziere. Denn gerade wurde der Weg zur Vorburg freigegeben. Durch das geöffnete Tor konnte sie sehen, dass auf dem Platz vor dem Marstall bereits lebhaftes Treiben herrschte. Acht prächtig geschmückte Kutschen mit dem Wappen der Brandenburger und des Herzogs von Mecklenburg, vierzehn Maultiere und an die hundert Reiter in Begleitung von Hunden, Falken und freilaufenden Schweinen waren der Grund ihres unfreiwilligen Aufenthaltes. Nur wenige Minuten zuvor hatte die brandenburgische Karawane die Zugbrücke der mächtigen Wehranlage passiert. Die bunte Livree ihrer Diener vermischte sich mit den grauen und schwarzen Farben der Bauern, Stallknechten und Wagenbauern, die sich nun beauftragt vom landgräflichen Hofmeister, um den Aufenthalt der hohen Gäste kümmerten.
„Das war mein General-Superintendent, Anton Corvinus. Er ist schon so bekannt wie unser Magister Luther und ich bin stolz ihn an meinem Hof zu haben“, brüstete sich die Witwe, zurück auf ihrem Platz und wartete etwas nervös auf Katharinas Antwort. Doch die sächsische Fürstin hatte Elisabeth nur mit halbem Ohr zugehört. Gerade dabei, ihrem Hofpersonal durch das Fenster Anweisungen für die Unterbringung der Pferde zu erteilen, antwortete sie ihr zerstreut: „Als herzogliche Witwe hat man es nicht leicht. Wenn man sich bei seinen Untergebenen nicht durchsetzt, klappt gar nichts. Stellt Euch vor, meine Hofmeisterin hat sich in ihrer kalten Kutsche Hämorrhoiden geholt und kann nun weder laufen noch sitzen. Ich muss eine Vertretung bestimmen, jemand muss sich um die Unterbringung meines Frauenzimmers, des Gepäcks, der Pferde und der Bediensteten kümmern. Euer Weltverbesserer Corvinus“, ging sie abwinkend auf Elisabeths Frage ein: „ich hörte von ihm. Der Theologe mit dem Bastardbalken, Antonius Bierhahn. Man kennt seine Eltern nicht, aber man munkelt, er sei ein unehelicher Sohn des Domherrn von Paderborn. Was liegt da für ihn näher, als in die gleichen Fußstapfen zu treten.“
Katharinas etwas unüberlegten Worte beantwortete Elisabeth mit einem süßsauren Lächeln, während sie überlegte, wie sie sich für die Ignoranz revanchieren konnte.
„Habt Ihr schon gehört, liebste Freundin, was unser Gastgeber, Landgraf Philipp, sich wieder geleistet hat?“, parierte sie nach einem kurzen Schweigen und sprach damit auf Katharinas verwandtschaftliche Beziehungen zum hessischen Hof an. „Nachdem der Papst ihm die Doppelehe verwehrte, hat er sich von Luther die Erlaubnis geholt seine kindliche Mätresse zu heiraten. Wie findet Ihr das? Ist das nicht hochgradig skandalös…?“ Ihr Lächeln war um einen Schein breiter geworden, während sie auf Katharinas Reaktion lauerte. Fast ein wenig zu auffällig rückte sie sich ihren Hut zurecht, der ihr bei einem jähen Stoß des Wagens ins Gesicht gerutscht war.
Doch die Revanche verfehlte ihre Wirkung. Katharina war in Gedanken schon wieder abwesend. Die sächsische Fürstin weilte bei ihren Kleidern, die sie für die Jagd des Landgrafen und den anschließenden Ball, der bei schönem Wetter im Schlossgarten stattfinden sollte, tragen würde. Zurückgelehnt, die Augen halb geschlossen, dachte sie an ihr Jagdkostüm, mit dem sie recht zufrieden war. Sie hatte ihren Schneider noch kurz vor der Reise angewiesen, dem langen Mantel mit der hermelingefütterten Jacke einen reiterlich bequemen Schnitt zu geben, und bei dem Fischbeinkorsett die Bleiplatten für einen flachen Busen wegzulassen. Seit dem Tod ihres Gatten Heinrich liebte sie die phantasievollen, bunten französischen Hofgewänder, die durch Moritz Einfluss am Dresdner Hof in Mode gekommen waren. Mit der noch im Norden und am spanischen Hof getragenen, dunklen, dem militärischen Reglement entsprechenden Hofkleidung, konnte sie sich nicht mehr anfreunden. Gerade als sie sich das Golddiadem vor Augen führte, dass sie gedachte, zum Ball am offenen Dekolleté zu tragen, wurde sie von Elisabeths aufdringlicher Stimme erbarmungslos zurückgeholt:
„Hört Ihr mir überhaupt noch zu, meine Liebe?“
Katharina schrak zusammen und schlug das Buch in ihren Schoß auffällig laut zu. „Entschuldigt meine Unaufmerksamkeit, liebste Elisabeth“, versetzte sie eifrig. „Natürlich höre ich Euch zu, sprecht nur weiter. Ich war etwas in Gedanken. Wie ich annehmen muss, habt Ihr vor, noch weitere Giftpfeile auf den zukünftigen Schwiegervater Eures Sohnes, abzuschießen ...“
Katharina hatte nichts gegen die zierliche resolute Herzogin mit dem Lächeln im Gesicht, das immer ein wenig ironisch wirkte. Im Grunde genommen war sie ihr einerlei Dennoch sah sie in ihr eine ernst zu nehmende Konkurrentin.
Elisabeth war eine erfolgreiche Reformatorin. Eine nicht zu unterschätzende Zeitgenossin, die selbst auf Reisen nicht ohne ihre Amtskette und ihren steifen, federgeschmückten Hut anzutreffen war. Sie fragte sich, ob sie ihr gefährlich werden könnte. Immerhin tratschte man bei Hofe, dass sie die Mätresse ihres verstorbenen Gatten, mitsamt ihren Helferinnen, auf dem Scheiterhaufen entsorgt habe. Seit der Beerdigung ihres Gemahls war noch kein halbes Jahr vergangen, und dem Gerücht nach wartete am hessischen Hof bereits ein neuer Freier auf sie.
„Ach, liebste Katharina, wer redet denn gleich von Giftpfeilen? Ich habe nur so meine Zweifel in Bezug auf die Verlobung meines Sohnes mit Komtesse Anna“, beeilte sich Elisabeth, der Sächsin zu antworten. Schließlich brannte ihr etwas viel Wichtigeres auf der Seele.
„…Agnes ist eine Schönheit, aber Anna…? Sie gilt als unattraktiv und langweilig. Für sie ist mein Erich doch nur ein willkommenes Opfer. Zudem ist sie älter als Philipps Mätresse. Was liegt da für Philipp näher, als sie standesgemäß an den Mann zu bringen, um sie aus seiner Umgebung zu entfernen? Zur gleichen Zeit Vater einer unmündigen Tochter und Geliebter seiner neunzehn-jährigen Buhle - das würde ihm der Hof übelnehmen. Schließlich zerfetzt man sich bei Hof die Mäuler schon genug über die Ehe mit seiner Gattin Christina, die er nach sechzehn Ehejahren und acht gemeinsamen Kindern plötzlich als eine Zumutung empfindet. Außerdem sind schon wieder neue Gerüchte aufgetaucht“, zog sie, ohne weiter über Katharinas Verwandtschaft zum hessischen Hof nachzudenken, ungeschminkt über Philipp her. „Der Landgraf soll sich öffentlich beklagt haben, seit der Hochzeit nie wieder Lust oder Begierde zu seinem Weib empfunden zu haben, und schlimmer noch…" Sie warf einen heimlichen Blick auf die mitfahrende Zofe, ob das Mädchen das Gehörte ausplaudern könnte, bevor sie den Oberkörper nach vorn beugte und ins Flüstern verfiel, „Verbreitet er über seine Gemahlin, dass sie hässlich sei, unfreundlich und übelriechend. Alles nur, um seine Mätresse heiraten zu können. Bei so viel Geschmacklosigkeit sollen mir keine Zweifel kommen?“
„Ihr seid doch befreundet mit dem Haus Hessen. Es wird schon alles gut werden“, antwortete Katharina leicht verstimmt. Der Angriff gegen ihre sächsische Verwandte Christine prallte nicht so leicht an ihr ab. Die Tochter des verstorbenen Herzog Georg war die Leidtragende der amourösen Abenteuer ihres Gatten und hatte ihr vollstes Mitgefühl. Sie ärgerte sich insgeheim über Elisabeth, die in ihrem Redefluss, der selten ein rasches Ende fand, gern ihre kleinen Gehässigkeiten austeilte, ohne zu bemerken, dass sie andere damit verletzte. Eine kleine Strafe musste sein. Sie ignorierte Elisabeth und beschäftigte sie sich wieder mit der morgendlichen Hirschjagd und dem anschließenden Ball im Gartenpalais.
