Es war ein schöner herbstlicher Tag, als ich ihn traf.
Der Wind wehte, spielte mit den Blättern. Die Blätter waren rot, gelb, manche sogar immer noch grün. Es war schön ihnen zuzusehen, wie sie von den Ästen abfielen und auf dem Boden landeten. Ich zog meinen Mantel enger um mich, da der Wind anfing stärker zu werden. Ich hatte mich für einen schlichten beigefarbenen Mantel entschieden, der innen gefüttert war. Dazu trug ich weiße Handschuhe und eine weiße Mütze, meine Haare hatte ich offen gelassen und nun wehten sie im Wind. Es sah fast so aus als ob der Wind mit meinen Haaren spielen würde. Ein Mann kam stürmisch auf mich zu und hätte mich fast umgerannt, wäre ich nicht ausgewichen. „Die Jugend heutzutage...“ murmelte er als er an mir vorbei ging. Mir entwich ein knurren. Ich schaute schnell nach links und rechts, ob es jemand mitgekriegt hatte. Nein. Gut. Ich machte schnell, dass ich weiterging, die Straße hinunter an zahlreichen Läden vorbei. Restaurants, Elektronikläden, Blumenläden, Dekorationsläden und zahlreiche Läden die zum Shoppen einladen. Im Schaufenster sah ich ein Paar wunderschöner Stiefel. Die Stiefel musste ich einfach haben, es war schließlich Herbst. Vielleicht kriege ich ja meinen Vater – naja eigentlich ist er nicht mein leiblicher Vater und ich habe auch kein „gutes“ Verhältnis zu ihm – dazu, sie mir zu kaufen, er hat ja schließlich ein Vermögen auf dem Konto. An der Kreuzung bog ich rechts ab, Richtung Park. Dort wollten wir uns treffen. Hoffentlich kommt er auch. Wieso mache ich mir eigentlich die Mühe und treffe mich mit ihm? Ich kenne ihn doch kaum.
Um es besser zu sagen: Ich kenne ihn gar nicht bzw. habe ihn noch nie im Leben gesehen. Außerdem, was denkt er sich dabei, vor mir, in einen Mantel umhüllt und die Kapuze ins Gesicht gezogen, aufzutauchen, mir noch nicht einmal seinen Namen zu verraten und mir, ja – schon fast regelrecht zu befehlen – ich solle am Dienstag um 15:00 Uhr im Park erscheinen, weil er was mit mir bereden möchte, ich stelle wohl eine Gefahr dar. Grr. Der kann vom Glück sagen, dass ich ihn nicht zerfetzt habe. Ich nahm meinen Spiegel raus, um nochmal mein MakeUp zu checken. Ich muss ja gut aussehen, schließlich bin ich reich, hübsch und gebildet. Und nochmal ein Läche . . . Mist. Ich presste schnell die Lippen aufeinander und betete, dass niemand meine Zähne gesehen hatte. Phu, nurnoch die Ampel, dann habe ich es geschafft. Endlich drüben, musste ich mich erst einmal neu orientieren, da die hier wohl beschlossen haben, eine Baustelle daraus zu machen. Na Super. Was solls, außenrum halt. Also ging ich den Weg außenrum, dauerte zwar etwas länger aber am Ende kam ich doch dort an, wo ich hin wollte. Der Park war wunderschön, er ist einer meiner Lieblingsorte hier in Tokio. Obwohl, es grenzt wohl eher an ein Wunder, dass es hier überhaupt noch Parks gibt, bei den ganzen Läden und Elektronik Sachen. Genau vor mir stand er. Der schönste Baum, den ich je gesehen habe. Es ist ein Kirschblütenbaum und im Herbst öffnen sich die Blüten. In dem Park hier gibt es zahlreiche Bänke und sogar einen Brunnen. Der perfekte Ort für Paare. Ich setzte mich auf die Bank, in der Nähe des Kirschblütenbaumes und lauschte dem Wind, den Spaziergängern, den Paaren und schaute den Blüten zu, die vom Wind weggeweht wurden. Und zum Hundert tausendsten mal fragte ich mich, wieso ich eigentlich hierher gekommen war. Mir schossen tausende Fragen durch den Kopf. Wer war er? Woher kam er? Was wollte er? Kannte er mein Geheimnis? Wenn ja, was würde er machen? Würde er mich umbringen?
