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Prolog




Ich heiße Pia Khan und bin 23 Jahre, lebe noch bei meinen Eltern und meiner kleinen Schwester. Diese heißt Nita und ist 15 Jahre und das totale Gegenteil von mir. Was ich selbst an mir mag ist, dass ich immer anders bin und genau das macht mich aus. Was ich nicht mag, außer meiner Schwester, ist dass ich in meinem Alter immer noch zu Hause wohne. Doch irgendwie wollen meine Eltern nicht, dass ich gehe. Aber ich weiß nicht warum. Ich versuch sie zwar immer davon zu überzeugen, auch wenn ich nicht weiß wo hin ich gehen würde, aber bis jetzt hatte ich noch kein Erfolg. Aber das allerschlimmste, wie ich selbst zugeben muss, ist dass ich ein Morgenmuffel bin und das von der Schlimmsten Sorte...




...Und hier beginnt meine Geschichte...

 

 

Kapitel 1




Noch total verschlafen, reibe ich mir die Augen und werfe einen Blick über mein Kissen zu meinem Wecker auf dem Tisch, neben meinem Bett: 8:30 Uhr! Ich greife mir mein Kissen und knuddel es zusammen um meinen Kopf darauf zu legen, ich hab die Augen eh nicht wirklich offen gehabt und so bin ich wieder eingeschlafen. Eine ganze Weile schlafe ich weiter und bekomme nichts mehr mit, hab kein Zeitgefühl und weiß nicht wo ich bin. Keine 10 Pferde würden mich aus dem Bett bekommen. Außer...

Und schon geht die Musik meiner kleinen Schwester an: „...Pretty Woman... Hey Pretty Woman... Dekho Dekho Na (Sieh mal her) ...Pretty Woman!“ Ich wusste es schon fast, stöhne laut ins Kissen und lege mir mein Kissen auf den Kopf. „Steck dir dein Pretty Woman sonst wo hin, mich bekommst du damit nicht wach!“, denke ich mir nur und weiß nicht an wen dies besser gerichtet ist. An meine Schwester die mich mit dieser nervtötenden Musik nervt oder die Personen die so etwas im Deutschen Fernseher erlauben. Ich hab das Gefühl, meine Schwester dreht mit Absicht die Musik lauter. „Pretty Woman... Dekho Dekho Na... Pretty Woman...“ „Kann der Kerl auch andere Texte?“, frage ich mich in Gedanken und höre nun auch noch die schräge Stimme meiner Schwester. „Und dich sollte man auch mal zum Gesangsunterricht bringen!“, rede ich in Gedanken mit meiner Schwester. „Pretty Woman... Tum Bhi Kaho Naa (Sieh doch mal her) ...Pretty Woman“ „Sieh an, der Kerl kennt doch noch einen anderen Test...“, denke ich mir. Allerdings weiß ich ja gar nicht, was der da singt aber das ist mir auch egal. Das ständige 'Pretty Woman' geht mir mächtig auf den Wecker. Und aus genau dem Grund nehme ich mir meinen Wecker, hole mit voller Kraft aus und pfeffer den Wecker an die Tür meiner Schwester, da unsere Zimmer leider aneinander grenzen.

Der Aufprall endet mit lautem Geschepper, einem kaputten Wecker und eine Tür die auf geht. Meine Schwester steht in ihrer Tür und hat den Blick auf den kaputten Wecker gerichtet und anschließend schaut sie zu mir. „Musst du mich am frühen Morgen mit deinem Shukha nerven?“, frage ich und werfe mein Kissen gleich hinter her. Meine Schwester fängt dieses und legt es sich an die Brust: „Zum ersten heißt er Shankar. Und zum anderen singt dieses Lied nicht er sondern ein indischer Sänger namens Shankar Mahadevan!“, entgegnet meine Schwester keck und tritt in ihr Zimmer zurück, mein Kissen immer noch an ihrer Brust. „Wie bitte?... Wiederhole das nochmal!“, entfährt es mir und ich blicke zu meiner Schwester, die ich gar nicht mehr sehe. „Außerdem hat er dann ja doch was damit zu tun, wenn der Name der selbe ist.“, füge ich hinzu. „Was?... Shankar Mahadevan? Und nein die haben nichts miteinander zu tun. Warum auch?“, fragt sie dann und dreht ihre Musik etwas leiser. „Da bekomme ich ja nur schon beim zuhören Fluseln im Mund!“, flüstere ich vor mich hin und schmeiße mir meine Decke vom Körper um aufzustehen und ins Bad zu schlürfen. Ich versuche den Namen vor mich hinzuflüstern. Aber das erweist sich als sehr schwer. Und so lasse ich es, kopfschüttelnd. „Wie kann man so was nur verstehen oder überhaupt mögen?

“, frage ich mich in Gedanken und mache mich erst mal fertig. Vor dem Spiegel schaue ich mir erst ein mal in mein Gesicht, dieses zeigt mir strahlende braun/grau-grüne Augen, markante Gesichtszüge, ein wunderschönes Lächeln und braune leicht gelockte Haare. Ich finde mich zwar nicht hässlich, aber als eine Schönheit sehe ich mich ebenfalls nicht. Da mein Vater Deutscher ist, habe ich seine braunen Haare bekommen, meine Schwester hat die schwarzen Haaren von meiner Mutter. „Jetzt weiß ich warum Nita diesen Bollywood Kram so mag, ist alles von Mutter abgefärbt!

“, lächel ich dann und putzte mir erst einmal die Zähne. Binde mir anschließend einen Zopf, trage etwas Make-up auf, mehr brauche ich nicht. Dieses ganze schminken ist nichts für mich, den halben Tag vorm Spiegel zu stehen, weil ja ein wenig Wimperntusche verschmiert sein könnte... Auf so etwas habe ich keine Lust und auch nicht die nötige Zeit für.

Gedanken versunken gehe ich die Treppen runter und setze mich an den Küchentisch. „Guten Morgen...“, meint meine Mutter, doch ich höre sie nicht. „Guten Morgen, Pia!“, beginnt sie dann mit etwas erhobener Stimme und einem leisen Lachen auf den Lippen. Ich schrecke hoch und schaue sie an als ob sie von einem anderen Planeten kommt, dann nicke ich etwas: „Ja, morgen...“, nuschel ich dann, senke den Kopf wieder und beiße in mein Brot welches ich mir geschmiert hab. Nun kommt auch meine Schwester in die Küche und setzt sich neben mich. „Sag mal, Nita, Liebes ist sie vorhin auch so gewesen?“, fragt meine Mutter an meine Schwester gerichtet. „Wie denn?“, fragt diese neugierig und schnappt nach einem Brot. „Na, so abgelenkt und weit weg!“, entgegnet Mutter mit den Blick auf mir. Mein Vater schaut von seiner Zeitung auf, blickt mich kurz an und senkt den Blick wieder um wieder in der Zeitung zu blättern. Auch meine Schwester guckt mich kurz an und lacht dann etwas auf: „Ach, Mama du weißt doch wie sie ist! Mal so mal so und das in Sekunden!“ „Da hast du recht...“, meint meine Mutter dazu und trinkt einen Schlug ihres Kaffees.

„Hört doch auf, am frühen Morgen gleich wieder neue Thesen zu erforschen!“, stoppt mein Vater nun ihr Gespräch, ohne den Blick von seiner Zeitung zu nehmen. „Danke, Vater!“, meine ich und blicke ihn an, man sieht mir an das mir das Gerede der zwei anderen Damen nicht gerade behagt. Mein Vater sieht mich nun lächelnd und stolz an, hebt seine Hand und streicht diese über mein Scheitel und wendet sich dann wieder - als ob nichts wäre - zu seiner Zeitung. Meine Mutter schlägt meinem Vater gespielt böse an die Schulter und steht auf: „Danke! Thesen... frühen Morgen...!“, meint sie unbegreiflich, was er da von sich gegeben hat. Ich beginne nun zu lächeln und setze mich zurück an die Wand, den letzten Bissen meines Brotes zu mir genommen. Doch mir fällt plötzlich wieder etwas ein: „Ähm, Mutter, Vater, dass geht doch in Ordnung wenn ich heute in die Stadt gehe, oder?“, frage ich dann und schaue sie neugierig an. „Was will eine so junge Dame wie du an einem Samstag in der Stadt?“, fragt meine Mutter und dreht sich zu mir. „Na hör mal. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich bin 23 und eine Frau! Und was will man an einem Samstag schon in der Stadt? Den Tauben etwas zu Essen geben, gurrr gurrr!... Mutter, du stellst vielleicht Fragen!“ Mein Vater und meine Schwester können sich ihr Lachen nicht verkneifen, als ich nach mache wie ich die Tauben füttern möchte. Meine Mutter beginnt zu schmunzeln: „Ist ja schon gut. Mit wem gehst du denn in die Stadt?“, fragt sie dann und dreht sich wieder um. „Mit Lili und Jessi!“, antworte ich knapp und stehe von der Bank auf, nachdem auch meine Schwester auf gestanden ist.

„In Ordnung. Sei heute Abend aber ja nicht zu spät zurück! Aller spätestens um 23:00 Uhr bist du wieder hier!“ „Oh ich danke euch!“, rufe ich erfreut aus und umarme meine Mutter. Mein Vater fordert mich auf zu ihm zu kommen, in dem er mich mit einer Handbewegung zu sich winkt. Ich geh zu ihm und knie mich hinunter zu ihm um ihm dann zu zuhören, was er mir zu sagen hat. „Mein Schatz, bitte pass auf dich auf. Du weiß wie viel Sorgen ich mir mache. Wer weiß wer alles da auf die Straßen gelassen wird, bleib immer bei denen Freundinnen. Ich weiß, dass du schon viel zu alt bist, für dieses kitschige Gerede von mir aber ich würde mir nicht verzeihen können, wenn dir etwas passiert. Wenn ihr zu dritt seit, seid ihr Stark eine alleine ist zu schwach!“, meint mein Vater angst erfüllt und legt mir die Hand an die Wange. Ich nicke, weiß wie sehr Nita und ich ihm am Herzen liegen und nehme dann seine Hand in meine. „Ich werde aufpassen, Vater. Versprochen. Ich hab dich lieb!“, meine ich und nehme ihn noch kurz in den Arm.

Nach verlassen der Küche stürme ich in mein Zimmer und suche mir ein schönes Sommerkleid heraus und schöne passende Schuhe dazu. Öffne den Zopf, den ich mir im Bad vorhin gemacht hab, um mich zu waschen und lasse mein Haar über meine Schultern fallen. Lächelnd schiebe ich mir meine Sonnenbrille in die Haare, nehme mir eine Tasche, tue dort alles Notwendige hinein und gehe mit schnellen Schritten die Treppe runter. Lege mir die weiße passende Strickjacke über mein Kleid, welches übrigens einen hellen Blau-Grün Ton hat und öffne die Haustür. „Bis später!“, rufe ich erfreut nach hinten und nach einem „Ja, bis dann!“ von meiner Mutter bin ich auch schon unter der warmen Sonne auf den Weg zum Treffpunkt den ich und meine Freundinnen an dem Tag zuvor ausgemacht haben.

Ungeduldig stehe ich nun an dem Treffpunkt und schaue mich immer wieder zur linken und Rechten Seite um. Doch meine Freundinnen lassen sich mal wieder Zeit. Plötzlich legen sich zwei Hände vor meine Augen, so dass ich mich regelrecht erschrecke. Ich ergreife die Hände und weiß sofort wem die schmalen Hände gehören: „Lili!“, rufe ich noch leicht unter Schock aus und ziehe ihre Hände von meinen Augen um mich um zu drehen. Ich schlage sie an die Schulter: „Sag mal, was fällt dir ein mir einen solchen Schrecken ein zu jagen?“, frage ich dann empört und lege die Hände in die Hüften. „Entschuldige Süße. Sei mir nicht böse!“, meint sie lächelnd und umarmt mich dann. So ist Lilis Art und da kann man ihr einfach böse sein, sie und Jessi sind meine besten Freundinnen und ich weiß leider nicht warum. Sie sind beide total anders als ich, aber wahrscheinlich ist das der Grund warum wir uns so gut verstehen.

Kurz danach kommt auch schon Jessi an, die wir zwei auch gleich begrüßen. Wir schlendern zu dritt durch die Stadt und gehen in fast jeden Laden, an dem wir vorbei kommen. Wir lachen über lustiges Zeug und über Witze die wir uns einfach nicht verkneifen können. In Modegeschäften machen wir Modeshows und können uns vor lauter lachen nicht mehr richtig auf den Fußen halten. Nach einer Zeit entdecken meine Freundinnen ein Videogeschäft, in das sie selbstverständlich gehen wollen. Ich verdrehe allerdings, vor betreten des Geschäfts, erst einmal die Augen. Ich sehe die zwei schon suchend in den Gängen um her streifen, während ich noch nicht einmal richtig drin bin. Dann höre ich Lili einmal ein lautes „Jahu!!!“ schreien und weiß, dass sie gefunden hat was ich befürchtet hab. Langsam folge ich den Stimmen, die lautstark zu hören sind. „Der Film ist endlich draußen. Ich warte schon eine Ewigkeit auf ihn!“, sagt Lili, als ob ihr Leben daran hängt. Ich erwische mich dabei, wie ich erneut mit den Augen rolle und nach einer Reihe endlich bei meinen Freunden angekommen bin. Ich schaue mir die Reihe an, verziehe das Gesicht und wundere mich warum es eine ganze Reihe nur für diesen Mist gibt. Neben Jessi bleibe ich stehen, diese schaut sich gerade die DVD an, die Lili heraus gesucht hat. Lili streift während dessen an der Reihe immer von Links nach Rechts, sie fühlt sich wie im 7. Himmel.

„Sieht der Kerl nicht geil aus, auf dem Bild?“, entfährt es Lili fragend, es gleicht einem kindlichem Quietschen. „Ihm steht der Bart echt gut, muss ich ihm lassen...“, meint Jessi anerkennend. Sie interessiert sich zwar nicht all zu sehr für diesen Kram, allerdings schaut auch sie sich mal solche Filme an. „Pia, nun schau doch mal! Ist Shankar Kumar mit Bart nicht einfach zum anknabbern?“, fragt nun Lili und reißt sich die DVD aus Jessis Händen. „Ich zeig dir gleich was zum anknabbern ist. Euer möchte gern Romantiker, der Kitsch König von Bollywood, ist es sicher nicht!“, fauche ich und schaue desinteressiert an meinen Freunden vorbei. „Du hast dir das Bild ja gar nicht einmal angesehen!“, meint Lili sauer und rüttelt an meiner Schulter um mich zu ihr zu drehen. Widerwillig blicke ich zu ihnen, was ich gar nicht kann, denn anstatt Lilis Gesicht sehe ich die ernste Visage eines Mannes, mit schwarzen Haaren, einem Bart, einem weißem Hemd und einer beige Hose. Der Kerl hat meiner Meinung nach eine viel zu große Nase, sein Blick ist ziemlich ernst und könnte einem kleinem Kind richtig angst machen. Und auf diesen Kerl stehen alle Bollywood Fans? Leute, ich bitte euch? „Gott, wie sieht der denn aus? Und dass soll euer berühmter... wie war noch mal sein Name?... Shanku...Shakhu...Shukha...?“, beginne ich dann und verziehe angewidert das Gesicht.

Lili lässt die Hände, die die DVD halten, sinken und blickt mich entrüstet an, Jessi kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und dreht sich lieber zu den Filmen um. „Shankar Pia, er heißt: Shankar... Nicht Shurakh oder sonst wie! Shankar! Ganz einfach, schreib es dir hinter die Ohren!“, wettert sie dann plötzlich los und richtet sich mit erhobenem Finger auf. Ich gehe mit dem Oberkörper leicht nach hinten und hebe verteidigend die Hände in die Höhe und Jessi bekommt sich hinter Lili kaum noch ein. „Ist ja gut. Ist ja gut!“, meine ich dann und richte mich wieder richtig auf, nachdem Lili zurück gefahren ist. Sie blickt zurück auf die DVD: „Da fällt mir etwas ein... Meine Tante wohnt ja in Indien und sie hat mich eingeladen zu ihr zu kommen um mal etwas Urlaub zu machen!“, schießt es dann aus ihr, als ob sie es so schnell wie möglich los werden will, allerdings denke ich mir eher, dass sie es uns unbedingt sagen will. „Aber ich will nicht allein dahin. Da hat sie mir angeboten eine oder zwei Freundinnen mit zu nehmen...“, redet sie dann, etwas runter gekommen, weiter. Ich entferne mich von meinen Freunden: „Eine reicht wohl, du kannst Jessi mit nehmen. Ich komme nicht mit!“, meine ich dann nur. Ich sehe in der Reihen weiter, versuche mich abzulenken, oder eher meine Freundinnen zu ignorieren. Dabei fällt mir allerdings ein weiterer indischer Mann auf einer der DVDs auf. Auf dem Bild sieht man ihn nicht ganz, die DVD glänzt gewaltig und dazu denke ich mir gleich mal meinen Teil. Der Kerl ist nicht als einziges auf der DVD zu sehen, zwei weitere Männer und zwei Frauen sind noch darauf zu sehen. Ich weiß nicht warum ich auf genau diesen Mann gesehen hab, fragt mich besser nicht.

Meine Freundinnen schauen sich an, dann kommt Jessi auf mich zu und ergreift meine Schulter, sodass ich fast einen Herzstillstand erleide. Lili muss sich ja unbedingt den Film kaufen und so warten wir zwei auf sie, wie mich meine andere Freundin Richtung Ausgang dreht - was mir nur recht ist. Dann kommt auch Lili wieder und wir verlasst den Laden endgültig. „Nun komm schon, was soll passieren? Wir machen da doch nur Urlaub um ein bisschen von unserem Job weg zu kommen. Wir können doch nicht den lieben langen Tag an unseren Bürotischen sitzen, den Computer benutzen, Telefonate führen und Akten ordnen....“, meint Lili dann, versuchend mich zu über reden. „Und außerdem, wir drei zusammen in Indien. Wärme, Filme, Musik, Spaß, Strände, Männer...“, beginnt Jessi nun zu schwärmen. „Zickenstreit, Gejohle der Sänger, Tanzende Kitsch Könige, Abgekommene Straßen, Hungernde und Durstende Kinder auf offener Straße, Armut, und Strände voller Müll...“, definiere ich nun meine Sicht. „Ach so schlimm ist es gar nicht...“, will Lili gerade anfangen. „Kommt setzten wir uns in ein Eiscafé, meine Füße tun weh, mir ist warm und dort können wir besser weiter reden!“, unterbricht Jessi Lili und deutet auf das Eiscafé an dem wir gerade vorbei kommen. Wir nicken zustimmend und suchen uns einen Sitzplatz im Freien.

Als wir einen schönen Platz im Schatten gefunden haben, lassen wir uns auf den Stühlen nieder und stellen unsere Taschen neben uns ab. „...Schau doch mal, Pia, wir wären den ganzen Tag zusammen. Können durch die Stadt gehen, shoppen, lachen, reden...“, meint Lili dann. „Glaubt ihr wirklich, dass das klappt? Wir drei auf einen Haufen, Tag und Nacht!? Wir werden nicht lebend nach Hause kommen..“, meine ich nur dazu. Als der Kellner kommt bestellen wir erst mal etwas kaltes und nach dem er nicht mehr in Sicht ist, kann es weiter gehen. „Das glaube ich nicht!“, sagt Jessi knapp. „Und wer weiß, vielleicht werden wir ja einen der Stars treffen!“, lächelt dann Lili verträumt. „Mit solchen Gedanken bekommt ihr mich erst recht nicht mit. Ich hab kein Bock da einen eurer Kitsch-Film-Helden zu treffen. Das ist mir viel zu viel Getue und Gemache. Dieser ganzen Romantik-Kitsch ist echt übertrieben!“, meine ich nur dazu. „Was magst du daran nicht?“, fragen meine Freundinnen wie aus einem Munde. Ja, was mag ich eigentlich daran nicht? Ich kann mir die Frage selbst nicht beantworten. Vielleicht, weil ich meine Schwester nicht mag und sie dieses Bollywood Zeug so mag? Das wäre eine total kindische Sichtweise, doch wer weiß was mein wahres Problem ist? Ich selber weiß es auch nicht. Und genau das ist so merkwürdig an mir. „Ach, ist doch auch egal...“, lenke ich dann ab. „...und zum anderen, würden meine Eltern mich nicht gehen lassen. Seit fast 4 Jahren versuche ich sie schon davon zu überzeugen mich von zu Hause ausziehen zu lassen...“, erkläre ich dann.

„Was hat das denn mit ausziehen zu tun? Wir wollen in den Urlaub und nicht nach Indien auswandern!“, meint Lili. „Okey, sollten es meine Eltern erlauben, wie wollen wir das unserem Chef erklären?“, frage ich dann. „Na das musst du übernehmen.“, meint Jessi, als sei es selbstverständlich. „Was? Ich? Wieso denn ich?“, frage ich fassungslos. „Ihr wollt da doch unbedingt hin, nicht ich!“, ergänze ich noch. „Ja schon. Aber wenn wir ihn fragen, wird der nie zustimmen!“, sagt Lili nun etwas deprimiert. „Warum nicht, was habt ihr davon wenn ich ihn frage?“, stelle ich eine nächste Frage. Ich blicke langsam nicht mehr durch, bei den beiden. „Sein Einverständnis!“, sagen beide wieder gleichzeitig. „Wie? Ich versteh nur Bahnhof. Ihr könnt das genau so gut!“, erkläre ich fast am Verzweifeln. „Gott, Pia hast du noch nicht gemerkt, dass der Kerl hinter dir her ist!?“, klärt mich dann Lili auf. Ich reiße ungläubig die Augen auf: „Erzähl nichts. Das glaub ich euch nicht!“, lache ich auf. „Hast du nie gesehen, wie er dich ansieht?“, fragt Lili weiter, fast schon entsetzt. „Und hast du dich auch nie gefragt, warum er dich früher gehen lässt und uns dann die letzten Arbeiten aufdrückt?“, fragt nun Jessi. „Nö, warum auch? Ich hatte meine Arbeiten fertig.“, entgegne ich unwissend. „Ist doch jetzt auch egal... Also wirst du mit ihm reden?“, fragt Lili neugierig.

