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LIebe

Es war am Samstag, eine Woche vor Frühlingsanfang in abendlicher Dämmerung. Die Räder unter meinen Füßen glichen dem wirbeln eines Flugzeugpropellers und waren kurz davor abzuheben. Ich kam aus dem Garten, einer dieser grünen Lungen Berlins und fuhr hastig die Straße runter in Richtung eines guten Freundes bei dem ich mein Fahrrad sorglos abstellen konnte. Heutzutage ist das ja nicht mehr Selbstverständlich. Sogar wenn man es an einem Fahrradständer mit mehreren Fahrrädern abstellt wird es geklaut. Dann wird einfach der ganze Fahrradständer mitgenommen. Bei ihm konnte ich es wenigstens in der Wohnung abstellen, ohne zu befürchten das gleich der ganze Block abgerissen wird. Als ich dann bei Sascha war zögerten wir auch nicht lange und fuhren zu Holger unserem dritten Mann im Bunde. Auf dem Weg erkannte man schon, dass es ein bunter Samstag wird. Aus heiterem Himmel, wie es in der Großstadt so ist, war die Hälfte der uns über den Weg laufenden, wilden, Partygeilen Feier-Meute im Kostüm. Uns begegneten eine Gruppe Frauen welche gerade auf ihrem Junggesellinnen Trip waren und überaus geistreiche Handelsware für die Flitterwochen verkauften, und eine gruppe in Mittelalterlichen Kostümen die, wie sollte es anders sein, auf einem Trip in mittelalterlichen Kostümen waren. Wir hingegen waren auf einem Trip jede Menge Frauen aufzureißen und unbegrenzt Spaß zu haben.

 

Doch bevor wir unsere Mission starteten musste bei Holger erst mal ein wenig vorgetankt werden. Ein Bier, ein Kaffee und ein mit Eiswürfel gefülltes Glas Malibu dienten uns dazu. Auf dem Weg zur Bahn tranken wir noch ein Wegbier. Es war nicht viel, aber wie es nachdem Bierkonsum so ist, reichte es um auf unerfüllte quälende Bedürfnisse während der langen Fahrt zu stoßen. Nachdem wir an unserer Zielstation ausstiegen schuf, Buddha sei Dank, der Asiate in unmittelbarer Nähe Abhilfe. Wo Burger King mit seinem gewinnorientierten Handeln, zwecks Toilettenbenutzung nur mit Kassenbon, nicht jede not lindert, bittet Buddha einen in seinen Tempel um den Überfluss entspannt abfließen zu lassen. Das Gleichgewicht war wieder hergestellt und wir setzten unseren Weg fort und ich begann in Gedanken zu schwelgen.

 

 

Ich schaute auf die im warmen gelben Licht scheinenden Fenster der Prenzlauer Berg Altbau Fassaden. Und schaute auf die zu mitternächtliche Zeit noch viel befahrene Schönhauser Allee, sowie deren Hochgelegene U-Bahn. Gleichzeitig fragte ich mich ob ich hier gerne Wohnen wollen würde. Die Frage stellte ich mir, weil ich auf der Suche nach einer neuen Wohnung gewesen bin und wusste was die Wohnungen hier übertrieben im Schnitt kosteten. Da meine letzte Wohnung aber auch an einer viel befahrenen Straße lag, beließ ich es auch dabei und verwarf diesen Gedanken. Bis ich von Sascha, schon leicht beschwipst, aus meiner Träumerei rausgerissen worden bin. „ Guck mal, da müsste an dem Kindertagesstätten Schild“ Die wilden Schwäne“ eigentlich das „z“ hinter dem „n“ stehen?“ Während Holger gleich den nächsten Laden im Visier hatte, welcher eine Kunstgalerie mit expressionistischen Gemälden war. Er erwiderte aufgrund der unkenntlichen Bedeutung, sowie der ausgelassenen angeheiterten Stimmung.“ Und hier wird gleich die Kinderarbeit verrichtet!“

Die Schneiderei gleich daneben, ließ uns dann ausgelassen und unbeschwert in der spät abendlichen Feierlaune weiter ziehen. Vorbei am Friseur wo unser kleiner Insider nicht mehr wirkte und erschreckender Weise auch an einem Spielcasino.