Ich stoppte diesen sinnlosen Gedankenfluss und konzentrierte mich darauf, nach ihm Ausschau zu halten, um genauer zu sein, nach einem Umhang Ausschau zu halten. Ich drehte mich wieder um und plötzlich stand er da. An den Stamm des Baumes gelehnt. Natürlich trug er wieder diesen Umhang. Ich wollte kurz nach meiner Tasche greifen, die ich neben mich auf die Bank gelegt hatte und merkte plötzlich, dass die ganzen Menschen weg waren. Wir waren allein. Okay, ganz ruhig Ai, das hat nichts zu bedeuten, vielleicht haben sie ja alle gerade etwas zu tun . . .
Ich drehte mich wieder zu ihm um, um festzustellen, dass er etwas näher gekommen war. Ich stand auf neigte den Kopf etwas nach oben und schaute ihn an. Er führte seine Hände zum Kopf. Seine Hände waren normal, so erschien es mir, hatten jedoch länglichere Finger, die in schwarzen Handschuhen steckten. Er schob langsam seine Kapuze aus dem Gesicht, schüttelte seine Haare und sah mich an.
Es war ein schöner 12. Dezember. Es war Abends und der Himmel war nur so übersät von Sternen und der Vollmond war in seiner ganzen Pracht erschienen. In dieser wunderschönen, sternenklaren Nacht erblickte ein kleines Mädchen das Licht der Welt. Sie war normal groß, nur etwas schwerer als ein durchschnittliches Baby. Jedoch starb die Mutter bei der Geburt. Nur der Vater blieb zurück. Stunden nach der Geburt hob der Vater das Kind hoch und zog es an. Ein Schlafanzug aus Baumwolle und in einem schönen Rosa. Dazu zog er ihr noch kleine Söckchen an, natürlich auch in einem Zarten Rosa. Anschließend legte er das Mädchen, dessen Namen er zusammen mit seiner Frau ausgesucht hatten, in ihr kleines Bettchen. Sie sah so klein und zerbrechlich aus, wie sie da lag, mit den angewinkelten Händchen. Kurze Zeit später schlief die kleine Ai auch schon ein. So hieß sie, Ai. Ai bedeutet Liebe beziehungsweise Zuneigung. Sie mochten beide den Namen. Tränen stiegen ihm in die Augen, nun war sie nicht mehr da. Er musste stark sein, für sie, für Ai. Sie wollten zusammen nach einem Haus suchen, nachdem Ai geboren worden war und sie hatten sogar eins gefunden gehabt doch nun... Jetzt musste er alleine zusehen, er musste arbeiten gehen, damit er seine kleine Tochter versorgen konnte... oder aber... ihm stiegen wieder die Tränen in die Augen. Nein. Nein. Das war das einzige woran er in dem Moment denken konnte, aber es war die einzige Möglichkeit ihr eine gute Zukunft zu bieten, unter Menschen aufzuwachsen, nicht unter ihresgleichen. Sie war ein Mensch, ja, aber im Alter von 16 Jahren würden auch bei ihr die Symptome auftreten, so wie es bei ihm, seiner Frau und vielen anderen auch der Fall gewesen war. Es war ein Wunder, dass sie es in die Menschenwelt geschafft hatten. Eigentlich war es verboten, aber das war ihnen damals egal gewesen. Sie waren verliebt gewesen und in der Menschenwelt gab es mehr Möglichkeiten für sie. Vor allem würde ihr Nachwuchs dann nicht festgehalten werden, so wie sie es immer machten. Es war einfach nur brutal. So etwas wollten sie nicht. Wollten nicht, dass ihr noch ungeborenes Kind so einen Schmerz erleiden musste, dass es von der Welt abgeschottet wurde, nur weil es anders war als die anderen die dort lebten. Der Übergang von ihrer Welt in die Menschenwelt war nicht einfach gewesen, weil es nur wenige Personen gab, die wussten, wie man in die Menschenwelt gelangte, doch sie haben es trotzdem hingekriegt und haben eine wundervolle Tochter auf die Welt gebracht. Um jedoch ihr überleben zu sichern und ihr eine gute Zukunft zu ermöglichen, musste er neue Eltern für sie finden. Eltern, die sie adoptieren würden, in ihre Familie aufnehmen würden. Er war schon fast der Verzweiflung nahe, als ihn der Anruf der Familie Ono erreichte. Ein Hoffnungsschimmer. Und seine Gebete wurden erhört. Er hatte eine Familie für Ai gefunden. Das Ehepaar Ono hatte sich bereit erklärt das Kind aufzunehmen, die Frau, Haruka Ono, hatte sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Um genauer zu sein in ihre hellblauen Augen. Der Papierkram wurde unterschrieben und das Kind wurde übergeben, jedoch von einer Krankenschwester, da der Vater nicht im Stande war, sich in seinem Zustand, den Menschen zu nähern. Irgendeinem Menschen überhaupt zu nähern. So kam es, dass die kleine Ai ein zu Hause bekam. In Tokio. Bei einem reichen Ehepaar, denn Katsumi und Haruka waren beide in der Hotelbranche tätig und konnten sich jeden Luxus leisten, zu ihrem Glück fehlte nur noch ein Kind. Und dieses hatten sie gefunden. Ai Ono war nun Teil der Familie. Alle waren glücklich und in der Ferne hörte man die Wölfe, die den Mond anheulten. Es schien, als ob sie sich mit der Familie freuten würden.
