Innere Werte
Ja, ein gutes Herz habe er gehabt, und schon als Kind sei er etwas Besonderes gewesen, ein kluger Junge und sehr beliebt, wusste seine greise Mutter später über ihn zu berichten. Wie sich ehemalige Spielkameraden zu erinnern glaubten, lag dies in seinem einnehmenden Wesen begründet, das es ihm, unter uns gesagt, auch ermöglichte, jüngere Nachbarskinder nach Belieben um ihr Spielzeug zu erleichtern, wenn sie beispielsweise stolz auf dem Hof ihre bunt schillernden metallenen Matchbox-Autos oder die heiß begehrten Zündplättchen-Spielzeugpistolen und später die neuartigen Plastik-Maschinenpistolen präsentierten, die sogar Knattergeräusche und tolle Schusseffekte mit Funken erzeugen konnten.
Er war aber kein Schulhofschläger oder Rabauke, der aus einer Laune oder Position der Stärke heraus anderen Kindern ihr Spielzeug wegnahm. Nein, so einer war er nicht. Er hatte nur eine Gabe, über die wenige verfügten. Vielleicht eine natürliche Ausstrahlung, die dich in ihren Bann schlägt; etwas, das dich förmlich zwingt, diesen Menschen zu mögen. Wenn er den Hof oder die Straße betrat, umschwärmten ihn die anderen Kinder wie Fliegen einen warmen Misthaufen. Dann zeigte und gab man bereitwillig, was immer die eigenen Schätze hergaben und was immer gewünscht wurde. Im Gegenzug genoss man den vergänglichen Moment der Aufmerksamkeit, wenn dich seine Gunst wie ein dünner, heller Lichtstrahl streifte.
Er hingegen hortete diese Trophäen, die von seiner Beliebtheit kündeten, in einer großen Kiste unter dem Bett in seinem schmalen Kinderzimmer, das er sich mit seinem älteren Stiefbruder teilen musste, mit dem er sich abgesehen von den üblichen Streitereien und Raufereien ganz gut verstand. Doch wie dem auch gewesen sein mag, all dies spielt eigentlich keine Rolle mehr und erklärt auch nichts.
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Als Dirk Wasmut bereits ein gemachter
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2014
ISBN: 978-3-7368-5614-1
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