 

In der Kulturbrauerei angekommen, stand ein Schriftzeichen in Form eines Denkmals auf dem Gelände des Innenhofs. Es stand unmittelbar vor unserem eigentlichen Ziel. Es sollte allen anwesenden suggerieren das Gewalt keine Lösung ist, Schmetterlinge ab und zu im Bauch rum flattern und wenn man sich darauf einlässt auch wunderbares passieren kann. Manch einer trennt es sogar von seinem Verlangen, sowie es auch Menschen gibt die in dieser Aussage in selbstloser Verzweiflung verfallen. Durch meine Fantasie, die nicht jeder versteht, manchmal lustig ist, sowie sie mich dazu bringt mich selbst zu hinterfragen, las ich das Schriftzeichen Rückwärts „EBEIL“. Kalt und grau stand es da. Vielleicht schon seit einer Ewigkeit.  Vielleicht auch nur künstlerisch vorrübergehend. Und mit einer Botschaft die man erst mit der bevorstehenden Erfahrung versteht.

 

Wir waren drin, entledigten uns unserer Klamotten und das was sich nach mehreren Bieren wieder aus heiteren Himmel konzentriert ansammelte. Man stellte fest, was man an einem „Ladies for Free“ Abend eben feststellt wenn man sich wie gefühlte 20 Jahre älter vorkommt. Aber was hat man auch anderes erwartet. Wir wollten einfach locker sein und Spaß haben. So richtig die Sau raus lassen. Doch bevor wir das in Erwägung gezogen hatten, tranken wir wieder erst mal ein Bier und ergatterten uns ein Platz an einem Tisch mit einer großen Eckbank. Wo nicht nur wir saßen, sondern eine Drei Mann starke Gruppe Frauen, bzw. Ladies „for Free“. Und drei Typen die anders als wir, nicht im Sicherheitsabstand daneben saßen. Der Tisch war groß, etliche entleerte Gläser standen schon drauf und weil es der gemütliche Teil des Clubs war, für mich als Nichtraucher auch Aschenbecher. Es war der Teil des Clubs den man auch mit einer Stimmung im irish Pub verbinden konnte, nur mit dem unterschied das die meiste Musik für den Anfang aktuelle Pop Charts waren, sowie die aus den letzten gefühlten Jahrzehnt, wovon man die meisten überhörte. Dazu eine schlechte Akustik, wobei ich nicht wusste ob die eher daraus resultierte, dass die Musik für mich Unrockbar war. Oder weil ich mich auf andere Dinge wieder mal konzentrierte und Bewegungsunfähig und verträumt wie ein Geist in Gedanken über den Köpfen anderer schwebte.

 

Die Leuchter über der Theke sahen aus als wenn an ihnen Diamanten herunter hingen. Doch beim genaueren Hinschauen waren es perlen. Kleine Perlen welche unzählig an jeden einzelnen Leuchter aussahen wie abgebrannter, schneeweißer Kerzenwachs. Sie hingen da, unter ihnen buntes hastiges drängendes Treiben und darüber eine große unausgefüllte große Leere. Die Leere einer großen Werkshalle. Ein Vakuum in der ein beobachtendes Auge ein farbliches und vergessenes Muster erkennt. Ein Muster welches sich aufgrund des Publikums und des Altersdurchschnitts welches wir ein wenig hoch schraubten nie ändern wird. Was früher Solarien waren und Arschgeweih oder Tribels hat sich mittlerweile geändert zu einem kompletten tätowierten Arm, mit interessanten aber fragwürdigen Motiven. komischer Weise war es jedes Mal ein Gesicht. Keine Tribels mehr die nur Cool aussehen. Keine Blumen mehr die manchmal auf nackter Haut im stacheligen Rosenstrauch zur körperlichen Schau gestellt werden. Nein, nur ein Gesicht. Sowie die digitale Technik voran schreitet. Sowie TV Formate Generationen ändern. So werden auch Bilder einer schönen Frau mit Beatmungsmaske oder einem Einschussloch im Kopf in Form einer Rose als Körperkult projiziert. Bilder sagen ja bekanntlich tausend Worte. Aber was ist wenn man etwas gesehenes irgendwann nicht mehr in Worte fassen kann.