„Ähm... Hab ich gesagt, dass ich mit fliege?“, frage ich dann und kratze mir am Hinterkopf. „Pia...“, beginnt Lili. „Bitte, ach komm schon!“ „Ist ja gut, ich komme mit und ja ich frage ihn!“, antworte ich ergeben. Ich lache etwas, denn ich finde ihre Gesichter einfach zu komisch. Schließlich bekommen wir unsere kalten Getränke und bedanken uns beim Kellner, dieser schenkt uns ein Lächeln. „Aber wenn ihr mir die ganze Zeit in den Ohren hängt, von wegen das dieser... mist ich hab den Namen schon wieder vergessen... ja der tollste Mann der Welt sei dann bin ich schneller im Flieger als ihr seinen Namen nennen könnt!“, weise ich die zwei darauf hin. „Ist ja gut. Aber bis du seinen Namen endlich kennst ist bestimmt Weihnachten. Das ist unglaublich. Hast du dir die Ohren wieder gewaschen? Ich sagte doch, du sollst es dir hinter die Ohren schreiben!“, lacht nun Lili über ihren eigenen Satz. Jessi stimmt ein und auch ich lächle etwas. Wir reden noch über alles mögliche. Ich frage sie auch, ob sie eine Idee haben, wie ich es schonend meinen Eltern beibringen kann oder soll. Sie gebe mir Ratschläge und Tipps die ich dankend annehme. Meinen Chef bekomme ich hoffentlich dann auch dazu ja zu sagen. Aber erst möchte ich das Ja meiner Eltern hören, sonst bringt es wenig unseren Chef zu fragen.

Nachdem wir fertig sind bezahlen wir noch schnell und gehen dann langsam wieder zurück. Es ist schon spät und von dem ganzen Laufen bin ich mächtig müde geworden. So verabschieden wir uns voneinander, dort wo wir uns getroffen haben und gehen dann alle getrennte Wege. Zu Hause bei mir angekommen gehe ich erst mal ins Wohnzimmer um Bescheid zu geben, dass ich da bin. „Vater, Mutter! Kann ich gleich mit euch reden? Es ist wichtig...“, beginne ich bevor ich das Wohnzimmer wieder verlasse. „Aber klar doch, zieh dir aber erst etwas bequemes an!“, meint meine Mutter bestimmend. „Das hätte ich eh gemacht.“, lächle ich dann und gehe die Treppen hoch. In meinem Zimmer höre ich meine Schwester wieder singen und ihre Musik hören, doch dieses Mal versuche ich mich nicht auf zu regen. Doch das funktioniert nicht so wie ich will. Ich reiße die Tür, die unsere Zimmer trennen, auf und schaue sie an, sie steht in ihrem Zimmer und hat gerade in ihren Tanzschritt inne gehalten. „Was machst du da? Du hättest anklopfen können...“, beschwert sie sich. „Du klopfst auch nie an...“, entgegne ich knapp. „Ja und? Ich bin auch kleiner!“, sagt sie nur dazu. „Und ich bin größer!... Außerdem, was zum Teufel ist 'Anjanni'?“, frage ich schließlich. Dieses Lied geht mir mächtig auf die Nerven, die mit ihrem 'Anjanna... Anjanni'. „Nicht was, sondern wer! Anjanni heißt Unbekannte... Und dann ist ja klar das Anjanna Unbekannter heißt!“, erklärt Nita, als wäre es das selbst verständlichste der Welt. Ich verdrehe nur die Augen und schließe die Tür laut hinter mir. Dann gehe ich nach unten zu meinen Eltern, mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube.

Ich atme noch einmal tief ein und wieder aus, bevor ich das Wohnzimmer vollständig betrete. Doch dann erkläre ich mich selbst als verrückt, denn ich bin keine 16 mehr, dass ich so reagieren muss wenn ich mit meinen Eltern über etwas reden möchte. Überzeugt, dass meine Eltern mit 'Ja' antworteten setze ich mich auf einen der bequemen Hocker ihnen gegenüber.

„Vater, Mutter...“, beginne ich um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie wenden sich nun mir zu und lächeln mich an. „Also, meine Freundin, Lili, hatte vor in den Urlaub zu fahren!“, rede ich weiter, ohne um den heißen Brei zu reden. Ich will das Gespräch so schnell beenden wie nur möglich. „Och, dass ist aber schade, wo will sie denn hin? Dann könnt ihr euch ja gar nicht sehen!“, meint meine Mutter mitleidend. Ich wusste, dass so was kommen würde und so achte ich nicht weiter darauf. „Und wo hin will sie denn?“, fragt mein Vater nur und darauf hab ich gewartet. „Nun ja, sie will nach Indien... Zu ihrer Tante... Sie hat uns heute davon erzählt... und wollte Jessi und mich mitnehmen!“, füge ich dann ganz schnell hinzu. Die beiden sehen mich bei meinem letzten Satz mit großen Augen an. „Wiederhole das!“, meint mein Vater während meine Mutter fragt: „...und dich?“ „Ja, sie will dort nicht alleine hin! Und außer ihrer Tante, die selten zu Hause ist, hat sie dort dann auch keinen!“, erkläre ich ihnen. „Dann soll sie gar nicht erst fliegen!“, kontert mein Vater. „Kommt überhaupt nicht in die Tüte. Du fliegst auf keinen Fall nach Indien. So sehr ich dieses Land auch liebe, dort kann einfach zu viel passieren. Und dafür bist du noch nicht alt genug!“, meint meine Mutter abstreitend.

„Ich bin 23, Mama und keine 9 mehr! Von mir aus könnt ihr Nita so behandeln aber mich nicht mehr! Ihr erlaubt Nita alles und mir erlaubt ihr nie etwas!“, meine ich nun sauer. „Das stimmt doch gar nicht. Kind, beruhige dich. Es ist nun mal nicht leicht ja zu sagen wenn du in ein anderes Land fliegen möchtest!“, versucht meine Mutter mich zu beruhigen. „Was gibt es denn da für ein Problem, ich bin nicht allein. Ich kann echt gar nichts machen, ich bin über 20 und wohne immer noch hier, weil ihr nicht wollt das ich ausziehe. Gott weiß warum!“, werde ich langsam wütend. „Pia, jetzt gehst du etwas zu weit. Wir haben unsere Gründe, dass wir nicht wollen, dass du ausziehst!“, meint meine Mutter mit fester Stimme. „Ach, ihr habt für alles irgendwelche Gründe. Ich möchte doch nur Urlaub machen und nicht für immer weg ziehen!“, versuche ich verzweifelt zu erklären. „Du fliegst nirgendwo hin. Ende der Diskussion!“, meint meine Mutter dann kühl und fest. Ich koche innerlich so sehr, dass ich vom Hocker auf springe und die Treppen hoch stampfe. Mir ist egal ob das nicht zu meiner Altersklasse gehört, doch ich bin einfach zu sauer. „Ihr habt Nita einfach lieber als mich!“, werfe ich ihnen dann noch laut vor und knalle die Tür hinter mir zu.

Ich schmeiße mich mit dem Bauch auf mein Bett und vergrabe mein Gesicht ins Kissen. Doch dort bleibt es nicht lange, denn ich schrecke hoch als ich die Musik meiner Schwester höre. „Nita, mach diese verdammte Musik aus. Ich will schlafen!“, schreie ich dann so laut, dass mir der Hals weh tut. Das hat sie sicher nicht überhört und tatsächlich geht kurz danach die Musik aus. Doch Nita tritt in mein Zimmer, wovon ich zuerst nichts mitbekomme, denn ich beginne zu schluchzen. Meine Schwester setzt sich an mein Bett und streicht mir übers Haar: „Pia, was ist denn?“, fragt sie vorsichtig. „Verschwinde, du kleine Nervensäge. Dich brauche ich jetzt am wenigstens“, fahre ich sie von der Seite an und blicke noch nicht einmal auf. Schnell steht sie von meinem Bett wieder auf und rennt in ihr Zimmer, sie beginnt zu weinen, denn ich hab sie wirklich verletzt mit meinen Worten. Doch mir ist das momentan egal. Nita fragt sich unterdessen, warum ich sie denn so sehr hasse, sie hat mir doch gar nichts getan. Aber ich hasse meine Schwester nicht, ich bin nur eifersüchtig weil sie bevorzugt wird, da sie die jüngere ist. Da werde ich eben schon mal lauter. Nach einiger Zeit schlafe ich dann auch ein, weil mich die Aufregung müde gemacht hat. Mein Vater und meine Mutter diskutieren unten währenddessen über etwas anscheint Wichtiges.

Am nächsten Morgen drehe ich mich noch ein paar mal unter der warmen Bettdecke, am liebsten würdest ich weiter schlafen. Doch zwei Dinge hindern mich daran. Zum ersten, die Sonne, die ihre Strahlen heute wieder so hell zeigt, dass ich schmerzen in den Augen bekomme. Und zum zweiten ist mal wieder die Musik meiner kleinen Schwester an. Am liebsten würde ich ihren CD Spieler aus einem offenem Fester werfen. Ich frage mich wer mich davon abhält? Niemand! So stehe ich schnell unter meiner Decke vom Bett auf und klopfst durchdringlich an die Tür. Kurz danach geht diese auch schon auf und eine breit grinsende Nita steht vor mir, fast 3 Köpfe kleiner als ich und blickt aus diesem Grund zu mir auf. „Verdammt, Nita... Kannst du deine Musik nicht leise machen?“, frage ich sie dann und gehe an ihr vorbei. Sie antwortet nicht, es scheint das sie auf etwas wartet. „...Gut dann schmeiße ich deinen CD Spieler einfach aus deinem Fenster, mal sehe was du dann machst!“, meine ich dann Achselzuckend und umfasse bereits den CD Spieler. „Hey, lass das. Ich hätte es ja getan, hättest du 'Bitte' gesagt. Don hat recht, heute zu Tage sagt keiner mehr 'bitte'!“, meint meine Schwester und zieht an meinen Armen, sodass ich von der Anlage lasse. „Wer zum Kuckuck ist 'Don'?“, zische ich fragend und blicke meine Schwester an als sei sie total irre. „Na hör mal. Kennst du nicht den Begriff 'Don'? Den kennt doch jeder! Der steht für, den Boss einer Gang!“, erklärt sie altklug. „Ohhho... Wie schön... Lass mich raten, das hast du aus einer dieser Bollywood Schinken!“, meine ich dann etwas angewidert. „So sieht es aus. Ein Problem damit?“, fragt sie und streckt mir die Zunge raus. „Na warte... Das einzige Problem was ich habe, bist du!“, rufe ich aus und laufe ihr dann hinter her, da sie vor mir flüchtet.

Unten rennt sie bis zur Küche und bleibt dann stehen, denn unsere Eltern sind in der Küche und so kann ich ihr nichts mehr anhaben. Wir setzen uns leise hin, ich würdige meinen Eltern weder einen Blick noch ein Wort. Ich greife nur zu einer Schale und fülle sie mit Müsli. Meine Schwester tut es mir gleich nimmt aber lieber etwas von dem ungesunden Cornflakes. Stumm und mit dem Blick auf meine Schale gerichtet beginne ich zu frühstücken. Während wir alle essen sagt keiner etwas, was mich wundert sonst reden meine Mutter und meine Schwester ständig. Wenn die wollen können sie reden wie Wasserfälle, doch ihnen ist wohl nicht nach reden, was ich bei meiner Mutter auch verstehen kann, aber bei meiner Schwester nicht so recht.

Ich und Nita wollen gerade aufstehen, da hindert unser Vater uns streng dran. „Setzten!“, meint er mit ernster und fester Stimme. Wir schauen uns an und setzen uns hörig wieder auf die Sitzbank. Mit großen fragenden Augen schauen wir zwei unsere Eltern an, die uns einfach nur abwechselnd mustern. „Pia, deine Mutter und ich haben uns gestern Abend noch lange unterhalten!...“, fängt mein Vater dann an. Und ich weißt jetzt kommt es, ich hab Hausarrest, weil ich am Abend so mit meinen Eltern geredet hab wie ich es noch nie getan hab. „...Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir es dir erlauben sollten mit deinen Freunden mit zu fliegen!“, beendet er dann seine Aussage. Das reißt mich voll aus der Bahn, damit hab ich nicht gerechnet. Meine Augen werden vor Freude und Unglaubwürdigkeit von Mal zu Mal größer. „Bitte was?“, frage ich dann fassungslos und schaue meine Eltern an, ich warte darauf, dass sie sagen, dass ich mich verhört hab. Doch nichts, stattdessen ergreift meine Mutter jetzt das Wort: „Pia, du hast uns richtig verstanden! Allerdings darfst du nur unter einer Bedingung mit deinen Freunden mit fliegen!“, sagt sie und schaut mich dann an, versucht mir genau in die Augen zu schauen. Ich rutsche etwas unruhig auf meinem Platz hin und her, wartend was nun auf mich zukommt. „Du musst deine Schwester mit nehmen. Denn Nita würde sich bestimmt freuen, mal nach Indien zu fliegen!“, ergänzt sie dann. Ich wusste es, irgendetwas würden sie immer finden. Ich schaue zu meiner Schwester, die glänzende Augen bekommt und ein Gesicht, das sich mit einem Mal aufhellt. „Indien?... Unser Indien?... Shankars Indien???“, quiekt sie los.

„Das meint ihr doch nicht ernst? Warum muss sie mit? Und hat sie nicht eigentlich Schule?“, beginne ich dann zu fragen, ich hatte doch echt für einen Augenblick damit gerechnet, sie würden es mir einfach so erlauben. „Doch und wie ernst wir das meinen! Du weißt wie sehr sie Indien liebt, wie sehr sie gerne einmal dort hin fliegen würde. Sie würde sich bestimmt freuen. Und du hättest das was du möchtest!“, entgegnet meine Mutter darauf. „Außerdem, hab ich nächste Woche eh Ferien. Sommerferien um genau zu sein, dass heißt 6 Wochen frei!“, erklärt Nita erfreut und steht schon seit wenigen Sekunden auf der Bank und ist am tanzen. „Glaubst du Vater und Mutter dachten an 6 Wochen, die wir nach Indien dürfen?“, frage ich sie dann zischend. „Wäre uns egal. Nur du musst sie mit nehmen. Mit ihr: Ja. Ohne sie: Nein!“, meint nun meine Mutter. Ich steh auf und gehe an meiner Schwester vorbei, doch ich drehe mich noch mal zu allen um und blicke alle einzeln an. Ich hab das Gefühl, sie haben es auf mich abgesehen, als ob sie das mit Absicht machen. In meinem Zimmer schließe ich die Tür hinter mir, setze mich auf mein Bett, nehme mir das Telefon zur Hand und wähle die Nummer von Lili.

Meine Eltern und meine Schwester sind immer noch in der Küche. „Nita setz dich bitte wieder hin und wenn du eigentlich aufstehen wolltest, nimm doch bitte auch Pias Schale mit in die Spüle.“, meint unser Vater nach einer Zeit, wie sie immer noch am Tanzen ist. „Ist gut Papa. Und danke ihr zwei, dass wäre so toll, wenn ich nach Indien komme!“, sagt sie und beginnt im Stehen zu träumen. „Du musst warten bis deine Schwester dich mit nimmt. Wenn sie das nicht möchte fliegt keiner. Weder du und sie noch einer von euch allein!“, erwidert Vater ohne wirklich böse dabei zu klingen.

„Lili...“, meldet sich meine Freundin fragend und klingt noch etwas müde. „Ja, ich bins Pia. Hab ich dich geweckt?“, entgegne ich entschuldigend. „Nein, ich musste eh auf stehen... Mein Handy hat geklingelt!“, entgegnet sie. „Ha, ha, ha!...“, mache ich nur, den Witz fand ich nicht wirklich lustig. „Warum rufst du an?“, fragt sie dann neugierig. „Wegen dem nach Indien fliegen!“, entgegne ich etwas missmutig und lege mich im Bett zurück. „Moment, ich muss mich erst mal richtig hinsetzten...“, meint sie dann. Nun muss ich doch etwas lachen, ich stell mir das gerade bildlich vor. „... So... Nun kannst du anfangen, ich bin ganz Ohr... Was haben deine Eltern gesagt?“, fragt sie mich ganz neugierig.

Ich zögere etwas: „Nun ja... Im Grunde darf ich mitkommen...“, beginne ich dann und sehe auf meine Zimmertür. „Aber...?“ Ich höre, dass meine Freundin etwas ungeduldig wird. „Aber, sie lassen mich nur unter einer Bedingung mit fliegen!“, rede ich weiter. „Ja, und die wäre? Sag schon!“, fordert sie dann. „Ich muss meine kleine Schwester mitnehmen...“, erkläre ich dann und sinke auf mein Bett zurück. „Ist das schlimm? Ich mein, meine Tante hätte sicher nichts dagegen...“, meint Lili dann. Ich stöhne nur auf: „Komm schon, Lili. Ich nehme sie nicht mit, du weißt das wir uns nicht verstehen. Das wird nicht gut gehen!“, entgegne ich. „Mensch Pia! Nun reg dich nicht so auf. Sie wird doch sicher nicht soo schlimm sein...“, meint meine Freundin dann. „Du hast gut reden, du lebst ja auch nicht mit ihr!“

Wir zwei reden noch eine ganze Weile. Und zum Schluss hat sie mich doch tatsächlich dazu gebracht, meinen Eltern zu sagen, dass meine Schwester mit darf. Sie hat ständig auf unsere Freundschaft angespielt und da ich sie und auch Jessi als Freundinnen sehr schätze hab ich zu gestimmt. Als ich den Telefonhörer zur Seite lege stöhne ich einmal auf. Meine Schwester ist offensichtlich in ihrem Zimmer, was ich nur höre, da sie wieder ihre Musik an hat.

Ich gehe sofort in ihr Zimmer und stemme die Hände in die Hüfte. „Könnte dieser Herr bitte aufhören von seinem und Chains Kuli zu reden...“, bitte ich sie ihre Musik aus zu stellen. „Wer redet von seinem und wessen Kuli?“, fragt meine Schwester, die mir den Rücken zugekehrt hat und im Schneidersitz auf ihrem Bett sitzt, dabei ein Buch in der Hand hält. „Der Herr da in deiner Musikanlage...“, erkläre ich dann. „Ach davon redest du... Zum ersten, dass ist nicht nur ein Herr sondern zwei Herren, die auch Namen haben! Zum zweiten reden sie nicht, sondern singen. Und zum dritten singen sie nicht von ihren Kulis!“, meint meine Schwester klärend. Ich nicke, als würde ich ihr folgen, doch dann schnappe ich nach ihrer Hand und ziehe sie vom Bett. „Komm mit!“, sage ich nur knapp.

„Wo willst du mit mir hin...“, meint meine Schwester fragend und lässt sich von mir mit ziehen. „Wir werden jetzt zu Mama und Papa gehen!“, erkläre ich genau so knapp wie schon zuvor. Ich gehe mit ihr die Treppen hinunter und dann direkt ins Wohnzimmer wo ich meine Eltern auffinde. Ich bleibe stehen und somit auch meine Schwester. Diese und nun auch meine Eltern schauen mich neugierig an. „Sie darf mit!“, meine ich knapp. Im ersten Moment wissen die anderen nicht was ich meine, aber als meine Schwester anfängt zu grinsen und mich mit großen Augen anschaut, werden nun auch meine Eltern aufgeklärt. Diese sehen sich einfach nur stumm an. Während dessen springt mir meine Schwester um den Hals: „Ohhh, du bist die beste... Ich hab dich lieb... Das werde ich dir nie vergessen, du hast was gut bei mir!“ Ich schaue sie an, meine Augen funkeln: „Dann lass mich los!“ Ich hasse es, wenn sie das macht. Anschließend schaue ich zu meinen Eltern.

Denen ist wirklich gerade nicht gut, deswegen setzen sie sich. „Bist du sicher... Ich meine, seit ihr euch sicher? Ihr seit so lange weg, dann ganz wo anders. Werdet ihr dahinten allein klar kommen...“, beginnt mein Vater. Ich weiß genau, dass er nur wegen sich diese Worte sagt. Ich setze mich neben ihn auf die Lehne des Sessels und blicke zu ihm hinunter. Als auch er zu mir aufblickt beginne ich zu nicken. „Ja, Papa... Macht euch keine Sorgen... Ich bin 23! Und wenn mir der kleine Quälgeist auf die Nerven geht, schicke ich ihn zurück!“, meine ich dann. „Oh nein...“, beginnt er, doch ich unterbreche ihn. „Ja, ja ich weiß, wenn dann fliege ich auch mit zurück... Schon verstanden!“, lache ich dann. Meine Schwester liegt in den Armen meiner Mutter, die auf einem Sofa sitzt.

„Lass uns nun packen gehen!“, fängt Nita dann an unruhig zu werden. „Ist ja gut!“, stöhne ich auf und stütze mich ab. Meine Schwester folgt mir auf Schritt und Tritt. „Was nimmst du mit? Was haben deine Freundinnen in Indien vor? Werden wir ins Kino gehen? Werden wir gemeinsam Shoppen gehen?“, stellt sie mir Fragen. Und erst jetzt wird mir klar, dass ich ja auf meine Schwester aufpassen muss und sie überall mit hin nehmen muss. Was hat Lili mir nur da eingebrockt?

„Nita, ganz cool bleiben! Noch steht nicht felsenfest das wir fliegen können. Mein Chef muss mir für diese Zeit frei geben!“, knurre ich sie an, als sie mir bis ins Zimmer folgt. Niedergeschlagen lässt sie sich auf meinem Bett sinken, als das Telefon klingelt. „Pia Khan...“, weiter komme ich gar nicht, denn ich werde von Jessi unterbrochen. „Lili hat mich eben angerufen, zuerst hab ich kein Wort verstanden so schnell wie sie geredet hat. Doch nun weiß ich das du mit fliegst! Stimmt das und deine Schwester soll auch mit? Als ich das gehört hab, hab ich sofort bei unserem Chef angerufen, ich dachte zuerst er sagt nein. Doch er gibt uns allen drei 6 Wochen Urlaub... Stell dir mal vor, ganze sechs Wochen!“, kreischt Jessi schon fast die letzten Sätze. Nun lasse ich mich auf mein Bett sinken, dass Telefon nehme ich vom Ohr und drücke es aus. Bis eben hatte ich noch Hoffnung...