„Ai, Isoide!“
„Hai Mam!“ Das sie auch immer so Stress machen muss. Ich beeile mich ja!
„Ai Liebes, wir haben es wirklich eilig!“
„Das kommt davon . . .“
„Statt mir Ratschläge zu geben, solltest du dich endlich beeilen, damit wir deinen Vater abholen können, der macht uns die Hölle heiß!“
„Ist ja auch kein Wunder, wenn . . .“
„Ai Ono!“
„Hai Mam...“
Ich beeilte mich also, das ich in unser Auto kam. Wobei das Wort Auto nicht ganz zutraf. Es war eher eine Limousine als ein Auto. Ich saß hinten, um ehrlich zu sein, hinten gefiel es mir auch besser. Die Sitzbank war mit rotem Samt überzogen, vor mir stand ein Getränkehalter, daneben eine Kühlbox. Ich holte eine Cola raus und trank etwas. Von dem ganzen hin und her war ich ganz ausgepowert. Power Shopping und Power Umziehen. Dass Dad auch immer zu irgendwelchen Terminen musste. Naja, wieso wundert es mich denn eigentlich? Ich bin es ja gewohnt, dass meine Eltern dauernd zu irgendwelchen geschäftlichen Terminen gehen müssen und kaum zu Hause sind.
Und, kaum zu glauben, meine Mam war der Meinung ich bräuchte eine Babysitterin! Die hat Nerven. Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr, ich bin 17 Jahre alt und sehr wohl in der Lage auf mich alleine aufzupassen. Und außderdem ging sie mir auf die Nerven, ich weiß noch nicht einmal mehr wie sie hieß. Das sagt ja wohl alles. Sie hat mich die ganze Zeit über wie ein kleines Baby behandelt, am Ende haben meine Eltern sie dann doch gefeuert, ein Glück. Eingebildete dumme Kuh, hat sich immer extra schön angezogen um meinem Dad schöne Augen zu machen. Widerlich. Wie schon gesagt, eigentlich sind sie nicht meine leiblichen Eltern, aber ich habe sie doch gern, auch wenn sie etwas crazy sind. Inzwischen sind wir schon fast bei „unserem“ Hotel angekommen. Dad stand schon vor der Tür und ...oh oh oh... das sah gewaltig nach ärger aus. Er öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Stille. Er warf Mam einen bösen Blick zu und schwieg. Anschließend warf er mir einen bösen Blick durch den Spiegel zu, doch ich tat so als ob ich höchst beschäftigt mit meinem Handy sei.
„Wo wart ihr beiden Hübschen denn solange?“
Er nannte uns „Hübschen“, Alarmstufe Rot, so einen Kosenamen verwendete er nur, wenn er wirklich richtig sauer war und man sah es ihm auch an. Meine Mam schien nervös zu sein, ihre Hände schienen zu zittern.
„Wir mussten noch ein paar Kleidungsstücke kaufen, für die Meetings, doch war der Kassierer zu langsam und dann gab es noch einen Ausrutscher, da der Kellner den Kaffee über Mams Bluse gekippt hatte, also mussten wir uns schnell umziehen und darum hat das so lange gedauert.“, hörte ich mich sagen.
Wir schauten ihn beide an.
Beide nervös.
Beide ängstlich.
Doch Gott war mit uns.