 

Holger bestellte schon die nächste Runde Bier, während ich meins noch nicht mal zur Hälfte ausgetrunken hatte. Ich spielte mit dem Gedanken eine zu Rauchen. Man hatte ja eh nichts mehr zu verlieren. Die Stimmung passte, aber irgendwie war mir schon ein wenig unwohl. Das Bier, die Frauen, die Musik. Irgendwie passte es für mich nicht zu unserer Mission , zu Dritt neben einander auf einer Eckbank hinter einem riesigen Tisch, den Frauen hinterher glotzend. In der man sich wie alte notgeile Männer vorkommt, die eigentlich mit ausgestreckter Brust vor Erfahrung strotzen sollten. Als Drei Frauen sich dann neben uns stellten, weil der Club schon gut gefüllt war, war es wieder dieser typische Moment indem man sich gefragt hat, warum hat man keine Zigaretten dabei. Die Erfahrung das alles so unkomplizierter wird wenn man nach dem Feuer fragt, welches hat, sowie hilfreich zur Stelle ist, hatte man ja schon gemacht. Nur wirkt es irgendwie zu einfach. Sie war dunkelhaarig und elegant gekleidet. In dem Moment als sie sich zu uns umdrehte hielt sie schon mit gehobener Hand die Zigarette vor ihrem Mund und fragte höflich nach Feuer. „ Ich habe keins, tut mir leid!“ Sagte ich freundlich und Bewegungsunfähig, abgesehen von einem kurzen Lächeln was mir entwich. Sascha erwiderte nur dumpf “ Holger hat doch eins!“ und Holger antwortete spendabel “ Hier nimm!“.

 

Ich bekam das Feuerzeug und gab ihr unbeholfen mit meiner Hand umschlossen Feuer. In der Hoffnung das es nicht gleich erlischt. Worauf sie lächelnd sagte “ Ist aber jetzt nicht so windig hier“. Oh, dachte ich und bevor ich irgendwas sagen konnte drehte sie sich zu ihren Freunden um. Ich war irritiert, denn jeder Idiot hätte noch was gesagt. Sollte ich,- ja! Wollte ich,- nein! Ich hätte schreien müssen damit sie mich versteht. Nach Fünf Minuten, was gefühlt so viel wie eine Stunde für mich war und in der ich ab und zu die Kronjuwelen an den Leuchter betrachtete, bedankte sie sich höflich lächelnd und verschwand. Sascha sagte dann nur noch“ Na, vielleicht triffst du sie ja wieder!“. Ich wusste dass ich sie wahrscheinlich ansprechen werde, wenn ich sie wieder treffe. Allerdings ist das immer so eine Sache. Denn wenn es mal soweit kommt, dann klebt erfahrungsgemäß schon ein Anderer dran. Und da waren ja noch die beiden Frauen gegenüber am Tresen. Sie machten es irgendwie Richtig. Ein Tresen ist ja immer eine Aufforderung. Er ist nicht so im Abseits wie ein Tisch, auch wenn der Tisch genau vorm Tresen stehen würde. Der Tresen sagt hier bin ich und da waren sie. Abgesehen von denen die sich was bestellen wollten und dazwischen drängten. Beide hatten die Beine übereinander geschlagen und rauchten. Sascha sagte nur: Guck mal, die wäre doch was!