Meine Schwester sieht mich nun mit einem fragendem Blick an, da sie den meinen nicht deuten kann. „Was hast du Pia? Wer war das? Etwa dein Chef?“ Ich wundere mich immer wieder, wie meine Schwester so viel auf einmal fragen kann. Von wem sie das nur hat!? „Nein es war nicht mein Chef. Es war Jessi, die vorhin bei unserem Chef angerufen hat!“, antworte ich ihr monoton. Ich starre wie besessen auf den Fußboden vor mir, das Telefon immer noch mit den Händen fest umschlossen. „Und was hat sie gesagt? Darfst du nicht fliegen? Das wäre doch traurig! Ich freue mich doch schon so!“, stießt sie dann hervor, sie klingt etwas traurig, doch ich achte gar nicht so wirklich auf ihr Verhalten. „Doch Nita, wir fliegen, er hat uns drei frei gegeben...“, antworte ich nur.

Vor lauter Freude springt mir meine Schwester erneut in die Arme: „Wow! Das wird so toll! Wir werden jeden Tag etwas zusammen unternehmen! Ich mach mir gleich eine Liste, was ich alles besorgen möchte, was ich sehen will und was ich machen will...“, beginnt sie aufgeregt in meinem Zimmer auf und ab zu gehen. „Nita... Nita...“ Doch sie will einfach nicht auf mich hören. „Verdammt nochmal, Nita! Nun halt doch mal die Klappe!“, schreie ich nun, bin von meinem Bett gesprungen und hab dabei das Telefon aufs Bett geschmissen. „Wir werden ganz gewiss nicht, jeden Tag das machen, was du willst! Ja, ich muss auf dich aufpassen, aber das heißt noch lange nicht, dass du mir an der Backe kleben sollst!“, schreie ich sie schon fast an.

Sie schaut mich mir großen Augen an, so wie sie es immer tut, wenn ich sie erschrecke und ihr angst mache. Ich sehe, dass sie wieder mit den Tränen kämpft, aus diesem Grund dreht sie mir den Rücken zu und verlässt mein Zimmer. Ich allerdings will ihr gar nicht folgen, sie wird eh bald wieder aufhören zu weinen und sich beruhigen. Ich widme mich lieber meinem Koffer, der endlich gepackt werden sollte. Ich verbringe den ganzen Tag damit und falle am Abend erschöpft auf mein Bett. Ich gehe mich anschließend noch duschen und nachdem ich mich zurück in mein Bett gelegt hab, nehme ich mir das Telefon zur Hand und rufe Lili an. Von der will ich wissen, wann unser Flieger geht und wann ihre Tante uns erwartet. Diese sagt mir, dass unser Flugzeug am nächsten Montag Morgen startet und wir den Tag darauf am späten Nachmittag in Indien sein müssten. Das ist mehr als eine Woche hin bis zum Flug, was mich irgendwie glücklich macht.

Wir besprechen noch einiges Wichtige, was uns so einfällt und legen dann auf. Ich lege mich in meinem Bett zur anderen Seite. Höre noch leise Musik meiner Schwester, doch lasse mich nicht davon stören. Jedenfalls versuche ich es. Ich schließe die Augen und bin kurz darauf, sicher dank irgendeines Wunders, auch schon eingeschlafen.

Kapitel 2




Am nächsten Morgen wache ich nicht auf. Nein, ich werde geweckt. Und wodurch? Das fragt ihr noch? Durch was wohl!? Durch den Wecker der sich 'Nitas Musik' nennt. Ich schmeiße die Decke vom Körper, sodass sie mir bis zur Hüfte geht und öffne die Augen. Am Liebsten will ich schreien. Nur das dumme ist, dass mir gerade auffällt, dass das sicher in Indien nicht besser wird. Im Gegenteil. Es wird nicht aufhören. Denn ich glaube da wird den ganzen Tag diese Musik laufen, egal wo ich hin gehe. Jetzt will ich nicht nur schreien. Nein, ich tue es auch. „Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh!“

Etwas ausgeruhter und beruhigter, nach dem Schrei, stehe ich nun auf. Es ist Montag. Keine Sorge, nicht der Montag den ihr glaubt. Nein, es ist eine Woche vorher. Mein Glück, das Pech der anderen. Ich marschiere auf das Zimmer meiner Schwester zu, klopfe gar nicht erst an und öffne die Tür etwas unsanft. „Was zum Henker tust du da?“, will ich dann wissen. Sie steht an ihrem Schrank und sucht wohl gerade nach etwas schönem zum Anziehen. „Diese Woche ist doch noch Schule... Und da wollte ich mir nur etwas...“ Weiter kommt sie nicht, da stehe ich neben ihrer Musikanlage und drehe die Musik weit runter, sodass die Sängerin nur noch flüstert. „Warum tust du das?“ „Weil ich diese Musik nicht hören kann!“ „Ich find es traurig, dass du dich nicht mit den Wurzeln deiner Mutter vertraut machen willst!“ „Nerv mich nicht...“, ist das einzige was ich darauf erwidere und schon gehe ich wieder aus dem Zimmer. Allerdings verlasse ich dann meines um ins Bad zu gehen. Fragt mich nicht warum ich nicht aus ihrer anderen Tür gegangen bin. So was passiert mir immer, wenn ich etwas verpeilt oder sauer bin. Ich sehe nicht, dass meine Schwester mir hinter her sieht.

Diese Woche noch arbeiten und dann Urlaub. Klar freu ich mich auf Urlaub. Aber muss es denn gleich Indien sein? Ich hab mich nie wirklich damit beschäftigt. Mit dem Land, mein ich. Weder mit den Filmen, die mir zum großen Teil echt zu kitschig sind und mit den meisten Songs kann ich mich auch nicht anfreunden. Ich bin jemand der im Heute lebt und etwas mehr Pep braucht, nichts gefühlsduseliges in der Hinsicht, dass man einschlafen kann wenn die Musik beginnt. Ich bin zwar keine Natur-Tanz-Maus. Aber ich tanze gerne, kann es nicht perfekt. Aber wer kann schon richtig perfekt tanzen? Ich kenne wenige davon. Aber lassen wir das.

Ich will mich lieber auf meine Arbeit konzentrieren. Nach keinen 15 Minuten bin ich fertig, sehe alles andere als Müde aus, was ich vor 15 Minuten wirklich noch war und gehe dann hinunter. In der Küche werden, Ritualmäßig, meine Eltern begrüßt mit einem Kuss auf die Wange. „Morgen und Tschüss...“ „Vergiss nicht Nita mit zur Schule zu nehmen...“ Ich drehe mich mit einem gespielten Lächeln am Türrahmen in der Küche um. „Liebend gern...“ Und schon drehe ich mich um und verziehe das Gesicht. „Warum kann sie nicht mit dem Schulbus fahren?“, frage ich mich flüsternd, eh ich laut hinauf schreie: „Nita, wenn du in 10 Sekunden nicht hier unten bist, dann fahre ich alleine und du kannst entweder den Bus nehmen oder du rennst zur Schule...“, rufe ich hinauf. „10... Die Haustür ist bereits auf...“ Ich lehne mich an die Tür. Ich würde auf sie warten, auch wenn sie in 10 Sekunden nicht hier unten ist. Oder? Ich hoffe, dass ich so sozial bin. „9... Die Zeit läuft...“, erlaube ich mir einen Spaß. „8... Oh mein Gott, ich glaub du musst dich beeilen!...“, lache ich leise auf, was sie aber nicht hören kann, geschweige denn sehen. „7...Ich wollte heute noch nur Arbeit kommen!“, meine ich gespielt sauer. „6... Ich sehe schon, dass du rennen musst!“, ergänze ich. „5... Ich verlasse gleich das Haus!“, löse ich mich von der Tür und will wirklich raus gehen.

Auf einmal höre ich meine Schwester, wie sie die Treppe hinunter gerannt kommt. „Ich will noch mein Frühstück mit nehmen, warte...“, meint sie und will dann unten an mir vorbei. Ich sehe an ihr hinunter. „Ohhh nein, junge Dame. Ab mit dir. Aber schnell...“ Ich schiebe sie aus dem Haus und die Tür hinter mir zu, wie sie noch ein „Tschüs Mama und Papa...“ in Richtung Haus wirft. „...Wenn Mama und Papa dich so gesehen hätten...“, beende ich meinen eben begonnen Satz. „Was denn?“ „Du weißt wie Mama und Papa sind...“ „Ja, aber das Kleid hat doch nichts schlimmes an sich oder?“ „Meiner Meinung nach nicht, nein. Aber wenn Mama das sehen würde, du wüsstest genau was sie sagen würde: 'Kind, wie kannst du so was nur tragen? Du bist 15 und keine 20. Das Kleid ist viel zu kurz!'“

Nita setzt sich auf den Beifahrersitz und ich mich hinters Lenkrad. Ich starte meinen Wagen - muss betont werden, dass es meiner ist - und fahre schließlich los. „Danke...“, vernehme ich schließlich von meiner Schwester. „Wofür? Dass ich dich mit nehme? Mutter hat das gesagt und ich nehm dich schließlich immer montags und freitags mit.“ „Nein, ich rede davon, dass du mich vor Mama gerettet hast!“ „Oh, das. Kein Ding.“ Mir fällt auf, dass ich ihr wirklich was Gutes getan hab. Ach, ich wusste doch immer, dass ich kein von Grund auf fieser Mensch bin.

Nach guten zehn Minuten Fahrt kommen wir an Nitas Schule an. Eh ich es mich versehe kommt Nita herüber und verpasst mir einen Schmatzer auf die Wange. „Danke fürs Bringen!“ „Tu das nie wieder!“ , meine ich zur Antwort, sehe ihr etwas finster hinter her, wie sie lachend aussteigt und mir einen schönen Arbeitstag wünscht. Ich sehe unter dessen in den Rückspiegel und hoffe, dass ihr Lipglos keine Spuren hinter lassen hat. Das klebt vielleicht, sag ich euch. Ich fahre weiter und komme nach guten fünf Minuten bei der Agentur an, in der ich arbeite. Und die erste Person der ich begegne ist leider keiner meiner Freundinnen. Nein, es ist mein Chef. „Miss Khan, ich würde Sie gerne in meinem Büro sprechen. Sofort. Folgen Sie mir doch...“ Der würde sicher noch andere Dinge tun, wenn sein Büro keine Glasscheiben in den Flur hinaus hat. Darüber bin ich sehr froh. Ich folge ihm stumm, lasse mich auf dem Stuhl nieder der vor dem Schreibtisch steht. „Setzen...“ Weiter kommt er nicht, da dreht er sich um und sieht mich, auf dem Stuhl sitzen den er mir gerade anbieten wollte. „Miss Khan... Es muss noch einiges gemacht werden, eh ich Sie und Ihre Freunde mit guten Gefühl nach... wo wollen sie noch mal hin? Indien? Ja, genau Indien... Bis ich Sie nach Indien fliegen lasse. Also, hier sind die ganzen Unterlagen. Keine Sorge es stehen Ihre Namen drauf, die sind nicht alle für Sie. Ich weiß nur, dass Sie und Ihre Freundinnen in einem Büro zusammen sitzen und da können Sie doch den zwei ihre Unterlagen gleich mit bringen, oder?“ „Ja, klar. Danke Herr Möller!“ „Kein Problem...“ Ich stehe wieder von meinem Platz auf, hoffe, dass es das war und will gerade die Akten nehmen, da ergreift mein Chef nach meiner Hand. Ich sehe zu ihm auf. Doch er hebt die Akten nur hoch und reicht sie mir dann. „Danke...“, wiederhole ich und verlasse dann schnellstmöglich den Raum. Klar, er hat nur 'unbeabsichtigt' meine Hand berührt. Für mich aber war das nicht unbeabsichtigt. Der Blick den er mir geschenkt hat, hat mir gereicht. Ich hasse solche aufdringliche Typen. Und mein Chef gehört definitiv dazu. Leider muss ich meinen Freundinnen da recht geben. Aber das er das nur bei mir macht, glaub ich ihnen nicht.

Im Bürozimmer angekommen finde ich Lili auf. Sie ist immer die erste von uns drei und Jessi die Letzte. Somit gleicht sich das eigentlich aus. „Was hast du da?“, fragt Lili, die sofort auf mich zu kommt. „Ach, der Chef hat mich eben zu sich gerufen!“ „Uhhh. Und hat er dir wieder schöne Augen gemacht?“ „Keine Ahnung ich hab nicht in seine Augen sehen!“ Sarkastisch lache ich schließlich auf, wie Lili mich etwas schief an sieht. Ich weiß, dass sie das nicht so gemeint hat. Aber ich will darauf nicht antworten. Ich will ihnen nicht glauben, dass unser Chef wirklich etwas von mir will. Und wenn, soll er doch. Mein Geschmack ist er allerdings keineswegs. Außerdem ist er dann doch etwas älter als ich. Ein wenig zu alt für mich trieft es da besser. Er ist fast 15 Jahre älter als ich. Für manch einen ganz okay, für mich allerdings ist das nichts.

„Der Chef hat mir unsere Aufträge für die Woche gegeben... Ich durfte den Stapel gerade bis hier hin schleppen. Allein!“, entrüste ich mich und lass mich schnaufend in mein Bürostuhl nieder, der leicht nach hinten geht wie ich mich zurück lehne. „Oh, und hat er sonst noch was gesagt? Zum Urlaub oder so?“ „Ja, er wollte uns nicht eh wir das fertig haben weg schicken...“ „Arrg, wie ich diesen Kerl hasse... Der denkt nur an sein Geschäft.“ „Lass ihn doch!“ „Tue ich ja auch...“ Lili und ich sortieren die Akten auf unsere drei Tische. Lilis und Jessis Stapel ist gleichgroß, meiner jedoch ist um einiges kleiner. „Siehst du, er bevorzugt dich!“ „Das muss ein Missverständnis sein!“

Jessi kommt schließlich ebenfalls in unser Büroszimmer. „Das war knapp...“, schnauft sie auf. „Warum?“, will Lili gleich wissen. „Ach der Weg bis hier hin war die Hölle. Erst ist mir mein Ex hinter her gefahren, dann stand er vor mir und ist mir bis zum Eingang der Agentur gefolgt und nun wurde ich fast von unserem Chef erwischt, wie ich zu spät komme. Der Tag fängt echt gut an!“ Lili grinst, während ich gar nicht zu gehört hab. Unser Chef kommt gerade an unserem Raum vorbei und ich sehe nur kurz zu den beiden: „Bin gleich wieder da!“ Und schon bin ich außerhalb des Raumes und die zwei sehen wie ich unseren Chef aufhalte und mich mit ihm unterhalte.

„Ich hab weniger als meine Kollegen bekommen...“ „Von was sprechen Sie, Miss Khan?“ „Ich rede von der Arbeit, Herr Möller!“ „Oh, das glaub ich nicht. Das hat alles seine Richtigkeit!“ Er zwinkert mir zu und schon dreht er sich um, um sich weitere Worte von mir zu ersparen. Er kennt mich, ich würde ihm hier eine Szene machen, egal ob er mein Chef ist oder nicht.

Schnaufend trete ich zurück zu meinem Kollegen. „Ich will, dass ihr mir jeder drei von euren Akten gebt, dann haben wir die selbe Mege!“ „Nein, dann hast du mehr. Und wir eine Menge Ärger. Ich mach da nicht mit. Der weiß, wenn du eine von unseren Akten schreibst, Pia.“, entgegnet Lili schnell und ablehnend. Jessi stimmt ihr zu. Schnaufend lasse ich mich auf meinem Sitz nieder. „Ich glaube ich will doch Urlaub machen!“ Lili sieht animiert zu mir: „Heißt das du freust dich?“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch und mustere meine Freundin. „Auf den Urlaub mit euch ja. Aber auf Indien und Nita nein...“ „Wie du deine Schwester wieder lieb hast!“ „Ich hab meine Schwester lieb.“ „Davon sieht man aber reichlich wenig!“ Ich ignoriere Jessis letzten Einwand und mach mich lieber an meine Arbeit. Nach fast vier Stunden, machen wir Mädchen erst mal unsere Pause. Die verbringen wir wie sehr oft unten in der Caféteria. Dort unterhalten wir uns mit einigen unserer Kollegen, denen wir über den Weg laufen. Nach der halben Stunde Pause stehen noch zwei Stunden Arbeit vor mir. Ich überlebe sie. Ich weiß nicht wie, aber ich tue es. Schließlich verabschiede ich mich bei meinen Freunden, die immer zwei Stunden länger machen, da ihre Arbeit erst fertig sein muss eh sie das Büro verlassen können. Ich bringe die fertig bearbeiteten Akten meinem Chef und verabschiede mich für heute. An der Schule meiner Schwester warte ich noch auf diese.

Freudig springt sie in mein Auto. „Ich hab Kati heute gesagt, das ich in den Ferien nach Indien fliege...“ Ich starte den Motor: „Schön. Was hat sie gesagt?“ „Sie hat gesagt, dass sie mächtig eifersüchtig sei und am liebsten mit fliegen würde. Ich soll ihr ein Autogramm von Shankar mit bringen...“ Meine Augen verdrehen sich von ganz allein. Echt, ich weiß nicht wie sie das gemacht haben. Ich hab es nicht von ihnen verlangt. Es ist einfach so passiert. „Mal im Ernst, Kleine. Glaubst du nur weil wir in Indien sind werden wir da eurem Filmheini über dem Weg laufen?“ „Ja, klar... Wenn es nach Mumbai geht ganz gewiss sogar. Da wohnen fast alle der Berühmten Stars!“ „Na herrlich! Am Besten wir machen es viel einfacher. Wir fragen wo der Kerl wohnt und klingeln bei ihm um ihn dann nach einem Autogramm für deine Freundin zu fragen.“ „Echt?“ „Nein, natürlich nicht.“

Montag - Eine Woche später:

Wer wollte eigentlich, dass wir so früh los fliegen? Ich ganz gewiss nicht. Mein Wecker klingelt. Doch ich ignoriere ihn gekonnt. Es ist bestimmt erst 2 Uhr in der Früh. Plötzlich springt die Musik meiner Schwester an. Aber so plötzlich, dass ich fast aus dem Bett gefallen bin. Nein, das ist gelogen. Ich bin es. Ich sitze nun auf meinem Allerwertesten und halte mich an meinem Bett fest. Was schreit denn die Person da so? Normale Menschen würden gerne schlafen. Ich sehe auf die Uhr: 4:32 Uhr. Okay, das mit der 2 Uhr war dann wohl nur eine gefühlte Zeit meinerseits.

Nach wenigen Sekunden wird die Musik lauter. Das aber auch nur, weil meine Schwester das Zimmer betritt. Ich halte mir die Decke an die Ohren und sehe etwas geqäult zu meiner Schwester, die neben dem Bett und somit auch neben mir steht und zu mir hinunter sieht. „Ist dir was runter gefallen?“, will sie wissen. Sie scheint ihre Frage ernst zu meinen, denn sie lacht nicht. „Ja, ich glaube mein Trommelfell...“, entgegne ich und raffe mich schweren Herzens auf. „Mach doch bitte... bitttteeee diese verdammte Musik aus!“ „Das ist aber mein momentanes Lieblingslied von Shankar...“ „Ja und, das wird es auch im Flieger noch sein, wo du es mit Ohrstöpsel schön leise hören kannst. Wo meine Ohren nicht diesem Lärm ausgesetzt sind!“, erwidere ich nun angriffslustig. Sie hebt entschuldigend die Hände und entfernt sich dann tanzend, wahrscheinlich versuchend passend zur Musik, aus meinem Zimmer. Ich stöhne etwas erfreut auf und verlasse dann mein Zimmer, um mich erst mal fertig zu machen.

Nach einer guten Stunde sind so wohl Nita als auch ich mit allen Dingen fertig, die wir machen wollen eh wir zum Flughafen fahren. Unsere Eltern begleiten uns. Natürlich in meinem Auto. Auf dem Rückweg nehmen sie mein Auto, dass nicht eines am Flughafen stehen bleiben muss. Ich vertraue ungern anderen Menschen mein Auto an, aber was soll es. Mein Vater bestand darauf. Zum Glück fährt er das Auto. Meine Mom hat, davon ab, eh keinen Führerschein. Aber ihr würde ich das Auto niemals anvertrauen.

Am Flughafen sind Jessi und Lili bereits da, samt Familie. Lilis Eltern sind sehr traditionell. Genauso wie meine Mutter. Aber von den lassen wir uns ungern stören. Wir freuen uns auf den Flug, auf die Reise, auf die Erfahrungen. Nun ja, ich mehr oder weniger. Ich mein. Hallo!? Ich und Indien. Das passt doch eigentlich so gut wie gar nicht. Aber das ist der erste gemeinsame Urlaub mit meinen Freunden - okay abgesehen vom Zelten im Familengarten oder Klassenfahrten die wir zusammen gemacht haben. Das hier ist etwas großes. Irgendwie beschleicht mich ein Gefühl der Unruhe. Ich bin nervös. Das merke ich. Etwas neues kommt auf mich zu. Nicht nur die Nervosität. Auch die Trauer. Ja, ich werde meine Eltern sicher vermissen. Kaltherzig bin ich dann noch nicht. Das zeige ich den beiden auch. „Pass gut auf euch auf.“, meint mein Vater. Und nein, er hat sich nicht versprochen. Er hat es genau so gemeint. Seine Worte waren an mich gerichtet - ich hab sie eh als einzige gehört. Er hat mir die Worte gesagt, wie er mich eben gerade umarmt hat. Nun umarme ich auch meine Mutter, wie Nita unseren Vater umarmt. Wenige Minuten wird unser Flug aufgerufen. Ich bin mir sicher, dass dies nicht das erste Mal war. „Komm Nita...“, richte ich das Wort an meine Schwester und diese hört ohne etwas zu sagen. Schweigend folgt sie mir, während sie immer wieder zurück sieht - ihren Tränen freien Lauf lassend. Vor dem Chek-In drehe auch ich mich noch einmal um und winke unseren Eltern. Das Verabschieden meiner zwei Freunden hab ich, dank der meinigen, total vergessen. Aber ich denke anders als die von meinen Eltern ist sie nicht abgelaufen. Durch einen weiteren Gang und unsere Koffer auf einem Band ablegend verlassen wir die Halle um in den Flieger zu steigen.