Dad sagte nichts.
„Wir sind da, ich muss jetzt aussteigen, wir sprechen uns heute Abend noch!“ und knallte die Tür mit einer Wucht zu, sodass das Auto wackelte,
„Wieso hast du gelogen Ai?“, fragte mich meine Mutter ein paar Minuten später.
„Wieso ich gelogen hab? Wieso zum Teufel hast du nichts gesagt!?“ Prima. Sie hatte es ernsthaft hingekriegt mich auf die Palme zu bringen. Dabei war das alles ihre Schuld. Erst will sie Shoppen. Dann vergisst sie ihre Kreditkarte. Dann muss ich ihr auch noch Geld leihen und dann dürfen wir auch noch einmal nach Hause fahren, um ihr etwas neues zum Anziehen zu beschaffen. Und dann wird sie auch noch panisch und meinte ich solle mich beeilen. Sie ist doch diejenige die schuld ist, dass wir zu spät kamen und jetzt dürfen wir uns auf heute Abend freuen. Toll!
Inzwischen war es dunkel geworden in Uldavien, Uldavien war ihr Heimatplanet. Doch für wie lange noch? Wie lange würde diese friedliche Idylle noch anhalten? Sie sahen sich um, überall gab es Elfen. Schneeelfen, Waldelfen, Feuerelfen, Wasserelfen, Luftelfen, Erdelfen, Halbelfen, Mondelfen, Schattenelfen, Seeelfen, Werelfen, Blutelfen, Dunkelelfen und Lichtelfen. Man konnte sie leicht an ihrem Äußeren unterscheiden. Schneeelfen waren weiß, Feuerelfen rot, Wasserelfen blau, Erdelfen braun von der Hautfarbe her. Und dann gab es natürlich noch unsere Elfenrasse. Die Nachtelfen. Und falls ihr denkt, es gäbe Tagelfen, dann habt ihr euch aber geirrt. So saßen wir nun da und hielten uns an den Händen. Wie konnte das passieren?, fragte ich mich immer und immer wieder. Das hätte nicht geschehen dürfen! Aber was geschehen ist, ist geschehen und wir können und wollen es nicht rückgängig machen. Für Elfen war es verboten sich mit den Dunkelelfen einzulassen, da sie für jeden eine Gefahr darstellten, man konnte ihnen nicht vertrauen. In jeder Hinsicht. Doch das hier war etwas anderes. Es war Liebe. Wieso müssen die Gesetzte denn auch so streng sein? Nun ja, wir Elfen werden von den Hoch – und Urelfen „regiert“. Sie sind die ältesten Elfen, die je existiert haben. Was sie sagen ist Gesetz. Ich schaute den Mann neben mir an, schaute in seine schwarzen Augen, die versuchten die Verzweiflung und Angst zu verbergen. Auch ich war verzweifelt und hatte Angst. Was würde passieren, wenn wir zu sehr auffielen mit dem Kind? Was würde passieren, wenn sie uns erwischten? Was würden sie mit dem kleinen machen?... Diesen einen letzten Gedanken verdrängte ich sofort. Ich werde ihn nicht hergeben! Doch in demselben Moment wusste ich, dass ich es tun musste, für uns, aber vorallem für ihn. Er brauchte einen Ort, wo er sicher war, wo sich jemand um ihn kümmerte. „Bist du soweit?“, fragte er. Ich atmete tief ein und aus und bejahte dann. Wir standen auf und begannen uns Richtung Mitte der Stadt zu bewegen, ich hielt den kleinen fest an meine Brust gepresst. Sie hatten die Stadt, zu ehren unseres Planeten, Uldavi genannt. Vielleicht fiel ihnen auch nichts besseres ein. Wir Elfen sind von Natur aus stolze Wesen. Zudem können wir, dank unserer Augen, in der Nacht genauso gut wie am Tag sehen. Wir beeilten uns, dass wir vorankamen, vorbei an nervigen Lichtelfen, die mit Waldelfen flirteten, an Bars, an Essensläden, wo Elfenspezialitäten verkauft werden; Läden, wo Leder und andere Kleidung verkauft wird und sogar Läden in denen man Rüstzeug etc. kriegt, jedoch kommt einem leicht der Eindruck, dass derjenige, der den Laden wieder verlässt, sich für einen Weltkrieg gerüstet hat, so sah das nämlich aus. Nach 10 Minuten, die sich anfühlten wie eine Ewigkeit, kamen wir vor dem Rathaus an und das war es was wir in diesem Moment wirklich brauchten: einen guten Rat. Wir stiegen die Treppen hoch, ich küsste meinen Sohn noch einmal, er lächelte und versuchte nach meinen Haaren zu greifen, mir stiegen die Tränen in die Augen und ich konnte sie nur mit Mühe zurückhalten. Halte durch mein kleiner, du weißt Ich Liebe Dich, Wir Lieben Dich.