Nach der Jagd war ein Schmaus im angrenzenden Wald unter den Klängen der Orchester vorgesehen und ein großer Fackelumzug, mit Amor, der den Reigen anführen würde. Bei dieser Vorstellung verfiel sie ins Schwärmen und konnte sich nicht zurückhalten, laut zu träumen: „Ich hoffe, Herzog Albrecht von Mecklenburg nimmt an den morgendlichen Feierlichkeiten teil. Dies wäre eine hervorragende Möglichkeit, meine Sidonia unter die Haube zu bringen. Ich habe nämlich seinen Sohn, den jungen Pfalzgrafen, im Auge. Moritz hat es bis jetzt noch nicht geschafft, sie zu verheiraten. Vielleicht gelingt es mir. Zeit wird es ja langsam, der erste Frühling ist bei ihr ja schon vorbei. Ach, wäre doch mein Gemahl noch am Leben, mein Heinrich…“, seufzte sie. „Dann hätte meine Tochter längst ihren Ehemann. Warum musste ihn mir der Herrgott so früh nehmen? Er war so ein geselliger Fürst und liebte die Künste, so wie meine gute Küche und die Jagd. Ich wurde von meinem mecklenburgischen Elternhaus sehr jung mit ihm verheiratet. Aber ich hatte Glück, mein musisch begabter Fürst trug mich ein Leben lang auf Händen. Er brauchte keine Mätresse.“
Von wegen Eheglück, dachte Elisabeth, jetzt ihrerseits verstimmt, und verzog hinter ihrem Fächer die Mundwinkel. Der Herzog wurde doch von ihr regiert, so erzählt man es sich bei Hof, von Ihr und Ihrem Liebhaber Antonius dem Ketzer. Doch trotz der aufkommenden Langeweile über das Ehegefasel, hörte sie Katharina zu, ohne sie zu unterbrechen.
„Heute, als Witwe, sehe ich mich gezwungen, meine Tochter, wie ein teures Diadem, an den Höchstbietenden zu bringen“, redete Katharina unbeirrt weiter.
„Leider ist Sidonia in dieser Beziehung wie ihr Bruder Moritz. Sie hat ihren eigenen Dickkopf und träumt doch tatsächlich noch immer von der großen Liebe…“
Den Sturkopf wird sie wohl von ihrer Mutter geerbt haben, schlussfolgerte Elisabeth bissig und überlegte fieberhaft, wie sie es anstellen konnte, die Sächsin endlich für ihre eigenen Probleme zu gewinnen.
„…Stellt Euch nur mal vor, liebste Elisabeth; erst kürzlich hat Philipps Schwester bei Hofe das Gerücht gestreut, Sidonia würde eine Rippe fehlen und sie wäre bucklig. Was für eine Infamie. Ach liebste Freundin, da hättet Ihr meine Tochter mal erleben sollen. Das Temperament hat sie von mir. Die falschen Haare hätte sie dem Biest am liebsten ausgerissen. Alles nur, weil die Herzogin von Rochlitz ebenfalls ein Auge auf ihren Verehrer geworfen hatte“, schwatzte Katharina munter weiter, während Elisabeth sich, des Geredes überdrüssig, jetzt dem Geschehen vor der Kutsche zuwendete.
Der Marstall, ein viergeschossiger Bau mit einem großen Renaissanceportal und zwei Fachwerk-obergeschossen, tauchte vor ihnen auf. Packwagen, Reiter und die nicht minder schlammbedeckten Kutschen der Hofdamen überholten sie, ebenso wie die Kühe, Schweine und das Federvieh, das laut quiekend und schnatternd unter dem Gegröle des Hofpersonals, an ihnen vorbei in die Ställe getrieben wurde.
„Für das Herz sollte Eure Tochter sich lieber einen Liebhaber nehmen. Und bei Philipps Schwester ... na da fällt der Apfel wohl nicht weit vom Stamm, meine Liebe. Wie die Schwester, so eben auch der Bruder“, antwortete Elisabeth auf Katharinas erstaunten Blick, während sie mit einer Handbewegung durch das Fenster einen berittenen Offizier zu sich winkte und sich bei ihm erkundigte, ob ihre Hofmeisterin schon angekommen sei.
„Jawohl, herzogliche Hoheit“, antwortete ihr der Reiter mit einem ergebenen Kopfnicken und zügelte sein Pferd. „Frau von Knigge erwartet Euch bereits vorm Eingang des Leutehauses, um Eure Bediensteten dort unterzubringen. Euer Weg, Hoheit, führt Euch vom Leutehaus zum Haupthaus und von dort zum großen Fürstensaal, wo man Euch zu den vornehmen Unterkünften geleitet.“
„Philipp ist eben unverbesserlich, was Frauen betrifft“, hörte sie Katharina im Hintergrund kichern. „Ein Kostverächter war er ja noch nie gewesen. Allerdings munkelt man bei Hofe, er soll sich eine Geschlechtskrankheit eingefangen haben...“
Elisabeth runzelte die Stirn. Der ganze Hof weiß schon darüber Bescheid, das ist keine Neuigkeit, dachte sie und zupfte ihre Röcke zurecht.
„Na meine Liebe, ist das nicht mal eine gerechte Strafe Gottes? Der Schöpfer hat nämlich etwas gegen außereheliche Beziehungen.“
Elisabeth wollte etwas entgegnen, unterließ es aber und beschäftigte sich jetzt mit ihrem Fächer. Bei so viel sächsischer Infamie fehlten sogar ihr die Worte.
Doch Katharina war noch nicht am Ende.
„Seid versichert, liebste Elisabeth, diesen Schandfleck wird Euer Sohn mit heiraten“, stichelte sie hinter ihrem zuckersüßen Lächeln. „…und verlasst Euch darauf, Philipp wird die Doppelehe durchsetzen, auch mit Gottes Segen. Bei seinem machtpolitischen Einfluss... Wer will sich dem schon widersetzen? Philipp hat sich mit unseren protestantischen Landesherren gegen Kaiser und Papst verbündet und sich zu ihrem Führer aufgeschwungen. Zudem verfügt er über ausreichendes Militär, um alle seine Ansprüche durchzusetzen. Dank seines guten Verhältnisses zu Luther, hat er sogar eine theologische Begründung dafür: Gott habe schließlich auch so manchem Patriarchen aus dem Alten Testament mehr als eine Ehefrau gegönnt. Gewöhnt Euch schon mal an den Gedanken, dass Erich zwei Schwiegermütter bekommt, eine davon in seinem zarten Alter...“
Jetzt hatte sie Elisabeths wunde Stelle getroffen. „Euch scheint es ja förmlich zu ergötzen, mir Erichs zukünftiges Sündenbabel vor Augen zu führen“, konterte sie hart zurück. „Aus Euren Worten entnehme ich, dass Philipp kein gutes Vorbild für meinen Erich ist. Aber man kann schlecht mit moralischen Ansprüchen die Verkommenheit der katholischen Altkirche anprangern und gleichzeitig selbst die Eheprinzipien des Neuen Testaments über Bord werfen.“
Das Gespräch begann Elisabeth zu langweilen. Sie musste endlich auf den Grund ihres Anliegens kommen. Dazu brauchte sie die Aufmerksamkeit der sächsischen Fürstin, und nicht die frivolen Eskapaden des Hessen.