Unsere Sitzplätze endlich gewunden lassen wir uns auch schon nieder. Nita hat einen Fensterplatz. Und ich sitze neben ihr. Auf der anderen Seite von mir sitzt Lili. In der Reihe vor uns sitzt Jessi mit zwei anderen Personen. Diese sind aber noch nicht eingetroffen. Da ich allerdings noch sehr müde bin lasse ich mich etwas in den Stuhl sinken und warte bis wir hoch in der Luft sind. Ich höre das Schluchzen von Nita neben mir. „Nita, beruhig dich doch. Du wolltest mit. Du bist selber Schuld!“, meine ich nun etwas kühl. „Hey, lass sie doch. Sie ist 15, Pia. Und wie du, das erste mal von zu Hause weg.“ „Ja und...“ Nita hört uns gar nicht zu, schnallt sich nur an und sieh weiterhin aus dem Fenster. Wie der Flieger zum Starten ansetzt, kralle ich meine Hände in die Stuhllehnen. Ich merke, dass Nita meine Hand ergreift, da sie das selbe macht. Da ich mir nicht nur mit Nita sondern auch mit Lili die Stuhllehnen teile, dieses aber vergessen habe, sehe ich etwas überrascht zu ihr. „Halt mal, habt ihr Flugangst?“, will Lili neben uns wissen. Wir schütteln beide den Kopf. „Wir fliegen nur das erste Mal...“, antworte ich für uns beiden.

In der Luft lösen wir beide den Griff. Nita sieht zu mir, ich erwiderst ihren Blick. Ein schwaches Lächeln umspielt ihr Lippen. Doch ich ignoriere es und sehe wieder gerade aus. Da ich müde bin, schließe ich die Augen und versuche noch etwas zu schlafen. Nita hat ihren MP3-Player gezückt und steckt sich die Kopfhörer in die Ohren.

Nach ewigen Stunden Flug, in den ich bereits wieder wach geworden bin allerdings nichts vom Flugzeugessen zu mir genommen hab - da ich das Zeug nicht gut heiße (auch wenn ich es noch nie probiert hab) - sind wir endlich in Indien angekommen. „Ich muss hier aus dem Ding raus!“, meine ich dann und stehe bereits auf. Doch Lili hebt die Hand und hält mich auf. Das schafft sie allerdings auch nur, weil sie ihre Hand auf meinen Bauch legt und mich somit am raus gehen aufhält. „Warte. Lass doch ruhig die anderen Leute durch.“ Ich stöhne etwas auf, verdrehe die Augen und beobachte die Leute die nun an unserer Reihe vorbei gehen und dem Ausgang des Flugzeuges ansteuern. Was ich jetzt nur zu gerne würde. Fast alle sind in traditioneller Kleidung eingekleidet. Die ganzen... Mist. Wie heißen die Dinger? Mutter trägt die doch auch immer. Zalis und Hawas? Nein, das klingt komisch.

> Eigentlich sollte ich mich schämen, oder? Bin Inderin und weiß das nicht. Aber wisst ihr was. Mir ist das relativ egal...<

Endlich können wir auch den Flieger verlassen. Ich bin froh wie wir draußen ankommen. Aber das erste was mir hier entgegen kommt ist nicht das was ich erwartet hab. Ich muss hier nach Atem ringen. Welcher verdammte Teufel hat den in Indien das Atmen verboten? Verdammt ist hier eine stickige Luft? Und daran soll ich mich gewöhnen? Vergesst es. „Ich glaub ich flieg wieder zurück... Nita komm...“ Ich drehe mich zu meiner Schwester. Doch anstatt dieser sehe ich ein kleines Mädchen, das höchstens 10 ist, schwarzes Haar hat und mich verwirrt ansieht. Sie versteht mich sicher nicht, da ich auf deutsch rede und auch weil sie denkt ich führe Selbstgespräche. Denn ich bemerke, dass weder Nita als auch Lili oder Jessi in der Nähe sind. „Hey, Mädels das ist nicht witzig. Wo seit ihr? Nita?...“ Warum ich zuerst nach meiner Schwester rufe? Gute Frage. Vielleicht weil meine Eltern mir den Kopf abreißen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich ohne Nita wieder Heim gekommen bin.

> Ja, eigentlich kann mir das ja egal sein. Aber ich finde das nicht witzig. Wenn sich hier jemand einen Spaß erlaubt hat, der soll es schnell wieder gut machen...<

Etwas entfernt entdecke ich plötzlich eine Gestalt die mir winkt. Oder bilde ich mir das nur ein? Nein. Tue ich nicht. Denn wie ich mich in Bewegung setze erkenne ich, dass es sich bei der winkende Person um meine Freundin Lili handelt. Erleichtert atme ich auf. „Wo zum Henker wart ihr?“, frage ich die Mädchen wie ich zu ihnen komme. Erneut atme ich erleichtert auf, wie ich meine Schwester Nita auffinde. „Während du damit beschäftigt warst dich fast 10 Minuten mit der indischen Luft anzufreunden war uns das zu dumm. Da kam unser Jessilein auf die glorreiche Idee doch schon mal nach unseren Koffern zu suchen. Und da wir deine Koffer nicht so allein da stehen lassen wollten haben wir sie gleich mal mit genommen.“ „Danke Leute!“, erwidere ich, wie wir uns nun zum Ausgang des großen Flughafens begeben. Dass muss ich Mumbai ja lassen, der Flughafen kann sich echt sehen lassen.

„Lili... Kinder... Hier bin ich!“, hören wir plötzlich eine Frauenstimme nach uns - mehr oder weniger - rufen. Etwas verwundert sehen wir uns um, während Lili gerade aus sieht und ein breites Lächeln ihre Lippen schmückt. „Tante Jia!“, freut sie sich und lässt ihre Koffer los um sie um den Hals ihrer Tante zu schlingen. Die ältere Frau nimmt das Mädchen fest in den Arm, schafft es sie leicht an zu heben. Lili ist eh unmenschlich dünn. Das finde nicht nur ich und deren Eltern sondern offensichtlich auch ihre Tante. Denn diese legt gleich los. „Oh, man seit unserem letzten Besuch hast du wieder abgenommen. Mädchen du musst essen. Was das ist weißt du doch oder? Mein einer versucht abzunehmen und du brauchst gar nichts machen... Und das sind dann wohl deine Freunde, was? Lass mich raten, dass ist Jessi!?“ Da Jessi nicht antwortet und nicht mal ein Lächeln hervorbringt sieht sich Lilis Tante verwundet zu ihrer Nichte um. „Was hat sie denn? Redet das Mädchen nicht gerne? Ist sie schüchtern?“

Zuerst versteht Lili auch nicht, warum weder Jessi noch ich irgendein Kommentar abgegeben haben. Aber dann fällt ihr auf, dass ihre Tante auf Hindi mit uns spricht. „Ähm, sie verstehen kein Hindi...“, erklärt Lili dann und muss sich das Lachen verkneifen. „Oh, verzeiht mir Mädchen. Ich bin so erfreut, da vergesse ich doch glatt auf englisch zu reden. Aber das versteht ihr doch oder?“ Nun bekommt sie ein Nicken von uns und somit kann sie weiter reden, während wir sie weiterhin interessiert mustern. Wie schnell sie dennoch reden kann. Bewundernswert. „Also du bist Jessi, ja!? Keine Sorge, das war nicht schwer herauszufinden. Du bist die einzige die hier mehr nach einer Deutschen aussieht. Du hast hellere Haut und du hast blaue Augen. Hier in Indien ist es selten, dass jemand blaue Augen hat. Grau. Oder Grau-grüne, wie Human Singh. Aber blau ist wirklich selten...“

Nun kommt Lilis Tante auf mich und Nita zu. Ich hab Nitas Schultern ergriffen. Fragt mich nicht warum. Irgendwie beginne ich echt die große Schwester zu spielen. Hier rempeln sie einen ja auch von jeder Seite an. „Dann bist du Pia, hab ich recht? Du bist wirklich ein schönes Mädchen. Das seit ihr alle. Aber Lili hat...“ Ich sehe an Lilis Tante vorbei. Was hat Lili über mein Äußeres gesagt? Das ist echt typisch für sie. Ich lächle dennoch. Oder versuche es jedenfalls.

„Tante... Bitte.“, versucht Lili nun ihre Tante davon abzuhalten etwas zu sagen. „Ja, ja... Ist ja schon gut. Aber wer ist denn das entzückende Geschöpf? Ich dachte du wolltest zwei deiner Freundinnen mit nehmen. Von drei wusste ich nichts.“ „Das ist meine jüngere Schwester, Nita... Sie wollte schon immer mal nach Indien. Und das war die Gelegenheit. Nun ist sie mit, da meine Eltern wollten, dass ich sie mit nehme!“ „Richtig so. Ich glaub die Kleine ist gerne hier, stimmts?“ Nita nickt erfreut, lächelt auch sofort. „Und nun führ uns zu deinem Reich, ja...“, bittet Lili um das Ganze etwas abzukürzen. „...weißt du, wir haben nämlich einen langen Flug hinter uns. Und ich denke etwas Schlaf würde uns echt gut tun...“ „Oh, klar verständlich. Von Deutschland bis hier her ist es bestimmt einige Stunden...“ Lili nickt, packt sich wieder ihre Sachen und geht dann neben ihrer Tante entlang. Ich sehe zu Jessi herüber, die dann mit den Schultern zuckt. Schließlich sehe ich auch hinunter zu Nita - was heißt hinunter? Zwar ist Nita zwei Köpfe kleiner als ich, aber dennoch muss ich nicht wirklich hinunter sehen. Aber ich hab gemerkt, dass sie zu mir gesehen hat und somit erwidere ich ihren Blick. „Ihre Tante ist verrückt, kann das sein?...“, spricht sie meine Gedanken aus, die ich Jessi eben stumm gestellt hab. Jessi lacht auf: „Sie ist definitiv deine Schwester!“, meint sie nur.

Nita versteht nicht was Jessi meint. Aber sie geht nicht darauf ein. Und ich gehe nicht weiter auf Nitas gestellte Frage ein. „Komm jetzt einfach. Sonst kommen wir hinter den beiden nicht her...“ meine ich nur, eh wir dann zu tritt mit Koffern und Taschen hinter den beiden vor uns her traben. Fasziniert sieht Nita von einer Seite zur anderen - nachdem wir den Flughafen verlassen haben. Die ganzen Menschen um mich herum regen mich auf. Was sind die denn so ungeduldig unterwegs, als ob sie auf der anderen Straßenseite Johnny Depp gesehen haben? Oh Verzeihung. Hier heißt der ja nicht Johnny Depp. Sondern Shurakh - oder wie auch immer.

> Wehe der Kerl kreuzt hier auf. Dann ist was los. Wenn ihn Nita sieht muss ich sie festhalten. Darauf hab ich ganz gewiss keinen Nerv. Ich sage euch, wenn der Kerl meiner kleiner Schwester auch nur dumm kommt knöpfe ich ihn mir vor. Also: Shurakh, mach dich bereit. Mit Pia Khan ist nicht zu spaßen. Kein Kaffee trinken oder Tee schlürfen. *muhahaha*

 

Bis dahin jedoch habe ich noch keine Ahnung, das sich mit dem heutigen Tag mein gesamtes Leben ändern wird. Nein mit dem ganzem Urlaub hier in Indien.

 

 

Kapitel 3




Ich achte gar nicht mehr darauf wo Lili uns alles hin führt. Ich achte eher darauf, was ich alles zu sehen bekomme. Ich wollte genau das eigentlich verhindern. Aber was solls. Ich finde es schon schlimm, dass hier echt in jeder Ecke Musik spielt. Und wenn es mal der Fall sein sollte, dass es nicht so ist, dann kann man noch leise die Musik einer anderen, nicht weit entfernten, Ecke hören. Die ganze Musik geht mir zwar auf die Nerven, aber ich versuch mich dran zu gewöhnen. Besser ich fange jetzt schon damit an, als zu spät.

„Dein Cousin, Lili, muss ich dir lassen ist wirklich irre süß!“ Ich verdrehe die Augen, bin aber nicht die einzige. Lili tut es mir gleich. „Was hab ich gestern gesagt?“ „Ja, schon klar. Ich werde nichts tun. Aber ich werde ihm nicht ausweichen, wenn er mich anspricht.“ „Gegen ansprechen habe ich ja nichts!“ „Du weißt was ich meine!“ Lili sieht Jessi ernst an. Dann jedoch schüttelt sie den Kopf. „Du bist unverbesserlich. Mein Cousin tut mir jetzt schon leid.“ „Komm schon, als ob ich mit Absicht mit meinem Ex schluss gemacht hab!“ Jessi ist beleidigt, zu gutem Recht. „Okay, komm lass uns nicht drüber sprechen. Ich lass dich einfach machen und du hörst mir auf zu sagen, wie gut mein Cousin doch aussieht. Das weiß ich auch ohne deine Hilfe.“

Nita läuft in meiner und Lilis Mitte. Sie ist fast schon erdrückt von uns. Aber es scheint sie nicht zu stören. Bei dem Betrieb hier in den Innenstädten war ja das von gestern Abend nichts gegen. „Meine Füße tun weh...“, stöhnt Nita auf. Wir laufen fast schon drei Stunden, während Lili uns einiges zeigt, jedenfalls dann wenn sie etwas interessantes sieht, über das sie etwas sagen kann, oder etwas was sie selber fasziniert. „Dann versuch zu fliegen!“, entgegne ich nur. Daraufhin schüttelt Jessi mit dem Kopf. „Mir tun auch die Füße weh. Können wir uns nicht vielleicht mal setzen. Wäre jedenfalls echt toll und was zu trinken brauch ich auch. Bei der Hitze fall ich sonst noch um...“ Lili bleibt stehen. „Verzeiht. Ich vergesse immer, dass es für euch was anderes ist. Ihr wart alle noch nie hier. Da kann einem schon mal die Hitze zu Kopf steigen. Setzt ihr euch schon mal auf die Bänke dahinten, ich hol uns was zum Abkühlen!“, erklärt sie dann und will schon los. „Warte...“, halte ich sie auf, drehe mich dann noch einmal zu Jessi und Nita. „Nita, geh du mit Jessi schon mal und setzt euch...“, erkläre ich dann, eh ich mich wieder umdrehe. „...Ich begleite Lili!“

„Hast du eigentlich etwas Wichtiges mit uns vor, in den Tagen?“, will ich dann wissen. „Ähm, keine Ahnung. Mir ist schon einiges durch den Kopf gegangen. Die Besichtigung scheint dich ja eh kaum zu interessieren...“, beginnt sie dann. „Doch schon. Aber...“, will ich anfangen. „Ja, genau aber...“, entgegnet Lili, die mich wohl die letzten Stunden beobachtet hat. „Ich finde einige Ecken echt toll. Aber hier gibt es doch eigentlich viel mehr zu sehen.“ Ich stell eher eine Frage, als das ich es bestätigen will. „Natürlich. Und das kommt auch noch. Nach und nach, eben.“ Ich schnaufe auf. „Aber du hattest nicht vor den ganzen Urlaub nur Besichtigungen zumachen, oder? Etwas Spaß ist doch drin, oder?“ Neugierig sehe ich sie an. „Aber hallo. Wir machen hier Urlaub und keine Recherche für unsere Arbeit. Keine Soge, hier gibt es einiges interessante. Doch muss ich einiges bedenken...“ Nun verziehe ich fragend die Stirn, was soll das denn? Ich verstehe nur Bahnhof. „Was meinst du?“, will ich auch so gleich wissen. „Nun ja, du hast sicher keine Lust auf Kino. Wir würden es schwer haben, ein Kino zu finden wo keine Hindi Filme gezeigt werden oder nicht nur. Wir könnten Abends zu Hause sitzen und im TV nach Filmen suchen. Das wäre aber auch dumm, dann wären wir nicht draußen. Da wo wir sein wollen. Und in Freizeitparks könnten wir. Das würde wieder bestimmt was für Nita sein. Ich muss uns alle berücksichtigen. Wir könnten eine ganze Menge machen, doch ob damit alle einverstanden sind ist die andere Sache. Verstehst du?“

Ich nicke, während wir auf einen kleinen Stand zu gehen. Jedenfalls sieht er wie einer aus. Dort stehen zwei Männer. Lili beginnt irgendetwas auf Hindi zu plappern worauf einer der Männer nickt und vier Becher zückt. Er füllt sie mit Wasser. Lili nimmt ihm die ersten zwei ab, dreht sich zu mir und reicht mir die ersten. Ich nehme beide in die Hand und drehe mich bereits um, gehe langsam schon mal los. Da Lili nicht hinter her kommt drehe ich mich nun um und will mich erkundigen, was sie so lange braucht. Hätte ich das allerdings gelassen. Denn es kommt was kommen muss. Irgendein Riese läuft direkt in mich hinein. Ich, in beide Händen ein Becher, erschrecke mich und die gesamte Flüssigkeit durchnässt mein Top.

> Na, herzlichen Schrank auch. Geht’s dem Kerl denn noch gut? Was fällt ihm ein, einfach mal so mir nichts dir nichts andere Leute anzurempeln, wenn sie was in der Hand haben?

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„Verdammter Mist. Sie... Sie...“ Ich sehe auf. Der Kerl sieht zu mir, mir wohl ins Gesicht. Was ich nicht genau sagen kann, denn er trägt eine Sonnenbrille - was ich ihm nicht vergönne bei dem Wetter.

> Okay, vielleicht sieht er aber auch nur total hässlich aus, oder ist erst eben einem harten Kampf mit blauen Augen entkommen...

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Der Kerl jedoch antwortet nicht. Sagt nichts, entschuldigt sich nicht mal. Nein, er geht einfach weiter und ignoriert mich völlig. Als ob er gar nicht mitbekommen hat, was er gerade angerichtet hat. Das er mein Top nass gemacht hat. Das er mein schönes WEIßES Top nass gemacht hat. Weiß. Die Farbe die nicht nass werden darf.

> Er hatte nicht mal den Anstand sich zu entschuldigen. Nein. Was bildet dieser Möchtegern Typ sich denn ein? Wo sind wir denn hier, dass man nicht mal Manieren zeigen kann und sich wenigstens Entschuldigen kann?

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Ich drehe mich schnaufend um, hebe die eine Hand und werfe den leeren Becher hinter dem Kerl her. Nicht getroffen. Ich sehe zum anderen, reagiere jedoch schon schneller, als ich denken kann. Der zweite fliegt hinter er. Er kann von Glück schätzen, dass der Becher ihn ebenso wenig trifft. Er dreht sich nicht mal mehr um.

> Spinner, Raudi, Angeber, Egoist...

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Ich hab kein Recht ihn zu beschimpfen, weil ich ihn nicht kenne? Ganz im Gegenteil. Eben weil ich ihn nicht kenne, kann ich ihm an den Kopf werfen, was ich will - und ich tue es auch. Aber nur in Gedanken.

Mein Blick geht zurück zu Lili. Diese sieht mich etwas entgeistert an, nachdem sie die Aktion mit dem Becher-weit-Wurf mitbekommen hat. Nun hebe ich meine Hände etwas zur Seite an, zeige ihr damit was passiert ist. Kurz darauf nickt sie schwach und dreht sich erneut um, hebt an einem der Becher zwei Finger und sagt noch ein paar Worte. Ich denke sie verlangt zwei neue. Aber das ist nicht schwer zu erkennen gewesen. Dann reicht sie mir die, die sie in der Hand hat. „Und nun bleib hier stehen, wir gehen zusammen zurück!“ Ich tue, was sie von mir verlangt. Die Wut brodelt immer noch so in mir.

> Wehe dieser Kerl kommt mir heute nochmal unter die Augen, dann ist er tot. Dann ist er ein toter Mann. Definitiv.

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Lili dreht sich wieder zu mir und somit gehen wir zurück. Die anderen zwei sehen mich entsetzt an. Nachdem ich die Geschichte in Kurzform für jeden geschildert habe beginnen Jessi und Lili zu lachen. „Das ausgerechnet dir das passieren muss...“ Nita lacht nicht, mustert eher mein durchnässtes Top. „Können wir das nicht trocknen lassen? Oder hast du ein Ersatztop dabei?“, will sie wissen. Und zum ersten Mal konzentriere ich mich lieber auf Nita als auf etwas anderes, oder auf jemand anderes. „Ich hätte gerne was dabei. Aber dem ist nicht so. Ich will hoffen, dass es unter der indischen Sonne schnell wieder trocknet. Man kann ja sonst alles dadurch sehen!“ Lili und Jessi bekommen sich wohl nicht mehr ein. Was eher an meiner Erzählung liegt, anstatt an der Tatsache, dass ich nass bin. Sie würden gerne wissen, wer das angestellt hat. Denn sie wissen, dass ich meine Drohungen wahr mache. „Ich wette wir werden dem heute nochmal über den Weg laufen. Wenn du es schon drauf ankommen lässt!“, meint Jessi. „Hey, Mädels kommt hört auf! Lasst uns lieber weiter laufen. Ihr vermiest mir echt voll die Stimmung.“

Jessi und Lili bekommen sich wieder ein. Mein Glück. Somit kann es weiter gehen. Jeder hat nun etwas zu Trinken und wir machen auch noch etwas Pause. Anschließend gehen wir aber weiter. Mein Top trocknet schneller als ich gedacht hab. Wir gehen durch große Einkaufstraßen und Lili zeigt uns wie einige der Frauen hier verhandeln. Sie übersetzt uns einiges. Nita kann im Gegensatz zu mir wesentlich besser Hindi, aber auch nur, weil sie sich viel mehr damit beschäftigt. Ich kann nur Brocken weise. So die wichtigsten Wörter. Die typischen, die wohl jeder schon mal gehört hat. 'Dil', 'Pyaar', 'Ishq', 'Hum', 'Tum', 'Aur'. Wie gesagt ist reichlich wenig. Aber auch unwichtig. Die indischen Frauen scheinen es drauf zu haben richtig zu handeln. Sie versuchen den Preis immer runter zu holen, damit sie die Waren billiger bekommen. Das ist echt amüsant und sehr interessant. In Deutschland würde das nicht gehen.