Ich gab ihn an seinen Vater weiter, öffnete den Korb, stellte ihn vor das Rathaus, schüttelte nochmal das Kissen, damit er es auch gemütlich hatte in dem Korb, nahm ihn wieder von seinem Vater und setzte ihn in den Korb, deckte ihn liebevoll zu, sah meinen Mann an, der nickte und klopfte an die Tür. Innerhalb von Sekunden waren wir hinter einem Busch. Wir Elfen neigen zu übernormalen Geschwindigkeiten. Die Tür öffnete sich und eine Lichtelfe war zu sehen. Sie schaute nach rechts, dann nach links und als sie nach unten schaute, weiteten sich ihre Augen. „Er wird nie erfahren, wer seine leiblichen Eltern sind!“ Ich fing an zu weinen, doch er nahm mich in den Arm, tröstete mich, ließ mich wissen, dass ich nicht alleine war, dass ich jemanden an meiner Seite hatte. Die Lichtelfe hatte unseren Sohn inzwischen mit hereingenommen. Wir schauten ein letztes Mal zurück, ich betete dafür, dass er eine friedliche Zukunft haben möge und gesund aufwachse, dann drehten wir uns um und rannten, rannten nur noch; rannten dahin, wo unsere Füße uns hintrugen, weit weg von Uldavi, doch in Gedanken waren wir bei ihm.
Es hämmerte an der Tür. Nein, nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach. „Ja, ja ich komme ja schon!“, brummelte ich und versuchte wach zu werden. Ich schaute einen Moment lang an die Decke und stand dann auf. Ich ging rüber ins Bad und überlegte, ob ich noch schnell duschen solle, entschied mich aber jedoch dagegen und wusch mir nur die Haare schnell im Waschbecken. Meine Haare sind kurz und rötlich. Mir wurde schon öfters gesagt, sie hätten die Farbe von Rubinen. Ich musste lächeln, denn auf gewisse weise stimmte es sogar. Ich bin ein Elf. Genauer gesagt, ein Nachtelf. Wir Nachtelfen können, sogar besser als alle anderen Elfen, im Dunkeln sehen, genauso wie Katzen zum Beispiel. Ich schnappte mir ein Handtuch und rubbelte mir die Haare etwas trocken, schnappte mir dann einen Föhn und trocknete sie dann. Mit einer Bürste kämmte ich sie dann noch einmal durch, bis sie so waren, wie ich sie wollte. Ich schaute an meinem Körper runter und mir fiel die Narbe an meinem Oberkörper auf, die hatte ich bei dem Kampf gestern davon getragen, aber da wir Elfen uns selbst heilen können ist das kein Problem, solange es sich nicht um eine größere Wunde handelt. Ich schaute noch einmal in den Spiegel. „ Du solltest dich beeilen, wenn du noch lebend im Konferenzzimmer ankommen willst.“, sagte Daim. Ich zuckte zusammen. - „ Mensch, hättest du nicht anklopfen können?“, fragte ich ihn. - „ Habe ich doch.“, gab er zurück. - „ Ja, vor 'ner viertel Stunde aber.