„In welchem Wagen reist eigentlich Eure Tochter Sidonia?“, wechselte sie das Thema. „Die Herzogin und Moritz Gemahlin Agnes soll ja eine enge Freundschaft verbinden… erzählt man sich.“
„Ihr habt richtig gehört, liebste Freundin.“, antwortete Katharina erstaunt über das plötzliche Interesse an ihrer Tochter ... „Die jungen Frauen sind vorausgefahren und weilen bereits im Landgrafenschloss. Moritz hat sie beide bis zum Schloss gebracht.“
„Wie mir zugetragen wurde, seid Ihr auf Euren Sohn Moritz nicht gut zu sprechen?“, hakte Elisabeth weiter nach.
„Das erzählt man sich, meine Liebe. Aber wie sollte ich mich auch über den zukünftigen Erben unseres albertinischen Hauses Sachsen freuen, den ich an meinem Busen genährt habe und der mich wegen seines Weibes wie den Aussatz meidet. Ich habe zwei Töchter gut verheiratet und meinen jüngsten Sohn August in militärischer Ausbildung. Aber Moritz war schon als Kind sehr eigenwillig und nun hat es den Anschein, als will er sich ganz mit der Familie entzweien, indem er mir auch noch Sidonia entfremdet. Seit seiner Hochzeit mit Agnes schwänzelt er nur noch um sie herum, als wäre sie seine Braut. Sie sind fröhlich und vergnügt, gehen gemeinsam ins Bad, nehmen an Jagden und Bällen teil, und alles ohne meine Zustimmung, geschweige denn meine Gesellschaft.“
„Sie sind erwachsen, liebste Katharina“, beruhigte sie Elisabeth und tätschelte gespielt ihre Hand. „Aber ist das Gerücht wahr, Herzog Moritz soll der Verlobungsfeier von Anna fernbleiben?“, lenkte Elisabeth die Frage nun bewusst auf den Sohn.
„Liebste Freundin…?“ Verdrießlich winkte Katharina ab. Das Gespräch nahm für sie eine ungewollte Richtung, über die sie nur ungern sprach. „Ist das verwunderlich? Moritz hat Eurem Sohn Erich die Braut ausgespannt. Glaubt Ihr, dass es ihn danach an den hessischen Hof zieht, wenn gleichzeitig seine Mutter und sein Nebenbuhler geladen sind? Moritz verbringt derweil die Zeit am französischen Hof, um seine außenpolitischen Ziele zu festigen.“
„Aber sein Verhältnis zum Kassler Hof ist doch gut, oder?“, bohrte Elisabeth weiter.
„Natürlich. Moritz stellt sein Verhältnis zu seinem Vetter und Freund Philipp über alles, sogar über mich, seine Mutter.“ Elisabeth weckte Katharinas Misstrauen. Woher kam das plötzliche Interesse an ihrem Sohn Moritz?
„Man munkelt, Herzog Moritz könnte Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches werden?“, bohrte Elisabeth weiter.
„Möglich, unser katholischer Kaiser hat ihm die Kurfürstenwürde angeboten, wenn er ihn gegen die Türken und Franzosen unterstützt. Aber als sein Vasall könnte es geschehen, dass er unsere evangelische Lehre verrät. Ich weiß noch nicht, was mein Sohn vorhat. Er ist so schwer, ihn zu durchschauen.“
„Moritz ist von Eurem Blut… von Euch erzogen. Alle unsere reformatorischen Hoffnungen liegen bei ihm“, schmeichelte ihr Elisabeth, beharrlich an ihrem Vorhaben festhaltend, obwohl sie die Neuigkeiten beunruhigten. Sie gefährdeten ihren Plan. Eine weitere besorgte Frage lag ihr bereits auf der Zunge.
In diesem Moment schleuderte ein harter Stoß sie beide wie loses Gepäck durch das Kutscheninnere. Die Bremsen quietschten ohrenbetäubend. Elisabeth spürte, wie sich die Pferde hart gegen die Deichsel stemmten. Die Kutschen hatten ihr Ziel erreicht und hielten vor der Treppe zum Haupteingang des Leutehauses.
Elisabeth, noch mit dem Ordnen ihrer Kleider beschäftigt, schielte unter dem zerknautschten Hut nach der Sächsin und sah gerade noch, wie die Fürstin sich anschickte, die drei Stufen des hölzernen Ausstieges hinabzusteigen, um als erste, mit ihren hochhackigen Schnabelschuhen, hessischen Boden zu berühren.
„In Moritz steckt ein Judas. Ich glaube, er will seinen ungeliebten Vetter aus seinem Kurfürstenamt drängen. Vertraut nicht zu sehr auf Herzog Moritz. Geht es um Macht, wird man schnell zum Verräter!“, hörte Elisabeth Katharina noch lachend rufen, bevor sie aus ihren Augen verschwand.
Wütend darüber, dass ihr Vorhaben durch ihre Ankunft vereitelt worden war, beeilte sich Elisabeth ebenfalls, die Kutsche zu verlassen. Sie schlug die helfende Hand der Zofe aus, sprang wie ein junges Mädchen auf den Boden, raffte ihre Röcke und lief rasch um den Wagen herum hinter Katharina her, die jetzt eilig in Begleitung zweier Hoffräulein und unzähliger, mit Kisten beladener Diener die breiten Eingangsstufen zu ihren Unterkünften hinaufstiefelte.
Vor dem säulengetragenen Renaissanceportal erwarteten sie bereits die Bediensteten des hessischen Hofes. Elisabeth hatte keinen Blick für die Hände, die sich ihr hilfreich entgegenstreckten. Sie erwischte die sächsische Fürstin gerade noch am Rockzipfel und hakte sich sofort bei ihr unter.
„Ihr könnt mich jetzt nicht verlassen, liebste Freundin“, flehte sie, die Verärgerung hinter einem strahlenden Lächeln verbergend.
„Ihr habt doch sicher bemerkt, dass ich noch etwas Unaufschiebbares auf dem Herzen habe. Schenkt mir noch ein paar Minuten und flaniert mit mir durch Philipps herrlichen Rosengarten. Von dort aus können wir über das ganze hessische Bergland sehen und den wunderschönen Sonnenuntergang genießen.“
Die erstaunte Katharina, in der Vorfreude auf frische Wäsche und ein ausgiebiges Mal, hob verblüfft die Brauen, sah Elisabeth einen Moment regungslos an, stieß die Luft durch die Nase und knurrte mit verhaltener Stimme: „Ich sehne mich nach der anstrengenden Reise nach nichts Weiterem als nach Ruhe und einem heißen Bad, liebste Elisabeth. Ich stinke wie ein Landsknecht. Was gibt es denn noch Wichtiges, dass nicht bis Morgen Zeit hätte?“ Doch es schien, als erinnere sie sich und so fügte sie müde hinzu: „Ach, wie konnte ich es vergessen, meine Liebe. Wie aus Euren Worten zu entnehmen war, habt Ihr irgendetwas Gemeines mit Philipp vor. Habe ich Recht? Sollte dies Euer Wunsch sein, frage ich mich, weshalb Ihr unbedingt meine Hilfe dazu braucht? Ihr habt für die Abfuhr von Philipp doch eine Entschädigung bekommen…“
Plötzlich machte sie eine Bewegung mit der Hand zum Hut, als wollte sie sich an die Stirn fassen. „Natürlich, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen…? Euch schwebt eine Verbindung Eures Sohnes mit meiner Tochter vor… Deshalb die lästigen Fragen über meinen Sohn Moritz. Ich hoffe, ich irre mich und Ihr wollt nicht wirklich Eure Verlobung mit der Landgrafentochter auffliegen lassen, um Euren Knaben Erich mit einer reifen Frau zu verheiraten.“
Verblüfft über Katharinas Scharfsinn, begann es jetzt in Elisabeth zu brodeln. Doch sie wusste sich zu beherrschen, verbarg geschickt ihre Gefühle vor ihr und führte die widerstrebende Herzogin, mit einem vertraulichen Zwinkern von der Treppe zur Burgmauer, wo sie auf der Terrasse vor einer prunkvollen Götterstatue stehenblieb. Allein, ohne Bedienstete, nur umgeben von einem Meer von roten Rosen, kam Elisabeth ohne Umschweife zu ihrem Anliegen: „Ihr habt meine Wünsche erraten, meine Liebe. Ich möchte mich mit Eurer Hilfe an Herzog Philipp für die Abfuhr meines Sohnes rächen und die Verlobung lösen. Mir wäre es lieber, mein Erich würde eine Frau aus tadellosem Hause heiraten. Deshalb wünsche ich mir für ihn eine Verbindung mit Eurer jüngsten Tochter Sidonia. Zudem liegt mir diese Heirat besonders am Herzen, weil sie unserer gemeinsamen Sache dient, der Reformation unseres Heiligen Römischen Reiches.“
Katharina riss erst die Augen auf und lachte dann unterdrückt. Als sie ansetzte, um etwas zu erwidern, nahm ihr die Braunschweigerin erneut das Wort.