Die drei anderen haben Lust etwas in den großen Läden - was ich selber nicht als sehr groß bezeichne - mal etwas durch zusehen. Sich alles mal unter die Lupe zu nehmen. Ich folge ihnen widerwillig. So sehe ich einige indische Kleider. Und jetzt weiß ich sogar auch wie sie heißen. Zum einen steht es an den meisten Stoffen dran. Und außerdem hat es mir Lili gesagt, wie sie mir einige Stoffe und Kostüme gezeigt hat. Saris und Salwar Kameenz. Aber es gibt noch vieles andere, vor allem für Frauen. „Oh, wir müssen in den nächsten Tagen mal so einen richtigen Shopping Day machen. Nur wir Ladys und die Kleiderläden. Wir holen uns traditionelle Gewänder, auch noch andere Klamotten, Jeanshosen, Röcke, T-Shirts, Tops, Kleider, Schuhe. Einfach alles! Ach das wird herrlich...“, erklingt Lilis Idee in dem halben Laden. Jedoch versteht sie kaum einer, weil wir die ganze Zeit deutsch reden und eigentlich nur im Haus von Lilis Tante englisch sprechen. „Das steht auch auf meiner Liste...“, lächelt Nita erfreut. „Du hast eine Liste?“, will Lili wissen. Nita nickt, ich sage dazu gar nichts, ignoriere es und versuche meine Augen nicht zu verdrehen. Und worla, es klappt sogar mal. „Für was denn?“, will Lili weiter wissen. „Nun ja, für Dinge die wir hier in Indien machen können.“ Lili wird hellhörig, während ich mich nun völlig abklinke. „Leute, ich warte draußen auf euch. Ich hab schon zu viel gesehen, ich brauch etwas Luft!“

Ich gehe hinaus. Ignoriere einfach, dass Lili sich nun sicher Nitas Liste durchlesen will. Und mir soll es recht sein. Wenigstens muss ich sie nicht lesen. Ich will nicht die Dinge tun die meine Schwester gerne machen will. Was wird das denn sein? Sie ist 15. Was will ein 15 jähriges Kind alles tun? Ins Paradisland wandern? Auf dem Spielplatz spielen? Ihr größten Star besuchen? Ne, nur der Gedanke bringt mich zum Würgen.

Wie ich draußen vor dem Laden bin atme ich erst mal erleichtert aus. Nach einigen Minuten gehe ich an dem Laden auf und ab. Mir wird langweilig und die anderen brauchen mir zu lange. Ich könnte ja allein weiter. Aber das tue ich nicht. Weil ich mich hier nicht auskenne. Dann werde ich mich ja auch noch verlaufen. Darauf kann ich gerne verzichten. Total in meinen Gedanken vertieft bemerke ich nicht, dass mir eine Person entgegen kommt. Wie ich gerade wieder aufsehe und ich aus meinen Gedanken komme ist es allerdings schon zu spät. Die Person prallt genau gegen mich, oder sollte ich sagen ich genau gegen sie? Die Person ist größer als ich. Männlicher Körpergeruch steigt mir in die Nase. Keine Sorge nicht unangenehm, dass ich umfallen könnte. Nein, der Geruch ist angenehm und verbreitet sich auch genauso angenehm in meinen Nasenhöhlen. Und dennoch es haut mich fast um. Kurz schließe ich die Augen, eh ich meinen Blick hebe.

Mir gefriert Blut im Körper. Ich erstarre. Und meine Augen funkeln plötzlich. Der Kerl, mit der Sonnenbrille steht direkt vor mir. Er sieht mich an. Genau wie vorhin. Auch wenn ich mir vorhin nicht sicher war, aber jetzt bin ich es. Er schüttelt mit dem Kopf, wendet sich dann ab und geht an mir vorbei.

Ich brauche jedoch einige Sekunden, eh ich wieder ganz bei mir bin. Dann drehe ich mich um. Ohne das ich es will beginne ich zu schreien. „Hey, du Blödmann, bleib gefälligst stehen. Ich hab noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen... Mensch, kann denn niemand diesen Raudi da auf halten. Der hat mein Top nass gemacht. Schnappt ihn euch. Er ist ein ganz Schlimmer!“ Alle sehen mich verwundert an. Der Kerl hat sich noch einmal umgedreht. Was er macht, oder denkt weiß ich nicht.

> Der soll mit seiner Hackfresse wieder her kommen. Sonnst renn ich ihm gleich hinterher. Mist. Warum hab ich mich auch ablenken lassen?

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Ich verfluche mich selber. Ich hab ihm gerade auf deutsch hinter her geschrien. Kein Wunder das weder er, noch jemand anderes um mich herum, mich dann verstanden hat. So was dummes kann auch nur mir passieren. Das ich aber fast am platzen bin, sehen auch die anderen drei die nach einigen Minuten wieder aus dem Laden kommen.

„Was ist denn in dich gefahren?“ Ich sehe zu Lili. „Gefahren? Wohl eher gelaufen. Dieser Lackaffe von eben!“, erkläre ich, immer noch aufgebracht. „Gott, wie nett du immer über ihn redest...“, beginnt Lili zu lachen, allerdings plötzlich inne hält. Sie ist gerade weiter gegangen und hat gar nicht mitbekommen, dass ich von dem Kerl von vor ein paar Stunden erzählt hab. „Du meinst... Der... Also er war das gerade... Oder... Oh mein Gott! Wo ist er hin, ich will ihn mal sehen?“ Nun kommt mir Lili wie Jessi vor. Eigentlich ist sie immer die neugierige. Nita schmunzelt nur, während Jessi noch nicht ganz hinterher kommt.

„Ja, er ist eben mich hinein gelaufen, dieser Schnösel!“ Lili kräuselt die Stirn: „Er in dich, oder eher du ihn ihn?“

> Was soll das denn heißen, dass ich es darauf angelegt habe in ihn hinein zu laufen?

 

„Was tut das denn zur Sache?“, will ich jedoch wissen obwohl meine Gedanken wieder mal nur so in meinem Kopf spuken. „Viel. Aber egal. Gut, er ist in dich gelaufen. Und was dann? Hat er was gemacht, gesagt? Oder irgendeine Reaktion, dass er dich erkannt hat?“ Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung, haben Inder so was? Können die zeigen, dass sie einen wiedererkennen, oder Ausdruck im Gesicht haben, der lesbar ist?“ Lili schüttelt verzweifelt den Kopf: „Hoffnungslos! Dich müsste man echt mal zwingen einen Bollywood-Film an zu sehen!“ Meine Augen öffnen sich weit: „Herr im Himmel, verschone mich davor!“

Alle anderen um mich herum schütteln nun mit dem Kopf. Ich lasse sie machen. Während ich so in der Gegend umher sehe kommen mir plötzlich Jessis Worte an die Ohren: „Wollen wir mal sehen ob das Motto 'Alle guten Dinge sind drei' uns heute Mal zu Gute kommen könnte.“ Lili lächelt amüsiert: „Das wäre doch toll. Wer weiß in wen unsere Pia da gelaufen ist!“ Ich schnalze kurz auf. „Erhofft euch besser nichts. In euren tollen Helden ganz gewiss nicht. Und wenn doch, dann redet der wohl wenig!“, entgegne ich dann kühl. „Stimmt es kann nicht Shah sein, der würde was sagen.“, lacht nun Lili. Sie glaubt nicht daran, dass ich in Shah Rukh Khan hinein gelaufen bin. Ich auch nicht. Und wenn doch, dann muss ich rasch unter die Dusche. Um mich rein zu waschen, auch von meinen komischen Gedanken vorhin.

„Woran denkst du?“, will Lili plötzlich wissen. „An nichts besonderes. Außer daran, dass ich Hunger habe. Und zwar riesen Hunger!“, erkläre ich, wie mich Lili fragend angesehen hat. „Na, wenn das so ist. Habt ihr zwei auch Hunger?“, will sie dann von Jessi und Nita wissen die vor uns laufen. Die zwei scheinen Lili nur schon mit Blicken dazu zu animieren, dass sie schnell was finden soll, wo sie Essen und sitzen können. „Okay. Was ist euch lieber? Indisch, Britisch, Italienisch, Chinesisch...“, zählt Lili, alle Möglichkeiten, auf. „Indisch...“, wirft Nita dazwischen, weswegen sie von mir einen finsteren Blick kassiert. Lili sieht zu Jessi, diese schüttelt schwach mit dem Kopf: „Total egal, wenigstens ich bekomme was zu essen!“ Nun sieht Lili zu mir. „Alles nur nicht indisch. Was wenn euer Motto da oben erhört wurde?“ Lili lacht kopfschüttelnd. „Werdet euch einig, ich rufe unterdessen bei meiner Tante an um ihr zu sagen, dass sie für uns nicht mit kochen braucht!“ Und schon wendet sich Lili von uns ab, um irgendwie ein Gespräch mit ihrer Tante führen zu können. Wir anderen jedoch sehen uns nur kurz an, schweigen aber die gesamte Zeit. Wie Lili wieder bei uns steht, sieht sie uns erwartungsvoll an: „Und entschieden?“, will sie wissen. „Ja, Italienisch...“, werfe ich ein, eh eine der anderen auch nur zu Wort kommen kann. Interessiert sieht Lili jedoch nun noch mal zu Nita und Jessi. Diese nicken nun, einverstanden, aber so dass Lili bemerkt, dass wir gar nicht erst geredet haben. Aber ich bin glücklich. Warum auch nicht? Ich hab bekommen was ich will. Schlechter kann es nun nicht werden. Höchstens besser.

~ Wenn ich doch nur gewusst hätte...

Einige Meter müssen wir jedoch noch gehen um an einem kleinen Italiener anzukommen. Es riecht bereits nach Pizza, nach Nudeln und nach warmen Ofen. Gott, ich schwelge sofort in Erinnerungen, die reichlich wenig mit Indien zu tun haben. In Deutschland waren wir sehe oft beim Italiener. Er war ein guter Freund der Familie geworden, meine Eltern lernten ihn kennen wie sie dort hin kamen. Er war einer der ersten Personen die uns willkommen geheißen hat. Er schien alle zu kennen und erkannte sofort, dass wir neu sein mussten. Ich und Nita waren dort noch klein. Was heißt klein? Nita war kein Jahr alt und ich gerade 7 geworden. Ich war also quasi Schulkind. Dort noch nicht ganz, aber ich sollte in die Schule kommen. Aber was rede ich hier eigentlich? Ist es nicht interessanter, was wir hier in dem italienischen Restaurant machen, das in Mumbai steht und nicht, was wir vor 16 Jahren in Deutschland gemacht haben? Ja? Also.

Ich sehe mich um. Es ist schön hier, wirklich. Die Farben sind sehr schön. Blau und Rot. Und das so wundervoll abgestimmt, dass es einem echt fasziniert. Das Blau ist dunkel, nicht zu dunkel aber dafür schön kräftig. Das Rot auch, es ist fast ein weinrot, wenn ich es so sagen kann.

„Wo wollt ihr sitzen?“, lässt Lili uns die Wahl. „Ich würde gerne draußen sitzen...“, erkläre ich. „Ich will lieber drinnen am Eingang sitzen...“, meint dann Jessi. „Und ich würde lieber gerne da hinten sitzen...“, erklärt Nita aufgeregt. Lili sieht zu erst zu mir, die nach draußen will. Dann zu Jessi, die am Eingang sitzen will. Schließlich auch noch zu Nita die am Ende des Restaurants in einer kleinen Ecke sitzen will. „So wird das nie was!“, schnauft sie auf.

„Dann entscheide du.“, erklärt Jessi und Nita stimmt ihr zu. Ich sage gar nichts. Ich weiß nämlich, dass Lili nun weder meiner Meinung, noch Jessis, noch Nitas ist. Um keinen zu bevorzugen entscheidet sie lieber selber. „Draußen ist es zu warm, um zu essen. An der Tür bekommen wir nur Zuch. Und da hinten in der Ecke ist es voll unangenehm zu sitzen und die Bedienung sieht einen nicht. Ich bin dafür, das wir uns da oben hin setzen...“ Alle folgen wir ihrem Finger, der auf ihren ausgewählten Platz zeigt.

Hinten im Laden, genau die entgegen gesetzte Richtung in der Nita sitzen will, führen drei Stufen zu einem etwas höher liegenden 'Abteil' - wenn ich es mal so nennen darf. Dort stehen vier Tische, an denen jeweils vier Personen passen. Alle sind einverstanden mit Lilis Wahl. Nur ich nicht. Ich will draußen sitzen. Immer noch. Und daher sage ich weiterhin nichts. Ich schweige und bin beleidigt. Doch, dass ich beleidigt bin lass ich mir nicht anmerken. Ich weiß, dass sonst wieder alle sagen, dass ich ihnen die Laune verderbe. Meine ist eh schon im Keller. Da muss schon was weltbewegendes passieren, dass ich wieder gute Laune bekomme.

~ Das es das nicht tut - meiner Meinung nach - werde ich wohl erst eine Stunde später erfahren dürfen. Hätten wir uns doch besser raus gesetzt!



Wir bestellen uns etwas zu Essen und etwas zu Trinken. Ich brauche beim Italiener nie lange um zu wissen was ich haben will. Eine Lasagne und damit bin ich zufrieden. Da kann man eigentlich selten etwas falsch tun. Wobei das nicht stimmt. Man kann jedes Essen versauen, wenn man nur will. Und eine schlechte Lasagne ist sogar mir schon unter gekommen. Ich bin aber - komischer Weise - in der Hinsicht guter Dinge. Fragt nicht warum. Ich weiß es selber nicht.

„Habt ihr danach noch Lust etwas zu unternehmen?“, möchte sich Lili informieren. „Wie spät haben wir es denn?“, will Jessi auf Lilis gestellte Frage wissen. Ich zücke mein Handy und klappe es auf, weil der Display schwer zu lesen ist, wenn die knalle Sonne darauf scheint und ich keine SMS oder einen Anruf bekomme. „Es ist genau 14:28!“, lasse ich verkündend. Lili wollte gerade ihre Uhrzeit ihrer Armbanduhr vorlesen, als sie zu mir sieht. „Das stimmt ja hinten und vorne nicht.“, sieht mich Lili skeptisch an. „Warum... Mein Handy hat immer...“, will ich beginnen werde jedoch unterbrochen. „Die Zeit von Deutschland, ja. Wir haben 19:58 Uhr ja.“, erklärt sie mir dann. „Oh schit. Warum stellt sich das denn nicht selber um?“, sehe ich verzweifelt auf mein Handy. „Weil es keine Ahnung hat dass du durch die Lüfte geflogen bist und deiner Handyuhr nun 5 einhalb Stunden vor raus bist.“, erklärt Lili. „Ha, ha, ha... Wirklich sehr witzig. Mein Handy ist toll, ja, sag ja nichts gegen mein Handy.“, erwidere ich warnend. „Es ist ein Motorola, das spricht doch für sich.“, meint sie wieder. „Boah.“ Ich sehe zur Seite, ziehe dabei eine Augenbraue in die Höhe. Ich hasse es, wenn Lili mit ihrem Elektro-Wissen ankommt. Sie meint Motorola Handys sind schlecht. Anscheinend von allem her. Aber bitte, wer sagt das? Ich liebe mein Handy. Und das wird sich wohl auch nicht ändern. „Das hättest du nicht sagen sollen...“, wirft nun auch Nita ein. „Warum? Ich ärgere sie damit immer.“, zuckt Lili mit den Schultern. „Echt? Gegen ihr Handy darf nichts gesagt werden, das ist ihr heilig.“, erklärt Nita. „Kann es doch gerne auch. Aber...“, will Lili anfangen. „Hört jetzt einfach auf ja, unser Essen kommt.“

Wir lassen uns das Essen auf den Tisch stellen, bedanken uns dann und beginnen zu essen. Ich bin froh, dass die Lasagne schmeckt wie eine Lasagne zu schmecken hat. Das eben geführte Thema ist beendet. Mit meiner Zufriedenheit und Freude. Ich hasse es über Kleinigkeit zu streiten. Nun ja, obwohl ich ja eigentlich sehr gut darin bin, oder?

Nachdem wir unser Essen beendet haben und uns noch etwas unterhalten haben wollen wir bezahlen. Das tun wir auch. Das Bezahlen dauert nicht all zulange. Und somit stehen wir anschließend auf und wollen den Laden verlassen. Ja, die Betonung liegt auf 'wollen'. Das wird mir allerdings zum Verhängnis. Ich gehe als erstes voraus. Was ich nicht hätte tun sollen. Leider glaubt natürlich jemand mir entgegen zu kommen. Während die Person die Treppe hinauf will, will ich hinunter. Dummerweise rechnen wohl wir beide nicht damit, dass die Treppe zu eng ist. Ich lande somit direkt in seinen Armen. Und das natürlich macht mich sauer. Ihr kennt mich ja. „Was zum Teufel fällt Ihnen ein...“ Ich komme nicht weiter. Ihr dürft dreimal raten wer mir gegenüber steht. Wow, ihr brauchtet gar nicht dreimal raten. Ihr kommt gleich beim ersten Mal drauf. Denn ganz genau, es ist der Kerl der mir heute schon zweimal begegnet ist. Wer von meinen Freundinnen hat vorhergesagt, dass ich ihm nochmal begegne?

Die drei hinter mir sehen mich und den Unbekannten allerdings nur abwechseln an. Sie fassen nicht, was sie zu sehen bekommen. Ich fasse es aber auch nicht.

„Sie?... Was laufen Sie mir nach? Spinnen Sie eigentlich? Endlich kann ich Ihnen mal sagen wie sehr Sie mich aufregen. Erst schütten Sie mir Wasser über mein Top, dann rennen Sie in mich hinein und dann wollen Sie mich auch noch ins Krankenhaus befördern. Sagen Sie mal sind Sie Killer oder so was?“ Der Kerl vor mir sieht mich nur fragend an. Dann sieht er im Restaurant umher. Keiner scheint uns zu beachten. Sein Glück. Wie er wieder zu mir sieht nimmt er sich seine Sonnenbrille ab. Leute, ich muss euch (wohl eher mich) enttäuschen. Er hat leider keine blauen Pfeilchen. Schade eigentlich. Hätten ihm sicher gestanden. Nein, er hat dunkel braune Augen und sieht mir weiterhin in die Augen. Dass hinter mir Lili und Nita gerade fast umfallen sehe ich nicht, aber sagt mal hab ich das Gesicht nicht schon irgendwo mal gesehen?

> Genau, Pia, hast ja recht. Jetzt glaubst du auch noch, ein daher gelaufener möchtegern Schönling sieht jemandem ähnlich den du zu kennen glaubst...

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Ich erkläre mich gerade erst mal als verrückt. Aber das kennen wir ja alle. Das mach ich gerne. Doch ich habe die ganze Zeit den Blick nicht von dem Kerl vor mir gelassen. Er ist bestimmt bis zu ein oder ein einhalb Köpfe größer als ich. „Ich verstehe kein Wort was Sie da sagen!“, erklingt nun seine männliche Stimme. Die Tiefe und Intensivität seiner Worte lassen mich gar nicht bemerken, dass ich ihn wiedermal auf deutsch fertig gemacht hab anstatt auf englisch. „Ich... Ich...“, beginne ich nun auf englisch zu stottern.

Bitte fragt mich jetzt nicht warum ich stottere. Das ist mir im Leben noch nicht passiert. Aber seine Stimme... Leute, das müsst ihr gehört haben. Ich weiß gerade nicht was hier passiert. Aber wie mir das klar wird und ich mein eigenen Handeln nicht mehr verstehe ziehe ich die Augenbrauen hinunter und sehe ihn an wie schon die ganze Zeit. Ich will gerade los wettern, da ergreift jedoch jemand meine Schultern von hinten und zieht mich zu sich nach hinten eh sie an den Mann vor mir das Wort wendet. Ich stehe mit offenen Mund da und schaffe kein Wort raus - weil ich unterbrochen werde. „Tut mir wirklich Leid, Sir. Meine Freundin ist gerade nicht bei sich. Sie wollte Ihnen nur auf nette Weise sagen, dass sie es wirklich freut, dass Sie ihr nicht böse sind, dass sie gerade in Sie hinein gelaufen ist. Ich wette das kommt öfters vor. Es war wirklich keine böse Absicht von ihr. Entschuldigen Sie uns...“ Und kurz darauf werde ich die letzten Treppen hinunter geschoben, mit viel Druck. Ich sehe zu Lili: „Entschuldigen? Ich mich, bei dem. Spinnst du?“, frage ich sie auf deutsch, da es keiner mit kriegen braucht. Jessi und Nita folgen uns, aber nicht ohne, dass sich Nita mindestens fünf Mal nach hinten umdreht um den Mann anzusehen.

Der Kerl hingen hat uns durchgelassen, nachdem er die Entschuldigung angenommen hat. Oder nicht dazu gekommen ist sie anzunehmen.