“, gab ich zurück und schob ihn aus dem Badezimmer raus, damit ich mich anziehen konnte. Ich hatte ihn Daim getauft, weil mir Daimien zu lang war und auch schwul klang, fand ich zumindest. Mit der Bemerkung, dass ich nicht lebend im Konferenzzimmer auftauchen werde, wenn ich noch länger bräuchte, hat er leider recht. Wenn ich mich nicht beeile, begegnen wir weiblichen Elfen auf dem Weg und diese scheinen mein Äußeres sehr attraktiv zu finden. Nun ja, ich hatte einen durchtrainierten Oberkörper und war auch sonst ziemlich muskulös. Ich musste grinsen. Daim warf mir ein Kissen an den Kopf und schüttelte nur tadelnd den Kopf. Es schien so, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. Ich hob das Kissen auf und warf es zurück auf mein Bett. Mein Bett war ein Doppelbett und ziemlich breit und lang, zum Glück, denn bei meinen 1,85 m war es schwer ein passendes Bett zu finden. Fertig angezogen kam auch schon Nabuyuki, mein Nebu, ins Zimmer herein geflogen und platzierte sich auf meiner Schulter. Ein Nebu ist so eine Art fliegende Katze bzw. eine Mischung aus Katze und Fledermaus, nur sehen sie alle viel eleganter und schöner aus, als es Katzen und Fledermäuse je könnten. Diese speziellen Tiere gibt es hier nur auf Uldavi. Ich kraulte Nabuyuki hinter den Ohren und versank in Erinnerungen. Hier, vor 19 Jahren, wurde ich in einem Korb vor das Rathaus gestellt und die Lichtelfe, Leyla, hat mich gefunden. Seit dem wurde ich von Leyla aufgezogen und gehütet. Es kam sehr selten vor, dass Elfen von jemand anderen als seinen Eltern aufgezogen wurden, doch ich hatte keine Eltern, bzw. ich hatte schon welche, doch diese hatten mich einfach vor der Rathaustür abgestellt, mich weggegeben, mich allein gelassen, mich im Stich gelassen. Wut kam in mir auf, doch sie erlosch genauso schnell wie sie gekommen war. Egal, ich hatte Eltern, Leyla und ihr Mann waren nun meine Eltern, bei ihnen fühlte ich mich wohl, fühlte ich mich geborgen, fühlte ich mich akzeptiert. Meine leiblichen Eltern hatten nie versucht mit mir Kontakt aufzunehmen geschweige denn, mich zu suchen. Leyla wusste auch nicht, wer meine leiblichen Eltern waren, da sie den Korb nur abgestellt, dann wahrscheinlich an die Tür geklopft haben und anschließend weggerannt sind. Feiglinge. Naja, ich hatte mir auch nicht die Mühe gemacht, sie zu suchen. Warum auch? Wenn sie mich einfach so weggeben und vergessen konnten, dann konnte ich sie auch aus meinem Leben ausradieren. „ Hey, Rabe! Alles klar?“, fragte mich Daim und riss mich so aus meinen Gedanken. Er war der einzige, der mich so nannte und ein Glück nannte er mich nur so, wenn wir alleine waren. „ ehm... Ja klar wieso fragst du?“ „ Deine Augen... sie waren für einen Augenblick...“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. Ich hatte verstanden. Meine Augen hatten anscheinend für einen Augenblick einen tiefschwarzen Ton angenommen, das passierte nur dann, wenn ich wütend war. Normalerweise waren meine Augen goldfarben. Wie flüssiges Gold, sagte man. Ich lächelte und nickte Daim zu, schnappte mir meine Sachen, schaute nochmal ob Nabuyuki gut saß und machte mich dann mit meinem Freund und meinem Nebu auf den Weg ins Konferenzzimmer. Wir waren beide schon gespannt, was uns erwartete. Wahrscheinlich ein neuer Auftrag für uns. Endlich gibt es mal Aktion in dieser langweiligen Bude, dachte ich und wir betraten das Konferenzzimmer.