„Mein Erich ist keineswegs zu jung für Eure Tochter. Im Gegenteil, mein Sohn ist bereits ein Mann nachdem sich jede junge Frau meines Hofes vor Sehnsucht verzehrt“, pries sie ihn an, um jeden Zweifel im Keim zu ersticken. „Gut, er ist etwas früh erwachsen geworden, aber was spielt das für eine Rolle? Zudem versteht er sich hervorragend auf das Kriegshandwerk und weiß, wie man sein Land lenkt Was beweist, dass er kein Knabe mehr ist.“
„Das hört sich an, liebste Freundin, als hättet Ihr alles schon ohne mich beschlossen“, unterbrach sie Katharina. „Gewiss verstehe ich Eure Beweggründe. Dennoch sollte Euch bewusst sein, dass Herzog Moritz zu dieser Angelegenheit das letzte Wort hat und niemals in eine solche Verbindung einwilligen wird.“
Elisabeths setzte ein enttäuschtes Gesicht auf, faltete die Hände und beschwor sie „Herzogin, bedenkt die Vorteile…!“ Fast hätte sie ihre Würde vergessen und sich zu einem Kniefall vor ihr durchgerungen.
Wollte Katharina sich zunächst wie über einen Scherz vor Lachen ausschütten, fasste sie die braunschweigische Witwe jetzt nachdenklich ins Auge. Je länger sie über Elisabeths Angebot nachdachte, umso weniger abwegig fand sie es. An einer Verbindung mit dem Haus Braunschweig Lüneburg - Göttingen wäre ihr durchaus gelegen. Allerdings die Vorstellung, ihre reife Tochter mit einem Knaben zu verheiraten, reizte sie nicht nur zum Lachen, sondern kränkte sie auch. Sidonia wie auch Moritz würden dazu sicher nie ihr Einverständnis geben. Vorsichtig versuchte sie, Elisabeth ihre Gründe nahezubringen: „Bedenkt, liebste Freundin, unsere beiden Kinder haben sich noch nie gesehen und wie wollt Ihr es anstellen, die bevorstehende Verlobung mit Komtesse Anna platzen zu lassen, ohne uns am Hof zum Gespött zu machen?“
Elisabeth - gut vorbereitet - hatte auf alles eine Antwort.
„Aber meine Liebe. Natürlich habe ich alles genau durchdacht.“, lächelte sie honigsüß. In Gedanken verärgert über Katharinas Unentschlossenheit. „Herzog Philipp braucht eine Abreibung, die bin ich ihm schuldig, wegen der geplatzten Verlobung zwischen Agnes und Erich. Ihr werdet mir dabei helfen, denn ich weiß, dass auch Ihr durchaus ein Interesse daran habt. Schließlich hat Euch der Verführer Philipp abblitzen lassen und an Eurer Stelle Eure Cousine Christina geheiratet…“
Die Erinnerung an die Schmach trieb Katharina die Röte in die Wangen. Ihre Augen blitzten. Schon wieder schlug Elisabeth über die Stränge und missachtete die Etikette. Am liebsten hätte sie die durchtriebene Intrigantin einfach stehen lassen. Doch ein einzelner Reiter zog jetzt das Interesse der Herzoginnen auf sich. Er hatte sie schon eine geraume Zeit vom Brunnen aus beobachtet und kam nun, den Hut über dem Kopf schwenkend, auf sie zu, nachdem er die Zügel seines prächtigen Friesenhengstes einem Pferdejungen in die Hand gedrückt hatte. An der edlen Kleidung und dem bestickten Wappen mit den vier Löwen vermutete Katharina Elisabeths Sohn und sah ihm neugierig entgegen. Er kam leichten Schrittes auf sie zu und verneigte sich grüßend vor ihnen.
„Was für zwei wunderschöne glitzernde Edelsteine in der Abendsonne“, schmeichelte er den Herzoginnen, bevor er das Knie zuerst vor seiner Mutter beugte. „Ich bin entzückt, liebste Mutter, Euch nach der langen Reise so gesund und munter zu sehen. Und wer ist diese wunderschöne Dame neben Euch? Möchtet Ihr sie mir nicht vorstellen?“, fragte er höflich, Katharina verstohlen musternd, während er auf die dargebotene Hand seiner Mutter Elisabeth einen Kuss hauchte.
„Heuchler“, scherzte Elisabeth lachend und zugleich erfreut über sein Erscheinen im richtigen Augenblick. „Du hast zwei gestandene Fürstinnen vor Dir und nicht deine Geliebte. Ist er nicht ein Charmeur, ein Verführer vom Scheitel bis zur Sohle, obwohl noch so jung an Jahren? Das ist mein Erich“, stellte sie ihn Katharina vor, nicht ohne einen gewissen Stolz in der Stimme.
Die sächsische Fürstin reichte dem jungen Mann ihre Hand, um ihm wieder aufzuhelfen, nachdem er ihr gebührend Reverenz erwiesen hatte.
Als er den Kopf hob und sie interessiert in sein Gesicht sah, musste sie sich eingestehen, dass dieser junge Adlige sie verwirrte. Je länger sie dem Blick seiner großen sinnlichen, etwas verschleierten Augen standhielt, umso mehr hatte sie das Gefühl, dass er bis in ihr Herz traf. Elisabeth hatte nicht übertrieben. Dieser junge Fürst war schön und er war ein Mann. Selten hatte sie am Hof einen so gut gebauten Kavalier gesehen. „Er ist wirklich erst siebzehn?“, fragte sie Elisabeth leise, ohne sich von seinem Blick zu lösen.
„Ihr sollt ihn nicht heiraten, liebste Freundin“, scherzte Elisabeth, nachdem sie nicht ohne eine gewisse Genugtuung beobachtete, wie Katharina unter den Blicken ihres Sohnes dahinschmolz. „Ich habe Euch doch nicht zu viel versprochen. Erich ist beileibe kein Knabe mehr. Seht ihn Euch nur an, Er ist bald ein regierender Herzog und ein eifriger Anhänger der neuen Lehre. Nicht wahr, mein Sohn?“, fragte sie Erich, der bei ihren Worten sein federgeschmücktes Barett vor seine Schamkapsel hielt und es unschlüssig zwischen den Fingern drehte.