Draußen außerhalb des Restaurants drückt Lili mich plötzlich von sich. „Ich glaub es einfach nicht...“, lässt sie dann verlauten. Nita sieht genauso sprachlos aus wie sie. Ich sehe zu Jessi, die scheint zwar was zu wissen, aber wohl mehr fragend auszusehen. Doch ich verstehe nicht was Lili wirklich meint und denke mir eher, dass sie auf meiner Seite ist und nur so getan hat, als ob ich mich entschuldigen wollte. „Wem sagst du das? Dieser... dieser...“, beginne und suche nach den passenden Wörtern. Doch mir fallen sie nicht ein. „Tarun Singh!“, erwidert Lili, nun eher gelassen. „Ja... ich meine nein...“, beginne ich, nachdem ich merke, dass das wohl keine Beleidigung war. „Woher weißt du denn wie der heißt?“, frage ich dann. „Och...“, will sie gerade beginnen, da unterbreche ich sie nach ihrem Ausruf. „Dein Ex?“, will ich fassungslos wissen. Nun sieht Lili mich mir großen, unglaubwürdigen, Augen an. Nita beginnt allerdings laut zu lachen und hört auch nicht mehr auf. So lange nicht bis Lili und Jessi einstimmen. „Wenn ich Tarun Singh je als meinen Ex bezeichnen dürfte würde ich mich erschießen. Den würde ich eher an mich fest tackern, dass er mir nicht davon läuft.“ Nun ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. Wenn sie nicht mit ihm zusammen war, woher kennt sie denn dann seinen Namen? „Aber...“ Lili schüttelt ihren Kopf: „Tarun Singh ist der unumstrittene ledige Schauspieler Bollywoods, den die indische Kinowelt zu bieten hat. Okay neben Shankar...“ Zu Beginn verstehe ich wirklich nicht, erst nach dem dieser eine Name genannt wird. „Du willst mir also sagen, dass dieser... dieser Schauspieler...“ Angewidert lass ich den Ausdruck über meine Lippen gleiten, eh ich weiter rede. „Dass genau der es war der mir heute schon zum dritten Mal über den Weg läuft?“ Lili nickt zustimmend, kann sich ein schmunzeln aber nicht verkneifen.

Sauer drehe ich mich um und gehe auf das Restaurant zurück. Wir haben uns schon einige Straßen davon entfernt, aber das ist mir egal. „Was hast du vor...“, sieht Lili mir verwundert hinter her. „Ich werde dem Kerl jetzt mal den Marsch blasen, was fällt ihm ein? Nur weil er Schauspieler ist heißt das noch lange nicht, dass er sich alles erlauben darf!“ Lili sieht zu Jessi und zu Nita. Dann kommt sie mir mit schnellen Schritten hinter her. Sie bekommt mich zu fassen und hindert mich am weiter gehen, da sie sich vor mir aufbaut. „Pia, du weißt genau wie ich, dass das nichts bringt. Komm schon. Vergess das alles einfach. Du bist dadurch ja nicht zu schaden gekommen.“ Ich schnaufe auf. „Gerade so. Sein Glück, sonst würde ich andere Dinge mit ihm tun.“

Lili würde jetzt gerne etwas anderes darauf erwidern, das sehe ich. Doch sie schüttelt ihren Kopf, sicher um ihre Gedanken los zu werden und sieht mich dann ernst an, ergreift meine Oberarme: „Das hättest du eben machen sollen. Jetzt lass ich dich nicht mehr zu ihm. Der Arme denkt du willst sonst was aus ihm raus bekommen. Willst du vor ihm wie ein verrückter Fan dastehen?...“ Ich schüttel schwach den Kopf, allerdings nur weil ich gerade daran denke, dass sie damit recht haben könnte. „...Siehst du. Und nun komm. Außerdem sei doch froh, dass er es war und nicht dein Freund Shankar...“ Zwar weiß ich, dass sie mich mit der Anspielung nur ärgern will, aber sie hat recht. Und wie recht sie hat. Ich gebe nach und lass mich mit führen.

„Wollen wir nach Hause? Oder wollt ihr noch wo hin?“, will Lili nun wissen, die sich neben mir umdreht und somit verhindert, dass ich mich anders entscheide. Ich könnte es und ich will es, in den Tiefen meines Herzens auch hundertprozentig, aber ich weiß, dass ich mich dann selber lächerlich mache. Er scheint ein sehr bekannter und beliebter Star hier zu sein, da werden sie doch nicht - wie sonst bestimmt - einer Frau zur Seite stehen sondern eher ihm. Weil dann bin ich ja eine Verrücke, oder ein irre gewordener Fan. Und ich will weder das eine, noch das andere sein. Da lass ich das ganze besser auf sich beruhen. „Ich würde lieber nach Hause, wenn es keinen stört...“, erkläre ich dann ehrlich und sehe fast schon etwas traurig und bedrückt zu Boden. Das wundert die drei um mich herum. So haben sie mich noch nie gesehen. Ich hab noch nie so reagiert. Und ich weiß selber nicht warum ich so reagiere. Ganz gewiss nicht wegen es Kerls von eben. Wie war noch mal sein Name? Taru... weiter weiß ich schon nicht mehr. Warum haben die meisten Menschen in diesem Land eigentlich so komische Namen? Warum mach ich mir darüber Gedanken? Das ist eine gute Frage. Und leider weiß ich dafür keine Antwort. Das soll bei mir eigentlich schon was heißen. Ich hab zwar echt nicht auf alles eine Antwort. Aber hier drauf sollte ich doch eigentlich eine haben, oder? „Okay, dann lasst uns nach Hause!“, stimmt nun Jessi zu. „Ja, dann kann ich dir ja mal die Liste zeigen, Lili!“, lächelt Nita nun, ebenfalls einstimmig mit uns anderen. Somit hat sich für Lili die Frage beantwortet und das ohne eine halbe Stunde darüber zu diskontieren.

Nach fast einer Stunde kommen wir erst wieder zu Hause an. Okay im Gegensatz zu den letzten Stunden Fußweg den wir schon zurück gelegt haben ist das echt gar nichts. Wir sind alle froh zu Hause anzukommen und unsere Schuhe ausziehen zu können. Egal wie bequem sie doch waren, für einen Tag in der Stadt. Dieser ist für einige wirklich gut gelaufen. Denn Jessi, Nita und Lili haben alle Tüten in den Händen. Sie haben sich etwas gekauft. Oh mein Gott, ich hab es selber total vergessen. Nein, ein Scherz. Ich weiß nicht warum, aber ich kaufe nicht immer ein, wenn ich in der Stadt bin. Erst wenn es sich lohnt. Ich brauche nicht immer die neusten Schuhe, oder die neusten Kleider, Hosen, T-Shirts, Pullover. Im Gegenteil. Auch wenn man es sich von mir erwarten würde. Ich trage gerne auch mal teure und wunderschöne Sachen, klar, aber das heißt nicht, dass ich mir diese jede Woche kaufen muss. Nein, ich mach das dann wenn ich was wirklich richtig Gutes sehe, dann bin ich auch so, dass ich es haben muss. Wirklich muss. Dann werde ich total verrückt und schlafe schlecht, wenn ich es nicht bekomme.

„Hey, Mädels...“, erhellt plötzlich eine männliche Stimme, wie wir unten im Flur stehen. Wir kennen alle die Stimme, doch nur eine kann sie sofort zur richtigen Person einordnen. Während wir alle aufsehen antwortet Lili ihrem Cousin. „Hey, Rahul. Na, hast du auf uns gewartet?“ Jessi mustert den jungen, großen Mann. Das sehe ich, weil sie direkt beben mir, vor mir, steht - so kann ich ihr direkt in das Gesicht sehen. Sie lächelt. Es ist noch nicht das Lächeln, dass Lili und ich sehr gut kennen. Nein, es ist noch sehr aufrichtig und nicht schon so, dass sie ihm verfallen ist.

„Ich auf euch gewartet?“, fragt Lilis Cousin nun unschuldig. Er zieht seinen kleinen Bruder weiter zu sich. „Nein, eher der hier. Udit will mehr über euch erfahren...“ Nun sieht der Jüngere zum Älteren auf. „Was ziehst du mich denn jetzt mit da hinein?“ Udit lacht in unsere Richtung, um uns zu zeigen, dass sein großer Bruder wirklich einen Schaden hat. Ich erkenne sofort, dass beide neugierig sind. Ich sehe so was einfach. Immer wieder.

„Ich hätte nichts dagegen, wenn wir ein bisschen reden. Ihr?“, dreht sich nun Jessi zu uns, um uns fragend anzusehen. Nita zuckt mit den Schultern, lächelt ebenfalls. „Ich auch nicht.“ Lili lacht einmal auf: „Ich hab es mir fast gedacht. Dann ab mit uns in das Wohnzimmer, oder?“, meint sie dann. Zur einen Seite auffordern und zur anderen Seite etwas widerwillig. Wer weiß schon, was sie denkt. Ich weiß es jedenfalls nicht. Ich bleib im Flur stehen. Ich hab meine Ballerinas in der einen Hand und fische zu den beiden Schuhen meiner kleinen Schwester. Die sie zwar ausgezogen hat, aber nicht direkt nebeneinander gestellt hat. „Kommst du nicht mit?“, will Lili von mir wissen, wie ich wieder hoch komme und sie gerade den Flur verlassen will - hinein ins Wohnzimmer. Ich schüttel ablehnend mit dem Kopf. „Lernt ihr euch nur besser kennen. Ich brauch das nicht. Ich packe meine Sachen aus. Viel Spaß!“ Lili versteht worauf ich hinaus will. Doch mich stört das nicht, eigentlich finde ich es ganz gut, dass sie mich zu verstehen scheint. Auch wenn ich, wieder mal, etwas netter hätte reagieren können. Ich hätte es, klar, aber ich hab es nicht. Ich bin einfach eine Person, die wenn sie enttäuscht oder aber sich etwas benachteiligt fühlt gleich alles auf einer falschen Ebene versteht. Und das ist nicht mal eine Ebene die allem sagen soll, dass ich eine Zicke bin. Nein, eher, dass sogar ich so etwas wie Freundschaft oder Gemeinschaft sehr wohl zu schätzen weiß. Dass ich sogar zeigen kann, wenn mir etwas wichtig ist.

Ich gehe hinauf, ohne auf eine weitere Reaktion der anderen, oder besser auf Lili und ihre Cousins zu warten. Was ich sehe, oder im Augenwinkel mit bekomme, ist dass die drei mir nach sehen.

Oben in meinem und Nitas Zimmer angekommen stell ich ihre und meine Schuhe unten in die Schränke. Denn ja, ob ihr es glaubt oder nicht, hier im Zimmer stehen zwei Schränke. Ich verstaue schließlich alle meine Kleidungsstücke im Schrank. Und wie ihr vielleicht gestern schon mit bekommen habt habe ich eine Tasche und ein Koffer dabei. Hingegen hat Nita nur eine große Tasche dabei. Und das soll was heißen, denn eigentlich hab ich schon versucht es nicht so ausarten zu lassen, was meine Sachen angeht. Wie meine Sachen ausgeräumt sind, was definitiv nicht so lange gedauert hat, als wie die Sachen in den Koffer zu bekommen. Aber danach bin ich doch echt noch so voller Elan, dass ich mir Nitas Tasche zu Gemühte tue, um auch ihre Sachen in ihren Schrank zu tun.

Ich weiß nicht wie lange ich insgesamt gebraucht habe, aber als ich mit Nitas Tasche fertig bin und diese unter ihr Bett schiebe betritt genau diese unser Zimmer. Das allerdings höre ich, da sie am Lachen ist. „Oh, man. Pia du verpasst da unten was. Die zwei sind wirklich toll und total nett.“ Ich sehe zu ihr, gehe dann auf mein Bett zu. „Schön...“, entgegne ich und lass mich auf meinem Bett nieder. „Komm doch auch runter. Die zwei haben ein wahnsinnigen Humor!“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Wie wahnsinnig kann der sein, wenn sie doch den ganzen Tag hier in Indien sind!?“ Nita hält in ihrer Bewegung inne, sieht zu mir, nachdem sie auf der Suche nach etwas war. „Das war gemein. Aber sag mal, wo ist meine Tasche? Hast du sie raus geschmissen? Oder hast du...“ Nita dreht sich um, zu dem Schrank der am anderem Ende ihres Bettes steht. „Du hast meine Sachen eingeräumt?“, fragt sie dann, wie sie fast schon um Schrank gerannt ist um nach zu sehen, ob ihr Verdacht stimmt. „Ja, klar. Deine Tasche stand da so vor dem Schrank. Da dachte ich mir einfach mal, ich bin so nett...“ Nita kommt auf mich zu, setzt sich dann direkt neben mich auf mein Bett. „Du bist echt großartig. Danke dir. Aber... Wo hast du meine Liste hin getan?“ Ich sehe etwas auf schnaufend zur Seite: „In der Schublade deines Nachttischschränkchens...“ Nita steht auf und macht die Schublade des Tischchens neben ihrem Bett auf. Sie holt den Zettel heraus, den sie gesucht hat und sieht dann lächelnd zu mir.

„Komm doch mit runter...“, fleht sie mich schon regelrecht an. Ihre Augen sind sie groß, dass ich das Gefühl hab, dass ich sehen kann, wie sie immer weiter und weiter werden.

> Den Gefallen tue ich ihr nicht. Nicht mal den Jungs unten. Denen erst recht nicht.

Ich sehe nicht, dass Nita zu lächeln begonnen hat und wieder von ihrem Platz aufsteht. Lächelnd sieht sie mir hinter her. „Da hatte Lili doch recht, dass es klappen wird!“ Trotz des Satzes berührt meine Reaktion ihr Herz, und eine Träne schimmert in ihrem Auge, löst sich dann und wandert ihre Wange hinunter, eh sie diese weg wischt und mir endlich folgt.



Ich platze fast ins Wohnzimmer, sodass sich die anderen regelrecht erschrecken. Mit großen Augen verfolgen sie meinem Tun. Ich setze mich neben Jessi auf eines der Sofas. Nun sitze ich nicht nur neben Jessi, nein auch neben Udit, der auf einem Sessel neben mir sitzt. Diesen sehe ich nun an. Nein ich studiere ihn schon fast. Wiederum liegen alle Blicke auf mir. „Hast du dich doch anders entschieden?“, will Jessi neben mir wissen. „Mhhh...“, stimme ich ihr zu. Es ist eine scharfe Antwort, auch wenn es kein Wort ist. Aber sie scheint zu verstehen. Denn nun geht ihr Blick wieder zu Rahul, sie versucht das eben unterbrochene Thema wieder weiter zu führen. Auch Nita kommt zurück ins Wohnzimmer, stellt sich aber neben Lili, die an der Wohnzimmertür lehnt. „Ich bin mir sicher, dass wir die nächsten Tage sicher mal mit gehen können!“ Nun sehe ich zu Jessi. Diese sieht immer noch zu Rahul und lächelt. Rahul nickt inzwischen, froh und antwortend auf Jessis Einwand. „Wo mit hin?“, will ich jedoch wissen, sehe dann von Jessi zu Rahul und schließlich auch zu Udit. Ich bemerke gar nicht, dass Lili und Nita sich unterhalten. „Na, mit den Jungs Abends durch die Straßen und den Clubs streifen!“, grinst nun Jessi völlig erfreut mir davon erzählen zu können. Nun geht mein Blick zu Jessi zurück und schließlich hinter ihr zu Nita und Lili. „Sie scherzt doch, oder?“ Während meine zwei Freundinnen und meine Schwester mich klärend ansehen, sehen mich Udit und Rahul fragend an. Ich will nicht wissen, was sie gerade über mich denken. „Nein, tut sie nicht.“, erklärt mir Lili ruhig. „Ihr glaubt doch nicht, dass ich Nita erlauben werde spät Abends raus zu gehen!“, erwidere ich. Nun sieht Nita mich geschockt an. Rahul und Udit sind verwirrter als zuvor und Lili schüttelt mit dem Kopf. Jessi setzt sich im Sofa zurück, sie wird nichts mehr sagen - ich kenne diese Reaktion.

„Sie ist 16, sie ist kein kleines Kind mehr. Und du bist nicht ihre Mutter. Außerdem sollst du mit kommen!“ Ich schnaufe auf. Nita sieht verzweifelt zwischen mir und Lili hin und her. „Sie ist 15 und in meinen Augen viel zu Jung für solche Clubs. Und ich führe mich nicht auf wie ihre Mutter, sondern wie ihre große Schwester. Ich soll auf sie aufpassen, wenn ihr etwas passiert, dann bin ich schuld. Wenn ihr etwas passiert, bin ich tot. Wenn ihr etwas passiert, würde ich mir das nie verzeihen...“

Rahul räuspert sich und er und sein Bruder erheben sich von ihren Plätzen. „Wir werden dann mal gehen. Wir wünschen den Damen noch einen schönen Abend. Und, Pia, keine Sorge, wir werden deine Schwester nicht zwingen mit zu kommen und auch nicht dich. Aber wenn du es dir anders überlegen solltest, dann bedenkt, dass ihr fünf Erwachsene zur Seite stehen und darunter zwei Männer. Bis morgen, eine gute Nacht!“ Mit diesen Worten von Rahul verschwinden die Brüder an Nita und Lili vorbei und aus dem Haus.

Ich sehe den zwei Jungs hinter her anschließend lass ich mich ins Sofa fallen und verschränke die Arme vor der Brust. Nita und Lili setzen sich ebenfalls zu uns an den Wohnzimmertisch. Nita setzt sich direkt neben mich, sieht allerdings zu Boden. „Du weiß, dass du wieder über reagierst!?“ Lili sieht mich ernst an. Sie redet aber ruhig mit mir. Das tut sie immer. Sie braucht keinen Unterton in ihrer Stimme um jemanden zu sagen, was sie gerade denkt. Ob sie enttäuscht ist, ob sie wütend oder sauer ist, ob sie traurig oder verletzt ist. Das ist einfach typisch für Lili. Und dafür liebe ich sie auch so sehr. Sie ist einfach unglaublich. Ich kann nicht so wie sie reagieren und Jessi auch nicht. Das kann kaum jemand. Und aus dem Grund haben Jessi und ich uns oft in den Haaren. Lili ist es immer, die unsere kleinen Diskussionen unterbricht. Ohne Lili wären Jessi und ich sicher keine Freunde, keine so festen wie wir es heute sind.

„Ich hab nicht über reagiert. Ich habe nur gesagt, was ich gedacht hab. War das falsch!?“ Nun hebt Nita den Kopf. „Nein!“, erklärt sie dann mit fester Stimme. Ich sehe zu ihr. „Ich hab heute einmal gesehen, dass du dir Sorgen um mich machst, dass ich dir doch nicht unwichtig bin!“ Ich wende meinen Blick zu meiner Schwester. Wann hab ich gesagt, dass ich mir Sorgen um sie mache? „Das hab ich nie gesagt!“, entgegne ich dann. „Nein, aber das was du gesagt hast schießt darauf.“ Lili beobachtet mich, ich schaue jedoch zur Seite. „Mir egal. Es geht keiner mit den beiden mit.“

Nun sieht Jessi alarmiert auf. „Du kannst mir nicht verbieten, mit den Jungs mit zu gehen!“ Ich sehe zu ihr, sauer und wütend. „Ich dachte wir sind hier, weil wir etwas zusammen machen wollen. Was uns allen Spaß macht!“ Nun zieht Jessi eine Augenbraue in die Höhe. „Ach, und was wäre das in deinen Augen? Du hast doch eh dein Schalter eingeknippst, der auf 'Indien? Nein danke. Alles scheiße und unsinnig.' eingeschaltet ist. Und deswegen bist du auch gegen alles, was wir anderen drei zum Beispiel mal machen wollen. Ins Kino können wir nicht, weil die Dame keine indischen Filme sehen will. Zum Inder können wir nicht, weil die Dame das indische Essen verweigert. Schoppen können wir nicht, weil die Dame ja vielleicht mal in einen Laden kommen könnte wo es indische Kleidung geben könnte. Und in Clubs können wir nicht, weil die Dame ja indischen Menschen über den Weg laufen könnte und indische Musik hören müsste. Weißt du was Pia, du bist wirklich eine eitle Zicke. Es muss immer nach dir gehen. Und wenn es das nicht tut, dann bist du sauer. Und aus genau dem Grund hasst du auch deine Schwester!“

Jessi erhebt sich vom Sofa. So geladen wie sie ist will sie nun nach oben. Nita und Lili haben schweigend zu gehört. Ich auch. Ganz stimmt es nicht. Schließlich esse ich hier im Haus auch das indische Essen, dass wir von Lilis Tante serviert bekommen. Jedenfalls hab ich es heute morgen gegessen.

Ich stehe von meinem Platz auf und folge ihr. Am Handgelenk ergreife ich sie um sie zu mir zu drehen. „Was willst du?“, will Jessi sauer wissen. Ihre Stimme ist angespannt und gereizt und das scheint sie auch zu sein. „Dass du mich jetzt reden lässt!“, entgegne ich. Ich versuche ruhig zu bleiben, aber auch meine Stimme bebt bereits. Ich weiß nicht warum, bis her hab ich nichts gesagt, ich hab sie ausreden lassen und alles über mich ergehen lassen. Alles was sie gesagt hat. „Um zu erfahren, dass ich recht habe? Oder um zu erfahren, dass du das alles nur unterstreichen willst?“

Ich sehe sie mit einem scharfen Blick an. Wieder, genau wie vor einigen Minuten schon einmal. „Weder noch...“ Ich löse meinen Griff an ihrem Handgelenk. Jessi bleibt stehen. „...Du hast recht...“ Ich sehe nun auch zu Nita und Jessi. „...Und es tut mir leid. Heute war definitiv nicht mein Tag. Das mit diesem Taru... Wie auch immer... ist wirklich nicht einfach. Ich meine, okay er hat nichts gesagt oder schlimmes gemacht. Aber ich bin über meine eigene Tollpatschigkeit erschüttert. Ich meine, was würdet ihr tun, wenn ihr in so jemanden wie diesen Schauspieler hinein gelaufen wärt. Und dann auch noch drei Mal an einem Tag!?...“

Ich sehe wie sich Jessis und auch Nitas Gesicht aufhellen. Sie scheinen sich das jetzt wohl vor zu stellen. Aber auch Lili beginnt leicht zu lächeln. „Okay, vergesst es. Ich merke, ihr fändet das alles andere als schlimm. Aber ihr müsst mich verstehen... Das ich deswegen etwas über reagiert hab eben, das war wirklich nicht beabsichtigt. Und ich wollte meine Stimmung auch nicht an euch aus lassen. Wirklich nicht. Immerhin seit ihr meine Freunde und meine Familie...“

Jessi beginnt zu lächeln, aus dem Grund tut es auch Lili. „Deine Entschuldigung ist angenommen. Und es tut mir leid, dass ich gesagt hab, dass du deine Schwester hasst, ich weiß, dass du das nicht tust!“ Jessi hat mich umarmt und löst sich gerade wieder von mir. „Was denn? Das stimmt doch!“ Nun sehen Jessi und Lili mich mit schiefen Kopf strafend und beschwichtigend an. Ich gehe auf das Sofa zu, setze mich wieder neben Nita und ziehe diese zu mir. „So sehr, wie eine Schwester ihre Schwester eben hassen kann...“, drücke ich diese nun an mich.