"Welche die Rothaarige oder die Blonde?" „Beide!“ Rothaarige sollen ja Biester sein. Zumindest hatte sie einen leichten roten Stich. Mein Arbeitskollege hatte das mal erfahren und lebte dann nur noch am Existenzminimum. Er wurde bis aufs Blut ausgequetscht und dann fallen gelassen. Nachdem er seiner Frau den Führerschein bezahlte, sollte ein zweites Auto her. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Sie bekam einen Job beim Jugendamt unter der Leitung einer Drei Mal geschiedenen Vorgesetzten, verdiente mehr und hatte einen geregelten Arbeitsablauf. Mein Arbeitskollege war damals LKW Fahrer bei der Mülle wie er zu sagen pflegt. Ein ruhiger und gemütlicher, der zufrieden war. Er ackerte Zwölf Stunden am Tag , bis die Zufriedenheit mit einem Hauswunsch erschüttert worden ist. Die Frau war weg, das Kind war weg und das Geld wurde auch halbiert, obwohl man das Kind nicht mehr sehen durfte. Männer müssen funktionieren und Frauen auch, dürfen aber noch dazu träumen. Dabei sollte man sich in seiner Funktion auch wieder erkennen können. Und Während ich so über Seifenblasen und Verlangen nach dachte, sagte Sascha“ Du kannst die Rothaarige nehmen, mir gefällt die Blonde“. „ Abgemacht!“ , sagte ich.“ Und dann kannst du auch gleich die nächste Runde schmeißen“. Holger grinste schelmisch und steckte sich eine Zigarette an, während er mir auf die Schulter klopft und sagt, dass er nochmal das gleiche möchte. Ich zögerte und sah zu wie beide Damen am Tresen mit einander plauderten. Sie redeten ununterbrochen miteinander. Wasserstoffblond und Rothaarig. Schlank mit Modelmaße gegenüber ihrer kleinen, am linken Arm tätowierten und zierlichen Freundin. Es schien so, als wenn sie sich schon ewig nicht mehr gesehen hatten und über damals redeten. Vielleicht so vermutete ich, gehörten sie auch zum Inventar.

 

„Was ist nun, heute noch!“ bekam ich höflich und appellierend von der Seite zu hören. Daraufhin entriss ich mich aus meiner Starre wie ein urzeitliches, aus Eis wieder auferstandenes Ungetüm und ging zum Tresen. Ich bestellte Drei Bier und stand komischer Weise mit dem Rücken genau neben der Frau, die so heiß wie glühendes Magma war. Ich nahm die Bestellung entgegen, bezahlte und ging wieder zurück auf die Bank. Eine Bank die langsam die Ähnlichkeit eines Kinosessels bekam. Zu unseren Bedauern bekam ich dann von Sascha scherzhaft zu hören“ Jetzt sind sie weg, du hast sie vertrieben, kurz nachdem du wieder rüber gekommen bist.“ Ich drehte mich ungläubig um und sie waren wie vom Erdboden verschlungen. „ Sie müssen irgendwo da lang gelaufen sein“, winkte Sascha ab. Dann prosteten wir uns zu und stießen auf den Abend an. Abgesehen von meinem Alkoholpegel indem ich mich nicht mehr wohl fühlte, war ja der Abend noch jung. Ich stieg auf Cola um und Sascha auch irgendwann. Während Holger aufgrund seiner kräftigen Statur unermüdlich Bier weiterhin konsumierte.

 

Unterdessen hatten sich Drei Typen den Frauen am Tisch neben uns mit breiter Brust genähert. Sie sahen nicht wie der größte Teil im Club aus. Waren aber auch keine Nerds. Im Grunde genommen waren sie uns sehr ähnlich. Minus höchstens Fünf Jahre Altersunterschied. Nur mit dem Unterschied das sie zu gelackt rüber kamen. Es stellte sich raus das diese Typen zu den anderen Drei gehörten die auf der Bank saßen und dementsprechend die Frauen umzingelt waren. Vielleicht gehörten alle auch zusammen. Ich wandte mich ab, verlor mich in Gedanken kurze Zeit in den entleerten Gläsern und wollte in Richtung Tanzfläche gehen. „ Los lasst uns mal ein wenig die Füße vertreten!“ Als wir aufstanden blickte ich nochmal kurz rüber. Die Männer amüsierten sich, die Frauen tranken Tequila. Nichts Ungewöhnliches also.