„Ihr schmeichelt mir, Mutter“, antwortete er und mimte den Verlegenen, indem er vor ihr züchtig die Lider senkte. „Aber bevor Ihr mich mit Euren Schmeicheleien überhäuft, bitte ich die Damen, mich wieder zu meinen Männern zu entlassen. Wir haben noch vor dem Abendbankett vor, Philipps Badehaus aufzusuchen, um uns von der Reise frisch zu machen. Ich denke, dass ich die Damen zur morgendlichen Jagd wiedersehe.“
Der Anstand gebot es, die Konversation mit den Herzoginnen nicht länger hinauszuziehen, und so schwenkte er erneut den Hut, zwinkerte Katharina zum Abschied gewagt zu und entfernte sich rasch.
„Es wird schwierig werden“, seufzte Katharina, während sie dem davoneilenden Edelmann gedanken-verloren hinterher sah.
„Wieso plötzlich solche Worte“ fuhr Elisabeth herum. „Seid Ihr nicht eben auch seinem Charme erlegen?“
„Ja, das stimmt, liebste Elisabeth. Euer Sohn hat eine betörende Ausstrahlung auf Frauen. Aber ob das allein reicht, um meine Tochter zu beeindrucken? Ich bin ein altes Weib, das lange keinen ordentlichen Mann im Bett hatte. Nur deshalb gelang es Eurem Erich, meinen Busen zum Erzittern zu bringen. Ich habe meine Aufgabe als Landesfürstin bereits sechsfach erfüllt. Sidonia noch nicht. Sie ist nicht mehr so jung und muss sich beeilen, ihrer Pflicht gerecht zu werden. Aber warum sagt mir mein Herz, das Euer Sohn dieser Verantwortung nicht gewachsen ist, mit Sidonia Nachkommen zu zeugen, die unser Geschlecht zukünftig sichern werden? An ihm könnte meine Tochter zerbrechen.“
„Ach, was redet Ihr da“, winkte Elisabeth ab, um ihre Zweifel zu zerstreuen. „Erich wird die gleiche Anziehungskraft auf Eure Sidonia haben, wie auf Euch und, dass er voll im Saft steht, wollt Ihr doch nicht abstreiten. Die beiden werden, so Gott es will, viele Kinder zeugen.“
„Wie aber sollen sie sich in den nächsten drei Tagen ineinander verlieben, ohne einen Skandal zu provozieren? In ein Badehaus bekommt Ihr meine Sidonia nicht. Darüber ist sie erhaben“, antwortete ihr Katharina.
„Ihr meintet prüde. Weil Ihr wisst, was in den Badehäusern vor sich geht. Das sich Paare dort, allein um der Lust willen, extra einschließen lassen. In diesen Dingen sind wir Braunschweiger den konservativen Sachsen etwas voraus. Sicher wäre das Badehaus der einfachste Weg. Aber ich habe bereits einen anderen Plan, der die beiden sicher zusammenbringen wird.“
„Und welcher wäre das?“ Mit einer noch immer zweifelnd hochgezogenen Braue wartete Katharina gespannt auf das, was die Witwe ausgebrütet haben mochte.
„Heute Abend gibt es vor dem großen Empfang im Fürstensaal ein Dinner im Frauenzimmer der Herzogin von Rochlitz. Eine solche Einladung bei Philipps Schwester, lässt sich kein weiblicher Gast entgehen. Da es gleichzeitig der erste Ankleidetermin für die künftige Braut Anna ist, werde ich als zukünftige Schwiegermutter anwesend sein. Mit einem sehr wirksamen abführenden Mittel sorge ich dafür, dass Anna der abendlichen Tafel fernbleibt. Gleichzeitig erhaltet Ihr über meine Hofmeisterin ein Pulver, welches Ihr Eurer Tochter heute Abend unauffällig beibringt.“
„Was…?“ Brüsk entzog sich ihr Katharina. „Ihr geht zu weit, liebste Freundin! Wollt Ihr meine Tochter vergiften? Das ist Hexerei!“, rief sie und machte eine abwehrende Bewegung mit den Händen.
„Keine Angst ...“, beruhigte sie Elisabeth. „Es handelt sich um ein harmloses, aber gut wirkendes Pulver aus Baumrinde, Safran und Schlangenwurz. Es ist völlig geschmacklos und hat eine enthemmende Wirkung auf den Geschlechtstrieb. Meine Hofmeisterin, Frau von Knigge, hat mir mit diesem Gebräu schon manche Dienste geleistet. Sie ist übrigens eine sehr bemerkenswerte Frau und ganz bestimmt keine Hexe. Ich werde sie Euch bei Gelegenheit vorstellen. Sidonia muss auf Euren Sohn noch heute Lust verspüren, es ist die beste Zeit, um einen Skandal zu provozieren, der nur in einer Hochzeit enden kann.“
„Und Ihr glaubt, dieser Hokuspokus gelingt? Es sind junge Adlige mit Verstand, die Ihr versucht zu manipulieren, keine Bauern.“
„Es wird gelingen. Vertraut mir“, erwiderte Elisabeth mit sichtbar erleichterter Miene. „Eure Tochter Sidonia wird meinem Sohn vorgestellt werden. Bemüht Euch, Ihre Vorzüge herauszustellen.“ Sie strich wie gedankenverloren über ihre Röcke. „Zudem habe ich als zukünftige Schwiegermutter einen Einfluss auf die Sitzordnung an der Tafel. Ich werde dafür sorgen, dass mein Sohn in Sidonias Nähe sitzt. Sollte dann, so Gott will, das Pulver zur Wirkung kommen, wird das Schicksal entscheiden und sie werden sich ineinander verlieben. Es gibt natürlich auch noch andere Möglichkeiten, die beiden zusammenzuführen. Einen inszenierten Reitunfall Eurer Tochter und Erich als Retter…?“
„Gott bewahre…!“ Katharina schlug erschrocken die Hände vor das Gesicht. „Seid Ihr von Sinnen? Was habt Ihr für eine blühende Fantasie, Herzogin. Mir erschauert bei dem Gedanken, Ihr setzt solcherlei in der Politik Eures Landes um…“
Elisabeth lachte glucksend. „Traut Ihr mir das zu, liebste Katharina? Außerdem ist es doch ein schönes Gefühl, Amor zu spielen?“
„Kupplerinnen sind wir, und der Herrgott wird sich dafür rächen“, antwortete Katharina, sich immer noch nicht sicher, ob sie auf das Angebot eingehen sollte. „Was, wenn Anna dennoch zum Abenddinner erscheint? Oder es einem von uns nicht gelingt, den Kindern das Pulver unterzumischen? Komtesse Anna wird ihren Verlobten doch sicher sehen wollen“, fragte sie von Zweifeln geplagt.
„Mein Wort darauf, Komtesse Anna wird auf dem Empfang nicht erscheinen, dafür sorge ich schon. Sollte doch etwas misslingen, wird meiner Hofmeisterin sicher etwas einfallen. Sie ist eingeweiht. Allerdings wird es nicht einfach werden, später Landgraf Philipp und Herzog Moritz von der Heirat unserer Kinder zu überzeugen.“
„Das stimmt. Das wird ein Stückchen Arbeit“, pflichtete ihr Katharina nachdenklich bei.