Kapitel 4




Wir zwei - Jessi und ich - setzen uns zurück auf das Sofa. „Willst du mit Nitas Liste durchgehen?“, möchte nun Lili von mir wissen. Ich sehe zu ihr auf, zuerst lächle ich noch, wie ich jedoch 'Nitas Liste' vernehme schüttel ich den Kopf. „Nein, kein Interesse. Bin nur wegen Udit runter gekommen, wollte danach sofort wieder hoch. Also dann, gute Nacht!“, hebe ich kurz die Hand, stehe dann auf und will das Wohnzimmer verlassen. „Nun komm schon. Es wird dich nicht umbringen. Ich dachte wir sind hier um was zu erleben. Und ich sehe, dass hier Dinge drauf stehen, die dir sicher gefallen werden.“ Ich schnalze auf, lasse mich zurück in das Sofa, neben Jessi, fallen. Lili schafft es immer, mir ein schlechtes Gewissen oder ein schlechtes Gefühl zu vermitteln. Nun lächelt sie jedoch zufrieden und lässt den Blick wieder hinunter auf die Liste sinken.

„1. Das Taj Mahal, das Rote Fort, Dehli und Goa sehen/besuchen...“, beginnt sie zu lesen. Nun sieht Lili zu Nita auf. „Sind das die einzigen Sehenswürdigkeiten die dich interessieren?“ Nita nickt schwach. „Eigentlich schon. Wenn wir mehr zu sehen bekommen ist das natürlich nicht schlimm. Ich wollte nur nicht zu viel aufschreiben, weil ich nicht wusste, wer das alles sehen will. Verstehst du?“ Lili nickt. Jessi sieht zu Nita, die nun in unserer Mitte sitzt - da wir uns ja auf das selbe Sofa zurück gesetzt haben, auf dem wir schon eben gesessen haben. „Weißt du eigentlich, dass du eine verdammt süße Schwester hast?“ Ich hebe eine Augenbraue in die Höhe. „Wie kommst du darauf?“ Nun sieht Jessi mit großen, unglaubwürdigen, Augen zu mir. „Na hör mal. Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen. Aber ich hab schon verstanden wen Nita gerade gemeint hat. Und zwar dich. Sie nimmt in Kauf, dass du nicht alles sehen willst, dich langweilen könntest. Für ihr Alter ist sie ganz schön reif. Das kann man von dir ja nicht immer behaupten!“ Nun lacht Jessi. Und bei dem Lachen kann ich ihr nicht böse sein, denn ich weiß wie sie es gemeint hat. Und dennoch nagen ihre Worte an mir. Ich weiß nicht warum, aber ich bin mir sicher, dass sie recht hat. Nein, sie hat recht!

„2. ...“, holt mich Lili aus meinen Gedanken. „...Wenigstens einmal ein indisches Kino besuchen. Film ist egal (ob englisch oder hindi Film)“ Lili sieht zu mir, die gerade das Gesicht verzieht. Klar, Nita ist egal welchen Film, ob einen Hollywood oder einen Bollywood. Mir aber nicht. „Ich gehe hier selten in Hollywood Filme. Aber ich weiß, dass es ein Kino in der Stadt gibt, das Hollywood Filme spielt.“, erklärt sie nun. „Ist das weit weg?“, will Jessi wissen. „Es ist am Ende der Stadt, ja.“ Nita sieht zu mir, dann fragend zu Lili: „Ist das schlimm? Wir können doch auch hin fahren, mit Bahn oder sonst mit Rikshas. Das ist Punkt 5 auf meiner Liste. Einmal mit den indischen Fortbewegungsmitteln zu fahren.“ Ich sehe nun zu den anderen: „Ihr müsst nicht wegen mir, extra in ein Kino am Ende der Stadt gehen. Das ist doch Schwachsinn. Ist wirklich nett von euch, aber ihr könntet doch dann auch allein ins Kino!“ Lili und Jessi scheinen meinem Einwand zuzustimmen. Sie sehen meine Aussage positiv und das tut auch Nita. Lili dankt mir mit einem eindeutigen Blick. Ich habe Nachgegeben. Etwas was ich sehr selten tue. Ich habe nicht mein Wille durchgesetzt, sondern eingesehen, dass ich in der Unterzahl bin und den anderen somit nicht alles verderben oder verbieten kann. Aber das hab ich nie vor gehabt, nie wenn ich sonst anders reagiert hab. Auch wenn mir das jetzt keiner glauben will.

Ich höre Nita ein leises „Das ist nicht das selbe!“, vor sich hin nuscheln. Sie ist gekränkt, das höre ich und ich sehe zu ihr. „Was hast du denn, Schnecke?“ Nita sieht zu mir auf, mit großen Augen: „Du... Ich will nicht, dass du dann hier bleibst!“ Ich lächle schwach, ziehe sie zu mir: „Ich denke ich kann mir die Zeit dann schon vertreiben. Du kennst mich doch und wenn ich mir hier Udit weiter unter die Lupe nehme!“ Sie lacht leise auf, lehnt sich an mich. „Du hast mich schon ewig nicht mehr Schnecke genannt!“ Ich hab gar nicht mit bekommen, dass ich sie so genannt hab. Und ich reagiere nicht darauf.

Lili und Jessi beobachten uns zwei eine ganze Weile. Dann wenden sie den Blick zur jeweils anderen und können sich ein erfreutes und zufriedenes Lächeln einfach nicht verkneifen.

Lili räuspert sich nach wenigen Minuten. „Können wir weiter machen? Sonst werden wir heute Abend nicht mehr fertig!“ Jessi lacht leise und lehnt sich wieder gemütlich in das Sofa zurück. Ich und Nita lösen uns wieder voneinander. Dann nicken wir beide, fast zeitgleich. Dieses animiert Lili mit einem zufriedenem Nicken weiter zu machen.

„3. Einen ganzen Tag mit Shoppen verbringen.“ Nun lachen wir alle. Nita hatte recht, sie hat es wirklich aufgeschrieben. „Das werden wir auf alle Fälle machen!“, meint Jessi erfreut. „Ja, auf alle Fälle!“, erwidert nun auch Lili, die natürlich auch total dafür ist. Nun sieht Lili zu mir. Sie erwartet wohl eine Antwort von mir. „Was sagst du dazu?“ Ich erwidere ihren Blick, eh ich einmal zu den beiden sehe, die neben mir sitzen. „Was denkt ihr von mir. Natürlich bin ich mit dabei. Und wenn es sein muss werde ich mich auch bei den indischen Kleidern mit ziehen lassen. Aber ich werde sicher nichts davon kaufen, oder geschweige denn anprobieren.“, erkläre ich dann. Nita nickt eifrig, mit einem Glitzern in den Augen. Sie würde mich nie zu etwas zwingen, was ich nicht will. Jessi hat auch nicht dran gedacht mich dazu zu zwingen, jedenfalls nicht in dem Moment. Vielleicht dann wenn wir im Laden stehen.

„Das werden wir ja noch sehen...“, nuschelt Lili vor sich hin, wie sie den Blick längst wieder gesenkt hat und nun zu lächeln beginnt.

„Was hast du gesagt?“, sehe ich zu ihr. „Nichts, nichts. Ich hab nur etwas laut gelesen...“ Ich nicke schwach, oder sollte ich sagen langsam? Ich glaube ihr nicht ganz. Aber ich werde langsam müde und da merke ich, dass ich auf Diskussionen keine Lust mehr habe. Ja, sogar ich kann mal von Diskussionen genug haben. Glaubt man kaum, ich weiß. „Dann les noch etwas lauter, dass wir es alle hören!“, erwidere ich nun stattdessen, als sie auf den wahren Satz anzusprechen. „Schön. 4. Ein richtig typisch indisches Restaurant besuchen und indisch essen.“ Lili lacht leicht auf. „Das ist süß. Das hatte ich eh vor. Wir essen hier zu Hause auch ab und an indisches Essen. Was für ein Zufall, oder?“ Nita sieht zu Lili auf, nickt und erwidert dann das Lachen. „Das mit dem Restaurant lässt sich dann sicher auch einrichten. Vielleicht gehen wir ja mit der ganzen Familie, ich frag meine Tante noch mal. Aber nur wenn ihr nichts dagegen habt, wenn dann alle gehen!?“ Jessi grinst breit: „Absolut nicht. Wäre bestimmt witzig!“ Nita scheint auch nichts dagegen zu haben, wie Lili zu ihr sieht schüttelt diese nämlich mit dem Kopf. Und wie Lili bei mir ankommt bemerkt sie, wie ich nur schwach, einwilligend, den Kopf schüttle. „Dann les ich mal weiter. 5. hatten wir ja schon...“, schmunzelt Lili. Die Nummer ist wirklich interessant.

„6. Einmal Shankar Kumar sehen!“ Auch wenn ich müde bin, mein Kopf sinkt nicht aus dem Grund auf die Sofalehne. „Nita!“, entfährt es mir frustriert und genervt. „Was denn?“ Sie lächelt unschuldig, was ich sehe wie ich wieder zu ihr sehe. „Das ist unmöglich!...“ Lili versucht uns zu unterbrechen. Oder besser mich, die gerade auf ihre Schwester einreden wollte. Das sind Fan-Vorstellungen sag ich euch. „Ist es gar nicht. Du bist heute schließlich auch Tarun Singh begegnet!“ Ich sehe zu Lili: „Und ich verfluche den Tag schon. Ich wünschte der Tag heute war nur geträumt!“ Nun lacht Lili: „Das würde voraussetzen, dass du von ihm träumst, wobei du ihn doch gar nicht kennst!“ Nita und Jessi sehen zwischen uns beiden hin und her. „Ach, und weil wir uns heute dreimal begegnet sind kenn ich ihn nun, oder was?“

Ich nehm alles zurück, ich scheine doch noch diskutieren zu können. „Pia, lassen wir das. Machen wir besser weiter ja?... 7. Eine PyjamaParty machen!“ Lili und Jessi lachen los. „Was für eine süße Idee!“, erklärt Lili. Nita weiß genau wie sie ihr Lachen meinen. Es ist kein auslachen, eher ein interessiertes Lachen. „Ja, ich wollte so was immer schon mal machen!“, erklärt Nita nun, etwas leiser. „Ich auch. Das hab ich früher gerne gemacht mit Freundinnen! Ich find die Idee toll!“, erklärt sie dann. „Das hab ich früher immer mit Pia gemacht.“ Lili und Jessi sehen nun zu mir. Ich verdrehe die Augen. „Da lernen wir unsere erwachsene Pia ja mal richtig kennen!“, lacht nun Jessi. „Ich bin zu alt dafür. So was mach ich nicht mehr in unserem Alter.“ Nun sieht Lili mich beschwichtigend an: „Und ganz genau deswegen bin ich dafür. Das wäre doch mal eine tolle Sache. Wir sind unter uns, wir müssen das ja nicht hier unten machen. Die Zimmer sind oben groß genug. Lasst uns mal wieder wie kleine Kinder sein, wie Jugendliche. Das waren wir schon lange nicht mehr. Und vor allem du nicht Pia!“ Erneut verdrehen sich meine Augen von selber - manchmal kann ich es einfach nicht steuern. „Na schön.“, gebe ich dann, widerwillig, nach.

„Können wir dann weiter machen?“, will ich nun vom Thema und mir ablenken. „Gut. 8. und damit die letzte Nummer auf Nitas Liste.“ Ich sehe zu Lili auf. „Na endlich. Und was hat sie nun noch auf geschrieben!?“ Lili sieht nur kurz zu mir: „Das könnte dir gefallen. Nein, das wird dir gefallen. 8. Einen Abend die Stadt unsicher machen!“ Ich sehe von Lili zu Nita. „Das ist nicht dein Ernst?“ Nun lacht Lili. „Doch, es steht ja hier.“ Nita nickt nun, dann sieht sie zu mir. „Nun komm schon. Ihr seit doch alle dabei. Mir wird nichts passieren. Und ohne dich würde ich eh nicht gehen. Auch wenn alle anderen wollen, sogar wenn sie mir sagen, dass Shankar Kumar da wäre wo wir hin gehen.“ Ich mustere meine Schwester: „Wirklich nicht mal dann?“ Mein prüfender Blick gibt ihr zu denken: „Nun ja, vielleicht...“ Wieder ziehe ich sie zu mir, lache dabei. Sie ist manchmal wirklich süß. „Wollen wir mal sehen, mh!?“ Nita nickt nur.

Da es bereits ziemlich spät geworden ist beschließen wir ins Bett zu gehen. Lili reicht Nita ihre Liste wieder. „Wenn deine Schwester es nicht so sieht, ich finde die 8 Punkte wirklich toll. Ich freue mich, wenn wir das alles schaffen würden.“ Nita lächelt erfreut, antwortet aber nicht. Müde wünschen wir uns allen eine gute Nacht und verschwinden in unseren Zimmern. Wie ich die Tür hinter Nita und mir schließe lehne ich mich kurz daran. „Was für ein Tag...“ Nita dreht sich um, wie sie sich auf ihr Bett setzen will. „Du sagst es! Und ich hab Tarun Singh getroffen. Dank dir!“ Ich verdrehe die Augen, stütze mich von der Tür ab und gehe ebenfalls auf mein Bett zu. „Hör auf damit. Sei froh, dass du ihn nur gesehen hast und nicht dreimal mit ihm zusammen gestoßen bist. Ich hab ihn bestimmt einmal voll umgehauen...“ Nun sieht mich Nita neugierig an, wie sie unter ihre Decke krabbelt. „Du ihn? Ich dachte, das wäre alles Mal seine Schuld gewesen...“ Ich sehe hinunter, zu Boden, wie ich mich auf mein Bett setze. „Nun ja. Nicht immer. Das erste Mal war er es, er hätte aufpassen können. Beim zweiten Mal war ich nicht unbeteiligt. Ich hab nicht auf die Umwelt geachtet, ich hab hinunter gesehen. Beim dritten Mal jedoch war er es.“ Nita nickt nun, mustert mich dabei prüfend. Und da sie nichts sagt hebe ich meinen Kopf. „Was denn?“ Sie zuckt mit den Schultern: „Nichts.“ Und schon legt sie sich zurück. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“ Ich antworte nicht, beobachte sie eine Weile - in meinen Gedanken versunken - dann lege ich mich aber auch hin und schlafe kurz darauf schon ein.


„Meri Khawbon Mein Rehti Hai... Meri Needon Mein Jagti Hai... Main Tera Naam Jab Bhi Loon... Saasnsein Mehek Jaati Hai... You Get Me Rockin & Reeling... You Are So Wonderful Feeling“

Dieser Text, der aus irgendwelchen Boxen kommt, weckt mich am nächsten Morgen. Keine Ahnung ab wann ich die Worte verstehe. Jedenfalls beginnt es langsam. Und komischer Weise hatte ich befürchtet, dass der Song in meinen Träumen läuft. Hattet ihr das auch schon mal? Nein? Dann seit froh. Denn bei mir war es ein Alptraum. Keine Ahnung, was genau ich geträumt hab. Aber dieser Song fing an und schien etwas mit der Handlung zu tun zu haben. - Wisst ihr was? Das ist jetzt egal. Wichtig ist, dass ich wach werde durch diese komischen Töne, diesen komischen Stimmen. Ich drehe mich um, öffne langsam die Augen. Und sehe auf dem Nachtisch meiner Schwester kleine Boxen stehen. Aus denen kommt die Musik. Und an diesen Boxen hängt ihr MP3-Player. Aus diesem stammt diese Musik also. Ich sehe zu meiner Schwester, die mir - genau wie gestern - den Rücken zu gedreht hat und tanzend ihr Bett macht. Sie tanzt gut, das sieht man sofort. Und das sie Rhythmusgefühl hat erkennt man eigentlich auch sofort. Ich würde nicht sagen, dass sie besser oder schlechter als ich tanzt. Aber für ihr Alter ist sie mehr als gut.

„Niiiitaaaaaa...“, stöhne ich dann auf. Meine Stimme klingt noch müde und total trocken. Ich kann sehen wie Nita erschrocken herum fährt und sich die Hand auf die Brust legt. „Oh Gott...“ Ich öffne die Augen weiter, versuche dadurch wenigstens wach zu wirken - wenn ich es schon nicht bin und es auch meine Stimme nicht ist. Sie lässt sich auf ihr Bett sinken. „Oh Gott?“ Ihre Augen liegen, weit geöffnet, auf mir. „Ja, was erschreckst du mich so?“ Nun ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe: „Ich dich? Wer stellt denn am frühen Morgen ihre Musik ein und weckt die andre?“ Ihr Blick wird wieder normaler, ihre Hand sinkt auch wieder hinunter. „Entschuldige. Aber es scheint ja zu helfen...“ Nun lächelt sie, steht wieder auf und macht ihr Bett fertig. „Wirklich amüsant...“, erwidere ich sarkastisch, stehe auf und verschwinde aus dem Zimmer um ins Bad zu kommen. Aus dem kommt gerade Lili. „Guten Morgen, Schlafmütze. Gut geschlafen?“ Ich sehe zu ihr: „Mhh... Aber erwacht aus einem Alptraum, endend mit indischer Musik! Herrlicher Schlaf!“

„Guten Morgen, die Damen...“ Lili und ich sehen die Treppen hinunter. Dort steht Lilis Cousin Rahul. Er grinst und sieht uns zwei erfreut an. Ich erwidere nichts, sehe ihn einfach nur an. Lili jedoch lächelt, was ich sehe wie ich wieder zu ihr sehe oder besser in das Bad hinter ihr, in das ich hinein will. Und ich gehe hinein. Verschwinde einfach.

Lili sieht mir hinter her, das tut auch Rahul. Dann sehen sich die zwei an. „Was hat sie denn?“, will Rahul wissen. Lili zuckt mit den Schultern. „Das ist normal für sie. Sie ist ein Morgenmuffel!“ Rahul nickt verständlich sieht dabei dort hin wo ich eben ins Bad verschwunden bin, lächelt dann aber und sieht zu Lili zurück. „Kommt ihr dann auch zum Frühstück?“ Lili nickt, ihn nun etwas prüfend ansehend. Dann dreht sie sich weg und verschwindet in ihr Zimmer. Rahul sieht ein letztes Mal in Richtung Bad und zieht dann die Mundwinkel hinunter, zuckt dabei leicht mit den Schultern eh er dann den Flur entlang geht und hinunter geht.

Unten am Frühstückstisch ist es ruhig. Keiner hat großartig etwas zu erzählen. Bis jedoch Lilis Tante das Schweigen bricht. „Was habt ihr denn gestern schönes gemacht?“ Sie lächelt und will damit nur ihre Neugierde zeigen. Lili beginnt sofort darauf an zu springen. Sie ist jemand, die ungern schweigt. „Wir haben nicht viel gemacht. Sind etwas durch die Stadt gestreift.“ Lilis Onkel und ihre Cousins sind ebenfalls aufmerksam am zu hören. „Und ist irgendetwas aufregendes passiert?“, will Lilis Onkel wissen. „Bis auf, dass Pia Bekanntschaft mit einem Schauspieler gemacht hat nichts...“, rutscht es aus Nita heraus. Ich sehe zu ihr, sie strafend an. „Wow. Echt? Wen habt ihr getroffen?“ Lili grinst: „Tarun Singh!“

Ich esse einfach weiter, sollen sie doch davon berichtet. Soll mich doch nicht stören. Rahul und Udit sehen kurz zu mir. Rahul länger, als sein jüngerer Bruder. Eh er zu lächeln beginnt und dann zu seiner Cousine sieht. „Und wie hat sie ihn kennen gelernt?“ Lili lacht herzhaft auf. „Kennen gelernt ist der falsche Ausdruck. Sie hat ihn fertig gemacht. Sie ist ihm gestern dreimal über dem Weg gelaufen, oder eher in ihn hinein.“ Rahul lacht kurz auf: „Bist du etwa so tollpatschig?“, will er amüsiert wissen. Ich sehe zu ihm auf, mustere in mit einem scharfen Blick. Das bringt Rahul zu einem weiteren Lacher.

„Kann man nicht sagen. Gestern war wohl einfach nicht ihr Tag.“ Ich schnalze kurz, aber laut auf. „Gestern? Ich wette alle Tage werden schlimm.“, meine ich dann nur, eh ich weiter frühstücke. Es ist gar nicht so einfach, sich aus dem Gespräch zu halten, wenn es um einen selber geht.

