Leck mich H&M
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Als ich eine Filiale von H&M betrete, ignoriere ich die kreischende, warnende Stimme meines körpereigenen Alarmsystems. Ich weiß, ich bin älter als 15 und ich wiege knapp über 30 kg. Im Rausch meiner Einkaufsorgie, setzte ich mich diesmal großzügig über diese Tatsachen hinweg.
An der Tür steht ein Sicherheitsmann. Braungebrannt, Anzug und ein T-Shirt mit Glitzer-Motiv. Im Ohr trägt er ein Head-Set. Zweifelnd schaue ich an mir herunter. Verwaschene Jeans, Turnschuhe und ein T-Shirt mit Spongebob-Motiv. Der Typ beachtet mich nicht und ich schlüpfe erleichtert in die heiligen Teeny-Hallen. Mich empfängt ein unbeschreibliches Chaos. Kreischende Teenager halten sich begeistert Klamotten an den Leib, die ich eher in einem Theater-Fundus vermutet hätte. Strickjacken in kreischenden Farben mit glücklicherweise falschem Pelzbesatz, großgeblümte Hemdchen, die mich an die Tischecke meiner Oma erinnern, oder Jeans, deren Reißverschlüsse die Länge eines Hasenküttels haben.
Laute Musik vernebelt den Verstand und beherzt greife ich nach einem Pullover. Schwarz ist er. Eine Kaputze hat er. Ganz schlicht hängt er traurig, unbeachtet zwischen bunten Polyester-Lappen. Liebevoll betrachte ich ihn. Ich will ihn anprobieren und steuere die Umkleidekabinen an.
Eine Menschenschlange, die so lang ist, dass man vermuten könnte, Freddy Mercury wäre von den Toten auferstanden und es gäbe noch Restkarten für ein Queenkonzert, läßt meine Euphorie sinken.
Tapfer stelle ich mich trotzdem zwischen die Wartenden. Der Duft von Erdbeer-Lipgloss, Kaugummi und billigem Parfüm, läßt kurz meinen Kreislauf schwanken. Lediglich die spitzen Schreie aus zig Teenager-Kehlen verhindern eine gnädige Ohnmacht.
Endlich wird eine Kabine frei.
Ich zerre mein Shirt vom Körper und ziehe mir den schwarzen Pullover über den Kopf. Es muß schnell gehen, denn der Vorhang, etwa so groß wie eine Bordüre, verhüllt kaum etwas von meinem Körper. Verbissen quäle ich mich in das schwarze Teil.
Auf dem Bügel sah es eigentlich ganz leger aus. Ich schiebe das Vorhängelchen zur Seite. Da ein Spiegel in der winzigen Kabine vermutlich keinen Platz mehr gefunden hat, muß ich mich außerhalb der intimen Zone betrachten.
Zuerst erkenne ich mich gar nicht, und nicke der Frau mitleidig zu, die mit zerzaustem Haar und verkniffenem Gesicht vor mir steht. Ihre Arme sind seltsam vom Körper abgewinkelt. Als ich begreife, dass ich selbst diese arme, deformierte Frau bin, erwäge ich einen schnellen Freitod.
Ich bin nicht dick. Wirklich nicht. Aber dieses schwarze Ungetüm entstellt mich derart, dass ich gefühlte Ottfried-Fischer-Kilos mit mir herumtrage.
Der Bund des Pullovers endet weit über dem Bauchnabel und drückt so fest gegen meine Rippen, dass ich fürchte beim Einatmen zu ersticken. Den am Bauch eingesparten Stoff, haben sie an die Ärmel genäht. Sie sind so lang, dass meine Hände komplett bedeckt sind. Das alllerdings ist halb so schlimm, da sie ohnehin inzwischen taub sind. Fest presst sich der Stoff um meine Arme, wie eine Manschette vom Blutdruckmessgerät.
Ich kann die Arme nicht zum Körper führen. Grostesk abgewinkelt stehen sie zu beiden Seiten ab.
Wie von Sinnen stürme ich zurück in die Umkleidekabine. Mit hysterischer Verbissenheit entledige ich mich des Pullovers. Ich ignoriere die erstaunten Blicke des Türstehers an dem ich vorbei renne, als wäre Satan persönlich hinter mir her. Leck mich H&M.
Texte: All artwork © Carly Hatton
Buchdeckel
Tag der Veröffentlichung: 01.01.2009
Alle Rechte vorbehalten