„Also, seid Ihr dabei, meine Liebe?“
Katharina war sich noch nicht schlüssig und überlegte, während sie Elisabeth nicht aus den Augen ließ. Sie traute der Witwe aus Münden nicht über den Weg und wog sämtlich Vor- und Nachteile gegeneinander ab. Als sie noch immer zögerte, erinnerte sie Elisabeth: „Denkt allein an die strategisch so günstig gelegene Burg Calenberg, inklusive der dazugehörigen riesigen Ortschaften und Ländereien. Sie wurde von meinem Gatten zu einer modernen Festung umgebaut, die über zwei Brücken zugänglich ist mit einem 700 Meter langen Wall. Sie ist praktisch uneinnehmbar und könnte Sidonias Witwensitz werden.“
Dieser Verlockung vermochte Katharina nicht länger zu widerstehen. Insgeheim sah sie die mächtige Festung bereits in den Händen ihrer Familie, vor allem die Einnahmen und Steuern aus den Erträgen der dazugehörigen Ländereien, was für sie ein überzeugendes Argument war. Entscheidend für ihre Zusage aber war letztendlich die Erinnerung an einen Brief ihres Advokaten, über den sie sich in der Vergangenheit furchtbar aufgeregt hatte. Man wollte sie abschieben, betitelte sie als alte Frau, die man vom Dresdner Hof fernhalten sollte, weil sie mitregieren wolle und so die Ordnung durcheinanderbrächte. Wütend hatte sie daraufhin mit ihrer Tochter Dresden verlassen, und war erst auf ihren Witwensitz in Freiberg wieder zur Ruhe gekommen. Mit der Verheiratung Sidonias mit dem braunschweigischen Haus sah sie plötzlich ihre Zeit wiederkehren, und so antwortete sie mit einem zustimmenden Lächeln auf dem Gesicht: „So sei es denn, meine Freundin. Ich nehme Euch beim Wort. Spielen wir Schicksal. Aber sollte es nicht gelingen, verlange ich Stillschweigen von Euch, und wir lassen den Dingen ihren natürlichen Lauf, wie Gott sie für unsere Kinder vorgesehen hat.“
„Endlich! Ich wusste, dass Ihr einwilligt“, frohlockte Elisabeth und wie zwei Busenfreundinnen, eng untergehakt, schritten die zwei Kupplerinnen, vertraulich kichernd, zum Schloss zurück
Kapitel 2
Eine Liebe am hessischen Hof
„So eine Ehe könne auch nie nach Gottes Wille sein, wan mein hertz nit dar vor und wie einander nit gern hetten. Die Weille nun das ander frewlein von Sackssen ein fein Erhlich from und gottfurchtig frewlein were, und sie ein gefallen zu mir gewonnen hete und ich zu Ir truge, möge der Onkel ihm doch helfen, dass ich das frewlein von Sackssen kriegen mocht, dan dort stundt mein hertz und gemuth gar hin. (Herzog Erich über seine Liebe an den kurfürstlichen Bruder der Mutter, Joachim von Brandenburg)
„Wo ihr der Jung Herzog Erich nicht wurde, so wolt sie die tag Ihres Lebens on man bleiben.“
(Sidonia)
„Du
siehst einfach bezaubernd aus. Diese italienische Frisur steht Dir hervorragend, liebste Freundin!“, lobte Agnes die Schwägerin vor ihrem, mit Gold und Rubinen verzierten, Spiegel. Die Landgrafentochter war Sidonia beim Ankleiden behilflich und gab ihr wertvollen Hinweise für ihre Frisur und ihre Garderobe, während sie ihre blonden Locken, sanft vom Scheitel weg, über Wangen und Ohren frisierte.
„Das Haar noch im Nacken geknotet und anstelle des flachen Baretts ein feines mit Juwelen besticktes Haarnetz, und dir liegen sämtliche Herzöge dieser Welt zu Füßen“, schmeichelte sie Sidonia.
Die hübsche Sächsin beantwortete das Lob mit einem kecken Augenaufschlag und lächelte der Freundin durch den Spiegel zu.
„Was meinst du Agnes, sollte ich noch eines meiner Stirnbänder, vielleicht das mit den Rubinen anlegen?“, fragte sie und hielt sich probeweise ein goldenes, mit glänzenden Steinen besticktes Band vor die Stirn.
„Der Ball ist erst morgen, heute geht es nur zum Anstandsbesuch zu meiner Tante und dann zum abendlichen Empfang in den Fürstensaal. Willst du wirklich schon heute mit all deinen Reizen aufwarten? Allein das Kleid aus Italien ist doch schon eine Sünde wert“, antwortete Agnes, griff verzückt nach dem Kleidungsstück auf dem Bett und wirbelte mit ihm durch Sidonias Frauenzimmer. Es war ein raschelndes Meisterwerk aus himmelblauer Seide und Spitzen, mit einem geschnürten Mieder und an der Schulter angesetzten weiten geschlitzten Ärmeln.
Sidonia, nur im Hemd aus feinem Leinen, beobachtete sie einen Moment, bevor sie herumfuhr und scherzte: „Was meinst du, liebste Agnes? Sollte ich vielleicht lieber im Unterkleid zum Empfang gehen und du ziehst mein Kleid an?“
Leise kichernd zog sie ihr Hemd soweit über die Knie, bis ihre Strümpfe zu sehen waren, die sie mit roten Strumpfbändern fixiert hatte. „Meinst du nicht, dass ich dann jeden Mann, den ich will, bekomme?“
„Nein…“, Agnes reichte das Kleid an eine von Sidonias Hofdamen weiter. „Wenn der Herrgott das hört, dann wird er dich dafür bestrafen. Deine Scherze sind manchmal erschreckend… Und wo hast du nur wieder dieses modische Beiwerk her?“, fragte sie entsetzt über Sidonias loses Mundwerk und wies auf ihr Strumpfband.
„Was hast du denn? Das sind alles Geschenke von deinem Gatten, meinem Bruder Moritz“, lächelte Sidonia. „Was für ein Glück, dass der Herzog so ein weltoffener Monarch ist.“
„Das lass nur nicht meine Tante Elisabeth hören. Du weißt ja, wie sie darüber denkt, als Anhängerin der züchtigen spanischen Kleiderordnung mit ihrer gestärkten Halskrause. Übrigens sollten wir die Herzogin von Rochlitz nicht warten lassen. Du weißt, wie sie dann wieder über uns redet.“
„Aber liebste Agnes, wieso lästerst du? Du selbst versteckst doch deine Brust und deinen Hals unter deinem hochgeschlossenen Kleid. Warum trägst du zu deiner Haube nicht die schönen Kleider und Schmuckstücke, mit denen Moritz immer vom französischen Hof zurückkehrt? Schöne Kleider müssen ausgeführt werden. Nicht nur von mir, auch von dir.“
Agnes errötete leicht, bevor sie sich auf einer geschnitzten Eichenholztruhe niederließ und Sidonia mit einem Lächeln von sich ablenkte: „Moritz liebt seine hübsche Schwester und er weiß, warum er sie mit schönen Kleidern beschenkt. Schließlich muss er sie standesgemäß verheiraten. In der politischen Zwickmühle, in der er sich gerade befindet, wäre eine Verbindung seiner Schwester mit einem einflussreichen reformatorischen Fürsten von großem Vorteil. Zum Beispiel durch eine Heirat mit einem Fürsten aus Brandenburg. Außerdem will er nicht, dass du eine alte Jungfer wirst“, grinste Agnes jetzt frech zurück.
„Moritz…“, antwortete Sidonia gedehnt und wirkte plötzlich sehr gedankenverloren. „Ob seine Verhandlungen am französischen Hof wohl vom Erfolg gekrönt sind? Er braucht so dringend Verbündete gegen den katholischen Kaiser, bevor Karl V. Ihn noch enger an sich bindet und ihm seine Neutralität nimmt. Wenn Moritz nicht aufpasst, verrät er sein Land und nimmt mir das Liebste, was ich habe. Dich meine liebe Agnes, und deine Mutter Christina.“
Sidonias Blick wanderte in die Ferne und Agnes bemerkte winzige Tränen in ihren blauen Augen.