 

Holger, Sascha und ich bewegten uns langsam drängelnd in Richtung Tanzfläche. Der Tresen war lang und im Augenwinkel lief wie aus einem verschwommenen Farbfilm in kurzer Zeit ähnliches ab. So wie es bei uns der Fall gewesen ist. Die Leute beobachteten, quatschten, tranken und rauchten. Der typische männliche Club Besucher hat sich nicht geändert. Einer der im Winter trainiert und im Sommer sich am Strand zur Schau stellt. Er trägt jetzt zwar ein bisschen weniger Gel im Haar, dafür mehr gestutzten Bart im Gesicht. Und die Hosen sind enger geworden. Enge Männerhosen hatten irgendwann ihr schwules Image abgeworfen. Im Laden probierte ich diese sogenannte „Skinny“ Jeans mal an. Ich dachte sie würde mir jeden Moment unter den Eiern weg reißen. Frauen hingegen sehen jetzt irgendwie aus wie Nena aus den Achtzigern. Nur mit hübscherer Frisur. Enge Hose ohne Arschtaschen. Weiße Turnschuhe und noch ein breites Oberteil. Leggings, anstatt Jeans oder Rock. Sneakers anstatt normale Damenschuhe. Manchmal sah es sogar so aus als hätten die „Ladies“ einen Klotz am Bein. Aber wahrscheinlich kommen die Kleider erst im Sommer mit ihren High Heels. Wer weiß eigentlich wie wir früher ausgesehen haben. Wenn ich mir den Unterschied von Heute zu Damals ins Gedächtnis rufe, brauche ich nur an die Fußball Nationalmannschaft denken. Die sahen übertrieben gesagt, rückblickend auf die Fußballweltmeisterschaft in Afrika, sogar noch 2010 aus wie aus den 90ér entsprungen, wenn da nicht die Mannschaft aus Uruguay gewesen wäre mit ihren, in meinen Augen Trend setzenden, hautengen Trikots.

Wir waren auf der Tanzfläche, oder das was die Tanzfläche war. Ich konnte mich unmöglich zum Takt bewegen. Die Musik schepperte, wie das Störgeräusch eines schlecht empfangenen Radiosenders. Ich stand da wie angewurzelt und versuchte etwas herauszuhören. Das war aber unmöglich. Ein bisschen konnte ich mich dann doch im Takt bewegen. Ich kam mir aber nicht gut dabei vor. Die ausgiebige Feierlaune ließ noch auf sich warten, während die meisten um einen herum sprangen. Im Gegensatz zu mir waren Holger und Sascha wenigstens besser drauf und konnten auch mit singen. Für mich war es schwer den Rhythmus mit meinem Takt Verständnis zu vereinbaren. Nach kurzer Zeit entschied ich, mir wieder ein Bier zu holen und schmiss die nächste Runde. Ab da an beschlossen wir den Club zu erkunden.

 