Nachdem wir Dad abgesetzt hatten, bat ich Mam zurück zum Einkaufszentrum zu fahren, da ich irgendwie Ablenkung brauchte. Mir grauste schon vor heute Abend. Naja letzten Endes war ja Mam schuld, also soll sie auch gefälligst dafür gerade stehen. Aber sie alleine bei Dad lassen? Nein, das konnte ich nicht. Seine Wutausbrüche überlebt man nur zu zweit. Besser, man versucht diese Wutausbrüche so gut es geht zu vermeiden. Aber Dad hat ja auch einen guten Grund, um sauer zu sein, wir sind schon ganze 3 Mal zu spät gekommen. Und jedes mal musste er zu wichtigen Meetings. Autsch. Naja, müssen wir leider durch. Ich lotste Mam zum Parkplatz hin, wir stiegen aus und gingen Richtung Fahrstuhl. Die Tür ging auf und wir gesellten uns zu den anderen Menschen. Die ganze Zeit über schwiegen wir. Die Tür ging wieder auf und wir stürzten hinaus. Das erste Geschäft was ich ansteuerte war H & M. Ich fand neue Kleidung, darunter ein Tanktop, ein T-Shirt und eine neue Jeans. Beladen mit Tüten ging es weiter zum Chinesen und von da aus in den Park, um eine kleine Pause einzulegen. Ich setzte mich auf eine Bank und sah den Kirschblüten zu, die im Wind wehten. Sie waren so schön anzusehen. Der Herbst war schon immer ganz angenehm gewesen, auch wenn meine Lieblingsjahreszeit der Winter war. Plötzlich überkam mich eine nicht erklärbare Traurigkeit. Von wo kam diese Traurigkeit? Mir war der Appetit vergangen und ich legte die Box mit Nudeln neben mich auf die Bank. Ich kramte meine Kamera hervor und schoss ein Bild von den Kirschblüten, die gerade im Wind wehten, bevor sie auf den Boden fielen. Kirschblütenbäume hatten schon immer eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich glaube, die Welt könnte untergehen und es wäre mir egal, solange ich nur einen Kirschblütenbaum neben mir hätte. Der Gedanke erschreckte und faszinierte mich zugleich. Ich musste lächeln. Ich lächelte. Es war mir egal, wer mein Lächeln sah und wer nicht. Es war eh kaum jemand hier. Ich holte meinen kleinen Spiegel hervor und lächelte. Es lächelte mir ein hübsches Mädchen entgegen, mit rasiermesserscharfen Zähnen. Ich hatte mich schon so sehr an den Anblick dieser Fangzähne gewöhnt. Ich hatte mich an vieles gewöhnen müssen. Die Symptome begannen mit 16, inzwischen ist ein Jahr vergangen, doch ich erinnere mich daran, als wäre es gestern gewesen. Ich saß in meinem Zimmer. Es war ein schrecklicher Tag gewesen. In der Schule, sowie zu Hause ging es bergab. Ich war körperlich komplett erschöpft, verkroch mich in mein Zimmer, sobald ich zu Hause war. Meine Eltern wissen immer noch nicht, dass ich anders bin als die anderen. Mal abgesehen davon, dass ich reiche Eltern habe. Nein, ich bin nicht wie sie, ich bin kein Mensch. Theoretisch gesehen bin ich schon ein Mensch, vom Äußeren her, doch manchmal zerbricht diese schöne Fassade und zum Vorschein kommt mein wirkliches Ich. An Vollmond, verwandeln sich Menschen in Werwölfe. Früher dachte ich, es sei ein Mythos. Doch jetzt . . . Ich bin selbst eine Art Wolf, kein Werwolf, auch wenn ich mich, als Tarnung, an Vollmond in einen Wolf verwandle. Ich kann mich nicht nur in einen Wolf verwandeln, nein. Ich kann mich in viele verschiedene Tiere verwandeln. Aber nicht nur Tiere, sondern auch in Geschöpfe, die man hier, in der Menschenwelt nicht kennt. Von der Theorie her zumindest. An jenem Tag saß ich also in meinem Zimmer, plötzlich hörte ich die stimmen von Mom und Dad. Sie schienen zu diskutieren. Ich stand von meinem Bett auf und näherte mich der Tür, lauschte ihren Stimmen. Sie sprachen über mich, dass sie „es“ mir erzählen müssten, es wäre an der Zeit. Sie redeten über ein Paket, was genau das für ein Paket sein sollte und wo es sich befand wusste ich nicht. Sie sprachen zudem über einen Mann, der ihnen dieses Paket gegeben haben sollte, mit der Bitte, es mir an meinem 16. Geburtstag zu geben. Ich wich zurück. Ein Paket? Ich hatte nie eins gekriegt. Ich fasste einen Entschluss. Ich wartete, bis Mom und Dad schlafen gingen und stellte das ganze Haus auf den Kopf und fand nach drei Stunden suchen auch endlich ein Paket, mit