„Ich weiß meine Liebe“, versuchte sie die Schwägerin zu trösten, indem sie vor ihr kniete und ihre Knie umschloss. „Ich glaube an Moritz und liebe ihn mehr als mein Leben. Mein Gemahl hat sich in die Abhängigkeit des Kaisers begeben, aber er weiß was er tut. Wie man sich am Hof erzählt, droht eine Besitznahme Sachsens durch den Bruder des Kaisers, den böhmischen König. Moritz will das verhindern, vor allem den daraus folgenden Krieg gegen seinen Vetter dem Kurfürsten Johann Friedrich.“
Ihr Blick wurde ängstlich und sie ergriff Sidonias Hände. „Eine solche Konfrontation würde auch meinen Vater Philipp mit einbeziehen. Denn der Kaiser kann Moritz dazu zwingen, nicht nur seinen Vetter zu attackieren, sondern auch seinen eigenen Schwiegervater. Gott gebe, dass so etwas nie geschieht.“
„Keine Angst liebste Agnes. Lediglich um sein Land nicht zu verlieren spielt Moritz dieses Spiel mit. Deshalb ist er ja jetzt beim französischen König. Nur mit dessen Hilfe und der Unterstützung der evangelischen Reichsfürsten, bekommt er die Macht, sich letztendlich gegen den Kaiser zu erheben. Mein Bruder ist kein Eroberungsherrscher. Er ist ein Träumer wie mein Vater. Er träumt von einer umfangreichen Reform im ganzen Römischen Reich. Und er wird seine Träume verwirklichen, da bin ich mir sicher. Nur dazu braucht er die Kurfürstenwürde und die kann ihm nur der Kaiser geben“, antwortete ihr Sidonia, die Hände zwischen den Knien, die Stirn in leichte Sorgenfalten gelegt.
„Jetzt ist aber genug!“, lachte Agnes und zog Sidonia vom Stuhl hoch. „Jedes Mal, wenn wir zusammen sind, reden wir über den Herzog. Dabei steht heute meine Schwester Anna und ihre bevorstehende Verlobung im Mittelpunkt. Ich bin mir sicher, dass wir auf dem morgigen Ball auch für dich einen Ehemann finden werden, oder wenigstens einen Geliebten. Schon damit der Hof etwas zu tratschen hat“, zwinkerte sie Sidonia zu und winkte den an der Tür wartenden Hoffräulein, um ihr beim Ankleiden der Schwägerin zu helfen.
„Die Herzogin wird sicherlich schon ärgerlich sein über unser Zuspätkommen. Und erst Deine Mutter Katharina. Ich höre sie schon zetern: Oh, Herrgott im Himmel, was habe ich mir da nur herangezogen?“
„Ach..., meine Mutter“, seufzte Sidonia und ließ sich mit angehaltenem Atem von ihren Zofen in das Mieder schnüren. Ich zolle ihr Respekt, aber ich bin auch eine erwachsene Frau.“
„Du liebst Deine Mutter nicht sonderlich?“, fragte Agnes mit einer Nadel zwischen den Zähnen.
„Sidonia nickte. „Herzogin Katharina ist nicht so warmherzig und verständnisvoll wie deine Mutter Christina. Ebenso fehlt ihr der Großmut deines Vaters Philipp. Sind wir zusammen, streiten wir fast nur. Ihre Aufgabe ist es lediglich, mich zu verheiraten.“
„Das wird ja auch langsam Zeit.“, entschlüpfte es Agnes, während sie ihr Werk mit kritischen Augen betrachtete. Schlussendlich aber stellte sie zufrieden fest: „Wenn du heute Abend keinen Mann abbekommst, liefere ich dich persönlich im Kloster ab.“ Sie packte Sidonia an den Schultern und alberte mit ihr vor dem bodentiefen Ankleidespiegel herum.
In ihrem hochgeschlossenen schwarzen Kleid mit der geometrisch floralen Blackworkstickerei auf dem weißen Leinenkragen, bildete sie einen steifen aber schönen Kontrast zu der farbenfrohen Sächsin.
„Jetzt aber los!“, befahl sie und zog Sidonia hinter sich her zur Tür hinaus. Untergehakt wie zwei Schwestern rauschten sie an Wandgemälden und farbigen Fresken vorbei zum Westflügel wo sich die Frauenzimmer der herzoglichen Tante befanden. Das Klappern ihrer hölzernen Absatzschuhe auf dem Mosaikfußboden war so laut, dass es die Wachen vor den Türen aus ihrem Halbschlaf riss.
„Hast du Annas Bräutigam schon einmal gesehen?“, keuchte Sidonia neben ihr.
„Nein“, antwortete Agnes an ihrer Seite. „Interessiert er dich? Er ist noch sehr jung, soll aber sehr hübsch von Angesicht sein, erzählt man sich bei Hofe ...“
Sidonia wollte ihr gerade antworten, als sie am Ende des Flures, vor dem Frauenzimmer der Herzogin, eine Gruppe aufgeregter Hofdamen bemerkten. Da die Tür weit offenstand, verlangsamten sie ihre Schritte und Agnes mutmaßte: „Da muss etwas passiert sein. So aufgeregt habe ich die Hofdamen der Herzogin noch nie erlebt.“
„Vielleicht ist jemand unpässlich…“, befürchtete Sidonia und hatte mit ihrer Vermutung nicht Unrecht. Denn als sie sich beide dem mit dem Wappen der Herzogin von Rochlitz verzierten Türflügel näherten, löste sich aus der bunten Schar aufgeregt durcheinander plappernder Hofdamen eine dunkel gekleidete Gestalt und kam langsam auf sie zu. Die beiden jungen Frauen verharrten wie angewurzelt. Diese Hofdame war ihnen unbekannt. An der aufwendigen Kleidung vermuteten sie eine Hofmeisterin der anwesenden herzoglichen Gäste. Ihr Anblick war so ungewöhnlich, dass ihre Augen wie gebannt an ihr hängen blieben. Sie fühlten sich unter deren strengem Blick wie gescholtene Kinder, die etwas Verbotenes angestellt hatten, als die Frau vor ihnen stehenblieb, eine Verbeugung andeutete und sie gleich darauf mit gesenkter Stimme tadelte: „Ihr kommt spät, meine fürstlichen Damen…“
Doch, bevor die Hofdame dazu kam sich zu erklären, übernahm das bereits die quirlige Herzogin von Rochlitz. Sie stürzte mit offenen Armen auf sie zu und begrüßte sie mit spitzer Zunge.
„Kurfürstin Agnes und ihre Muse Fürstin Sidonia… Was für eine Freude, die Damen wiederzusehen. Der ganze Hof hatte Eure Hoheiten schon vermisst und nach Ihnen ausgesandt… Aber wie ich sehe“, stellte sie mit einem ungehaltenen Blick auf deren Kleidung fest, „erfreuen sich die Damen bester Gesundheit. Vermute ich richtig, dass es die aufwendige Toilette war, die Euch aufgehalten hat?“
Zur Antwort senkten beide den Blick schuldbewusst zu Boden. Insgeheim aber waren sie sich einig und verständigten sich mit einem heimlichen Händedruck. Nur zu gut war ihnen das Gezeter von Philipps Schwester bekannt. Je schuldbewusster man sich gab, desto eher beruhigte sich die Herzogin wieder. „Inzwischen ist einiges während der Abwesenheit Eurer Gnaden passiert. Ich musste Philipps Wundarzt kommen lassen. Komtesse Anna wurde während eines Kleiderwechsels plötzlich von einem Übel befallen. Frau von Knigge, die Hofmeisterin der Herzogin von Braunschweig - Ihr habt sie gerade kennengelernt - informiert gerade ihren Verlobten, den Jungherzog Erich. Oh, mein Gott!“, rief sie plötzlich händeringend. „Es wird doch nicht die Pest sein?“
Aus Angst vor der tödlichen Seuche verbarg sie rasch ihr Gesicht hinter ihren Händen und schickte durch die Finger theatralisch einen Blick hinauf zum Kreuzgewölbe. „Heute Abend sollte Anna ihrem Verlobten vorgestellt werden. Mein armer Bruder, wie bringe ich es ihm nur bei?“
Wie es der Respekt der älteren Herzogin gegenüber erforderte, beugten Agnes und Sidonia darauf das Knie vor ihr. Wieder verständigten sie sich mit Blicken, worauf Agnes die Hände der aufgelösten Herzogin ergriff und sie mit tröstenden Worten ablenkte, was Sidonia ermöglichte, unbemerkt an ihr vorbei in das Frauenzimmer zu gelangen. Rasch durchquerte sie das mit Liebesmotiven ausgeschmückte Vorzimmer und folgte ihrem Instinkt durch die Bibliothek zum Ankleidezimmer. Neben einem bis zum Boden reichenden gebogenen Spiegel, inmitten von Bergen aus Damast, Brokat und Tüll entdeckte sie die Braut Anna, leichenblass und mit geschlossenen Augen, auf dem Teppich liegen. Mit dem Rücken zu Sidonia hockte die Landgräfin Christine über ihre Tochter gebeugt und hielt ihren leblosen Kopf in ihrem Schoß, während der Wundarzt gerade Annas Arm vom Ärmel befreite, um sie zur Ader zu lassen.