Wir gingen am Tresen zurück durch eine enge, durch schieben und drücken entstandene Schneise in der man den einen oder anderen auf den Fuß getreten ist. Als uns eine unscheinbare weibliche Persönlichkeit entgegen kam. Wie ein Wesen aus einer anderen Zeit. Ich schaute ihr auf den Busen weil mein Blick nach unten gerichtet war, damit man niemanden weiterhin auf den Fuß tritt. Und was sah ich da, abgesehen von ihrem Ausschnitt. Ein Arschgeweih! Es war ein Arschgeweih über der anmutenden Ritze ihres Ausschnitts. Eine höchst ungewöhnliche aber dennoch sehr inspirierende Begegnung, bevor wir die Treppe nach Oben in die Oldies Ecke gingen. Naja für den Anfang spielten sie kurz was Tanzbares aus den 70 érn und 80´er, Bee Gees, James Brown und Michael Jackson. Und dann kamen Songs aus den 90´ern, Britney Spears und Backstreet Boys. Der Sendeempfang wurde immer störender und wir gingen eins weiter in den R´NB, Soul und Hipp Hopp Bereich. Hier konnte man sich trotz heftigen Gedränges ein bisschen rhythmischer Bewegen. Die Musik war weniger hektisch. Der Takt war weniger hektisch. Jedoch kannte ich kaum einen Song. Holger war es egal und Sascha war sehr Tolerant. Im Grunde genommen sprachen wir auch nicht so viel. Unsere Konversationen beschränkten sich nur auf das wesentliche. Holger fragte immer wieder mit zufriedenem Grinsen bei jedem Song“ Und gut?“ Und ich erwiderte auch immer wieder mit gespielter guter Laune, in der Hoffnung der nächste Song wäre besser.“ Lass uns noch den nächsten abwarten!“ Nach dem achten Lied entschlossen wir weiter zu gehen, auch zu Sascha´s Erleichterung. Irgendwie befand ich mich in einer Krise und es hätte auch nicht geholfen weiter Bier zu trinken, im Gegenteil. Irgendwann beschloss ich die Flasche beim tanzen weg zu lassen. Möglicher Weise hatte ich Angst die Flasche jemanden ausversehen vorm Kopf zu hauen. Vielleicht den DJ.

 