„Zuerst hatte sie zwei Becher Wasser in der Hand und beim Umdrehen ist sie gegen ihn geprallt, wie sie sagte, und dadurch ist ihr die ganze nasse Flüssigkeit über ihr Top geflossen. Beim zweiten Mal ist sie aus dem Einkaufszentrum gegangen, wie wir anderen noch drin waren und ist gegen ihn gerannt. Und wie wir vom Italiener wieder gehen wollten lief sie ihm direkt in die Arme, wie wir die Treppen hinunter gingen und er hoch.“, beantwortet Nita die Frage, die Rahul vor einigen Minuten gestellt hat, ihm aber keiner bis her eine richtige Antwort gegeben hat. Rahul sieht mich an, unterstützt seinen Bruder der gerade lacht. „Schöne Geschichte... Und habt ihr Freundschaft geschlossen?“ Udit lacht weiter, was ihm einen bösen Blick von mir einkassieren lässt. Aber das kümmert ihn nicht, im Gegenteil, er lacht weiter. Mein Blick geht zurück zu Rahul. Aber ich sage nichts. „Haben sie nicht. Pia hasst Schauspieler. Jedenfalls indische Schauspieler.“ Nun stoppt Udit sein Lachen und sieht Nita etwas entgeistert an. Rahul sieht Nita ebenso überrascht an. Beide sehen dann zu mir herüber. „Ist das wahr? Du findest nicht mal Shankar Kumar toll?“ Ich hebe die Hand zum Mund und tue so, als ob mir mein Essen wieder hoch kommt. Rahul und Udit sehen sich gegenseitig an. „Du bist die erste Frau die uns begegnet die Shankar nicht toll findet, auch wenn sie ihn gesehen haben...“

Ich lasse die Hand vom Mund: „Bringt mir das jetzt eine Urkunde oder ein Pokal ein?“ Nun lachen Lilis Tante und ihr Onkel. „Lili, deine Freundin ist wirklich toll.“, erklärt ihr Onkel dann. „Ich weiß. Ihr köstlicher Humor scheint dir zu gefallen.“ Ihr Onkel nickt. „Das hab ich mir sofort gedacht.“ Ihr Onkel lacht weiter, seine Nichte scheint ihn wirklich gut zu kennen, muss ich feststellen. Wenn sie schon vorher wusste, dass er mich mögen wird, wegen meines Humors. Wobei ich gar nicht wusste, dass ich Humor besitze. Wenige finden ihn witzig weil er sehr sarkastisch und auch verletzend wirken kann. Aber ich stehe dazu.

„Können wir euch Mädchen heute begleiten?“, will Rahul dann wissen, den Blick auf mich gerichtet. Udit scheint auch nicht abgeneigt zu sein und stimmt seinem Bruder mit einem einfachen interessiertem Blick in unsere Richtung zu. „Gerne!“, erklärt nun Jessi. Die wirklich begeistert scheint. Aber wenn man ihr ins Gesicht sieht und ihren Blick versteht, der Rahul mustert, dann weiß man ganz genau warum sie so schnell geantwortet hat.

Lili stimmt dem Ganzen auch zu, aber auch Nita scheint sich darüber zu freuen. Da ich auf meine Schwester aufpassen muss und will - ja, ihr hört richtig ich will es (hier in Indien weiß man schließlich nie) - stimme ich widerwillig auch zu. Die Jungs scheinen sich wirklich sehr darüber zu freuen. Aber das kümmert uns nicht. Die Eltern der Jungs lächeln zufrieden. Ich vermute sie sind froh, dass wir uns nicht in den Haare liegen, sondern uns versuchen kennen zu lernen und zu verstehen versuchen.

Nach dem Frühstück stehen wir vom Tisch auf, bieten unsere Hilfe an um mit Abzuräumen, doch Tante Jia verscheucht uns aus der Küche. Somit machen wir uns bereit um in die Stadt, oder besser raus, zu können. Die Jungs warten unten schon auf uns, wie wir vier Mädchen gemeinsam hinunter kommen. „Na, endlich. Ich dachte ihr braucht noch eine Stunde...“, lacht Rahul auf. Udit stimmt mit ein. Doch wir Mädchen finden nichts daran wirklich witzig, daher sehen wir die Jungs auch dementsprechend an. „Nein, wir können uns auch beeilen.“, erwidert Lili. „Beeilen? Eine Stunde zum Fertig machen nennt ihr beeilen?“, will Rahul etwas verblüfft wissen. „Ja, was dagegen?“ Mit diesen Worten hat Lili ihre Cousins zum Schweigen gebracht. Sie wissen wohl nicht, was sie darauf antworten sollen. Das ist uns nur Recht und somit kann es auch schon los gehen. „Habt ihr eigentlich etwas bestimmtes geplant?“, will Rahul wissen, wie wir bereits auf dem Weg sind auf befahrenere Straßen zu gelangen. „Nein, eigentlich haben wir vor Nitas Liste durch zugehen.“, erklärt Lili. „Liste? Welche Liste?... Die über die ihr gestern schon geredet habt?“, will Rahul wissen. „Genau die!“, erwidert seine Cousine wieder. „Was steht denn auf der Liste so drauf?“, erkundigt sich nun auch Udit interessiert. „Ich hab sie dabei, wenn ihr sie lesen wollt!“, zückt Nita die Liste aus ihrer Hosentasche. Ich verdrehe die Augen und sehe lieber gar nicht erst zu den anderen.

Ich versuche mich abzulenken. Aber ich sag euch, das funktioniert nicht. Denn ich höre Musik. Ja, ihr werdet euch sicher jetzt kaputt lachen, aber ich höre Musik. Ihr glaubt doch echt nicht, dass ich weiterhin wollte, dass die Musik mich nervt. Aber ihr wisst ja sicher besser als ich, dass ich die Musik nicht los werde. Was das mit der Musik angeht kann ja dann auch nur eines bedeuten. Wir sind in der Stadt. Oder jedenfalls in einem der Stadtteile. Denn hier waren wir gestern nicht.

Aber ich werde aus meinen Gedanken gerissen. Und zwar durch ein lautes Lachen. Ein Lachen, dass Rahul gehört, was ich heraus finde wie ich zu den anderen sehe. „Einmal Shankar Kumar treffen...“, sagt er, während er lacht. Und glaubt mir Leute er bringt mich zum Lachen. Nicht nur, weil ich das Thema selber lächerlich finde. Nein, auch weil er so eine coole Lache gerade drauf hat, dass er mich mit reißt. Ich bin mir aber sicher, dass es mir nur wegen des Themas so geht. Kein anderer lacht - nur wir zwei.

Lili und Jessi haben kein Grund zum Lachen, sie haben ihre Gründe - unter diesen gehört bestimmt der, dass jeder mal Fan von einem Star war und den man gerne mal life treffen wollte. Nita ignoriert das Lachen, weil... Ja, weil sie gelernt hat so etwas zu ignorieren. Wenn sie es bei ihrer Schwester - die ihr viel bedeutet - schafft, dann schafft sie es bei einem anderen - ihr (fast) unbekannten Menschen - erst recht. Und Udit lacht nicht, weil er es falsch findet über jemanden zu lachen, der sich in der Runde befindet. Vor allem, weil jeder wohl Erwartungen hat - auch wenn er selber weiß, dass sie nie zutreffen (könnten).

„Das ist wirklich absurd... Das wird doch nie passieren!“, erklärt Rahul weiter, der in mir wohl eine Verbündete gefunden zu haben scheint. Oder ist es anders herum? „Das sagte ich ihr auch...“

~ Das ich, und somit auch Rahul, falsch liege kann ich ja zu dem Zeitpunkt nicht wissen.



„Wenn ihr zu ende gelacht habt, könnten wir uns dann mit der Besichtigung von Indien beschäftigen?“, will Lili uns endlich dazu bringen aufzuhören zu lachen. Rahul und ich schaffen es auch nicht zu lachen, beruhigen uns also - aber wir können nicht verhindern, dass uns ein Grinsen auf den Lippen bleibt. „Schön...“, beginnt Lili wieder, da sie weder eine Antwort bekommt noch ein Kommentar von jemandem aus der Runde. „Wo fangen wir an?“ Ich schnalze auf. Ich antworte nicht und werde mich in die, bestimmt nun folgende, Diskussion nicht einmischen. „Ich bin dafür, dass wir Shoppen gehen!“, grinst Lili fies, nachdem keiner einen Vorschlag macht und sie unter anderem nur ihre Cousins ärgern will. „Nein... Nein... Und nochmals Nein!“, lässt Rahul seine Hände in die Höhe steigen und schüttelt mit dem Kopf. „Ich stimme ihm zu... NEIN!“, unterstützt nun sein kleiner Bruder ihn, in dem er vor allem das 'Nein' laut und deutlich ausspricht, als wolle er es uns in Großbuchstaben irgendwo aufschreiben. Nun lacht ihre Cousine. Und Jessi lacht schließlich mit. „Du bist ja irgendwie gemein zu deinen Cousins, aber das gefällt mir!“ Rahul sieht zu Jessi, diese verstummt augenblicklich wie sie seinen Blick erwidert. Mit leicht roten Wangen senkt sie ihren Blick. Ich beobachte sie alle bei ihrem kleinem Theaterstück und frag mich genau in dem Moment wie ich eine meiner besten Freundinnen mit roten Wangen den Kopf senken sehe ob sie das nur sehr gut spielt oder ob es dieses Mal eine wirklich wahre Reaktion ist.

Bitte denkt jetzt nicht wieder schlecht von mir. Obwohl... Doch tut es ruhig. Ich bin ja nicht immer nett und ehrlich. Aber ich kenne meine besten Freundinnen. Jessi hat es drauf Jungs vorzuspielen jemand zu sein, der sie nicht ist. Und das komische ist daran, selber Lili und ich wissen nicht genau wie Jessi nun richtig tickt. Nicht, dass sie vor uns jemals eine falsche Reaktion gezeigt hat. Nur kommt sie aus ihrem Schauspiel ab und zu selber nicht mehr richtig raus. Aber weiter im Text...

„Ich hab ja persönlich nichts gegen das Shoppen gehen mit Mädchen. Bei Begleitung solch schöner Frauen, wie euch vier kann es einem Mann doch nur bereichern. Ihr helft uns viel mehr damit. Aber egal... Wir können das gerne auf morgen verschieben, aber...“

„Auf Morgen? Heißt das die wollen morgen schon wieder etwas mit uns unternehmen...“, unterbreche ich Rahul - ungewollt laut - in seinem Satz.

„Nur wenn wir dürfen natürlich nur!“, reagiert Rahul nun auf meine Aussage. Ich verstumme mit einem Mal, ich und meine große Klappe. Ich wollte das gar nicht sagen, aber nun ist es raus. Okay, ich wollte es schon sagen, aber nur mir - in meinen Gedanken. Da ich mich allerdings nicht schäme das nun gesagt zu haben, verschränke ich eingeschnapt die Arme vor der Brust und sehe zur Seite. Als Zeichen, dass ich sie nicht dabei haben will. Ich wollte sie ja heute schon nicht dabei haben. Aber das ist ja was ganz anderes, besser: eine völlig andere und bereits gegessene Geschichte. „Unsere vorlaute Pia, mal wieder!“, mischt sich Lili wieder ein, als klärende Person. Jedenfalls versucht sie dieses zu sein. Wie immer. So ist Lili nun mal. „Hört nicht auf sie. Natürlich kommt ihr morgen wieder mit. Ohne euch geht das hier gar nicht. Ich kenne zwar Indien und kann viel davon erzählen. Aber ihr könnt das besser, ihr verbringt jeden Tag mit diesem Land!“ Rahul und Udit lachen auf. „Das hast du toll gesagt, Cousinchen!“, zieht Rahul seine Cousine zu sich, in dem er ihr seinen Arm um die Schulter legt und sie an der Schulter zu sich holt. Ich verdrehe die Augen, schaue mich nun um - ohne was bestimmtes zu sehen.

„Gut, dann verschieben wir das Shoppen auf morgen, dann können sich die Jungs darauf einstellen!“, verkündet nun Lili wieder. „Was machen wir dafür?“ Nita sieht zu Rahul und Lili auf. „Wie wäre es mit Besichtigungen?“, schlägt sie dann vor. „Ich glaube etwas anderes wäre auch nicht sinnvoll!“, lacht Rahul amüsiert auf. „Mir würde da einiges einfallen!“, nuschle ich dann, verständlich für alle, vor mich hin. Keiner der anderen reagiert allerdings darauf.

„Leider ist das leichter gesagt. Nach Delhi und Agra ist es ein weiter Weg, von Mumbai. Also fallen der Taj Mahal, das rote Fort und eben auch Delhi aus. Wollen wir nach Goa, am besten mit dem Auto, Bus ist zu gefährlich und unbequem und mit einer Rikscha würden wir nie ankommen. Allerdings ist der Weg auch nicht viel kürzer, denn mit 18 Stunden müssen wir da schon rechnen. Wir müssten also dort übernachten. Dazu zählt wir brauen Platz zum Schlafen.“ Ich schnaufe laut aus. „Ohne mich!“, entfährt es mir laut. Ich sehe die anderen fassungslos an.

Und ich dachte Indien ist klein. Nach Delhi und Mumbai scheint es ja Jahre zu dauern. Und nun wollen die mich zwingen eine Reise von 18 Stunden durchzunehmen, nur um solch andere Städte - oder was weiß der Geier - zu sehen, die bestimmt nichts besonderes an sich haben. Ohne mich! Ich meine, wir haben schon lang genug gebraucht hier herzukommen. Reicht es nicht, wenn wir hier sind, für die Zeit die wir bleiben wollen? Ich denke schon. Etwas außer mir lasse ich mich auf die nächstbeste Bank nieder, die leer ist und die ich sehe. „Was hast du denn?“, will Jessi wissen. Sie klingt etwas sauer und 'angepisst' - wenn ich es mal so ausdrücken darf. „Was ist das denn für eine Frage. Ich wollt mich doch nicht echt zwingen, dass ich da mit komme. Ich hab keine Lust so einen weiten Weg auf mich zu nehmen.“ Nun setzt sich Nita neben mich, sie will etwas sagen, lässt es aber und sieht hinunter. „Sieh mal...“, beginnt Lili und stellt sich vor mich. Jessi steht neben ihr, so wie ich die Arme verschränkt und zur Seite schauend. Die Jungs hören uns gespannt und interessiert zu, sie halten sich erst mal zurück. Udit hat nicht vor sich einzumischen. Rahul mischt sich nur ein, wenn es keinen Ausweg gibt, oder nichts anderes hilft - so wie er es immer macht, denk ich mir, schließlich hat er das gestern auch so gemacht.

„Ich höre...“, gebe ich von mir. Weiterhin schmolle ich jedoch. Was wollen die mir nur bitte sagen? Ich finde die Ideen einfach nur lächerlich. Ich zieh da nicht mit. Das ist mir einfach zu dumm. Warum soll ich bei allem was Nita auf ihre Liste geschrieben hat mit machen? Kann mir das irgendjemand sagen.

„Deine Schwester macht jedenfalls Vorschläge. Ich weiß was du gerade denkst. Wie ich wohl darauf komme, dass es nun an Nita liegt. Das sehe ich dir an und ich kenne dich inzwischen lang und gut genug. Ich hab keine Lust einfach nur Shoopen zu gehen und sogar dann deine runter gezogene Klappe zu sehen. Ich möchte hier eine schöne Zeit verbringen. Mehr nicht. Und deine Schwester hilft uns nur, sie hat wenigstens Ideen und gibt Anreize. Denn was du alles vor hast könnten wir in Deutschland auch tun. Versteh doch nur einmal uns anderen. Wir wollen Spaß haben. Wir wollen was erleben. Wir wollen,wenn wir zurück fliegen sagen können, dass wir was erlebt haben, dass aufregende Dinge passiert sind. Aber du lässt es nicht zu. Das einzige was du zu lässt ist, dass wenn wir zu Hause sind daran denken wie wir versucht haben Freude zu empfinden, dich aber immer wieder versucht haben eben so viel Freude zu empfinden. Ich hab darauf keine Lust. Irgendjemand anderes...?“

Lili hat sich inzwischen neben mich gesetzt. Nun allerdings blickt sie zu allen anderen hinauf. Jessi sieht sie an und schüttelt den Kopf. Lili hat mir den Kopf gewaschen. Doch das ging mir sonst wo vorbei. Wenn ich meinen Dickkopf habe, dann habe ich ihn. Und daran wird auch niemand es schaffen, diesen zu waschen. Nita sieht hinunter. Sie sagt dazu nichts. Sie kann es nicht. Sie kennt mich, auch wenn sie eigentlich sehr wenig mit mir zu tun hat. Udit und Rahul schütteln schwach mit dem Kopf, da sie nicht wischen wie sie sich einmischen sollen, weil sie es nicht wollen und es irgendwie auch nicht können. Ich sehe immer noch zur Seite, stur wie eh und je.

„Was ich damit sagen will. Wenn du uns nun begleiten willst... Da drüben, ein paar Straßen weiter ist ein Reisebüro. Wir wollen schauen was sich machen lässt und wie es am besten nach Mumbai und Delhi geht. Wir gehen jetzt da hin. Und was du machst... Ja, das entscheidest du!“ Lili steht auf, die Hände auf den Knien und marschiert dann bestimmend davon.

Nita bleibt stehen, zögert richtig. Sie sieht zu mir auf, will etwas sagen - geht dabei einen Schritt nach vorne auf mich zu - doch dann wendet sie sich ab und folgt den anderen. Ich drehe den Kopf zur Seite, zu den anderen, die tatsächlich davon gehen. Ich fasse es nicht. Und dennoch bleibe ich hier sitzen. Ich werde nicht auf stehen und ihnen folgen. Wieder streift mein Blick zu anderen Seite, trotzig. Nach wenigen Minuten allerdings geht er kurz in Richtung meiner Freunde, meiner Schwester und der zwei, uns begleitenden, Brüder.

Eine Person setzt sich neben mich. Bestimmt mehr als fünf Minuten später, wie die anderen schon weg sind. Ich drehe mich nicht zur Seite. Nein, warum auch. Ich kenne die Person sicher eh nicht. Wie die Person jedoch zu sprechen beginnt, erschrecke ich etwas, da ich sie doch kenne...

„Ich werde nicht ohne dich mit den anderen fahren, das ist dir doch sicher klar. Abgesehen davon, das ich es auch nicht darf. Mama und Papa haben nämlich gesagt, dass DU auf mich aufpassen sollst. Und nicht einer der anderen. Ich bin die jüngere. Du die ältere. Und weißt du? Ich finde das gar nicht so schlimm. Eher im Gegenteil, ich will, dass du auf mich aufpasst. Ja, okay, mir ist sehr wohl klar, dass du das nicht willst. Aber das ist nun mal die Straffe, wenn man eine Familie hat. Man hat Regeln, die man befolgen soll. Man ist entweder die jüngere oder die ältere. Und dennoch hat jeder in einer Familie seinen Platz. Ich habe meinen eigenen. Papa hat seinen eigenen und Mama hat ihren eigenen. Auch du hast deinen Platz. Als Familie sollte man an einem Strang ziehen. Du kannst mich dein Leben lang hassen. Das ist zwar gemein, aber ich werde es akzeptieren. Oder versuche es. Aber ich werde immer deine Schwester bleiben, die dich so liebt wie du bist. Die sogar deine Miese Laune am frühen Morgen liebt. Die deine kleinen netten Gesten liebt und wenn es nur die Geste ist die du gezwungen tust, dass du mich zur Schule fährst, dass ich mit nach Indien durfte, dass du auf mich aufpasst. Pia, so schlimm es für dich gerade ist mir zu zuhören, ich würde natürlich gerne einen kleinen Trip nach Bombay oder Goa machen. Aber nur, wenn du mit kommst. Ohne dich wäre ich jetzt nicht hier. Ohne dich würde ich nicht meinen Traum leben. Ohne dich werde ich nicht mit fahren. Punkt...“

Ich höre meiner Schwester zu. Wie sie zu reden begonnen hat habe ich zu ihr herüber gesehen. Weil es mich gewundert hat, dass sie hier ist. Dass sie nicht mit den anderen mit gegangen ist. Immer noch beleidigt habe ich mich allerdings nach den ersten paar Worten wieder abgewannt. Ich bin ja gemein... aber ihre Worte. Irgendwo hab auch ich ein Herz. Und Nitas Worte haben dieses Herz berührt. Aus dem Mund einer 15jährigen solche Worte zu hören tut weh. Solche Worte aus dem Mund meiner kleinen Schwester zu hören tut weh. Sogar mir.

„...Und ich hab das Gefühl, ich bin dir das schuldig!“ Mein Kopf schnellt - ja ihr lest richtig - zu ihr herüber. „Warum?“, bringe ich jedoch nur hervor. Leise und total verwirrt. Nita zuckt mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich fühle mich von dir nicht akzeptiert, als deine kleine Schwester. Nicht immer. Aber in den meisten Situationen und Momenten. Deswegen genieße ich es,wenn du mich mal als deine kleine Schwester siehst, behandelst und so mit mir redest.“

„Nita...“, will ich anfangen. Ich fühle mich etwas schuldig. Ja, auch ich kann mich schlecht fühlen. Und gerade jetzt tue ich es. Aber Nita lässt mich nicht ausreden.

„Nein. Sag nichts. Du machst es bestimmt nur noch schlimmer. Und weinen will ich jetzt ganz bestimmt nicht. Nicht hier in Indien. Nicht hier draußen wo mich jeder sehen kann...“ Nita senkt ihren Blick, sie schweigt einige Sekunden. Sie knetet ihre Hände. Was bei ihr nur zeigt, dass sie sich wirklich gerade die Tränen unterdrücken zu versucht. Und da ich sie gut kenne, weiß ich dass ihr das nur schwer fallen wird, wenn ich jetzt etwas sage. Somit halte ich meinen Mund. Es ist total komisch. Aber in meinem Magen liegt nicht das Gefühl, dass ich sie auslachen will oder ihr irgend etwas gemeines gegen den Kopf werfen will. Nein, ich fühle eigentlich gerade gar nichts. Nur leere. Leere die ich so noch nie wahr genommen hab. Die aber schon lange in mir herrscht. Ich es aber nur immer versucht hab zu verdrängen. Meine Wut, ein Hass und was ich noch so auf dieser Leere geschaufelt habe lassen mir gerade jetzt den Blick auf etwas werfen, was ich vergessen wollte. Was das ist? Ich verrate es euch: Eine Pia, die tatsächlich Gefühle hat und zeigen kann.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 21.05.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Sammlung geht an alle da draußen. Ich denke jeder findet etwas, was ihm gefällt. Danken tue ich auch jedem, jeder ist Teil dieser Reihe und Teil von mir, wenn er hier liest. Danke.

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