„Du kommst sehr spät, meine Tochter“, erklang es plötzlich hinter ihr, worauf sie erschrocken herumfuhr und direkt in das stark gepuderte Gesicht ihrer Mutter Katharina blickte.
„Verzeiht mir, Mutter. Aber mich befiel ein leichtes Fieber“, erfand sie rasch eine Ausrede, um ihr nicht gestehen zu müssen, dass sie sich verplaudert hatte.
Katharina zog die Stirn kraus und betrachtete sie kritisch aus den Augenwinkeln heraus. Sidonia spürte, dass die Mutter ihr die kleine Notlüge nicht abnahm. Doch, bevor sie sich in weitere Ausflüchte über ihr Zuspätkommen verstrickte, seufzte Katharina mit einer Kopfbewegung in Annas Richtung: „Es war bereits das zehnte Kleid, in das sich diese Närrin gezwängt hat. Sie konnte sich ja nicht entscheiden, was sie heute Abend anziehen soll… oder es gibt einfach kein passendes Kleid für sie. Armer Bräutigam.“
Bei den letzten Worten verzog die Herzogin das Gesicht, als biss sie gerade in einen sauren Apfel. „Wahrscheinlich war das ganze Prozedere zu viel für den pummeligen Trampel und ihr ist darüber übel geworden.“
„Mutter…? Solche Worte aus Eurem Mund?“, entschlüpfte es Sidonia, empört über die bissige Bemerkung. „Ihr solltet mehr Mitgefühl zeigen.“
„Aus einer Ente lässt sich eben kein Schwan zaubern“, wurde sie von einer hellen Stimme im Hintergrund unterbrochen und Katharina beeilte sich, ihrer Tochter die Herzogin von Braunschweig vorzustellen: „Das, mein Kind, ist die Mutter unseres Bräutigams, die zweitwichtigste Person heute Abend und in den nächsten Tagen. Du darfst Ihr die Hand küssen!“
Gehorsam beugte sich Sidonia über die behandschuhte Hand, während Elisabeth wohlwollend lächelte. Höflich sagte Sidonia ihren Spruch: „Ich bin erfreut Herzogin, Euch hier zu treffen. Viel Gutes habe ich schon von Euch gehört.“ Worauf die Herzogin anerkennend erwiderte: „Stellt Euer Licht nicht unter den Scheffel, Fürstin. Was bin ich alte Frau schon gegen die Jugend und ihre vielgepriesene Schönheit?“
„Ihr schmeichelt mir, Herzogin. Dennoch ehrt es mich, einer so eifrigen Verfechterin unserer Reformation persönlich zu begegnen. Allein Eure Freundschaft zu unserem Magister Luther, lässt mich neben Euch verblassen“, gab Sidonia artig das Kompliment zurück und bewies damit ihre gute Erziehung.
Elisabeth winkte ab. „Wollen wir uns noch weitere langweilige Schmeicheleien an den Kopf werfen oder uns amüsieren? Versprecht mir, dass wir heute weder über die Reformation noch über die Vorzüge der Schönheit sprechen. Das überlassen wir den anwesenden Herren. Lasst mich Euch lieber in den Saal geleiten. Wir wollen doch Landgraf Philipp nicht länger auf unsere Anwesenheit warten lassen.“
„Aber Komtesse Anna… Was wird mit ihr?“, entgegnete Sidonia überrascht. Doch die Herzogin hakte sich bei ihr unter und antwortete, während sie zur Tür drängte: „Komtesse Anna ist in guten Händen. Morgen wird sie schon wieder wohlauf sein. Der Landgraf ist informiert und Ihr, Sidonia, werdet den Platz gegenüber von meinem Sohne Jungherzog Erich einnehmen.“
„Aber das geht doch nicht? Ich kann nicht Komtesse Annas Platz einnehmen! Er gebührt mir nicht“, weigerte sich Sidonia und warf einen hilfesuchenden Blick auf ihre Mutter. Doch Katharina zuckte mit den Schultern und erwiderte nur: „Schätze dich glücklich, mein Kind.“
Hinter Sidonias Rücken tauschten die beiden Intrigantinnen verschworene Blicke, bevor sie hocherhobenen Hauptes durch die geöffnete Tür des Fürstensaales schritten und sich vom Hofmeister des Landgrafen offiziell mit einem Trompetenton ankündigen ließen.
Auf dem Weg zu ihren Stühlen wurden sie von einer bunt gekleideten Person mit einer Narrenkappe mit kleinen Glöckchen umkreist, die bei jeder Kopfbewegung leise schellten. Sidonia wunderte sich über den kleinen Hofnarren, unter dessen Maske sich offenbar ein Weib verbarg. „Wer bist Du?“, fragte sie die Zwergin, die sich darauf höflich vor ihr verneigte.
„Eva von Dassel“, antwortete die Kleine gehorsam und Sidonia wurde neugierig. Sie hatte noch nie einen weiblichen Narren bei Hofe gesehen.
„Ihr seid von Adel…? Würdet Ihr mir Euer Gesicht zeigen, damit ich mich für den lustigen Empfang bedanken kann?“, fragte sie.
Zur Antwort verbeugte sich die Närrin noch tiefer und lüftete ihre Narrenkappe. Es war nur ein kurzer Moment, in dem sie für Sidonia ihre Maske vom Gesicht zog, doch was die junge Herzogin sah, gefiel ihr. Entgegen ihrer Erwartung hatte die Zwergin edel geformten Züge und einen herzförmigen Mund, mit dem sie jetzt verschmitzt lächelte und eine Reihe blendend weißer Zähne zeigte. Zu gern hätte Sidonia sich auf eine Unterhaltung mit der hübschen Närrin eingelassen, doch ihre Aufmerksamkeit wurde nun von der festlich eingedeckten Tafel gefangen genommen.
Auf weißem Damast bot sich ihren Blicken Rebhühner in Gelee, Fasan mit Gemüsen, Rehbraten, Tauben in Rotweinsoßen und eine Käsepastete mit Schinken dar, alles in silbernen Schüsseln unter goldenen Deckeln. In der Mitte eines jeden Tisches stand eine große Schale mit den ersten Frühjahresfrüchten, die jeweils von kleinen mit Kirschen und Johannisbeeren beladenen Strohtellern umgeben war. Am Ende der langen Tafel befand sich ein offenes Feuer mit einem Rostspieß, an dem ein riesiger Ochse briet, der von mehreren Köchen gleichzeitig gedreht, mit Flüssigkeit begossen und filtriert wurde.
Während die Herzoginnen den Herren an der Tafel vorgestellt wurden, flitzte die Zwergin zwischen den Gästen umher, bis Sidonia und ihre Mutter auf ihren Stühlen Platz genommen hatten und sauste dann wie ein Wirbelwind leise kichernd zu dem Junker an der Tafel gegenüber, mit dem sie offenbar ein paar heimlich Worte wechselte, wonach er den Herzoginnen kurz seine Aufmerksamkeit schenkte.
Neugierig geworden lächelte Sidonia zurück. Doch wenn sie erwartet hatte, dass der junge Mann
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Tag der Veröffentlichung: 08.03.2022
ISBN: 978-3-7554-0928-1
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