Danach waren wir wieder im Irish Pub. Holger war unser Raucher und musste ab und zu eine durch ziehen. Wir gingen die Treppe wieder runter, bestellten wieder was am Tresen und drängelten uns vor zur Tanzfläche. Die Musik hatte sich auch geändert. Ungläubig schaute ich Sascha an und er rief begeistert“ Endlich Ärzte!“. Zuerst kam der Song, welcher aufgrund der politischen Situation wieder zum Leben erwacht ist“ Schrei nach Liebe!“ Dann kam“ Linkin Park“ und es ging weiter in die Rockige Richtung. Jetzt fühlte man sich, als sei man angekommen. Jetzt konnte man einfach mal loslassen. Wäre da nicht so ein heftiges Gedränge gewesen. Aber da muss man halt gegen halten und den anderen auch in den Rücken springen. Wenn da nicht die beiden Mädels gewesen wären, die vor und hinter uns sich im Ungleichgewicht bewegten. Sie tanzten nicht, sie schwebten. Und als der Gitarrist kräftig in die Seiten haute, kamen sie aus ihrer Schwebe heraus und sprangen leicht Diagonal über die Tanzfläche. Sie schienen nicht älter als höchstens Achtzehn. Jeder der von ihnen angerempelt worden ist wurde auf ihnen Aufmerksam. Jeder wollte helfen als sich die eine Ab und zu zur Erholung auf den Boden gesetzt hatte und entgeistert in ihrer Tasche herumwühlte. Das tanzen viel uns dann nicht mehr so einfach und Sascha und Holger erkannten die Situation und schirmten die Mädchen vor ungewünschten Annäherungsversuchen ab. Die Musik wurde leicht zum Störgeräusch und ich fing an mich umzuschauen. Es war jetzt schon Drei Uhr. Man erkannte ein Ungleichgewicht. Wo vorher mehr Frauen waren sind jetzt nur noch Männergruppen. Teilweise versuchten einige mit den Frauen zu tanzen. Teilweise benahmen sich einige entsprechend ihrem Pegel und schwankten umher, egal ob Mann oder Frau. Man erkannte dass mehr Aggressivität und Gleichgültigkeit in der Luft schwebte. Typen die es versuchten und Frauen die abwinkten. Im Gegensatz zu früher, wo oft Glasscherben auf dem verklebten Boden lagen, standen jetzt die leeren Flaschen und Gläser auf den Tischen oder sie wurden schnell eingesammelt. Ab und zu sah man auch reifere Frauen die ihren Hintern an ihrer jüngeren, männlichen Errungenschaft rieben. Ab hier schoss mir ein Geistesblitz durch den Kopf. Die beiden Mädels vor uns hatten unterdessen eine Zigarette von Holger übernommen. Mit der Zigarette wurde ihr Zustand aber nicht wirklich besser. Waren sie auf Drogen? Möglicher Weise waren sie das! Warum wollten sie sich nicht helfen lassen, von keinem. War da jemand der auf sie aufpasste, schließlich wirkten sie sehr Osteuropäisch und sehr Jung. Der Gedanke dass es aus der Not entsprungene prostituierte waren schien mir gar nicht so Fremd. War der Typ mit dem T-Shirt „ Sex, Drugs, Fucks und Rock´n Roll“ der Zuhälter. Die aufgepumpte Pfeife da in der Ecke. Das hätte natürlich sein können. Schließlich hab auch ich solch ein ähnliches Shirt in meinem Schrank. Es ist farblich in Orange jetzt zwar nicht der Hammer und vorne steht nur eine Vierstellige Nummer. Aber die Aufschrift auf der Rückseite gleicht die auffällig hässliche Farbe wieder aus „Prisoner of Kansas City“. Ein Gefangener kann manchmal zu Unrecht verurteilt worden sein, weil er vielleicht jemanden helfen und beschützen wollte, außer er hat den DJ umgehauen. Jemand der“ Sex, Drugs, Fucks and Rock´n Roll“ auf dem T-Shirt stehen hat begibt sich in eine Richtung der Unzurechnungsfähigkeit und kann sich mit zunehmenden Verlangen nicht mehr kontrollieren. Er fordert etwas heraus was ihn im Gegensatz zum Strafgefangenen unerfahren und naiv erscheinen lässt. Als die eine von den Beiden Mädchen immer wieder zu Boden sackte, so als würde sie sich jeden Moment übergeben, stellte ich mir vor sie ohne zu fragen auf den Arm zu nehmen und raus in Sicherheit zu bringen, den Notarzt zu rufen, sowie danach gleich wieder zu verschwinden. Es fiel mir schwer zu glauben, das die“ Ladies for free“ diesen Abend unbeschadet überstehen. Schließlich war Sascha stolzer Vater zweier Töchter und Holger stolzer Vater einer Tochter. Allein in Anbetracht dessen, musste man den Mädchen helfen .Als die beiden dann doch allein den Weg raus gefunden hatten, war ich aber irgendwie erleichtert und alles war wieder beim alten.

 