meinem Namen drauf. Es war in der hintersten Ecke auf dem Dach. Ich schnappte mir das Paket und setzte mich, mit einer Lampe und einer Decke, in eine Ecke hin. Ich öffnete das Paket ganz vorsichtig, aus Angst, irgendetwas darin kaputt zu machen. Zu dem Zeitpunkt waren mir meine etwas längeren Zähne aufgefallen, aber ich dachte mir nichts dabei. In dem Paket kamen zahlreiche Briefe zum Vorschein, alle mit meinem Namen drauf. Aber nicht nur Briefe fielen heraus, als ich das Paket vor mir auf dem Boden ausschüttete. Viel Kleinkram kam unter anderem auch zum Vorschein. Ein Stift, der Außen Dunkelblau war, innen Weiß und eine schwarze Mine hatte. Auf dem Stift waren Initialen eingraviert, A.H.. Wofür die Buchstaben wohl stehen mochten? Das A steht vermutlich für Ai, doch wofür steht das H? Mein jetziger Nachname lautet ja Ono. Da es nicht meine leiblichen Eltern sind, ist mein wirklicher Nachname vermutlich ein anderer. Ich fing an zu suchen, sah mir die Briefe nun genauer an. Es waren ziemlich viele, deswegen sortiere ich sie. Die Briefumschläge waren von 1 bis 12 nummeriert. So nahm ich mir den Briefumschlag mit der Nummer 1 drauf, drehte ihn um und versuchte ihn langsam zu öffnen, ohne ihn jedoch zu beschädigen. Als ich das Papier aus dem Briefumschlag entfernte, fiel etwas hinaus. Es landete auf dem Boden. Ich hob es auf. Es war eine Kette, an der ein Anhänger in Form einer Schneeflocke befestigt war. Ich musste automatisch lächeln. Der Dezember war mein Lieblingsmonat und genauso wie die Kirschblüten im Wind wehten fand ich auch die Schneeflocken die herabrieselten wunderschön anzusehen. Es machte mir Spaß und erfreute mich jedes Mal aus Neue. Ich warf meine Haare nach vorne, damit sie mir nicht im Weg sind und machte die Kette fest. Sie war von der Länge her perfekt, die Schneeflocke endete etwas oberhalb meiner Brust. Sie war wirklich schön. Nun widmete ich mich wieder dem Brief, faltete ihn auseinander und begann zu lesen.
Liebe Ai,
Wenn dich dieser Brief und somit das Paket erreicht bist du schon eine junge Dame.
Nicht nur, dass du nun erwachsen wirst, das Alter bringt mit der Zeit auch Veränderungen mit sich.
Nicht nur geistig wirst du reifer, dein Äußeres verändert sich auch. Das ist dir bestimmt aufgefallen, nicht wahr meine kleine Ai?
Du bist ein kluges Mädchen, da bin ich mir sicher. Dir sind sicherlich die äußeren Veränderungen an dir aufgefallen. Die etwas längeren Zähne zum Beispiel. Keine Sorge, dass ist völlig normal. Es gehört zu dem Prozess, den du durchmachen wirst, dazu.
Ich weiß es nicht, hoffe es aber trotzdem., dass du dich vielleicht gefragt hast, wer deine leiblichen Eltern sind. Wie sie heißen, aussehen, von wo sie kommen, wieso sie dich nicht aufgezogen haben. Wieso du jetzt in einer neuen Familie lebst.
Ich saß da wie versteinert und schaute wie gebannt auf die Textstelle. Natürlich hatte ich mich alle die Jahre mal gefragt, wer meine echten Eltern sein mochten. Wie sie aussahen. Wessen Augen, wessen Haare ich geerbt hätte. Ob ich Ihnen vom Charakter her ähnlich sei. Wieso sie mich weggaben. Jedoch haben sie mich einem vertrauensvollem Paar anvertraut, sodass ich mich nie wirklich von ihnen hintergangen gefühlt habe, mich nie von Ihnen im Stich gelassen gefühlt habe. Ich wollte nur wissen wer sie sind, sie kennen lernen, doch Dad konnte mir nicht sagen wo sie seien, er hatte nur erwähnt, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben sei. Das machte mich traurig. Es dauerte ein bisschen, bis ich mich mit dem Gedanken abgefunden hatte, meine leibliche Mutter nicht mehr kennen lernen zu können. Trotz dieser traurigen Tatsache, keimte ein Funken Hoffnung in mir auf. Wenn mein leiblicher Vater noch lebte, wo immer er auch sein mochte, so konnte ich wenigstens ihn noch kennen lernen. Und er könnte mir etwas über meine leibliche Mutter erzählen, wie sie aussah, wie sie so war und noch vieles mehr. Entschlossenheit packte mich und ich begann weiter zu lesen.
Texte: Alle Rechte liegen bei mir.
Tag der Veröffentlichung: 19.06.2012
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