Wir gingen gefühlt die fünfte Runde schon durch den Club, immer auf der Suche nach etwas neuem. Der Club hatte Fünf oder Sechs Floors, Plus Vip Bereich im Black Music Floor und Kuschel sowie Spielbereich an der Garderobe. Der Drang sich einfach mal was von der Seele abzutanzen und ohne Behinderung zu feiern war schon irgendwie zu jener späten Stunde eingeschlafen. Es war gegen Vier als wir in den deutschen Pop und Schlager Bereich gingen. Aber irgendwie hatten sie langsam gefühlt überall das Gleiche gespielt. Es hatte sich somit allmählich herausgestellt das sich Drei von Fünf oder Sechs Floors von einander nicht mehr großartig unterschieden hatten. Bis ich irrtümlich für kurze Zeit eines anderen belehrt worden bin und auch langsam anfing zu schweben. Ich schwebte mit vor mir halb ausgestreckten Armen und erinnerte mich an den Film Berlin Calling. Dieser Kontrastbruch mit Paul und Fritz Kalkbrenners Song“ Sky and Sand“ hatte die Zeit für mich kurz angehalten. Ein kurzer Moment um Luft zu holen. Ein kurzer Moment des Neuanfangs. Wiederholt ging ich davon aus jetzt wäre der Knoten geplatzt. Doch ernüchternd und mit einem großen Knall, ging der eigene Empfangssender wieder in den Störgeräusch Modus. Man spielte ein Remix damaliger Chart Hits in kurzer Reihenfolge. Du bewegst dich zu einem bestimmten Rhythmus. Stopp! Du versuchst dich in den nächsten Song hineinzuversetzen. Stopp! Theoretisch solltest du eigentlich jedes Mal total ausflippen. Stopp! Aber das passierte nicht. Eigentlich klang das alles schon ziemlich nach Rausschmiss und wir zogen demnach in den letzten Bereich. Als wir uns mal wieder die Treppe rauf in den nächsten Raum schleppten, saßen einige schon halbtot auf den Stufen. Im Tanzsaal selbst waren noch Zehn Mann auf der Bühne, welche zur neuen deutschen Welle tanzten. Die restlichen saßen rum und drei schliefen. Die Perlenbehangenen Kronleuchter schienen nicht mehr so schneeweis zu sein wie am Anfang. Sie strahlten genauso wenig wie die Reflektion der Diskokugel Licht abgab. Alles wirkte behäbiger und müde. Wir schmissen die letzte Runde. Die Musik wirkte als würde sie jeden Moment absaufen. Als sei dieser Floor abhängig von einem Transformator der nur noch mit halber Energie betrieben wird und dem jeden Moment der Saft ausgeht. Als dann aber Zwei bis drei gute Songs angespielt worden sind und die schläfrigen anfingen zu zucken, begann sich das Karussell von neuem zu drehen. Beim Song von Rednex“ Cotton Eye Joe“ kamen wir endlich auf unsere Kosten. Mit letzter Puste tanzten wir. Nein, wir hampelten rum und nahmen uns Kumpelhaft in den Arm. Es war wie ein letzter Motivationsschub, indem man sich stinkbesoffen und umarmt über die Ziellinie schleppt und mit in den Himmel erhobenen Händen freudestrahlend , schwankend sein kleines Erfolgserlebnis genoss. Ein krönender Abschluss eines eigentlich total normalen Discoabends.

 

Dann war die Zeit gekommen zu gehen. Wir nahmen unsere Jacken und verschwanden in den frühen Morgenstunden. Zum Ausklang gab es am Grillstand im Hof noch ein Nackensteak im Brötchen. Unweit daneben erblickte ich wieder das Denkmal. Diesmal las ich es richtig „ Liebe“ .Was mag das wohl heißen?

Sich selbst lieben, oder andere Lieben. Eine Symbiose zwischen anziehenden und abstoßenden Dingen. Nur ein Wort zwischen Himmel und Hölle. Oder vielleicht sogar aus heutiger Sichtweise, geliebt werden für das was einen ausmacht auch wenn es an einem vermeintlichen falschen Ort ist, und in der Hoffnung das er sich irgendwann als richtigen erweist.

 Zum Glück hatte ich schon vor Jahren mit den Salsa tanzen angefangen, sowie dem tanzen der Bachata.

 

ENDE

Impressum

Texte: Der Folgende Text beinhaltet mein eigenes geistiges Eigentum. Alle Rechte bezüglich des Inhalts gehören mir.
Bildmaterialien: Kronleuchter im Soda-Club/Kulturbrauerei
Cover: Ich und der Kronleuchter im Soda-Club/Kulturbrauerei
Tag der Veröffentlichung: 27.11.2017

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Gewidmet meiner Familie, meinen Freunden/innen, meinen Exfreundinnen; Tanzpartnerinnen; vorrübergehenden Tanzpartnerinnen; Eintagsfliegen-Tanzpartnerinnen; Tanzlehrer; meiner Nachbarin und der einen oder anderen Oma irgendwo im Haus, sowie den einen oder anderen Arbeitskollegen samt Befehlsregiment, und meinen Beinen. Denn im Rollstuhl wäre das nicht möglich. Und all die herumstreunernden Hunde auf dieser Welt widme ich auch dieses Buch. Sowie mit besten dank an das Licht, die Musik und alle menschlichen Sinne.

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